DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Günter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?



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       Erste Folge

        Guenter Rohrmoser liefert in Deutschlands Tragoedie. Der geistige Weg in den Nationalsozialismus, Muenchen 2002 im ersten Teil, „Idee und Wirklichkeit des Nationalsozialismus“ (S.41-146) den durchaus misslungenen Versuch, den NS zu „begreifen“ und zu „verstehen“. Den Uebergang zum zweiten Teil, „Nietzsche und die Krise der buergerlichen Kultur“ (S.147-283) bildet der Versuch, Nietzsches Dekadenz-Theorie als Grundlage des NS darzustellen. So behauptet Rohrmoser, wir seien „jetzt unter dem irrefuehrenden Namen der Postmoderne in das Zeitalter der Nietzsche-Kultur [d.i. in die Kultur der von Nietzsche kritisierten Dekadenz] eingetreten" (S. 143). Dem stellen wir entgegen:

         Nur wer den Dekadenz-Mythos kultiviert, und das tut Rohrmoser durchaus, glaubt so etwas. Und wenn Rohrmoser und andere am Glauben an die „Dekadenz“ so festhalten, sollte die These, der Faschismus und der NS seien die eigentliche Dekadenz in ideologischer und politischer Ausgestaltung zu gewagt sein? Eigentlich nicht. Denn es liegt in der Dialektik der Dinge, dass extrem angelegte Voraussetzungen , hier der Mythos der Dekadenz, zur Ausgeburt von kaempferischen Gegenmitteln fuehrt, die den extremen Wesenszuegen und Eigenschaften, mit denen das erdichtete Feindbild – hier die buergerlich-liberale Kultur – versehen wird, nicht nur im Wesentlichen entsprechen, sondern, um des erdichteten Extremismus der „Dekadenz“ Herr werden zu koennen, diesen bei weitem uebertreffen. Es entsteht eine Dynamik, in der der Extremismus sich selbst potenziert bis hin zur Selbstaufhebung durch Selbstzerstoerung (man denke an das historische Beispiel des NS). Damit ist der sich selbstaufzehrende Narzissmus des Dekadenz-Mythos angesprochen. Damit belegt der Mythos selbst die von Nietzsche vertretene Kreislaufbewegung. Was auch nicht verwundern muss, weil die Kreisbewegung der Wesenzuge jedes Mythos ist. Nietzsche hat hier nichts neues produziert, sondern nur bei der griechisch-roemischen Antike, beim antiken Mythos abgekupfert. Und wie sollte ein im Kreislauf angelegtes Phaenomen Fortschritt produzieren, selbst „modern“ sein? Apropos „Modernitaet“ des NS.

         Rohrmosers Ausfuehrungen ueber den NS enttaeuschen in vielfacher Weise. Er verliert kein Wort ueber die SS, die doch wie die NS-Jugendorganisationen „Talentschmieden“ (S.100) waren. Auch ueber das dem NS innewohnende Ziel des totalitaeren Weltkrieges faellt kein einziges Wort. Dass der NS eine Ideologie war, dem geht Rohrmoser durch Totschweigen elegant aus dem Weg. Auch das NS-Gewaltpotential und die NS-Bereitschaft zur Gewalt ist Rohrmoser nicht der Rede wert. Und was vor allem auffaellt, ist, dass Rohrmoser von der krassen Einfachheit, von der Primitivitaet der NS-Mythen nichts wissen will. Auch liegt es Rohrmoser recht fern, dass die vereinfachenden, nach Feindbildschematik funktionierenden Loesungsangebote des NS nach der Weisheit zu betrachten sind, dass die einfachste Loesung nicht immer die beste ist. Und schliesslich verliert Rohrmosr kein Wort darueber, dass der NS – und dabei unterscheidet er sich vom Marxismus ueberhaupt nicht – ein riesiges und ungeheuerliches Sammelsurium von Konstrukten, von Mythen ist, die extremistisch angelegt sind, sowohl in ihren Inhalten, wie in ihrer Wirkung. Dass hieraus Faszination erwaechst, ist unbestritten, ebenso unbestritten ist das Gefahrenpotential, das hier steckt. Dieser elementar-primitive Extremismus der Ideenwelt und des existentiellen Projektes „NS“, das ist fuer Rohrmoser uninteressant. Er vermeint, „verstehen“ und „begreifen“ zu koennen, wenn er, statt die kuehle, besonnene und abwaegende Distanz zum NS-Komplex zu wahren – was gleichbedeutend ist mit entsprechendem Distanzierungsvermoegen zu geistigen Erscheinungen, die per se extrem sind und sich extrem auswirken –, die von Nietzsche geschaffene und vorgegebene, von der sogenannten „Konservativen Revolution“ ausgebaute und weiterentwickelte und schliesslich im Faschismus, aber vor allem im NS zur politischen Realitaet und Praxis herangereiften, im Wesen, in ihren Inhalten, in ihrer Wirkung und Auswirkung extremistischen Mythenkultur bis hin zur apologetischen Identifikation verinnerlicht.

         Was Rohrmoser in diesem Buch anbietet und bietet, ist das Exempel, wie die Materie, der Gegenstand der Eroerterung den „Verstehen-„ und „Begreifen-Wollenden“ vereinnahmt, seiner Herr wird; wie dieser also eben der „Faszination“ erliegt, die extremistischem „Wollen“ innewohnt, gleichgueltig, ob es der „Tat“ oder der „Macht“ oder beiden zugleich gilt. In dieser Vorgehensweise legt Rohrmoser nicht einmal den halben Weg hin zum „Verstehen“ und „Begreifen“ der extremistischen Mythenkultur zurueck. Warum? Weil „Verstehen“ und „Begreifen“ in der ersten Phase zwar verstaendnisvolles Herangehen beinhaltet, das bis hin zur theoretischen Identifizierung vorstossen, sich dann aber auf die zweite Phase hin bewegen sollte, wo das bisher gewonnene Verstaendnis oder gegebenenfalls die erzielte Identifikation unter Hinwendung zur zweiten, entscheidenden Phase des „Begreifens“ vermittels Begriffen bzw. Begriffsbildung aufgegeben werden sollte. Letzterer Schritt sollte sich neutraler, nicht in der Mythenkultur selbst angesiedelten Begriffe bedienen.

         Was will Rohrmoser nun „begreifen“ oder „begriffen“ haben vom NS-, vom Nietzeschen Mythengebraeu, wenn er die einschlaegigen Mythen und Begrifflichkeiten bis hin zur Identifikation sich aneignet und zu eigen macht, d.h. an die Tatsaechlichkeit ihrer Inhalte, ihrer Botschaft, ihrer Wirkung und Auswirkung glaubt und mit ihnen diskursmaessig operiert? Rohrmoser glaubt unbeirrbar an das Axiom der „Dekadenz“, der „Krise der buergerlichen Kultur“, dem Nietzsche und alle Anhaenger und Exponenten der „Konservativen Revolution“ froenten. Und weil Rohrmoser an diesen Kernmythos der extremistischen Mythenkultuhr glaubt, glaubt er auch an die Gegenstaendlichkeit und Wahrhaftigkeit des von Nietzschen vertretenen glaskalten Irrationalismus und Antihumanismus. Und damit teilt er auch den Gesamtkomplex der Mythen, Topoi und Stereotype, die sich um den Kernmythos der „Dekadenz“ ranken.

         Und das greifbare Ergebnis dieser Vorgehens- und Verfahrensweise Rohrmosers ist, dass er kein neues Projekt, kein Gegenprojekt zur Mythenkultur schafft, sondern als einfacher Exponent, als Sprachrohr dieser negativistisch-nihilistischen, antihumanistischen Weltsicht auftritt. Deshalb entpuppt sich Rohrmosers wiederholt beteuertes Ziel, die extremistische Mythenkultur der „Konservativen Revolution“, des Faschismus und des NS zu „verstehen“ und zu „begreifen“ als bloss expositive Multiplikation dieser Ideologie. Anders ausgedrueckt: Rohrmoser ist ein Propagandist, der unermuedlich bemueht ist, diesen Komplex der „Unwerte“ in grundlegende „Werte“ und „Wertvorstellungen“ pervertiert unters Volk zu bringen. Wie fern dieses Tun von dem liegt, was in der heutigen Zeit als Konservatismus gilt, in dessen Namen Rohrmoser zuweilen auch zu sprechen vorgibt, muss nicht besonders betont werden.


Zweite Folge


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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Rohrmoser1.html            Erstellt: 27.08.2002                                                Autor und © Klaus Popa


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