DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?



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       Drtitte Folge

Nietzsche und die Dekadenz der Philosophie


        Nietzsche ist nicht nur durch die Inhalte und Stereotypen seiner „Philosophie“ der Ziehvater der modernen rechtsextremistischen Totalitarismen, der rechtsextremen Mythenkultur – wozu auch „philosophisch“ angebende, hochspekulative Systemkonstrukte zählen-, sondern, und das mit viel weitreichenderen Konsequenzen, der erste Spitzenvertreter der einstellungs- und haltungsmäßigen Dekadenz der Philosophie. Diese Dekadenz ist vor allem an der vorherrschenden Oberflächlichkeit der Problemstellungen, der Problemerörterung und der angebotenen Lösungen festzumachen. Die Oberflächlichkeit manifestiert sich darin, dass mit erschreckender Leichtigkeit und in bedenkenloser Leichtfertigkeit durch Mythenkonstrukte die bestehenden sozialen und geistigen (kulturellen) Verhältnisse übersimplifiziert und dadurch verfälscht werden. All diese konstruierten Mythen funktionieren nach dem recht primitiven Schema der Freund-Feindbestimmung bzw. –postulierung. Die Erörterung – von Diskussion kann hier keine Rede sein – und die angebotenen Lösungen sind ebenso vereinfachend konstruiert: hier die Lichtgestalten – einschließlich des bzw. der System-„Denker“-, die, obzwar sie alles was ihrem Freund-Feindschema zuwiderläuft, vernichten, ausmerzen wollen und auch effektiv der Vernichtung preisgeben, trotzdem das zynisch-unverfrorene Image von „Erlösern“, von „Erneuerern“, von „neuen Menschen = Übermenschen“ pflegen; drüben die Nachtgestalten, der Abschaum, die Minder- und Unwertigen. So wie die Menschen in zwei sich ausschließende „Sorten“ bzw. „Arten“ – daher „arteigen“ und „artfremd“ – enteilen lassen, so vereinfachend werden auch die „Kulturen“ bzw. die Kulturvorstellungen, Kulturbedürfnisse, die Kulturausübung und der Kulturgenuss in „neu“, „wertvoll“ einerseits und in „dekadent“, „minder-„ und „unwert“ andererseits eingestuft. Die gesellschaftliche, politische, kulturelle und schließlich militärische Konsequenz übervereinfachender Erklärungsmodelle sind  ebenfalls übervereinfachte und vereinfachende Handlungsmodelle: es wird nach einer Reinigung der Gesellschaft, der Politik, der Kultur von unliebsamen, „dekadenten“ Elementen laut, im Fall der Extremisten gerade von denen, die eigentlich die Dekadenz in Person darstellen, und das am lautstärksten.

Trotzdem der Zweite Weltkrieg als abschreckendes Beispiel für die Konsequenzen vereinfachender Einstellungen und Haltungen steht, trotzdem dieser Krieg erwiesen haben sollte, dass gesellschaftliche und Menschheitsprobleme nicht mit blinden Mitteln der Freund-Feindbestimmung zu lösen sind, wird auch heute der gesellschaftlichen und kulturellen ‚Eindimensionierung‘ und damit dem Extremismus und Totalitarismus gefrönt. Es gibt eben Menschen, die niemals die Lehre ziehen bzw. sich nie belehren lassen wollen, dass die einfachsten Antworten nicht zwingend die besten sind. Und diese Leute wollen auch nicht einsehen, dass, entgegen ihrer eigenen, selbsteingenommenen und narzisstischen Überzeugung, weder die Welt, noch die Menschheit, die „Nation“, das „Volk“, die Kultur, die Philosophie, die Politik ausgerechnet auf ihren „erlösenden“ Streich erpicht waren oder sind und auch keiner ihrer an Einfachheit bestechenden, aber in Wirkung und Auswirkung umso verheerenderen Universalrezepte bedürfen. Die Geschichte hat wiederholtermalen bewiesen, dass Heilslehren ausnahmslos zum Desaster führen. Und die Menschheit, die Völker, vor allem die europäischen, sind Heilsverkünder, Heilsbringer und erst Recht Heilsstifter der Art von Nietzsche, Hitler, Mussolini u.a. Diktatoren leid, die eine neue Weltordnung, „eine neue Kultur und eine ganz neue Form des Menschseins“ (Rohrmoser, S.155) schaffen wollen.

Bei Nietzsche, wie beim Faschismus, handle es sich laut Rohrmoser „um das Neusetzen von Werten, um das Abwerten von Werten, um das Umwerten von Werten.“ Und der Faschismus sei „hierfür geradezu ein Paradebeispiel“ (S.156). Die Bedenkenlosigkeit, die Leichtfertigkeit, mit der Rohrmoser so und ähnlich formuliert, überrascht inzwischen nicht mehr. Damit bleiben Fragen wie: welche Wertigkeit besitzt die einfache Vernichtung von Menschen, wenn sie nicht den biologistisch-rassistischen Wertvorstellungen und Rastern entsprachen oder entsprechen, unbeantwortet.

Rohrmoser versucht zwar, den Antisemitismus, Nationalismus, Antietatismus und Rassismus von Nietzsche zu verharmlosen bzw. zu verneinen, wiedergibt aber die Meinung Nietzsches,
 

der zukünftige Kampf um die Herrschaft in Europa werde ein Kampf zwischen den Juden und den Russen sein. Den Juden, weil sie die zäheste und die intelligenteste Rasse sind, und den Russen, weil die Slawen von einer unverwüstlichen Kraft und Vitalität sind, so daß die dekadenten Europäer sich entschließen müssen, entweder von den einen oder von den anderen beherrscht zu werden.


        Hier soll also kein Antisemitismus und kein Rassismus zum Ausdruck kommen? Und dass derartige Nietzsche-Reime nur ein Sammelsurium übelster, auf Vorurteilen beruhenden Stereotypen sind, das scheint Rohrmoser recht normal zu finden. Solche Äußerungen belegen die zweifelhafte Qualität, oder besser die Unqualität der Nietzsche-Texte. Und so etwas zu den philosophischen Spitzenleistungen zu zählen, ist erschreckend. Wenn die Aufreihung und Kombinatorik von Vorurteilen (=Stereotypen) und bildhaft-blendenden Mythen Philosophie ist, dann bleibt nur noch zu klären, was Geschichten und Märchen denn sind!



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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Rohrmoser3.html            Erstellt: 07.09.2002      Geaendert: 10.09.2002     Autor und © Klaus Popa


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