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Maries Briefe 

Der 5. Brief aus London

Eine Componistin. – Freiligrath. – Der Punch-Club. – Anderssen.- Franz Dingelstedt.- Heinzen. – Bulwer. – Dickens. – Ein Abschaum von Immoralität. – Die Väter der jüngsten deutschen Philosophie.

Die englische Komponistin Macironi, von der ich Dir neulich schrieb, componirt jetzt eine Oper, wozu sie einen deutschen Stoff gewählt hat und für welche sie Freiligrath um einige Lieder bat, weil sie sich von diesen viel Glück für ihre Oper verspricht. In Deutschland pflegt das freilich anders zu sein; da ist die Musik bei einer Oper die Hauptsache. Freiligrath hat es abgeschlagen. Freiligrath wird hier sehr gefeiert von Schriftstellern sowohl als von Nichtschriftstellern. Bulwer hat ihn aufgesucht und eingeladen. Auch die Verfasser des Punch, die einen eigenen Club bilden, zu dem unter anderen der Epicuräer Dickens gehören und wo der Punch bei einigen Gläsern Wein verfertigt werden soll, haben ihn eingeladen. Ob er aber diesen und anderen Einladungen immer folgen kann, ist sehr zu bezweifeln, da ihm sein leidiges Geschäft die beste Zeit raubt. Anderssen benutzt diesen Sommer seine Pension vom Könige von Dänemark zu einer Reise nach London. In Howitt´s Journal beginnt ein Aufsatz über ihn folgendermaßen: „ In dem Augenblick, wo Hans Christian Anderssen in diesem Lande ist, glauben wir unseren Leser nicht angenehmer unterhalten zu können, als durch das Leben dieses extraordinairen Mannes, dem wir zugleich sein gelungenes Porträt beifügen.“ Dann heißt es weiter: „Er ist einer der ausgezeichnetsten und interessantesten Männer seiner Zeit. Sein Genie erhob ihn von der niedrigsten Armuth und machte ihn zu einem angesehenen Gaste von Königen und Königinnen.“ Alles resumirt sich dahin, daß er hoffähig geworden, aber doch zugleich, „wie die meisten Männer von großem originellen Talente, ein Volksmann“ geblieben ist. Franz Dingelstedt wird erwartet, da er seine Frau abzuholen gedenkt, die in der zweiten italienischen Oper Gastrollen giebt. Eine Sängerin ist ein großer Schatz für einen Mann, wenn sie nach der Ehe Sängerin – bleibt. Für Heinzen gehen wieder und immer wieder Gelder von Amerika ein; seit einem halben Jahre hat er 60Pfd. St. erhalten. Dafür läßt er seine Pamphletchen drucken und ernährt die Kinder seiner verstorbenen Geliebten, deren eines er geheiratet hat. Obgleich man ihn, wie in einer amerikanischen Zeitschrift stand, für den bedeutendsten Mann Deutschlands hält, möchte sich doch zweifeln lassen, daß jene Zuschickungen so lange anhalten werden, bis es ihm gelungen ist, Deutschland zu reformen. Lord Bulwer ist seit langer Zeit leidend. Er gebraucht seit 2 Jahren die Wasserkur, und da er, wie es scheint, nicht mehr ohne Wasser leben kann, so bedient er sich der Anwendung desselben sogar dann, wenn er Feten in seinem Hause giebt; er sitzt dann nämlich auf einem wasserdichten Kissen, das alle halbe Stunde mit frischem Wasser gefüllt wird. Im Übrigen ist er ein liebenswürdiger Weltmann, natürlich mit britischen Ecken, munter und zuweilen voll launigen Witzes. Nun mache man sich einen Begriff von der Frömmigkeit und dem moralischen Gefühle des englischen Volkes, wenn man hört, daß selbst Bulwer für einen unmoralischen Charakter gilt, von dem man sich ins Ohr zischelt: “man glaube er sei nicht fromm!“ Selbst ein deutscher Weißbierphilister wird keinen Scrupel haben einen Bulwerschen Roman zu lesen. Wie staunte ich daher, als ich hier in aller Unschuld einmal von den Bulwerschen Romanen zu sprechen anfing und ganz kurz mit den Worten abgefertigt wurde: „Solche unsittliche Sachen werden hier höchstens von gleichgesinnten Personen gelesen.“ So arg hatte ich mir die sittliche Prüderie denn doch nicht gedacht, denn es ist in der That oft nur Scheinheiligkeit, da die Romane wirklich gelesen, ihre Lectüre aber verleugnet wird. Sein letztes Werk „Lucretia“ heißt „ein Abschaum von Immoralität“ , ist aber in allen Lesecirkeln zu haben. Mit gleichem Abscheu erwähnt man seiner „Alice“; sie ist hier in demselben Geruche, wie bei uns Gutzkows Wally. Alice, dieser Tugendspiegel! Von Dickens urtheilt man etwas besser und liest ihn mehr und offener; man nennt ihn nur queer (wunderlich). Doch will ich Dir zum Schlusse die Offenbarung eines hiesigen Gelehrten mittheilen, die er vielleicht mir allein vertraut hat. Ihr wißt wahrscheinlich nicht, wer der Vater oder vielmehr die Väter der jüngsten deutschen Philosophie sind. Diesem Bastardenthum muß abgeholfen werden. Locke und Bacon sind diese Väter, und „das ist ein gutes Zeichen für diese Philosophie!“

Quelle: Feuilleton Nr. 30. [Beilage zu Nr. 191. Berliner Zeitungs-Halle, Sonnabend, den 24. Juli. 1847. pp. 151/152.






 

 

 

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