GEORGE ORWELL
(Eric A. Blair, 1903 - 1950)

KRIEG IST FRIEDEN
FREIHEIT IST SKLAVEREI
UNWISSENHEIT IST STÄRKE.
[George Orwell] [George Orwell] [George Orwell]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ES STEHT GESCHRIEBEN . . .
Große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts

Berühmt geworden ist er - posthum - mit zwei Büchern, die vordergründig als Utopien abgetan werden könnten - "Animal Farm [Farm der Tiere]" und "1984" -; und doch waren sie entstanden aus der Summe der Erfahrungen eines materiell armen, aber an Reisen reichen Lebens. Reisen sowohl durch die Welt als auch durch die Weltanschauungen - man könnte fast sagen, von einem Ende ans andere, entgegen gesetzte. Von Indien (wo er geboren ist) nach England, dann nach Hinterindien, zurück nach England, von dort nach Frankreich und nach Spanien, und am Ende wieder zurück nach England; vom Kolonial-Beamten und überzeugten Imperialisten zum Anti-Kolonialisten, vom radikalen Sozialisten zum radikalen Anti-Sozialisten.

(...)

(...)

War Orwell nach diesen Erlebnissen geheilt? Schwer zu sagen. Wann wäre jemals ein überzeugter Sozialist von seinen Theorien durch die Praxis "geheilt" worden? Es war (und ist :-) doch viel einfacher, den "real existierenden Sozialismus" als eine Abweichung von den hehren Idealen darzustellen, dessen Scheitern über die letzteren gleich gar nichts aussagt. Lassen sich denn überzeugte Fascisten oder National-Sozialisten von ihrem Glauben abbringen, bloß weil der mal in Italien bzw. Deutschland gescheitert ist? Eben. Und glaubt bitte nicht, liebe Leser, daß dies ein Fänomen sei, das sich auf so genannte "extreme" oder "totalitäre" Ismen bezöge - die Anhänger des Liberalismus und des Demokratismus sind genauso unverbesserlich. Der parlamentarische Demokratismus, verstanden als die Herrschaft von Mehrheitsparteien über Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung zugleich, d.h. unter Mißachtung des Montesquieu'schen Postulats der "Gewaltenteilung" hat - in weit höherem Maße als Fascismus und National-Sozialismus - noch jedes Staatswesen ruiniert, das ihm für längere Dauer ausgesetzt war. (Die wenigen Ausnahmefälle erklären sich dadurch, daß sie sich zwar offiziell noch zum Demokratismus bekennen, ihn aber hinter den Fassaden längst durch wirksamere Herrschaftsformen ersetzt haben.) Aber Orwell brauchte sich diese Frage gar nicht zu stellen, denn der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam ihr zuvor, und der brachte ihn zum Nationalismus, pardon, bei Angelsachsen heißt das ja Patriotismus: "Right or wrong, my country" lautet die Parole, der wir getrost entnehmen dürfen, daß Nationalismus aus britischer - und amerikanischer - Sicht immer gut ist, wenn es ein Brite oder ein US-Amerikaner auf Großbritannien bzw. die USA bezieht, dagegen ein schweres Verbrechen, wenn es der Angehörige irgend einer anderen Nation auf sein Land bezieht. Der geradezu pathologische Haß Orwells - und anderer Angelsachsen - auf den Fascismus und den National-Sozialismus ist nur so zu erklären; denn er kannte weder Italien noch Deutschland aus eigener Anschauung, und Hitlers Mein Kampf las er erstmals 1940. Man hat aus diesem - unbestreitbaren - Haß immer wieder den Schluß zu ziehen versucht, daß Orwells berühmte Hauptwerke, Animal Farm [Die Farm der Tiere] und 1984 Parabeln (auch) über das "Dritte Reich" seien (noch Dikigoros hat es auf der Schule so lernen müssen), oder zumindest über die Revolution an sich - aber das stimmt nicht.

Auch ohne das - Jahrzehnte lang unterdrückte - Vorwort zu Animal Farm zu kennen, muß der aufmerksame Leser doch bemerken, daß diese Novelle keine "typische" Revolution, schon gar nicht die - untypsche - deutsche "Revolution" von 1933 meinen konnte, sondern nur eine einzige, nämlich die russische von 1917 - die ebenfalls keine "typische" Revolution ist. Was ist eine "typische Revolution"?
Folgt sie nicht dem Muster: Freiheit-Anarchie. Umverteilung Mangel, gleiche Menge Waren - oder noch weniger - für ebenso viele Menschen? Oder umgekehrt? Cynisch, aber wahr: Je blutiger die Revolution, desto mehr haben die Überlebenden davon. Was ist eine Revolution? Warum entsteht sie? Weil es denen in der zweiten Reihe zu gut geht und sie auf die Idee kommen, die in der ersten Reihe zu verscheuchen. Wenn sie solchermaßen die althergebrachte Ordnung zum Einsturz gebracht haben, kommen die auf den billigen Plätzen nach vorne und jagen sie ihrerseits davon. Dann bricht Chaos aus, bis - früher oder später - wieder ein Diktator kommt mit einer kleinen Führungsclique, welche die erste Reihe besetzen. Nichts wird besser, denn es hat sich ja nichts geändert, lediglich Ressourcen wurden vernichtet, mal mehr, mal weniger, s.o. Nur kurzfristige Besserung möglich, wenn mehr Menschen vernichtet wurden als Ressourcen, so daß man von den bisher angesparten Vorräten eine zeitlang gut leben kann, bis sie verfrühstückt sind. Ja, scheinbar verlief die russische Revolution wie die französische: Kerenski stürzte erst den Zaren wie Robespierre den König stürzte, und dann landeten sie beide auf der Guillotine ihrer Nachfolger. Aber genau da enden die Parallelen schon: Napoleon ist nicht durch die Partei der Revolutionäre an die Macht gekommen, sondern gegen sie; Stalin dagegen wäre ohne die Partei ein nichts und ein niemand gewesen und geblieben - und das gilt auch für alle seine Nachfolger. Daß nicht nur ein charismatischer Einzelner, sondern eine Partei - die Partei der Schweine - die Macht dauerhaft an sich gerissen hat, das gab es nur einmal, nämlich in der Sowjet-Union. (Wir können dahin stehen lassen, wie es in China war, liebe Leser - als Orwell Animal Farm schrieb, gab es noch kein Rot-China, sondern nur Bürgerkriegsparteien, das kann er also nicht gemeint haben. Allerdings konnte er auch nicht voraus sehen - eine besonders hübsche Pointe, welche wir der Ironie der Geschichte verdanken -, daß die Sowjet-Union von ihren Führern eines Tages wieder in "Rußland" umbenannt und auf den Weg des Kapitalismus gebracht werden sollte, und das nur wenige Jahre nach 1984 :-) Und natürlich gehört noch etwas zur Definion von "Revolution", nämlich eine - zumindest propagierte oder vermeintliche - Systemänderung, denn sonst wäre es nur ein Putsch. Das Faszinierende an der Geschichte einer Revolution ist immer, wie weit diese Systemänderung tatsächlich geht, und ob und inwieweit sie später wieder rückgängig gemacht wird und unter welchen Opfern, mit anderen Worten, was das ganze am Ende gebracht hat. Laut Orwell gar nichts, es ist vielmehr noch schlimmer geworden, und auch das trifft eben so nur auf die Sowjet-Union zu.

Aufhetzen tun nie die "notleidenden Massen", sondern diejenigen, die eh schon privilegiert sind und nicht mehr mitkämpfen müssen, wie der alte Eber.

Die Sache mit den zwei Beinen: Der Affe hat vier Hände - der Mensch kann aber besser laufen, da er zwei zu Füßen zurück gebildet hat, um aufrecht zu gehen - und Gehirnwuchs! Überhaupt sind die meisten "Errungenschaften", die den Menschen vom Tier unterscheiden, ganz andere, als gemeinhin angenommen wird. Ja, die Kehle - aber der Witz ist nicht, daß der Mensch sprechen kann (das können die meisten Tiere auch, wenn gleich nicht unbedingt in abstrakter Sprache), sondern daß er andere Dinge essen und trinken kann. Merke: Der Mensch ist, was er ißt, und er ist das einzige Lebewesen, dessen Kehle heiße Speisen schlucken kann. Was wäre die Erfindung des Feuers sonst wert gewesen? Der Urmensch war nichts weiter als ein schwächlicher Aasfresser, der sich von den halb vergammelten Resten ernähren mußte, die stärkere Aasfresser für ihn übrig ließen. Gekocht, gebraten und heiß verzehrt, konnte er sie gerade noch herunter bekommen - und das war wahrscheinlich ein mit entscheidender Selektionsvorteil. Aber der Mensch ist noch viel mehr, was er trinkt: Während andere Tiere nur Muttermilch, Wasser und allenfalls saftige Früchte zu sich nehmen können, hat sich der Mensch zwei Getränke erschlossen, die ihm - jedenfalls dem weißen, "echten" Menschen, dem homo sapiens sapiens - einen ungeheuren Vorteil gegenüber den Tieren und den anderen Arten des homo sapiens verschaffen: Er kann sein Leben lang, d.h. auch als Erwachsener, Milch trinken, und - er verträgt alkoholische Getränke. Nun kann man trefflich darüber streiten, wie stolz man darauf sein darf, die Kühe ihrer Milch zu berauben und sich alltäglich die Hucke voll zu saufen, aber von Vorteil ist es allemal: Es gibt für denjenigen, der es verträgt, nichts besseres, d.h. gesünderes und nahrhafteres, als Milch; und die Vergärung gewisser Getränke zu Alkoholika ist ja kein Selbstzweck, sondern vielmehr eine geniale Möglichkeit der Konservierung. Nicht wahr, Traubensaft wird schnell schlecht; ein guter Wein dagegen hält ein Menschenalter - deshalb ist es gar nicht nett, daß Orwell den Schweinen ausgerechnet ihren Alkoholkonsum vorhält.

Was noch? Da Orwell professioneller Schreiber war und sich später in 1984 so über "Newspeak" ausgelassen hat, dürfen wir nicht übersehen, daß es zu diesem Thema auch in Animal Farm schon einige Leckerbissen gibt: "more equal"...
Und natürlich der Spruch, den Ihr oben in der Mitte zitiert findet, die Parole der Schafe: "Vier Beine gut, zwei Beine schlecht!" - und vor allem seine Steigerungsform: "Vier Beine gut, zwei Beine besser!" Was ist das Englische für eine Sprache, in der die logische Steigerungsform von schlecht "besser" heißt und die logische Steigerungsform von gut "Gosse"? Aber Sprachen sind nun mal nicht "logisch"...

Warum ist Orwell damals aus dem Propaganda-Dienst ausgeschieden? Darüber wird nicht gerne diskutiert - warum auch? Wären das nicht bloße Mutmaßungen? Aber was ist nicht sonst alles gemutmaßt worden in solchen und ähnlichen Fällen, über die Motive oder Nicht-Motive? Orwell hat einige Dinge geschrieben, die heute nicht mehr opportun sind - die auch zu seiner Zeit nicht opportun waren, aber wenigstens noch erscheinen durften -, die eine Antwort immerhin nahe legen: Die Tätigkeit eines Kriegspropagandisten mit all ihren Lügen und Gehässigkeiten - für die ja gerade die Angelsachsen bekannt waren - kotzte ihn auf die Dauer an. Wer kennt schon Orwells kleinen Aufsatz aus der Tribune vom 9. November 1945 mit dem Titel "Rache ist sauer"? Man muß ihn eigentlich ganz lesen und im englischen Original, deshalb hat Dikigoros ihn Euch hier verlinkt; für alle, die kein Englisch können, will er seinen Inhalt dennoch kurz wiedergeben:
(...)

1984.
Wieso eigentlich der Titelspruch? Ist der wirklich so falsch? "Freiheit" kann durchaus Sklaverei sein - darauf kommen wir gleich zurück. Krieg ist Frieden. Nun, das mag etwas überspitzt ausgedrückt sein, aber ohne Krieg kein Frieden; und mancher Frieden ist schlimmer als Krieg, z.B. für den Verlierer... Unwissenheit ist Stärke? Darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren; jeder Leistungssportler weiß, daß das stimmt - wer zuviel weiß und zuviel über dieses sein Wissen nachdenkt, büßt an Leistungskraft ein. Aber lassen wir diesen blöden Spruch, den die Literatur-"Wissenschaftler" aus unerfindlichen Gründen für den wichtigsten halten... Viel wichtiger findet Dikigoros einen Satz, der im Laufe von Orwells Schriftstellerkarriere einen bemerkenswerten Wandel durchgemacht hat: Freiheit ist... was andere nicht hören wollen? (1936, Aspidistra) Daß 2+2=4 ist? Und wenn die Partei sagt, daß es 6 (Mio) ist? Der Adenauer-Witz. Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit, Meinung: Finde dieses und jenes gut oder schlecht. Morde an Juden, Deutschen, Nichtkommunisten usw. Das kann unter Strafe stehen - in England, Israel und/oder der BRD. Aber wenn das Faktum schon bestritten bzw. unter Strafe gestellt wird? Freiheit der Wissenschaft - sah Orwell die Unterschiede? Konnte er sie schon sehen? Worauf reduziert sich das bei Orwell/Winston? Auf die Freiheit, Weißbrot, echten Kaffee, echten Zucker, Wein und außerehelichen Sex haben zu können. Merkwürdig - braucht man das wirklich? (Das schlimmste sind schlechte Zigaretten und schlechter Schnaps - und schlecht geschminkte Prostituierte.) Und wenn man das alles hätte? Dikigoros könnte drauf verzichten (Mutter: Fernseher, Auto, Handy - Ossis: DM, Westautos, Reisen, Bananen), Halt - Fernseher - Telescreen, das hat Orwell richtig voraus gesehen! Und die Leute lassen sich sogar noch gerne manipulieren und glauben am Ende, "frei" in ihrer Wahl zu sein! wenn er dafür die Freiheit eintauschen könnte, aber diese Alternative stellt sich eben nicht. Nicht wahr, Orwells Alternative ist: Freiheit und Wohlstand oder Unfreiheit und Armut. Lächerlich. Götz Aly hat den Deutschen vorgeworfen, Hitler zu folgen, weil er ihre Armut beseitigt hat. Ja, und ihren Hunger - Freiheit kann man nicht essen. (Im übrigen hat er sie von den Fesseln des Versailler Diktats befreit.) Aber auch die weniger Armen und weniger Hungrigen sind ihm gefolgt. Was lernen wir daraus? Daß den Leuten fressen, saufen und Sex (japaner.htm) doch wichtiger ist als die akademische Frage, wieviel 2+2 ist! Wenn also wieder ein Rattenfänger ankäme und den zunehmend verarmten Leuten verspricht, sie reich zu machen, indem er sie von den Zahlungen an UNO, EU, Israel, Entwicklungsländer und Asylanten zu befreien... Die vermeintliche Freiheit, sich all die schönen Dinge kaufen/nehmen oder sonstwie besorgen zu können, die Winston so schmerzlich entbehrt, führt in der Praxis sehr leicht in die Sklaverei des Konsumterrors, wenn ein Kind nicht mehr zur Schule gehen kann, ohne gehänselt zu werden, weil es nicht die "richtigen" Markenklamotten hat.

Nachdem Dikigoros all dies vorausgeschickt hat, werdet Ihr ihm sicher nachsehen, wenn er jetzt mal den advocatus diaboli spielt. Orwell hatte nämlich doch Recht - zwar nicht im Detail, aber im Prinzip. Freiheit ist nicht, alle paar Jahre mal ein Kreuzchen auf irgendwelchen Wahllisten machen zu dürfen, auf deren Zusammensetzung man als Normalwähler eh keinerlei Einfluß hat; Dikigoros würde diese "Freiheit" sofort eintauschen gegen die Freiheit sagen zu dürfen, daß 2+2=4 ist. Aber auch die letztere würde er zur Not eintauschen, denn was ist diese "Freiheit" wert, wenn z.B. die Regierung (oder die EU) plötzlich den Zoll erhöht und können 2 Pfund Bananen plus 2 Pfund Kaffee plötzlich aller mathematischen Meinungsfreiheit zum Trotz soviel kosten wie bisher fünf?
Es bleibt dabei: Der Mensch ist, was er ist; deshalb ist Freiheit in letzter Instanz, dorthin gehen (oder fahren) zu können, wo man die Dinge, die man zum Leben braucht (vor allem Speisen und Getränke) in ausreichender Quantität und Qualität erwerben kann. (Dieses kann ist wörtlich zu nehmen, liebe Leser. Der Eingeborene in der Dritten Welt, der sich an den teuren Restaurants nur die Nase platt drücken kann, hat nichts davon, daß es so etwas in seinem Land gibt; und der Sozialist hat nichts von einem gesetzlich festgesetzten niedrigen Preis für alle möglichen Produkte, wenn die Regale leer bleiben.) Dikigoros könnte zwar auf Weißbrot, Kaffee und Zucker verzichten, aber nicht - oder jedenfalls nicht leichten Herzens - auf Schwarzbrot, Tee und Saccharin. Und wenn es etwas gibt, worüber die Wessis kein Recht haben, sich zu mokieren, dann ist das die Gier der Ossis nach Bananen. Schaut ihn Euch doch an, den homo communisticus: er war - und ist - körperlich und geistig minderwertig, denn wo man nur Dreck hinein steckt, kann auch nur Dreck heraus kommen. Wohlgemerkt, das meint Dikigoros nicht so böse, wie es in den Ohren der Betroffenen klingen mag, denn er verbindet keinen Vorwurf und kein Werturteil damit - ihm ist auch klar, daß die Betroffenen sich lieber gesund ernährt hätten - obwohl er nicht sicher ist, ob sie das dann auch wirklich getan hätten - ein Blick auf ihre Brüder im Westen, die das jederzeit tun könnten, statt dessen aber auch nur Junkfood und anderen Dreck fressen, läßt ihn daran ernsthaft zweifeln. Man hat oft behauptet, Orwell sei misanthrop oder zumindest misogyn gewesen - aber das ist in dieser Verallgemeinerung nicht richtig: Er hat häßlich Menschen gehaßt, und als Mann natürlich vor allem häßliche Frauen - solche, die aus durch Armut verursachter Unter- und Mangelernährung häßlich geworden waren, wie er sie uns in 1984 so eindrucksvoll schildert: kleine, dicke, verschlagene Kröten, wie man sie seit 1989 überall in Osteuropa besichtigen kann, wenn man mit offenen Augen durch die Lande reist.
Für Julia reduziert sich "Freiheit" tatsächlich darauf, ein schönes Kleid, echten Bohnenkaffee, echten Zucker und Marmelade zu organisieren und "freie", d.h. Liebe ohne Trauschein, mit häufig wechselnden Männern zu machen; als ihr Winston dagegen etwas über die Freiheitstheorien des braven Goldstein vorliest, schläft sie dabei ein - und Recht hat sie.
À propos: Stimmt das eigentlich, was Goldstein (und wir dürfen davon ausgehen, daß es sich da auch um die persönlichen Überzeugungen Orwells handel) in seinem Buch zum Besten gibt über die Grundlagen der politischen Macht? Führen die Herrschenden tatsächlich nie enden wollende Kriege gegeneinander, um das Volk "beschäftigt" zu halten, damit es nicht auf die Idee kommt, die Waffen gegen die eigene Obrigkeit zu richten? Das mag eine bestechende Idee sein, die auch ziemlich lange in sozialistischen Köpfen herum gespukt ist (Dikigoros weiß nicht, von wem sie ursprünglich stammt, vielleicht hilft ihm ein marxistisch geschulter Leser mal auf die Sprünge) - aber sie ist schwerlich richtig. Kabinettskriege mit kleinen Söldnerheeren oder wenigen Gepreßten, wie sie bis ins 18. Jahrhundert vorherrschten, sind nicht geeignet, einem Aufstand der eigenen Untertanen vorzubeugen; und die "Volkskriege" seit dem 19. Jahrhundert wären nicht ohne die mehr oder weniger begeisterte Zustimmung des Volkes zu führen, geschweige denn gegen seinen Willen. Orwell hat das nicht erkannt, denn er war Brite, und England hatte nie ein "Volksheer", bei dem wirklich die ganze oder annähernd die ganze wehrfähige Bevölkerung "mobilisiert" wurde - dafür war es bis zuletzt, d.h. zumindest bis 1947, das Jahr, in dem Orwell 1984 schrieb, das Land mit den meisten Kolonien auf der Welt, und zwar nicht nur mit "echten" Kolonien im positiven Sinn der alten Griechen, d.h. Gebieten, die es selber mit Kolonisten besiedelt hatte, sondern mit Raubkolonien, in denen es die "eingeborenen" Völker seiner Fremdherrschaft unterwarf - und da stimmte die Gleichung natürlich: Indem die Briten Sikhs, Gurkhas u.a. indische Truppen aus dem Land abzog und z.B. gegen aufmüpfige Neger in Afrika kämpfen ließ, solange es in Afrika Negertruppen aushob, um sie im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland in den Kampf zu werfen usw., solange machte Orwells Theorie einen Sinn. Aber das war es ja gerade nicht, was er in 1984 beschrieb: Da kämpften die "Großen Drei" (zu denen Orwell als Brite nur die England - einschließlich der USA -, Rußland und China - einschließlich Japans - zählte; Frankreich und Deutschland sind bloße Anhängsel von "Eurasien" :-) in ständig wechselnden Bündnissen gegen einander, ohne eine Entscheidung zu suchen. Die merkwürdig lasche Haltung der Angelsachsen nach dem Zweiten Weltkrieg mag ihn in dieser Sichtweise bestärkt haben - und viele seiner Leser auch noch über seinen Tod hinaus: Warum kämpften die USA ihre kommunistischen Gegner in China und Korea nicht konsequent bis zum Endsieg nieder (was sie mit ein wenig mehr Anstrengung durchaus gekonnt hätten)? Warum lavierte Rußland, pardon die Sowjetunion, seit ihrem Bestehen zwischen den Bündnisblöcken, mal mit Hitler gegen die Alliierten, dann mit den Alliierten gegen Hitler, mal mit Rot-China gegen die Aliierten, dann gegen Rot-China unter Wiederannäherung ("Entspannung") an die Alliierten? War es nicht tatsächlich so, daß "Stellvertreterkriege", wie man später sagte, in der Dritten Welt ausgefochten wurde, für nichts und wieder nichts?

(...)

An dieser Stelle muß Dikigoros noch einmal auf "Newspeak" zurück kommen, die "neue Sprache" der Machthaber von Ozeanien. Als er deren Regeln zum ersten mal las, dachte er spontan an Esperanto. Aber das lag nur daran, daß dieses Konstrukt des polnischen Juden Zamenhof (bitte auf der zweiten Silbe betonen, liebe Leser, so verlangen es die von ihm selber geschaffenen Ausspracheregeln! :-) die einzige der so genannten "Welthilfssprachen" war, die er kannte (und bald darauf auch erlernte); von den vielen anderen - Schleyers "Volapük", Wahls "Occidental" bzw. "Interlingua", Jespersens "Novial" und Heimers "Mondial" - hatte er allenfalls den Namen gehört, und von denen, die nicht bei der IALA [International Auxiliary Language Association] registriert waren, nicht einmal den. Aber das war eine Wissenslücke, der auch ein Denkfehler zugrunde lag: "Newspeak", wie Orwell es beschreibt, ist ja keine Kombination aus dem Vokabular mehreren Sprachen (was durchaus eine Bereicherung sein kann, trotz vereinfachter Grammatik), sondern eine "Vereinfachung" der englischen Sprache, die zu einer Verarmung zunächst der Ausdrucksweise und dann auch des Denkens führen kann und soll (um zu verhindern, daß die Leute "Gedanken-Verbrechen" begehen können :-). Gab es so etwas? Ja, das gab es, und der Mensch, der dieses "Basic English", wie er es nannte, anno 1930 "erfunden" hatte, ein gewisser C. K. Ogden, war selber schuld, daß Orwell es auf die Schippe nahm; er hatte ihm nämlich 1942 selber geschrieben, um ihn von seinen vermeintlichen Vorzügen zu überzeugen: Nur 850 Wörter, einfachste Grammatik, leicht zu erlernen, gerade das richtige für Eingeborene in den Kolonien und den "Rest der Welt". Allerdings bewirkte er damit bei Orwell das genaue Gegenteil - nämlich Horror. War dieser Horror berechtigt? Darf Dikigoros die Frage etwas präzisieren, wie er es sonst im Zusammenhang mit dem Wort "Freiheit" tut: Horror wessen wovon, pardon wovor? Fangen wir gleich mit diesem Wort an, das Dikigoros bewußt im Englischen Original hat stehen lassen: Warum muß es dafür im Deutschen zwei Wörter ohne echten Bedeutungsunterschied geben, nämlich "Furcht" und "Angst"? Gewiß, man könnte behaupten, daß die erstere etwas stärker ist als die letztere, aber etymologisch ist das falsch: Angst ist einfach nur die Verballhornung des französischen "angoisse", und das bedeutet schlicht "Furcht". Die meisten Substantive sind - zumal im Englischen, dessen Vokabular etwa zu gleichen Teilen aus Romanisch (Lateinisch, Französisch-Normannisch) und Germanisch (Angelsächsisch, Friesisch, Skandinavisch) zusammen gesetzt ist - oft doppelt besetzt, ohne daß das zu größerer Klarheit oder besserem Denkvermögen beitragen würde - ganz im Gegenteil, es verwirrt bloß. Die Grammatik der meisten Sprachen ist ebenfalls "Horror" - man könnte sie gut und gerne vereinfachen, vor allem die Formen der Verben (nicht nur der "unregelmäßigen"). Aber Orwell hat richtig erkannt, daß die Seele einer Sprache die Adjektive sind. Ja, die Adjektive, die eigentlich so "unwichtig" sind, daß man sie theoretisch weglassen könnte - kein Text würde ohne sie wirklich unverständlich. Brauchen wir denn ein eigenes Wort für das Gegenteil von "wichtig"? Offenbar nicht. Haben die Engländer eines? Nein, auch sie sagen "unimportant". Und doch - in der Regel gibt es beides, und das gilt bemerkenswerterweise für alle Sprachen der Welt. Warum leisten wir uns z.B. den Luxus, neben "gut" und "schlecht" auch "ungut" zu haben - nicht aber "unschlecht"? Und mußte nicht gerade der Verfasser der "Tierfarm" einsehen, daß es gescheiter war, "good" durch "plus good" zu steigern (wie im Italienischen und Griechischen - und weitgehend auch im Englischen, nämlich durch "more") als durch "better" - was Minderbemittelte, wie Napoleons Schafe, als Steigerungsform von "bad" mißvestehen kölnnten? Und gar die hirnrissigen Superlativ- und Elativformen, mit denen uns manche Sprachen quälen! Genügt da nicht wirklich das einfachere "doppelplus[un]gut"? Hm... aber ist das wirklich noch "einfacher"? (Ganz abgesehen davon, daß es Steigerungsformen von "einfach" gar nicht geben dürfe, ebenso wenig wie von "gleich" - auch das erinnern wir doch aus "Animal Farm", oder?

(...)

1984. Alle, denen die düsteren Prognosen Orwells peinlich sein müßten, beeilen sich, darzulegen, daß der doch völlig daneben gelegen habe: Wo bitteschön ist denn der permanente Krieg zwischen den drei großen Blöcken um den traurigen Rest der Welt? Und wo wird denn in Armut gedarbt und gehungert? Doch bestimmt nicht auf Airstrip One, pardon, den britischen Inseln - oder? Na also, dann wird der Rest doch wohl auch nicht stimmen, von wegen der totalen Überwachung im Parteienstaat, der Verfälschung der Geschichte usw. Wirklich nicht? Nun ja, drei Machtblöcke gab es in der Tat noch nicht, sondern nur zwei - den angelsächsischen und den sowjetischen. Den fernöstlichen gab es - noch - nicht; aber wer außer Orwell hätte 1948 überhaupt schon vorher gesehen, daß ein solcher einmal entstehen würde? Man hätte doch allenfalls damit gerechnet, daß Rotchina mit zum Sowjet-System gehören würde. Aber Orwell hatte die Kraft des Nationalismus und des Rassismus der Asiaten richtig eingeschätzt, sie sie davor bewahren sollte, sich den langnasigen Teufeln - seien es die amerikanischen, seien es die russsischen - auf Dauer unterzuordnen. Freilich konnte er nicht voraus sehen, daß ein Mao Tse-tung Chinas in den 50er und 60er Jahren so ruinieren sollten, daß es um Jahrzehnte in seiner Entwicklung zurück fallen sollte, so daß es 1984 noch keinen eigenständigen Machtblock bilden konnte. Heute erkennen wir im Rückblick einmal mehr die Wahrheit des Spruches "aufgeschoben ist nicht aufgehoben". Und wir erkennen auch, daß Orwells Prognose der ständig wechselnden Koalitionen aufs ganze 20. Jahrhundert gesehen durchaus nicht so abwegig war, wie uns das einige weis zu machen versuchen. Schaun wir mal: Bis 1907 waren England und Rußland verfeindet wegen ihrer imperialistischen Konkurrenz in Asien. Den Ersten Weltkrieg führten sie zusammen als Verbündete bis 1917, als die Kommunisten die Macht in Rußland übernahmen und britische Interventionstruppen eine Invasion der Sowjet-Union unternahmen, der dort zum Bürgerkrieg führte. Danach herrschte Jahre lang Eiszeit, bis die Briten 1939 versuchten, Stalin für ein Bündnis gegen Deutschland zu gewinnen. Als der sich dagegen mit Hitler verbündete, war die SU für kurze Zeit das Reich des Bösen - die Briten planten sogar eine Intervention zugunsten Finnlands im Winterkrieg und einen Handstreit gegen die sowjetischen Erdölquellen im Kaukasus. Als dann 1941 das Bündnis zwischen Hitler und Stalin zerbrach, war der gute "Onkel Joe" plötzlich Englands bester Verbündeter - und schon immer gewesen, denn alles, was je Böses über ihn geschrieben worden war, verschwand im "Gedächtnisloch" der Zensur. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Sowjet-Union freilich wieder zum "Reich des Bösen" - und das blieb sie mehr oder weniger bis zu ihrem Untergang anno 1991. Die Beziehungen des "Airstrip One" zu "Ostasien" waren ganz ähnlich, wenn wir mal wie Orwell davon ausgehen, daß China und Japan zusammen betrachtet werden müssen: Bis zum Ersten Weltkrieg war England feindliche Kolonial- und Besatzungsmacht in China, dann führte es zusammen mit diesem - und Japan - Krieg gegen Deutschland. Im zweiten Weltkrieg führte England dann Krieg gegen Japan, an dessen Stelle als fernöstlicher Buhmann nach 1949 zunächst Rotchina trat, mit Mao Tse-tung als neuer Oberschurke an Stelle Hitlers und Stalins. Mit Beginn der "Pingpong-Diplomatie" seit 1972 war das alles vergessen und Rotchina der beste Verbündete gegen die Sowjet-Union, mit der es sich inzwischen verkracht hatte. (Die Einzelheiten der Beziehungen zwischen "Eurasien" und "Ostasien" wollt Ihr Dikigoros bitte ersparen; sie waren ganz ähnlichen Wandlungen unterlegen, aber darauf hatte Orwell ja nicht abgestellt.) Und jedes Mal wurde die Geschichte umgeschrieben - vielleicht nicht ganz so kraß wie Orwell das geschildert hat; aber im Ergebnis lief es ziemlich genau aufs gleiche hinaus.

Aber was ist mit dem permanenten Krieg um die "Dritte Welt"? Ihr meint, was nicht in den Medien präsent ist, gibt es nicht? Aber das ist doch eher eine Bestätigung denn eine Widerlegung von Orwells Prognosen: Mitte der 1980er Jahre herrschten in weiten Teilen Schwarzafrikas Bürgerkriege, die man nur als "Stellvertreterkriege" zwischen den Großmächten bezeichnen konnte (und in die, nebenbei bemerkt, auch die Rotchinesen bereits einzugreifen begannen); in Indien herrschte zwar halbwegs Ruhe (wenn man mal von den Kämpfen zwischen den "Communities" und dem Bürgerkrieg auf Ceylon absah), aber dafür nicht im "Nahen Osten" - die Kämpfe dort wurden noch nicht (jedenfalls nicht ausschließlich) aus religiösen Motiven gespeist, sondern aus den Waffenlagern der "Supermächte": Die USA rüsteten Israel aus, die UdSSR die arabischen Staaten. Armut und Hunger? Nein, in Großbritannien gab es das 1984 nicht - aber Orwell konnte auch nicht voraus sehen, daß Margaret Thatcher als Premierministerin den Niedergang aufhalten und den Karren weitgehend aus dem Dreck ziehen sollte, in dem er schon fast gelandet war (aber das ist eine andere Geschichte. Aber der Hunger war da - in anderen Teilen des einstigen britischen Empires, und mindestens so schlimm wie Orwell das in 1984 beschrieben hatte. Wobei auffällt, daß das Essen noch so mies sein kann (die meisten Menschen ernährten sich 1984 - und ernähren sich heute noch immer, Tendenz steigend - von minderwertigem "Fast-food", auf das die Bezeichnung "Junk-food" viel eher zutrifft, und das nicht nur in der Kantine ihres Arbeitgebers), die Wohnungen noch so verfallen - Hauptsache, die Televisoren funktionieren, mit denen die Untertanen manipuliert werden können. (In Lagos - der größten Metropole Afrikas, einst von den Briten erbaut - sehen 99% der "Häuser" aus als bei Orwell; aber fast alle Bewohner haben Zugang zum staatlichen nigerianischen Fernsehprogramm - warum wohl?) Ihr meint, es zwingen einen doch niemand, die Dinger jeden Tag 24 Stunden laufen zu lassen? Nein, theoretisch nicht; aber in der Praxis... wozu gibt es täglich ein Programm rund um die Uhr, vor dem vor allem die Kinder jede freie Minute verbringen und sich manipulieren lassen? Ihr meint, es gebe doch "Programmvielfalt"? Ja, aber die Nachrichten kommen alle von denselben großen Agenturen; und wehe, jemand würde versuchen, etwas anderes zu senden als was die vorschreiben... Und wird nicht die Geschichte permanent umgeschrieben? Ja, liebe Leser, das hatte Mitte der 80er Jahre schon begonnen, Dikigoros kann sich noch sehr gut erinnern, als plötzlich jeder, der vor 1945 gelebt hatte, fast automatisch zum bösen Nazi mutierte, jedem noch Lebenden an der Biografie herum gepfuscht wurde - und das nicht nur in Deutschland; auch und gerade in Großbritannien wurden alle Deutschen automatisch zu "Nazi-Deutschen" - und in den Televisor-geschulten Augen und Ohren der meisten Briten sind sie das bis heute geblieben - vielleicht mehr noch als zu Zeiten Orwells.

Und die Überwachung und Beschnüffelung findet heute zwar nicht durch den Televisor statt, sondern - übers Telefon, insbesondere übers "Handy", das rund um die Uhr von Schnüffeldiensten abgehört wird. Gedanken- und Meinungsfreiheit gibt es - außer für diejenigen, die exakt auf der Linie der Herrschenden und ihrer veröffentlichten Meinung liegen - weder in Großbritannien noch in der BRD noch sonst in irgend einem Staat der Welt. Deshalb hat sich auch Orwells Prognose der "Gedächtnislöcher" voll und ganz erfüllt - ja, wie es sich für einen guten FünfSechsunddreißig-Jahresplan gehört, sogar übererfüllt: Unliebsame Personen der Vergangenheit, denen man auch beim übelstenbesten Willen nichts Schlechtes anhängen konnte, weil man sich sonst lächerlich gemacht hätte (wer würde z.B. glauben, daß der harmlose Romantik-Dichter, über den Goebbels seine Doktorarbeit geschrieben hatte, ein "Wegbereiter der Nazis" war?), wurden einfach aus den Lexika und Geschichtsbüchern gestrichen. Ersatzlos? Aber nein, ganz wie bei Orwell traten an ihre Stelle Lückenbüßer. Frei erfundene? Nein, auch das könnte peinlich werden, das geht heute viel subtiler: Man nimmt - ganz wie "Winston" in 1984 - irgendeine Person, die zwar wirklich mal existiert hat, aber ein möglichst unbeschriebenes Blatt war. Und dieses Blatt füllt man nun mit einem Märchen von politisch korrektem Lebenslauf an. Über ein paar der krassesten Beispiele hat Dikigoros auf seinen Webseiten berichtet: Da wird z.B. eine kleine Schwindlerin zur "bedeutenden Orientalistin" hoch gejubelt, ein daher gelaufener Scharlatan zum "Jahrhundertgenie", ein Fabrikant, der KZ-Insassen für sich hat schuften lassen, zum "Retter" und "Gerechten" (ja, auch die Juden sind dumm genug, auf einen solchen Schwindel herein zu fallen!) - während andere für dieselbe Tat zu "Ausbeutern" und "Verbrechern" erklärt werden. Unantastbar sind nur die "großen Brüder", die Churchills, Roosevelts, Eisenhowers, Kennedys und wie sie sonst alle heißen. Dafür opfert man dann auch gerne mal einen Goldstein Stalin, pardon, das sollte ja angeblich Trotski sein.
(...)

* * * * *

März 2003. Fünfundfünfzig Jahre nach Erscheinen von "Animal Farm" findet die sozialistische britische Regierung unter Orwells Namensvetter Blair endlich einen Vorwand, jenes Buch, das mit dem "Britsoc" (dem britischen Sozialismus) so rücksichtslos und politisch unkorrekt ins Gericht geht, im Schulunterricht zu verbieten: Da dort Schweine vorkommen, würde die Lektüre die religiösen Gefühle der muslimischen Minderheit (die an einigen Schulen des Landes längst zur Mehrheit geworden ist) - und wohl auch die von Tony und seinen Mit-Schweinen, pardon Partei-Genossen - verletzen. Na bitte, dann sind die vielen Immigranten aus Orwells Geburtsland ja doch zu etwas gut!

Von der letzteren Sorte gibt es ja inzwischen auch in Frankreich - dem Land, wo Orwell prägende Jahre seines Lebens verbrachte, mehr als genug. Dort steht, wer "La ferme des animaux" besitzt, ohnehin immer mit einem Bein im Gefängnis, auch wenn das Gesetz, wonach es strafbar ist, ein Schwein "Napoléon" zu nennen, z.Z. nicht angewendet wird. Es ist aber immer noch geltendes Recht und kann jederzeit wieder wirksam werden. Was, liebe nicht-französische Leser, das wußtet Ihr nicht? Aber so ist es: Die Franzosen halten das Andenken an den größten Verbrecher ihrer Geschichte nach wie vor hoch in Ehren, wie - mit einer einzigen Ausnahme - alle Nationen dieser Welt. Wer zählt die Denkmäler auf Stalin, Mao, Churchill und wie sie alle hießen?

Nein, zieht jetzt bitte nicht über die Briten und Franzosen her, liebe deutsche Leser; Ihr hättet allen Grund, Euch statt dessen an die eigene Nase zu fassen, denn mittlerweile ist "Die Farm der Tiere" auch aus deutschen Klassenzimmern verschwunden, wenngleich nicht infolge eines ausdrücklichen Verbots - bei uns geht so etwas bekanntlich subtiler. Warum? Bloß, weil inzwischen niemand mehr das Märchen glaubt, daß Orwell mit den Schweinen nicht die Kommunisten, sondern die Nazis meinte? Nein, schlimmer. Junge Menschen, besonders im Osten der BRD, also in Mitteldeutschland, begannen sich Gedanken zu machen, die politisch inopportun waren und durch die Lektüre Orwells womöglich noch bestärkt würden. Wie war das mit der Argumentation der Schweine: "Kameraden, Ihr wollt doch nicht etwa den Jones zurück haben?" Die meisten Untertanen, pardon Tiere, hatten Jones schon gar nicht mehr miterlebt, denn inzwischen war eine neue Generation heran gewachsen; und die übrigen erinnerten sich kaum noch an ihn. Jetzt ging es ihnen dreckig. War es unter Jones wirklich noch schlechter gewesen? Egal, die Frage war eine rhetorische, und schon sie zu erörtern war tabu, sie etwa mit "ja" zu beantworten wäre strafbar gewesen. Was sollten Schüler in der Ex-DDR denken, wenn sie solche Sätze lesen würden? In den "neuen Bundesländern" lag die Arbeitslosigkeit offiziell bei 17%, wenn man all die Umschüler, Frührentner, Beschäftigungsgesellschafter und sonstwie aus der Statistik gepfuschten Arbeitslosen mitzählte, weit über dem Doppelten, also höher als am Ende der Weimerar Republik - Tendenz steigend. Und da sagte so ein böser Politiker in Österreich, daß Hitlers Politik gegen die Arbeitslosigkeit gar nicht so schlecht gewesen sei. Darüber kann man streiten. Nein, darüber kann man nicht streiten, denn das ist wahr; aber darüber darf man nicht streiten; und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wurde jener Politiker in Deutschland zu einem ganz bösen Neo-Nazi erklärt; denn alles, was die Nazis getan hatten, mußte per definitionem schlecht sein, woraus im Umkehrschluß folgt, daß das Gegenteil gut sein muß, zumal wenn es die "Demokraten" machen, also auch die hohe Arbeitslosigkeit. Oder wollten die Deutschen etwa Jones zurück haben? Aber die undankbaren Ossis besorgten sich ihren Orwell heimlich; bei den sächsischen Landtagswahlen im September 2004 wählten fast 10% die Partei von Jones' geistigen Enkeln, von den Jungwählern fast 30%, und Umfragen ergaben, daß es unter denen, die bei der nächsten Wahl die Jungwählern stellen, fast 50% sein werden. (Seitdem ist wenigstens die schwachsinnige Idee, das Wahlalter auf 16 Jahre herab zu setzen, von der sich einst die Roten und die Grünen so viel versprachen, schlagartig vom Tisch :-) Sollte man da "Die Farm der Tiere" nicht doch besser verbieten?

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Noch ein Nachtrag: Anno 2013 beherrschten zwei Themen die Medien in aller Welt: Das eine war die völlig überbewertete Affäre um einen gewissen Edward Snowball, pardon Snowden, aus der auch der letzte naive Trottel endlich erfuhr, was Dikigoros und seine Leser schon längst wußten: daß nicht nur die Angelsachsen, sondern auch ihre "Verbündeten" seit Jahrzehnten in Überwachungsstaaten leben, die ihre Untertanen mit Hilfe ihres Medienmonopols systematisch zu verblöden suchen, gegen die Orwells "Ozeanien" geradezu ein Paradies der Freiheit und Rechtsstaatlichkeit war. Das andere, genauer gesagt der springende Punkt des anderen ging etwas unter; deshalb muß Dikigoros dazu etwas mehr schreiben, denn obwohl der Sachverhalt an sich unstreitig ist, werdet Ihr ihn weder aus Euren Zeitungen noch aus den Fernseh-Nachrichten erfahren haben und auch künftig in Euren Geschichtsbüchern nicht lesen - dort gab und gibt es nur nichtssagendes Blabla, das um schwülstige Schlagwörter wie "Demokratie", "Menschenrechte", "Islamismus" und "Militarismus" kreist. Dikigoros meint das Scheitern des "Arabischen Frühlings" in Ägypten; und das ist deshalb im Zusammenhang mit Orwell so wichtig, weil es beweist, daß Schweine nicht nur Revolutionen, sondern auch Konter-Revolutionen machen können. Was, das glaubt Ihr nicht? Dann paßt mal auf: Als anno 2011 radikale Fundamentalisten der "Muslim-Bruderschaft" - die seit Nasser als kriminelle Vereinigung verboten, aber nun leichtsinnigerweise legalisiert worden war - die Macht in Ägypten ergriffen, begann eine groß angelegte Verfolgung der christlichen Kopten: Ihre Kirchen wurden nieder gebrannt (die Polizei sah nicht nur zu, sondern machte mit), und die Kopten wären wohl ausgerottet worden, wenn sie nicht unter der Jahrhunderte währenden Herrschaft der Muslime gelernt hätten, sich zur Wehr zu setzen. Immerhin gelang es den Muslimen, ihnen wirtschaftlich das Rückgrat zu brechen, indem sie alle ihre Schweine ermordeten und damit ihren wichtigsten Besitz vernichten - schließlich werden Schweine im Qur'an als "unreine" Tiere verunglimpft, und der war nun das neue "Recht" und Gesetz Ägyptens. Warum gelten Schweine eigentlich als unrein? Weil sie sich gerne im Schlamm suhlen? Aber das tun viele Tiere. Und selbst wenn man wie Dikigoros (der also ganz neutral ist :-) kein Schweinefleisch essen mag, kein Schweinsleder trägt und sich nicht mit einem Pinsel aus Schweinsborsten rasiert, muß man doch sehen, daß gewisse Tiere in gewissen Kulturkreisen traditionell noch ein ganz andere - und vielleicht ebenso wichtige - Aufgabe erfüllen: In Indien sind es die Kühe, in Europa die Hunde, und im Nahen Osten eben die Schweine, die die Müllabfuhr stellen - und deshalb als "tabu" betrachtet werden. (Vergeßt alle anderen Erklärungen, weshalb sie in diesen Kulturen traditionell nicht gegessen werden - das sind alles bloß religiös verbrämte Ausreden :-) Aber zwischen nicht essen und ausrotten ist ja noch ein gewaltiger Unterschied - der in der Praxis sogar auf das Gegenteil hinaus läuft, wie die Ägypter bald merken mußten. Denn während in Europa längst die menschliche Müllabfuhr die Straßenhunde ersetzt hat (die denn auch so gut wie ausgestorben sind), hat es so etwas in Ägypten (und anderen Ländern des Orients) nie gegeben, und auch der islamistische Bandit Morsi, der im Sommer 2012 "Präsident" wurde, dachte gar nicht daran, eine einzurichten. Im Sommer 2013 türmte sich der Abfall - den nun mangels Schweinen niemand mehr beseitigte - in den Straßen der ägyptischen Städte zu immer höher wachsenden Bergen, die im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stanken. Und obwohl es manchen Ägyptern nichts auszumachen scheint, in Dreck und Gestank zu leben, störte es manche doch gewaltig - vor allem die Frauen der Mittelschicht. Dikigoros kann sich die Szene lebhaft vorstellen, wie General Sisi eines Abends nach Hause kam und seine Frau mit dem Nudelholz auf ihn wartete. (Nein, liebe christliche Leser, es ist nicht so, daß Frauen in den islamischen Gesellschaften nichts zu sagen hätten. Das gilt nur nach außen hin, in der so genannten "Öffentlichkeit"; zuhause haben sie die Hosen dafür umso fester an :-) "Nun schau dir bloß mal diese Abfallberge vor unserer Haustür an. Könnt ihr nichts dagegen tun?" - "Ja, aber was denn, Frau?" - "Jagt diesen verdammten Morsi doch endlich zum Teufel!" Sisi besprach sich mit seinen Offiziers-Kollegen (die zuhause Ähnliches erlebt hatten - auch wenn das natürlich keiner vor den Anderen zugeben konnte ;-), dann hörten sie auf ihre Frauen und stellten die Ordnung - und die Sauberkeit auf den Straßen - wieder her. Und es kehrte sie auch nicht an, daß das US-amerikanische Verbrecher-Regime unter dem Krypto-Muslim Barack Hussein Obama ihnen daraufhin die Militärhilfe strich, die unter Morsi - der öffentlich gelobt hatte, Israel in einem neuerlichen Krieg zu vernichten - doppelt so hoch war wie die an Israel geleistete. Auch das erwähnt Dikigoros hier nur, weil es - wiewohl an sich unstreitig - in den westlichen Monopolmedien nur selten thematisiert wird; die lamentieren ja lieber über die "böse Militär-Diktatur", die eine "demokratisch gewählte" islamistische Regierung gestürzt habe, und dazu noch unter dem Beifall der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung - pfui, wie populistisch! Die Tiere aber schauten von Mensch zu Schwein und von Schwein zu Mensch, und... und, liebe Leser? Glaubt Ihr es jetzt?

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