DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?



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       Achte Folge

Der Naehrboden des Extremismus:

Gegeneinander statt Neben- und Miteinander

 

             Es eroeffnet sich die Funktionsweise des Rohrmoserschen sowie des mythenkulturellen Diskurses mit ihren weitreichenden, folgenschweren Konsequenzen: Sinnstiftung gruendet hier zwingend auf Gegenueberstellung, auf Gegnerschaft, auf einer Beziehung, auf einem Verhaeltnis der Ausschliesslichkeit. Der Extremismus der Mythenkultur erwaechst aus der prinzipiellen Kultivierung des GEGENEINANDER. Das auf NEBEN- und/oder MITEINANDER begruendete Gesellschaftsverstaendnis erzeugt hingegen eine ganz andere, nicht auf Extremismus hinauslaufende Sinnstiftung.

             Das Problem, die Hypothek des Extremismus, also auch der extremistischen Mythenkultur und damit des modernen Mythos ist die erschreckende Einseitigkeit, die primitive Entproblematisierung und dumpfe Vereinfachung der Tatsachen. Wenn man nun einen aesthetischen oder aesthetisierenden Standpunkt vertritt, dann bedeutet das, dass die ganze Welt auf die Gegensaetzlichkeit, aufs Gegeneinader von dem reduziert wird, was als Aesthetik und was als Unaesthetik erachtet wird. Damit avanciert die wissenschaftliche Forschungs- und Erkenntnisweise zum Feindbild, das um jeden Preis ueberwunden werden, der Feuínd selbst ja aus der Welt geschafft werden muss. Damit wird die buergerliche Kultur, aus der der wissenschaftliche Geist doch hervorging, zum Unding, zum „dekadenten“ Phaenomen gestempelt. So einfach ist es und so einfach geht das! Und dann sollte Nietzsches „fundamentaler Antidemokratismus“ ueberraschen, der laut Rohrmoser in der dritten der Unzeitgemäßen Betrachtungen zum ersten mal deutlich wird? (S.205) Eindimensionierte, extremistische Voraussetzungen koennen nur zu un- und antidemokratischen Ausdrucksformen fuehren.

             Wie es mit der AEsthetik, mit der Aesthetisierung in der extremistischem Mythenkultur bestellt ist, wurde mehrmals angesprochen. Entscheidend erscheint in diesem Punkt, dass die extremistische Mythenkultur die Gesetzmaessigkeiten, die dem Bereich der schoenen Kuenste eigen und typisch sind, auf Bereiche uebertraegt und anwendet bzw. angewendet wissen will, die sonst nach anderen Regeln und Gesetzmaessgkeiten funktionieren, naemlich auf die Bereiche des Sozialen und der Politik. Damit ist ein weiterer Aspekt festgehalten, der die extremistische Mythenkultur als die Dekadenz schlechthin ausweist und das Paradigma des Verfalls buergerlicher Kultur als Kernmythos dieses mythischen Kulturverstaendnisses herausstellt.

             Weil die Wertsetzung, d.h. die Bestimmung der Wertinhalte in der modernen Mystik vom Belieben des willkuerlich verfahrenden Mystikers bestimmt wird, der sich als „Philosoph“ ausgibt, sind auch die Inhalt dessen, was Nietzsche und seine Epigonen unter dem Begriff „Kultur“ verstanden bzw. noch heute verstehen, reinste Dichtung. Nietzsche erhob das, was sonst nur der Domaene der Kuenstler vorbehalten war, in programmatischer Weise zum Absoluten, zur der seiner Meinung nach einzig moeglichen und wahren Realitaet, in der die auf Expansionskurs begriffene Wissenschaft mit ihren exakt-rationalen Grundlagen folgerichtig keinen Platz finden konnte. Dieses gewaltige Phaenomen der Verdraengung des wesensbestimmenden Bestandteils der Moderne konnte nur durch radikale Abkehr, durch extremistisches Gebaren erfolgen. Es war also weder die Wissenschaft und der mit dem Fortschreiten der wissenschaftlichen Erkenntnis einhergehende Prozess der Entchristlichung, im einzelnen die stuermische Behauptung des Darwinismus, noch die zunehmende Konsummentalitaet, im einzelnen der moderne Hedonismus (die Sexualisierung, die Lockerung der Sitten), die massiv zur Zerstoerung der Kultur beitrugen, sondern Nietzsches extremistische Rechthaberei und Rechtschaffenheit, seine Kulturarroganz, die die Krise der buergerlichen Kultur forcierte und produzierte. Weder die Wissenschaft, noch das Konsumverhalten der Menschen waren und sind Aufloesungs- oder Krisenerscheinungen, sondern das von Nietzsche entworfene und vertretene antikulturelle Projekt.

             Der Kulturbegriff Nietzsches ist wie die moderne Mythenkultur in ihrer Gesamtheit ein ungeheuerliches Kunstprodukt, es ist Dichtung, nicht Wahrheit. Dass nun dieser Weg der antikulturellen Aesthetisierung, der Verkuenstelung von Gesamtbereichen wie das Soziale und die Politik die ungeeignetste Modalitaet ist, um gesellschaftliche und nationale Probleme zu loesen, belegt die faschistisch/nationalsozialistische und zum Teil auch die marxistisch/kommunistische Option. Auf diesem Hintergrund sollte die Unannehmlichkeit folgender Aussagen Rohrmosers nicht überraschen:

Damit wird fuer Nietzsche nun die Aesthetik im umfassendsten Sinne zur wichtigsten Macht der Kultur, da die Aesthetik die Produktion von Sinn und Bedeutung zum Ziel hat. Die Kuenstler produzieren Sinn und Bedeutung. Das war der Sinn und die weltgeschichtliche Mission der Kunst im 20. Jahrhundert. Es war Walter Benjamin, der in geniale Weise erkannte, daß die Aesthetik auch die Substanz des Faschismus gewesen ist. Der Faschismus lieferte keine Theorien und Inhalte mehr, sondern er bildete einen Stil und eine aesthetische Formensprache aus, in welchem das Leben sich darstellen konnte. Darum gehoerte zum Faschismus und Nationalsozialismus die staendige rituelle Selbstinszenierung in Massenveranstaltungen. Und daher musste es Aufmaersche, Paraden und vor allem die Reichsparteitage geben, die in ihrer Art, also rein aesthetisch betrachtet, zu den groessten aesthetischen Leistungen des 20. Jahrhunderts gehoerten. (S.208)
Die Nationalsozialisten haben das, was sie getan haben, nicht etwa getan, weil sie etwas Boeses tun wollten, sondern sie wollten ihre „Werte“ verwirklichen. Die Nationalsozialisten wollten ihre Werte, wie die Deutschen das meistens tun, „konsequent“ durchsetzen (S.209).


Das ist ein Musterbeispiel dafuer, wie unter dem Vorwand, die aesthetischen Wurzeln extremistischer, krimineller politische Systeme zu erklaeren, diese zu aesthetischen Phaenomenen verklaert und verharmlost werden, so, als ob diese politischen Extremismen ausschliesslich aesthetische Ziele verfolgt und sich in ihrer eigenen Aesthetisierung aufgezehrt haetten. Das aeussere Erscheinungsbild wird hier zum Phaenomen selbst, zu seinen Inhalten erklaert, was durchaus falsch und unannehmbar ist.


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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


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Datei: Rohrmoser7.html                           Erstellt: 26.02.2003       Geaendert:                            Autor und © Klaus Popa


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