DEN NATIONALSOZIALISMUS VERSTEHEN UND BEGREIFEN

Guenter Rohrmoser: Philosoph, Propagandist oder Ideologe ?


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       Elfte Folge


 Der MYTHENSYSTEMATIKER Spengler

            Rohrmoser geht den Ursachen nach, welche die Resonanz von Spengler bei den Deutschen der Zwischenkriegszeit ermöglichten (S.291-296). Dabei fällt der Begriff des „deutschen Irrationalismus“ in Verbindung mit Rohrmosers Absicht, „in dieser Abhandlung in philosophiegeschichtlicher und geistesgeschichtlicher Hinsicht“ nach dessen Herkunft, „wie er im NS manifest geworden ist“, zu fragen (S.291). Dass Rohrmoser dieser Absicht in seiner Abhandlung kaum gerecht wird, liegt hauptsächlich daran, dass er diesem Begriff sowohl durch auffällige Nichtnennung, als auch dadurch aus dem Weg geht, dass er den offensichtlichen Irrationalismus der Mythenkultur und auch seiner eigenen Sichtweise überhaupt nicht thematisiert. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Rohrmoser mit keinem Wort darauf hinweist, dass es der – zumindest seit dem Ende von Bismarcks Kanzlerschaft – auch in der Reichspolitik vorherrschende Irrationalismus war – der Spenglers Buch zum durchschlagenden Erfolg verhalf. Spengler schaffte es nämlich, die bereits mythengeschwängerte deutsche Öffentlichkeit mit weiteren Kernmythen zu versorgen, die der NS dürstend rezipierte. Spenglers Verdienst liegt wohl darin, dass er den in der Öffentlichkeit eher diffus  und ziellos wuchernden Mythenschatz durch die Erzeugung einiger Kernmythen bündelte und zur schlagkräftigen ideologischen und politischen Waffe umwandelte. Spengler ist also kein einfacher Mythenproduzent gewesen, sondern ein Mythensystematiker. Er brachte die zu seiner Zeit umherschwebenden Mythen in einem System zusammen. Die Bündelung fiel ihm umso leichter, als der Erste Weltkrieg den Anlass und den Hintergrund dazu bot. Rohrmoser erwähnt, dass das Hauptargument der propagandistischen Offensive der Westmächte, sie führten einen Krieg im Namen der „Zivilisation“ gegen die deutsche „Barbarei“ die Aufnahmebereitschaft der Deutschen für Spenglers Ideen in erheblichem Maß erklärt (S.294f.). Rohrmoser hebt auch hervor, dass Spengler der Deutungsnotwendigkeit nachkam, welche die Deutschen für den verlorenen Krieg vermissten (S.295.). Wir stellen fest, dass Spenglers Deutung der deutschen Selbstgefälligkeit entspringt und entgegenkommt. Der Sinn, den Spengler der deutschen Niederlage gab, ist eine eindeutige Mystifizierung: die Deutschen seien nämlich vom „Schicksal“ geschlagen worden.

            Auf dem zwiefältigen Hintergrund der von den Westmächten propagierten Legende des deutschen Barbarentums und der deutschen Niederlage schuf Spengler den Mythos des deutschen „Schicksals“, woher die Mythen der „Schicksalsgemeinschaft“ und der Deutschen als Vertreter der „Kultur“ (das deutsche Kulturträgertum) abgezweigt wurden.

            Bemerkenswert ist Spenglers Glaube an die Tatsachen, der laut Rohrmoser darin besteht, „daß man in dieser Welt überhaupt nichts bewirken kann, wenn man den Tatsachen nicht ins Auge sehen kann“ (S.304f.). Das ist bloß ein neuer Mythos, weil es sich hier um einen Glauben handelt, der, weil eben ein Glaube, das für Tatsachen hält, was von einem Mystiker und Ideologen wie Spengler, später von den NS-Mystikern als Tatsachen ausgegeben wird. Es handelt sich eigentlich um den Glauben an die Projektionen, die den eigenen Erwartungen, der eigenen Selbstgefälligkeit entsprechende Mythen erzeugen und eine eindeutige Ersatzrealität bilden.

            Spengler räumte auch dem vom NS mystifizierten Bauerntum in seinem Kulturverständnis eine Spitzenrolle ein. Selbst wenn Spenglers Rassenbegriff nicht biologistisch wie der des NS ist, ist er nicht minder fragwürdig. Denn es ist ein menschen- und menschheitsfeindlicher Kultur- und Elitenrassismus. Spengler betet nämlich das Menschentum an, das sich eine „Form“ zu geben vermag (S.308). Dazu zählt außer dem Deutschtum als einziger Kulturträger in Spitzenstellung auch der Mythos des „preußischen Sozialismus“, der auf einer ebenso mythischen „Gesellschaft“ fußt, die ihre Menschen zu einer „lebendigen“ Kultureinheit zusammenfasst, in der Bildung, Sitten und Pflichten grundsätzlich sind, nicht „Rechte“ (S.300). Diese mythische deutsche Kulturgesellschaft funktioniert aufgrund eines „positiven Verständnis von „Autorität“„ , sie baut auf „Tradition“ auf und sie akzeptiert die „Hierarchie“ (S.304). Die Zukunft Deutschlands soll in Spenglers Perspektive durch Rückwärtsgewandtheit und Antidemokratismus geprägt sein.

            Wie einseitig Rohrmosers Kommentar über Spengler ist, veranschaulicht das Thema der „Barbarei“, das Rohrmoser nur in Verbindung mit der Begründung für den großen Anklang von Spengler unter den Deutschen anspricht (S.294). Doch die eigentliche Barbarei, das eigentliche „Barbarentum“, gegen das sich Spengler gerichtet haben soll, der NS, darüber schweigt sich Rohrmoser aus. Spengler schrieb nämlich in den nachgelassenen Notizen zu den 1933 erschienenen „Jahre(n) der Entscheidung“ über den NS:

Dabei aber führen sie selbst eine Barbarei herauf, die nicht die d(er) Germanen, sondern Kannibalen ist: Foltern, Morden, Gesetzlosigkeit, Raub“ (Stefan Breuer, Die Konservative Revolution, Darmstadt  1995, S.176 und Anm. 55, S.210).

Das Gegeneinander der Rassen bei Spengler

    Im Abschnitt „Ernst Jünger – Der Triumph der Technik über den Geist des Humanismus“ (S.310-320) fasst Rohrmoser das System Spenglers zusammen und stellt ihn als „Prognostiker“ dar. Das erinnert an Nietzsches Einstufung als „Diagnostiker“. Mit seiner Methode und seinem Verfahren der „Formen“ und „Typen“ soll Spengler zum einen in der Nachfolge Goethes stehen (S.312f.), zum anderen die Wahrnehmung von Geschichte revolutioniert haben. So sei seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – seit der Französischen Revolution – ein „weltrevolutionärer Bürgerkrieg“ im Gang, dessen verlauf zur „Selbstzerstörung der Demokratie“ führen soll (S.343). Der „Klassenkampf“, der über den Liberalismus und den Bolschewismus zur Zerstörung der Kultur geführt habe, werde durch den „Rassenkampf“ abgelöst. Das seien alles Prophezeiungen Spenglers (S.313). Dass nichts davon eingetreten ist, dass es sich nur um recht billige, aber umso verheerendere Mythenschöpfungen handelt, das stört Rohrmoser überhaupt nicht. In seiner Distanzlosigkeit, auch zu Spenglers Mythologie, kann Rohrmoser nicht auffallen, dass die sogenannten „Formen“ und „Typen“ Spenglers nur weiter Mythen sind und dass Spenglers sogenannte „Prophetie“ das ausschließliche Ergebnis seiner auf Auseinandersetzung und Kampf aufgebauten Weltsicht ist. Auf dieser Grundlage des GEGENEINANDER beruht auch Spenglers Mythos von der Rassensendung der Deutschen, die „die „weiße Rasse“ vor dem Untergang bewahren werden“, wie auch der als Endkampf der Rassen ausgemalte apokalyptische Überlebenskampf der weißen Rasse um die Weltherrschaft (S.314).

            Rohrmoser beschließt seine Betrachtungen über Spengler mit der paradoxen Bemerkung, Spengler habe „im Blick auf die künftige Gesellschaftsordnung jede rassische oder völkische Abhängigkeit bzw. Bedingtheit“ mit seinem ständisch-autoritär aufgebauten Modell des "„preußischen Sozialismus“ ausgeschlossen (S.314f.). Wie das möglich sein soll, wie das im Rahmen von Spenglers zum Teil universalrassistischen, auf deutschnationaler Ausschließlichkeit in Kultur und Geschichte beruhenden Modell funktionieren soll, das ist ein weiteres Problem, das es für den apologetisch verfahrenden Rohrmoser überhaupt nicht gibt.

            Von der „genialen“ Art und Weise Spenglers, die Rohrmoser z.B. in Verbindung mit dessen eigentlich abträglicher, geringschätzenden und arroganten Betrachtungsweise der Presse erkennen will (S.301) geht es nun zum „genialen Buch“ Ernst Jüngers Der Arbeiter (S.315-329).


Dreizehnte Folge   - Ernst Juenger - ein Faschist ?

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Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie



Datei: Rohrmoser12.html              Erstellt: 23.10.2005       Geaendert:                       Autor und © Klaus Popa


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