DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?

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      Zweite Folge

Der angebetete Nietzsche


Zu Seite 147:
 Rohrmosers uneingeschraenkte Bewunderung fuer Nietzsche, die volle Akzeptanz seiner negativistischen Philosophie veranlasst ihn, den Begriff der „Dekadenz“ als zutreffend fuer unser Zeitalter, die sogenannte „postmoderne Kultur“, zu erachten. Und Rohrmoser wirft unserer Zeit vor, sich, im Gegensatz zu Nietzsche, nicht um die Ueberwindung der „Dekadenz“ zu bemuehen, sondern diese „gelassen zur Kenntnis“ zu nehmen, quasi zu feiern, im Glauben „damit von allen totalitaeren Verfuehrungen und von allen moeglichen Freund-Feind-Verhaeltnissen in der Politik befreit zu sein.“ Rohrmoser plaediert hier eindeutig fuer eine auf Feindbildern aufgebaute Weltanschauung und Politik.

 Recht primitiv und geschmacklos ist die Art und Weise, in der Rohrmoser Nietzsche als absolutes A und O zur Auseinandersetzung – nicht Deutung – mit der verhassten Gegenwart anbetet. Nietzsche soll der grosse „Prophet“ sein, der die heutigen Zustaende prophezeit habe – deshalb lautet der Untertitel dieses Kapitels „Nietzsches Prophezeiung des Zeitalters der grossen Politik“. Was Rohrmoser mit „grosser Politik“ meint, das ist eine sang- und klanglose Befuerwortung Nietzescher Saetze, deren erster lautet: „Alles ist Wille zur Macht“. Dieser Satz benenne den Wesenszug des 20. Jahrhunderts, naemlich die militaerischen und kulturpolitischen Machtkaempfe dieses Jahrhunderts (S.147f.).

 Rohrmoser geringschaetzt die Frage nach der (philosophischen) Wahrheit, indem er sie als „Kinderfrage“ abqualifiziert. Nach der Wahrheit fragen sei laut Rohrmoser Naivitaet sondergleichen. Das geschieht in vollem Einklang zu seinem Meister Nietzsche, der alles der "„Logik des Kampfes um die Macht“ unterordnen will (S.148).

 Der zweite Kernsatz Nietzsches lautet: „Das 20. Jahrhundert wird das Zeitalter der grossen Politik sein.“ In dessen Mittelpunkt stehe die Hervorbringung eines Menschen, der dem Herrschaftsziel entspricht. Dieses Ziel verbindet Rohrmoser damit, dass politische Herrschaft von „kulturrevolutionaeren Veraenderungen“ abhinge (S.148). Damit meint Rohrmoser zweifelsohne die ideologisch begruendete und ideologisch ausgeuebte Herrschaft, also die Herrschaft einer Ideologie. Wir merken abermals an, dass Rohrmoser es peinlichst vermeidet, den Begriff „Ideologie“ auch nur andeutungsweise einzusetzen. Wohl im Bewusstsein, dass sein Diskurs ein Musterbeispiel von Vulgaerideologie ist.

Zu Seite 149:
 Nietzsche habe laut Rohrmoser vorausgesagt, dass die „grosse Politik“ zum geistigen Kampf bzw. Krieg fuehren werde, womit er „die entscheidende Essenz aller Politik im 20. Jahrhundert vorausgesagt“ habe.

Zu Seite 150:
 Rohrmoser meint, nach dem Kampf der Ideologien habe sich ein Kulturkampf etabliert. Doch Rohrmosers Scheue, den Begriff „Ideologie“ sachgerecht einzusetzen, entspringt keinesfalls dieser Erkenntnis, sondern einfach der Befuerchtung, der Produktion und Verbreitung von Ideologie, der Ideologisierungstendenz bezichtigt werden zu können. Und welche Ideologiesorte Rohrmoser praktiziert, konnten wir bereits feststellen.

 Fuer Rohrmoser „macht“ es „die Sache so aufregend“, dass Nietzsche „durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts vor allen Dingen durch den Faschismus verifiziert worden“ ist (S.151). Eine recht bedenkliche Aufregung! Rohrmoser geht es hier offensichtlich darum, sowohl Nietzsches Hirngespinste wie auch den Faschismus/Nationalsozialismus als historische Phaenomene zu legitimieren. Rohrmoser uebersieht leider, dass er sich damit in Teufels Kueche begibt, weil er sich der Mittel einer Argumentation im Kreis bedient – was Nietzsches zyklischem Zeitempfinden entspricht bzw. entspringt -; denn Gleiches mit Gleichem zu „verifizieren“, d.h. ein und dieselbe Qualitaet durch sich selbst verifizieren, bestaetigen, legitimieren zu wollen oder legitimieren zu lassen, ist Narzissmus pur. Was weder Verifizierung, noch Bestaetigung, noch Legitimierung nach sich zieht. Das ist nur ein grosses sophistisches Missverstaendnis.

 Ab Seite 152 ist Rohrmosers Diskurs bis zur Unertraeglichkeit von Sophismen ueberlastet. Er agiert nach dem Grundsatz, den er zurecht „provokant“ nennt, dass es „kein fundamentales Recht“ mehr gaebe, „dem NS abzusprechen, eine Wertentscheidung getroffen zu haben“, „in Zeiten des postchristlichen Nihilismus, aehnlich wie in der Weimarer Republik“, wo die Wertewahl frei ist „und jedem die freie Wahl der Werte zugebilligt wird“. Es sei folglich erlaubt, „nicht nur liberal zu sein“. Und weil „die philosophische Substanz der spaetmodernen Gesellschaft die absolute und autonome Wahlfreiheit der Werte impliziert“, „kann [man] die Wahl bestimmter Werte, auch wenn sie mit verabscheuenswuerdigen Konsequenzen verbunden sind, eigentlich nicht mehr verhindern.“ Diese Wahl koenne laut Rohrmoser noch politisch, aber auf keinen Fall philosophisch verhindert werden. Was besagen will, dass die freie Wahl von Werten und diese auf so „freiheitliche“ Art und Weise gewonnenen Werte sich zumindest auf den Gefilden dessen, was Rohrmoser als „Philosophie“ fuer sich in Anspruch nimmt, hemmungs- und bedenkenlos austoben koennen. Rohrmoser beansprucht folglich fuer sein philosophisches Rueckzugsgebiet die freie Wahl, die er an den „Zeiten des postchristlichen Nihilismus“ bzw. an der „spaetmodernen Gesellschaft“ wegen „Auswuechsen“  wie „feministische oder auch grün-alternative(n) Bewegung“ (Anmerkung 29, S.150) oder „lustvolle(s) Sexualleben vom fruehkindlichen Stadium bis zum Greisenalter“ (Anm. 30, S.151) u.ae. ‚Dekadenzerscheinungen‘ verdammt. Rohrmoser übersieht abermals geflissentlich, dass es sich um zwei qualitativ grundverschiedene Bereiche handelt, deren Funktionsweisen bzw. Wahlmoeglichkeiten der Werte weit auseinandergehen und mit sophistischen Mitteln keinesfalls zwangsgleichgeschaltet werden koennen. Die Lebenserfahrung duerfte Rohrmoser gelehrt haben, dass der buergerliche Alltag nicht Regeln philosophischer Sophisterei gehorcht.

 Rohrmosers Einforderung der freien Wahl von Werten, die „nicht nur liberal sein koennen“, die „mit verabscheuenswuerdigen Konsequenzen verbunden sind“, bedeutet, dass im diskursiven Bereich (des geschriebenen und gesprochenen Wortes) alles erlaubt ist, in dem Sinn, dass alles gedacht und alles zum Ausdruck gebracht werden darf (absolute Tabulosigkeit). Auch das, was man fuer Undenkbar und Unfassbar haelt. Dass diese Zuegellosigkeit, diese Wahl- und Bedenkenlosigkeit Nietzsche, die „Konservative Revolution“, den Faschismus, den NS kennzeichnet, ist in Rohrmosers Augen nicht nur gerechtfertigt, sondern anscheinend auch begruessenswert. Deshalb spielt bei Rohrmoser die Ueberlegung, dass nicht alles was gedacht und ausgedrueckt wird, auch wirklich kommunikationswert ist, keinerlei Rolle. Verdient nicht diese Sichtweise, diese Einstellung und Haltung das Praedikat „dekadent“? Ist nicht der Pessimismus und Nihilismus Nietzsches und seiner historischen Erben die bis ins Mythische gesteigerte „Dekadenz“, gegen die sie sich mit Kampfgetoese wandten und noch wenden?

 Wie kann, wie soll also ein Nietzsche, der selbst dekadent ist, wie sollte der Faschismus, aber vor allem der NS, allesamt dekadente Ausgeburten, in ihrer dekadenzgeschwaengerten Befangenheit ueber geeignete Mittel verfuegen, um geeignete Wege zur Ueberwindung des ihnen innewohnenden Siechtums aufzuzeigen?

 Ob Rohrmoser dieser paradoxen Unmoeglichkeit gewahr war, als er seine „These“ formulierte, Nietzsche sei „der eigentliche Vollstrecker der Aufklaerung“, „ueber Hegel hinaus – der erste grosse Entdecker der Dialektik der Aufklaerung“? Daran knuepfen Rohrmosers Sophismen:

„Nietzsche beginnt die Aufklaerung gegen die Grundlagen und Voraussetzungen zu denken, von denen die Aufklaerung selbst ausgegangen ist. Er klaert mit der Aufklaerung ueber das auf, wozu sich die Aufklaerung bisher selber unaufgeklaert verhalten hat“ (S.153).
Selbst wenn Rohrmoser sich der inneren Widerspruechlichkeit seiner „Philosophie“ bewusst waere, stellte er solche Thesen und taete solche Aussagen in apologetischer Absicht. Rohrmoser ist naemlich davon angetan, dass Nietzsche die von der Aufklaerung postulierte natuerliche, angeborene Guete des Menschen hinterfragt, als Dogma entlarvt und zerstoert. Was ist an Nietzsche so faszinierend, so grundlegend, wenn nicht seine Zerstoerungslust und Zerstoerungswut! Er verneint alles, er lehnt alles ab, was bisher als Positiv verbuergt war, wie der Fortschrittsglauben, das Christentum, die aufklaererischen Prinzipien, die Wissenschaft. Er verwirft bestehende Moralvorstellungen, weil diese „unter den eigentlichen Bedingungen der Krise der buergerlichen Kultur unmoeglich“ begruendet werden koennen (S.153).

 Diese nihilistische Wut Nietzsches soll der Hervorbringung eines „ueberhaupt gesellschaftsfaehigen“ Menschen, eines Menschen dienen, der „ueberhaupt noch faehig ist, eine Gesellschaft zu konstruieren und zusammenzuhalten“. Auch soll Nietzsche beabsichtigt haben, „das Bild vom Menschen wieder aufzurichten.“ (S.154)


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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Rohrmoser2.html            Erstellt: 03.09.2002     Geaendert: 10.09.2002;         Autor und © Klaus Popa


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