Eine kleine Auswahl der
Kritik:
Beschlußdemokratie, Versammlungskommunismus und ein Bad
im vereisten Grunewaldsee - Bericht einer Gruppe aus der KHG
Für die Partei des Proletariats an der Uni - Selbstbefragung eines
umerzogenen Intellektuellen
Der Parteibeamte
Frühe Unordnung und spätes Leid - Ein Antiautoritärer aus der Provinz
wird "Parteikader"
Vorwort
Nach dem Scheitern der kurzatmigen APO-Strategien entsprang aus der
revolutionären Ungeduld der Studentenbewegung die trügerische
Hoffnung, eine revolutionäre Arbeiterbewegung sozusagen von
außen entfachen zu können. Der Avantgarde Anspruch der APO,
der sich immerhin noch an der Mobilisierung von konkreten Interessen
gemessen hatte versteinerte im Augenblick seines Scheiterns zu den
Stellvertreter-Ritualen der "marxistisch-leninistischen" Vorhutparteien
(oder K-Gruppen, wie sie in der Linken abgekürzt tituliert werden).
Die meisten derjenigen Genossinnen und Genossen, die am Ende der
Studentenbewegung in die neuen Parteien und Zirkel geströmt sind,
haben heute diesen Organisationen den Rücken gekehrt. Die
anfängliche Euphorie, nun endlich "das todsichere Rezept" zur
Gesellschaftsveränderung gefunden zu haben, erwies sich als
frommer Wunsch und der hektische Aufbruch der vielen endete oft im
Katzenjammer der einzelnen. Wer nach zwei, drei, vier oder auch sieben
Jahren politischer Tätigkeit "absprang", hatte nicht selten mit
massiven psychischen Konflikten, persönlicher Ratlosigkeit,
Resignation und Zweifel über Sinn und Zweck politischer Arbeit
überhaupt zu kämpfen.
Doch ganz im Gegensatz zum propagandistischen Getöse der K-Gruppen
drangen die Erfahrungen der ehemaligen Mitglieder nicht an die
Öffentlichkeit, waren nicht Bestandteil des politischen
Lernprozesses innerhalb der Linken.
Ganz im Gegenteil: Durch das Erlebnis, mit seiner ganzen Existenz in
eine politische Sackgasse geraten zu sein, fühlten sich viele als
Opfer einer Vergangenheit, die sie verdrängten wie der Oberlehrer
den Unterleib: darüber spricht man nicht - höchstens am
Biertisch und dann in Zoten.
Mit diesem Buch wollen wir solch doppelbödige Sprachlosigkeit
durchbrechen. Unsere Auseinandersetzung mit den K-Gruppen hat aber
nichts zu tun mit der ritualisierten Form irgendeiner "Linien"-Kritik:
dies wäre vergeblich Liebesmüh angesichts der schon
vorliegenden Kritiken dieser Art und der fortwährenden und kaum
mehr registrierbaren Linienkorrekturen und politischen Wendungen der
betreffenden Sekten.
Unsere Absicht ist auch nicht Denunziation - denn unsere Vergangenheit,
die ein Stück von uns selbst ist, überwinden wir nicht mit
Weißwäschermethoden oder Dreckschleuderei. Damit ist weder
denen geholfen, die sich in diesen Sekten noch immer mit denselben
Problemen herumschlagen, die auch wir am eigenen Leib und im eigenen
Kopf erlebt haben. Noch denen, die inzwischen jede politische
Orientierung verloren haben.
Wir wollen mit unseren Beiträgen über unsere politische
Vergangenheit aus subjektiver Sicht berichten, über das, was wir
waren, wie wir es geworden sind und was zu kritisieren wir auch heute
für wichtig halten. Unsere Vergangenheitsbewältigung ist
nicht unser Privatproblem, sondern Teil der Kritik an jenem falschen
Poltikverständnis, das auch heute noch in der Linken mächtig
ist: Nicht nur, weil die K-Gruppen aus ihren Fehlern nichts gelernt
haben, sondern vor allein, weil die gesellschaftlichen Grundlagen
weiterbestehen, die solche Politikauffassung fördern. Der Kampf
gegen Sektiererei, Stellvertretermentalität, Diskriminierung von
Frauen, Schwulen u. a., Mißachtung konkreter Bedürfnisse
usw. wird auch weiterhin eine aktuelle politische Aufgabe der Linken
bleiben.
Konkreter Anlaß für dieses Buch waren Tonbandaufzeichnungen
von Gesprächen, die Freunde des Verlages mit einem ehemaligen
"Kader-Gymnasiasten" geführt hatten. Nachdem Kontakte mit anderen
ehemaligen Mitgliedern von K-Gruppen aufgenommen waren, entstand eine
Arbeitsgruppe von Autoren und Verlagsmitgliedern, die dieses Buch und
die individuellen Beiträge inhaltlich und formal
(Erfahrungsbericht, Interviews usw.) konzipiert und auch gemeinsam
diskutiert, bearbeitet und zusammengestellt haben.
Das Interview mit dem Kader-Schüler steht auch am Anfang dieses
Bandes, weg aus ihm beängstigend deutlich wird, wie tief
Persönliche Erfahrungen in solchen Organisationen auch nach der
Trennung fortwirken und das Handeln, Denken und Empfinden der
ehemaligen Mitglieder bestimmen. In krasser Form macht dieses Interview
deutlich, wie verhängnisvoll die Linke vor ihren schlichtesten
Ansprüchen versagt, wenn sie nicht einmal versucht, diese
"psychischen Kosten" der ML-Bewegung sichtbar zu machen und die daraus
entstehenden Probleme wenigstens ansatzweise zu bewältigen.
Was uns an diesem Beispiel deutlich wurde, war Teil eines Lernprozesses
während des gesamten Projekts. Erst durch unsere gemeinsame Arbeit
wurde uns klar, daß wir seit unserem Absprung aus diesen
Politischen Organisationen ungeheuer viel aus unserem Bewußtsein
verdrängt haben, was wir erst jetzt richtig wahrnehmen und
problematisieren können.
Auch stellten wir uns immer wieder die Frage, ob das, was wir zu
berichten haben, nicht durch unser heutiges politisches
Verständnis überlagert wird. Vieles von dem, was wir im
Rahmen der K-Gruppen gemacht haben, erscheint uns heute selbst als
fremd und unverständlich. Daß wir uns inmitten einer so
kunstvoll wie künstlich aufgebauten Organisationswelt eingerichtet
hatten, und daß diese Kunstwelt uns nicht nur eine
illusionäre Wahrnehmung der "Außenwelt" - der
gesellschaftlichen Realität - vermittelt, sondern uns auch eine
ebenso künstliche Identität übergestülpt hat: dies
haben wir erst heute voll begriffen.
Der Ausbruch aus der "Welt" der K-Gruppen war also zugleich ein
mühsamer Prozeß von Identitätszerstörung und
Identitätsfindung, der in unserem eigenen Bewußtsein viele
Brüche und Verzerrungen hinterlassen hat, der aber vor allem ein
befreiender Lernprozeß war, bei dem viel überflüssiges
Gerümpel auf der Strecke blieb.
Wir haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, daß wir erst
über einen kritischen Nachvollzug unserer eigenen Entwicklung
herausfinden konnten, was für ein verstümmeltes und
realitätsfernes Verständnis von Politik wir entwickelt und
praktiziert haben. Diese Erkenntnis hat es uns ermöglicht, nach
und trotz unserer Vergangenheit wieder politisch aktiv zu werden.
Vielleicht helfen unsere Erfahrungen anderen.
Daß sich die in diesem Buch zusammengefaßten Berichte
weitgehend auf die KPD und ihre Unterorganisationen bzw. auf den KBW
beziehen, ist mehr oder weniger zufällig. Wir sind ziemlich
sicher, daß wir mit diesen Erfahrungsberichten (die fast alle aus
umfangreicheren Manuskripten und Interviews herausdestilliert wurden)
ein Bild vermitteln, das für das ganze Spektrum dieser
Organisationen gültig ist. Auch sollte man die in den einzelnen
Beiträgen beschriebenen Momente politischen
Realitätsverlustes, die die subjektiven und objektiven Bedingungen
sektiererischer Politik am konkreten Beispiel verdeutlichen,
keinesfalls nur auf die verschiedenen K-Gruppen verrechnen. Wir
zumindest entdecken ähnliche Züge auch noch bei unserer
heutigen Tätigkeit außerhalb der K-Gruppen. Die
Überwindung von Sektierertum bleibt in einer gesellschaftlich noch
immer relativ isolierten Linken eine permanente Aufgabe.
Wir sind übereingekommen, unsere Beiträge als anonymes
Antorenkollektiv zu veröffentlichen. Um die Identifizierung von
Personen zu verhindern, wurden bestimmte Details bewußt unscharf
gehalten oder verändert. Man kann allerdings davon ausgehen,
daß die Spitzel der politischen Polizei ohnehin weit besser
über interne Vorgänge in den K-Gruppen Bescheid wissen als
deren einfache Mitglieder.
Unsere Autorenhonorare stellen wir für politische Zwecke,
insbesondere dem Aktionskomitee gegen Berufsverbote an der FU Berlin
zur Verfügung.
Berlin, Juli 1977
Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 5, Rotbuch
Verlag Berlin 1977
Beschlußdemokratie, Versammlungskommunismus und ein Bad
im vereisten Grunewaldsee - Bericht einer Gruppe aus der KHG
Eintritt
Wir lernten uns in einem Schulungskurs der KHG kennen. In diesem
Schulungskurs sollten an einer Mitarbeit in der Organisation
interessierten Leuten die Grundprinzipien und wichtigsten theoretischen
Vorstellungen des KBW und der KHG beigebracht werden. Wir merkten bald,
daß wir eine ähnliche Vergangenheit, ähnliche
Ansprüche an die Schulung und die Organisation hatten und
ähnliche Vorstellungen darüber, was wir im KBW machen wollten.
Dies ergab sich aus der Tatsache, daß wir 1967/68 die erste Phase
unserer Politisierung in der Schüler- und Studentenbewegung erlebt
hatten und vor dem Eintritt in die KHG alle schon einmal Mitglieder
anderer ML-Gruppen waren. Wir kannten die theoretischen Publikationen
der KBW-Vorläufer und fanden die Bestrebungen
unterstützenswert, daß sich linke Gruppen mit ähnlichen
Vorstellungen einigen wollten, ohne gleich mit dem Anspruch
aufzutreten, die Partei zu sein.
Die Sammlungsbewegung für eine später eventuell zu
gründende kommunistische Partei schien eine offene Diskussion
politischer Anschauungen zu garantieren und auch die Möglichkeit,
eigene Vorstellungen einzubringen und umzusetzen. Besonders die damals
in vielen KBW/NRF-Veröffentlichungen geäußerten Ideen
und Prinzipien wie: Förderung der Selbständigkeit der
Unterdrückten und Ausgebeuteten, ihre Interessen wahrzunehmen,
Eintreten für die Selbstverwaltung der gesellschaftlichen
Institutionen und Basisdemokratie, Erstreben gemeinsamer Aktionen mit
allen fortschrittlichen Kräften und die noch offene Diskussion ob
Kader- oder Massenpartei ließen uns hoffen, daß eine
vernünftige Organisation entstehen könnte.
Wir fühlten uns bald als Gruppe mit politischen Ansichten und
Vorhaben, die wir gegen die schon etablierten Meinungen und Praktiken
in der Organisation durchsetzen wollten. Dies hielten wir für
möglich, weil diese gerade erst ihren Formierungsprozess begonnen
hatte. Allein, als Einzelner wäre wohl keiner von uns eingetreten.
Wie wenig isolierte Kritik auszurichten vermochte, wußten wir aus
den Erfahrungen in anderen Organisationen. Als Gruppe von Leuten, die
sich gegenseitig unterstützen konnten, hofften wir genügend
stark zu sein, um entweder bestimmte Positionen mit Erfolg zu vertreten
oder falls es schiefgehen sollte, den Absprung ohne große
persönliche Verluste zu schaffen. - Neben den drei Verfassern
dieses Berichtes machten noch vier andere Typen in der Schulungsgruppe
mit. Von diesen sieben sind sechs nach etwa 1 1/2-jähriger
Mitgliedschaft wieder aus der KHG ausgetreten.
Obwohl wir uns beim Eintritt in die KHG als Gruppe gefühlt und
verhalten haben, durchliefen wir den Prozess der teilweisen
Identifikation mit dem KBW wie auch die zunehmende Entfremdung und
Ablösung weitgehend individuell. Das zeigt sich am
augenscheinlichsten daran, daß wir, trotz häufigen
gemeinsamen Diskussionen, ob's noch einen Sinn hätte in der KHG zu
bleiben und wenn ja, unter welchen Bedingungen, schließlich
individuell ausgetreten sind. Deshalb sind im weiteren oft
persönliche Erlebnisse und Reflektionen nebeneinandergestellt, die
jeder für sich machte, die wir aber für symptomatisch
für unsere gemeinsame Situation halten.
Wir hatten von Anfang an zum KBW ein kritisches, mehr
praktisch-instrumentales Verhältnis. Dennoch ist es interessant im
Nachhinein festzustellen, wie weit wir von der Organisation vereinnahmt
worden sind, wie weit wir trotz kritischer Distanz ein Stück
Identifikation entwickelt und ihre Verhaltensvorschriften
übernommen haben. Sonst hätten wir kaum Sachen mitgemacht ,
die uns heute unsinnig erscheinen, weil sie schlicht uneffektiv und
nutzlos sind für die Entwicklung einer sozialistischen Bewegung.
Vielleicht scheint unser Optimismus, mit dem wir in die KHG eintraten,
nicht recht verständlich. Zumal als von ML-Erfahrungen gebrannte
Kinder hätten wir eigentlich wissen müssen, daß... Wir
wußten nicht.
Zwar hatten wir Zweifel, ob der KBW/KHG nicht doch nur wieder eine
Sekte wie gehabt werden würde. Diskussionen mit Mitgliedern
bestärkten unsere Zweifel. Auch im Programm fanden wir schon
einige dogmatische Sprüche und irrige Forderungen enthalten, aber
im großen Ganzen stimmte es mit unserer Vorstellung von
Marxismus-Leninismus überein.
Einige von uns warfen zwar die Frage auf, ob es überhaupt Sinn
hätte, der KHG beizutreten. Ein Teil war entschieden gegen einen
Eintritt. Der andere Teil argumentierte, wenn unsere Kritik ernsthaft
und konstruktiv sein will, müssen wir auch ändernd
eingreifen, was uns nur der Mitgliederstatus mit allen Rechten und
Pflichten ermöglichte.
An diesem Punkt gab es auch die ersten Auseinandersetzungen zwischen
uns und der Organisation. Wir wollten für die ganze Organisation
den Kandidatenstatus abgeschafft sehen, da wir schon erlebt hatten, wie
Kooptations- und Selektionsmechanismen dazu beitrugen, aus einer
politischen Gruppe eine abgeschlossene Sekte werden zu lassen.
Daß wir uns mit dieser Forderung - vorübergehend -
durchsetzten, bestätigte unsere Hoffnungen, es würde
möglich sein, in der KHG andere Meinungen als die etablierten zu
vertreten und auch durchzusetzen.
Der zwangsläufig wirkenden Tendenz der Organisation, unser
praktisches Handeln wie unser politisches Denken mehr und mehr auch
gegen unsere ursprünglichen Absichten zu vereinnahmen und zu
deformieren, kam dabei zugute, daß wir allenfalls eine eigene
idealistische ML-Konzeption entwickelt hatten, die mit Vorstellungen
durchdrungen war, die wir in ganz anderen Bereichen politischer Theorie
und Praxis gewonnen hatten. So hielten wir uns in dem neuen Bereich an
die uns vorgesetzten Doktrinen und versuchten zunächst nur, in
unserem Sinne an ihnen rumzubasteln. Erst im Ablösungsprozeß
von der Organisation, worunter wir auch den gedanklichen
Auflösungsprozeß verstehen, der uns zwei Jahre dort
mitarbeiten ließ, wurde uns die zentrale Bedeutung der
Befangenheit in Vorstellungen klar, die zu einer allein seligmachenden
Welterklärung zusammengekittet wurden.
Im folgenden wollen wir einige Stationen des fortschreitenden Prozesses
der Vereinnahmung von Denken und Handeln der Mitglieder durch die
Organisation schildern.
KVZ-Verkauf
Die KVZ (Kommunistische Volkszeitung) ist das Zentralorgan des KBW. Sie
hat in der Vereinigung der regionalen Zirkel und Gruppen zum KBW eine
wichtige Rolle gespielt. Heute ist der KVZ-Verkauf zum Hauptinstrument
der politischen Arbeit geworden, mit dem erklärten Ziel, die
reformistisch orientierte Arbeiterklasse durch Agitation und Propaganda
für den Kommunismus zu gewinnen. Studenten sollen durch den
KVZ-Verkauf in unmittelbaren Kontakt zu den Volksmassen treten und auf
diesem Wege in die Volkskämpfe mit einbezogen werden.
Wir verkauften wöchentlich einmal im Stadtteil und einmal vor
einem Betrieb, in dem eine Betriebszelle des KBW arbeiten sollte, die
unsere Grundeinheit zu unterstützen hatte. Die Notwendigkeit des
Verkaufs der Zeitung war klar. KVZ, Zentralorgan, Propagierung der
richtigen Ansicht,Vorschläge für den konsequenten Kampf um
Forderungen, die Ausdruck der objektiven Interessen der Arbeiterklasse
und des Volkes sind usw. usw. Aus der Sicht des einzelnen
KVZ-Verkäufers sieht das aber so aus, wie es einer von uns aus
eigener Erfahrung schildert:
So stand ich also um 5.30 Uhr vor dem Betrieb. Nicht direkt davor, die
Arbeiter und Angestellten sollten ja nicht beim Kauf vom Pförtner
gesehen werden. Also stand ich ungefähr auf der Mitte zwischen
Betrieb und Bahnhof. Im Hinterkopf das letzte
Verkäufertruppgespräch, auf dem nochmals die entscheidende
Bedeutung der Aufklärung über diese und jene Maßnahme
des bürgerlichen Staatsapparats, die Betrugsmanöver der
DGB-Bonzen und ähnliches betont worden war. Auch, daß man
offensiv auftreten müsse, kühn voranschreiten, vor allem
nicht nuscheln, wenn man die Parolen ruft. Die 10 Zeitungen auf dem
Unterarm mit der Hand von unten umfassend, mit der anderen nochmals
zurecht gestaucht, damit der Kopf der Zeitung und vielleicht noch die
Hauptüberschrift gut erkennbar ist. Trotzdem dieses ungeheuer
flaue Gefühl im Magen.
Und schon sah ich eine Gruppe Menschen auf mich zu kommen. Ich bemerkte
gar nicht mehr die morgendliche Kühle, die Spannung stieg. Meine
Gedanken waren schon weiter: Was soll ich antworten, wenn einer der
Arbeiter/innen oder Angestellten mich anspricht? Wie werde ich es
angehen, beim ersten Zeitungskauf die Käufer noch auf wichtige
Artikel und ihre Bedeutung hinzuweisen? In Gedanken legte ich mir schon
zurecht, wie ich die Käufer/innen zu unseren Lesertreffs einladen
würde. War die Gruppe noch 8 - 5 m von mir entfernt, erhob ich
meine Stimme zum Ausrufen der Parolen. Der entscheidende Augenblick war
gekommen.
Es ist schwer vorstellbar, wie schnell 20 - 30 Menschen an einem
vorüber sind, wenn sie frühmorgens zur Arbeit gehen. Die an
mir Vorbeirasenden dürften vielleicht zwei Worte, wenn
überhaupt irgendwas von meiner Parole mitbekommen haben. Nachdem
ich mir nach den ersten Malen noch den Kopf zerbrach: sollte ich mich
besser placieren?, früher mit dem Ausrufen beginnen?, kurze
Strecken mitlaufen?, kam ich doch schnell auf die Idee, daß es an
etwas anderem liegen muß, als daß man es mit einem
technischen Herangehen lösen könnte. Was ich da rief und
anbot waren nicht ihre Probleme, es waren nicht die Angelegenheiten,
die sie beschäftigten. Bald war ich mir der Sinnlosigkeit eines
solchen Vorhabens voll bewußt. Doch ich ging immer wieder hin.
Manchmal als einziger, weil gerade diejenigen, die in der Grundeinheit
für mehrmaliges Verkaufen in der Woche plädiert hatten, von
ihrer ideologischen Klarheit so besoffen waren, daß sie morgens
verschliefen und nicht kamen.
Vielleicht kam bei mir noch ein romantischer Reiz hinzu. Die Bilder,
die tief in meiner Erinnerung stecken, aus den russischen
Revolutionsfilmen, die ich als Schüler statt Hausaufgaben zu
machen immer um 13.30 im DDR-Fernsehen gesehen hatte. Der aufrechte
Bolschewik, der in aller Herrgottsfrühe die illegal gedruckten
Flugblätter verteilt. Es kostet jedesmal neue Überwindung,
aber wenn ich von der Frage nach irgendeinem Sinn meines Tuns absah,
blieb immer noch ein Gefühl der Selbstbestätigung, ein
bißchen über den eigenen Schatten gesprungen zu sein, seinem
den anderen vorgehaltenen Anspruch selbst entsprochen zu haben. Im
Nachhinein ist mir natürlich klar, daß ich genausogut im
Winter im Grunewaldsee baden gehen könnte. Auf dieser Ebene etwa
liegt ein solcher Akt der Selbstüberwindung.
Am Tag darauf hatten wir immer Verkäufertruppbesprechung. Ab und
zu mit einem Mitglied der Betriebszelle. In unserem Falle war es immer
die gleiche Genossin, da unsere Betriebszelle wohl nur ein Mitglied
hatte - aber richtig durchgestiegen sind wir da nie, denn die Politik
der Betriebszelle wurde uns nur andeutungsweise oder gar nicht
erklärt. Einer nackten Frau kann man auch nicht in die Tasche
fassen. Bei solchen Sitzungen unterhielten wir uns ernsthaft zwei
Stunden über die Strategie zur Steigerung des Verkaufs, oder
besser gesagt: zur Aufnahme des Verkaufs. Denn die drei abgesetzten
Exemplare waren Verkäufe an unmittelbare Sympathisanten, die sich
die Zeitung auch woanders hätten holen können. Wurde einmal
die Vergeblichkeit allen noch so offensiven Verkaufseinsatzes
angesprochen, verwies die Anleitungsgenossin auf die zu verbessernde
Betriebsarbeit der Zeile, dann würde sich auch der Verkauf vor dem
Tor verbessern - als ob die Betriebsarbeit zur Erhöhung der
Verkaufszahlen diente! Das letzte Argument blieb immer der Satz von der
allgemeinen Notwendigkeit von Agitation und Propaganda und von der
erforderlichen Präsens der Kommunisten an allen Orten.
Eine weitere Erklärung für mein rastloses Durchhalten war die
empfundene Solidarität und Verpflichtung gegenüber den
anderen Genossen/innen. Man übernahm Aufgaben und führte sie
durch, weil man wußte, daß die anderen vielleicht
genausowenig Lust hatten, oder genausowenig Sinn darin sahen und es
trotzdem taten. Und da wir uns das nicht gegenseitig offen
eingestanden, war der Weg der kollektiven Gegenwehr versperrt. So ging
ich immer wieder hin, so sinnlos es auch war. Nur innerhalb des
organisatorischen Zusammenhangs erhält es einen Sinn. Ein gutes
Beispiel, wie im Laufe der Zeit die Eigenidentität durch die
Identität mit der Organisation ersetzt wird, ja notwendig wird, um
nicht an sich selbst zu verzweifeln. Das erschwert dem Einzelnen das
Brechen mit der Organisation ganz ungemein, denn das bedeutet
zunächst Identitätsverlust, das Eingeständnis, monate-
oder jahrelang Sinnlosigkeiten betrieben zu haben.
Der Sprachcode
Eine wichtige Funktion bei der Abkapselung der Mitglieder de s KBW von
der Umwelt, von Kontakten und Beziehungen mit anderen Menschen hatte
die Organisationssprache. Man mußte eine bestimmte Sprache
sprechen, gewisse Worte, Kürzel und Redewendungen benutzen. Der
Sprachcode wurde oben festgelegt - die zentralen Publikationen
(Zeitung, Broschüren und Erlasse der Leitung) waren in einem
Sprachstil gehalten, der zwar einzelnen Personen der Führung
zuzuordnen ist und deren Art des persönlichen Ausdrucks sein mag,
sich aber doch unverkennbar an"geheiligten Vorbildern" orientiert, etwa
an Lenin oder am katastrophalen Deutsch der Peking Rundschau.
Den Sprachstil dieser zentralen Publikationen nahm sich der
überwiegende Teil der Genossen zum Vorbild. Anstatt in ihrer
bisherigen Alltags- und Umgangssprache zu reden und zu schreiben
übernahmen sie Redewendungen und Diktion des Vorbildes. So hatte
ein führendes Mitglied der Organisation zur Bekräftigung von
irgendeiner gewichtigen Äußerung die Sprechblase "und dann
ist das gut und nicht schlecht" gebraucht. Das nichtssagende
Sätzlein machte schnell die Runde. Kaum eine
Beschlußvorlage, kein längerer Artikel eines
Fachbereichsinfos konnte auf die Verwendung der Phrase verzichten.
Manche Genossen konnten "und dann oder: und deshalb ist das gut und
nicht schlecht" mehrmals während einer Sitzung zur Unterstreichung
ihrer Ansichten verwenden. Andere benutzten es mit liebevoller Ironie;
ihnen war klar, daß es sich um die nichtssagende rhetorische
Wendung eines Organisations-Führers handelte und in der leicht
ironischen Verwendung schwang jenes Quäntchen Kritik mit, das man
sich offen nicht leisten konnte. Aber viele Genossen benutzten die
Redewendung mit tiefem Ernst, bis sie durch eine neue
Sprachschöpfung eines ZK-Mitglieds abgelöst wurde.
Besonders auffallend war die Organisations-Einheitssprache immer bei
geschriebenen Texten. Das lag sicher daran, daß man sich, wenn
man einen Artikel schrieb, zuerst die zentralen Veröffentlichungen
zu dem Thema nebst alten Flugblättern u.ä. durchlas und das
dann paraphrasierend in einen eigenen Text umarbeitete bzw. mit den
entsprechenden Einfügungen für das Zielpublikum (Termin und
Ort einer Veranstaltung, Demonstration) versah.
Nach einer gewissen Zeit als KBW-Mitglied hörte sich auch die
gesprochene Rede vieler Genossen an, als würden sie eine
Broschüre oder ein Flugblatt der Organisation auswendig aufsagen.
Angefangen hat diese Sprachdeformation meistens bei der Agitation in
der Öffentlichkeit, beim Flugblattverteilen und Zeitungsverkaufen.
Denn die persönliche Identifikation mit dem Agitationsziel war
fast immer oberflächlich. Zwar hatte einem die sogenannte
"politische Bedeutung des Kampfes" durch Artikel aus dem Zentralorgan
und Diskussionen in der Grundeinheit klar zu sein, außer diesen
Richtlinien hatte man aber meist kaum eine Ahnung von den Problemen und
Konflikten, über die man agitierte, geschweige denn war man
persönliche davon betroffen. Deshalb leierte die Agitatorin oder
der Agitator einfach die paar Sätze runter, die sie/er sich
gemerkt hatte, natürlich mit dem entsprechenden Erfolg. Für
die Erarbeitung von fundierteren Kenntnissen über einen bestimmten
Problemkreis fehlte schlicht die Zeit. Genauere Kenntnisse zu haben,
eine eigene Meinung zu äußern war als "Spezialistentum"
verpönt. Der richtige Kommunist hatte umfassend gebildet zu sein
und überall die vorantreibenden Vorschläge zu machen - in dem
Sinne, daß er jederzeit die entsprechende Einschätzung des
Zentralorgans wiedergeben konnte.
Viele Genossen lasen kaum etwas außer den eigenen Publikationen,
den "Klassikern des ML" und der fürs Studium absolut
unentbehrlichen Literatur. Wenn sie sich mal anders bildeten, lasen sie
"proletarische Romane" aus der Weimarer Zeit, sahen sich aufbauende
Filme aus der VR-China oder ähnliches an. Dieser Mangel an
Auseinandersetzung mit "bürgerlicher Literatur", mit
"unpolitischen" Filmen, die Tatsache, daß die meisten Genossen
nie in Popkonzerte gingen (Popmusik war laut KVZ bloß ein Mittel
der Bourgeoisie, die Arbeiterjugendlichen vermittels dekadenter Kultur
vom Kampf gegen Ausbeutung und Staat abzuhalten), dieses ständige
Eingeschlossenbleiben im keimfreien Milieu des von der ML-Ideologie
desinfizierten Dunstkreises der Organisation, trug wesentlich bei der
Herausbildung eines Sprachcodes, der mit seinen Begriffen, seinen
apodiktischen Kategorien gar nicht mehr zu ließ, differenzierte
Fragen zu stellen bzw. Erklärungen reale rProbleme zu suchen. Eine
spontane Neugier und Aufgeschlossenheit anderen Ansichten, neuen
gesellschaftswissenschaftlichen Theorien gegenüber mußte
damit verkümmern. Die Wirklichkeit war generell durch die Brille
und nach dem Interpretationsmuster der von der KBW-Führung
legalisierten ML-Glaubenssätze zu betrachten. Die eigene Erfahrung
zählte nichts.
Mit der Zeit wurde der Sprachcode zur Umgangssprache jedes Mitglieds.
Es verlernte, so zu sprechen, daß Nicht-Mitglieder es noch
verstanden. Und es verlernte, von anderen Menschen
geäußerte, nicht im Code gehaltene Aussagen zu verstehen.
Alles was nicht Code war wurde von ihm als falsch oder
"bürgerlich" abgelehnt. Wenn man mit anderen nicht mehr
diskutieren kann, diskutiert man nicht mehr mit ihnen. Weil man sich
nicht mehr mit anderen auseinandersetzt, verliert man den Bezug zur
Realität.
Beschlußdemokratie
Die Ortsleitung hatte beschlossen, man müsse das Programm der
Arbeiterklasse zur Wahl stellen, an den Landtagswahlen teilnehmen.
Obwohl von Haustür zu Haustür gegangen wurde, gelang es bis
kurz vor Weihnachten nicht, auch nur für einen Kandidaten die
gesetzlich erforderliche Unterschriftenanzahl zusammenzubekommen. Auf
einer schnell einberufenen Mitgliederversammlung teilte der Zentrale
Ausschuß der KHG mit, die Weihnachtsferien würden für
alle Mitglieder gestrichen, wir hätten bis Anfang Januar 75 die
erforderlichen Unterschriften im Einsatz rund um die Uhr
zusammenzusuchen.
Viele sonst sehr linientreue Genossinnen und Genossen murrten und
sprachen gegen diesen Beschluß. Ein großer Teil der
KHG-Mitglieder wohnte nicht in der Stadt und viele wollten über
Weihnachten nach Hause fahren oder für einige Tage verreisen. Das
war die Situation, die einer von uns so erlebt hat:
Ich hatte mir überlegt, was ich auf der Mitgliederversammlung
sagen wollte. Für mich war die kurzfristige Ansetzung der
Unterschriftensammlung ein weiterer Beweis für die
organisatorische Unfähigkeit der Ortsleitung. Zudem zeigten gerade
die Schwierigkeiten, die erforderlichen Unterschriften
zusammenzubekommen, wie mangelhaft die Organisation noch verankert war
- ein Hinweis darauf, wie schlecht der KBWW bei den Wahlen abschneiden
würde. Beide Argumente bestärkten mich in meiner schon
früher geäußerten Ansicht, eine Wahlteilnahme sei
für eine so schwache Gruppe ohnehin nicht sinnvoll.
Abgesehen davon war ich entschlossen wegzufahren. Ich hatte seit einem
Monat eine neue Beziehung und war sehr verliebt, wir wollten zusammen
wegfahren. Ich erlaubte mir zwar manchmal auf Zellensitzungen, mit
persönlichen Bedürfnissen zu argumentieren, stieß damit
aber regelmäßig auf die Ablehnung der Genossen, die die
"Politik an erste Stelle" setzten. Auf einer Mitgliederversammlung
wagte ich das nicht, hier zählten nur politische Gründe und
verliebt zu sein war kein politischer Grund. Ich konnte mir das
Unverständnis und die Kommentare der linientreuen Genossen
vorstellen: kleinbürgerliches Individuum, das persönliche
Bedürfnisse über die Notwendigkeiten des Klassenkampfs
stellt. Mich vor vielen Leuten bloßstellen konnte ich nicht, ich
hatte schon genug Schwierigkeiten, vor einer unüberblickbar
großen Menge Menschen überhaupt zu reden.
Als ich meine kurzen Argumente den etwa 200 versammelten Genossinnen
und Genossen vorbrachte, hatte ich das Gefühl, überhaupt
nicht gehört zu werden. Ich war kein guter Redner, meine Argumente
gingen unter.
Der nach mir sprechende Genosse des ZA malte die Alternative aus
zwischen "kleinbürgerlichem Zurückweichlertum" oder
"Erfüllen der Notwendigkeiten, die der Klassenkampf an die
Kommunisten stellt". Weil das ZK des KBW und die Ortsleitung so
beschlossen hatten, war die Wahlbeteiligung und damit das Sammeln der
Unterschriften eine Notwendigkeit des Klassenkampfs.
Dann sprach ein eigens hierfür angereister Mann des ZK des KBW.
Komischerweise beeindruckte mich, was er sagte. Vielleicht lag das
daran, daß er der Ortsleitung Vorwürfe machte wegen der
schluderigen Vorbereitung. Solche Kritik aus dem Mund eines Typs, dem
die Genossen zuhörten, fand ich schon mal gut. Er zeigte auch
Verständnis für die Sorgen der Genossen, die wegfahren
wollten, erwähnte auch junge Genossen, die sich in
verständlichem Konflikt mit ihren bürgerlichen
Familienbanden" befänden. Er appellierte an unser Bewußtsein
als Kommunisten, die politische Lage erfordere, unsere
persönlichen Bedürfnisse hintanzusetzen. Er appellierte an
unser Solidaritätsgefühl mit den Genossen der KBW-Gruppe, die
alle hierblieben und Unterschriften sammelten. Und an unser
Solidaritätsgefühl mit den politisch hochbewußten
Genossen der KHG, die sich schon ebenso entschieden hätten.
Großer Applaus.
Obwohl er mit keinem Satz darauf eingegangen war, ob die
Wahlbeteiligung überhaupt sinnvoll war, hatte er auch mich indem
Moment fast überzeugt, es sei vielleicht doch richtig
hierzubleiben und Unterschriften zu sammeln. Irgendwie fand ich es nun
auch unsolidarisch, wenn ich einfach wegfahren würde, während
die anderen alle hierblieben. Eine große Mehrheit stimmte
für hierbleiben. Ich enthielt mich der Stimme und fuhr mit meiner
Freundin weg. Dem KBW brachte die Wahlbeteiligung nebst etwa 0,1 % der
Stimmen, etliche Entlassungen und Berufsverbote für die
kandidierenden Genossen.
Veranstaltungen
Es wird zum soundsovielten Male eine Veranstaltung zu einem beliebigen
Thema angesetzt, Referate werden ausgearbeitet und vordiskutiert,
Flugblätter verfaßt, zu Tausenden gedruckt und verteilt,
Plakate entworfen, hergestellt und geklebt, Räume ausfindig
gemacht, angemietet und ausgeschmückt und vielleicht sogar noch im
Seminar/Betrieb für den Besuch dieser Veranstaltung geworben.
Insgesamt eine Wahnsinnsarbeit, um möglichst viele Leute für
die Veranstaltung zu agitieren. Am Abend der Veranstaltung muß
man feststellen, daß man außerhalb der eigenen Organisation
niemanden mobilisiert hat. Daß ein paar hundert Mitglieder der
Organisation erschienen sind, ist nur dem Beschluß zu verdanken,
der von jedem einzelnen verlangt, sämtliche Veranstaltungen der
Organisation zu besuchen. Damit wird für ein solches Ritual
wenigstens der äußere Schein von Sinnhaftigkeit erzeugt.
Dieser Beschluß schreibt auch vor, dem Referenten und der
Diskussion aufmerksam zuzuhören, die Veranstaltung nicht etwa
vorzeitig zu verlassen (vor dem Absingen der Internationale) oder
zwischendurch mit Bekannten zu quatschen, hin- und herzurennen,
Terminverlagerungen vorzunehmen, oder gar Mitgliederbeiträge
einzutreiben. Das war in der Vergangenheit allzu häufig
vorgekommen und hatte nach Ansicht der Leitung die wenigen nicht der
Organisation oder konkurrierender Sekten angehörigen Individuen
vorzeitig von der Veranstaltung vertrieben.
Nicht etwa, daß man sich in der Organisation danach gefragt
hätte, ob vielleicht das Thema oder der Anlaß der
Veranstaltung ungeeignet gewesen ist. Ob es womöglich niemanden
interessiert, "was die Kommunisten dieser Stadt" dazu zu sagen haben
und daraus entsprechende Konsequenzen zieht. Nein, die objektive
Notwendigkeit gerade an diesem "Punkt" Agitation und Propaganda zu
entfalten, leitet sich ja aus der Analyse der bestehenden Weltlage ab,
wie man sie erst jüngst von J. S. in der KVZ lesen konnte.
Die "Diskussion" in der Grundeinheit spitzt sich dann auch ziemlich
schnell darauf zu, daß die Veranstaltung nicht offensiv genug
propagiert worden ist, nicht genug Flugblätter mit ideologisch
klarerem Inhalt gemacht wurden usw. Und, entscheidendes Argument:
daß bestimmte Genossen entweder "zurückweichlerisch" im
Seminar aufgetreten sind und die Veranstaltung nicht angesagt haben,
beim Zeitungsverkauf nicht andauernd laut gerufen haben oder gar nicht
erst zur Veranstaltung gekommen sind. Das sei Ausdruck von
kleinbürgerlicher Disziplinlosigkeit, die nur in harter
politischer und ideologischer Erziehungsarbeit überwunden werden
könne. Nur rückhaltlose "Kritik und Selbstkritik" könne
ihnen die proletarische Anschauung durch harte und geduldige Arbeit in
"schwieriger" Situation vermitteln, in denen die Volksmassen "noch" den
"Spaltungs-" und "Betrugsmanövern" der Bourgeoisie und ihrer
"Lakaien" aufsitzen. Mit knapper Mehrheit wurde eine
Beschlußvorlage verabschiedet, die die Leitung kritisiert, die
Veranstaltung zu kurzfristig angesetzt zu haben.
Nach unserem Austritt kommen uns solche Situationen unwirklich vor. Was
hat uns und was bringt heute noch so viele dazu, die Absurdität
ihres Handelns überhaupt nur so begrenzt wahrzunehmen, welches
sind die Mechanismen, die solche erlebten Situationen in einer Weise
uminterpretieren, die eine radikale Kritik an der Organisation
unmöglich machten? Wichtig für die Erklärung ist
sicherlich die totale zeitliche, psychische und physische Beanspruchung
des einzelnen durch die Organisation, die sich als relative Isolierung
von seinem eigentlichen und ursprünglichen Lebenszusammenhang
auswirkt. Nur durch den totalen Einsatz der Genossen kann die
Organisation ihre nicht nur zahlenmäßige Schwäche
notdürftig ausgleichen. Nur dadurch kann sie ihre "Politik"
aufrecht erhalten, die verlangt, überall dort "einzugreifen", wo
die Volksmassen in "Bewegung kommen" oder zu geraten scheinen.
"Eingreifen" heißt dann, diese vermeintliche Bewegung mit
Agitation und Propaganda zu überschütten und zu versuchen,
sie in eine Richtung gegen den Staat und den Kapitalismus insgesamt zu
bewegen. Diese Politik verlangt nicht nur ständige Einsätze
der Genossen, sondern auch einen umfangreichen technischen Apparat, der
den immensen Ausstoß an Papier und die Koordinierung der
verschiedenen Tätigkeiten erst ermöglicht.
Arbeitsbelastung
Was das für das einzelne Mitglied dieser Organisation heißt,
können wir einmal aus eigener Erfahrung aufzählen:
An der Uni: 1 mal wöchentlich 4 - 5 Stunden Grundeinheitsplenum,
dazu die Zeit der Vor- und Nachbereitung (Texte, Zeitung lesen,
Protokoll). 1 mal wöchentlich 2- bis 3stündige Schulung.
Zusätzlich eine Unzahl von Sonderterminen zur Diskussion von
diversen Rechenschaftsberichten des ZK bis zur GE-Leitung.
Tagesdienste: in der Uni Büchertisch machen bzw. Anwesenheit im
Raum der Organisation zwecks Entgegennahme von Flugblättern und
neuer Direktiven, Ausführen technischer Arbeiten (wöchentlich
1 mal 10 - 14 Uhr) Zeitungsverkauf, Flugblätter im Institut und
vor der Mensa verkaufen bzw. verteilen. Übernahme einer speziellen
Funktion: "info"-Herstellung, "Botendienst", Druckereidienst.
Im Stadtteil: 1 mal pro Woche einen Nachmittag lang Zeitungsverkauf,
Flugblattverteilen, Plakate kleben; Sitzung mit der zuständigen
Stadtteilzelle.
Vor dem Betrieb: Zeitungsverkauf mindestens 1 mal die Woche, morgens 2
-3 Stunden; abends oder darauffolgenden taags: Sitzung mit der "Zelle",
zusätzlich Verteilen von Flugblättern in
unregelmäßigen Abständen. Ortsgruppe: Bürodienst,
d. h. einen halben Tag im Büro der Ortsgruppe, sämtliche
anfallenden Tätigkeiten erledigen; Nachtdienst, d. h. von 18.00
bis 5.00 das Gleiche: Tippen der Mitgliederbriefe, drucken, legen,
zusammenheften. Aufräumen etc. 14-täglich.
Sonstiges: Pflicht für jeden, in einem der zahlreichen Komitees
mitzuarbeiten, pro Woche eine Sitzung plus "Fraktions"treff.
Außerplanmäßiges: Veranstaltungen aller Art
vorbereiten, Redebeiträge verfassen, Ordner bei Demos stellen,
Artikel, Berichte und Wandzeitungen schreiben, Hausbesuche im Wahlkampf
und danach, Seminarkollektive, Delegiertenkonferenzen, Demonstrationen
und Veranstaltungsbesuche obligatorisch.
Natürlich durfte man nur 3 Wochen im Jahr in Urlaub fahren nicht
ohne zum Urlaubsort Propagandamaterial mitzunehmen und dort zu
vertreiben.
Eigentlich war man mindestens 40 Stunden in der Woche für die
Organisation auf den Beinen, und das als Mitglied einer
Massenorganisation.
Der zeitliche Aufwand allein spiegelt jedoch noch nicht das
erschreckende Maß der Vereinnahmung durch die KHG wider. Ein
genaueres Bild ergibt erst der Inhalt der Tätigkeiten, die Art und
Weise, wie diese geplant und innerorganisatorisch vergeben wurden.
Kennzeichen für die Inangriffnahme einer neuen Aufgabe war immer,
daß sie von höheren Instanzen beschlossen und vorher in der
GE nie diskutiert wurde. Die Beschlüsse trugen das Zeichen ihrer
Unumstößlichkeit schon bei ihrer Verkündung, denn der
"demokratische Zentralismus" verlangt ihre unbedingte Ausführung.
Auf inhaltliche Vermittlung wurde kein Wert gelegt, Zustimmung oder
Ablehnung hat ja erstmal keine Bedeutung. Damit soll nicht behauptet
werden, daß die Beschlüsse nicht begründet wurden. Aber
diese Begründungen hoben immer die "objektiven Notwendigkeiten"
hervor, nie hingegen die individuellen oder kollektiven
Fähigkeiten und Schwierigkeiten, die bei ihrer Durchführung
entstehen könnten. Fast jeder Beschluß begann mit den
Worten: "Die Lage erfordert..." "Die Klassenkampfsituation zwingt
zu..." "Die Weltlage erhöht die Anforderungen an die Kommunisten."
Der "subjektive Faktor" wird in der Weise einbezogen, daß
stillschweigend von der Fiktion einer kommunistischen Organisation
ausgegangen wird, die ex definitionem in der Lage ist "allseitig" und
"umfassend" den angeblichen Erfordernissen gemäß zu
reagieren - eine blanke Selbsttäuschung, denn ein Beschluß
galt z.B. für jede GE in gleicher Weise, egal ob sie groß
oder klein war und ohne Rücksicht auf besondere Bedingungen.
Jedes Anzweifeln der neuen Beschlüsse mußte daher gegen die
doppelte Autorität der jeweiligen Leitung und der sich aus der
angeblichen "Realität" ergebenden "objektiven Notwendigkeiten"
ankämpfen. Doch wie soll man die Begründung in Frage stellen,
wenn einem selbst nur ein Ausschnitt dieser "Realität" bekannt
ist, weil die Verallgemeinerung per Erfahrungen nur vertikal aber nicht
horizontal stattfindet? Der Einwand, ein bestimmter Beschluß sei
im eigenen Bereich nicht durchführbar, wurde mit dem Hinweis auf
die "Realität" anderer Bereiche vernichtet. Insofern stand man den
Beschlüssen ohnmächtig gegenüber. Wollte man seinen
Ausschluß nicht riskieren, mußte man sich fügen. Man
kann dann nur noch versuchen, sich mit irgendwelchen Entschuldigungen
um die Lasten einer solchen Politik zu drücken, deren Sinn man
nicht einsah. Die Arbeit selbst war aber gekennzeichnet durch
andauernden Mißerfolg. Der Aufwand stand in keinem
Verhältnis zu den Ergebnissen, die erzielt wurden.
Schließlich macht es die totale Absorption des Einzelnen durch
die Organisation unmöglich, anderen Interessen nachzugehen, die
einen höheren Grad an Selbstverwirklichung bringen könnte.
Man war oft nicht mal mehr in der Lage, ins Kino zu gehen oder andere
als die vorgegebene Pflichtlektüre zu lesen. Man konnte sich
gerade für den nächsten Einsatz erholen. Die
vielfältigen Eindrücke, Anregungen und Erfahrungen, die einem
aus der Beschäftigung mit anderen Dingen erwachsen könnten,
blieben aus, eine aktive Auseinandersetzung mit anderen Dingen ging
verloren oder konnte sich erst gar nicht entwickeln.
Als Student wird nun durch die ständige Arbeit für die
Organisation zusehends entrückt, man besuchte Lehrveranstaltungen
wenn überhaupt - nur noch, um was anzusagen und politische
Diskussionen vom Zaune zu brechen.
Arbeitszusammenhänge oder Gruppen mit anderen, nichtorganisierten
Studenten kommen nur selten zustande, die unumgänglichen werden
mit minimalstem Aufwand durchgezogen. Anderen Studenten konnte man sich
nur noch über abstrakte Phrasen und leeres Geschwafel
annähern.
Kommunikation
Zwangsläufig müssen im Zuge der Vereinnahmung durch die
Organisation auch Bekanntschaften und engere persönliche
Beziehungen verkümmern, die nicht im Organisationsrahmen
stattfinden. Mitglieder anderer Organisationen werden zu Gegnern oder
Feinden, Nichtorganisierte zu mit Agitation und Propaganda
einzudeckendem Material. Da die meisten Organisationen nur mit
ihresgleichen persönlich verkehrten, isolierten sie sich
„freiwillig", hatten keine Gelegenheit mehr, ihre eigenen Ideen,
Theorien und politischen Konzepte mit anderen zu konfrontieren.
Aber auch im Innern des KBW gab es kaum einen Austausch von Ideen und
Erfahrungen, oder gar persönliche Gespräche und Kontakte
über die Grundeinheit hinaus. Die Beschränkung der Freizeit
ließ es gar nicht zu, daß solche Kontakte zustandekamen.
Die einzigen informellen Kommunikationszusammenhänge waren
Cliquen, die sich um einzelne angesehene führende Genossinnen und
Genossen herum, häufig auch im Umkreis von KBW-Wohngemeinschaften
bildeten. In diesen Cliquen fanden sich die Leute zusammen, die
ohnehin, mit allem einverstanden waren, was im Verein lief. Hier wurden
politische Linien festgelegt, Pöstchen verschoben, Nachwuchs
gezogen, auch die neuesten Gerüchte über führende
Genossen ausgetauscht.
Einer von uns machte die Erfahrung, daß die Bereitschaft,
für die Organisation zu arbeiten, besonders dann stark
ausgeprägt war, wenn gerade eine Beziehung in die Brüche
gegangen war. In solchen Situationen bietet die in sich fest
geschlossene Organisation das trügerische Gefühl von
Geborgenheit und Sicherheit. Auf unüberbietbare Weise drängt
einem die Organisation die Möglichkeit auf, in der Arbeit
"aufzugehen", seine Probleme nicht etwa zu lösen, sondern zu
kompensieren. In ihr findet man seine trügerische Stabilität.
Ausstieg
Da sich der einzelne in der Organisation nicht zur Wehr setzen kann,
bleibt nur noch die Alternative: einzutauchen in den Nebel politischer
Umnachtung und totaler Realitätsblindheit, also strammes Mitglied
der Organisation zu werden - oder sich auszuklinken. Je mehr sich die
KHG verfestigte, je weniger echte Diskussionen möglich waren, um
so unwohler fühlten wir uns.
Durch die negativen Erfahrungen in der KHG lernten wir, daß auf
die Art und Weise wie diese Organisation wirkte, der Aufbau einer
sozialistischen Bewegung nicht laufen kann. Der Austritt war nur
Endpunkt einer logischen Entwicklung.
Eine Zeitlang nach unserem Austritt stellten wir uns die Frage, ob wir
nicht persönlich versagt hätten und ob wir nicht durch
größeren persönlichen Einsatz, durch klügeres
taktisches Verhalten die Organisation in der von uns angestrebten
Richtung hin hätten ändern können. Heute sind wir
sicher, daß dies weder möglich war, noch einen Sinn gehabt
hätte. Im Gegenteil, diese anfänglichen Zweifel an unserem
eigenen Verhalten, ob "persönliches Verschulden" unsererseits
vorlag, weisen auf die noch nach dem Austritt fortdauernde Befangenheit
hin, auf ein Weiterdenken in von der KHG gesetzten Kategorien. War doch
schon unser Versuch fehlgeschlagen, durch "vorbildliches Verhalten",
durch Zuverlässigkeit bei der Ausführung übertragener
Aufgaben bei den dogmatischen Genossen Respekt und Anerkennung zu
finden.
Wir ließen uns damit ein auf die gegebenen Verhältnisse und
erlagen mit der Zeit den Mechanismen der Organisation in einer anderen,
aber genauso verzückten Weise wie die Genossen, die mit allem von
oben einverstanden waren. Die hatten Angst, als kleinbürgerliche
Zurückweichler entlarvt zu werden, uns beschlich beim
"Zurückweichen" vor politischen Aufgaben das schlechte Gewissen,
unserem eigenen Anspruch als "zuverlässige Genossen" nicht
entsprochen und deshalb unsere Meinung nicht durchgesetzt zu haben. Wir
wurden damit doch wieder hinterrücks in die organisatorischen
Mechanismen der Sekte gebannt.
Heute meinen wir, daß diese Organisationen nicht etwa an sich
richtige theoretische Vorstellungen in falscher Weise praktisch
umsetzen. Ihre Praxis ist vielmehr die Umsetzung des
Marxismus-Leninismus. In diesem Sinne können wir sagen, daß
die Erfahrungen in der KHG uns vom Marxismus-Leninismus abgebracht
haben. Wir suchen nach gangbaren Alternativen einer sozialistischen
Theorie und einer sozialistischen Organisierung.
Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 50, Rotbuch
Verlag Berlin 1977
Für die Partei des Proletariats an der Uni -
Selbstbefragung eines umerzogenen Intellektuellen
Du bist seit 1972 beim KSV, dem Studentenverband der KPD gewesen. 1975,
im Zusammenhang der Übernahme der chinesischen Linie der
Vaterlandsverteidigung, hast du diese Organisation verlassen. Wie
schätzt du zurückblickend deine Mitgliedschaft im KSV ein?
Zuerst muß ich sagen, daß der KSV nicht die erste
Organisation war, der ich angehörte. Meine Entscheidung, zum KSV
zu gehen, und nicht zur SEW - das war für viele einmal die
große Alternative, weil man sie als die Partei ansah, die die
meisten Arbeiter organisieren konnte - halte ich auch heute noch nicht
für falsch. Ich bedaure diese Entscheidung keineswegs, obwohl
meine KSV-Mitgliedschaft mir heute, wenn ich mich um eine Anstellung
bemühe, sicherlich hinderlich sein kann. Ich verleugne politisch
meine ehemalige KSV-Mitgliedschaft nicht, ich stehe zu ihr als der
Zeit, in der ich politisch ungeheuer viel gelernt habe.
Heißt das, daß du heute noch - trotz deines Austritts aus dem KSV -
ähnliche Positionen wie im KSV vertrittst?
Keineswegs. Vielmehr ist der Lernprozeß, den ich eben
angesprochen habe, ein Prozeß des kritischen Lernens. Einmal habe
ich mir eine Reihe organisatorischer und technischer Fertigkeiten
angeeignet, die sehr nützlich sind. Ich möchte diese
Erfahrungen nicht missen und kann sie immer wieder nutzbringend in der
Bürgerinitiative, in der ich jetzt in Norddeutschland arbeite,
anwenden. Der andere' Aspekt ist die Überwindung der
sektiererischen Positionen des KSV. Nur dadurch, daß ich erlebt
habe, was Sektierertum in jeder Hinsicht bedeutet, kann ich mich heute
für eine Politik gegen die Berufsverbote einsetzen. die frei von
sektiererischen, dogmatischen Tendenzen ist und mit der unsere
Bürgerinitiative erfolgreich arbeitet.
Allerdings hat meine Ablehnung der K-Gruppen auch zu keinem pauschalen
anti-organisatorischen Vorbehalt geführt, der etwa jede Form von
organisierter Interessenvertretung und deren politische Durchsetzung
über Bord wirft. Das ist für mich ein Irrweg und macht es den
Sekten gerade möglich, als einzige organisierte Kraft weiterhin
ihr Unwesen zu treiben.
Mir fällt bei deiner Argumentation auf, daß du deine
KSV-Mitgliedschaft nur als objektiv abgelaufenen Lernprozeß zum
Besseren hin beschreibst, als Entwicklung in der du selbst gar nicht
als Lernender auftrittst. Mir ist äußerst unklar, warum Du
über drei Jahre bei dieser Organisation geblieben bist. Man kann
nicht solange in einer Organisation sein, wenn man nicht auch ihre
Ziele und Methoden anerkennt, d.h. gerade die Sektiererei, von der du
sprichst.
Das ist richtig, ich war überzeugter KPD-Anhänger. Ich habe
diese Politik mitgemacht, mitgetragen und als Person verteidigt.
Du warst also durch und durch Sektierer und die Sektiererei legt man
doch nicht so einfach beiseite, wenn sie sich zu einem
vollständigen, dichten Weltbild herausgebildet hat. Wenn man
beinahe für sie lebt, ist es doch fast unmöglich, sich
über die Schranken des eigenen Weltbildes hinwegzusetzen.
Das stimmt schon. Gelernt habe ich aus der Sektiererei erst recht
spät, als sich meine einzelnen Vorbehalte verdichteten und mein
Verhältnis zum KSV in eine Krise geriet. Der Auslöser war,
daß die KPD im Frühjahr 1975 plötzlich die These
aufstellte, die UdSSR sei der Hauptfeind, man müsse sich mit
Teilen der eigenen Bourgeoisie gegen sie verbinden, die NATO müsse
gestärkt werden usw. Das war nicht nur ein einfacher
Linienschwenk, sondern das Eingeständnis einer schweren inneren
Krise. Die KPD und mit ihr der KSV hatten vorher jahrelang versucht,
mit einer radikal-aktionistischen Agitation Politik zu machen und ihre
Basis zu verbreitern. Diese Politik war gescheitert. So blieb nur der
Ausweg, über die außenpolitische Fixierung an China die
innere Stabilität wieder zu gewinnen. Das erklärt auch, warum
die Linie der Vaterlandsverteidigung so schnell und so hart im KSV
durchgesetzt werden konnte. Alle diejenigen, die vorher schon Bedenken
hatten, ob die KPD-Politik überhaupt sinnvoll ist, nahmen diese
neue Politik zum Anlaß, die alten Fehler endlich zu diskutieren
und nicht einfach durch eine neue Linie in Vergessenheit geraten zu
lassen. So kritisierte ich einerseits die antimarxistische
Supermächte-Theorie, andererseits formulierte ich meine Bedenken
gegen die Sektiererei in dem Zusammenhang einmal zusammenhängend -
mit der Konsequenz, endlich auszutreten.
Die Supermächte-Theorie war also nur der Anlaß? Das, was du
als kritischen Lernprozeß bezeichnet hast, ist offensichtlich
weitergehend. Kannst du dafür einige Beispiele nennen?
Sicherlich. Irgendwann fängt man an, sich Gedanken zu machen
über seine totale gesellschaftliche Isolierung als Mitglied dieser
Organisationen. Nicht nur physisch, sondern auch im Denken und Regieren
stellt die Organisation einen Absolutheitsanspruch, der den
parolenmäßig propagierten 'Zusammenschluß mit den
Massen' völlig unmöglich macht. Ideologisch begründet
wird diese Beschlagnahme der ganzen Person in der Forderung nach
Umerziehung. Umerziehung bedeutet für den KSV, daß der
Student, der Kleinbürger und Intellektuelle, sich nach dem Vorbild
der Arbeiterklasse umzuformen hatte, genauso wie die revolutionäre
Arbeiterklasse denken und handeln sollte. Das Problem liegt aber darin,
daß diese revolutionäre Arbeiterklasse nur ein abstrakt
konstruierter Begriff ist, daß es sie politisch greifbar und
erkennbar gar nicht gibt. Deshalb bedeutet die Umerziehung für die
Mitglieder des KSV, sich dem konstruierten Willen der Arbeiterklasse
unterzuordnen, der sich angeblich in der Partei verkörpert.
Bei Mitgliedern des KSV ist es besonders einfach, die Identität
von Arbeiterklasse und KPD vorzuspielen, weil die Studenten über
die Partei relativ wenig wissen und ihnen kaum Einblick in die
Arbeitsweise der KPD gewährt wird. Die KPD tritt dem KSV immer nur
als konspirativer Geheimbund gegenüber. Abgesehen davon, daß
sich in dieser Partei fast nur Intellektuelle befinden, wird so jede
Kritik mit dem Argument abgeblockt, der Kritisierende müsse sich
erst noch umerziehen, Selbstkritik üben, den Standpunkt der
Arbeiterklasse einnehmen, bevor er überhaupt Kritik
äußern darf. Mit dem Hinweis auf die Umerziehung wird jede
theoretische Auseinandersetzung und praktische Kritik unterdrückt.
Nur diejenigen, die sich flexibel der jeweils zentral ausgegebenen
Linie anpassen, steigen in die Leitungsebenen auf.
Ich selbst habe lange Zeit die Bedeutung dieses Konzepts für das
ausgeprägte Sektierertum unterschätzt. Mein Unbehagen begann
vielmehr dort, wo ich sah, daß wir bei den Arbeitern nicht
"ankamen". Ich habe oft vor einem Betrieb Flugblätter verteilt und
Zeitungen verkauft. Die Flugblätter wurden von höchstens
einem Viertel der Belegschaft genommen. Ob sie auch gelesen wurden, ist
fraglich. Beim Zeitungsverkauf war es ebenso katastrophal. Da blieb nur
die Flucht in die absurde These, das wichtigste sei, daß die
politische Linie der Partei stimmt; die Massen kämen später
schon dahinter.
Aber kein politisch klar denkender Mensch kann davon lange
überzeugt sein, die Widersprüchlichkeit dieser Konzeption
springt doch ins Auge.
Nein. Der Gegensatz von Anspruch und Wirklichkeit - Partei der
Arbeiterklasse sein zu wollen, faktisch aber von der Arbeiterklasse
ignoriert zu werden - führt dazu, daß man ungeheuer stark
nach innen, innerhalb der Organisation denkt und lebt und in ihr den
Ersatz für die fehlende Außenwirkung sucht. Die Welt, in der
man lebt, schrumpft auf innerorganisatorische Termine und das
vorgegebene politische Weltbild. Die sogenannte Massenarbeit,
Verkaufen, Flugblätter verteilen und Studenten agitieren,
korrigiert das innerorganisatorische Weltbild überhaupt nicht,
weil man vor anderen immer nur als Aufklärer, als
Standpunktprediger auftritt, der den Massen erst das richtige
Bewußtsein beibringen muß. Ich habe oft genug in Seminaren
gesessen und bin dort mit großen Reden als Agitator aufgetreten.
Aber kein Student wurde von den ,abstrakten politischen Stellungnahmen
überzeugt. Ich konnte zwar meistens ausreden, aber einen
Einfluß auf den politischen Willensbildungsprozeß der
Studenten hatte das kaum. Die Studenten haben deutlich gespürt,
daß nicht einer von ihnen zu ihnen spricht, sondern daß sie
in oberlehrerhafter Weise belehrt werden sollen.
Dabei spiegelt der oberlehrerhafte Ton, mit dem KSV, KPD und andere
K-Gruppen, übrigens auch die DKP und SEW, auftreten, nur die
innere Diskussionsweise wider. Von oben her werden alle Entscheidungen
gefällt und durchgesetzt, die Mitglieder dürfen nur noch
beraten, wie sie diese Entscheidungen am besten umsetzen. Ich
möchte diese beinahe totalitär zu nennende Methoden am
Beispiel der Frage erläutern, wie der KSV die Kritik an der
bürgerlichen Wissenschaft Mitte 1974 verwarf. Nachdem man
jahrelang in den Seminaren versucht hatte, auch zu fachlichen Themen
einen sozialistischen Standpunkt zu vertreten - so beschränkt und
verkürzt er auch immer gewesen sein mag - hieß es
plötzlich: durch die Kritik der bürgerlichen Wissenschaft
könne kein Student zum Kommunisten umerzogen werden, man solle
deshalb nur noch reine Agitation für die Parteikampagnen treiben.
Die Begründung las sich so: "Die Wissenschaft gehört dem
Volk. Die Wissenschaft, das ist der Marxismus-Leninismus und seine
Weltanschauung des dialektischen und historischen Materialismus, die
Wissenschaft der Arbeiterklasse. Die Studenten sind somit - als
künftige Wissenschaftler betrachtet - Träger der
bürgerlichen Wissenschaft, Träger der einzigen Wissenschaft
ist die Arbeiterklasse und ihre Partei." Damit waren alle Studenten
einschließlich der KSV-Mitglieder als Träger
bürgerlicher Wissenschaft abgestempelt und die Beschäftigung
mit dem Studium diskreditiert. Allen Genossen wurde so praktisch ein
Studienverbot auferlegt. Nur noch die direkte Parteiarbeit, das
ständige Herumwirbeln mit Flugblättern und
innerorganisatorische Termine, konnten den ideologischen Anforderungen
im KSV standhalten. Denjenigen, die die Notwendigkeit eines
einigermaßen ordentlichen Studiums und Examens betonten oder
praktisch angingen, wurde bürgerlicher Karrierismus vorgeworfen.
Begründet wird dies damit, daß die Revolution nun einmal
Kommunisten erfordere und nicht eine irgendwie fortschrittliche
Studentenbewegung. Aber hinter dieser Begründung steckt mehr:
Diejenigen Genossen, die aus der Studentenbewegung zum KSV kamen,
hatten fast alle einen breiten Fundus an Wissen und Erfahrungen, wie
man sein Studium bewältigen kann. Später kamen neue
Generationen von Studenten in den KSV, die die Studentenbewegung nicht
mehr kennengelernt hatten, deren politische Sozialisation sich im
Umkreis des KSV selbst vollzog. Für sie gab es nur noch das
KSV-Weltbild. Sie gingen vollkommen in der Organisationshuberei auf.
Diesen Studenten war es sehr recht, daß die Wissenschaftskritik
aus der Aufgabenstellung des KSV gestrichen wurde. Sie fanden sich im
normalen Unibetrieb, mit den Denk- und Lernweisen der Studenten und in
einer sorgfältigen Auseinandersetzung um die Wissenschaft sowieso
nicht zurecht.
Wenn du jetzt alles auf solche "objektiven" Tendenzen schieben willst,
stellt sich für mich die Frage, wieso du nicht frühzeitig
gegen diese Tendenzen vorgegangen bist und wieso du selbst ein
Sektierer gewesen bist. Denn du hast die Endphase der Studentenbewegung
ja persönlich mitgemacht.
Ich war lange Zeit von der Richtigkeit der KPD-Linie überzeugt,
ich war aber nie vollkommen in dem KPD-Weltbild verfangen. Ich glaube,
daß. ich immer ein bißchen über die Grenzen dieses
Weltbildes hinausgeschaut habe. Ich konnte auf früheres Wissen
zurückgreifen und ich habe zudem neben meiner politischen
Aktivität relativ viel privat gelesen. Das ging, weil ich mir
bestimmte Anspruche und Eingriffe der Organisation vom Hals gehalten
habe. Und ich habe relativ viel mit Freunden innerhalb der
Organisation, vor allem in meiner Wohngemeinschaft, diskutiert. Dadurch
war ich auch viel genauer über die politischen "Erfolge" der
Partei informiert als ein normaler Leser der "Roten Fahne".
Heißt das, daß das durchschnittliche Mitglied des KSV über die eigene
Organisation schlecht informiert ist?
Ja. Wer nicht auf einer höheren Leitungsebene saß, bekam aus
der eigenen Organisation nur sehr gefilterte Informationen, Niederlagen
wurden vertuscht und allgemein wurde ein ständiges Vordringen der
Partei für selbstverständlich gehalten. Obwohl z.B. jeder von
sich wußte, wie wenig Exemplare der Roten Fahne oder anderer
Zeitungen er verkaufte, glaubte jeder an ihren ungeheuren Einfluß
auf die Arbeiterklasse und die fortschrittliche Bewegung in unserem
Land. Die Broschüren der KPD werden immer an dieselben Leute
verkauft, die in der Organisation oder in ihrem Umkreis arbeiten.
Dennoch war jedes Mitglied stolz auf die ständige
Broschürenproduktion und bildete sich ein, mit diesen Heften
wirklich breite Teile der Bevölkerung zu erreichen. Diese
Realitätsferne ist das Produkt der selbstgeschaffenen Welt, die
den KSV und jedes einzelne Mitglied bewegen, seien überhaupt die
weltbewegenden Fragen.
Deshalb können die K-Gruppen die wirklichen Interessen z.B. der
Studenten und auch anderer Bevölkerungsteile, in deren Namen sie
auftreten, gar nicht ausdrücken, das ist von ihrem ideologischen
System her unmöglich. Wer in einer so geschlossenen Welt lebt, der
verliert über kurz oder lang dazu jede Möglichkeit. Ich
erinnere mich noch sehr deutlich daran wie in den Grundeinheiten des
KSV die Diskussion geführt wurde und wird. Jede Woche flattert dem
Zellenverantwortlichen das Rundschreiben der jeweils höheren Ebene
auf den Tisch. Solche Rundschreiben haben Direktivencharakter, sie sind
also Befehle. Sie können in der Diskussion faktisch nicht in Frage
gestellt werden, weil das sofort als Angriff auf die Politik des
Verbandes und damit der Partei gewertet wird. Die Direktiven sind meist
sehr konkret, sie beschreiben genau die Aufgabe der Grundeinheit
für einen bestimmten Zeitabschnitt, sie ordnen an zu welchen
Themen und mit welchen Argumenten die Mitglieder in der
Öffentlichkeit aufzutreten haben. Dagegen ist kein Widerspruch
möglich. Die Zelle spricht nur darüber, wie diese Direktive
am Besten zu verwirklichen ist. So gehen äußerer Zwang und
innere Selbstbeschränkung zusammen und führen zu einer
Perversion einer offenen Diskussion. Der repressive Diskussionsprozess
kehrt in einem gedanklichen Zirkel immer wieder zu seinen eigenen
Voraussetzungen zurück, zu den Direktiven, und nimmt nach
außen die Form des abstrakten Propagandistentums an. Die
einzelnen Mitglieder stehen in dieser Zirkellogik und können nicht
mehr über deren Grenzen hinausschauen.
Wie ist es dir denn gelungen, das Gefangensein in der Ideologie und
Organisation des KSV zu durchbrechen?
Auf allgemein-theoretischer Ebene ist mir dies anfangs kaum
möglich gewesen. Dazu habe ich trotz aller politischen
Mißerfolge der KPD, trotz Cliquenwirtschaft und sinnloser
Organisationshuberei viel zu sehr an den Marxismus-Leninismus als
richtige Theorie geglaubt.
Man darf nicht vergessen, daß ich selbst für lange Zeit
aktiver Träger des repressiven Diskussionsprozesses nach innen und
nach außen gewesen bin. Auch ich war einer derjenigen, die andere
Genossen mit moralischen Argumenten an die Wand gedrückt haben und
nach außen die Politik vehement vertreten haben. Erst langsam und
vorsichtig keimten in mir Zweifel, die sich aber nicht an der
Gesamtpolitik festmachten, sondern an einzelnen, kleinen taktischen
Fragen, wie z.B. der, ob es richtig ist, jede Woche relativ beliebig
die Solidaritätskampagnen mit Griechenland, Spanien, Angola und
Vietnam miteinander auszuwechseln.
Als ich solche Punkte vorsichtig in den Zellendiskussionen
thematisierte, stieß ich sofort auf den frontalen Widerspruch
anderer KSV-Mitglieder. Sie waren nicht bereit solche Fragen auch, nur
zu diskutieren, und machten mir den Vorwurf, versteckt die Linie der
Partei angreifen zu wollen. In solchen Situationen kann man dann
zurückstecken - und das tat ich oft genug - oder die
Auseinandersetzung auf der Ebene aufnehmen, die einem aufgezwungen
wird, was heißt, die "unanfechtbare Linie der Partei" in Frage
stellen. Wer sich davor scheut und ich tat dies lange Zeit, der wird
relativ hilflos in der Organisation herumtaktieren und daran mitwirken,
daß andere Genossen in Auseinandersetzungen fertig gemacht und
entmündigt werden.
Auch ich habe lange Zeit den Fehler gemacht, auf der
Sympathisantenrunde meiner Zelle entweder vornehm zu schweigen oder die
offizielle Linie entgegen meinen eigenen Vorbehalten zu verteidigen.
Das wurde dann dazu benutzt, mir Doppelzüngigkeit vorzuwerfen -
was mir sehr erschwert hat, den Sympathisanten meinen Austritt zu
verdeutlichen. Der repressive Diskussionsprozess hat durch eigenes
Verschulden, in meinem Schweigen, noch einen letzten Sieg über
mich davongetragen. Es ist mir nicht gelungen, meinen Austritt so zu
begründen, daß weitere Genossen von meinen Argumenten
überzeugt wurden.
Was hat sich durch deinen Austritt aus dem KSV in deinem persönlichen
Leben verändert?
Viel, sehr viel. Glücklicherweise wohnte ich damals nicht mehr mit
anderen KSV-Leuten zusammen. Das hat mir alles sehr erleichtert. Ich
weiß von anderen, daß der politische Bruch auch erhebliche
Konsequenzen in den gemeinsamen Wohnungen hatte. Ausgetretenen wurde
gekündigt, Papiere und Unterlagen wurden ihnen gestohlen, man
versuchte sie durch Denunziationen zu erpressen, unsaubere
Finanzmethoden waren an der Tagesordnung. So wurden z.B. Kredite an die
Organisation nicht zurückgezahlt. Einige Mitglieder, die ich bis
dahin zu meinen festen Freunden rechnen konnte, brachen mit mir; die
fadenscheinigsten Vorwände mußten dazu herhalten.
Zurückblickend bedauere ich das nicht, denn Freundschaft mit
solchen Gestalten stellte sich so als eine Art übler Kumpanei
heraus.
Nach allem, was du über die innere Verfassung des KSV berichtet
hast, fällt es mir schwer, deine anfängliche
Einschätzung zu verstehen, daß du deine ehemalige
KSV-Mitgliedschaft auch heute noch nicht für falsch hältst.
Man muß den Akzent anders setzen. Ich bedauere die Entscheidung
für den KSV nicht unter der Alternative KPD oder SEW. Insgesamt
war meine KSV-Zeit jedoch ein großer Umweg, ein Weg, der bei
vielen anderen Genossen in der Resignation oder im abstrakten Ethos des
Berufsrevolutionärs endete. Ich habe in den letzten Jahren
gesehen, wie viele Leute zerbrochen sind, zu intellektuellen
Kümmerlingen geworden sind. Besonders betroffen machen mich dabei
diejenigen, die die KPD oder vergleichbare Gruppierungen immer noch
für "die Kommunisten" halten, von sich selbst jedoch sagen,
daß sie die nötige Kampfkraft und das
Durchhaltevermögen nicht aufbringen. Diese Leute haben noch heute
den Kopf voll mit dem ML-Schrott.
Ich persönliche glaube, daß meine KSV-Zeit zwar ein Umweg
war, aber ein Weg, den ich heute nicht wegzaubern und nicht fortleugnen
kann. Jeder Versuch, dies zu tun, würde mit
Verdrängungsmechanismen gepflastert sein, die meine Identität
in Frage stellen. Ich kann gar nicht anders handeln, als ich es jetzt
tue. Denn wer beraubt sich selbst gerne einiger Jahre seines Lebens?
Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 74, Rotbuch
Verlag Berlin 1977
Der Parteibeamte
Eine Szene an der FU Berlin: Nach einem go-in zum Präsidialamt
treffen sich die Studenten in der Cafeteria. Kurz wird besprochen,
welche weiteren Schritte unternommen werden sollen. Treffpunkte werden
bekanntgegeben, man unterhält sich, trinkt Kaffee: gemeinsame
Entspannung nach der Aktion. Plötzlich tritt ein
selbstbewußter Mann vor die Versammelten. Das Jackett seines
Tweedanzugs auseinandergeschlagen, die Fäuste in die Hüften
gestemmt, die Beine gespreizt, als wolle er Wurzeln schlagen: keiner
soll ihn wegkriegen. Mit ungewöhnlich lauter Stimme verkündet
er, er spreche im Namen des Kommunistischen Studentenverbandes. Das tut
er dann auch eine Viertelstunde lang. Der Inhalt seiner Rede hat
außer einigen einleitenden Sätzen nichts mit der Aktion zu
tun: er berichtet von der Gefährlichkeit des Sozialimperialismus
und seiner Agenturen, jongliert mit Zahlen, Zitaten und Ereignissen. Er
gebraucht rhetorische Techniken, wie man sie von Parlamentsdebatten her
kennt. Er stellt nichts zur Diskussion, breitet nur seine
Überzeugung aus. Belohnt wird er durch dünnen Beifall seiner
Genossen. Die Konkurrenz vom KBW sieht sich herausgefordert, sagt auch
was. Die Angegriffenen, die ADSen, sind ohnehin nicht anwesend. Die
Studenten, die alles über sich ergehen ließen, fliehen in
verschiedene Richtungen. Diskussion und Versammlung sind beendet. Der
Redner zieht mit seiner Gefolgschaft in einen leerstehenden
Seminarraum, zu einem Termin - intern.
Der, der da im Namen des KSV sprach, war ein Kader in leitender
Position. Solche Auftritte sind für ihn zur Routine geworden.
Heute redet er bei den Germanisten, morgen bei den Psychologen,
übermorgen vielleicht in Westdeutschland. Dazwischen
bewältigt er eine ungeheure Menge von Sitzungen, führt
Gespräche, liest Protokolle, schreibt Protokolle, organisiert
Einsätze, liest Direktiven, schreibt Direktiven - sein Wasser ist
die Politik, darin schwimmt er wie ein Fisch, fern von den trockenen
Ufern des Alltags: ein Professional, ein Berufspolitiker also.
Als Typ ist er mir heute fremd und doch vertraut. Denn ich war selber
mal ein linker Berufspolitiker an der Hochschule, kommunistischer
Kader. Wie kam das?
Als ich endlich aus der verhaßten Schule raus war und an der Uni
die große Freiheit zu genießen hoffte, merkte ich bald,
daß dort das gleiche öde Räderwerk von Anpassung und
Karrieremachen funktionierte, das die Einzelnen in isolierende
Konkurrenz treibt. Die Studentenbewegung kam wie ein Befreiungsschlag,
Konkurrenz und Isolation wurden stellenweise durchbrochen, uns in
Haufen zusammenrottend wurde alles diskutiert, hinterfragt. Wenn wir
ausschwärmten, vertraten wir nicht eine Sache, sondern uns selbst
und unser Bedürfnis zu verändern. Als am Ende der Bewegung
die Geschichte der großen Opposition der Arbeiterbewegung, ihre
Erfahrungen und Theorien breit rezipiert wurden, lernten wir, daß
allein eine Bewegung von Intellektuellen die Gesellschaft nicht
ändern kann. Die Arbeiterbewegung, mit der wir uns hätten
verbünden können, war nicht vorhanden. Also fanden
Parteigründungen statt, um die Organisationen zu schaffen, die
eine revolutionäre Arbeiterbewegung wieder aufbauen konnte. Die
Gründer waren natürlich fast durchweg ehemalige Aktivisten
der Studentenbewegung. Und sie repräsentierten natürlich
nicht die Arbeiterklasse, sondern bloß sich selbstund ihren
erschlichenen Avantgarde-Anspruch. Auch an der Uni war man als Kader
nicht mehr Teil der Massen, sondern für Führer, denn man
repräsentierte "die Arbeiterklasse" unter den Studenten. Als Kader
war man nicht mehr Student, man war Kommunist. Dieser hohe Anspruch
mußte eine materielle Basis kriegen, damit die Avantgarde ihre
Überzeugung nicht verliert. Er verwirklichte sich in Form
unzähliger Zusammenkünfte, auf denen "die Linie" auf die
Wirklichkeit aufgesetzt wurde. Da jeder Kader auf allen möglichen
Ebenen zu tun hatte, ergab dies eine Unmenge von "Terminen".
Als ich im KSV aufgenommen wurde, hatte ich das wichtigste Requisit des
Kaders bereits kennengelernt: den Terminkalender. Als ich entschlossen
war auszutreten, schob ich das Ding mit Genuß in den Ofen: ich
hatte es hassen gelernt wie mein Schulmäppchen. Als kleines Licht
in der Organisation hatte ich ein, zwei Termine am Tag gehabt.
Wochenende frei. Das änderte sich jedoch im Laufe meiner
"Qualifizierung" und mit dem Anwachsen des KSV. Mit der Übernahme
größerer Verantwortlichkeiten kam auch ein Rattenschwanz von
Terminen und Nebenterminen. In "Kampfzeiten" konnte der Terminkalender
den Terminwust nur bei äußerst sparsamer Ausfüllung des
Raumes aufnehmen.
Bei soviel Hektik gewöhnt man sich Routine an. Man achtet darauf,
daß Diskussionen den Rahmen des vorgeplanten Tagesablaufs nicht
sprengen, zieht das politisch wesentlich Erscheinende durch,
organisiert schnell, redet nicht lange mit den andern.
Widersprüche werden erst mal abgewiegelt: als
"Nebenwidersprüche". Erst wenn sie sich zu
"Hauptwidersprüchen" ausgewachsen haben, beraumt man einen
Gesprächstermin an. Die Aufgaben werden pflichtgemäß
erledigt, weil kein Raum ist für spontane Initiative, vor allem
keine Zeit. Diese routinierte Bewältigung der politischen Arbeit
schafft eine spezifische Form der Wahrnehmung, die der
Beamtenmentalität sehr ähnlich ist.
Aber das ist kein Wunder: Nicht mehr man selbst sein, sondern etwas
"Höheres" repräsentieren, sich als funktionierenden Teil
eines Apparats verstehen, das Ganze im Rahmen des Kleinbürgertums
und dann auch noch in Deutschland - da muß ja der Beamte
herauskommen!
Die meisten Kader-Zellen rekrutierten sich auf der Basis des
Cliquenwesens. Mit der Blüte der Verbeamtung, die dazu
führte, daß sich die Einzelnen immer weniger kannten,
entwickelte sich ein Ritual des Kennenlernens: die etwa
halbjährlich stattfindende "Ka-Es-Ka"
(Kritik/Selbstkritik)-Diskussion, auf der es Näheres über den
unbekannten Mitkader zu erfahren gab. Da gab es zwei Verfahrensweisen:
Entweder hatte der Delinquent Glück, dann wurde über seine
politische Arbeit gesprochen, hierzu Passendes aus dem Privatleben
lobend erwähnt. Das hatte den Charakter von Konfirmation oder
Ordensvergabe - Weihrauch eingeschlossen. Oder er hatte Pech:
Aggressionen entluden sich in Unterstellungen, inquisitorisch und auf
schmerzende Wirkung abzielend. Dann war das Ganze wie eine Demontage,
auch in der Intimsphäre wurde Unpassendes entdeckt - der
Bedauernswerte wurde geknetet, bis er für jede Reue weich war.
Manche suchten diese Demontage zu unterlaufen, indem sie gleich alles
herauskotzten was ihnen auf der Seele lag. Meist waren dann die
Mitkader verunsichert, zogen vorsichtig Schubladen auf, um die Probleme
des Betreffenden unterzubringen.
So war das Ganze verkrampft, ritualisiert, fruchtbarer Boden für
Doppelmoral aller Art. Unfähig, die Beziehungen solidarisch zu
gestalten, weil Solidarität nur als Solidarität mit
politischen Ansichten, aber nicht mit Individuen verstanden wurde,
wurden die Bedürfnisse der Einzelnen mißachtet, sprachlos in
den Untergrund bürgerlicher Privatheit abgedrängt. Gab es im
Kader-Alltag ein Ventil, eine Möglichkeit, sich Luft zu machen,
spontane Kritik zu äußern? Der alltägliche Frust entlud
sich vor allem in der Feindschaft mit den andern, den Konkurrenten,
Agenten und Drahtziehern - bis auf einen Kanal, der nicht
organisierbar, nicht registrierbar war, dafür aber umso
reichlicher floß: der Tratsch. Verarmt in der Erlebnissphäre
des Normalalltags konzentrierten sich die Feierabend und
Pausengespräche vor allem auf die Skandale, Abweichungen,
Fehlhandlungen, den Privat- und Bettbereich der oberen Kader. Dieser
Kader-Tratsch unter der Beamten-Gürtellinie trug, genau die
Merkmale geduckter und krummer Opposition, auf der der Erfolg der
Sensationspresse aufbaut: dem Bedürfnis, hinter dem entfremdeten
Vorgang der Politik die Subjekte sichtbar zu machen, sie in den Bereich
des Bekannten zu holen, sie zu "vermenschlichen" - und damit
kritisierbar zu machen.
Der Organisation konnte das Privatleben ihrer Kader vor allem unter
zwei Aspekten nicht gleichgültig sein. 1. Wie kann die
Arbeitsproduktivität des Einzelnen voll ausgeschöpft werden?
2. Welche dieses Ziel störenden Einflüsse sind auszuschalten?
Das führte dazu, daß sich verkaderte Mitbewohner oft in
Denunzianten verwandelten: der Genosse habe den halben Tag im Bett
gelegen, sei auf ein kleinbürgerliches Fest gegangen, hätte
vor dem Fernseher gesessen - anstatt Wache zu schieben, das Protokoll
zu schreiben, auf der Veranstaltung anwesend zu sein. In
Kader-Wohngemeinschaften verständigte man sich entweder
augenzwinkernd auf der Ebene der Doppelmoral oder man lebte wie in
einer Polizeikaserne, immer überwacht und auf Rechtfertigung jeder
Handlung trainiert. Manche Genossen entwickelten in solchen Situationen
artistische Fähigkeiten: sie jumpten, im Halbschlaf auf dem Bett
liegend, zum Schreibtisch, um pausenloses Arbeiten vorzutäuschen,
wenn sich ein Mitbewohner dem Zimmer näherte.
Am Tag nach dem faschistischen Putsch in Chile hatten wir abends
Zellensitzung. Ich war sehr aufgebracht, weil noch nichts von uns
geschehen war und schlug vor, die vorgesehene Tagesordnung sausen zu
lassen, um zu überlegen, was wir tun könnten. Die Folge
dieser Unbotmäßigkeit war eine Belehrung über
kommunistische Disziplin, demokratischen Zentralismus und die
Wichtigkeit der Tagesordnung (die nur Hochschulpolitisches und den
üblichen Routinekram enthielt). Als schließlich Chile kurz
zur Diskussion stand, wurde die Entfachung einer Kampagne
vorgeschlagen. Ein Zellengenosse, führend in der
antiimperialistischen Massenorganisation tätig und daher
Repräsentant des Proletarischen Internationalismus, sagte dazu
etwa folgendes: Sicher, es sei schrecklich, was da in Chile geschehe.
Aber als Marxist müsse man sehen, daß die Konterrevolution
überall zuschlage und im übrigen gelte es, den beschlossenen
Kampagnenfahrplan durchzuziehen, der nun mal hauptsächlich Oman
und Dhofar und Kambodscha vorsehe.
Am erschreckendsten war dabei der bürokratische Habitus, seine
beamtete Abgebrühtheit, die den Verlust emotionaler Empörung
mit sich bringt. Leute wie er, die sich zum Wutanfall über
Nebensächlichkeiten wie z.B. das Verhalten anderer Organisationen
steigern konnten, reagierten angesichts der faschistischen Barbarei mit
kühler Beamtenroutine. Auch auf mich traf das zu: Gewiß, ich
war empört, aber ein Großteil meiner Empörung richtete
sich dagegen, daß unsere Organisationen die "günstige
Situation" nicht ausnutzten, sich nicht "an die Spitze" der
Solidaritätsbewegung stellten, indem sie die Initiative ergriffen.
Diese zynische Berufspolitikerhaltung resultierte auch aus der
Antipathie, die wir gegen die als revisionistisch verseucht angesehene
Allende-Regierung hegten. Der Verdacht liegt jedoch nah, daß mit
diesem Beamtenverhalten vor allem Herrschaftsbedürfnisse
befriedigt werden.
Betrachtet man die Entwicklung des KSV, so kann man die Entstehung von
Elementen eines Staatsapparats verfolgen, deren Charakter nicht
wesentlich sich vom gewohnten Bild solcher Institutionen unterscheidet:
Nichtöffentlichkeit von Gremien (untere Chargen haben auf
Sitzungen höherer Funktionäre nichts zu suchen), Finanz- und
Personalabteilung, die zu bestimmten Sprechzeiten geöffnet haben
und zu denen man hinzitiert wird, Wachund Sekretärsdienste
(Innendienst), Agitpropdienst (Außendienst) für die
beamteten Kader u.a. Mit dem Anwachsen des KSV begann dieser
Verwaltungsapparat ("typisch deutsch" in seinem Perfektionismus und in
der kalten Wut seiner Sachwalter) mehr und mehr anzuschwellen, die
Arbeitszeit der Kader verschlingend. Nicht nur, daß sich Unmengen
beschriebenen Papiers durch die Instanzen der Organisation
wälzten, auch der Ausstoß nach außen war enorm. Es war
durchaus keine Seltenheit, wenn ein Tagestrupp fünf oder mehr
Flugblätter zu verteilen hatte. Kein Wunder, daß sich
riesige Stapel nicht verteilter Aufrufe in den Räumen des KSV
häuften. Dazwischen bewegten sich die Sekretäre und leitenden
Kader, die man als Personen schon gar nicht mehr wahrnahm, so sehr
waren sie bereits zum Inventar geworden. Einige Genossen schienen aus
ihren Kunstlichträumen überhaupt nicht mehr herauszukommen,
ihre Gesichtsfarbe war grau wie ihr Beamtenalltag. Für einfache
Kader war das Betreten solcher Räumlichkeiten immer ein gewagtes
Unternehmen: ständig mußte man gewärtig sein, von einem
plötzlich aus einer Tapetentür tretenden Oberfunktionär
zu irgendeinem Zusatzdienst verdonnert zu werden. Nur der notariell
beglaubigte Nachweis eines wichtigen anderen Termins konnte einen
retten.
Die Beamten- und Repräsentantenmentalität der Kader
führte zu skurrilen Erscheinungen. So wurde es Mode, sich statt
einer Aktentasche ein schwarzes Diplomaten-Köfferchen zuzulegen
und prall gefüllt mit sich herumzutragen. Solch ein Kader-Set
enthielt neben grundlegenden Dokumenten von KPD, KSV und
Bruderparteien, aktuelle hauseigene Schriften, Protokolle und wichtige
Aufzeichnungen, gegnerische Flugblätter und andere nützliche
Dinge. Bei Sitzungen wurde der Koffer geöffnet, ein Großteil
des Inhalts turmartik aufgeschichtet, um nach der Sitzung wieder
verpackt zu werden. In einer Wohnung erkannte man ein Kader-Zimmer an
der langen Reihe von Aktenordnern, die meist ziemlich alles Gedruckte
des Organisationstrust enthielten.
Die schöne Sitte, die die KPD mit ihrem Parteitag einführte,
ihre Kader mit dem goldenen, verdiente Sympathisanten mit dem silbernen
Parteiabzeichen zu schmücken, machte es den KSV-Kadern leicht, bei
jeweiligen Zusammenkünften auf den ersten Blick die Rangordnung
der Anwesenden abzuschätzen. Mit der Ausgabevon em blernverzierten
Spendenbüchern gab die KPD auch dem Spendenvorgang, bis dahin ein
eher nüchterner Vorgang, etwas Weihevolles. Ein Kader der Zelle
erhielt die Aufgabe, Spendenmarken auszuschneiden und sie in die Spend
enbücher der übrigen Zellenmitglieder einzukleben. Ein
Zellengenosse meiner Zelle war während der Sitzungen mit dieser
Aufgabe stundenlang und akribisch beschäftigt. Ich beobachtete,
wie sehr ihm das genaue Plazieren der Marken ins Rabattbuch Spaß
machte. War er fertig, so ging er alles nochmal durch; wenn alles seine
Ordnung hatte, plazierte er die akkurat gestapelten Rabattbücher
vor sich auf den Tisch, um sie am Ende der Sitzung an die einzelnen
Genossinnen und Genossen auszuteilen.
Glanzlichter und Höhepunkte des verkaderten Beamtentums bildeten
die Tätigkeiten der "Ausrichter". Ein Ausrichter war ein
höherer Kader, der von oben in eine Zelle geschickt wurde, um
diese im Sinn der höheren Ebene politisch auf Vordermann zu
bringen, sie "auszurichten". Unsere Zelle, die sich durch Kritik nach
oben hervorgetan hatte, verdächtigerweise auch noch eine sehr
große Massenbasis am Fachbereich besaß, geriet schnell in
den Geruch des "Rechtsopportunismus". So saß er also eines Abends
unter uns, im grauen Anzug, mit rosa Hemd und modischer Krawatte: unser
Ausrichter. Einige kannten ihn zwar vom Sehen, man wußte,
daß er irgendwann in eine höhere Etage aufgestiegen war -
von ihm selbst wußte man nichts und er ließ es dabei. Seine
Aufgabe sah er darin, nach einiger Zeit die ideologische Hauptfrage in
die Diskussion zu bringen: Wie steht dein Vorschlag zur Arbeiterklasse
und ihrer Partei? Wie stehst du selbst zur Arbeiterklasse und ihrer
Partei? Was tust du für die Arbeiterklasse und ihre
revolutionäre Partei? Dabei setzte er sich bequem, machte sich
breit, stellte den Kamm auf wie ein Hahn im Revier, kritisierte
ziemlich unflätig manche Genossen, die sich aufopferten und weit
mehr taten als er. Doch alle duckten sich, verpflichteten sich zu
Gehorsam. Wir schrieben ein neues, kleines Kapitel der deutschen Misere
- keiner warf ihn hinaus. Als er im Windscchatten einer
Generalausrichtung des Gesamtverbandes seine Tätigkeit beendet und
die Hälfte der Sympathisanten weggegrault hatte, bekundete er nur
noch kurze Zeit seine entschiedene Haltung für Arbeiterklasse und
Partei: plötzlich war er weggetaucht, trat aus dem KSV aus und
schlug vermutlich eine richtige Beamtenlaufbahn ein, für die er so
fleißig geübt hatte.
Der Verwaltungs- und Agitationsapparat produzierte einen unversiegbaren
Flugblattregen, der wie ein unaufhörliches Gebrabbel auf die Leute
herniederging. Überlegungen wurden angestellt, wie diese Monotonie
durch besondere Effekte durchbrochen werden könne, vor allem, wie
man sich angesichts schwindender Sympathie von der Konkurrenz abheben
könne. Kurzansprachen, Kurzkundgebungen, Flurversammlungen, Reden,
wie anfangs beschrieben, sollten das Interesse wecken. Megaphone wurden
eingesetzt, die auch bei absolut nichtigen Anlässen lautstark
herumtönten. Kurz, zum Berufspolitiker gesellte sich der
lästige Hausierer, der den Fuß zwischen Tür und Angel
setzt. Dies führte - kein Wunder - zur entnervten Reaktion der
Studenten, die das Zuhören verweigerten.
Als Mitglied eines Agitations-Tagestrupps lernte ich, Studenten
während des Mittagessens anzusprechen, mit einem Suppe
löffelnden Opfer ein Verkaufsgespräch anzubandeln.
All diese Formen von Massenfeindlichkeit entströmen der Routine
des beamteten Berufspolitiker-Alltags. Marx hatte im Kornmunistischen
Manifest geschrieben, daß die Befreiung der Arbeiter das Werk der
Arbeiter selbst sein kann. Während meiner KSV-Zeit habe ich
diesenSatz immer nur so verstanden, daß die Arbeiterklasse die
anderen unterdrückten Schichten im Befreiungskampf anführen
müsse. Ich habe "Arbeiterklasse" nur immer unter dem Aspekt des
Führungsanspruchs wahrgenommen, der real natürlich der der
Partei ist. Nicht verstanden wurde und wird der Inhalt des Satzes, wie
er gemeint ist: daß Politik Sache der Betroffenen ist und nicht
etwas, das an irgendwelche Vertreter oder Repräsentanten delegiert
werden kann; Politik ist kein Anspruch, den irgendeine Gruppe für
andere wahrnehmen kann. Politik ist keine Sache von Spezialisten, - wer
das trotzdem meint, der ist ein bürgerlicher Politiker und bringt
die Sache der Unterdrückten und Ausgebeuteten nicht voran. Die
Berufung auf Lenin s Partei der Berufsrevolutionäre ist nicht nur
historisch sehr fragwürdig, sie versucht auchjenen routinierten
Berufspolitiker-Alltag zu rechtfertigen, der in seinem Beamten- und
Repräsentantentum weniger den Geist des Marxismus entstammt als
vielmehr der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, in der
die Gründer und Mitglieder dieser Vereine groß geworden sind.
Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 81, Rotbuch
Verlag Berlin 1977 |
Frühe Unordnung und
spätes Leid - Ein Antiautoritärer aus der Provinz wird "Parteikader"
Die Vorgeschichte
Ich bin im Südwesten der BRD aufgewachsen, in einer traditionell
von Landwirtschaft und Weinbau geprägten Gegend mit kleinen
Städten ohne nennenswerte Industrie. Diese Städte stellen
für die in ihnen tonangebenden Schichten - Rechtsanwälte,
Ärzte, Beamte und einige wenige Unternehmer - eine Art Enklave
dar, sie ermöglichen eine Existenzform, die vermeintlich an den
Traditionen kleinstädtischen Honoratiorentums anknüpft. Man
kann sich über die als bedrohlich empfundenen "Zustände" in
den industriellen Ballungsgebieten der BRD solange erhaben fühlen,
wie es gelingt, die von dort ausstrahlenden Einflüsse an einem
eisernen Vorhang von Enge und Beschränktheit abprallen zu lassen -
ob es sich um die Drogen amerikanischer Besatzungssoldaten oder die
„Ideologien" Frankfurter Linksintellektueller handelt.
Die
Arbeiterklasse
Wie viele meiner damaligen Mitschüler und späteren Genossen
stamme auch ich aus dem Milieu dieser versiegenden
kleinstädtischen Honoratiorenschicht. Als sich nach dem 2. Juni
1967 in den Universitätsstädten die antiautoritäre
Bewegung herausbildete, befanden wir uns auf einer tastenden Suche nach
etwas, womit man sich gegen den "Kleinstadt-Mief", die Enge und
spießige Atmosphäre der Umwelt zur Wehr setzen konnte.
Unsere durchaus dünkelhafte Abneigung gegen konservative Moral und
Heuchelei schien uns in den frühen Degenhardt-Liedern treffend
ausgedrückt zu sein. Von reaktionären Lehrern heimlich
entfernte pazifistische Plakate und angedrohte Schulverweise wegen
Abwesenheit beim Schulgottesdienst hatten erste Flugblätter zur
Folge, in denen die Frage nach "Demokratie in der Schule" gestellt
wurde. Suhrkamp-Bände und Ostermarschierer-Plaketten wurden
angeschafft und sooft das Geld für die Fahrkarte reichte, fuhr man
zu Demonstrationen nach Frankfurt, wo wir in den Genossen des SDS neue
Bezugspersonen trafen, mit denen wir uns identifizieren konnten.
Lehrer und Eltern, die uns weismachen wollten, hier handle es sich um
"eingeschleuste DDR-Agenten" oder Schlimmeres, konnten uns nicht mehr
sonderlich beeindrucken. Denn wir hatten inzwischen die Erfahrung
sammeln können, wie die Weigerung einer Untersekunda, ein
20strophiges Gedicht auswendigzulernen, dazu führte, daß die
Eltern der vermuteten "Rädelsführer" in die Schule bestellt
und darüber befragt wurden, ob ihre Söhne und Töchter
"Kommunisten" seien.
Innerhalb von drei Jahren entwickelte sich in diesem Gebiet eine
relativ schlagkräftige, über fünf Kleinstädte
verteilte Schülerbewegung. Aktionen gegen CDU- und
NPD-Veranstaltungen während des Bundestagswahlkampfes 1969
mobilisierten bis zu 300 Genossinnen und Genossen, ein halbes Dutzend
größerer Versammlungen wurde gesprengt, unter anderem auch
die mit dem damaligen Innenminister Benda (CDU) umherreisende
"Sicherheitsgruppe Bonn" ziemlich verblüfft. In wachsendem
Maße konnten wir uns neben sicheren Mehrheiten an den Gymnasien
auch auf Lehrlinge, Kriegsdienstverweigerer und junge Arbeiter
stützen, die während der Wahlkampf-Aktionen zu uns
gestoßen waren. Deshalb bemühten wir uns, wie damals die
ganze APO, zunehmend Konflikte außerhalb der Gymnasien
aufzugreifen oder zu provozieren. In verschiedenen Städten des
Gebietes wurden Clubs und Lokale in leerstehenden Läden
eingerichtet, in denen sich die jugendlichen Outlaws der
Kleinstädte trafen, also mißratene Sprößlinge der
"Oberschicht" und deklassierte und teilweise kriminalisierte Teile der
Arbeitejugend. Die ziemlich wacklige gemeinsame Basis war das
Gefühl, eine Art negativer Elite gegenüber einer von
geheuchelter Wohlanständigkeit strotzenden Umgebung darzustellen.
Das in Teilen der 'neuen Linken' damals gängige Konzept der
"Randgruppenarbeit" erhob dieses urwüchsig entstandene
Bündnis in den Rang einer bewußt betriebenen politischen
Strategie. Go-ins in Lehrerzimmer, Unterrichtsboykotte und
Verweigerungshaltungen halfen uns jetzt nicht mehr, wenn wir wegen
eines mit roter Farbe angemalten Kriegerdenkmals plötzlich eine
kleinstädtische "Volksgemeinschaft" gegen uns hatten,
Strafanzeigen abbekamen und Polizeirazzien in unseren Jugendclubs
gegenüberstanden. Doch nicht nur der Druck wuchs, sondern auch die
Unsicherheit darüber, für und mit wem wir eigentlich unsere
politische Arbeit fortsetzen sollten. "Radikale Interessenvertretung"
an den Gymnasien eröffnete eben noch keine sozialistische
Perspektive, wenn unpolitische Mitschüler gegen die Linken zu
opponieren begannen, weil diese das Niveau in den
Gesellschaftslehre-Fächern zu hoch trieben.
Als dann auch noch der SDS zu zerfallen begann und die Fraktionierung
der linken Bewegung einsetzte, verloren wir die Kontakte in den
für uns erreichbaren Uni-Städten. Wir erkannten zwar in der
Misere der Bewegung auch unsere eigene wieder. Der Versuch, die
Positionspapiere, die aus Frankfurt, Heidelberg und Berlin in unsere
Hände gelangten, auf unsere Schwierigkeiten "anzuwenden",
scheiterte jedoch, weil die Auflösung und Privatisierung in
unseren Schüler- und Lehrlingsgruppen einen Prozess der
Meinungsbildung und Beschlußfassung nicht mehr zuließ.
Theoretische Arbeit und 'Annäherung an die Arbeiterklasse'
Nach einem Sommer, der voll mit Shit-Konsum und Reiseabenteuern gewesen
war, kam ich mit 5 anderen Genossen zu dem Schluß, daß mit
der bisherigen Arbeitsweise gebrochen werden müßte. Bruch
und Umorientierung erschienen uns als einzige Alternative zur
Fortsetzung von Lethargie und Privatisierung. Da uns die theoretischen
Grundlagen fehlten, um die bisherigen Erfahrungen in gemeinsame
Lernprozesse zu überführen und zu einem anderen
Politikverständnis zu gelangen, zogen wir uns für mehrere
Monate von aller Praxis zurück und legten eine Denkpause ein. Wir
begannen uns in stundenlangen Sitzungen angestrengt und akribisch mit
den kleineren Marx- und Engels-Schriften zu befassen und arbeiteten uns
allmählich zur "Deutschen Ideologie" und Georg Lukács'
"Geschichte und Klassenbewußtsein" voran. Mit der
"eklektizistischen Theoriebildung" sollte endlich Schluß sein.
Wir lasen mehr und mehr Lenin- und Luxemburg-Texte, offiziell unter dem
Vorwand, mit Rosas Hilfe den Lenin auf seine Anwendbarkeit abzuklopfen,
in Wahrheit jedoch bereits unter der stillschweigenden Prämisse,
daß Lenin recht hatte. Allmählich begannen sich
Vorstellungen von der Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus und
der Notwendigkeit rigider und hierarchischer Organisationsstrukturen
zur propagandistischen Verbreitung des "wissenschaftlichen Sozialismus"
festzusetzen. Bisher hatte jede ernsthafte Verschärfung der Lage
unsere antiautoritären Schülergruppen in eine Krise
gestürzt. Wenn einzelnen Genossen ein Schulverweis oder ein
Gerichtsverfahren drohte, konnte kein Widerstand organisiert werden,
weil mehrere Genossen gerade "politisch frustriert" oder "abgeschlafft"
waren.
Ausgehend von diesen Erfahrungen verstanden wir unter "Leninismus" eine
Organisationstheorie, mit deren Hilfe die bisherige Unverbindlichkeit
überwunden werden konnte. In einer bis dahin antiautoritären
Schülergruppe, die mit ihrer buntscheckigen Politik an Grenzen
gestoßen war, konnten verbindliche Diskussionsformen und
zuverlässige Praxis scheinbar nur unter Berufung auf einen
Säulenheiligen, der Arbeiterbewegung durchgesetzt werden.
Protokollschreiben und Pünktlich-sein waren nur auszuhalten in dem
Gefühl, damit weltgeschichtlich bewährten Prinzipien gerecht
zu werden.
Neben unserer Schulung begannen wir, uns an der Arbeit der kleinen und
wenigen Gewerkschaftsjugendgruppen des Gebietes zu beteiligen,
natürlich unter strenger Absetzung von all dem, was wir davor
getan hatten. Die Mitarbeit in der Gewerkschaftsjugend erwies sich bald
als sehr erfolgreich, denn einerseits konnten wir uns aufgrund unserer
Kenntnisse und politischen Erfahrungen bald unentbehrlich machen, zum
anderen waren wir nach den vorherigen Niederlagen bescheiden genug, um
uns geduldig und ausdauernd in der neuen politischen Umgebung
einzufühlen. Gemeinsam mit zwei rührigen sozialdemokratischen
Jugendsekretären und einer Anzahl sehr aktiver Lehrlinge gelang
es, innerhalb eines Jahres 14 neue Gewerkschaftsjugendgruppen
aufzubauen. Die etablierte rechtssozialdemokratische Bürokratie
verfolgte diese Bemühungen zwar mit Stirnrunzeln, konnte aber
aufgrund der "positiven Mitgliederentwicklung" kaum etwas anderes tun,
als im Apparat gewisse Fußangeln auszulegen. Nach der langen und
mühseligen Suche nach einem politischen Bezugspunkt, stellte diese
Entwicklung für uns ein riesiges Erfolgserlebnis dar. Unser
"Bruch" mit der antiautoritären Vergangenheit schien durch die
Praxis bestätigt und wir kamen uns als Intellektuelle vor, die mit
ihrer alten Umgebung gebrochen hatten, um hingebungsvoll der
Arbeiterklasse zu dienen.
Fraktionsarbeit für die KPD/AO
Die Ferien im Sommer 1970 hatte ich mit meiner Freundin in Berlin
verbracht, wo wie immer während der Semesterferien alles ziemlich
tot war. Wir hatten deshalb einfach die Kontaktnummern der drei
Berliner Organisationen KB/ML, PI/Pi und KPD/AO angerufen. Wir hatten
dabei eigentlich kein gezieltes Interesse, bisher kannten wir uns in
der Frankfurter und Heidelberger Szene aus und wollten nun
anläßlich unseres Ferienaufenthaltes mal hören, was die
Berliner Genossen zu sagen wußten. Im übrigen gingen wir
viel ins Schwimmbad, liefen abends in der Ku-Damm-Gegend herum oder
machten regelrechte "Ausflüge" nach Kreuzberg und in den Wedding,
wo wir mit großen Augen alles anguckten.
Die einzige Organisation, die überhaupt unter der angegebenen
Telefonnummer zu erreichen war, war die "KPD/Aufbauorganisation", so
daß wir uns nur mit zwei Mitgliedern dieser Gruppe treffen
konnten. Denen berichteten wir über das Gebiet, aus dem wir
stammen, unseren "Bruch mit dem Antiautoritarismus" und die daran
anschließende Gewerkschafts- und Schulungsarbeit. Das
Erzählte wurde sehr beifällig aufgenommen und in einer
schwarzen Kladde sorgfältig notiert - was uns das Gefühl
vermittelte, sehr wichtige Informationen zu geben. Anschließend
sagte einer von denen einiges über die "Prinzipien und Positionen"
seiner Organisation, was nur wenig über das hinausging, was uns
bereits aus der "Roten Presse Korrespondenz" bekannt war.
Schließlich wurde vereinbart, sich künftig gegenseitig zu
informieren. Wir erklärten uns bereit, Material über unsere
Gegend für die "nationale Untersuchungstätigkeit" der
KPD/Aufbauorganisation bereitzustellen, im Austausch sollten wir ab
sofort 5 Exemplare der "Roten Fahne" erhalten, damit wir uns über
"Fortschritte und Weiterentwicklung der Linie" der KPD/AO informieren
könnten.
Wir waren von diesem Gespräch recht angetan, fühlten uns von
einem führenden Genossen einer Organisation, die zunehmend von
sich reden machte, bestätigt. Ich schickte jetzt häufig
Arbeitsmarktberichte, Gewerkschaftsmaterial u.ä. nach Berlin, in
der Vorstellung, damit die wissenschaftliche Vorbereitung des
bundesweiten Aufbaus einer Arbeiterpartei zu unterstützen.
Außerdem beschäftigte ich mich intensiv mit dem mir
zugeschickten Propaganda-Material und begann auf der dort formulierten
Linie zu argumentieren. Bei meinen Genossen stieß ich damit
vorerst auf Skepsis, denn einige sympathisierten mit anderen
SDS-Splittern, z.B. der "Gruppe Rotes Forum", die aus dem Heidelberger
SDS hervorgegangen war. Unsere Schulungssitzungen über "Leninismus
ja oder nein?" verflachten jetzt vollends zur Debatte über "KPD/
AO ja oder nein". Dabei kam mir zugute, daß die Organisation in
ihren Publikationen ständig den Eindruck herzustellen vermochte,
als gebe es einen nationalen Aufbauplan "der Partei", der binnen zwei
Jahren dazu führen müsse, daß auch in entlegenen
Gebieten wie dem unsrigen die Aktivitäten in den Rahmen einer
revolutionären Arbeiterpartei eingebunden werden könnten.
Die unterschiedlichen Neigungen für sich gerade entwickelnde
ML-Parteien behinderten unsere Arbeit in der Gewerkschaftsjugend damals
in keiner Weise, denn zwischen dem Parteigründungs-Fieber und den
Aufgaben unserer neugegründeten Gewerkschaftsgruppe lagen ohnehin
Welten. Für unsere Kollegen und Genossen in der Gewerkschaft, die
sich nicht nur in ihrer betrieblichen Arbeit, sondern auch
gegenüber der gewerkschaftlichen Bürokratie behaupten
mußten, war das, was wir ihnen über die Notwendigkeit einer
revolutionären Kaderpartei erzählten, für lange Zeit
etwas Exotisches, von ihrer Arbeit völlig Getrenntes. Sie nahmen
uns das aber auch nicht weiter übel, sondern betrachteten unsere
Darlegungen zu diesem Thema fast liebevoll als die intellektuellen
Eierschalen, die uns wohl noch unter den Armen klebten.
Ungeachtet aller Debatten über die "richtige Linie" hatten wir zu
den damals existierenden ML-Parteien eher ein spielerisches
Konsumentenverhältnis. Was an Informationen und Argumenten aus den
Zeitungen verwertbar schien, machten wir uns ebenso zunutze wie
bestimmte formalisierte Arbeitsweisen. Alles, was nicht als einsichtig
erschien, konnten wir jederzeit ignorieren - "Was in Berlin geht,
muß ja noch lange nicht in der Provinz gehen."
Dieses Verhältnis zur ML-Bewegung änderte sich, als die KPD/
AO aus Berlin einen dreiköpfigen "Untersuchungstrupp" in unser
Gebiet entsandte, der die Verhältnisse "vor Ort" kennenlernen und
unsere Bindung an ihre Organisation forcieren sollte. Für
derartige Unternehmungen existierte in der Organisationssprache der
Begriff "Untersuchungen führen und organisieren", der
"marxistisch-erkenntnistheoretisch" hergeleitet wurde und darauf
hinauslief, das Potential westdeutscher Gruppen in etwa
einzuschätzen und diese, wo möglich, einzugemeinden.
Uns erschien der angekündigte Besuch des "Untersuchungstrupps" als
bedeutungsvolles Ereignis, dem wir uns auf der vollen Höhe unserer
"marxistisch-leninistischen Umgestaltung" stellen mußten. Das
Treffen wurde nach außen als "Meinungsaustausch" deklariert,
obwohl für alle Beteiligten unausgesprochen klar war, daß am
Ende eine feste Zusammenarbeit mit der KPD/AO stehen würde. Unter
den Genossen aus Berlin, die im Abstand von zwei Tagen bei uns
eintrafen, waren auch zwei ZK-Mitglieder, was uns als Ausdruck
besonderer Wertschätzung erschien. Erst später erfuhr ich,
daß damals ohnehin mehr als ein Drittel der KPD/AO-Mitglieder
gleichzeitig im ZK saß, diese typischen Wasserkopf-Merkmale
konnten wir damals allerdings schwerlich überblicken.
Die Genossen betonten, daß sie gerade von längeren
"Untersuchungsfahrten" aus dem Ruhrgebiet und Baden-Württemberg
kämen und vermittelten uns den Eindruck, als würden gerade
Dutzende solcher Trupps quer durch die BRD reisen und ein sich
ständig verdichtendes Netz von Kontakten, Sympathisantengruppen
und Anlaufstellen schaffen. Der "Parteiaufbau" schien ein sehr
dynamischer Prozeß zu sein, jedenfalls war viel vom mühsamen
Kaderleben auf der Autobahn die Rede.
Der "politische Meinungsaustausch" fand in Gestalt längerer
.Gespräche in Cafés und Weinstuben sowie bei einigen
"Untersuchungsfahrten" statt, bei denen neben den größeren
Industrie-Betrieben auch Burgruinen, Aussichtspunkte und das Denkmal
des „Jägers aus Kurpfalz" besichtigt wurden. Am Ende ihres
Besuches hatten die Vertreter der KPD/AO es geschafft, die noch
bestehende Skepsis auszuräumen. Die Kontakte nach Berlin waren nun
nicht mehr meine Privatsache, sondern ein Bestandteil des gemeinsamen
Selbstverständnisses unserer Gruppe geworden. Wir sind zweifellos
der KPD/AO wie ein reifer Apfel in den Schoß gefallen - was mir
später in der "Partei" als "gute Vorarbeit" hoch angerechnet wurde
und meinen anfänglich guten "Draht" zu verschiedenen
"führenden Genossen" der Organisation begründete.
Die wirklichen Gründe dieses raschen Übergangs lagen aber
woanders. Zunächst empfanden wir es als äußerst
schmeichelhaft, daß sich Vertreter einer Organisation, die
anscheinend gerade dabei war, die gesamte westdeutsche Linke
aufzurollen und zu vereinheitlichen, mit unseren Erfahrungen und
Problemen offenbar sehr ernsthaft auseinandersetzen wollten. Weiterhin
hatten wir das Bedürfnis, unsere Schwierigkeiten und Erfolge in
der gewerkschaftlichen Jugendarbeit mit anderen Genossen zu bereden und
in irgendwelche übergreifenden Zusammenhänge einbringen zu
können. Ebenso wie andere ML-Parteien stieß die KPD/AO mit
ihrem Angebot einer organisierten Zusammenarbeit und einer
ständigen Beratung und Rückkoppelung in eine Marktlücke.
Auch die organisatorischen Vorgaben der ML-Parteien in Form von
Zeitungen, Flugblättern und Informationsheften mußten auf
Provinzgruppen, die meistens ohne jegliche technische Ausrüstung
dastanden, unwiderstehlich wirken. Schließlich war die
Vorstellung, mit der eigenen politischen Alltagsarbeit zugleich
"höheren" Zielen, nämlich dem "Zusammenschluß der
Arbeiterklasse" und der "Schaffung der K.P." zu dienen ein tolles
Mittel, sich über die eigene, häufig als mißlich
empfundene Realität zu erheben.
Gründung einer kommunistischen Jugend-Organisation
Getreu der Absprachen mit den Kontaktpersonen der KPD/AO begannen wir
nun, die Gründung einer kommunistischen Jugendorganisation
vorzubereiten. Diese sollte der KPD/AO zwar politisch unterstellt sein,
in praktischer und organisatorischer Hinsicht aber selbständig
arbeiten. Wir begannen uns wieder nach Genossen umzusehen, da wir uns
zu fünft ja nicht gut selbst zur Organisation ernennen konnten.
Eine Rekrutierung in der Gewerkschaftsjugend unter offen
kommunistischen Zielsetzungen war allerdings zunächst noch
ziemlich heikel. Leichter war es da schon, Verbündete unter den
Resten der Schülerbewegung zu finden. Da wir diesen Genossen als
die Erfolgreichen gegenübertreten konnten, die sich nicht nur in
der Gewerkschaft neue Betätigungsfelder erschlossen, sondern jetzt
auch die KPD/AO im Rücken hatten, gelang es innerhalb weniger
Monate in mehreren Kleinstädten, in denen vorher eine
antiautoritäre Bewegung existiert hatte, kleine Niederlassungen zu
schaffen.
Die neue Zielsetzung machte es nun auch erforderlich, Flugblätter
und "nationale Aufrufe" der KPD/AO vor Betrieben zu verteilen und in
der Öffentlichkeit als "Kommunist" aufzutreten. Als erstes
Versuchsobjekt wählten wir uns ein ziemlich abgelegenes Drahtwerk
mit 300 Belegschaftsmitgliedern. Hier bestand keine Gefahr, von allzu
vielen Leuten beobachtet zu werden. Offizielle Begründung für
die Auswahl dieses Drahtwerkes war dagegen, daß es zum
Thyssen-Konzern gehört, der von der KPD/AO als
"strategisch-wichtig" eingeschätzt wurde.
Da zu befürchten war, etliche der als Verteiler bestimmten
Genossen würden verschlafen oder könnten sich drücken,
trafen wir uns am Vorabend des ersten "Agit-Prop-Einsatzes" in einer
Kneipe, um letzte Verhaltensmaßregeln auszugeben. Dieses Treffen
zog sich bis 4 Uhr morgens hin, so daß wir gleich aus der Kneipe
zum Betrieb fahren konnten. Dort versuchten wir in ziemlich besoffenem
Zustand,- den verschlafenen und mürrischen Arbeitern unsere
"Rote-Fahne-Sonderdrucke" in die Hand zu drücken. Für deren
indifferente und kopfschüttelnde Reaktionen hatten wir eine
ebenfalls recht besoffene Erklärung parat: Die Reaktionen der
Arbeiter bewiesen, daß der Betrieb vermutlich seit der Weimarer
Republik nicht mehr mit kommunistischer Propaganda versorgt worden sei.
Man sehe daran, wie "bitter notwendig" die "Schaffung der KPD" heute
sei.
Weiter führten wir sog. "Ermittlungsgespräche" durch. Man
traf sich unter Wahrung von allerlei Vorsichtsmaßnahmen mit einem
oder mehreren Kollegen aus einem bestimmten Betrieb und versuchte,
mithilfe eines vorgefertigten Fragebogens Informationen über
diesen Betrieb zu erlangen. Diese wurden in "Untersuchungsberichten"
zusammengefaßt und nach Berlin geschickt. Wir hatten die
Vorstellung, daß diese Berichte in Berlin von den
"wissenschaftlichen Kommissionen des Zentralkomitees" bearbeitet
würden, zumal derartige Berichte auch immer wieder angefordert
wurden. Später konnte ich erleben, wie sie flugs in den unteren
Schreibtischschubladen „führender Genossen" verschwanden.
Es gab eine ganze Menge solcher in Wahrheit völlig
überflüssiger und sinnloser Verrichtungen, denen aber
organisationsintern ein äußerst hoher Stellenwert zugemessen
wurde. Der lag aber nicht in der Wichtigkeit dieser Verrichtungen
für die praktische Arbeit als vielmehr in ihrer Bedeutung für
die Bildung des "Kaderbewußtseins", also des Gefühls, Teil
einer exklusiven Elite der Linken zu sein. Das Unverständnis
Außenstehender für die merkwürdigen Gebräuche
innerhalb der KPD/AO stellte diese nicht in Frage, sondern
bestätigte geradezu das gehobene Selbstgefühl der Kader.
Dazu trug auch der Umstand bei, daß Besprechungen mit Vertretern
der KPD/AO des öfteren Kurzreisen nach Berlin notwendig machten.
Solche Reisen waren gelegentlich mit Auftritten auf den Berliner
"Großveranstaltungen" der KPD/AO gekoppelt, was eine besondere
Form der "Belohnung" darstellte. Mein erstes Schlüsselerlebnis
dieser Art war eine Rede auf einer Berliner 1. Mai-Veranstaltung.
Mitten in der sehr hektischen Vorbereitung für unsere eigene, von
der DGB-Jugend durchgeführte Demonstration, erhielt ich einen
Anruf aus Berlin, ich solle unbedingt auf der dortigen
"Großveranstaltung" über unsere Arbeit in der
Gewerkschaftsjugend und den Stand unserer Mai-Vorbereitungen berichten.
Da ich vermutlich sehr in die örtliche Arbeit eingespannt sei,
würde die .Organisation die Kosten für ein Flugticket
übernehmen.
Da es am absoluten Vorrang dieses Ansinnens keinen Zweifel geben
konnte, setzte ich mich ins Flugzeug nach Berlin und wurde dort von
einem Genossen abgeholt. In dessen Wohnung bearbeiteten wir das von mir
mitgebrachte Redemanuskript, das ich selbst bereits so abgefaßt
hatte, daß die Informationen über unsere Maikampagne in die
politischen Schlußfolgerungen der KPD/AO mündeten und deren
Parolen bekräftigten. Zusätzlich bauten wir,was ich noch
nicht gelernt hatte, in das Manuskript solche Absätze ein, die
Beifallskundgebungen des Publikums zwingend hervorrufen mußten.
Mit dem so überarbeiteten Redetext fuhren wir in eine Wohnung, wo
der für die Durchführung der Veranstaltung gebildete "Stab"
tagte. Dort saßen eine Anzahl "prominenter Genossen" herum, das
Telefon klingelte, die Türen klappten, in den Ecken lagerten
große Stapel von Flugblättern. Mein Manuskript wurde
nochmals durchgesehen, weitere beifallsträchtige Wendungen
eingebaut. Große rote Kreuze markierten die Passagen, nach denen
ich kurz einhalten sollte, damit geklatscht werden konnte. Ganz
beiläufig wurde ich auch zum tatsächlichen Stand unserer
Mai-Vorbereitungen befragt und erhielt das Geld für das Flugticket.
Beim Betreten des für meine Begriffe riesigen, sich in einem stark
verräucherten Zwielicht erstreckenden Saales hatte ich das
Gefühl, kurz vor einer bedeutenden Bewährungsprobe zu stehen.
Ich hatte zwar in den vergangenen Jahren häufig und routiniert auf
Versammlungen mit einigen hundert Teilnehmern gesprochen, hier
herrschte aber - verstärkt durch die sorgfältige
Ausschmückung des Saales mit einer Unmenge von roten Transparenten
und Organisationsemblemen - eine Atmosphäre von Gigantismus,
strenger Regelhaftigkeit und Mummenschanz, die das Gefühl
entstehen ließ, an einer höchst bedeutungsvollen Handlung
mitzuwirken.
Ich war natürlich viel zu aufgeregt, um dem Verlauf der
Veranstaltung zu folgen. Als ich an der Reihe war, wurde ich von einem
ZK-Mitglied durch die den Podiumsaufgang fest abriegelnden Ordnerketten
manövriert, versuchte, mit möglichst festen Schritten das
Rednerpult zu erreichen und bekam gerade noch mit, daß ich als
junger Gewerkschafter aus..." angekündigt wurde, was bereits
frenetischen Beifall hervorrief. Meine Rede muß ich wohl
einigermaßen "kämpferisch" vorgetragen haben, jedenfalls kam
an den rot angekreuzten Stellen der vorprogrammierte Beifall. Nach
Beendigung meiner Rede verließ ich mit weichen Knien das Podium
und wurde von mehreren Mitgliedern des "Stabes"
händeschüttelnd und schulterklopfend belobigt. Die
bereitstehende KSV-Genossin, die mich zum Flughafen fahren sollte,
wurde herangewinkt, wir verließen den lärmenden,
ständig in Beifallsstürme ausbrechenden Saal. Knapp eine
Stunde später saß ich unter schläfrigen
Geschäftsleuten und Berlin-Touristen in einer Panam-Maschine
Richtung Frankfurt.
Derartige Ausflüge in die "große Welt“ der
Organisation wirkten auf mich, ebenso wie auf andere Genossen, die
später in den "Genuß" derartiger Auftritte kamen, wie eine
Droge. Sie erzeugten einen unpolitischen, rein atmosphärischen
Enthusiasmus und verstärkten dadurch die Loyalität
gegenüber der KPD/AO. So wurde unser Verhältnis zur
Aufbauorganisation auch durch die im Sommer 1971 überraschend
vollzogene Umbenennung in "KPD" nicht ernsthaft berührt. Die in
einer "Programmatischen Erklärung" aufgestellte Behauptung, die
KPD/Aufbauorganisation sei im Grunde von Anfang an eine Kommunistische
Partei gewesen, erfüllte uns zwar mit Unbehagen. Aber die
Identifikation mit dieser Organisation und die Angst um unsere eigene
Identität waren bereits zu groß, um einen ernsthaften
Konflikt um die Umbenennung zu führen. Spätestens hier setzte
auch bei uns das ein, was bis heute viele Genossen in den ML-Gruppen
veranlaßt, völlig unausgewiesene und unmotivierte
Linienschwenks ihrer "Führungen" demütig und ohne unangenehme
Fragen mitzumachen. Jede harte Kritik könnte das Verhältnis
zur Organisation und damit die eigene Identität gefährden.
Stimmungswende in der Gewerkschaftsjugend
Für unsere Arbeit in den Gewerkschaftsjugendgruppen bedeutete
unser Anschluß an die KPD/AO, daß wir uns nicht mehr
einfach als normale Mitglieder und Kollegen begriffen. Wir waren jetzt
eine "kommunistische Fraktion", deren Aufgabe nicht nur in
Gewerkschaftsarbeit bestand, sondern in der viel wichtigeren
Verbreitung der "Erkenntnis", daß der gewerkschaftliche Kampf
nicht ausreicht, um die Interessen der Arbeiterklasse zum tragen zu
bringen, daß vielmehr der Staatsapparat zerschlagen werden
müsse und dergleichen mehr. Wir bemühten uns daher, die
radikaleren und aktiveren Kollegen in unsere Aktivitäten
hineinzuziehen und sie für unsere Kommunistische
Jugend-Organisation zu gewinnen. Dabei kam uns sehr gelegen, daß
die Gewerkschaftsbürokratie sich allmählich gegen die
Ausweitung linker Jugendarbeit zu wehren begann und verschiedentlich
Aktivitäten der Jugendgruppen sabotierte oder direkt verbot. Dies
hatte in den Jugendgruppen schon bei der Vorbereitung auf eine
Demonstration zum 1. Mai böses Blut geschaffen. Der lang
angestaute Konflikt brach durch, als der, DGB-Kreisvorsitzende den
Jugendgruppen die Verteilung einer Flugblattserie untersagte, in der
die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes durch die
SPD/FDP-Regierung kritisiert wurde.
Auf einer daraufhin anberaumten DGB-internen Diskussionsveranstaltung,
an der auch eine Anzahl erwachsener Kollegen, darunter mehrere
linkssozialdemokratische und DKP-orientierte Betriebsräte
teilnahmen, wurde dem DGB-Vorsitzenden so hart zugesetzt, daß er
das Verbot der Flugblattserie rückgängig machte. Zwei Tage
später kam ein erneutes Verbot der Flugblätter, diesmal vom
Landesvorstand des DGB und verbunden mit der Drohung, alle
Jugendgruppen des Kreises aufzulösen.
Diese Vorgänge erschütterten bei zahlreichen Lehrlingen und
Jungarbeitern die fest verankerten Vorstellungen von
innergewerkschaftlicher Demokratie und schufen einen fruchtbaren Boden
für unsere Propaganda. So gelang es binnen weniger Wochen,
große Teile der Gewerkschaftsjugend für die örtlichen
ML-Zirkel zu gewinnen. Erst dadurch entstand aus den
ML-Propaganda-Zirkeln so etwas wie eine regionale kommunistische
Jugendorganisation, die in ihren besten Zeiten bis zu 120 Mitglieder
hatte.
Auf einer Mitgliederversammlung der Kommunistischen Jugendorganisation
wurde dann auf Vorschlag der "KPD" über den 5 Ortsgruppen eine
"Zentrale Leitung" installiert. Eine aus Berlin angereiste "Delegation"
der "KPD" legte eine Liste von 10 Genossen vor, die jene "Zentrale
Leitung" bilden sollten; neben einigen „ideologisch weit
fortgeschrittenen" Jungarbeitern im wesentlichen ehemalige
Schüler, die nach wie vor den politischen Kern der Gruppen
darstellten. Diese Mitgliederversammlung fand in einem evangelischen
Jugendheim statt, das uns ein mit der DKP sympathisierender Pfarrer zur
Verfügung gestellt hatte, der von seiner Kirchenleitung aufs
flache Land verbannt worden war. Aufgrund seiner politischen
Orientierung und einer tiefgreifenden Abneigung gegen die Politik der
VR China reagierte er voller Abwehr, als er erfahren mußte, zu
welchem Zweck wir uns in seinem Jugendheim versammelt hatten. Der
drohende Eklat konnte allerdings von einem der angereisten
"KPD"-Vertreter abgewendet werden, der seine bildungsbürgerliche
musische Bildung in die Waagschale warf, indem er die Dorfkirche zu
besichtigen wünschte und dort auf der Kirchen Orgel ein
improvisiertes Konzert gab. Der Genosse Pfarrer war tief beeindruckt
und kurzfristig bereit, mit "den Maoisten" die Friedenspfeife zu
rauchen.
Nach Berlin - Kontinuität und Bruch
Ich war an der Bildung der "Zentrale" kaum noch beteiligt, denn seit
ein paar Wochen hatte ich meine Zulassung zum Germanistik-Studium an
der FU Berlin in der Tasche und bereitete meinen Umzug vor. Obwohl ich
den vorläufigen Abschluß des Organisationsaufbaus als
Erfüllung langgehegter Jugendträume betrachtete, hatte ich
auch das Gefühl, meine Schuldigkeit getan zu haben. Diese Haltung
löste einige Kontroversen mit der „Partei" aus. Einige Kader
versuchten mich als dienstältesten Sympathisanten der Gegend zu
überreden ' entweder in einer nahgelegenen Uni-Stadt zu studieren
und dort für die weitere Ausbreitung der Organisation zu arbeiten
oder, noch besser, ins Ruhrgebiet zu ziehen, wohin die "KPD"
künftig den Schwerpunkt ihrer Arbeit verlegen wollte.
Ich war gegenüber solchen Ansinnen hart geblieben, denn ich wollte
unbedingt studieren, nach den langen Jahren in der Diaspora
möglichst in einer der vermeintlichen "Linken Hochburgen". Nach
dem Ende meiner Schulzeit wollte ich auch nicht schon wieder
irgendwelche Organisationen aufbauen, sondern neben politischer Arbeit
auch Ausstellungen besuchen, ins Theater gehen und an
Universitäts-Seminaren teilnehmen. Diesen Standpunkt konnte ich
einem unserer "KPD"-Betreuer verständlich machen. Er erklärte
sich bereit, mit dem "Kader-Verantwortlichen des ZK" in dem Sinne zu
sprechen, daß ich "vorläufig" nach Berlin übersiedeln
sollte, um dort, wo die "Organisationstätigkeit am weitesten
fortgeschritten" sei, "im Apparat" den letzten Schliff zu erhalten.
Ich verlegte also meinen Wohnsitz nach Berlin und zog in eine
Wohngemeinschaft, in der ausschließlich Mitglieder und
Sympathisanten "der Partei" lebten und in der eine Kammer leer stand.
In den ersten Wochen mußte ich mit den üblichen
Anfangs-Schwierigkeiten kämpfen: ungenügende Ortskenntnisse,
Schwierigkeiten, mein Leben unter neuen Bedingungen sinnvoll zu
organisieren, Hilflosigkeit gegenüber dem Uni-Betrieb.
Der Umstand, daß ich mich von der ersten Minute an in Berlin "im
Rahmen der Partei" bewegte, vergrößerte meine
Eingewöhnungsschwierigkeiten beträchtlich. Da ich binnen
kürzester Zeit in "die Partei" aufgenommen werden und in einer
Betriebszelle arbeiten sollte, sah ich mich der Erwartung ausgesetzt,
meine Schwierigkeiten schnellstens zu überwinden, um für "die
Partei" einsatzfähig zu sein. Einstweilen war es jedoch so,
daß ich sehr unter dem Verlust der mir vertrauten Umgebung und
der jahrelang gewachsenen persönlichen und politischen Bindungen
litt. Auch wurde ich von den "Parteigenossen" nun nicht mehr als
Repräsentant einer erfolgreichen Politik in einem abgelegenen
Winkel der BRD bewertet, sondern als junger Typ mit ganz guten Anlagen,
der sich möglichst schnell und glatt in den
Organisationsmechanismus einzufügen hatte. Besonders unangenehm
war, daß man mir in meiner Einarbeitungszeit" keinerlei
präzise umrissenen Aufgaben gegeben hatte und ich folglich von
jedermann allerlei technische Arbeiten zugeteilt bekam, die ich kaum
ablehnen konnte, da ich ja "nichts zu tun" hatte. Ich rotierte also
quer durch alle Bereiche der Organisation und erledigte all die
Hilfsarbeiten, für die die Kader keine Zeit hatten. Etwa sonntags
früh in eine - mithilfe des Stadtplans zu ermittelnde - Wohnung
fahren, um dort 15.000 türkische Flugblätter abzunudeln. So
etwas war äußerst frustrierend: man fuhr in eine Wohnung,
mit der man nichts verband, um dort für irgendwelche Genossen, die
man nicht kannte, Tausende von Flugblättern abzuziehen, über
deren Inhalt man ebensowenig wußte, wie über den
Zusammenhang, in dem sie notwendig waren. Da ich wochenlang 6 - 8
Stunden am Tag mit solchen entfremdeten Verrichtungen beschäftigt
war, stellte sich bald das Gefühl ein, in einer unendlichen
Tretmühle gelandet zu sein. Eine Änderung dieser
mißlichen Lage erhoffte ich mir von der endgültigen Aufnahme
in die „Partei".
Genosse Jakob
Ein wirklicher Meister in der Kunst, über seine Umgebung zu
verfügen, war der zu meiner Wohngemeinschaft gehörende
ZK-Genosse 'Jakob', der seine "Leitungstätigkeit" tatsächlich
mit - wie er heute zugibt* - "süffisanter Schlampigkeit"
ausübte. Genosse Jakob, der den Film "Thomas Ceown ist nicht zu
fassen" überaus ätzte und sich mit dem von Steve McQueen
dargestellten Typus ,des smarten Gentleman-Bankräubers
identifizierte, dachte häufiger nach, ob nicht dessen Lebensweise
durchaus eine ernstzunemende Alternative zu der Tätigkeit im ZK
der "KPD" sein könne. Und wie Thomas Crown war er auch für
die anderen Genossen "nicht zu fassen".
Jedenfalls verstand es Genosse Jakob vortrefflich, unter Hinweis auf
langfristig anstehende Ausarbeitungen, mit denen er vom ZK beauftragt
war, sich aller technischen und organisatorischen Arbeit zu entziehen,
einschließlich der in der Wohngemeinschaft anfallenden
Hausarbeit. Es gelang ihm immer wieder, nicht nur die WG-Mitglieder,
sondern auch seine Freundin dazu zu bewegen, an seiner Stelle die
Verpflichtungen zum Flugblattverteilen wahrzunehmen. Währenddessen
verbrachte er große Teile des Tages vor dem Fernseher, die
Übertragungen der Winter-Olympiade betrachtend.
Solche Verhaltensweisen wären nicht weiter anzumerken, hätten
sie nicht in einem empörenden Kontrast zum Tagesablauf der
"normalen Kader" gestanden, die 8 bis 10 Stunden am Tag von Termin zu
Termin hetzten. Es geht hier nicht darum, den Genossen Jakob im
Nachhinein anzupinkeln. In meiner Erinnerung personifiziert er aber
eine häufig anzutreffende, ganz handfeste Privilegierung der auf
"höheren Ebenen" tätigen Kader. Die Mitglieder der Leitungen
waren häufig mit längerfristigen Ausarbeitungen
beschäftigt, die es ihnen ermöglichten, bestimmte unangenehme
Alltags-Arbeiten abzulehnen, sie waren in ihrer Zeitplanung flexibler
und keinen Kontrollen unterworfen. Und ihre Leitungstätigkeit
bestand großteils ohnehin darin, halbe Tage in irgendwelchen
Uni-Vorhallen oder Wohnungen zu sitzen und Genossen aus den
verschiedenen Bereichen der Organisation zu empfangen, mit ihnen
über anstehende Probleme zu reden bzw. sie zu "instruieren".
Aufnahme in die "Partei" und "Parteikonferenz"
Nachdem ich mich zwei Monate lang bei vielerlei Hilfsarbeiten
"bewährt“ hatte, schlug ZK-Genosse Jakob mich zur Aufnahme
in die "Partei" vor. Als besonderes Verdienst wurde hervorgehoben,
daß ich bis zu viermal in der Woche morgens um 5 Uhr für
jeweils 2 - 3 Stunden vor Betrieben Flugblätter verteilt hatte.
Aufgrund dieses "Verdienstes" waren übrigens meine
anfänglichen Bemühungen, wenigstens 2 Uni-Seminare in meiner
"Freizeit" zu besuchen, im Sande verlaufen. Wenn ich morgens um 9 Uhr
durchgefroren und übermüdet vom Flugblattverteilen
zurückkam, ging ich nicht mehr ins Seminar, sondern schlief
erstmal ein paar Stunden und versuchte die ganze Frustration zu
vergessen.
Bevor ich endgültig zum "Parteikader" wurde, mußte ich einer
"Aufnahmekommission" des ZK einige Fragen zur "Linie der Partei"
beantworten, etwa vom Kaliber: "Warum hat die KPD/AO von Anfang an die
Aufgaben einer Kommunistischen Partei wahrgenommen?" oder "Welche
Position vertritt unsere Partei gegenüber den Verdiensten und
Fehlern des Genossen Stalin?" Diese Prozedur empfand ich als peinlich
und albern, letztendlich war mir das aber egal, versprach doch die
Aufnahme in "die Partei" ein Ende des Status eines "Sympathisanten vom
Dienst", der jederzeit jedem Parteikader dienstbar zu sein hatte. Wie
man mir bedeutungsvoll mitteilte, hatte man meine Aufnahme
"beschleunigt, um (mir) Gelegenheit zu geben, an der bevorstehenden
Parteikonferenz (eine Art 'kleiner Parteitag') bereits als Mitglied der
Partei" teilzunehmen.
Die Konferenz fand in einem ehemaligen Kino statt, auf der mit
gleißendem Scheinwerferlicht angestrahlten Empore saß das
"Zentralkomitee", die ca. 150 "Parteimitglieder" waren dagegen im
Halbdunkel der Stuhlreihen versteckt. Im Verlauf der Veranstaltung kam
es zu zwei Eklats, die bei vielen "einfachen Mitgliedern" Zweifel
über den "demokratisch-zentralistischen Charakter" ihrer "Partei"
hervorriefen. Eine von der "Partei-Führung" vorgelegte Resolution,
wonach es ab jetzt unter keinen Umständen mehr irgendwelche
Aktionseinheit mit "Revisionisten" geben sollte, stieß auf den
Widerspruch eines Mitgliedes, das auf dieser Konferenz ins ZK
gewählt werden sollte. Mit seiner Position konnte er auf die,
allerdings stillschweigende, Zustimmung vieler "einfacher Genossen"
rechnen. Insbesondere die wenigen "proletarischen Kader" wußten
genau, daß man im Betrieb hier und da durchaus mit SEW-Kollegen
gemeinsame Sachen machen konnte.
Aber die Einwände des Genossen wurden von der Kinobühne her
hart und ultimativ abgebügelt. Zahlreiche Genossen
äußerten sich nur deshalb nicht, weil sie sich nicht
trauten, dem ZK zu widersprechen. Daß das ZK die Aufnahme des
Genossen in seine erlauchten Reihen anschließend aufgrund der
"zutagegetretenen ideologischen Unklarheiten" ablehnte, führte
jedermann vor Augen, daß man sich mit dem "Zentralkomitee" besser
nicht anlegte.
Zum zweiten Zwischenfall kam es, als eine Betriebszelle beantragte,
zwei Mitglieder des "Zentralkomitees" nicht mehr zu wählen. Einer
der kritisierten Genossen war mein Mitbewohner Jakob, der sich,
vermutlich wieder mal im Zustand "süffisanter Schlamperei" dazu
hatte hinreißen lassen, verschiedenen, tief in der
Gewerkschaftsarbeit verwurzelten westdeutschen Gruppen die Einstellung
dieser Arbeit anzuempfehlen, da es sich ohnehin nur um
"ökonomistische Handwerkelei" handele. Dieser Vorwurf wurde von
den ZK-Genossen im Brustton der Entrüstung zurückgewiesen,
die Konferenz wurde für kurze Zeit unterbrochen, da die
Beschuldigungen nicht unmittelbar nachprüfbar seien.
Nach der Pause konnte die irritierte "Partei"-Basis erleben, wie der
Zellenleiter der Betriebszelle, aus der die Kritik kam, den Antrag auf
Nichtwahl der beiden ZK-Mitglieder zurückzog und der Rest der
Zelle sich dem brummelnd anschloß. Die Wahl des ZK konnte nunmehr
einstimmig erfolgen.
Leben in einer "Partei"-Wohngemeinschaft
In dieser Zeit zerstritt sich ein in unserer Wohngemeinschaft lebendes
Paar. Beide arbeiteten im KSV, bei der beteiligten Genossin löste
der Streit eine ernste psychische Krise aus, die sie bewog, ihren
bisherigen Einsatz für den KSV in Zweifel zu ziehen und ihre
Haltung gegenüber den anderen Gruppen der Berliner Linken neu zu
überprüfen. In diese Überprüfung schloß sie
auch die SEW (für den Rest der WG: Hauptfeind in der
Arbeiterbewegung") sowie die KPD/ML (damals Hauptkonkurrenz in der
ML-Bewegung) ein, so daß. in der Wohnung helle Empörung
gegen die Genossin entstand. ZK-Genosse Jakob führte gemeinsam mit
dem ranghöchsten KSV-Mitbewohner mit der aufgelösten und
verzweifelten Genossin zwei der sattsam bekannten
"Ermittlungsgespräche". Schließlich wurde ihr mitgeteilt,
sie müsse schnellstens aus der Wohnung ausziehen. Dies geschah
dann auch. Wie ich später erfuhr, mußte sich die Genossin
danach einer längeren psychiatrischen Behandlung unterziehen.
Dieser für uns alle beschämende Vorgang wurde nach einigen
pharisäerhaften und inhumanen Sprüchen für erledigt
erklärt. Eine Genossin, die Zweifel an der "Richtigkeit der Linie"
entwickelte und der es schlecht ging, stellte nicht nur für die
"Partei", sondern auch für die Wohngemeinschaft, in der sie lebte,
ein "Sicherheitsrisiko" dar.
Ich habe mich damals, sicher auch wegen meines eigenen,
ungeklärten Status gegenüber "der Partei", an der
gespenstischen Debatte über die Genossin "prinzipienfest"
beteiligt. Später konnte ich feststellen, daß ein derartiges
Verhalten gerade unter denjenigen, die in der Organisationshierarchie
weit unten standen, häufiger anzutreffen war. Ausgerechnet
diejenigen Genossen, die neu aufgenommen worden waren oder selbst von
"der Partei" kritisiert worden waren, geißelten bei anderen
Gelegenheiten angebliche "Abweichungen" am wütendsten und
argumentierten als 150prozentige Dogmatiker. Mir war seitdem allerdings
auch klar, wo Solidarität und Freundschaft meiner Mitbewohner
jederzeit ein abruptes Ende finden würden.
Da alle Kader unserer Wohnung in KSV-Zellen, Betriebszellen oder in
"Leitungsgremien" arbeiteten, niemand aber tatsächlich im Betrieb
war oder richtig studierte, entwickelte sich unser Zusammenleben in
seiner eigenartigen Gesellschaftsferne zu einer ausgesprochenen
Subkultur, ganz im Gegensatz zu den politischen Postulaten der
"Partei", wonach die Kader mit den "arbeitenden und studierenden
Massen" die alltäglichen Lebensbedingungen teilen sollten.
Mittelpunkt dieser Halbwelt war natürlich "die Partei", deren
politische und praktische Erfordernisse auch die Wohnsituation
unmittelbar prägten. So gab es innerhalb der Wohnung eine klare
Hackordnung, die der jeweiligen Stellung der WG-Bewohnerin der
Organisationshierarchie genau entsprach. Die Wohnung war im Hinblick
auf unsere persönlichen Umgangsformen ein Spiegelbild der
innerorganisatorischen Prozesse und war alles andere als ein Ruhepunkt,
wo man sich ausruhen und neue Kräfte sammeln konnte.
Die ständige Überlastung aller Bewohner ließ nicht nur
die kleinsten Reparaturarbeiten nicht mehr zu, sondern unterband auch
jegliche Form von Hausarbeit. Etwa 3 Monate nach meinem Einzug ging die
Wasserspülung der Toilette kaputt, auch noch bei meinem Auszug ein
halbes Jahr später stand stets ein gefüllter Wassereimer
neben dem defekten Klo. Abends zwischen 22 Uhr und 24 Uhr klingelte
häufig das, Telefon, hob man ab, war der "Agitprop-Leiter"
irgendeiner "Zelle" am Apparat, der dringend noch Verteiler für
irgendein Flugblatt suchte. An freien Abenden zuckte man
unwillkürlich zusammen, wenn nach 22 Uhr das Telefon klingelte.
Über diese Lebensweise wurde zwar viel gejammert, darin kam aber
auch reichlich Selbstzufriedenheit über das "harte Leben eines
Kommunisten" zum Ausdruck. Die tatsächliche Deklassierung und
Verlumpung, die wir alle zusammen mitmachten, galten als Beweis
besonders erfolgreicher "Umerziehung" und halfen eine elitäre
Haltung zu begründen, durch die wir uns von anderen Linken
abhoben, die etwas normaler lebten als wir.
Die Arbeit einer Betriebszelle der "Partei"
Die Betriebszelle, der ich angehörte, bestand aus 6 - 8
Mitgliedern, nur ein Genosse arbeitete im Betrieb. Zuvor hatte die
Zelle immerhin noch zwei Mitglieder und mehrere Sympathisanten im
Betrieb gehabt, seit der zunehmenden "Kaderumsetzung" nach
Westdeutschland, also der "entscheidenden Phase des nationalen
Parteiaufbaus", wurde die "Partei" in Berlin außerhalb der
Universitäten zu dem großmäuligen Papiertiger, als den
man sie in den letzten Jahren kennt. Dies war allerdings für Leser
ihrer Publikationen, insbesondere die damals noch zahlreichen
KSV-Studenten, kaum erkennbar, meldete die "Rote Fahne" doch Woche
für Woche die Gründung neuer Betriebszellen in westdeutschen
Großbetrieben. Daß diese westdeutschen Neugründungen
in Berlin zur inneren Auszehrung der ohnehin bescheidenen Ansätze
betrieblicher Arbeit -führten, war aus den Zeitungen nicht zu
ersehen.
Berlin 2003 - Revolutionsgraphik aus der SU
der 20iger Jahre als Streetartvorlage.
Nachdem die Verankerung unserer Zelle im Betrieb schon durch den
"nationalen Aufbau" stark gelitten hatte, brachte die Aufblähung
des "Partei"-Apparates - es entstanden immer neue "Leitungsebenen", die
von den in Berlin verbliebenen Genossen gebildet werden mußten -
unsere Betriebsarbeit fast völlig zum Erliegen. So kam es,
daß sich samstags abends 7 abgehetzte Kader trafen, die den Kopf
mit allerlei Leitungsproblemen voll hatten, aber keine Zeit und Energie
mehr, um sich nun auch noch über die Betriebsarbeit den Kopf zu
zerbrechen. Dazu kamen aber auch noch Flügelkämpfe, in denen
sich „ideologisch-klare, prinzipienfeste" Vertreter der
Führungsbeschlüsse mit "Rechtsopportunisten" stritten, die
ständig mit ihren "ideologischen Unklarheiten" nicht klar kamen.
In dieser Zeit war ich "Betreuer" eines 16jährigen Lehrlings, der
bei der "Stadtteilagitation" für den Kommunistischen Jugendverband
"gewonnen" worden war. Der war ein äußerst aufgeweckter Typ,
der angenehm abstach von den abgehetzten, nur noch Sprechblasen und
Parteiparolen ablassenden Jungkadern, entsprechend an seiner
Berufsschule und unter seinen Freunden auch sehr beliebt. Diesen
Lehrling sollte ich in kürzester Frist "ideologisch
qualifizieren", danach sollte er sofort in den Jugendverband
aufgenommen werden, da dort ein ziemlicher Mangel an derartigen
Jugendlichen herrschte - nach allem vorher beschriebenen kein Wunder.
Kurz vor seiner Aufnahme in den Jugendverband erklärte mir dieser
Lehrling, daß er doch keine Lust hätte, sich politisch zu
organisieren, er wolle auch mal mit Freunden zwei Monate durch
Frankreich trampen und ähnliche Sachen machen. Da man das aber als
"Mitglied" nicht könne, weil man nur 3 Wochen Urlaub im Jahr
hätte, wäre es ihm lieber, wenn er "Sympathisant" bleiben
könne. Diesen Argumenten stand ich trotz meines
Kader-Bewußtseins völlig hilflos gegenüber. Eigentlich
hatte ich auch gar keine Lust, dem Genossen zu widersprechen, weil ich
fand, daß er recht hatte. Mir wurde klar, daß wir mit
unserer Arbeitsweise und dem absolut unmenschlichen Klima in unseren
Organisationen niemals für Jugendliche, aber auch nicht für
erwachsene Arbeiter mit Familie, eine Perspektive darstellen
würden.
Studiums-Verbot und Strategie der Abnabelung
Im Gegensatz zu vielen Genossen, die in der damaligen Zeit die
völlige Trennung von Politik und Privatleben praktizierten und
unter diesem Widerspruch zu leiden begannen, wäre ich schon
für ein völlig abgetrenntes Privatleben dankbar gewesen. Ich
war nun seit einem Jahr in Berlin als Parteikader tätig, litt
immer stärker nicht nur unter dem Streß unserer Arbeit,
sondern auch unter dem Gefühl, daß das meiste, was wir
taten, weitgehend sinnlos war. Auch war ich ja nicht nur der
"Partei"-Arbeit wegen nach Berlin gekommen, sondern auch, weil ich
wissenschaftlichen und kulturellen Interessen nachgehen und in einer
Großstadt leben wollte. Alle diese Hoffnungen waren seit geraumer
Zeit unter einem Berg von Terminen, Sympathisantengesprächen,
Zellendiskussionen, Kommissionssitzungen und Flugblattstapeln
verschüttet - eine Situation, die ich solange zu ertragen bereit
war, wie ich politische Erfolge erwartet und die Hoffnung noch nicht
aufgegeben hatte, daß meine Bedenken und Vorschläge
angehört würden. Da ich meine von Anfang an als
zwiespältig empfundene neue Umgebung immer unerträglicher
fand, andererseits aber auch auf keinerlei Kontakte oder Freundschaften
außerhalb der Organisation zurückgreifen konnte, begann ich
darüber nachzudenken, wie ich der "Partei" unter Wahrung meines
politischen Anspruchs entfliehen könnte.
Mir fiel ein, daß ich nun schon seit drei Semestern an der FU
eingeschrieben war und früher einmal die Zusicherung erhalten
hatte, daß ein Studium, soweit es für die berufliche
Qualifikation unentbehrlich sei, auch für "Parteikader"
möglich sein müßte. Ich verlangte also in meiner
Betriebszelle, die Frage meines Universitätsstudiums zu behandeln.
Da das meiste, was ich zu diesem Zeitpunkt sagte, ohnehin von
vornherein als "rechtsopportunistisch" beargwöhnt wurde, verwies
man mich an ein unserer Zelle angehörendes Mitglied der "zentralen
Leitung" des KSV. Diese Genossin sollte quasi als unabhängige
Gutachterin darüber befinden, wieviel Zeit in meinem Arbeitsplan
pro Woche für Uni-Seminare freigeschaufelt werden durfte. Ich
verabredete mich für einen Sonntag. morgen mit der betreffenden
Genossin, die gerade zur Fertigstellung ihrer Dissertation von der
"Partei"-Arbeit befreit war in ihrer in der Innenstadt gelegenen
Wohnung. Ich kam um 10 Uhr ziemlich unausgeschlafen, unrasiert und
verraucht bei ihr an, da ich nachts zuvor noch verschiedene
Sitzungsprotokolle hatte fertigstellen müssen. Die Tür wurde
mir von einem aristokratisch wirkenden Herren mittleren Alters
geöffnet, der zwischen den Zeigefingern eine Langspielplatte
blancierte und mich durch die von Barockmusik erfüllte Wohnung auf
einen sonnigen Balkon dirigierte. Dort lag ein knappes Dutzend
braungebrannter Leute auf Liegestühlen in der Sonne und verspeiste
gerade recht ansehnliche Portionen Eis. Mir erschien das alles nach
einer Nacht über seitenlangen Sitzungsprotokollen und im Hinblick
auf meine eigene Wohn-, und Lebenssituation wie eine ferne Traumwelt.
Die Genossin aus der KSV-Leitung erhob sich aus ihrem Liegestuhl und
führte mich in ein mit hohen Wandregalen voller Bücher
ausgestattetes Zimmer, in dem die Unterhaltung über meine
Wünsche nach einem Studium stattfinden sollte. Ich erklärte
ihr, eigentlich sei von Anfang an mit der "Partei" abgesprochen
gewesen, daß ich neben der politischen Arbeit auch studieren
sollte. Ich hätte angesichts der "Phase des nationalen Aufbaus der
Partei“ darauf nun schon seit drei Semestern verzichtet,
hätte aber den Eindruck, daß ich nun doch häufiger an
die Universität gehen müsse, um den Anschluß nicht
völlig zu verlieren. Ich könne mir vorstellen, daß man
fürs Studium etwa zwei volle Tage pro Woche Zeit haben
müßte, da man kaum zwischen zwei Sitzungen mal für zwei
Stunden etwas Heine lesen und damit sein Studium streiten könne.
Das könne man bei entsprechender Planung der eigenen Arbeit schon,
wurde mir entgegnet. Im übrigen sei das dem Studieren auch
wirklich nicht so wichtig, da man als Parteikader ohnehin später
Berufsverbot bekäme. Auch gebe es in der KSV-Leitung einen
Genossen, der sich auf seine Zwischenprüfung auf der Fahrt zur
Prüfung in der U-Bahn vorbereitet hätte, daran könne man
sehen, daß das alles nicht so schlimm sei. Meine Einwände
fielen recht zaghaft aus, da ich tatsächlich nicht genau
wußte, wieviel Zeit man zum Studieren benötigt. Klar war mir
nur, daß man am Anfang allein schon etliche Zeit brauchen
würde, um sich in den Uni-Betrieb überhaupt einzufinden. Die
Genossin brachte die Diskussion sodann auf zwei Abiturienten im
Ruhrgebiet, die nach Beendigung ihrer Schulzeit sofort in den Betrieb
gegangen wären und dort nun eine "Partei"-Zelle aufbauen
würden. Obwohl ich diese Genossen nie kennengelernt habe, habe ich
sie in diesem Moment abgrundtief gehaßt. Das Gespräch endete
damit, daß die Genossin aus der KSV-Leitung mir inmitten ihrer
nicht gerade von intellektueller Askese zeugenden Wohnung
erklärte, bis zum 6. Semester hätte ich ohnehin nur die
Rückmeldungstermine an der Uni wahrzunehmen.
Ich war nach dieser Unterhaltung voller Aggressionen gegen die wiederum
deutlich gewordene Doppelmoral auf den höheren Ebenen, die es
ermöglichte, daß Intellektuelle anderen Intellektuellen die
Befriedigung ihrer Bedürfnisse als "kleinbürgerlich"
verboten. Zugleich war mir klar, daß dies der letzte Versuch
gewesen war, wenigstens einen Bruchteil meiner Wünsche und
Vorstellungen in Übereinstimmung mit "der Partei" zu lösen
und daß - wie schon am Ende der antiautoritären Bewegung -
anscheinend wieder ein tiefgreifender Bruch erfolgen müsse.
Seit dieser Zeit begann ich, ohne Rücksicht auf die Reaktionen der
"Leitungen" meine politische Kritik auf alle Bereiche der
Organisationstätigkeit auszudehen. Vor allem die RGO-Strategie
für die Gewerkschaftsarbeit lehnte ich völlig ab und weigerte
mich, derartiges öffentlich zu vertreten. Dabei war mir klar,
daß eine solche Kritik, die direkt auf das Selbstverständnis
und den Traditionsbezug der "KPD" zielten, früher oder später
unweigerlich meinen Ausschluß zur Folge haben würde. Dies
wollte ich aber riskieren, denn zum einen verband mich ohnehin nicht
mehr viel mit der "Partei", so wie sie war; zum anderen mußte
meiner Meinung nach mit der verlogenen Selbstbeweihräucherung bei
Mitgliederversammlungen Schluß gemacht werden. Ich hatte einige
Male erlebt, wie sich Leitungsgenossen händereibend ins
Fäustchen lachten und Aussagen losließen wie: "Ohne unseren
größenwahnsinnigen Anspruch, die Partei zu sein, wären
wir schon längst erledigt . . ", während die "einfachen
Kader" von Termin zu Termin hetzten und an den Unsinn von der "Partei
der Arbeiterklasse" glaubten.
Es kam, was kommen mußte: nach einigen Wochen wurden zwei
Mitglieder des "Regionalkomitees" damit beauftragt, die "ideologischen
Abweichungen" in unserer Zelle zu untersuchen und "Maßnahmen"
vorzuschlagen. Während dieser Zeit habe ich bereits keine
"Partei"-Arbeit mehr ausgeführt, sondern mich nur noch auf die
stundenlangen Debatten in der Zelle vorbereitet. Ich gab mir
äußerste Mühe einen möglichst guten Abgang zu
finden, ,was insbesondere hieß, die Organisation mit einer
umfassenden und geharnischten politischen Kritik zu verlassen. Andere
Genossen, die vorher oder nachher die "Partei" verließen, hatten
sich häufig nicht getraut, die "Linie" offensiv zu kritisieren,
sondern hatten oft weinerlich mit ihrer eigenen "Unfähigkeit"
argumentiert. So etwas wollte ich unbedingt vermeiden. Nach meinem
Ausschluß, der erst nach einem ziemlich peinlichen Hin und Her
und mehreren ultimativen Appellen der "Leitung" von der "Zelle" mit der
nötigen Mehrheit beschlossen wurde, fuhr ich in ein italienisches
Restaurant und genehmigte mir ein opulentes Mahl. Ich wog nämlich
am Ende meiner Zeit als "Partei-Kader" noch ganze 48 Kilogramm. Mir
fiel ein, daß am nächsten Tag ein neues Semster anund meinem
Studium nun nichts mehr im Wege stand.
Danach
Die ersten Monate verbrachte ich damit, mir ausgiebig die Wunden zu
lecken, die ich mir zugezogen hatte. Ich ging fast jeden Abend ins
Kino, durchstreifte tagsüber die Berliner Stadtteile, lief durch
Kaufhäuser und Parkanlagen und hatte den Eindruck, erst jetzt die
Stadt kennenzulernen, in der ich schon seit fast zwei Jahren lebte.
Außerdem schrieb ich einen langen Artikel über die
Gewerkschaftspolitik der alten KPD für die Zeitung einer
konkurrierenden ML-Organisation, studierte kräftig und fand nach
und nach einen neuen Bekanntenkreis. Eine wesentliche Voraussetzung
für menie glatte Abnabelung von der "Partei" war, daß ich
kurz vor meinem Ausschluß eine andere Wohnung gefunden hatte, in
der Leute leb ten, die nicht organisiert waren oder gerade selbst dabei
waren, Widersprüche zur "KPD" zu entwickeln.
Was ziemlich lange nachwirkte, waren die aus der "KPD"-Arbeit
gewonnenen Feindbilder innerhalb der Linken. Mit "Revisionisten",
"Spontaneisten" und "Opportunisten" wollte ich nichts zu tun haben.
Entsprechend eingeschränkt waren die Möglichkeiten eines
erneuten politischen Engagements an der Uni, was sich aber auf mein um
drei Semester verspätetes Studium durchaus positiv auswirkte. Erst
als eine größere Gruppe von KSV-Genossen, darunter auch
einige alte Bekannte, ebenfalls die Organisation verließen und
sich in einem "Sozialistischen Plenum" sammelten, schaffte ich es,
meine politische Selbst-Blockierung zu überwinden. Danach ist es
mir mehr und mehr gelungen, rechte und linke Scheuklappen abzulegen und
mich an der Entwicklung von politischen Alternativen zum Sektierertum
wieder aktiv zu beteiligen.
* Vgl. P. Mösler, "Was wir wollten, was mir wurden", Hamburg 1977, Kap.
4.
Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 88, Rotbuch
Verlag Berlin 1977
Dieser Text stammt aus der Seite Glasnost,
die freundlicherweise Texte aus dem Rotbuch "Wir waren die
stärksten der Parteien," von 77 ins Netz gestellt haben. Hier
liegen sie als Kopie vor, denn bekanntlich ist das Internet
gelegentlich etwas flüchtig. Die Abschaltung des Bad Blog zeigt es
wieder mal. Da verschwinden Texte im digitalen Nirvana, unabhängig
davon, wie bedeutend oder nicht. Daher scheiß auf eventuelles C,
es kann nicht Sinn des Copyrights sein, die Absicherung von Infos zu
unterbinden.
Saul 08
Im
Internet ist heute viel zu finden, so auch die fast vergessene
Agitationsgraphik der Betriebszeitungen, von denen die K Gruppen eine
erstaunlich große Anzahl produzierten. Die Graphik der Titel ist
vom künstlerischen Standpunkt gesehen, ein Thema für sich.
Meist war sie der Graphik der Weimarer KPD nachempfunden. Teils
erinnert sie an schlechte Kopien der Industriegraphik der zwanziger
Jahre.
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Kunstlink(e)
Ist Kunst politisch? Und wenn ja, wie politisch soll sie sein und wenn
schon, ist sie rechts oder links? Kunst ist erstmal nichts weiter als
ein Medium und die Inhalte können politisch sein. Genau so gut
können sie von der Politik benutzt oder mißbraucht werden.
Weit müssen wir nicht zurückschauen. Der Mißbrauch der
Kunst in der Nazipropaganda ist ja noch nicht lange her. Danach folgte
die kommunistische Werbegraphik deren Standbilder 89 entsorgt wurden
bis auf die verbliebenen Reservate wie Nordkorea. Hier finden sich noch
die Leinwandbilder im Style des Sozialistischen Realismus, die den
großen Vorsitzenden inmitten froher Arbeiter zeigen oder die
heldenhaft kämpfenden Soldaten die dem Imperialismus trotzig die
Stirn bieten.
Staatliche Auftragskunst war in der DDR üblich und die Ergebnisse
wurden dankenswerterweise von der DKP importiert und damit auch den BRD
Linken zugänglich gemacht. Zumindest denen die s brauchten. Nur
bestand die Linke nicht nur aus DKP und wie hatten die es mit Kunst?
Das ist ein Thema für sich. Linke konnten mit Kunst in der Regel
wenig anfangen, wenn überhaupt, dann sollte sie agitativ sein. Sie
sollte ein Mittel der Propaganda sein um das blöde Volk
aufzuklären und besonders den doofen Arbeiter, der endlich mal
seine historische Mission erfüllen sollte. Einfach just for fun
vor sich hinkritzeln? Ne, so geht s mal nicht. Wo kämen wir denn
da hin, wenn das jeder so machen wollt.
Die Ergebnisse lassen sich besichtigen, heute auch im Internet wo sie
dankenswerterweise zur Illustration der entsprechenden Webseit
herhalten müssen und manchen Veteranen ein mehr oder weniger
freudiges Wiedersehen verschaffen. Fast war man froh, diese
ästhetischen Verunstaltungen unschuldigen Plakatpapiers nicht mehr
sehen zu müssen, da kommt das Zeug im Netz wieder hoch. Dem
optischen Terror linker Plakate wurde mittlerweile in Buchform ein
Denkmal gesetzt. Plakate, deren einzig sinnvolle Info Zeit und Ort der
Demo schien, ansonsten waren sie eher zum Wegsehen. Plakatgestaltung
ist Zeitverschwendung, wir haben ja noch mehr zu tun, die näxte
Demo wartet und dann steht noch die Revo vor der Tür.
Fotos gab s ja auch noch. Linke und Fotos? Schon vom Inhalt sah man,
mit Bildern haben sie es echt nicht und dann war noch die Bildparanoia,
die jedes Bild unter Generalverdacht stellte. Schaut man sich die
Bildersammlung in der linken Presse so an, man kann sie abhaken. Wenn
man eins gesehen hat, hat man alle gesehen. Die interessanten Bilder
überließ man der Presse und selbst druckte man Bilder, denen
man das schlechte Gewissen der Produzenten regelrecht ansah. Meist
dienten Fotos ohnehin nur dazu, die Bleiwüsten aufzulockern.
Unvergessen die Agitationsfotographie der ML Parteien. Hier diente das
Photo grad dazu, die eigenen Demos und Spruchbänder zu
dokumentieren.
Das Bildverbot durch den Feminismus ist ohnehin ein Thema für sich
und es hat das Erscheinungsbild linker Zeitungen lange geprägt.
Bis heute sogar, nur gibt es nicht mehr viele davon in Papierform,
womit sich diese Geschichte von selbst erledigt hätte.
Der Gegenschlag kam dann aus einer Richtung, die niemand erwartet hat.
Sie kam aus New York überm Teich in Buchform. Danach hatten viele
Jugendliche eine Vorlage und ein Medium wo sie ihre Letter hinsetzen
konnten. Nicht verwunderlich, das die traditionelle Linke damit nicht
viel anfangen konnte und es anfangs nicht einmal verstand. Es dauerte
einige Zeit, bis die Buchstabengestaltung auch auf den Transpis linker
Demos Eingang fand, immerhin gab s doch Auswirkungen. Davon abgesehen
wurden Writer grad mal dem linken Widerstand zugerechnet, weil illegal.
Gefragt wurden die Beteiligten natürlich nicht. Dafür ist an
den Wänden Platz genug um unzensiert das loszulassen, was in
linken Medien der Zensur zum Opfer fällt.
Mittlerweile haben wir ja auch das elektronische Medium Internet und
auch da fehlt es nicht an linker Presse, nur eben in Webseitenform.
Hier wird die Tradition der linken Medien fortgeführt und hat
damit den Sprung ins html Zeitalter geschafft.
Doch es gibt Alternativen. Solang es freien Webspace gibt, kann man zeigen, wie es auch geht.
An linken Medien lässt sich einiges kritisieren, kannst es besser?
Nun auf freien Webspace kann man es versuchen und es hat einen Vorteil.
Man muß sich vor niemand rechtfertigen. |
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