"W O   H A M S E   J E D I E N T ?"
Vom 'preußischen Militarismus'
zum 'Staatsbürger in Uniform'

Heinz Rühmann als Schuster Wilhelm Voigt
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Helmut Käutner: Der Hauptmann von Köpenick (1956)
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EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

(von Filmen, Schauspielern und ihren [Vor-]Bildern)

Den Plot kennt wohl jeder, selbst wenn er den Film nicht gesehen hat: Der Schuster Voigt hat 15 Jahre "gesessen" und deshalb nicht gedient; aber im Knast hat er die Dienstgrade und Kommandos der preußischen Armee erlernt. Nach seiner Entlassung findet er keine Arbeit, da er keine Aufenthalts-Bewilligung hat, und die bekommt er nicht, weil er keine Arbeit findet. Aus purer Verzweiflung kauft er beim Trödler eine alte Hauptmanns-Uniform, hält den nächsten Trupp Soldaten an, verhaftet den Bürgermeister von Köpenick, und da er keinen Stempel findet, mit dem er sich eine Aufenthalts-Bewilligung oder wenigstens einen Paß fälschen könnte, nimmt er ersatzweise die Stadtkasse mit - von der er in seiner Bescheidenheit aber kaum etwas verbraucht. Als die Sache publik wird, stellt er sich, wird wieder verknackt, aber von Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II, den die ganze Geschichte unheimlich amüsiert, prompt begnadigt. Denn Wilhelm meint (genau wie der Leutnant a.D. Carl Zuckmayer, der 1931, ein Vierteljahrhundert nach den zugrunde liegenden Ereignissen, ein Theaterstück daraus gemacht hat), daß so etwas nur in Preußen möglich sei; und das ist auch gut so, findet Wilhelm. [Und Dikigoros findet in aller Bescheidenheit, daß dieser Satz schon von schlechteren Politikern auf schlimmere Tatbestände als die unrechtmäßige Aneignung von gerade mal 4.000 Mark und 70 Pfennige Staatsknete angewendet worden ist - von denen 443,25 M Zinsscheine waren, die Voigt liegen ließ, da er nicht wußte, was er damit anfangen sollte -, und das ist noch gar nicht lange her und gar nicht weit weg von Köpenick. Heute fände man in der Stadtkasse nicht mal mehr 70 Pf Barguthaben - selbst die Berliner Staatsbank hat bekanntlich nur Schulden, und das nicht zu knapp...] Das sah Leutnant Zuckmayer freilich ganz anders; er nahm es als Beleg für schändlichen "Militarismus" und "Kadaver-Gehorsam" und verknüpfte es noch mit einer gewissermaßen spiegelbildlichen Vorgeschichte (die sich wohl auch einmal so ereignet hat, freilich nicht in diesem Zusammenhang): So wie der falsche Hauptmann mit Uniform die Stadtkasse mitnehmen kann, so gilt der echte Hauptmann (für den die Uniform ursprünglich angefertigt wurde) ohne Uniform für gar nichts: Als er in Zivil in ein Lokal kommt und einen angetrunkenen Reservisten zurecht weisen will, wird er prompt von einem einfachen Wachtmeister verhaftet und muß anschließend den Dienst quittieren. (Und so bekommt die Uniform denn ein anderer.) Und die Moral von der Geschichte? Im alten Preußen zählt nur die Uniform, nicht der Mensch, der drin steckt. (Übrigens, liebe Leser, wes Geistes Kind Carl Zuckmayer war, erseht Ihr aus dem Namen, den er seiner Tochter gab: "Winnetou - was sonst?!)


Fälschungen auch hier: Voigt war nie "Schuhmacher" - er hatte seine Lehre schon mit 14 Jahren abgebrochen -;
und der Film war, anders als es das Werbeplakat suggeriert, nicht in Farbe, sondern nur in Schwarz-Weiß!

Nach diesem Motto wurde das ganze denn auch verfilmt. Zum ersten Mal übrigens schon 1932, von dem Wiener Juden Richard Ornstein, der sich als Regisseur Richard Oswald nannte, mit Max Adalberg in der Hauptrolle. Aber das war eigentlich gar keine richtige Verfilmung; Oswald hatte bloß die Theater-Schauspieler von der Bühne vor die Kamera gestellt und das Theaterstück unverändert abgedreht, was ja nun nicht die Aufgabe eines "Réalisateurs" im Sinne der Einleitung ist. Der Film hatte zwar gute Kritiken, wurde aber kein Publikums-Erfolg und bald abgesetzt. Angeblich wurden sowohl das Theaterstück als auch der Film 1933 von den Nazis verboten. Dikigoros kann das nicht mehr nachprüfen, es sich aber gut vorstellen. Gründe hätte es genug gegeben: Zunächst einmal die Verunglimpfung der damals noch sehr renommierten Schuhfabrik Salamander" - damals kamen die Schuhe der Deutschen noch aus Kornwestheim und Pirmasens statt aus Rotchina und Vietnam - als "Axolotl" (1. Akt, 4. Szene). Dann die Verschwendung des teuren Schaumweins (vor dem Ersten Weltkrieg sagte man noch "Champagner" - wie man für Branntwein allgemein "Cognac" sagte -, auch wenn das Zeug nicht aus Frankreich kam; nach dem Versailler Friedensdiktat von 1919 mußten die Deutschen als Kriegsschuldige "Sekt" sagen) auf einer ganz dekadenten Karnevals-Feier, als die schöne Uniform endgültig reif gemacht wird für den Trödler. (Welch ein Stoff, der nicht mal ein paar Sektspritzer ab kann... und damit sollte man in den Krieg ziehen?) Dann die peinliche Unkenntnis Zuckmayers - der wie gesagt Leutnant a.D. war - über die preußischen Reservisten. Ihr erinnert Euch doch an jene beiden Szenen, die nicht unwesentlich zu der Erkenntnis des Schusters (und des Zuschauers) beitragen sollen, daß nicht nur er als ungedienter Ex-Knacki persönliches Pech im Staate Preußen hat, sondern daß es da ganz allgemein ungerecht zugeht ("nachm Papier, nicht nachm Verdienst, nachm Menschen"), auch bei seinem braven Schwager Hoprecht, der immerhin Beamter und Reservist ist und sich so darauf freut, nach der nächsten Wehrübung zum Vice-Feldwebel d.R. befördert zu werden. (Den Säbel als Porte-Épée-Unterofficier hat er sich schon gekauft :-) "Mensch, dann kannste ja im Ernstfall [heute "V-Fall", Anm. Dikigoros] als Officier-Stellvertreter einrücken!" sagt Voigt. Aber nach der Wehrübung ist die Enttäuschung groß, denn er ist infolge irgend einer neuen Verfügung übergangen worden: "Die aktiven Militäranwärter kommen zuerst, und von den Reservisten dürfen's nur soundso viele sein, das ging dann nach dem Datum des Dienstantritts, kurzum, ich war nicht dabei." Oweiowei... da verwechselt Zuckmayer Gustav und Gasthof. Den Vice-Feldwebel gab es nämlich gleich dreimal: als Reserve-Unteroffiziers-Dienstgrad - da war er "überzähliger" Feldwebel d.R. -, als "etatsmäßiger" Berufs-Unteroffizier - da war er eine Art Ehrentitel für Sergeanten, die es nicht mehr zum "echten" Feldwebel brachten - und als "außeretatsmäßiger" Reserve-Offiziers-Dienstgrad - da war er das, was man in der Wehrmacht "Feldwebel-Fähnrich d.R." nannte und in der Bundeswehr "Fähnrich d.R." nennt. Nur die beiden letzteren konnten zum Officier-Stellvertreter befördert werden (bitte nicht mit Eurem Offiziers-Stellvertreter verwechseln, liebe Leser aus der OstmarkRepublik Österreich, der preußische OStv war kein Stabsfeldwebel, sondern ein Oberfähnrich, d.h. eine Durchgangsstufe zum Leutnant), für den Reserve-Unteroffizier war Vice-Feldwebel dagegen der letzte/höchste Dienstgrad, den er erreichen konnte. (Übrigens nicht zu verwechseln mit dem "Unterfeldwebel" der Reichswehr, der damals noch "Sergeant" hieß und heute "Stabsunteroffizier" heißt.) Daraus folgt zugleich, daß sich Reservisten, Berufs-Unteroffiziere und "aktive Militäranwärter" bei der Verteilung der Planstellen nie in die Quere kommen konnten. (Hätte die Geschichte zwei Jahre später gespielt, wäre sie in diesem Punkt etwas weniger kompliziert gewesen, da wurde der Reserveoffizier-Dienstgrad "Vice-Feldwebel" nämlich in "Fähnrich" umbenannt :-) Und daß - in allen drei Laufbahnen - nach Dienstalter befördert wurde statt nach "Verdienst" (wie immer man das letztere hätte beurteilen sollen), das war doch wahrlich keine preußische oder deutsche Besonderheit!

Und dann war da noch die diskriminierende Darstellung des Trödlers selber, dem Zuckmayer nicht nur ganz schmierige, sondern auch ganz deutlich jüdische Züge verliehen hat. Der Antisemitismus, pardon die Arroganz, die den Ostjuden ["Aschkenasim"], die ihre alte Lebensform und vor allem die jiddische Sprache weitgehend bewahrt haben (es sind diejenigen, die Jahrhunderte lang die Hauptlast der Judenverfolgungen in aller Welt zu tragen hatten, vor allem in Rußland, Polen und den USA), entgegen gebracht wird von den längst in ihre Wirtsvölker integrierten Westjuden ["Sefardim"] (das sind diejenigen, die bis heute den Hauptteil der aus aller Welt, vor allem aus Deutschland, erpreßten "Wiedergutmachungs-Zahlungen" abzocken), könnte nicht krasser zum Ausdruck kommen als in der "fehlerhaften" Sprache und dem unterwürfigen Sprechen, das der Westjude Zuckmayer dem ostjüdischen Trödelhändler in den Mund legt. Dagegen stellt er den sefardischen Hofschneider Adolf Wormser als vollständig assimiliert dar - er schreibt ausdrücklich, daß der Schauspieler keine typisch jüdischen Züge aufweisen solle! (Aber am Namen erkennt man es natürlich trotzdem - Worms war im Mittelalter eine Hochburg der jüdischen Kultur in Deutschland; und wer "Wormser" - oder "Frankfurter" oder "Hamburger" o.ä. - hieß, war selbstverständlich Jude; bei der "Emanzipation" der Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwangen die preußischen Behörden diese bekanntlich zu der Neuerung, Familiennamen anzunehmen. Und während sich die häufigsten Familiennamen der Christen aus einer Berufsbezeichnung ihrer Vorfahren herleiten, wie z.B. Bauer, Fischer, Jäger, Koch, Köhler, Krämer, Meier, Müller, Schäfer, Schmied, Schneider, Schulze, Schumacher, Schumann, Schuster - der Beruf unseres Titelhelden war halt ein besonders wichtiger -, Weber oder Zimmermann [was nur logisch ist, da der Beruf ja meist vom Vater auf den Sohn vererbt wurde], wählten viele Juden lieber eine Herkunftsbezeichnung - wer wollte schon "Trödler" heißen? Einzige Ausnahme war "Coh[e]n" - Angehöriger der Priesterkaste wollte jeder gerne sein; aber auch bei den Christen gab es ja umgekehrt eine Ausnahme: Wenn man "von irgendwo" war, nannte man sich auch so - Angehöriger des Adels wollte jeder gerne sein :-) Leider fehlt dies im Film ebenso wie die ganze 6. Szene des 1. Akts, wo Zuckmayer Penner aus allen deutschen Gauen auftreten läßt, um sich über ihre - nicht immer ganz korrekt wiedergegebenen - Dialekte lustig zu machen. In den späteren Verfilmungen wird das alles noch mehr "geglättet", da ist selbst der Trödler arisiert, pardon neutralisiert. (Mal sehen, wann der Ullstein-Verlag auch die gedruckte Fassung entsprechend "säubert" :-) Im Grunde genommen hätten die Nazis nur Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" entsprechend zu verfilmen brauchen, dann hätten sie sich die Verfilmung des Romans "Jud Süß" sparen können (übrigens ebenfalls von einem Westjuden geschrieben, Löw Feuchtwanger, der sich auch "Lion" oder "Lionel" nannte.) Ansonsten vermag Dikigoros weder eine Verunglimpfung des Militärs noch gar eine Beleidigung der Soldaten festzustellen - wozu also die Aufregung?

Exkurs. Und wozu die Aufregung bei Dikigoros über die Entfernung der Dialekt-Passagen? Um einige dieser Dialekte ist es ja wirklich nicht schade, oder? Mag sein, aber um das Jiddische halt doch. Was die Juden damit angestellt haben, kommt einem ungeheuren kulturellen Völkerselbstmord gleich. Wie konnten sie das bloß ersetzen durch jenes häßliche arabische Idiom, das sie seit 1948 als Staatssprache "Ivrit" nennen? Nein, das war keine Reaktion auf das "Dritte Reich"; vielmehr trafen die jüdischen Siedler in Palästina bereits drei Jahrzehnte zuvor die Entscheidung, dort eine "Hebräische Universität" - aber eben keine jiddische - zu errichten und dort alle modernen Ausdrücke in die Sprache des Alten Testaments zurück zu übersetzen, pardon, "einzubauen". [Es hat weiß GottJahwe großartige Versuche in anderen Ländern gegeben, ein gleiches zu tun, wohlgemerkt in Ländern, wo es nichts dem Jiddischen Vergleichbares gab, wie Norwegen und Griechenland; aber Meisterwerke wie das "Nynorsk" und die "Katharewoußa" konnten sich letztlich nicht gegen die primitiven - aber dadurch eben auch viel leichter zu erlernenden - Mundarten "Bokmål" bzw. "Dimothiki" durchsetzen. Warum mußte das ausgerechnet in Israel gelingen?] "Jidiš is gor ništ asoj švver!" liest man heute auf der Webseite von haGalil. Wohl wahr, ganz im Gegensatz zur Kunstsprache "Hebräisch" - die schon so gut wie tot war und nur noch von einer kleinen Clique versponnener Bibelfoscher beherrscht wurde -; aber die Juden haben es sich unnötig schwer gemacht und dabei ihr Jahrhunderte altes kulturelles Erbe gedankenlos über Bord geworfen. (Dafür haben sie es den Arabern umso leichter gemacht, sie zu unterwandern; und wenn die demografische Entwicklung in "Israel" so weiter geht wie in den letzten Jahren, dann wird dieser Staat in zwei, drei Generationen nicht mehr den Juden, sondern der muslimischen Bevölkerungsmehrheit gehören, ganz ohne Eroberung von außen - und den Grundstein dazu haben Leute mit einer Einstellung wie Zuckmayer gelegt.) Aber es geht ja noch viel mehr historisch Interessantes verloren als nur gewisse regionale Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache. Wundert es Euch z.B. nicht, wenn im Theatertext ein paar Mal von einem "Sechser" die Rede ist? (So viel kostete eine Übernachtung im Männerasyl.) Was soll denn das sein? Antwort: ein 5-Pfennig-Stück! Wieso? Nun, so wie in Deutschland noch bis zum Jahre 2002 die gute alte DM in Umlauf war - obwohl sie intern längst durch den TeuroEuro ersetzt war -, so war bis zum Jahre 1907 noch der gute alte Thaler in Umlauf (er galt 3 Mark), obwohl er eigentlich längst durch die Mark ersetzt war; und so wie die Menschen heute der DM nachtrauern, so trauerten sie damals - besonders in Preußen - dem Thaler nach. Dieser teilte sich in 30 Silbergroschen à 12 Pfenninge; ein halber Groschen waren also 1/60 Thaler oder 6 Pfenninge; und obwohl seit 1873 nur noch 5-Pf-Stücke geprägt wurden, bezeichnete der Volksmund diese neuen halben Groschen (die alten waren - anders als die Thalerstücke - aus dem Verkehr gezogen worden, denn sie waren aus gutem Silber, während die 5-Pf-Stücke aus einer billigen Kupfer-Nickel-Legierung hergestellt wurden) weiterhin als "Sechser". Aber tröstet Euch, liebe Befürworter des Euro, das Gedächtnis Eurer Untertanen währt erfahrungsgemäß nicht lange; wenn Ihr mal die von Dikigoros immer wieder als "bestes deutschsprachiges Anti-Kriegs-Buch" empfohlenen WK-I-Memoiren von Hans Zöberlein lest, da wird nur ein rundes Jahrzehnt nach den Ereignissen in der Nachbarstadt Berlins (ja, das war sie immer noch - erst Anfang der 1920er Jahre wurde Köpenick eingemeindet!) über den Sinn und Unsinn des Krieges diskutiert, und ein Preuße (!) sagt zu einem Bayern: "Machen wir doch endlich Schluß mit dem Krieg, dann hört das Morden auf und der Hunger." Darauf erklärt der Bayer ihm - und anderen Preußen -, daß bei einem verlorenen Krieg ganz im Gegenteil das Hungern und Morden erst richtig anfangen würde. (Und er sollte Recht behalten, denn die Alliierten hielten ja nach der Kapitulation der Mittelmächte ihre völkerrechtswidrige Blockade für Lebensmittel und Medikamente aufrecht, so daß in Mitteleuropa in den ersten vier Monaten nach dem Waffenstillstand 2,3 Millionen Menschen an Unterernährung und der von den US-Besatzern eingeschleppten "Spanischen Grippe" starben - mehr als an Kampfhandlungen in vier Jahren Krieg.) Und er krönt seine Ausführungen mit dem Satz: "Bei uns kriegst kein Fünferl für dein' Schmarrn!" Seht Ihr, die Währungsreform war in den Köpfen der Menschen angekommen - obwohl die Bayern ebenso lange ihre "Sechser" (6-Kreuzer-Stücke) gehabt hatten wie die Preußen. Exkurs Ende.

Wie dem auch sei, der große Erfolg im Kino kam erst elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, genau ein halbes Jahrhundert nach den zugrunde liegenden Ereignissen. Helmut Käutner hatte sich bereits zwei Jahre zuvor bei der Neuverfilmung von "Große Freiheit Nr. 7", einem Film aus dem Jahre 1944, bewährt (das ist wörtlich zu nehmen, denn er zählte im Dritten Reich zwar nicht zu den Spitzen-Regisseuren, aber immerhin zur 'top ten', durfte also nach dem Krieg zunächst nur auf Bewährung drehen), der in Hamburg spielte, und dort, genauer gesagt in Hamburg-Altona, drehte Käutner auch "Der Hauptmann von Köpenick" (wobei das alte Finanzamt zum Rathaus und das alte Rathaus zum Bahnhof wurde :-). An den Original-Schauplätzen ging es nicht, denn Köpenick lag und liegt in Ostberlin, und die DDR-Führung hätte ihm etwas gehustet - schließlich wurde das Filmprojekt von Staats wegen mit Macht gefördert, national und international, soweit das der ohnmächtigen BRD damals überhaupt schon möglich war. [Die Alliierten hatten den Kriegszustand gerade erst ein Jahr zuvor für beendet erklärt; bis dahin war Deutschland ein Freiwildgehege für die Besatzer gewesen. Und glaubt ja nicht, liebe Leser, daß der Film damals hätte gedreht, geschweige denn im Ausland gezeigt werden dürfen, wenn nicht der Produzent ein ungarischer Jude mit amerikanischem Paß gewesen wäre: Gyula Trebitsch, der nach dem Krieg - noch vor Gründung von BRD und DDR - als erster die Lizenz zur Gründung einer Filmgesellschaft in Deutschland bekam, der Hamburger "Real Film GmbH", die heute als "Trebitsch Produktion Holding GmbH & Co. KG" firmiert und noch immer gut im Geschäft ist. Er hatte einfach kackfrech behauptet, ein Verfolgter des Nazi-Regimes und KZ-Häftling gewesen zu sein - in Wirklichkeit hatte er schon vor dem Krieg für die Ufa gearbeitet und Filme mit Rühmann gedreht.] Aber diese Selbstverarschung der Deutschen war auch in den Feindstaaten willkommen, und so durfte "Der Hauptmann von Köpenick" sogar bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig 1956 und San Francisco 1957 gezeigt werden. Die Hauptrolle spielte Heinrich ("Heinz") Rühmann, den Helmut Käutner just mit der besagten Neuverfilmung ("Auf der Reeperbahn nachts um halb eins") wieder ins Geschäft gebracht hatte - bis dahin hatte Deutschlands einst populärster Schauspieler eine Durststrecke zu überwinden, obwohl sich die Reihen seiner Konkurrenten merklich gelichtet hatten. Viele gute Schauspieler, die nach 1933 ausgewandert waren, weil sie Juden waren und in Deutschland nicht mehr spielen durften, waren nicht zurück gekehrt; und viele andere gute Schauspieler, die nach 1933 nicht ausgewandert waren, durften nach 1945 nicht mehr spielen, weil sie keine Juden waren und nach 1933 hatten spielen dürfen. Und mit den noch älteren, aus der Zeit des Stummfilms, ließ sich im Zeitalter des Tonfilms ohnehin kein Staat mehr machen. Für Rühmann hatte man jedesmal eine Ausnahme gemacht - und das ist mehr als erstaunlich: Er durfte nach 1933 spielen, obwohl er mit einer Jüdin verheiratet war. Nun, die wollte er eh los werden, also ließ er sich scheiden, schob sie ab und heiratete in zweiter Ehe eine arische Kollegin (Herta Pfeiler, obwohl die für ihn eigentlich einen Kopf zu groß war, aber Goebbels - der ja auch nicht größer war als Rühmann - soll sie ebenfalls sehr gemocht haben, doch das nur am Rande). Nach 1945 machten ihm die britischen Besatzer zwar erst etwas Ärger (in seinen Memoiren behauptet er, weil sie ihn mit einem gleichnamigen Major verwechselten), aber dann bekam er doch seinen Persil-Schein und durfte wieder spielen. Welchen Preis zahlte er diesmal? Nein, er ließ sich nicht von Herta Pfeiler scheiden und heiratete nicht wieder eine Jüdin. Das Geheimnis wurde erst im Jahre 2001 gelüftet, als bei der Gauck-Behörde Rühmanns Stasi-Akte auftauchte: Er war Berater und Informant Walter Ulbrichts und des SED-Regimes gewesen - na bravo! Ein gewisser Größenwahn, pardon, der Wunsch, nicht länger als Arbeitnehmer von den bösen Filmbossen ausgebeutet zu werden, sondern sich in einer freien Marktwirtschaft selbst zu verwirklichen, d.h. selber Unternehmer zu sein, trieb Rühmann dann, eine eigene Filmgesellschaft zu gründen - wovon er gar nichts verstand (er war halt kein Kapitalist), so daß er bald Pleite machte. Um seine Schulden abzuarbeiten mußte er jede noch so dämliche Rolle annehmen und wäre wohl bald zum Hanswurst der Nation verkommen, wenn ihm nicht Käutner die Hauptrolle im "Hauptmann von Köpenick" angeboten hätte, die zu seiner Glanznummer wurde. "Ich bin... der Hauptmann von Köpenick" steht auf einem Filmplakat mit seinem Gesicht" - und für die Kinogänger wurde und blieb er es tatsächlich. So weit so gut.

[Heinz Rühmann: Ich bin... der Hauptmann von Köpenick]

Kurze Denkpause, liebe Leser. (Nein, Ihr sollt nicht im Denken pausieren, sondern die Pause in der Filmbesprechung zum verstärkten Nach-denken nutzen! :-) Worum geht es hier eigentlich? Geht es darum, daß im Krieg, besonders an der Front während der Kampfhandlungen, Disziplin geübt und Befehle befolgt werden müssen? Nein, darum geht es nicht, denn das dürfte in allen Armeen der Welt gleich sein (oder müßte jedenfalls, das unterscheidet sie nämlich - zumindest in der Theorie - von bloßen Räuberbanden). Es geht um die Militarisierung der Gesellschaft, hätte Zuckmayer nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und hätte Käutner nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg geantwortet. (Nach gewonnenen Kriegen hatte noch kein Land dieses Problem - im Gegenteil: da wurden die Helden gerne in die Gesellschaft aufgenommen und ihr "Militarismus" gefeiert.) Aber was soll man darunter eigentlich verstehen? Jawohl, in Preußen galt der dümmste Leutnant mehr als der klügste Professor, und der wiederum mehr als der reichste Pfeffersack. Wir schmunzeln heute darüber - aber warum war das denn so? Eigentlich steckt immer die gleiche Antwort dahinter: Geachtet wird, wer im Krieg den Kopf hinhält. Im Mittelalter waren das die Ritter, der Adel, denn damals gab es noch keine "Volksheere", das einfache "Volk" kämpfte im Krieg nicht mit. Man kann trefflich darüber streiten, ob das gut so war. Vor rund zwei Jahrhunderten setzte sich im Volke die Auffassung durch, daß es nicht gut sei, daß es fortan kein "Privileg" des Adels und einiger weniger Berufssoldaten mehr sein dürfe, im Krieg für Gott, König und Vaterland (oder später für Führer, Volk und Vaterland) zu fallen, sondern daß jeder Mann dieses Recht für sich in Anspruch nehmen können müsse. (Nein, liebe Leserinnen, die Frauen hatten damals noch nicht entdeckt, daß es ihre wahre Berufung war, statt eigenen Kindern das Leben zu schenken, den Kindern anderer Frauen das Leben zu nehmen. Das sollte erst später kommen, als man frau für den Weltfrieden, die Freiheitlich Demokratische Grundordnung und die Regierung fiel - und sogar selber wählen durfte, für welche!)

Ja, das machte in gewisser Weise gleich, obwohl es natürlich noch immer Rangunterschiede geben mußte - aber auch die kamen nicht von ungefähr: Bis zum Ersten Weltkrieg betrachteten es deutsche Offiziere als Selbstverständlichkeit, in vorderster Front mit zu kämpfen - schließlich galten sie als "Führer" (deshalb war auch ihre Verlustrate viel höher als die der Unteroffiziere und Mannschaften); also galt ihnen auch die höchste gesellschaftliche Anerkennung. (In England, wo die Heeres-Offiziere auch im Krieg wie aus dem Ei gepellt in maßgeschneiderten Uniformen, nur bewaffnet mit einem Stöckchen, neben oder hinter ihren Soldaten standen und sie anbrüllten, gegen die feindlichen Linien zu stürmen, mitten hinein ins Maschinengewehr-Feuer, war das aus eben diesem Grund anders; dort galt der Marine-Offizier mehr, der zusammen mit den einfachen Matrosen unterging, wenn sein Schiff absoff - und wehe wenn nicht, dann wurde er vor Gericht gestellt und hingerichtet! Das glaubt Ihr nicht? Dann googelt mal unter "John Byng"!) Heutzutage kämpfen die Deutschen gar nicht mehr richtig mit, sondern es werden Milliarden als Kriegs-Kontributionen (oder wie nennt man das jetzt?) an die tapferen Verbündeten überwiesen, damit die am Golf, auf dem Balkan oder sonstwo ordentlich viele Bomben abwerfen können. Diese Kontributionen werden letztlich aus der Staatskasse bezahlt, also vom Steueraufkommen - deshalb gilt heute der dümmste Bankjé (oder muß man inzwischen "Bänker" sagen? Nun, gemeint sind jedenfalls die "Nieten in Nadelstreifen" und ihre "Peanuts") mehr als der klügste Professor, und der wiederum mehr als der brave Leutnant, der auf einer "Friedensmission" vor seinem Rot-Kreuz-Zelt in der Sonne sitzt und Karten spielt, wenn er nicht gerade im Puff ist oder seine Langeweile in Alkohol ersäuft und seinen Kopf bestenfalls mal unter die Dusche hält, um wieder nüchtern zu werden. Oder - um das noch nachzutragen - mal unvorsichtigerweise über den Bazar von Kābul schlendert, ohne nach rechts und links zu schauen, ob es da vielleicht Tālibän gibt, die es auf ihn abgesehen haben könnten. Aber wenn Soldaten und/oder Para-Militärs doch mal Kopf und Kragen riskieren müssen, dann werden sie selbst in Zeiten des größten Anti-Militarismus als Helden gefeiert, so als anno 1977 die GSG 9 in Somalia die Geiseln aus einem entführten Flugzeug befreite.

Und nachdem sich die Regierung der BRDDR anno 2008 endlich aufgerafft hat, die Bundesmarine in einen ernsthaften Kampfeinsatz am Horn von Afrika zu schicken, und nachdem die "Helden der Wirtschaft" ihre Unternehmen im selben Jahr dermaßen vor die Wand gefahren haben (Dikigoros entschuldigt sich nicht für diese Formulierung, denn es betrifft ja in erster Linie die Automobil-Industrie :-) könnte sich die Reihenfolge schneller wieder umkehren als sich das manche Zeitgenossen träumen lassen. Voraussetzung ist allerdings, daß der genaue Wortlaut jenes Einsatzbefehls und die Gründe dafür nicht an die Öffentlichkeit dringen. Da wird der Bundesmarine nämlich ausdrücklich verboten, die braven Piraten etwa daran zu hindern, Touristen-Schiffe auf Kreuzfahrt oder Transporter von Pfeffersäcken mit Waren für Europa zu überfallen. Es darf ausschließlich Geleitschutz für Schiffe gefahren werden, die Waren und Geschenke für die armen Negerlein nach Somalia bringen, also für die Piraten selber. Was, das glaubt Ihr nicht, liebe Leser, und fragt nach dem Warum? Ganz einfach: Jene Warensendungen stammen ja aus Deutschland, denn die Piraten sind die besten Kunden der maroden deutschen Export-Industrie, insbesondere der ständig am Rande des Konkurses krebsenden Baufirmen, die den Piraten schon an der ganzen Küste Somalias die schönsten Villen mit Garagen für ihre Luxus-Schlitten aus dem Hause D. (und dem Hause B. und dem Hause P. - oder glaubt Ihr im Ernst, daß sich jemand, der sein Geld mit ehrlicher Arbeit verdient, deren Spitzenmodelle leisten kann?) hingesetzt haben - und wovon sollten die ohne die Millionen aus den Lösegeldern ihre Rechnungen bezahlen, wenn sie keine Passagier- und Handelsschiffe mehr überfallen dürften außer eben jenen, mit denen deutsche Baumaterialien, Autos u.a. Waren angeliefert werden? Und andere Länder ziehen mit; so hat z.B. die dänische Marine den Auftrag, Piraten in Seenot aufzunehmen, sie gut zu verköstigen, mit Treibstoff und Munition auszustatten und wieder sicher nach Hause zu bringen. In den Zeitungen steht dann: "Dänische Marine griff Piraten in Seenot auf und lieferte sie den somalischen Behörden aus." Daß es in Somalia schon längst keine Regierungs-Behörden mehr gibt, sondern nur noch Piratenfreunde à la Udo Lindenberg, braucht das dumme Volk ja nicht zu wissen. So ist das mit der Pressefreiheit in Dänemark: Ein paar Muhammad-Karikaturen abzudrucken ist eine Sache, aber die Wahrheit über die "Anti-Piraten-Einsätze" am Horn von Afrika eine ganz andere. ("Es ist etwas faul im Staate Dänemark" schrieb mal jemand - aber das ist eine andere Geschichte.) Wie sagte mal ein bekannter Balltreter: "Dänen sind keine Italiener". Wohl wahr, denn die Italiener hatten 120 Jahre zuvor kurzen Prozeß gemacht mit den somalischen Piraten, die Küste besetzt und annektiert; doch das kommt heute nicht mehr in Frage, das wäre ja "kolonialistisch" - pfui! Aber vielleicht sind die Dänen insgeheim Preußen oder verhalten sich jedenfalls so ähnlich? Oder habt Ihr schon mal gehört, daß irgend ein dänischer Gefreiter einen Offizier, der ihm derart verbrecherische Befehle erteilt, gefragt hat: "Können Herr KaLeu sich legitimieren oder einen schriftlichen Befehl vorweisen?" Eben - Dikigoros auch nicht. Denn als Soldat weiß man doch - oder hat zu wissen -, daß auch in der eigenen Regierung Verbrecher sitzen, die um nichts besser (eher um vieles schlimmer) sind als die Piraten (vielleicht werden wir ja bald ganz offiziell von einer "Piraten-Partei" regiert :-), daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt und daß Befehlsverweigerung im Kriegsfall - und den haben wir jetzt ja wohl - mit dem Tode bestraft werden kann!

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Zurück zum Film. Geht es darum, daß man im alten Preußen im Zivilleben als Ungedienter keinen Job finden konnte, auch wenn man fachlich noch so qualifiziert war? (So soll es uns die Szene in der Schuhfabrik suggerieren soll, wo der Personalchef den Bewerbern nur die eine Frage stellt: "Wo hamse jedient?") Pardon, liebe Leser, aber das stimmte doch gar nicht. Der echte Schuster Voigt bekam sehr wohl einen Job in der Schuhfabrik, obwohl er nicht gedient hatte! (Er gab ihn halt wieder auf, weil er glaubte, als Krimineller schneller und leichter zu Geld zu kommen :-) Und die Deutschen wählten, bald nachdem Zuckmayer sein Theaterstück geschrieben hatte, sogar jemanden, der es im Krieg nur bis zum Gefreiten gebracht hatte, zum Reichskanzler - gegen lauter Kandidaten, die durchweg "mehr" waren (jedenfalls dem Militärrang nach :-), obwohl ihr verehrter "Ersatzkaiser" und Präsident Hindenburg ihnen mehr als deutlich zu verstehen gegeben hatte, was er als Generalfeldmarschall a.D. von jenem "böhmischen Gefreiten" hielt. Dagegen war es in Zuckmayers künftiger Wahlheimat USA damals - und noch lange danach, praktisch bis zur Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht in den 1970er Jahren - praktisch unmöglich, ohne "honorable discharge" vom Militär einen ordentlichen Job zu bekommen! Und glaubt doch bitte nicht, daß es im Zivilleben mehr auf die Persönlichkeit - oder, wie Zuckmayer das formuliert, "den Menschen" - ankäme als auf den formellen Rang eines Bankdirektors, eines Verwaltungsbeamten o.ä. Der Mangel an persönlicher Autorität und Kompetenz, den manche Stelleninhaber aufweisen, ist wahrlich nicht auf das Militär beschränkt - eher im Gegenteil: In der Schlacht kann eine echte "Führernatur" das Geschehen auch unter Mißachtung eines unfähigen Vorgesetzten an sich reißen und die Karre aus dem Dreck ziehen. (Das glaubt Ihr nicht? Dann empfiehlt Euch Dikigoros einmal mehr die Memoiren von Hans Zöberlein!) Im Zivilleben gelingt das dagegen so gut wie nie. Wer jemals die - bisweilen überspitzten, aber nie völlig frei erfundenen - Satiren von Fränzchen Hoffmann alias "Ephraim Kishon" gelesen hat, z.B. "Der Blaumilchkanal" oder "Titel, Tod und Teufel", der weiß, welch absurde Befehlsmechanismen auch in der Zivilverwaltung, ja selbst in einem Privatunternehmen wie einer Zeitung, ablaufen können... Aber was wäre die Alternative? In primitiven Gesellschaften, die sich aus kleinen, überschaubaren Gruppen und Grüppchen aufbauen, wo jeder miteinander verwandt oder wenigstens bekannt ist, mag das ja noch angehen mit der persönlichen Autorität. Aber im Zeitalter der Massengesellschaften - soll da tatsächlich immer erst ausgefochten werden, wer mehr persönliche "Autorität" hat (wobei es nicht nur um körperliche Kraft und Stärke geht), um einen Posten mit Entscheidungsbefugnis zu bekommen? Dikigoros will diese Frage offen lassen, denn er hat keine Patentantwort - aber denkt mal selber darüber nach, liebe Leser...

Oder wollen wir auf den "militaristischen" Umgang abstellen zwischen Personen, die eigentlich militärisch gar nichts miteinander zu tun haben, sondern sich nur mehr oder weniger zufällig im Zivilleben begegnen? Wie gesehen, hat Zuckmayer zu diesem Zweck die Kontrast-Szene mit dem "echten" Hauptmann in Zivil eingefügt, der nach einem Streit in der Öffentlichkeit von einem simplen Wachtmeister festgenommen wird und danach seinen Abschied nehmen muß. Aber wie wir auch schon gesehen haben, gibt diese Szene zum Thema "preußischer (oder deutscher) Militarismus" nichts her, jedenfalls nicht im Sinne des Erfinders, sondern allenfalls umgekehrt. Dikigoros kann zu diesem Thema ein Erlebnis aus seiner eigenen Wehrdienstzeit in den USA beitragen, das einigen Leichtgläubigen (vor allem den Nicht-Gedienten!) zu denken geben sollte: Eines Tages, er saß mit ein paar amerikanischen Kameraden zusammen, die ihn veräppeln wollten, erzählte ein alter Chief Master Sergeant (Oberstabsfeldwebel) einen Witz über den vermeintlichen "Kadaver-Gehorsam" (der geneigte Leser weiß ja nun, woher dieser Ausdruck stammt) der deutschen Soldaten: "Kommt ein Vorgesetzter in die Stube und schreit: 'Scheiße!' - sofort faßt der Soldat das als Befehl auf und macht sich in die Hose. Ha ha!" Vielleicht träumte er auch bloß davon, daß es in der U.S. Army noch einmal so sein würde, denn das war zur Zeit des Vietnam-Krieges, genauer gesagt in seiner Endfase, als sich die Disziplin schon merklich gelockert hatte. Dikigoros bezweifelt, daß es selbst in der königlich preußischen Armee vor dem Ersten Weltkrieg so schlimm war; aber daß es in der U.S. Army noch viel schlimmer war, daran zweifelt er keinen Augenblick - und damit meint er nicht den Drill der Elite-Truppen in der Grundausbildung (das ist ein Sonderfall), sondern den "ganz normalen" Umgangston außerhalb der Kaserne.

Ein paar Tage nach dem netten Witze-Abend ist Dikigoros "draußen" unterwegs, zum amerikanischen Militär-Hospital. (Er ist Sanitäter.) Anders als die meisten deutschen und amerikanischen Mannschafts-Dienstgrade, die für gewöhnlich im dunkelgrünen ("NATO-oliv" nennt man das) Arbeitsanzug herum laufen, trägt er eine sandfarbene ("khaki" nennt man das) amerikanische Uniform mit deutschen Schulterklappen, auf denen je zwei popelige Balken prangen. Popelig aber nur bei der Bundeswehr - bei den Amerikanern stehen sie für den Dienstgrad Hauptmann. Nein, Dikigoros hat nicht die Krankenhaus-Kasse ausgeraubt, er hat auch nicht den Chefarzt verhaften lassen, aber er ist bis heute überzeugt, daß er das ohne größere Schwierigkeiten hätte tun können... Tatsächlich hat er nur etwas aus seiner Mappe verloren, ohne es zu merken. Ein gesichtsalter amerikanischer Platoon Sergeant (kein Rekrut, kein Schütze Arsch, kein Mexikaner oder Neger, sondern ein erfahrener Feldwebel) kommt ihm nachgelaufen. Die peinliche Unterwürfigkeit, mit der er ihm die Papiere übergibt, erinnert ihn im Rückblick an die Unterwürfigkeit eines indischen Shudra gegenüber einem Höherkastigen (ja, Officers, Warrant Officers, Non-Commissioned Officers und der traurige Rest sind in der U.S. Army immer noch vier streng geschiedene Kasten, und das, obwohl die Laufbahnen - anders als in Deutschland - nicht nur in der Theorie durchlässig sind!), oder eben an die des jüdischen Trödlers in Zuckmayers Theaterstück gegenüber dem falschen Hauptmann Voigt. Hätte Dikigoros damals etwas mehr Mut gehabt, hätte er dem amerikanischen C.M.S. im San-Revier seinen Witz zurück gegeben, etwa nach dem Motto: "Trifft ein Offizier einen Sergeanten und sagt 'Danke' - sofort faßt der Sergeant das als Befehl auf, macht ein Dutzend Verbeugungen und sagt: danke Sir, danke Sir, danke Sir..." Aber es war nicht nur ein Mangel an Mut, sondern auch an Deutsch-Kenntnissen der Kollegen, denn im amerikanischen Original klang der Dialog ja anders, nämlich "thank you" und "yes Sir, yes Sir, yes Sir...", und da läßt sich das Wortspiel nicht übertragen. Wie dem auch sei, dieses Erlebnis wird Dikigoros nie vergessen - es wird ihm immer für Amerika stehen, das "Land der Freien". Erst im Rückblick wird er sich fragen, was das für eine Sprache ist, in der man "Scheiße!" auch als Aufforderung verstehen kann, nicht aber "Danke!"

[Rückblick : Shit!] [Thank you!]

Exkurs. Da es ja auf dieser "Reise durch die Vergangenheit" um die [Ver-]Prägung historischer Persönlichkeiten durch Schauspieler geht, will Dikigoros an dieser Stelle noch einmal klar stellen, daß er dem Kino da beileibe keine Alleinschuld bzw. kein Alleinverdienst zuschreiben will; es ging auch schon früher und ohne Kinoleinwand, wie er bereits auf seiner Webseite mit Filmen über Friedrich II von Preußen gezeigt hat - die Leinwand der Maler hat oft nicht weniger be- und getrogen. "Nun ja, zur Zeit des kleinengroßen Preußenkönigs gab es ja noch keine Fotografie", werden manche einwenden, "aber..." Pardon, liebe Kritiker, auch zu Zeiten, als es die Fotografie - oder zumindest die Daguerrotypie - durchaus schon gab, kam das noch vor. Da wir gerade bei einem falschen Hauptmann sind, und da Dikigoros an anderer Stelle den mexikanischen Advokaten und Revolutionsführer Benito Juárez so despektierlich als "Räuber-Hauptmann" bezeichnet hat, will er Euch als kleinen Vergleich mit dem Titelbild bzw. den Titelbildern, die er Euch oben unter dem Motto "Original und Fälschung" vorgestellt hat, zwei Bilder jenes Zeitgenossen des Schusters Voigt zeigen: Das erste zeigt das angeblich authentische Portrait eines Malers, das in die Geschichte eingegangen ist und Benitos Bild in der Nachwelt bis heute prägt - jedenfalls hat Dikigoros es in Mexiko mehr als einmal gesehen -; das zweite ist eine Fotografie, die jeden Steckbrief geziert hätte und zeigt, wie er wirklich aussah - noch Fragen? Exkurs Ende.

Zurück zum "Hauptmann von Köpenick". Was war denn eigentlich geschehen anno 1906? Nicht ein einzelner Offizier war aufs Rathaus spaziert und hatte mit Hilfe seiner Autorität als Uniformträger Zivilisten verhaftet und die Stadtkasse beschlagnahmt, sondern eine Militär-Patrouille war mit Waffengewalt ins Rathaus eingedrungen und hatte eben das getan. (Und anders als im Film hatte Voigt einen schönen Batzen von dem Geld verbraucht, bevor er sich der Polizei stellte: 769,45 M binnen zehn Tagen - so viel verdiente ein durchschnittlicher Arbeiter nicht in einem Jahr. Er war auch nicht ins Rathaus eingedrungen, weil er glaubte, sich dort einen Paß "besorgen" zu können, sondern weil er der Zeitungsente irgendeines Käseblatts aufgesessen war, daß in der dortigen Kasse 2 Millionen Goldmark lägen.) In welchem Land der Welt hätte sich eine Zivilverwaltung dagegen mit Erfolg zur Wehr setzen können - oder könnte es heute? Und die Vorgeschichte? Warum hatte der "echte" Hauptmann seinen Dienst quittieren müssen? Weil die preußische Gesellschaft so militarisiert war? Im Gegenteil: Wäre sie das gewesen, so hätte er nur zu sagen brauchen: "Ich bin Hauptmann soundso vom kaiserlichen Garderegiment (jemanden, der sich ausweisen und das bezeugen konnte - einen respektablen Assistenzarzt - hatte er dabei!), und ich befehle hiermit..." Aber eben das klappte nicht - und es hätte auch mit Uniform nicht geklappt, denn so militärhörig war die preußische Gesellschaft gerade nicht. [Heute ist das anders; da hat auch der Vorgesetzte in Zivil ausdrücklich Befehlsgewalt über Rangniedere - aus gutem Grunde, denn welcher Offizier würde sich heute schon noch in Uniform in die Öffentlichkeit trauen? Antwort im nächsten Absatz.] Vielmehr stand im Zivilleben auch der schnittigste Hauptmann unter dem kleinsten Wachtmeister, der ihn verhaften konnte, wenn er etwas ausgefressen hatte, und sei es nur eine Schlägerei im Lokal - da gab es keine Klassen- oder Rangunterschiede. Ist das ein schlechtes Zeichen für eine Gesellschaft? Oder nicht vielmehr ein gutes? Dikigoros überläßt seinen Lesern die Antwort.

[Der Köpenicker Handstreich] [Der Köpenicker Staatsstreich]

Bedenklich am "Köpenicker Handstreich" - oder "Köpenicker Staatsstreich", wie man ihn spaßeshalber auch nannte - war ein ganz anderer Punkt - und der war, als sich die Geschichte damals ereignete, auch Haupt-Gegenstand des Gerichtsverfahrens und der Presseartikel gewesen: Wie war es möglich, daß sich ein Trupp aktiver Soldaten von einem alten, stoppelbärtigen Mann in abgerissener Trödler-Uniform, der ihnen völlig unbekannt war, anhalten ließ und so einfach seinen Befehlen Folge leistete? Hätte nicht jeder ordentliche Soldat höflich, aber bestimmt fragen müssen: "Können Herr Hauptmann sich legitimieren? Ich habe Befehle von meiner Einheit, von denen ich nicht ohne weiteres abweichen darf." Nein, die Uniform war in Friedenszeiten nicht "Legitimation genug" für derartige Befehle, auch wenn uns der Film das weis machen will! Wenn eine Truppe Befehle hatte (und ohne Befehl lief keine bewaffnete Truppe in der Stadt herum!) und irgend jemand daher kam, der sie umwerfen wollte, dann mußte der entweder einen schriftlichen Gegenbefehl vorlegen, oder - wenn Gefahr im Verzug war - sich wenigstens ausweisen können. Jeder Wachsoldat weiß das: Er darf niemanden vorbei lassen, wenn der sich nicht entweder ausweisen kann oder er, der Soldat, ihn persönlich kennt - und trüge er eine Generals-Uniform! A propos: Wie ist denn das mit dem "Bürger in Uniform", auf den gewisse BRD-Politiker (vor allem Verteidigungs-Minister, die selber nicht gedient haben) so stolz sind? Schon als Dikigoros seine Grundausbildung machte, war es lebensgefährlich, sich außerhalb der Kaserne in Uniform zu zeigen - man riskierte, von "Antimilitaristen" und anderen "guten Demokraten" zusammen geschlagen zu werden. (In den Bars seines Standorts tobten damals - von den Medien geflissentlich tot geschwiegen - Saalschlachten, wenn wieder mal ein Soldat in Zivil "enttarnt" und gelyncht worden war und seine Einheit daraufhin geschlossen ausrückte und den Laden zu Kleinholz verarbeitete. Am Ende wurden nicht etwa die linken Banditen vor Gericht gestellt - angeblich konnte man sie nicht ermitteln -, sondern den Soldaten wurde grundsätzlich verboten, die Bars am Ort aufzusuchen, sei es mit oder ohne Uniform. Dafür wurde fortan das Bier in der kaserneneigenen Kantine subventioniert.) Heute würde kein gescheiter Soldat mehr wagen, außerhalb des Dienstes seine Bundeswehr-Uniform anzuziehen und sie in der Öffentlichkeit zu tragen. Ein toller Fortschritt, nicht wahr, der ein bezeichnendes Licht wirft auf unsere "Demokratie[n]" hüben wie drüben - was heute, in der BRDDR, ja keinen Unterschied mehr macht -, die es wohl auch deshalb nötig hat, ihren Untertanen die "Jubiläen" der Köpenickiade immer wieder in Erinnerung zu rufen.

[Postkarte zu 10 Pf der Deutschen 'Demokratischen' Republik, a.k.a. 'DDR', zum 75. Jahrestag der Köpenickiade] [Postkarte zu 55 Cent der Bundesdeutschen Republikanischen 'Demokratie', a.k.a. 'BRD', zum 100. Jahrestag der Köpenickiade]

Zurück zum Kaiserreich und zu den Rätseln, die Voigt und seine Geschichte aufgeben: War er vielleicht gar kein alter, ungedienter Ex-Sträfling in schlampiger Uniform? Doch, war er. (Und er stammte aus der untersten Gesellschaftsschicht; denn "Schuster" als Sammelbegriff gab es damals gar nicht. Bevor Schuhe ein fabrikmäßig hergestelltes Massenprodukt wurden, teilten sich dieses Berufsfeld verschiedene Zünfte, zwischen denen ein himmelweiter Abgrund klaffte: Ganz oben stand der ehrbare Schuhmacher, der stolz auf seinen Stand war, wie einst Hans Sachs; ganz unten stand der armselige Flickschuster - wie Voigt einer war -, der armen Leuten, die sich nicht ständig neue Schuhe leisten konnten, wenn die alten durchgelaufen waren, die Löcher stopfte oder bestenfalls neue Sohlen aufpappte. [Dazwischen gab es Sattelmacher und andere Handwerker, die sich mit Lederbearbeitung befaßten.]) Waren die Soldaten vielleicht besonders blöde? (Die Gazetten forderten damals lautstark die Verlängerung des Wehrdienstes, damit die Tölpel wenigstens lernten, echte von falschen Offizieren zu unterscheiden.) Nein, waren sie nicht. Erstens war es damals noch nicht so, daß man als Hauptmann mit 52 Jahren in Pension ging, daß alte (oder "gesichtsalte") Berufsoffiziere also zwangsläufig einen höheren Dienstgrad haben mußten. Vielmehr gingen die meisten Offiziere als Hauptmann in den Ruhestand, bestenfalls als "Charakter-Major" (d.h. sie wurden mit der Entlassung noch einmal befördert, durften sich also als "Major a.D." bezeichnen, bekamen aber nur die Pension eines Hauptmanns). Im Falle Voigt kam hinzu, daß neben der Kaserne, in der die getäuschten Soldaten stationiert waren, das "Königliche Invalidenhaus", ein Altersheim für pensionierte Offiziere stand. [Im Theaterstück erwähnt Zuckmayer das auch; aber im Film ist die 16. Szene des 3. Akts leider komplett gestrichen.] Und den Soldaten war von ihren Vorgesetzten ausdrücklich eingebleut worden, die alten Herren dort (die z.T. in schon ziemlich abgenutzten Uniformen herum liefen) immer mit größter Zuvorkommenheit zu behandeln und ihre Befehle nicht in Frage zu stellen - auch wenn sie eigentlich gar keine Befehlsgewalt mehr hatten. Und genau das taten sie denn auch. Der Witz ist, daß so etwas in einer wirklich militaristischen Gesellschaft nie möglich gewesen wäre - dort hätte der Befehlsempfänger reagiert wie oben beschrieben. Mit anderen Worten: Der Trick des Schusters klappte nicht etwa, weil Preußen eine besonders militaristische Gesellschaft war, sondern weil man in Potsdam besonders menschlich, ganz unmilitärisch, gehandelt hatte, als man den alten Herren aus dem Altersheim - und als einer von ihnen konnte eben auch Wilhelm Voigt durchgehen - ihren Spaß ließ.

Exkurs. Kommt es denn darauf an? Joachim Fernau, der große Cyniker des 20. Jahrhunderts, hat einmal in Anlehnung an Leopold v. Ranke geschrieben, daß man den Charakter einer Nation am besten daran erkenne, wie sie mit den Veteranen und Invaliden ihrer verlorenen Kriege umgehe (was der BRD kein gutes Zeugnis ausstelle). Darüber kann man streiten; aber der geneigte Leser möge sich selber ein Bild machen, denn Dikigoros will ihm zum Vergleich ein Beispiel aus dem Kulturland schlechthin, der "Grande Nation", der Wiege der friedlichen Zivilisation, blablabla... kurzum aus Frankreich erzählen. In Paris gibt es bekanntlich den "Invalidendom", den Ludwig XIV im 17. Jahrhundert als "Invalidenhotel" hatte errichten lassen. Pech nur für die Invaliden, daß seine Nachfolger eine Kirche mit protziger Gedenkstätte daraus machten und so seinen ursprünglichen Zweck ins Gegenteil verkehrten. Im Jahre 1789 brachte Frankreich seine Invaliden ganz woanders unter: Als Wachsoldaten in der berühmt-berüchtigten "Bastille". (Berühmt war sie zurecht, als wichtige Festung im hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England; berüchtigt war sie zu unrecht, als "finsteres Gefängnis des Despotismus" - das ist sie nie gewesen, sondern eher eine Einrichtung des offenen Vollzugs für politische Gefangene in Ehrenhaft, wie etwa später die Festung Landsberg in Deutschland. Heute, im Zeitalter der Demokratie, werden politische Gefangene allenthalben viel härter angepackt als echte Kriminelle - im Gegensatz zu denen bekommen sie keinen Freigang mehr.) Als der französische General-Kontrolleur (Finanzminister) Necker (eigentlich war er - wie Jean-Jacques Rousseau - Schweizer, und außerdem der Vater von Germaine de Staël-Holstein, der großen - und einzigen - Freundin Deutschlands und Feindin Napoléons unter den französischen Schriftstellerinnen) die Monarchie an den Rand des Staatsbankrotts gewirtschaftet hatte (und deshalb vom König entlassen worden war, was ihm "das Volk" sehr übel nahm), als der kälteste Winter des Jahrhunderts zudem eine Mißernte verursacht hatte und die Getreidespeicher leer waren, probte der Pöbel von Paris den Aufstand, den die Märchen- und Geschichtsbücher später als "französische Revolution" bezeichnen sollten (die eigentlich erst vier Jahre später begann). Als Ziel seines "Volkszorns" wählte er das Objekt des geringsten Widerstandes: Er griff die - nicht ernsthaft verteidigte, da gar nicht ernsthaft zu verteidigende - Bastille an und massakrierte die alten, unbewaffneten Invaliden, wohlgemerkt nachdem diese gegen die Zusicherung freien Abzugs kapituliert hatten. Dieser "Ruhmestat" wird in Frankreich bis heute alljährlich am Tag der Schande, pardon, am "jour de gloire [Tag des Ruhms]", am 14. Juli, gedacht; und Frankreich rechnet sie sich zur Zierde und zur Bestätigung seiner hohen Zivilisation und Kultur, der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit an. Ja, das ist in der Tat kein Vergleich mit dem preußisch-deutschen Militarismus! Exkurs Ende.

Nun habt Ihr also die Wahrheit erfahren, liebe Leser, und werdet verstehen, warum diese Wahrheit weder den Kaiserlichen noch den Kommunisten noch den National-Sozialisten noch den Demokratisten sonderlich schmecken dürfte. Und weil die Staatsanwaltschaft das wohl ahnte, unterdrückte sie diesen Tatbestand damals im Prozeß, und auch die Zeugen wurden dazu vergattert, ihn nicht zu erwähnen. (Geht das überhaupt? Jawohl, auch heute noch, Militärs und andere Staatsdiener dürfen nämlich über dienstliche Angelegenheiten nur insoweit als Zeugen vor Gericht aussagen, wie ihre Aussage-Genehmigung reicht - und die erteilt man ihnen eben nur in dem gewünschten Umfang. Sagen sie mehr aus, und sei es auch die Wahrheit, machen sie sich strafbar. Die Ermahnung des Richters, nichts Entscheidungserhebliches zu verschweigen, gilt für sie nicht.) Und um auch noch zu erzählen, wie die Geschichte ausging, über die Zeit hinaus, die im Film behandelt wird: Nachdem er zwei Jahre abgesessen hatte, wurde Wilhelm Voigt von seinem Namensvetter, Seiner Majestät dem deutschen Kaiser und König von Preußen (das ist ein feiner Unterschied - auf einen "Kaiser von Deutschland" hätten die Bayern und Sachsen sich 1871 nicht eingelassen!) höchst persönlich begnadigt, fand einen pfiffigen Manager und reiste - immer im preußischen Offiziersmantel - erst durch Deutschland, dann um die ganze Welt (besonders bei den Deutsch-Amerikanern soll er ungeheuer populär gewesen sein), um seine Geschichte zum besten zu geben, und zwar zum besten Honorar, das er reichlich kassierte - und sei es für seine Autogrammstunden. Durch eine Reihe von Mißverständnissen und Fehlinterpretationen trug er wesentlich dazu bei, das Deutsche Reich im allgemeinen und "den preußischen Militarismus" im besonderen in aller Welt lächerlich zu machen, ohne daß zu seinen Lebzeiten jemals die wahren Hintergründe aufgedeckt worden wären, denn der "Altersheim-Befehl" wurde ein halbes Jahrhundert lang unter Verschluß gehalten; erst nachdem er Käutners Film gesehen hatte, brach ein ehemaliger Leutnant des Berliner Gardefüsilier-Regiments sein Schweigen und klärte die Sache auf. Aber da war Wilhelm Voigt, der sich 1912 als wohlhabender Mann in Luxemburg zur Ruhe gesetzt und dort die letzten zehn Jahre seines Lebens verbracht hatte, längst in Frieden gestorben.

* * * * *

Mehr als vier Jahrzehnte nach Helmut Käutner verfilmte Frank Beyer die Geschichte noch einmal neu, mit dem alternden Alkoholiker Harald Juhnke in der Hauptrolle, der dem Ganzen eine besondere, tragischere Note verliehen hat als der immer eine Spur zu [galgen-]humorvoll wirkende Rühmann. (Außerdem konnte er viel besser "balinern" als der in Wanne-Eickel aufgewachsene Ruhrpötter :-) Und selbstverständlich sind alle von Dikigoros oben erwähnten Diskriminierungen, Verunglimpfungen und sonstigen Verstöße aus Zuckmayers Vorlage gegen den guten Geschmack der Nazis, pardon, gegen die politische Korrektheit der Gutmenschen (von der ebenso subtilen wie total[itär]en Zensur der letzteren hätten sich die ersteren bekanntlich mehrere dicke Scheiben abschneiden können), sorgsam getilgt worden: Kein Axolotl, keine Karnevalsfeier mit Schaumwein auf der Uniform und kein jiddisch brabbelnder Trödler. Insofern ist die Neuverfilmung ihrer Vorgängerin sicher überlegen. Aber ob das eine hinreichende Rechtfertigung war, die ollen Kamellen noch einmal aufzukochen - statt endlich einmal die wahre Geschichte des "Hauptmanns von Köpenick" auf die Leinwand zu bringen - wagt Dikigoros gleichwohl zu bezweifeln.

[Ende]


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