DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?



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       Elfte Folge

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Rohrmosers Klagelied ueber den Zustand der modernen Geisteslandschaft

                Es ist durchaus bemerkenswert, dass Rohrmoser im Schlusskapitel zu Nietzsche, Von Nietzsche zur Konservativen Revolution (S.268-283) schliesslich das zugibt, was er im Verlauf seiner bisherigen Ausfuehrungen peinlichst vermieden hat, naemlich, dass Nietzsche ein Feind der christlichen Lehre ist. Auch spricht Rohrmoser von der Radikalitaet Nietzsches gegenueber der buergerlichen Dekadenz, die „mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden muesste“ (S.276). Noch bemerkenswerter ist, dass Rohrmoser den Wunsch Nietzsches, „mit der buergerlichen Kultur das gesamte europaeisch-abendlaendische Kulturerbe destruieren und ueberwinden“ zu wollen, mit dem Begriff der „tabula rasa“ bedenkt (S.276). Eine recht kuriose Übereinstimmung zwischen Rohrmoser und uns!

                 Rohrmoser moechte nachweisen, dass es „nicht nur ein Linie im Ausgang von Marx gibt, sondern auch eine, die von Nietzsche herkommt“, naemlich die der Konservativen Revolution (S.271f.). Dabei moechte Rohrmoser hier

den vielleicht ersten Versuch machen, die Frage zu beantworten, erstens, wieso dieser revolutionaere Konservativismus hochkommen konnte, und zweitens, woran es denn liegt, dass dieser Konservativismus an seinem politischen Ziel, Dekadenz zu ueberwinden, genauso gescheitert ist, wie der Marxismus an seinem Versuch, die menschliche Selbstentfremdung aufzuheben. (S.275)
                 Rohrmoser postuliert zunaechst im Gegensatz zu „den linken Konservativismusforschern“, „dass mit Nietzsche auch innerhalb der Geschichte des Konservativismus ein qualitativer Bruch eingetreten ist“ (S.276), naemlich der, dass „Seit Nietzsche [...] der Konservativismus revolutionaer“ geworden sein soll (S.277). Und „Revolution“ bedeutet bei Nietzsche/Rohrmoser, dass alles Bisherige vernichtet werden muss, um nicht im Faulen, Kranken, Morbiden, Dekadenten zu ersticken (Ebd.). Und um das Wesen der konservativen Revolution anschaulich zu machen, erwaehnt Rohrmoser Jakob Burckhardt, der mit seinem dreifachen Ziel der Rettung Alteuropas, der Rettung des Einzelnen durch historische Bildung und der Rettung des Geistes vor dem Anheimfall an den „Stoff“ fuer den klassischen Konservatismus stehe (Ebenda). Rohrmoser versucht auch herauszustellen, dass die Konservative Revolution so, wie sie sich im Faschismus und NS niederschlug, eine wesentlich politische Erscheinung ist.

                     Bei der Eroerterung der Frage, woran der revolutionaere Konservatismus gescheitert ist (S,.279ff.), haelt Rohrmoser am Dekadenzmythos fest und stellt ihn neben den marxistischen Mythos der Selbstentfremdung des Menschen. Dabei erscheint es Rohrmoser nicht unwesentlich, herauszubekommen, ob das „zwei unvereinbare Deutungen des gleichen Tatbestandes“ sind, oder ob „diesen Deutungen zwei ganz unvereinbare Tatbestaende und Sachverhalte“ zugrunde liegen, „die gar nichts miteinander zu tun haben?“. Das sei laut Rohrmoser die Kernfrage, um den links-rechts bzw. progressiv-konservativen Antagonismus im 20. Jahrhundert zu begreifen (S.280). Rohrmoser bleibt die Beantwortung dieser „Kernfrage“ schuldig, weil er zum Ende des Kapitels beklagt, dass die Philosophie nicht mehr den frueheren Stellenwert besitzt und dass „weder der Faschismus, noch der Zweite Weltkrieg, noch der Zusammenbruch des Sozialismus in seiner Bedeutung theoretisch begriffen worden ist“ (S.282). Rohrmoser beklagt ferner, „dass sowohl die zentrale linke Kategorie der Selbstentfremdung, als auch die konservativ-revolutionaere Kategorie der Dekadenz aus der gegenwaertigen gesellschaftlichen Diskussion verschwunden ist“ (S.283).

                     Unsere Antwort auf die von Rohrmoser abschliessend gestellte Frage ist im Verlauf unseres Kommentars mehrmals gefallen: ein Mythos wie die „Dekadenz“ der buergerlichen Gesellschaft kann nur zum Debakel fuehren. Der Hauptgrund dafuer ist die Realitaetsferne, die Realitaetsfeindlichkeit dieses Begriffs, wie der extremistischen Mythenkultur insgesamt. Es gilt die Weisheit, dass Dichtung immer Dichtung bleibt, waehrend die Wahrheit sich nicht durch Dichtung substituieren laesst und die Dichtung immer wieder in ihre Schranken weist.


Oswald Spengler versteht sich als Dichter

                     Oswald Spengler war ein moderner Mystiker, der im Unterschied zu Nietzsche zumindest bekennt, sich als Dichter verstanden zu haben (S.291). Spengler liefert in der Tat das Bild eines Mystikers, der bereits bei Nietzsche vorliegende Mythen und Stereotypen einsetzt: Spengler ist ein Anhaenger der „Ganzheit“ – er will ein Gesamtbild der Geschichte liefern (S.292); die „Kultur“ zerfalle unter den Hieben der minderwertigen Zivilisation (S.297). Spengler ist im fruehen 20. Jahrhundert verwurzelt und schmueckt seine Texte mit entsprechenden Mythen, die bezeichnenderweise Eckpunkte in der NS-Mythologie sind: die sogenannte „Schicksalskausalitaet“, die darin besteht, dass den als Organismen aufgefassten „Kulturen“ „eine Art Idee eingestiftet sei“ (S.287); der durchgaengig politische Mythos der „Zivilisation“, die als dekadentes Stadium der fuer die Deutschen typischen „Kultur“ den Westmaechten Amerika, England und Frankreich eigen sei und zur „Kultur“ in einem gegensaetzlichen Verhaeltnis stehe (S.288 u.oe.); der an Nietzsches „Pessimismus der Staerke“ bzw. ans „tragische Bewusstsein“ erinnernde „heroische Realismus“ (S.289); der mit der Aufklaerung einsetzende „Zerfall der Kultur“ (S.297); der „Weltbuergerkrieg“ und der „Rassenkampf“ (S.299); die aristokratisch-elitaer angehauchten „ueberlegenen Formen“ (S.301f.). Bemerkenswert ist auch, dass Rohrmosers Spengler-Interpretation im Unterschied zur Nietzsche-Interpretation zwar die Genialitaet und Pionierrolle Spenglers hervorhebt, aber dabei die Bruechigkeit der Spenglerschen Auffassung zugibt und Begriffe einsetzt, die man in Verbindung mit Nietzsche schmerzlich vermisst: Rohrmoser erwaehnt nur ein einziges Mal den Begriff „deutscher Irrationalismus“ in Verbindung mit dem NS: „Wir fragen in dieser Abhandlung in philosophiegeschichtlicher und geistesgeschichtlicher Hinsicht nicht zuletzt nach der Herkunft des „deutschen Irrationalismus“, wie er im Nationalsozialismus manifest geworden ist“. Im Zusammenhang dieser Fragestellung sei „Oswald Spengler ebenfalls als eine Schluesselfigur anzusehen“ (S.291). Und Rohrmoser pflichtet der Auslegung Spenglers bei, mit seinem Anspruch, ein Bild von der Totalitaet der Geschichte gegeben zu haben, einen „Geschichtsmythos“ gedichtet zu haben (S.292f.).

                         Es faellt auf, dass Rohrmosrs Art, zu Spenglers Dichtung Zugang zu finden, auf dem Axiom beruht, das er auch bei Nietzsche durchgaengig gelten laesst: der Wahrheitsgehalt, die Richtigkeit, die Glaubwuerdigkeit eines Autors, einer Theorie stehe in direktem Verhaeltnis zur „Wirkung“, also zur Verbreitung und oeffentlichen Akzeptanz. Den NS misst Rohrmoser nach demselben axiomatischen Massstab. In diesem Sinn betont Rohrmoser zu Beginn seines Buches mit Nachdruck, dass der Zuspruch der Deutschen fuer den NS weder dafuer spricht, dass die Deutschen Idioten, noch, dass sie Verbrecher waren (S.41). Oder:

Vielmehr meinten sie [die Politiker], zwischen einer kommunistischen und einer nationalen Revolution waehlen zu muessen. Wenn man sich diese Lage vor Augen haelt, dann kann ich nicht finden, dass diejenigen, die sich damals fuer die nationalrevolutionaere Loesung entschieden haben, nur Idioten und Verbrecher gewesen sind (S.51).
Oder:
Die Deutschen haben Hitler also nicht zugestimmt, weil sie Idioten oder gar Verbrecher waren, sondern weil sie fast alles erfuellt sahen, was ihnen versprochen wurde (S.82).
                        Rohrmosers Understatement: Es kann doch nicht alles am NS falsch gewesen sein, weil die Deutschen sich unmoeglich so getaeuscht haben koennen in ihrer Zustimmung. So verhaelt es sich laut Rohrmoser auch mit Spengler, weil entscheidend sei,
was Spengler bei allem, was man kritisch gegen ihn einwenden kann, richtig gesehen hat. Spengler hat durchaus vieles richtig gesehen, und darauf baute auch seine Wirkung auf (S.291).
                     Entscheidend im Geiste des modernen Mythisierens und Mystifizierens ist nicht, was die Geschichte ueber das Scheitern der staatlich (politisch institutionalisierten) Mythenkultur  - wie der NS  - lehrt, nein, entscheidend ist laut Rohrmoser oeffentliche Akzeptanz. Damit ist das Sprichwort abgedeckt: „wenn einer in den Brunnen springt und alle anderen hinterher....“, ungeachtet dessen, ob sie sich geirrt haben moegen. Rohrmoser befürwortet hier ein recht zweifelhaftes Mehrheitsprinzip, dessen geschichtliche Folgen gut bekannt sein duerften.

                     Dass Spengler eigentlich ueberhaupt nichts mit „Weltgeschichte“ zu tun hat, ist umso klarer, je mehr Rohrmoser das hervorhebt in seinem totalitaeren Vereinheitlichungs- und Einheitsdrang. Spengler mit seiner biologisch-biologistisch-rassistischen Theorie der Kulturen
(die Kulturen sind wie Lebewesen, wie Organismen zu betrachten, die nach dem sogenannten „Gesetz“ der „Schicksalskausalitaet“ funktionieren, die keinerlei Austausch miteinander haetten; die „Zivilisation“ der westlichen Demokratien sei die Phase, in der sich die Kultur aufloest; der Kulturzustand sei den Deutschen eigen; die „Zivilisation“ sei ein Produkt der Aufklaerung des 18. Jahrhunderts) soll laut Rohrmoser „der letzte gewesen sein, der Weltgeschichte geschrieben und Weltgeschichte gedacht hat“; er habe das buergerliche Geschichtsbild revolutioniert und den „Gedanken von der Einheit der Weltgeschichte destruiert“ (S.286).

                     Indem Spengler das aufklaererische Geschichtsbild humanistischer Ausrichtung, also der „Universalitaet und auch dem – dieser Universalitaet entsprechenden – Einheitssubjekt [gemeint ist der Mensch, die Menschheit] eine klare Absage“ erteilt (S.286), soll „Spenglers Bild von der Weltgeschichte„ „durch Pluralitaet bestimmt“ sein (Ebenda). Rohrmoser erachtet es fuer genuegend, wenn Spengler von „Kulturen“ spricht, um ihm eine plurale Geschichtsbetrachtung anzudichten. Dass Spengler ein ueberaus produktiver Mythenschoepfer war, dem die Geschichte und die Geschichtstheorie nur ein Vorwand war, um eine von Ausschliesslichkeit,
Intoleranz und deutschnationaler Fixiertheit gepraegtes ideologisches System zu entwickeln, das sich von dem des NS kaum unterscheidet, das will Rohrmoser nicht sehen. Er betont mehrmals, Spengler habe sich „nicht rueckhaltlos mit dem NS oder mit dem Faschismus identifiziert“, weil er den NS/Faschismus „nicht unterstuetzt, sondern abgelehnt habe“. Denn er habe „immer die These vertreten, dass der Faschismus nicht die Loesung, sondern selber nur ein Übergangs- und Krisenphaenomen sei“. Der Faschismus selber sei „noch ein Produkt des Demokratisierungsprozesses der Aufklaerung“, er gehoere noch immer “zur inneren Logik der modernen Demokratie“ (S.306) . Trotzdem hat Spengler dem NS ein in sich schluessiges ideologisches System geliefert, das dieser umso hungriger rezipierte. Dabei spielte Spenglers Absicht, die Deutschen umzuerziehen (S.289) eine entscheidende Rolle. Diese sollten, entgegen Rohrmosers Behauptung, sich nicht mehr an den Begriffen und Kategorien der Zivilisation, sondern an denen der kerndeutschenKultur“ orientieren (Ebd.). Rohrmoser stellt mit Freude fest, dass die „heroischer Realismus“ , genannte Haltung, die in der Hauptsache Nietzsches „Pessimismus der Staerke“ entspricht, es sein sollte,  welche die Deutschen einzunehmen haetten (ebd.). Und die nahmen sie auch waehrend des NS im Ueberfluss ein. (ebd.)


Zwoelfte Folge  - Der Mythensystematiker Spengler
Das Gegeneinander der Rassen bei Spengler

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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie



Datei: Rohrmoser11.html              Erstellt: 26.09.2003       Geaendert:                            Autor und © Klaus Popa


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