DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?



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       Siebente Folge

Narzissmus und Fanatismus
DER MYTHOS VOM MYTHOS

            Rohrmoser entdeckt recht spaet, dass Nietzsche den Mythos als dem „Produzieren von Kultur angemessene geistige Groesse“ betrachtet (S.184). Dieser Mythos- Begriff nimmt im Zusammenhang unserer Interpretation der extremistischen Kultur denselben Stellenwert wie alle anderen Begriffe dieses Kulturverstaendnisses ein: es ist der „Mythos des Mythos“, bzw. der „Mythos vom Mythos“. Auf die Politik uebertragen meint Rohrmoser, dass „alle Politik des 20. Jahrhunderts“ „von Mythen lebt“ (Ebd.). Das entspricht durchaus den Tatsachen, nur scheint Rohrmoser die mythische Ebene auf Groessen wie die NS-Reichs- und Rassenmythen und den kommunistischen Mythos vom revolutionaeren Proletariat beschraenken zu wollen. Rohrmoser faehrt fachsimpelnd fort, dass „Der Glaube an die Wissenschaft“ „durch den Glauben an den Mythos ersetzt“ wird (Ebenda). Dass die extremistische Mythenkultur vom ersten bis zum letzten Begriff mythisch angelegt ist, dass selbst Rohrmosers Diskurs Mythen handhabt und Mythen produziert, von dieser Erkenntnis ist Rohrmoser meilenweit entfernt. Und dass die Aussage Nietzsches, „Wenn das Christentum rueckhaltlos zum Gegenstand der historisch-kritischen Erforschung gemacht wird, dann bedeutet dies das Ende des Christentums“ (S.185), ebenfalls ein Mythos ist, ist Rohrmoser nicht aufgefallen. Ebenso faellt Rohrmoser nicht auf, dass es nicht der Zerstoerung des (der) christlichen Mythos(-en) durch die historische Wissenschaft bedurfte, um das Christentum zu zerstoeren, sondern dass das einfache in die Welt Setzen von Mythen seitens der extremistischen Mythenkultur der eigentliche Feind des christlichen Glaubens war und ist.

             Dass Nietzsche den Ausweg aus der von ihm fingierten, mythisierten Sackgasse der kulturellen „Dekadenz“ nur im Mythos der Kunst, in der Aesthetisierung, also in der Produktion weiterer Mythen erblickt, liegt in der Logik seiner Sache. Und dass der bereits angesprochene mythisch verbraemte Vitalismus hier ebenfalls seinen festen Platz hat, ueberrascht inzwischen auch nicht mehr. Die Rettung aus der „Dekadenz“ soll naemlich von der „Jugend“ kommen (S.187). Dass Rohrmoser nun zur Feststellung gelangt, die „Ausbildung der Moderne“ sei in Deutschland mehr als in jedem anderen Land „von dem staendig sich erneuernden Willen der Jugend begleitet gewesen, diese buergerliche Gesellschaft zu ueberwinden“ und dass er die NS-„Jugendbewegung“ auf dieselbe Ebene mit der „Sturm-und-Drang“-Bewegung des 18. Jahrhunderts und mit der 68er Bewegung stellt (S.187-188), belegt, wie wenig Rohrmoser gewillt ist, die NS-Jugendepisode als das zu erkennen, was sie war: ein ins Hyperbolische gesteigerter und uebersteigerter Fanatismus, der in keiner Weise eine Loesung der Bande bedeutete, welche die Jugend „bisher an die buergerlich-marxistisch-sozialistisch gesprochen – bourgeoise Kultur gebunden hat“ (S.187), sondern, weil diktiert (verordnet), erzwungen und aufgezwungen (siehe oben) eine ungeheuer-ungeheuerliche Veranstaltung des gesteuerten Missbrauchs. Rohrmoser verschweigt auch, dass der NS-„Jugendbewegung“, wie auch der „Wandervogel-Bewegung“ mit ihrem studentischen Einschlag das Pubertaere, Unausgereifte nicht abzusprechen ist. Rohrmoser vermeidet es in diesem Zusammenhang von Manipulation durch Suggestion zu sprechen, die unbestreitbar vorhanden waren. Dass es sich schliesslich um eine zynische Instrumentalisierung, um einen gezielten Missbrauch handelte, selbst wenn alles, zumindest in der Wandervogel-Bewegung ungezwungen und spontan vor sich zu gehen schien, solche Tatsachen wuerden Rohrmosers recht begeistertem und begeisterndem Tonfall in der Schilderung dieser „Bewegungen“ nur in die Quere kommen.

             Was soll von dem weinerlichen Unterton gehalten werden, in dem Rohrmoser – allerdings nur als Anmerkungen verkappt (Anm. 60, S.189; Anm. 61, S.190) – die Untaetigkeit der heutigen Jugend in Sachen „Revolution“ bemaengelt, die sich in sichtbarem Gegensatz zu dem befindet, was Rohrmoser in den 30er und 40er Jahren seiner Jugendzeit an ‚revolutionaerem Jugendelan‘ erlebte.

Es koennte sich noch als unser Unglueck erweisen, dass heute offenbar das kulturrevolutionaere Potential der Jugend erschoepft ist, und dass kein revolutionaerer oder gar kulturrevolutionaerer Antrieb mehr in ihr erkennbar ist (Anm.60, S.189).
Oder:
Das waren schoene Zeiten, als Nietzsche noch auf die revolutionaere Jugend setzen konnte. Dieses revolutionaere Feuer der Jugend scheint heute offensichtlich erloschen zu sein, u.zw. aus dem schlichten Grunde, weil es nichts mehr zu entfesseln gibt. [...]
An diesem Zustand sei die Sexualitaet schuld, die
Man der Jugend wie einen Koeder unter die Nase gehalten hat. Und da hat sie zugeschnappt, und sie hat das sogar fuer revolutionaer gehalten. [...] (Anm.61, S.190).


Usw. usf. Abgesehen von der herabwuerdigenden, beleidigenden Portraetierung der heutigen Jugend, die Rohrmoser hier liefert, outet er sich als unverbesserlicher, unbelehrbarer „Revolutionaer“, der historisch laengst ueberwundenen Zeiten nachtrauert und am liebsten das „revolutionaere Feuer“ dieser unseligen Zeiten wieder entfachen moechte.

Der Philosoph als Gesetzgeber bis hin zur schrankenlosen Irrationalitaet

             In dem nach Schopenhauers Werk „Die Welt als Wille und Macht“ benannten Kapitel (S.189-196) betont Rohrmoser, dass Nietzsche im Unterschied zu Schopenhauer nicht bereit war, den laut Schopenhauer auf  Befriedigung der Begierde ausgerichteten Willen zu verneinen, um zur Erloesung zu gelangen, weil es eben nicht das Beste sei, sich umzubringen (S.194). Rohrmoser stellt fest, dass es keine Formel gebe, welche „die Essenz des Nationalsozialismus so exakt wiedergibt“ wie „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (S.191). Doch Rohrmoser geht zu weit, wenn er anhand der Goetheschen Tat-Problematik Faust zum „ersten Faschisten“ macht (S.191) und in „Faust II“ eine Vorwegnahme der „ganzen Geschichte des Nationalsozialismus“ erblicken will (S.192).

             Nietzsche soll mit seiner „Genius“-Theorie, die er in Verbindung mit der Erziehung des Menschen zur Kultur entwickelte, und mit dem Postulat, dass nur der Philosoph und der Kuenstler „Sinn und Bedeutung“ erzeugen, wobei die Hauptrolle in der Verleihung von Sinn und Bedeutung dem Philosophen als „grosser Gesetzgeber“ zukomme, „einen Ersatz fuer Christus“ gesucht haben. Nietzsche soll sich laut Rohrmoser naemlich „trotz verzweifelter Versuche, nie von den christlichen Wurzeln seiner Herkunft“ befreit haben koennen (S.195f.). Dieselbe Motivation moechte Rohrmoser bei Nietzsche auch in Verbindung mit dessen Aussage „Niemals war die Welt mehr Welt, nie aermer an Liebe und Guete“ erkennen, weil das „doch nur, vielleicht ohne es zu wissen, ein Christ sein“ und das die „Notschreie einer zutiefst verwundeten christlichen Seele“ sein muessen (S.198). Rohrmoser entgeht, dass die sinn- und bedeutungsverleihende Produktivitaet von Mythenschmieden wie Nietzsche den Eigenheiten der extremistischen Mythenkultur unterworfen ist. Und weil der Grundstein dieser Kultur, der moderne Mythos, eine Ersatzerscheinung par excellence ist, hat das, was als Suche nach einem Ersatz fuer Christus aussieht, als einfacher Ausdruck des Ersatzmechanismus der von Nietzsche praktizierten „Kultur“ zu gelten. Und dieser Kulturform wohnt inne, absolute, also extrem-extremistische Formen zu produzieren. Und was ist der Philosoph als „Gesetzgeber“, wenn nicht ein weiterer extremistischer Mythos?

          Im Kapitel „Nietzsche: „Alles dient der kommenden Barbarei“ “ (S.196-204) stellt Rohrmoser eine Behauptung auf, die seine Verwurzelung in der extremistischen Mythenkultur hoechst anschaulich belegt. Das, was Nietzsche in der zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts antraf, soll dem Zusammenbruch der buergerlichen Gesellschaft, nicht dem Zusammenbruch des deutschen Idealismus entsprochen haben, denn „Es war nicht der deutsche Idealismus“, der „der Wirklichkeit der buergerlichen Kultur nicht gewachsen“ war, „sondern die buergerliche Kultur zeigte sich an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung dem deutschen Idealismus nicht mehr gewachsen“ (S.197). Dass dieser von Rohrmoser ins Mythische erhobene „deutsche Idealismus“ zu einem erheblichen Teil ebenfalls Zuege der extremistischen Mythenkultur traegt und selber zum Aufkommen dieser Kulturform wesentlich beitrug, das ist ein weiterer Punkt, der dem idealistisch-exaltierten Rohrmoser verborgen bleibt. Woher nimmt die extremistische Mythenkultur ihre absolute Freiheit der Mythenbildung, wenn nicht vom deutschen Idealismus, der seine Begriffe und Begrifflichkeiten doch genauso absolut, d.h. aus der schrankenlosen Freiheit des „Geistes“ heraus produzierte und mit gleichermassen absoluten Inhalten versah. Allerdings mit dem grundlegenden Unterschied, dass die geistige, die „geniale“ Beliebigkeit und Willkuer noch dem Zwang der ordnenden und einschraenkenden, der temperierenden und auf Ausgleich und Gleichgewicht bedachten Kraft der Vernunft unterworfen war. Der deutsche Idealismus war von der Vorstellung geleitet, dass jedes philosophische System eine rationale, eine logische Schluessigkeit in sich selbst besitzen sollte. Sobald dieses Vernunftgebot der logischen Systemkohaerenz ueber Bord geworfen wurde, u.zw. post Hegel, setzte die Entwicklung ein, deren Ausdruck auch Nietzsche ist, und der Rohrmoser bedingungslos froent.

             Was Rohrmoser als Zusammenbruch der buergerlichen Kultur und nicht als eigentlicher Zusammenbruch des deutschen Idealismus anspricht, entspricht eigentlich der Abwendung, dem Brechen mit der berechnenden und berechenbaren Art des deutschen Idealismus bis Hegel. Von nun an stuerzte die deutsche „Philosophie“ in eine bis etwa 1945 andauernde Phase der Unberechenbarkeit, der abgrundtiefen Irrationalitaet, in entfesselte Mythisierung und Mystifizierung. Zuegellose Mythenbildung mit nationalen, nicht mehr mit allgemein menschlichen, humanistischen, universalistischen Inhalten wurde zur Tagesordnung des „philosophischen“ Alltags in Deutschland. Nur unter solchen Bedingungen konnten eindeutig exaltiert veranlagte Persoenlichkeiten die Geltung von „Philosophen“ erlangen. Die von der extremistischen Mythenkultur vielbeschworene Krise der buergerlichen Kultur benennt eigentlich die Unfaehigkeit und das sich daraus entwickelnde Unverstaendnis fuer die durchaus positive, auf rationalen Grundlagen aufgebaute Expansion der Wissenschaften. Letztere fuehrten die abwaegende, berechenbare, eben rationalistisch-aufklaererische Komponente des deutschen philosophischen Idealismus erfolgreich weiter, gegen welche Erfolgsstory sich die aus der mythischen, irrationalen Komponente dieser Philosophie ernaehrenden extremistischen Mystiker wie Schopenhauer, Nietzsche, dann die Vertreter der „Konservativen Revolution“ abschotteten. Statt den Versuch zu unternehmen, den neuen Gang der Wissenschaft in ihre „Philosophie“ zu integrieren, zogen die extremistischen Mystiker wohl auch in Ermangelung integrierender Faehigkeiten wie Uebersicht, Distanzierungs-, Analyse- und Synthesevermoegen es vor, sich in den Elfenbeinturm von Unterstellungen, von Faelschungen und Verfaelschungen, von Mythen und Suggestion, von blindwuetiger, nihilistischer Ablehnung zurueckzuziehen.

             Das anschaulichste und zugleich bedeutsamste Beispiel dafuer, wie verheerend die faelschende und verfaelschende Tendenz der extremistischen Mystiker sich auf lange Dauer auswirkte ist die verquere Rezeption des Darwinismus, dessen rational-positivistischen Erkenntnisse zum Sozialdarwinismus verfaelscht wurden. In diesem Zusammenhang ist die wiederholte Behauptung Rohrmosers einfach falsch, Nietzsche habe den Darwinismus als Ausdruck der kulturzerstoerenden Wissenschaft, ueberhaupt den wissenschaftlichen Geist wegen des Darwinismus abgelehnt. Weil der zum Sozialdarwinismus pervertierte Darwinismus eines Huston Stewart Chamberlain in Nietzsches Schriften durchaus Eingang fand.

Verleihen von Sinn und Bedeutung?

             Wie es sich mit der Wissenschaftsfeindlichkeit Nietzsches verhaelt, haben wir bereits im Zusammenhang mit seiner Ablehnung der „relativierenden“ Geschichtswissenschaft festgehalten. Deshalb ueberrascht Nietzsches Aussage aus „Schopenhauer als Erzieher“ nicht:

Die Wissenschaften, ohne jedes Maass und im blindesten laisser faire betrieben, zersplittern und loesen alles Festgeglaubte auf“ (S.198).
Indem Nietzsche die „Aufloesung alles Festgeglaubten“ betont, waere man in der Tat dazu verleitet, in ihm einen Verteidiger der Tradition zu erblicken. Aus den bisher gewonnenen Anhaltspunkten ergibt sich, dass Nietzsche kein Traditionalist, kein Konservativer war. Das einzige, was ihn mit der Tradition verbindet – und das gilt fuer alle extremistischen Mystiker – ist die Produktion von Mythen in moderner Verpackung. Und allesamt verfolgen nur ein Ziel: ihre Mythen gesellschafts- und damit konsensfaehig zu machen. Das wollte auch Nietzsche mit seinem Mythos der heuchlerischen Gebildeten und mit dem Mythos der „kommenden Barbarei“, die Rohrmoser bedingungslos teilt (S.199f.). Dabei setzt Rohrmoser Zitate aus Nietzsches Schopenhauer als Erzieher ein, um zum einen die Voraussicht Nietzsches zu betonen, zum anderen um den NS ueber Nietzsches Aussagen zu legitimieren (S.199-204). Diese Absicht Rohrmosers gipfelt im Postulat:
Man darf daher nicht den Schluss ziehen, dass immer das Gegenteil von dem, was der Nationalsozialismus getan und in Anspruch genommen hat, das absolut Richtige sei. Das stimmt eben nicht (S.203f.).
Das ist die reinste Relativierung und Verharmlosung des NS, die Rohrmoser hier treibt. Und er tut noch eines: er missbraucht Nietzsches Aussagen, indem er den Versuch anstellt, den NS von Nietzsche her zu erklaeren und zu legitimieren. Daran ist eigentlich nichts neu, denn Nietzsche soll ja bereits durch die NS-Ideologie missbraucht worden sein. Doch die Kontinuitaet, welche Rohrmoser zwischen Nietzsche und dem NS hier konstruiert, beruht nicht auf den mythischen Inhalten, wie das Rohrmoser suggeriert, sondern ausschliesslich in der Befaehigung beider Seiten, Mythen wahllos zu produzieren, also in der extrem angelegten Faehigkeit zum Mythisieren und zum Mystifizieren. Rohrmoser exemplifiziert letzteres in doppelter Weise: zum einen thematisiert er den Mythos des deutschen „Gemuets“ und dessen Mystifizierung am Beispiel von Thomas Mann, zum anderen mystifiziert Rohrmoser das „Gemuet“, die Deutschen und den NS mit den Worten:
Das Tragische am NS ist, dass er mit teuflischer List, so hat es Thomas Mann auch gesehen, diese Gemuetskraft, diese Herzkraft, diese Mittelkraft des Deutschen fuer seine teuflischen Plaene ausgenutzt hat. Darin besteht die „Genialitaet“ der Nationalsozialisten, dass sie diese deutsche Gemuetskraft in den Dienst ihrer diabolischen Plaene stellen konnten.Man darf daher aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus nicht den Schluss ziehen, dass immer das Gegenteil von dem, was der Nationalsozialismus getan und in Anspruch genommen hat, das absolut Richtige sei. Das stimmt eben nicht. Der Deutsche muss, wenn er selbst daran beteiligt sein soll, auch heute noch mit seinem Gemuet beteiligt sein. Das gilt auch fuer die Demokratie und den Rechtsstaat. (S.203f.)
             Hoechst beunruhigend und beklemmend stimmt die im Kapitel "Sinngebung des Sinnlosen" getane Behauptung, dass „vor allem der Faschismus ein verzweifelter Kampf gegen diesen Bedeutsamkeitsverlust“ im 20. Jahrhundert ist.
Es ging in diesen Anstrengungen darum, wieder Sinn und Bedeutsamkeit in eine an sich bedeutungslose und sinnlose Wirklichkeit hinein zu bringen (S.205).
             Und das Zauberwort fuer dieses angeblich-vorgebliche Verleihen von Sinn und Bedeutung soll die „Aesthetik“ sein, weil „Der Kern des Faschismus, weniger vielleicht des Nationalsozialismus, ist die Aesthetik gewesen.“ Denn: „Der Faschismus war der Versuch, aus der Substanz der Aesthetik heraus eine politische Revolution zu bringen“ (S.205). Rohrmoser erweist sich mit solchen Aussagen als so sehr in der extremistischen Mythenkultur verfangen und von den Mythisierungs- und Mystifizierungspraktiken dieser Kultur befangen, dass er zwingende Unterscheidungen ignoriert. Er stellt sich naemlich die grundlegende Frage nicht, ob es ueberhaupt einen Sinn macht, einfach Sinn zu produzieren und Bedeutung zu verleihen, wenn das nur der Sinngebung und der Bedeutungsverleihung zuliebe geschieht, wenn das ganze nur ein Spiel, eine Spielerei ist, also letztendlich der Befriedigung eines in diesem Fall recht kindischen Spieltriebs dient. Mit einer solchen Frage liefe Rohrmoser wohl Gefahr, das, was er hier „Wiederverzauberung der Welt“ vermittels Aesthetik nennt, zumindest in Frage zu stellen, was seinen Intentionen durchaus widersprechen wuerde. Es ist aber nicht nur bedenklich und hoechst zweifelhaft, sondern einfach unverantwortlich und zynisch, es ist ein Ausdruck unverzeihlicher Blindheit, im Faschismus und NS und damit in der extremistischen Mythenkultur ausschliesslich aesthetisch-aesthetisierende Phaenomene zu erblicken, mit der Begruendung, diese politischen Extremismen haetten einer sinnlosen Welt Sinn und Bedeutung verliehen. Wer solche Behauptungen aufstellt, der legitimiert und verharmlost politischen Extremismus und dessen kriminellen Ableger, weil

         a) ein Teilaspekt, und das auch nur der blendende Schein, die Aeusserlichkeiten – nicht von ungefaehr faellt auch der Name von Leni Riefenstahl (S.208f.) -, als Ersatz fuer das Ganze, fuer dass Gesamtphaenomen nach dem pars-pro-toto-Verfahren eingesetzt wird:
         b) der Faschismus/NS und damit die extremistische Mythenkultur als sinnstiftend, als Sinn gebend und Sinn (Bedeutung) verleihend verherrlicht wird. Dabei entgeht es den Mystikern und Mystifizierern, zu denen wir Rohrmoser nun definitiv zaehlen muessen, dass es wenigstens zwei Hauptbereiche der Sinnstiftung gibt, den der Wissenschaft und den der Kunst, die gesonderten Erkenntnisformen, der wissenschaftlichen und der kuenstlerischen (=aesthetischen) entsprechen. Dass nun der eine Bereich auf Kosten des anderen einfach als absoluter Hoehepunkt, als das Absolute schlechthin dargestellt wird, das belegt Nietzsche und der Irrationalismus der extremen Mythenkultur. Dass die Welt aufgrund einer solchen Sichtweise nicht verbessert, dass die vorgebliche Sinnstiftung und Bedeutungsverleihung in Faschismus- und NS-Manier von Anbeginn dem Scheitern geweiht war, laesst einen Rohrmoser kalt. Fuer ihn bleibt es weiterhin ausschlaggebend, dass diese extremistischen Regime Sinn gestiftet und Bedeutung verliehen haben sollen. Damit belegt Rohrmosers Diskurs einwandfrei, dass es der extremistischen Mythenkultur ein leichtes ist, aus Schwarz Weiss und umgekehrt zu zaubern. So blickt sich eben „Wiederverzauberung“ vermittels "Aesthetik" an !


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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Rohrmoser7.html            Erstellt: 21.11.2002       Geaendert:       Autor und © Klaus Popa


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