KILLER - KÖNIG - KAVALIER
Richard Harris als Lordprotector von England
(und Alec Guinness als hingerichteter König)

Ken Hughes: CROMWELL

[Cromwell] [Cromwell] [Cromwell]

FORTSETZUNG VON TEIL II

Achtung, liebe Leser, laßt jetzt bitte nicht in Eurer Aufmerksamkeit nach, denn wir kommen zur Schlüsselszene unserer Geschichte - die vielleicht auch die Schlüsselszene der historischen Wirklichkeit war, wenngleich aus ganz anderen Gründen. Zunächst zum Film: In der Armee rumort es: "Cromwell hat die Armee verraten," ruft ein Agitator namens John Cardell, "wir haben unser Leben eingesetzt, um den König zu beseitigen, und nun kommt Cromwell und will ihn wieder auf seinen Thron setzen!" Da kommt auch schon Harris angeritten und brüllt: "Ihr seid ein Meuterer, ein Verräter an Gott, Vaterland, Parlament und Gewissen!" - "Ich bin kein Verräter," gibt Cardell zurück, "ich stehe noch immer für das, wofür wir alle gekämpft haben, zum Beispiel für das Recht der freien Rede. Könnt Ihr das auch von Euch sagen?" - "Jawohl, und ich bin überzeugt, daß der König es ernst meint," sagt Harris, "darauf würde ich mein Leben setzen." Aber zunächst einmal setzt er nicht sein Leben darauf, sondern das der "Meuterer": Er läßt Cardell und die anderen verhaften, nach dem Motto: "In der Armee gilt das Gesetz der Redefreiheit nicht, besonders nicht für verräterisches Gerede" und läßt sie Stäbchen ziehen; das Los fällt auf Cardell, und Harris gibt prompt Befehl, ihn durch den Strang hinzurichten. Da kommt Hyde - der Verräter aus "Gewissensgründen" - angeritten und "gesteht" Harris, daß Charles ein doppeltes Spiel treibe, indem er sich mit Manchester und Essex verbündet habe, um schottische und irische Truppen auszuheben. Harris eilt sogleich zurück, um die Hinrichtung Cardells rückgängig zu machen - aber der baumelt schon. Harris ist außer sich und krächzt: "Ich will den Kopf dieses Königs - und die Krone, die drauf ist!" Hört hört - wenn dieser zweite Halbsatz keine Freud'sche Fehlleistung ist...

[Commonweal]
The Commonweal, das Organ der Diggers - zu erkennen an der Schaufel des
Gartenzwergs links. Sie entdeckten die Parole "Equality, Freedom, Fraternity
[Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit]" schon 200 Jahre vor den Franzosen"

Das alles ist von Hughes meisterhaft inszeniert, psychologisch gut begründet, und doch von vorne bis hinten erlogen. Dikigoros' alter Professor für Verfassungs-Geschichte wurde nie müde, seinen - überwiegend linken - Studenten zu erzählen, wie das wirklich war mit den "Levellers and Diggers", wie die Sozial-Revolutionäre genannt wurden, zu denen John Cardell gehörte, und die es nicht nur in der Armee gab. Sie hatten "Gleichheit [Equality] vor dem Gesetz", "Glaubensfreiheit [Freedom] für alle Konfessionen" und "Wahlrecht für alle Brüder [Fraternity]" (später hätte man "Volksgenossen" gesagt)" in ihr Programm geschrieben, das sie etwas großspurig "Agreement of the People" nannten, und das man in ihrer Hauspostille, "Das Gemeinwohl [The Commonweal]" nachlesen konnte. (Ziemlich genau zwei Jahrhunderte später - 1848 - sollten die Franzosen das mit "Liberté, Égalité, Fraternité" übersetzen und die Entstehung dieses Schlagworts - unzutreffender Weise - ihrer eigenen Revolution von 1789 zuschreiben, in der auch sie ihren König hingerichtet hatten, aber das ist eine andere Geschichte.) Besonders die letzten beiden Punkte gingen Cromwell denn doch zu weit: Religionsfreiheit? Womöglich auch für Papisten? Niemals! Und wo kämen wir hin, wenn jeder Habenichts in der Politik mit ab- und bestimmen dürfte? Würden die Regierungen dann nicht immer unfähiger, die Probleme der Zeit zu lösen, weil sie - wider alle Vernunft, wenn sie die denn überhaupt haben - ständig Konzessionen an die Habenichtse machen müßten, Wahlversprechen, um sie bei Laune zu halten, "panem et circenses", wie die alten Römer gesagt hätten? (Ihr, liebe Kinder des 20. Jahrhunderts, die Ihr dies lest, dürft die Antwort geben, denn Ihr kennt sie ja!) Damit hatten Cromwell und seine Armeeführer gleich gar nichts am Hut. Was sie vom König verlangt hatten, war etwas ganz anderes: neben den "Propositions of Newcastle" - über deren Inhalt Euch Dikigoros schon berichtet hatte - waren es die so genannten "Four Bills [vier Gesetzentwürfe]"): 1. Verzicht auf königliche Truppen, 2. Anerkennung der alleinigen Gesetzgebungsbefugnis des Unterhauses, 3. Anerkennung des alleinigen Rechts des Unterhauses, Adelige [also Oberhaus-Abgeordnete] zu ernennen, und 4. Anerkennung des Rechts des Unterhauses, zusammen zu treten wann und wo sie wollten. Diese Forderungen hatte der König sicher nicht ungelesen beiseite gelegt, sondern sie vielmehr gelesen und in dem Augenblick gewußt, was ihm vom Unterhaus (in dem ja nur noch Puritaner saßen) drohte. Und Charles war nicht der einzige, dem das klar war: Die schottischen Presbyterianer erkannten endlich, daß sie auf der falschen Seite standen, und wandten sich an den König, um einen Kompromiß auszuhandeln. Mit den Levellers und Diggers hatte das gleich gar nichts zu tun; die sollte Cromwell später aus ganz anderen Gründen platt machen (vorerst waren sie noch nützliche Idioten für ihn); und weder tat ihm das im Nachhinein leid, noch sah er darin einen Grund, den König einen Kopf kürzer zu machen.

Die nächste Szene spielt im Rumpfparlament. (Wo kommt denn das plötzlich wieder her? Hatte Harris das nicht schon aufgelöst? Aber der Leser weiß es ja besser.) Harris bringt Charles, diesen ehrlosen "Bluthund" (das sagt jemand, der gerade einen seiner eigenen Leute hat aufknüpfen lassen - aber dabei fließt ja kein Blut), "im Namen der Armee und des Volkes von England" zur Anklage als "Tyrann, Verräter, Mörder und Feind des Commonwealths, des Parlaments und des Volkes" mit dem erklärten Ziel, ihn zum Tode zu verurteilen, mit Sir Edward Hyde als Hauptbelastungszeugen. Da klingt es geradezu makaber, wenn der Gerichtsbüttel die Verhandlung mit dem Ruf "God Save the King" eröffnet. Charles geht auf die Anschuldigungen zur Sache gar nicht erst ein, sondern bestreitet schon die Zuständigkeit: "Mit welchem Recht wollt Ihr mir hier den Prozeß machen?" - "Ihr habt hier keine Fragen zu stellen," sagt ein farbloser Vorsitzender. "Niemand steht über dem König," sagt Charles, "nicht einmal das Parlament. Aber dem - bestehend aus dem vollzähligen Oberhaus und dem vollzähligen Unterhaus - würde ich Rede und Antwort stehen, doch nicht dieser - Versammlung. Ich verlange nicht mehr Rechte als ich sie jedem meiner Untertanen auch gewähren würde. Euch habe ich gar nichts zu sagen." - "Ihr steht hier vor einem Gerichtshof [Court of Justice]." - "Ich steht vor einer Gewalt", erwidert Sir Alec (wieder benutzt er das ominöse Wort "Power"). Aber wie das so ist: wer die Power, pardon die Macht hat, hat das Recht - obwohl einige "Richter" noch Skrupel haben, allen voran Thomas Fairfax. "Bringt mir die Einverständniserklärung des Königs, daß künftig nicht er dieses Land regieren wird, sondern das vom Volk gewählte Parlament, und wir stellen dieses Verfahren ein," bellt Harris. (Hört hört - hatte er nicht noch wenige Szene zuvor Charles von seiner unumstößlichen Überzeugung erzählt, daß England ohne König nicht denkbar sei? Und hatte Cromwell nicht das vom "Volk" gewählte Parlament "purgiert", d.h. alle nach Hause geschickt bis auf die von ihm selber handverlesenen Fundamentalisten, die sich im voraus für die Verurteilung des Königs zum Tode ausgesprochen hatten? Aber von letzterem weiß der Film ja nichts.) Fairfax verläßt das Beratungszimmer, ohne abzustimmen, und auf die übrigen Zauderer redet Harris weiter ein: "Der König ist nicht England, und England ist nicht der König. Es geht nicht um das Überleben des Königs, sondern um das Überleben Englands. Das Land muß vom Parlament regiert werden, und das Parlament vom Volk gewählt." (Das sagt er, nachdem er soeben das Parlament "purgiert" und die Befürworter des Wahlrechts für das ganze Volk hingerichtet hat!) Einige Richter zögern noch immer, ihre Unterschrift unter das Urteil zu setzen. Harris ist unerbittlich: "Ist er schuldig oder nicht schuldig?" bellt er sie an. "Schuldig." - "Dann unterschreibt." (Das, liebe Leser, zeugt von profunder Unkenntnis des angelsächsischen Rechts, in dem der Schuldspruch immer vom Strafmaß zu trennen ist - das Argument "ist schuldig, also Todesstrafe", gibt es so nicht! Und die ganze Szene zeugt von Unkenntnis der Prozeßakten, denn im Film unterschreibt Cromwell als erster und nötigt dann die anderen, es ihm gleich zu tun. Tatsächlich unterschrieb er erst als Dritter - wie Ihr unten sehen könnt.)

[1. Spalte von links, 3. Unterschrift von oben: O. Cromwell]

Nächste Szene: Harris sitzt alleine in seinem Zimmer; Fairfax kommt herein und legt ihm einen Brief irgendwelcher "Commissioners" vor: "Man bietet Euch 40.000 Pfund, wenn Ihr den König begnadigt." - "Dieser billige Bestechungsversuch ist eine Beleidigung!" krächzt Harris. (Da hat er Recht - wir erinnern uns: Das Parlament hatte den Schotten die zehnfache Summe für die Auslieferung des Königs gezahlt; nun sollte er ihn so billig wieder laufen lassen? Aber ersteres hat Hughes dem Zuschauer ja vorenthalten, und aus gutem Grunde, denn er will den Eindruck erwecken, daß der brave Cromwell überhaupt nicht bestechlich gewesen sei.) "Wollt Ihr es Euch nicht noch einmal überlegen?" - "Sir Thomas, kennt Ihr mich so wenig, daß Ihr glaubt, ich ließe mir meine Prinzipien abkaufen?" Da verschlägt es selbst Fairfax die Sprache - mit Recht. Was faselt dieser Mann da von seinen "Prinzipien"? Wechselt er die nicht täglich wie sein Hemd? Das Prinzip, keinen Bürgerkrieg gegen den König zu führen? Das Prinzip, dem Parlament die Regierung zu über- und keine Militärdiktatur zuzulassen? Das Prinzip, den König nicht abzusetzen, geschweige denn hinzurichten? Und da sollte irgend jemand, der ihn kannte, daran zweifeln, daß er es sich wieder anders überlegen würde, wenn er denn einem Vorteil darin sähe? Hatte er nicht schon vorher versucht, eine Beförderung zum Baron nebst Zahlung einer saftigen Apanage für sich heraus zu schlagen? (Das - noch nicht purgierte - Parlament hatte ihm das verweigert, was der eigentliche Grund für die Entfremdung gewesen sein dürfte; aber auch davon weiß der Film nichts.) Den Rettungsversuch hat es übrigens tatsächlich gegeben; aber er ging nicht von Thomas Fairfax aus, sondern... von Olivers Vetter John Cromwell, dem Oberbefehlshaber des britischen Expeditionskorps in den niederländischen Generalstaaten, der es als persönliche Befleckung seines Namens ansah, den König zu töten. (Auch Ludwig XIV, der König von Frankreich, richtete ein Begnadigungsgesuch an Cromwell, aber niemand wagte, es ihm vorzulegen - so war das politische Klima damals in England, und so stand es um den "Rechtsstaat", daß jemand, der das getan hätte, um seinen eigenen Kopf hätte fürchten müssen!)

30. Januar 1649. Das Schafott, auf dem die Monarchie zu Grabe getragen wird. Charles geht, nachdem er sich von dem Rest seiner Familie verabschiedet hat, gefaßt in den Tod, pflaumt sogar noch den Henker an: "Warum habt Ihr Euch denn maskiert? Ihr habt wohl Angst, Euren König zu töten?!"

Schon möglich - und auch anderen ist nicht so ganz wohl bei der Sache. "Wir sind keine Mörder," bellt Harris sie an, "wir haben das nicht heimlich an einer Straßenecke, sondern in aller Öffentlichkeit getan. Das Amt des Königs ist abgeschafft; lang lebe das Parlament, lang lebe das Commonwealth, lang lebe die Republik!" Was immer das ist, liebe Leser, außer einer leeren Worthülse. Was hat sich nicht alles "Republik" genannt und nennt sich noch immer so - angefangen bei den Römern, die auch den Staat des Gaius Julius, des Octavianus Augustus und all der anderen Caesaren "res publica" nannten - "öffentliche Sache"; aber das ist auch eine Hure. Sie alle wollten den üblen Klang vermeiden, den das Wort "rex [König]" in vielen Ohren noch hatte - aber in Wirklichkeit hatten sie viel mehr Macht als je ein König im alten Rom gehabt hatte. Und die Diktatoren, pardon Präsidenten (lateinisches Wort für "Vorsitzenden") der "Volks-Republiken" unserer Zeit erst recht.

Und wie war das im England des 17. Jahrhunderts? Sehen wir uns erst den Film zuende an: Harris ist wieder zu Hause, offenbar ganz ohne Ehrgeiz, ach wie nett. "Es ist alles vorbei," sagt seine Frau, "es gibt nichts mehr zu tun. Nun können wir in Frieden alt werden." Denkste: Bald kommt Henry Ireton - wer sonst - mit einigen anderen Parlamentariern vorbei und bietet Harris doch tatsächlich die Königskrone an! Harris lacht hysterisch auf ob dieses Treppenwitzes und lehnt ab: "Ich eigne mich nicht zum König spielen." - "Das Land braucht aber jemanden, der regiert." - "Das Parlament regiert doch." - "Und wer kontrolliert das Parlament?" - "Das Volk, das Volk, das Volk!" krächzt Harris. "Das ist nicht praktikabel," entgegnet Ireton kühl (hört hört! :-), "wir brauchen ein Staatsoberhaupt. Und Ihr seid der einzige, der dafür in Frage kommt." - "Haben wir dann also dem König den Kopf abgeschlagen, um ihm seine Krone zu stehlen?" [Ja - der merkt aber auch alles!] - "Macht [wieder Power!] muß absolut sein, sonst ist sie keine Macht." [Das sagt ein Parlamentarier?!] - "Ich schwöre bei Gott," krächzt Harris, "wenn Ihr mich dazu zwingt, dann werde ich Euch, wiewohl ich Euch liebe wie einen Bruder, vernichten." Und wirft ihn mal wieder raus. Aber wir kennen ja inzwischen Harris' Schwüre und Prinzipien und wissen, daß alles, was Ireton vorschlägt und Harris ablehnt, über kurz oder lang genau so kommen wird.

London, Januar 1655. Vor dem Parlament hetzt mal wieder ein Leveller (oder Digger) den Pöbel auf gegen "dieses korrupte Abgeordnetenpack, das wir nicht gewählt haben. Und dafür haben wir im Krieg den Kopf hingehalten," zitiert er Harris' Worte von vor einigen Jahren, "daß wir nicht mal das Wahlrecht bekommen. Diese Parlamentarier vertreten ja gar nicht die Interessen des Volkes, sondern nur ihre eigenen!" (Der merkt aber auch alles :-) Diese Vorwürfe dringen auch bis ins Unterhaus vor, lösen dort aber eher Erheiterung aus. (Ob das im Bundestag und anderen Parlamenten unserer Zeit anders wäre, wenn keine Fernsehkamera dabei wäre, liebe Leser?) Niemand bestreitet, daß es so ist. "Aber," sagt Manchester, der noch immer das große Wort führt, "wenn wir uns nicht mit Hilfe unserer Abgeordneten-Posten bereichern dürften, welchen Sinn hätte es dann überhaupt noch, Abgeordneter zu sein?" [Da hat er Recht, denn Mitsprachebefugnisse bei Regierung und Gesetzgebung oder sonstige traditionelle Aufgaben hat das "Parlament der Heiligen" zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr, aber dazu gleich mehr. Und was die Bereicherung anbelangt: Dikigoros weiß nur von einem einzigen Politiker in der langen Geschichte des Parlamentarismus, der auf seine Abgeordneten-Diäten (und auf sein Gehalt als Regierungschef) verzichtet hat; es war ein Deutscher, und er lebte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - mehr verrät Dikigoros nicht; den Rest müßt Ihr schon selber heraus finden.] Beifall der Abgeordneten. Thomas Fairfax erhebt sich und setzt noch eins drauf. Sein Antrag: Die Abgeordneten sollen künftig drei Jahre lang sitzen, ohne lästige Neuwahlen, bei denen sie ja abgewählt werden könnten. [Und bei uns überlegt man, ob man die Legislaturperiode nicht von 4 auf 5 Jahre verlängern sollte!] Da platzt Harris, der gerade herein gekommen ist, der Kragen; und was er jetzt - auf dem Höhepunkt seines schauspielerischen Könnens - abliefert, ist nicht bloß eine Abrechnung mit dem englischen Unterhaus von 1655, sondern eine - zeitlose - Abrechnung mit dem Parlamentarismus und der Parteienherrschaft überhaupt (vergessen wir nicht, wann dieser Film gedreht wurde: 1970, in der Endfase der 2. Regierung des Sozialisten Wilson - der laut darüber nachdachte, die Monarchie in England abzuschaffen, während das Volk darüber nachzudenken begann, ob man nicht besser den Parlamentarismus abschaffen sollte): "Wir haben eine Republik eingerichtet mit der Autorität der Guten Leute [wir erinnern uns: good people - boni - Edelleute] dieser Nation. Und nun, nach sechs Jahren, bin ich bitter enttäuscht: Korruption, Parteigezänk, Unzufriedenheit... Ihr seid nicht länger die wahren Repräsentanten des Volkes! Ein unabwählbares Parlament ist schädlicher als ein unabwählbarer König. [Hört hört!] Ihr seid Abschaum, der nicht mal in der Lage wäre, ein Bordell zu führen, geschweige denn ein Land! Das Parlament ist aufgelöst!" Sagts, schleudert das goldene Zepter vom Tisch des Parlaments-Präsidenten (mit der gleichen Vehemenz wie einst die goldenen Kerzenständer vom Altar des anglikanischen Pfarrers!) - es bleibt symbolträchtig im Bildvordergrund liegen. Symbol wofür? Für die massive Fälschung der historischen Wahrheit, die uns auch diese Filmszene wieder bietet: Es war nämlich Cromwell selber, der jenes Zepter nur zu gerne als Insignie seiner Herrschaft führte!

Im Film läßt Harris nun läßt seine Soldaten einmarschieren und die Parlamentarier zum Teufel jagen. Als letzter beugt sich Thomas Fairfax der Gewalt und verabschiedet sich von Cromwell mit den Worten: "Ich glaube mich zu erinnern, daß wir mal einen König geköpft haben für sowas." - "Ihr seid ein Verräter," bellt Harris idhm nach und setzt dann zu einem großen Schlußmonolog geradezu Shakespeare'schen Ausmaßes an: "So mir Gott die Kraft gibt, werde ich dieser Nation ihren Selbstrespekt zurück geben. Ich werde Gerechtigkeit und Bildung für jedermann bringen, und Wohlstand für diese göttliche Nation. Ich führe Euch herrlichen Zeiten entgegen. Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an!" Pardon, da ist Dikigoros ein Zitat von Wilhelm II und ein Satz aus dem "Horst-Wessel-Lied", der Hymne der deutschen National-Sozialisten, in die FederTastatur gerutscht; Harris sagt vielmehr: "Ich führe Euch goldenen Zeiten entgegen" und "ich werde Euch Freiheit der Seelen, Arbeit und Brot bringen". Dieses schöne, verlogene Schlußwort bleibt so im Raum stehen. Und im Abspann sagt der Sprecher: "Cromwell regierte England, Schottland und Irland als Lord Protektor fünf Jahre, machte es in dieser kurzen Zeit zu einer respektierten Großmacht und legte das Fundament für eine wahrhaft demokratische Nation. 1658 starb er." Amen.

Das, liebe Leser, ist nun wirklich allerübelste Geschichtsklitterung, wie sie in keinem anderen der in "Die [un]schöne Welt der Illusionen" vorgestellten Streifen in diesem Ausmaß anzutreffen ist. Was, wenn eines Tages jemand einen Film drehen würde über einen großen Bewunderer Cromwells, der auch an einem 30. Januar die Monarchie, pardon die Republik zu Grabe trug, und an das Ende einen Abspann setzen würde wie: "Und er regierte Deutschland fünf Jahre, machte es in dieser kurzen Zeit zu einer respektierten Großmacht und legte das Fundament für eine wahrhaft demokratische Nation. 1938 starb er." Wer könnte das Gegenteil behaupten, wenn Hitler 1938 ermordet worden oder eines natürlichen Todes gestorben wäre? Und überhaupt - ist Deutschland nicht auch so zu einer "wahrhaft demokratischen Nation" geworden (was es zur Zeit der Weimarer Republik nicht war)?

Zurück zur historischen Wahrheit. Wie war das erstmal mit den sechs Jahren von den Hinrichtung des Königs bis zur Auflösung des korrupten Parlaments, die Cromwell, pardon Harris brav als Privatmann zuhause verbringt, weil es ja "nichts mehr zu tun" gab? Nun, das war weder seine erste noch seine letzte Parlamentsauflösung. Das Rumpfparlament - das Charles I zum Tode verurteilt hatte, löste Cromwell nämlich schon sechs Tage (!) nach dessen Hinrichtung auf. Vier Monate später proklamierte er die Militärdiktatur, die er "Commonwealth" nannte, mit einem siebenköpfigen Kabinett (dem übrigens auch Thomas Fairfax angehörte); dann überfiel er Irland und Schottland und machte sich an die Endlösung der Katholikenfrage. In den irischen Städten Drogheda und Wexford - die unvorsichtigerweise gegen die Zusicherung von Schonung kapituliert hatten - rottete er die gesamte Bevölkerung aus; dafür siedelte er englische Wehrbauern an. Gegen die Schotten errang er eine Reihe glänzender Siege, vor allem bei Dunbar und bei Worcester; ihren Anführer, den Stuart-treuen Grafen Argyle (der heute ihr Nationalheld wäre, wenn sie nicht schon William Wallace hätten), ließ er ebenso hinrichten wie Charles I. Dann griff er auch Spanien und die niederländischen Generalstaaten an - ohne Krieg konnte er nicht leben, und vor allem nicht überleben. Im Juli 1653 richtete er eine Versammlung ein, die er "Parlament der Heiligen" nannte, bestehend aus ein paar rückgratlosen Speichelleckern, die er selber ernannte und die seine Gesetze abnicken durften, deren Einhaltung die Geheime, pardon "Heilige Staatspolizei" überwachte (die Ihr Euch in etwa wie die islamischen Sittenwächter im Iran vorstellen müßt). Sie selber ernannte Cromwell im Dezember 1653 zum Führer und Reichskanzler, pardon zum Lordprotektor (siehe Abspann - das einzige, was dort stimmt :-) und Generalkapitän, mit einer Machtbefugnis, wie sie kein englischer König vor (oder nach) ihm je gehabt hat. Irgendwann wurden ihm auch seine "heiligen" Abgeordneten lästig; im Januar 1655 jagte er diesen "Abschaum" - wie Harris ihn im Film ja ganz richtig nennt - zum Teufel, aber das haben wir ja schon gesehen. Die nächsten drei Jahre regierte Cromwell allein; das letzte Schein-Parlament, das er im Januar 1658 einsetzte, blieb gerade mal zwei Wochen im Amt, bis er es wieder auflöste. Willfährige Schmierfinken wie Milton, Hobbes und Dryden rechtfertigten und verherrlichten alles, was er tat. Das war auch dringend nötig, denn im Volk war er längst zum bestgehaßten Mann geworden, zum schlimmsten Tyrann aller Zeiten. Laßt Euch nicht von den äußerlichen Parallelen zur jüngsten deutschen Geschichte täuschen, liebe Leser - im Inneren war Cromwells Herrschaft in keiner Weise mit der des Dritten Reichs zu vergleichen, mit all den farbenprächtigen Aufmärschen bei Musik und Tanz, den großen Sportveranstaltungen und sonstigen Feierlichkeiten. Cromwells "Commonwealth" war ein düsterer, freudloser Gottesstaat, wie er heute z.B. im Iran besteht: Jegliche öffentliche "Lustbarkeit" war als "papistisches Teufelswerk" verboten, Musik, Tanz, Theater, Sport, Zeitunglesen, ja sogar der weihnachtliche Plumpudding, als "kulinarische Ausschweifung"! Cromwell war nicht der Hitler, sondern der Khomeini des 17. Jahrhunderts. Und es war auch nicht er, der England groß machte; sondern es gelang seinen Nachfolgern (Charles II, der Sohn Charles' I, kehrte nach dem Ende des "Commonwealth" unter dem Jubel der Bevölkerung als König zurück), wieder dort anzuknüpfen, wo seine Vorgänger aufgehört hatten, und Britannien "groß" zu machen. Daß es dafür nötig gewesen wäre, die Katholiken auszurotten, will Dikigoros ebenso wenig in den Kopf wie die These der Nazis, daß es nötig war, Deutschland "judenfrei" zu machen, damit es "groß" würde - aber vielleicht hatte Cromwell ja nicht zuletzt deshalb Glück mit der Geschichtsschreibung späterer Jahrhunderte, weil angeblich er es war, der den dreieinhalb Jahrhunderte zuvor von Edward I aus England vertriebenen Juden die Rückkehr erlaubte? (Tatsächlich stimmt nicht einmal das. Cromwell hatte ein paar reichen spanischen Geschäftsleuten, denen im Krieg die Enteignung drohte, weil sie pro forma Katholiken waren, erlaubt, sich zum Judentum [zurück] zu bekehren und in England zu bleiben - seine Gegner behaupten, gegen ein Bestechungsgeld von 200.000 Pfund -, nicht aber den Juden generell die Einwanderung gestattet; das sollte erst Charles II im Jahre 1664 tun.)

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Stellen wir uns nun, nachdem wir den Film - und die historische Wahrheit - haben Revue passieren lassen, die Frage: Was fasziniert eigentlich die Historiker an Personen wie Sulla im alten und Rienzo im mittelalterlichen Rom, Wallenstein und Cromwell im 17. Jahrhundert, Karl XII von Schweden im 18., dem Indianer-Häuptling Tecumseh und dem Marschall Lopez im 19., Venizelos, Mussolini, Hitler, Jinnāh und Perón im 20.? Daß "das Volk" (wer immer das ist) sie nacheinander vergöttert und verteufelt hat? Ach was, Sulla, Wallenstein und Cromwell waren nie richtig populär, sie wurden als Militär-Diktatoren gefürchtet, bestenfalls respektiert, aber nie wirklich geliebt, geschweige denn vergöttert - nur später verteufelt, aber das alleine träfe auf viele andere auch zu. Daß ihr Lebensweg erst ganz steil nach oben und dann ebenso tief wieder hinab führte, daß sie ihre vorübergehende Popularität womöglich mit einem gewaltsamen Tode bezahlten? Nein - Tecumseh und Perón hatten nie wirklich einen Erfolgs-Gipfel erklommen, von dem sie richtig tief hätten abstürzen können; Cromwell, Jinnāh und Perón wurden nicht gewaltsam gestürzt; und selbst der gestürzte Venizelos starb friedlich im Bett - fast vergessen von seinen einstigen Freunden und Feinden. Auch das kann es also nicht gewesen sein - aber was dann? Nun, aufmerksame Leser haben vielleicht bemerkt, daß Dikigoros in seiner Aufzählung Gestalten wie Napoleon, Lenin, Stalin, Churchill, Roosevelt oder Mao ausgelassen hat - was fehlt ihnen? Vielleicht der frappierende Gegensatz zwischen dem, was sie gewollt und dem, was sie letztlich bewirkt haben, den wir mit einem griechischen Lehnwort als "tragisch" zu bezeichnen pflegen: Sie alle wollten überwiegend Gutes für ihre Völker, und am Ende kam doch nur überwiegend Böses dabei heraus. [Nein, liebe Leser, Dikigoros hegt nicht den geringsten Zweifel, daß auch die eben genannten "Ausgelassenen" überwiegend Böses schufen; aber er spricht ihnen den guten Willen - und damit die "Tragik" - ab.] Es ist zwar unter heutigen Historikern Mode, ihnen einen "bösen" Lebensplan von Anfang an anzudichten, aber das spricht nur gegen die heutigen Historiker, die ihre Weisheiten am Schreibtisch gewonnen haben und glauben, eine Biografie sei wie ein von einem Autor konzipierter Roman - geradlinig von Anfang bis zum Ende, mit einem roten Faden versehen, womöglich von der "Vorsehung" gelenkt - glaubten nicht auch die Puritaner an die "Prädestinationslehre"?

Aber, liebe Leser, es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. (Übrigens gilt auch das Gegenteil: Selbst der Bösewicht könnte in Frieden leben, wenn ihn der "gute" Nachbarn in Ruhe ließe!) Staatsmänner können nun mal nicht im luftleeren Raum operieren, wie es ihnen gerade gefällt, sondern sie müssen sich (auch) danach richten, was die politischen (und militärischen) Umstände hergeben, was die Nachbarn (und andere Gegner) gerade zulassen, und was nicht. Und erst da kann man eigentlich beginnen, "moralisch" zu urteilen. Was wollte Sulla? Ein starkes, aristokratisches Rom. Was wollte Cromwell? Ein starkes, puritanisches England. Was wollte Mussolini? Ein starkes, fascistisches Italien. Was wollte Hitler? Ein starkes, national-sozialistisches Deutschland. Was wollte Jinnāh? Ein starkes, muslimisches Pākistān. Solche Ziele sind weder "gut" noch "böse" - das sind allein die Mittel, die zu ihrer Erreichung eingesetzt werden. Nicht wahr, irgendwann muß sich der Staatsmann, der auf Widerstand stößt, fragen: Welche Mittel bin ich bereit und in der Lage einzusetzen, um meine Ziele dennoch zu erreichen? Macht es Sinn, ist es notwendig oder - gemessen am zu erwartenden Erfolg - wenigstens vertretbar, die Marianer, die "Papisten", die Kommunisten, die Juden, die Hindus aus dem Land zu jagen oder gar auszurotten? Oder sollte man besser auf gewisse Ziele verzichten, wenn sie nur um diesen Preis zu erreichen wären? Hier können Politiker irren, und hier haben die Genannten geirrt; und solche Irrtümer sind nach einem Talleyrand (den Ihr Euch ungefähr vorstellen müßt wie den Earl of Manchester im Film, nicht äußerlich - er war nicht so fett -, aber in seinem politischen Verhalten) zugeschriebenen Wort schlimmer als Verbrechen: es sind Fehler. In den Augen der Nachwelt machen sie die Irrenden zu Bösewichten - wenn sich denn Historiker finden, die in dieses Horn stoßen. Ihr fragt, ob nicht auch Napoleon ein starkes Frankreich wollte, Lenin...? Spart Euch die Aufzählung, liebe Leser; Napoleon wollte ein napoleonisches Frankreich, und Lenin machte sich einen Dreck aus Rußland, ebenso wie die anderen Banditen nur an eines dachten: an ihre persönliche Herrschaft. Ein kluger Mann schrieb einmal: "Alle Eroberungen gehen von Ideen aus und werden dann zu Bewegungen um der Macht willen. Die Idee ist immer nur ein Vorwand, ob dieser Vorwand nun darin besteht, ein von Paris bis Moskau reichendesEuropa zu organisieren oder die Völker von ihen Tyrannen zu befreien. Napoleon wäre notfalls Mohammedaner geworden, um mit arabischen Heeren auf Eroberungszüge gehen zu können..." Dagegen waren die tragischen Figuren von Sulla bis Hitler persönlich fast ohne Ehrgeiz; sie dachten jedenfalls in erster Linie nicht so sehr an sich selber, als vielmehr an ihr Volk und anx ihre "Ideen" oder, wie Dikigoros das zu nennen pflegt, ihren "Ismus".

A propos Ismus: Warum hat Dikigoros vorhin das lateinische Fremdwort "fasziniert" gebraucht, und nicht das gleich bedeutende deutsche Wort "fesselt"? Weil er Euch mit der Nase auf eine Wortverwandtschaft stoßen will: Mit den Fasces wurden im alten Rom die Rutenbündel der Liktoren zusammen gebunden - auf welche diese Bezeichnung bald überging, als Sinnbild der gemeinsam in einem Staatswesen vereinigten Volksteile. Bis ins 20. Jahrhundert hinein zierte es zahlreiche Staatswappen, z.B. der USA, Frankreichs und einiger Schweizer Kantone. (Wer das nicht glaubt, kann sich das hier anschauen.) Dann entdeckte es Mussolini für die Italiener, und er benannte seine Bewegung danach "Fascismo". Nach seiner Niederlage wurde "Faschismus" zum Schimpfwort und auf alle möglichen politischen Erscheinungen angewendet, die damit nicht das geringsten zu tun haben - und nach diesem neuen, falschen Wortgebrauch müßte man alle eingangs genannten Personen der Geschichte als "Faschisten" bezeichnen - auch Cromwell, und damit sind wir wieder beim Thema.

Cromwell ähnelt von allen hier genannten Personen den "faschistischen" Staatsführern des 20. Jahrhunderts am meisten. In einer englischen Biografie aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts liest Dikigoros: "Sein Leben bietet eine unglaubliche Fülle an extremen Gegensätzen. In der Geschichte gibt es kaum eine Gestalt, die gleichzeitig so glühend verehrt und zutiefst verabscheut wurde wie er. Er rief Bewunderung durch seine militärische Geschicklichkeit, seine Charakterstärke, seine Verkörperung der absoluten Autorität hervor, aber Abscheu erregte er durch seine Unbarmherzigkeit, seine Unversöhnlichkeit und seinen weltanschaulichen Fanatismus. Er errang ungeheure Erfolge in der Außenpolitik und begründete die Weltstellung seines Landes. Die Diskussion über ihn wird weiter gehen; denn er bleibt eine rätselhafte und schwer faßbare Person. Er war natürlich, wie alle Menschen, das Produkt seiner Zeit, aber viele der Probleme, mit denen er sich herum schlug, dauern fort, in anderer Gestalt und mit einem anderen Etikett versehen. Wir machen uns heutzutage viele Gedanken über die möglichen Konflikte zwischen Freiheit und Gleichheit. Das Problem, Reformen durchzuführen, ohne die Verfassung zu verletzen, bleibt ein akutes Problem Was also war er? Heuchlerischer Tyrann? Tapferer, schlechter Mensch? Held? Paradoxer und letzten Endes desillusionierter Vertreter seiner Zeit und seiner Klasse? Er tat Dinge, die den Anschein erweckten, als sei er von jedem etwas. In der Hauptsache meinte er es ehrlich. Seine Glaubensüberzeugungen erscheinen uns vielleicht als äußerst bequem, weil er mit ihnen erfolgreich war und seine Handlungen und Entscheidungen rechtfertigte, aber sie waren vollkommen aufrichtig. Gleichermaßen aufrichtig war sein bedingungsloses Vertrauen, daß Gott seinen Landsleuten ein besonders, aber wunderbares Schicksal vorbehalten habe. Uns erscheint dies vielleicht heute als geradezu krankhaft chauvinistisch; aber für die Menschen damals war es ebenso richtig und klar wie für ihn. Seine Leistungen waren sehr groß: Er veränderte den Gang der Geschichte." Nun, liebe Leser, Ihr könnt Euch selber aussuchen, auf wen diese Sätze Roger Howells sonst noch passen. Aber Vorsicht - es könnte sein, daß sie nicht auch, sondern nur auf jemand anderen aus dem 20. Jahrhundert passen und daß dieser jemand dem Protestanten Howell den Blick auf Cromwell getrübt hat. Aber vielleicht ist Dikigoros durch seine katholische Erziehung auch selber voreingenommen.

Und dennoch: Paßt Cromwell wirklich in diese Reihe der tragischen Helden, die nur das Beste für ihr Volk wollen und frei von persönlichem Ehrgeiz waren? Gewiß, die englische Geschichtsschreibung - und auf ihrer Linie auch der Film von Ken Hughes - haben ihn dort eingeordnet, und jedenfalls zählt er nicht zu den Schurken à la Napoleon, Lenin etc. Aber gibt es womöglich noch eine dritte Kategorie? Ein scharfsinniger Filmkritiker hat einmal geschrieben, daß Ken Hughes aus Cromwell einen "Fidel Castro des 17. Jahrhunderts" gemacht habe, und Dikigoros selber hat ihn mit dem Ayatollah Khomeini verglichen. Was haben diese drei Gestalten gemeinsam? Kommen wir noch einmal auf die "tragischen Helden" zurück, denen nach Dikigoros' Überzeugung die Ideologie lediglich Mittel zu dem Zweck war, ihre Völker groß zu machen, und auf die Schurken, denen die Ideologie lediglich Mittel zu dem Zweck war, selber an die Macht zu gelangen und sich dort zu halten. Kann es sein, daß den Cromwell, Castro und Khomeini die Ideologie ein Selbstzweck war und selbst die eigene Person nur ein Mittel zu diesem Zweck? Über die Motive solcher Leute läßt sich nicht streiten - die glaubten sicher, daß sie damit "dem Volk" nur Gutes täten, und daß es ihre von Gott (Marx, Allah) gewollte Pflicht sei, ihre Völker zu diesem ihrem vermeintlichen Glück notfalls mit Gewalt (Power) zu zwingen. Ja, das ist eine Art Geisteskrankheit, und wenn man es recht bedenkt, wollte Ken Hughes (den wir nicht mehr fragen können, denn er ist anno 2001 gestorben) vielleicht just das darstellen, denn er reiht Cromwells ständig umgeworfenen Prinzipien und gebrochenen Schwüre mit einer derartigen (unhistorischen!) Stringenz aneinander, daß diese Widersprüchlichkeit in Cromwells Charakter eigentlich auch dem letzten Zuschauer auffallen müßte. Will uns sein Film wirklich sagen, daß Cromwell ein großer Herrscher war, der zu allem, was er im Guten wie im Bösen tat, nur durch widrige Umstände gezwungen wurde?

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Exkurs. Dikigoros schreibt an anderer Stelle wiederholt, daß man z.B. die Politik des "Dritten Reichs" nicht alleine an Hitler fest machen darf, daß vielmehr auch andere deutsche Politiker vor ihm - die bravsten Demokraten ebenso wie die rotesten Kommunisten - gegen die Fesseln des Versailler Diktats kämpften, d.h. um die Wiedervereinigung mit Deutsch-Österreich einschließlich Böhmens und Mährens (oder zumindest des Sudetenlandes) usw.; sie wurden von den Umständen - dem Wählerwillen, der damals noch von den Parteien respektiert wurde, allen damit verbundenen "Widrigkeiten" zum Trotz - zu dieser Politik gezwungen, auch wenn es bis heute Leute in Deutschland gibt, denen diese Wahrheit nicht schön genug ist. Und so ähnlich war es vielleicht auch mit Cromwells Irlandpolitik, denn im Grunde genommen setzte er nur fort, was vor ihm Pym schon begonnen hatte - der, wenn er nicht gestorben wäre, den Terror wohl mit der gleichen Skrupellosigkeit weiter betrieben hätte, auch wenn es bis heute Leute in Irland gibt, denen diese Wahrheit nicht schön genug ist. Als Dikigoros in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal nach Irland, genauer gesagt nach Eire reiste, sah er auch dort überall Denkmäler stehen. Meist waren es steinerne Keltenkreuze auf brach liegendem Land oder vor Ruinen, mit Inschriften wie "zerstört von Cromwell anno 16.." oder "von den Engländern verwüstet anno 16.." Das waren Daten, die mehr als drei Jahrhunderte zurück reichten, und Dikigoros stellte sich unwillkürlich die Frage, wie es wohl in Mitteleuropa aussehen würde, wenn die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, statt ihr Land wieder aufzubauen, überall Schilder aufgestellt hätten mit Inschriften wie "zerstört von Churchill 1943-45" oder "von den Engländern demontiert 1945-46" - und das vielleicht 300 Jahre lang! Über solchen Gedanken fiel es ihm nicht leicht, die herzliche Gastfreundschaft der Iren gegenüber ihm als Deutschen zu erwidern, wiewohl er damals schon ahnte, daß ihm die nur in wenigen anderen Ländern der Welt so entgegen schlagen würde. (Inzwischen kennt er noch ein paar mehr, durchweg in Lateinamerika oder Asien gelegen; in Europa kann allenfalls Finnland mit halten. In den meisten anderen Ländern liebt man zwar die deutschen Märker - und auch das wird sich bald ändern, nachdem der Teuro an ihre Stelle getreten ist -, nicht aber die deutschen Menschen. Neid kann es auch nicht mehr sein, denn worum sollte man sie heutzutage noch beneiden? Nun, vielleicht hat es andere Gründe...) In einem Land, wo man sich nicht einfach nur mit "Grüß Gott" begrüßt, sondern vorzugsweise mit der Jungfrau Maria und allen Heiligen (die man zu diesem Zwecke einzeln aufzählt), verabschiedete ihn eine Zufalls-Bekanntschaft mit den Worten: "Hoffentlich wird als nächster Papst [über wen oder was hätte man sich sonst unter Katholiken unterhalten sollen als über den gerade neu gewählten Papst aus Polen?] ein Deutscher gewählt. Gott segne Sie." (Dikigoros hat damals aus Höflichkeit nicht widersprochen, obwohl er den guten Mann für verrückt und seine Hoffnung für völlig irreal hielt - so kann man sich täuschen :-). Ja, der Glaube und die Konfession... Religiöse Motive werden noch immer gerne vorgeschoben, wenn es darum geht, Völkermorde zu rechtfertigen, und dabei vermischen sich die Formen: Erst versucht man, die "Ungläubigen" dem einzig wahren Glauben zu unterwerfen, pardon, sie zu bekehren; wenn das nicht klappt, versucht man sie auszurotten, d.h. dann begnügt man sich auch mit ihrem Land und dem, was drauf steht; und wenn man, um sie zu unterwerfen oder auszurotten, auch das zerstören muß, ist das zwar ärgerlich, aber nicht zu vermeiden.

Doch diese religiösen Motive waren nicht immer ein bloßer Vorwand; ursprünglich waren sie sicher ein echter Beweggrund. Sie waren es wohl auch noch im Europa des 17. Jahrhunderts. Nein, nicht im Dreißigjährigen Krieg - da kämpften längst Katholiken gegen Katholiken und Protestanten gegen Protestanten um der politischen Macht willen, und die Religion[sfreiheit] war nur ein Vorwand. Aber im Krieg Englands gegen Irland war es noch so, auch wenn manche - jüngere, nicht mehr so religiöse - Iren Dikigoros etwas anderes erzählt haben. Die Rasse? Die Nation? Die Sprache? Ach - mit wem oder was besiedelten denn die "Engländer" Irland, nachdem sie weite Teile der keltischen Urbevölkerung ausgerottet hatten? Richtig, mit keltischen Schotten, die damals noch genauso (oder jedenfalls ähnlich) Gälisch sprachen wie die Iren. [Die irischen Dialekte sind unter einander nicht näher verwandt als einige von ihnen mit einigen schottischen; eine einheitliche gälische Sprache hat es nie gegeben, da die Iren, Schotten, Waliser und Cornwaliser - anders als andere Europäer - von ihrer Obrigkeit nie eine einheitliche "Standard"-Sprache aufgezwungen bekamen, wenn man mal vom Englischen absieht.] Nein, Cromwell war kein Nationalist, er war ein religiöser Fanatiker; er war wie gesagt der Khomeini des 17. Jahrhunderts. Er tötete die Iren aus dem gleichen Grund, aus dem er Charly Stuart tötete: Nicht weil er Schotte war, sondern weil er ein religiös toleranter Katholik und nicht bereit war, eine intolerante protestantische Sekte als alleinige Staatsreligion anzuerkennen. Exkurs Ende.

[Cromwell in Rüstung][Charly I]

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Aber es geht hier ja nicht um die Frage, was die Iren von Cromwell halten, sondern was die Engländer bis heute so an ihm fasziniert. Mit anderen Worten: Was hat er denn für sie so Löbliches getan, das die großen Worte im Filmabspann rechtfertigen könnte? Dikigoros sucht und sucht und sucht... Da findet er, daß Cromwell das erste Kaffee-Haus in London eröffnet hat. Nein, nicht persönlich, aber wir wollen sein Verdienst darum doch nicht schmälern, denn er hat zu diesem Zweck (dem Kaffee-Import) Jahre lang einen ansonsten völlig überflüssigen Krieg gegen die Niederlande geführt, die bis dahin das weltweite Kaffee-Monopol inne hatten. Und er hat, 360 Jahre nach der Vertreibung der Juden aus England, diesen gestattet, wieder zurück zu kehren - vorausgesetzt, sie brachten reichlich Knete mit; denn Cromwell hatte England wirtschaftlich völlig ruiniert - nicht nur durch den Krieg gegen Holland -; und irgendwie mußte er die leere Staatskasse ja wieder auffüllen. Scherz beiseite, liebe Leser, das sind natürlich nicht die Verdienste, ob derer Cromwell Jahrhunderte lang ein so hohes Ansehen bei den Briten genossen hat - das sind ganz andere, die Dikigoros in seiner Kurzsichtigkeit lediglich nicht auf Anhieb als solche erkannt hat: Er machte die Schotten, Iren, Waliser und Cornwaliser platt und ermöglichte so die Gleichschaltung ihrer Länder (England und Wales wurden fortan in Gaue ["Districts"] eingeteilt). Ort, Datum und Verlauf jener glorreichen Schlachten muß noch heute jedes englische Schulkind auswendig lernen: Marston Moor, Naseby, Preston, Drogheda... und vor allem Dunbar (1650) und Worcester (1651), jeweils am 3. September. Dieses magische Datum wurde den Briten so wichtig, daß sie sogar Cromwells Tod (1658) auf den 3. September vordatierten, obwohl er da noch putzmunter das Jubiläum seiner beiden größten Siege feierte - tatsächlich starb er wahrscheinlich am oder kurz vor dem 20. September. Das war jedenfalls der Tag, an dem seine Leiche einbalsamiert wurde; anschließend stellte man sie in einer Art Mausoleum aus, wie später Lenin; aber da das undankbare Volk ihn nicht sehen wollte, sondern sich nach einem König zurück sehnte, wurde er im November offiziell zu Grabe getragen. (Böse Zungen behaupten, die Einbalsamierung sei mißlungen und die Leiche habe zu stinken begonnen, deshalb sei sie schon vorher heimlich verscharrt worden.) [Glaubt da tatsächlich jemand, es sei Zufall gewesen, daß Groß-Britannien dem Groß-Deutschen Reich ausgerechnet am 3. September 1939 den Krieg erklärte, der sich später zum Zweiten Weltkrieg ausweiten sollte? Ha ha... auch Kriegs-Politiker sind abergläubisch (und der Erfolg sollte ihnen ja Recht geben)!]

[Dunbar 1650]

Zweitens hat Cromwell erstmals ernsthaft den Anspruch erhoben, daß den Engländern die Herrschaft über die Weltmeere - und damit über den Welthandel und die Welt überhaupt - zukomme. (Bis dahin war das nur die theoretisierende Spinnerei eines gewissen John Selden gewesen.) Drittens hat er die nichtsnutzige Quasselbude, pardon das Parliament, erst von den Angehörigen anderer Parteien "gesäubert" [jawohl, "to purge" nennen die Engländer das], dann das Rumpf-Parlament ganz abgeschafft (genauer gesagt das Rumpf-Unterhaus; das Oberhaus hatte sich "freiwillig" von alleine aufgelöst), durch einen "Heiligen Rat" seiner engsten Parteigenossen ersetzt und sich selber zum Führer und Reichskanzler, pardon Lordprotektor und Generalkapitän auf Lebenszeit ernennen lassen - gut so. Viertens hat er eine geheime Staatspolizei geschaffen - "Heilige Polizei" genannt -, die vor allem die Durchsetzung eines neuen Gesetzes zu überwachen hatte, das jegliche öffentliche Verlustierung verbot: Tanz, Theater, Pferderennen, Zeitunglesen und was dergleichen Laster mehr sind. (Zweifelt noch jemand an Dikigoros' Satz, daß Cromwell der Khomeini des 17. Jahrhunderts war? Wenn es sonst noch Parallelen zu anderen Staatsführern des 20. Jahrhunderts gibt, wären die rein zufällig!) Fünftens erfand Cromwell das schöne Wort "Commonwealth" ["Gemeinwohl"; gut 300 Jahre später übersetzte das einer seiner Nachahmer mit "Gemeinnutz geht vor Eigennutz"]. Nur seinen letzten großen Traum, das "Groß-Germanische Reich", bestehend aus den britischen Inseln, dem Deutschen Reich (einschließlich der Schweiz und des Baltikums, das damals noch deutsch war - aber das ist eine andere Geschichte) und Skandinavien, konnte er in den neun Jahren seines tausendjährigen Reiches nicht mehr verwirklichen. [Stellt Euch mal vor, liebe Leser, was wohl heute über seinen eben erwähnten Nachahmer geschrieben würde, wenn der ebenfalls nach etwas mehr als neun Jahren an der Regierung, sagen wir am 20. September 1942, gestorben wäre, zumal wenn dann seine Nachfolger binnen zweieinhalb Jahren alles verspielt hätten - wie es Cromwells Sohn tat?!] What a pity.

Aber gelten diese verdienstvollen Gründe heute noch? Klein-Britannien hat doch inzwischen keinerlei Ambitionen mehr auf die Vorherrschaft in Europa, geschweige denn auf die Weltherrschaft (oder auch nur auf die über die Weltmeere), sondern vielmehr den Iren (jedenfalls dem größeren Teil von ihnen) Unabhängigkeit und den Schotten und Walisern immerhin ein eigenes Regional-Parlament gewähren müssen und sogar wieder einen potentiellen Thronerben mit Namen Charly (von dem freilich böse Zungen sagen, daß er wahrscheinlich nie König werden wird - der Name hat englischen Herrschern noch nie Glück gebracht)! Nein, die anhaltende Verehrung Cromwells hat keinen realen Bezug zur Gegenwart mehr; sie ist vielmehr weitgehend das Verdienst des Films, den Dikigoros hier vorgestellt hat, und einiger "populär-wissenschaftlicher" Bücher, die ins gleiche Horn stoßen. (Cromwell ist die historische Herrscherfigur, über die in England die meisten Bücher geschrieben worden sind, etwa wie in Frankreich über Napoleon oder in Deutschland über Hitler. Aber über die beiden letzteren sind auch unzählige Filme gedreht worden - über Cromwell nicht, obwohl der in seiner Jugend selber Hobby-Schauspieler war und die Welt als "Theatre of God's Judgement" verstand, in dem ihm eine Hauptrolle zugedacht war :-) Dennoch - irgend etwas stimmt da nicht, und dieses etwas läßt Dikigoros vermuten, daß der Film, wenn man zwischen den Zeilen liest, gar nicht so eindeutig pro Cromwell ist. Er hat ja schon an anderer Stelle den Verdacht geäußert, daß bisweilen Filme anders gedreht werden als es der Obrigkeit lieb ist, so daß sie am Ende gar nicht mehr in das von ihr propagierte Heldenbild passen: David Griffith hatte 1940 (unter dem Deckmantel des ständig-betrunken-seins) die vermeintliche Hommage an Abraham Lincoln (das ist der, der gesagt hatte, der Wahlzettel [ballot] sei stärker als die Kugel [bullit] - kurz bevor er erschossen wurde :-) zu einem Brechmittel werden lassen; und nun spielte Richard Harris (ebenfalls unter dem Deckmantel des ständig-betrunken-seins) den Cromwell, wie er gar nicht im Buche stand, jedenfalls nicht im Drehbuch (und auch noch nicht im Geschichtsbuch, denn da war er ja noch der große Held der Briten, der "pater patriae" und Schöpfer des Commonwealth): unsympathisch, fanatisch, verbrecherisch. Ist es nur ein Zufall, daß die heutige Generation britischer Historiker begonnen hat, Cromwell mit kritischen Augen zu sehen, ihn neuerdings sogar als "Kriegsverbrecher" bezeichnet? Es ist just die Generation, die in jungen Jahren - anders als ihre Vorgänger, die den Lord Protector nur von totem Papier bzw. toter Leinwand kannten - Cromwell im Kino als brutalen Fanatiker leibhaftig vor sich gesehen hatten, in Person von Richard Harris. Wenn es kein Zufall war, dann war dies nicht nur seine bekannteste Rolle, sondern zugleich die größte schauspielerische Leistung seines Lebens.

Oder hat Harris die Rolle des Oliver Cromwell vielleicht gar nicht absichtlich so gespielt? Schauspieler sind ja oft am besten, wenn sie nur sich selber spielen; und Dikigoros kann sich niemanden vorstellen, der Cromwell besser verkörpert hätte als Richard Harris im Alter von 40 Jahren. Die rauchig-harte, wilde Stimme, der unsouveräne, trotzige Blick des Underdog, der immer Angst hat, seine - ihm eigentlich gar nicht angemessene - Stellung wieder zu verlieren. Das kann die Stimme eines Alkoholikers sein und der Blick eines schlechten Schauspielers, der nicht zu solchen Hauptrollen taugt und Angst hat, entlassen und durch einen anderen ersetzt zu werden; aber es können auch die Stimme und der Blick eines hysterischen, religiösen Fanatikers sein, der Angst hat, eine Herrschaft anzutreten, der er sich nicht gewachsen fühlt. (Tatsächlich ist es die Stimme eines Lungenkranken, die sich nie ganz von der Tuberkulose erholt hat, die ihn seine Karriere als Rugby-Spieler gekostet hat; und es ist wohl der Blick des aufmüpfigen Schülers, der das Trauma der Jesuitenschule nie ganz überwunden hat. Wäre Cromwell keine historische Figur - man hätte ihn erfinden müssen, um Richard Harris zur Rolle seines Lebens zu verhelfen.) Richard Harris spielt in "Cromwell" unter allen Filmen, die Dikigoros in "Die [un]schöne Welt der Illusionen" vorstellt, im wahrsten Sinne des Wortes eine Sonderrolle. Zunächst einmal in Bezug auf sich selber. Errol Flynn wäre, wenn er nicht den Custer gespielt hätte, halt als jemand anderes in die Filmgeschichte eingegangen, vielleicht als Robin Hood, Kirk Douglas als berserkerhafter Wikinger statt als Spartacus, Romy Schneider als Königin Victoria statt als Sissi, Heinz Rühmann als "Quax der Bruchpilot" statt als "der Hauptmann von Köpenick", Götz George als Kommissar Schimanski statt als KZ-Kommandant Höß usw. (Das wären dann zwar meistenteils keine historischen Persönlichkeiten gewesen, aber die Schaupieler wären jedenfalls nicht in Vergessenheit geraten.) Richard Harris wäre dagegen wohl ewig der kleine Nebenrollen-Schauspieler auf einer Provinzbühne und in B-Filmen geblieben, ein Niemand, wenn er nicht in diesem Film zu Cromwell geworden wäre. Und umgekehrt hätte vielleicht auch jemand anderes die vorgenannten Personen in der Vorstellung des Publikums verkörpern können - Emil Jannings statt Peter Ustinov den Nero, Harald Juhnke statt Heinz Rühmann den Hauptmann von Köpenick, Vivien Leigh statt Elizabeth Taylor die Kleopátra usw. Aber es gibt nur ganz wenige historische Persönlichkeiten ("Winnetou" und "Old Shatterhand" können wir hier also ausnehmen), die sich der Prägung durch einen bestimmten Schauspieler entziehen, weil sie niemand verkörpern, sondern nur spielen kann. Hitler und Napoleon zählen dazu, Wallenstein und - Cromwell, wenn Richard Harris nicht gewesen wäre.

Aber Richard Harris stellt sich in Cromwell nicht einfach nur selber dar, sondern er spielt dessen Rolle zugleich sehr professionell. Um einen Vergleich zu wählen, den auch deutsche Leser nachvollziehen können: Götz George spricht und gestikuliert privat genauso wie Schimanski, Hermann Willié und viele andere Rollen, die ihm einfach nur auf den Leib geschrieben sind, d.h. er spielt nicht jemand anderen, sondern dieser jemand ist ihm angepaßt - und das kann man halt nur bei drittklassigen Figuren machen, wie dem Rudolf-Höß-Verschnitt in "Aus einem deutschen Leben", nicht bei wirklich großen (im Guten wie im Bösen) Vorbildern. (An dieser Unmöglichkeit sind wohl auch die Darsteller gescheitert, die Napoleon und Wallenstein sonst am nächsten gekommen wären, nämlich Marlon Brando in "Désiré" und Rolf Boysen in der schwerfälligen und langatmigen, um nicht zu sagen langweiligen Verfilmung der Wallenstein-Biografie von Golo Mann - die schon für Fachhistoriker ermüdend ist, gleich gar für die armen Laien-Zuschauer.) Richard Harris dagegen merkt man den an Shakespeare geschulten Bühnenschauspieler an (er hatte an der Academy of Music and Dramatic Arts in London studiert - deshalb sang er trotz nur durchschnittlicher Stimme z.B. "McArthurs's Park" viel besser als all die Jammeraffen und -Äffinnen, die es nach ihm mehr oder weniger verhunzt haben); er spricht nicht einfach nur so daher, sondern er deklamiert fast wie im Theater. Nun kommt ihm die Rolle dabei auch sehr entgegen, denn er hält ja ständig irgendwelche Ansprachen: vor dem Parlament, vor dem König, vor seinen Soldaten, vor der Kirchengemeinde... Übrigens hat sich der Drehbuchautor Mühe gegeben, ihm einen Text zu schreiben, in dem der Unterschied zwischen amerikanischem und britischem Englisch nicht auffällt. (Mit einer Ausnahme ist ihm dies auch gelungen: Vor der Schlacht zitiert Cromwell Shakespeare's Caesar: "The die is cast [der Würfel ist gefallen]; der echte Caesar sagte - wenn er bei der Gelegenheit nicht überhaupt Griechisch sprach: "Alea iacta estos [der Würfel möge fallen]", und Harris sagt: "The die is cäst" :-) Alle anderen - vor allem Alec Guinness - sprechen strengstes Britisch, wie es 1970, als der Film entstand, in den Schulbüchern gelehrt wurde. [Was übrigens historisch falsch ist: Im 17. Jahrhundert wurde Englisch auch auf den britischen Inseln noch so gesprochen, wie es heute in den USA gesprochen wird - die Pilgerväter hatten es in dieser Form mit gebracht, und die Amerikaner - die in vielerlei Hinsicht viel konservativer sind als die Europäer (und als die Europäer es glauben wollen :-) haben es so bewahrt. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts verdumpfte das "ä" - z.B. in "cast" - zu "a", das kurze "i" - z.B. in "been" - wurde lang und viele andere Ungereimtheiten, pardon Feinheiten schlichen sich ein.]

Doch das sind Äußerlichkeiten. Die Cromwell-fans - die damals in England noch die Mehrheit stellten - machten den Film zunächst ziemlich herunter, und da vor allem Harris' schauspielerische Leistung: Wie konnte er den "Helden" nur so darstellen, als krächzenden, bellenden Hysteriker? Nahm dieses WIE er sprach die Kinogänger - egal WAS er sagte und tat - nicht von vornherein gegen Cromwell ein? Wird nicht auch Hitler in neueren Filmproduktionen stets als krächzender, bellender Hysteriker dargestellt, um eben das zu erreichen? Vermeidet man es nicht heute aus eben diesem Grunde, historische Tonbandaufnahmen der Reden Churchills zu veröffentlichen, auf denen er stets klingt wie ein kastrierter Alkoholiker? Haben nicht auch die Deutschen, als sie noch positive Filme über Bismarck drehen durften, seine Redeweise stets zu verschleiern gesucht? Schon möglich, liebe Leser, schon möglich. Aber war das wirklich so wichtig? Churchill und Bismarck sprachen lallten ja tatsächlich wie die Alkoholiker, die sie waren, genauer gesagt sie quiekten wie besoffene Schweine aus Orwells Roman "1984". Und - störte das ihre Zeitgenossen? Offenbar nicht! Hitler hatte tatsächlich eine kratzige Stimme. Und - störte das seine Zeitgenossen oder machte es ihn ihnen unsympathisch? Ganz im Gegenteil: Seine Anhänger - immerhin 'zig Millionen - lauschten ihm mit Begeisterung! Von Cromwell gibt es keine Tonbandaufnahmen; daher können wir allenfalls versuchen, aus dem Inhalt seiner Reden Rückschlüsse auf deren Form zu schließen. Lange Zeit ging nicht einmal das, denn seine "Briefe und Reden" wurden erst in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts - als auch Napoléon in Frankreich rehabilitiert wurde - von Thomas Carlyle heraus gegeben. Sie zeigen Cromwell als brutalen Diktator, der von seiner göttlich inspirierten Unfehlbarkeit überzeugt war. Und - störte das Carlyles oder seine Zeitgenossen? Ganz im Gegenteil: Die fanden das alles prima, denn England schickte sich gerade an, zur Weltmacht zu werden, und wo gehobelt wird fallen bekanntlich Späne - wie schon unter Cromwell. Ja, die Mittel waren nicht die feinsten, räumten Carlyle & Co. ein, aber das Furchtbare, Gewaltsame, Wilde mache ja gerade seine Größe aus - ein paar Zitate gefällig? "Es gibt Augenblicke in der Geschichte, da nur noch in der finsteren Urkraft das Heil ist... Aus der wirren, ungestalten Tiefe der Natur steigt das Neue empor, ein Feuerbrand, der alle Dinge einhüllt, Tod und Geburt einer Welt, ungeheure Erscheinungen, hier wie mit Sternen des Himmels gestreift, dort wie mit Höllenfeuer umgürtet." Tja, so ist das wohl: Wenn jener Feuerbrand obsiegt, dann kam er vom Himmel, sonst aus der Hölle... Und so wie die Franzosen ihre blutige Revolution und ihren blutrünstigen Erben Napoléon feierten, so feierten die Briten von da an ihren Cromwell. Ja, er sei ein Tyrann gewesen, schrieb ein Historiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber das müsse man ihm verzeihen, denn er war doch so tapfer... So leicht, liebe Leser, kann man sich Geschichtsschreibung machen!

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Nachtrag. Hättet Ihr, liebe Leser, die Ihr in der Welt des Kinos bewandert seid, gedacht, daß Richard Harris Alec Guinness überleben würde, daß nicht der erstere an einer Säuferleber, sondern der letztere an Leberkrebs sterben würde? Daß der erstere kurz nach dem Tode des letzteren in "Gladiator" noch eine Rolle spielen sollte (es war auch für ihn die vorletzte), die der letztere knapp vier Jahrzehnte zuvor in "The Fall of the Roman Empire" gespielte hatte, nämlich die des Kaisers Marcus Aurelius? Ja, die großen Stars der Leinwand sterben aus, und ihre Nachfolger vermögen uns nichts mehr zu sagen; sie sind zwar hoch bezahlt (z.T. viel zu hoch, wie Dikigoros meint), aber im Grunde genommen sind sie nichtssagend und austauschbar - oder glaubt Ihr, irgend jemand würde auch nur 5 Minuten, nachdem er den Fernseher abgeschaltet hat (ins Kino ist der Film nie gekommen - er ist so grottenschlecht, daß man ihn nur dem Zwangsgebühren zahlenden Fernsehzuschauer vorsetzen kann) noch Jeremy Sisto mit "Julius Caesar" assoziieren? Oder Tobias Moretti (den Ihr ja bereits aus einem anderen Kapitel dieser Reise durch die Vergangenheit kennt) mit Cassius? Dikigoros erwähnt diesen Fernsehfilm nur, weil es der letzte mit Richard Harris war (er sollte kurz nach Ende der Dreharbeiten sterben), der darin den alternden Diktator Sulla spielt, und weil er zugleich ein [un]schönes Beispiel dafür ist, daß nicht nur ein Schauspieler eine historische Persönlichkeit prägen kann und eine Rolle einen Schauspieler, sondern daß die Wirkung noch weit darüber hinaus gehen kann: Hier hat nämlich das Spiel eines Schauspielers in einer bestimmten Rolle erst ihn selber auf diese Rolle geprägt, und dann eine weitere historische Persönlichkeit, die er spielt, auf die erstere. Der Sulla des "Julius Caesar" ist - völlig an der historischen Wahrheit vorbei - ganz der hysterische, willkürliche und grausame Diktator Cromwell, den Richard Harris einst gespielt hat, bloß halt 32 Jahre älter. Cromwell prägt Sulla - so weit haben wir es gebracht! (Man kann nur hoffen, daß wir von Uli Edel, dem Regisseur, der diesen dankbaren Stoff ebenso vermurkst hat wie zuvor das Drama um Rasputin, so bald nichts mehr hören und sehen werden.) Sowohl Sulla als auch Cromwell würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie das wüßten - allein Richard Harris würde Dikigoros zutrauen, daß er auch darob nur sein berühmt-berüchtigtes Spitzbuben-Lächeln aufsetzt.

[Sulla, Totenmaske] [Cromwell, Totenmaske] [Harris]


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