DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?


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       Neunte Folge

Der Nationalsozialismus, ein Kunstwerk?
 

             Zum heilsbringerischen Mythos des Philosophen als "Arzt der Kultur" (S.209) ist nur zu bemerken, dass Rohrmoser dieses Axiom fuer sich und seinen Diskurs in Anspruch nimmt, indem er unter anderem behauptet:

Was Rohrmoser nun als "Philosophie" anpreist erweist sich bedauerlicherweise als bare Ideologie, und dass nicht seit 1945, sondern seit der Grundsteinlegung durch Nietzsche. Deshalb ist auch Rohrmosers Bedauern, die "Ausbildung von angehenden Politikwissenschaftlern" sei falsch angelegt, "wenn sie nicht durch eine philosophische Schulung begleitet wird" (Anm. 69, S.210) ein eindeutiger Ruf nach Ideologisierung dieses Betriebs, gewiss nicht im Sinn der politischen Linken, der politischen Mitte oder der politischen Rechten, sondern im Geist der extremistischen Rechten.

Mit dem nun folgenden Versuch Rohrmosers, Nietzsches Wagnerinterpretation als "der Schluessel zum Verstaendnis des Wesens des Dritten Reichs" (S.210 und das Kapitel Nationalsozialismus und Wagners Kulturrevolution, S.211-218) auszulegen, ist wohl der Hoehepunkt Rohrmoserscher Mythisierungs- und Mystifizierungskunst erreicht.

Rohrmoser laesst den fiktiv angesetzten antiken Massstab von Wagner und Nietzsche uneingeschraenkt gelten, in dem "die Feier und das Fest" der "Lebensinhalt und der Sinn" waren (S.212). Auch die Arbeitsfeindlichkeit der beiden "Genies", der zufolge der moderne Mensch in der Industriegesellschaft selber ein Mittel der gesellschaftlichen Produktion wird, weil das Leben angeblich nicht gelebt, "sondern in den Dienst der Schaffung der Mittel des Lebens" gestellt wird, was einem sinnlosen Leben entspricht (S.212). Das sind Gedanken, die nur von Menschen stammen koennen, die der Arbeit, der Arbeitswelt mit krassem Unverstaendnis begegneten, die, um einen im NS-Jargon gaengigen Begriff einzufuehren, "arbeitsscheu" waren. Fuer derartig gepolte Individuen gab es aus rein existentiellen Gruenden nur die Option der "Kunst", die nicht mehr der "Befriedigung von Lebensbeduerfnissen" (S.212), der "falschen Empfindung" (S. 214) oder der Unterhaltung (S.219) dient, sondern die dem "emotional Affektiven" (S.214) in Form der "Einheit von Leben und Arbeiten" (S.212) und des «"Anderes Empfinden" des "neuen Menschen"» gerecht wird. Dieses eindeutig elitaere Kuenstler- und Kunstverstaendnis will die menschliche "Natur" wiedererwecken, u.zw. die Natuerlichkeit im Menschen, denn nur ueber das "natuerliche" Empfinden kann die "falsche Empfindung" abgestreift werden (S.224). Das sind recht hehre Absichten, aber die Art der Verwirklichung ist recht bedenklich. Weil bereits die Absicht auf der Gegensaetzlichkeit zwischen "falschen" und "natuerlichen", also von unwahren und wahren Empfindungen aufbaut, folglich auf extremistische Eindimensionierung aufbaut.

Das sogenannte "Gesamtkunstwerk" Wagners beansprucht in der Tat das extremistisch-totalitaere Ziel der "revolutionaeren Veraenderung aller gesellschaftlichen Verhaeltnisse und - letzten Endes - des Menschen selber herbeizufuehren" (S.213). Das soll vor allem ueber die Ueberwindung "unrichtiger Empfindung" geschehen, deren Hauptursache laut Nietzsche die aus der Krise der Sprache resultierende "Not" der Menschen sei. Die Sprache sei naemlich "intellektualisiert", verbegrifflicht (S.213).

Laut Rohrmoser soll bei Nietzsche im Anschluss an Wagner ein "Volk" die Summe derer sein, die eine Not gemeinsam teilen. Doch taete sich laut Rohrmoser hier ein "Abgrund zwischen Nietzsche und dem Nationalsozialismus" auf, weil letzterer einen ganz anderen, biologistischen Volksbegriff hatte (Anm. 70, S.213). Das entspricht den Tatsachen nicht, weil der Begriff des "Volkes" im Nationalsozialismus ausschliesslich das deutsche Volk bezeichnete. Ausserdem fasste der Nationalsozialismus das Volk nicht nur biologistisch auf, sondern auch als eine Not- und Schicksalsgemeinschaft. Wobei auch letztere Begriffe der mythenkulturellen Konnotation nicht entbehren.

Rohrmoser geht in seiner regelrechten Legitimierungswut, die er in Verbindung mit dem NS entwickelt, so weit, den NS als "Gesamtkunstwerk" zu mystifizieren. Er schreibt:

Kennzeichnend fuer den extremistischen, mythenkulturellen Geist ist die Einstufung Wagners als "Vereinfacher", die Rohrmoser dem Gesamtkunstwerker Wagner verpasst. Rohrmoser interpretiert: "Komplexitaetsreduktion ist das Einzige, was uns in dieser modernen Kultur ueberhaupt ueberleben laesst" (S.217). Damit erweist sich dieser Begriff als totalitaer, also extremistisch begruendet, weil er die Obsession der Einheit, der Vereinheitlichung via Vereinfachung um jeden Preis vertritt. Den Schluessel dieser Vereinheitlichung soll also der vereinfachende Gesamtkunstwerker, aber auch die auf der Vereinfachungsschiene angelegten Ideologien und politischen Systeme besitzen. Zum politischen und ideologischen Komplex des totalitaer-extremistischen Vereinfachens aeussert sich Rohrmoser wie folgt:

Ueber die gedankliche und absichtliche Naehe Nietzsches und Wagners zum NS heisst es bei Rohrmoser, dass Hitler und der NS

hatten, weil sie

wollten (S.218). Das mythenkulturelle Dreiergestirn Nietzsche-Wagner-Hitler (letzterer steht fuer den NS) haetten sich um die "Wiederherstellung der menschlichen Natur" bemueht. Mit "menschlicher Natur" meint Rohrmoser eigentlich die deutsche Menschennatur". So heisst es:

Abzueglich der apologetischen und verharmlosenden Toene plaediert Rohrmoser hier fuer den entmuendigten, manipulierbaren, instrumentalisierten Menschen. Und es ist eine unverbluemte Anpreisung des NS-Unrechtssystems, wenn Rohrmoser die Taktik des NS "genial" nennt, ueber Erzeugung von sogenannten "unfalschen Empfindungen" den Einzelnen von angeblichen Leiden seiner eigenen Individualitaet "erloest" zu haben ! (S.219f.)

Unter Deutschzentriertheit leiden weitere Aussagen Rohrmosers: "Worauf war die deutsche, aus dem Geist der Aesthetik gezeugte Kulturrevolution gerichtet?" (S.222) "Auch der nationalsozialistische Kulturkampf in Deutschland nahm, vorbereitet durch Wagner und Nietzsche , die Form des Kampfes gegen die Zivilisation an. Deutsche Kultur statt westlicher Zivilisation, so hiess das Motto" (S.224). Auf die eben genannte Frage hat Rohrmoser die eindeutige Antwort parat, dass der NS, gewiss wieder mal in "genialer" Weise, die (deutschen) Massen erreichte, im Unterschied zum Marxismus, der immer nur die verpoenten (Links)Intellektuellen begeistert haben soll (S.223). Die vom NS eifrig betriebene Zerstoerung des Individualbewusstseins sei laut Rohrmoser eine "Vermaehlung mit dem Absoluten des [deutschen] Volkes" gewesen, in der Formel "Du bist nichts, dein Volk ist alles." (Ebenda)

Dass dergleichen Kunstgriffe an dem Schaden nichts aendern, den Rohrmoser durch seine konsequente Apologie des NS anrichtet, duerfte einleuchten.

Es sei noch ein Punkt erwaehnt, der Rohrmoser eindeutig als NS-fixiert ausweist. Was naemlich an manchen Stellen seines Diskurses nur durchscheint, das wird nun zur Gewissheit: es geht Rohrmoser in diesem Buch nicht nur um die Vermittlung der NS-Ideologie in einem Prozess des "Verstehens" und "Begreifens", sondern er scheint vordringlich mit seinem eigenen, persoenlichen Verhaeltnis zum NS, den er immerhin bis zum 18. Lebensjahr miterlebte, ins Reine kommen zu wollen. Die zahlreichen apologetischen, verharmlosenden Formulierungen hinterlassen das Bild eines Rohrmoser, der sein in den Jugendjahren offensichtlich positiv, also "unfalsch" gepoltes "Empfinden" des NS in Nietzsche und der extremistischen Mythenkultur Schritt fuer Schritt bestaetigt haben will.



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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie



Datei: Rohrmoser9.html                           Erstellt: 20.05.2003       Geaendert:                            Autor und © Klaus Popa


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