KASIMIR  EDSCHMID
(EDUARD SCHMID, 1890-1966)
"Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein!"
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[Ed. Schmid] [Die Achatnen Kugeln]
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EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ALS ES NOCH KEIN INTERNET GAB
Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts

Mit Goethe hatte er gemeinsam, daß er seinen Studien-Abschluß, den er an anderen Universitäten nicht geschafft hatte, in Straßburg nachholte und daß Italien sein bevorzugtes Reiseziel war; mit Colin Ross hatte er gemeinsam, daß er völlig verfrüht (1926) seine Reise-Memoiren verfaßte: "Das große Reisebuch". Der Titel war wohl etwas hoch gegriffen für ein paar bescheidene Fahrten in den Jahren 1921-25 durch Italien und Frankreich (wobei Edschmid - wie er meinte "als erster Deutscher" - auch Korsika besuchte, die Heimat Napoleons, den er so bewunderte) und einem Kurztrip in die schwedische Hauptstadt Stockholm, von denen er mehr oder weniger enttäuscht heim kehrte und den Gedanken, den wohl schon so mancher Reisende gehabt hat - "zuhause ist es doch am schönsten; ich fahr' nie wieder weg" - in die abschließenden Worte faßte: "Es lebe Deutschland!" (In der 2. Auflage von 1953, unter dem etwas bescheideneren Titel "Das europäische Reisebuch", fehlt dieser Satz - und natürlich erst recht in der 3. Auflage von 1958, unter dem noch bescheideneren Titel "Kleines europäisches Reisebuch".) Mit Richard Katz hat er gemeinsam, daß 1996 eines - und nur eines - seiner frühen Bücher posthum neu aufgelegt wurde, und auch bei ihm das schwächste: "Die Achatnen Kugeln" von 1920 - kein Reisebericht, aber halt sein einziges vor dem Zweiten Weltkrieg erschienenes Buch, das man dem Leser heute noch als "politisch korrekt" verkaufen kann. [Von seinen übrigen Frühwerken werden ab und zu noch die Novellen-Sammlungen "Die sechs Mündungen" und "Timur, das rasende Leben" - beide aus dem Ersten Weltkrieg - antiquarisch angeboten.] Kindlers Literatur-Lexikon nennt es einen "expressionistischen Roman" (obwohl es eigentlich - wie so oft bei Edschmid - eine leicht verfremdete Biografie ist, nämlich die einer jungen Frau aus reichem Hause); und in diese Schublade versucht man Edschmid auch insgesamt zu stecken, nicht zuletzt, weil er selber diesen Begriff in jungen Jahren einmal etwas mißverständlich gebraucht hat, als er schrieb: "Die Erde ist eine riesige Landschaft, die Gott uns gab. Es muß nach ihr so gesehen werden, daß sie unverbildet zu uns kommt... Der expressionistische Künstler sieht nicht, er schaut. Er schildert nicht, er erlebt. Er gibt nicht wieder, er gestaltet. Er nimmt nicht, er sucht."

Aber damit war nicht gemeint, daß man etwa nach Manier eines Carl May "Abenteuer-Reisen", die man nur vor seinem geistigen Auge "geschaut" und in seinen Träumen "erlebt" hat, frei erfinden und "gestalten" sollte - im Gegenteil: Eschmids Reisebücher sind wahre Meisterwerke nicht expressionistischer, sondern realistischer Schilderung der Menschen und Völker und ihrer Schicksale - auch wenn viele Ethno-Linke das nicht wahr haben wollen. "Es wird soviel gelogen," läßt Edschmid einen seiner Reisenden sagen, "ich will die Welt sehen, wie sie ist." Und das tat er denn auch, mit scharfem Auge und spitzem Griffel. Seine Beschreibungen von Land und Leuten in aller Welt sind so treffend, daß Dikigoros sie noch ein halbes Jahrhundert später bestätigt fand - zumal in Edschmids bevorzugten Reisezielen Süd-Europa und Süd-Amerika, wo die Zeit nicht gar so schnell fortgeschritten ist wie in Nord-Amerika und Nord-Europa. Doch Edschmid reiste auch im eigenen Lande umher und sah mit scharfen Augen - was noch viel schwieriger ist -, allerdings je nach Zeitumständen aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln. So sah er 1932 "den Keil, den die Tschechen mit Prag, die Polen mit Warschau in die feste Form des Reiches hinein getrieben hatten. Er sah die Spitze, mit der Frankreich bei Kehl und Straßburg eindrang. Er sah den Dorn des polnischen Korridors, der zwischen Königsberg und Berlin die Figur Deutschlands durchstach... Der Friedensvertrag von Versailles ist unnatürlich, deshalb wird ihm eines Tags die Gurgel zugedrückt und er ist kaputt." Er sah, daß Deutschlands Unglück stets nur darin bestanden hatte, in schwierigen Zeiten "niemals zu einer geschlossenen nationalen Front" gefunden zu haben, weil ihm ein großer Führer fehlte. "Er sah Deutschland mit seinen Domen, seinen Imperien, seinen glückhaften Zeiten, seinen Flüssen und seinen Wäldern, seinen Flotten und seinen Energien an den Kreuzen wieder in die Höhe wachsen, bis es wieder jenen Stand erreichte, der ihm zukam, auf den es Anspruch erhob und für den zu krepieren keine Schande war."

1946 - Edschmid war im Gegensatz zu Millionen anderen nicht krepiert - erinnerte er sich dann an ganz andere Dinge, so als es ihn im Zweiten Weltkrieg in ein abgelegenes bayrisches Dorf (so stellte er Ruhpolding alias "Picklingau" jedenfalls dar) verschlug und er dort evakuierte Frauen aus den zerbombten Städten des Ruhrgebiets traf, die aus einer anderen Welt zu kommen schienen: "Sie waren zu Ansprüchen erzogen worden, die das Landleben ihnen nicht erfüllen konnte. Ihre seidenen Strümpfe hielten das In-den-Ort-und-zurück-laufen nicht aus, und sie hatten keine anderen Strümpfe. Ihre Mäntel waren dem Regen nicht gewachsen, noch weniger ihre kunstvollen Frisuren, die durch ihre kleinen Hüte nicht geschützt worden. Kurz, sie waren Stadtmenschen geworden, die für das, was die Natur bot, keinen Sinn besaßen, und denen selbst der Weg zum Kino zu weit war. Menschen, die vor zwanzig Jahren weder seidene Strümpfe noch Dauerwellen, noch Wildlederschuhe besessen hatten, sondern Boden schrubbten und Kartoffel schälten und die nun, wenn man sie aufforderte, ein wenig im Haushalt zu helfen, ungehalten auf andere wiesen... Dies alles war ungesund." Ja, weiß Gott, das ist ungesund - der hätte heute leben sollen... aber er bekam die Prämien für Milchseen und Butterberge (und am Ende für deren Vernichtung), gezahlt von den Subventions-Politikern der EWG-EG-EU, und deren Niedergang nicht mehr mit, sonst hätte er vielleicht an die Weltwirtschaftskrise von 1931 zurück gedacht, die er so eindringlich beschrieben hatte, an die unverkäuflichen Zuckerberge von Tridinad, die Salpeterberge von Valparaiso, die Zinnberge von Bolivien (das er ebenso hartnäckig wie korrekt "Bolivia" nennt), die Kupferberge von Peru, die Tabakberge von Kuba, den verbrannten Kaffee von Brasilien, die verbrannte Baumwolle von ägypten, die verbrannten Wollschafe von Australien (nein, nicht bloß die Wolle - man brachte die Tiere gleich mit um!), den verbrannten Weizen von Kanada und Argentinien - und die "zehn Millionen Menschen drüben bei uns [d.h. in Deutschland], die zur gleichen Zeit hungern".

Angesichts dieser Zitate wird der geneigte Leser bereits vermuten, warum die Reisebücher des gebürtigen Darmstädters, der sich als Elsässer fühlte (seine Mutter stammte aus Straßburg), heute so gut wie vergessen sind: Edschmid war Nationalist, Rassist - und zu allem Überfluß auch noch bekennender Fascist. Er war ein großer Bewunderer des italienischen "Duce" Benito Mussolini, der für ihn "ein Imperator" war, "wie seit Bonaparte Europa keinen sah", ein "Halbgott", der "das Land, das miserable Bahnverbindungen und den scheußlichsten Bureaukratismus der Welt besitzt", "wieder für die Italiener entdeckte". Und er war ein persönlicher Freund des peruanischen Caudillo Augusto Leguía, dessen Regime - gestützt auf die Bajonette des Militärs, das von Wilhelm Faupel aufgebaut worden war, jenem deutschen General a.D., der dem Vernehmen nach noch gut vier Jahrzehnte später in Chile beim Putsch Pinochets gegen Allende die Finger im Spiel gehabt haben soll - selbst nach Edschmids eigenen Schilderungen recht grausam gewesen sein soll.

Edschmid war auch Rassist; er war - was in Deutschland kaum jemand weiß - Mitverfasser der Sonderausgabe der französischen Zeitschrift "Europe" vom 1. Oktober 1923, die eine Art Festschrift für den 1882 verstorbenen Begründer des wissenschaftlichen Rassismus, Joseph Arthur de Gobineau, darstellte (der übrigens auch ein großer Italien-Fan war). Damit wurde diese seine schon fast vergessene Lehre, vor allem der "Essay über die Ungleichheit der menschlichen Rassen" auf einen Schlag wieder in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt - einen Monat später sollten Hitler & Co. auf die Münchner Feldherrenhalle marschieren... Aber Edschmid beließ es nicht bei wissenschaftlichen Aufsätzen, sondern brachte diese Überzeugung auch in seinen Reiseberichten zum Ausdruck - man lese nur, was er z.B. in "Basken Stiere Araber" (1926), "Afrika nackt und angezogen" (1929) oder "Glanz und Elend Süd-Amerikas" (1931) über "die Berber, die Nigger, die weißen und die schwarzen Araber, die Mauren und die Mischlinge", über "die niggerhaften Gesichter der Atlasstämme" geschrieben hat, "einer Rasse, die in einem Taumel von Schmutz und Geschwür ersticken zu müssen scheint. Wenn das Menschen sind, so ist die Menschheit bis zur Frivolität von ihrer Vorsehung geschändet." Oder über "die Indios", die "Sklavenrasse, verwahrlost, schmutzig und unmenschlich, seit Jahrhunderten an Kokain und Alkohol gewöhnt," die "wie die Llamas" sind: "rassig ohne Inhalt, hochgezüchtet ohne Hirn". Zu allem Überfluß fand er auch noch einige besonders abstoßend häßliche Exemplare jener Rassen, mit deren Fotos er seine Werke zierte:


ein Maurenmädchen aus Französisch-Algerien - ein Indiojunge aus Perú stolzer Nachfahre der Inka - Llamas aus Perú

Exkurs. Solche Bücher sind verständlicher Weise tabu in einer Zeit, da ein Neger nicht mehr ein "Neger" heißen darf, sondern nur noch "kolorierter Mitbürger", und ein Indio nicht mehr "Indio", sondern nur noch "stolzer Nachfahre der Inka". (Wobei Dikigoros stark bezweifelt, daß jemand Grund hat, stolz darauf zu sein, ein Nachfahre jener Menschenschinder und Schlächter zu sein, die alle indianischen Hochkulturen, die vor ihnen da waren, zerstörten und durch ihr grausames Terror-Regime ersetzten - aber das ist eine andere Geschichte, und zum Thema "Stolz auf Vorfahren" schreibt Dikigoros weiter unten etwas mehr.) Dabei zeigen solche linguïstischen Bocksprünge nur, daß es auch heute noch Menschen gibt, die "Neger" und "Indio" als Schimpfwörter betrachten, da sie deren Träger als etwas Minderwertiges ansehen. (Das geht so weit, daß inzwischen die älteste europäische Bezeichnung für Schwarze, das lateinische "niger" - ausweislich des Lexikons mit kurzem "i" zu sprechen, also "nigger", nur die weibliche Form "nīra" hat ein langes "i" - als besonders schlimme Entgleisung gilt. Vielleicht wäre es zur Vermeidung von Diskriminierungen am besten, wenn wir alle Schwarzen in Weiße umbenennen würden, wie es der Schlagersänger "Roberto Blanco" spaßeshalber mit sich selber gemacht hat - ohne daß irgendjemandem dieser Scherz aufgefallen wäre :-) Gewiß, in diesen Fällen kann man noch trefflich streiten, da es sich um Bezeichnungen handelt, die den Betroffenen von Fremden beigelegt worden sind. Aber wenn sich ein Pole selber ganz selbstverständlich - und selbstbewußt - als "Polak" bezeichnet, und ein Austronesier als "Kanak" - welchen Sinn soll es da machen, diese Namen auf die Liste der "verächtlichen Schimpfwörter" zu setzen? Wer das tut, bringt damit nur zum Ausdruck, daß er ihre Träger verachtet - egal unter welcher Bezeichnung, weshalb deren änderung gleich viel bewirkt wie die ständige Umbenennung der Brüsseler Bonzokratie von "EWG" erst in "EG" und dann in "EU", nämlich gar nichts. Exkurs Ende.

Ein Jahr nach "Glanz und Elend Süd-Amerikas" ließ Edschmid "Deutsches Schicksal" folgen, einen "Roman" über sechs deutsche WK-I-Kameraden, die nach dem Krieg im Zivilleben an Inflation und Wirtschaftskrise gescheitert, nach Südamerika gereist sind, um in der Armee Boliviens (die der deutsche Hauptmann a.D. Ernst Röhm aufgebaut hatte, weshalb deutsche [Unter-]Offiziere dort begehrt waren) Dienst zu tun, dann aber nach einem Putsch der Franzosen-Freunde nicht mehr gebraucht, sondern ins Gefängnis geworfen werden, weil man sie verdächtigt, im Chaco-Krieg für Paraguay kämpfen zu wollen, die sich deshalb in allerlei andere Putschversuche von Venezuela bis Brasilien verwickeln lassen und die schließlich bis auf einen, der heim ins Reich kehrt, im tragischen und sinnlosen Kampf gegeneinander fallen. Edschmid hat seine Biografie vor 1933 konsequent verschleiert - aus gutem Grund, denn er war wie gesagt kein "Märzgefallener", sondern stand schon vorher "rechts". Daran ändern auch seine Biografien über Revolutionäre wie Büchner, Byron und Bolívar nichts, die man heute zwar allgemein den "Linken" zuordnet, die aber durch die Bank mindestens ebenso sehr Nationalisten wie Sozialisten waren - zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sie lebten, war diese Kombination noch ganz natürlich und völlig "unbelastet", wiewohl diese Ausdrücke damals noch nicht im Gebrauch waren, was einem zu Beginn des 21. Jahrhunderts leicht den Blick auf die Parallelen verstellt. Über Simón Bolívar, den "Befreier Südamerikas", hat Dikigoros seine eigene Meinung (aber das ist eine andere Geschichte) - Edschmid bewunderte ihn ebenso uneingeschränkt wie Friedrich II (den Italiener, oder Sizilianer, oder Staufer, wie immer Ihr ihn nennen wollt - jedenfalls meinte Edschmid nicht den Preußen), Napoleon (I, nicht III), Bismarck und Mussolini; mit letzterem stellte er ihn sogar in eine Reihe: "Er haßte die Diktatur und mußte immer wieder zu ihr greifen, um sein Vaterland zu befreien. Er war der überzeugteste Demokrat aller Revolutionen um der Freiheit willen. Und er mußte Diktator sein, um seinem Ziel nahe zu kommen." Aber dies ist ja eine Seite über Reisende, deshalb sollten wir nicht fragen, welche Politiker, pardon "Staatsmänner" Edschmid bewunderte, sondern welche Reisende ihm ein Vorbild waren. Er zählte sie einmal alle auf, in dieser Reihenfolge: "Emin Pascha, Kandt, Schweinfurt, Peters, Nachtigal, Filchner und Wegener." Dem Umstand, daß Ihr keinen dieser "Männer, in denen alles verkörpert war, was schon damals seinen Ehrgeiz ausmachte", auf dieser Reise durch die Vergangenheit wieder findet, liebe Leser, könnt Ihr entnehmen, daß es sich nicht um bloße Reisende handelte, sondern um das, was Edschmid "Kolonisatoren" nannte: "Dieser Kolonisationsgeist ist eine der blankesten deutschen Tugenden. Er hat Humboldt nach Venezuela geführt... [Quatsch, Humboldt wollte nie kolonisieren, sondern bloß Steinchen sammeln und Blümchen pflücken, Anm. Dikigoros.] Alles, was an Größe in der deutschen Geschichte geschehen ist, hat ihn zum Urheber gehabt." Große Worte... und einige der Genannten mögen auch große Männer gewesen sein - allerdings gelten die heute allesamt als böse Imperialisten, Kolonialisten und Wegbereiter des Fascismus, weshalb man sie tunlichst aus seinem Gedächtnis zu streichen hat.

Edschmid sollte das in vorauseilendem Gehorsam bereits 14 Jahre später tun; da nannte er nur noch Eduard Schnitzer alias "Emin Pascha", und auch den nur, weil er - wie Edschmid betonte - Jude war und in englischen Kolonial-Diensten stand. (Was nicht einmal stimmte; tatsächlich war Schnitzer zum Islam konvertiert, um in den türkischen Staatsdienst eintreten zu können.) Denn auch er vertrat nun die These, daß englischer Kolonialismus gut sei und deutscher schlecht... Und was hatte er nicht vor 1945 (wohlgemerkt auch vor 1933!) alles zu diesem Thema geschrieben: "Wir sind das einzige Volk, das noch besser als die Engländer kolonisieren können. Das ist in allen Kolonien und farbigen Ländern etwas Turmhohes über den anderen Rassen. Wir haben alles aufgebaut: die Bahnen, die Straßen, die Häfen... Und trotzdem haben uns die Engländer die Knochen zerhauen und die Schwindelgeschichte von unserer Unfähigkeit zu kolonisieren in die Welt gesetzt. Sie haben alles im Krieg zerschlagen. Die Kolonien, die deutschen Siedlungen und die Plantagen..." 1946 - ein Jahr vor der Unabhängigkeit Indiens - konnte Edschmid nicht wissen, daß er 1932 geradezu profetisch richtig lag, als er über England schrieb, "daß die Kolonien wankten, daß Indien und Ägypten im Grunde schon abgefallen waren, daß die neu entstandene Rasse steinharter Yankees dem Riesenreich England furchtbare Schläge auf die Rippen versetzte... Es macht sich alles kaputt in der Welt. Die Tommies die Deutschen. Und die Yankees die Tommies. Die Yankees schlagen den Engländern den Brustkasten ein, daß es kracht. Und die englischen Kolonien - na, die gehen wie Dynamit in die Luft." Neben Emin Pascha stellte Edschmid nun ganz andere Schriftsteller: den Engländer Lawrence von Arabien (aber über den schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr), den Russen Tolstoj, dessen "Krieg und Frieden" er als "eines der wichtigsten Bücher" bezeichnete, und als einzigen Deutschen Theodor Fontane - der freilich außer seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" kein Reisebuch verfaßt hat. Tolstoj, der ein Feind der Deutschen war wegen "ihrer Überzeugung, ganz allein über die Wahrheit und das heißt die vermeintliche Wahrheit zu verfügen." Edschmid kommentiert das mit dem Satz: "Das haben wir erlebt und schauerlicher und dümmer, als Tolstoi [er wußte nicht mal, wie man den richtig schreibt, geschweige denn, wie man ihn richtig ausspricht, nämlich "Talstój", Anm. Dikigoros] es sich wohl auszudenken in der Lage gewesen wäre." Ach, liebe Leser, wer konnte damals schon ahnen, was wir heute noch erleben in Deutschland mit der gesetzlich verordneten, das heißt der vermeintlichen Wahrheit über jene Tage, schauerlicher und dümmer, als Edschmid es sich wohl auszudenken in der Lage gewesen wäre... Man muß Tolstoj nicht besonders lieben, um festzustellen, daß er jedenfalls mit dieser Aussage über "die" Deutschen offenbar Recht hatte.

Wie dem auch sei, Dikigoros vermutet, daß es sich bei "Deutsches Schicksal" (ein Buch, das durchaus fesselnd geschrieben ist, was immer man sonst von seinem Inhalt halten mag) um Edschmids eigene Erlebnisse in Südamerika handelt, verteilt auf mehrere Roman-Figuren. Daß er jener "Bell" war, der vor dem Ersten Weltkrieg an der mißlungenen Expedition teilnahm, welche die verunglückten Mitglieder der heute fast vergessenen Schröder-Stranz-Expedition retten sollte, und der die Brasilianer so verachtete, weil sie, die ohnehin schon mit Indianern vermischt waren, "noch Neger dazu eingeführt und obendrein sich so mit ihnen vermischt hatten, daß die Neger in Brasilien Präsidenten von Staaten, Zeitungsredakteure, Parlamentsmitglieder und Seeoffiziere werden konnten - und daß es überhaupt niemand auffiel, daß sie Neger waren, weil jedermann in Brasilien ein bißchen wenig oder ein bißchen viel Neger war. In Argentina, wo die weißen Führer der weißen Republica aber als marmorne Denkmäler auf den Plazas von Baires saßen, wäre das nicht möglich gewesen. Die Marmordenkmäler wären von ihren Sockeln gestiegen und hätten die Nigger tot geschlagen. Aber die Brasilianer hatten den weißen Stolz nicht... sie liebten ihre Nigger, die reinen schwarzen Nigger und die Teile Niggerblut, die sie in ihren eigenen Adern hatten, aufrichtig und souverän." Daß er jener "Hösch" war, der im Ersten Weltkrieg Flieger war, daß ihn dieses Kriegs-Erlebnis geprägt hat und daß er Menschen, die dieses nicht geteilt hatten, insgeheim verachtete. Wie schrieb er über die Holländer: "Sie haben den Krieg nicht mitgemacht und daher eine Lebenseinstellung, die manchmal sonderbar und manchmal veraltet ist." Daß er jener Andrae war, der vergeblich versuchte, als blinder Passagier auf einem deutschen "Steamer [Dampfer]" von Buenos Aires nach Bremen zu fahren. Daß er jener "Schott" war, der an dem mißlungenen Putsch der "generación del 28" gegen den venezoëlanischen Diktator Juan Vicente Gómez ("Zárate") beteiligt war. Daß er auch irgendwie an der "Revolution von 1932" des Generals Bertholdo Klinger gegen den brasilianischen Präsidenten Getúlio Vargas beteiligt war, der sich zwei Jahre zuvor an die Macht geputscht hatte und sie mit Unterbrechungen fast ein Vierteljahrhundert behalten sollte. (Nachdem er das Land gründlich ruiniert hatte, sollte er Selbstmord begehen, aber das ist eine andere Geschichte.) Die Romanfigur des Nigger-Obersten Cruz, der die Deutschen vor Rio in die Falle lockt, ist jedenfalls deutlich dem schwarzen Coronel Palimércio de Rezende nachempfunden.

Exkurs. Dikigoros vermutet das auch deshalb, weil sich durch Edschmids schriftstellerisches Leben - als einzige Konstante seiner Weltanschauung, und das ist bei einem solchen Wendehals besonders bemerkenswert - wie ein roter Faden die Abneigung gegen Putschversuche zieht. Selbst nach 1945 wird er einen Roman-"Oberst" zu Wort kommen lassen, der Hitler seitens der Reichswehr die präventive Niederschlagung des befürchteten "Röhm-Putsches" nahe gelegt hatte, damit die pöbelhafte SA nicht gleichberechtigt würde neben der aristokratisch geführten Reichswehr (die 1934, nur 100.000 Mann schwach, pardon stark, noch eine Élite war oder sich jedenfalls als solche fühlte - vor allem das adelige Offizierskorps wollte keine "Proleten" aus dem Volk neben sich dulden), und Edschmids alter ego wird der Notwendigkeit dieses Handelns nicht widersprechen. Und selbst den Putschversuch der Verschwörer vom 20. Juli 1944 wird er für verfehlt erklären (was nach dem Krieg durchaus nicht selbstverständlich, sondern fast schon mutig war), nicht nur weil er zu spät kam - der Krieg war bereits verloren - und dilettantisch ausgeführt wurde, sondern auch und vor allem, weil er nicht als Militärputsch hätte kommen dürfen, vielmehr vom Volk hätte ausgehen müssen, und vor dem Krieg, um diesen zu verhindern. Dazu könnte man eine Menge schreiben, z.B. daß "das" Volk aller marxistischer Geschichtsbetrachtung zum Trotz in solchen Fällen nie etwas Konkretes tut - es lyncht ohnmächtige Gestürzte, auch wenn deren Regierung gerecht und milde war; aber es begeht keine Attentate gegen mächtige Herrscher, auch nicht wenn deren Regierung ungerecht und brutal ist -, daß die Alliierten von ihrem lange geplanten Krieg gegen Deutschland schwerlich Abstand genommen hätten, wenn Hitler einem Anschlag zum Opfer gefallen wäre, und und und... aber das ist müßig. Richtig ist, daß das Attentat zu spät kam, nämlich ziemlich genau vier Jahre: Im Sommer 1940, nach dem Frankreich-Feldzug, als Edschmids Heimat Elsaß-Lothringen noch einmal deutsch geworden war, begann Hitler in seiner romantischen Naïvität, die Armeen zu demobilisieren, abzurüsten und den Alliierten allen Ernstes Friedensangebote zu machen! Damals hätte man ihn entweder zur Weiterrüstung zwingen oder... beseitigen müssen, um den Krieg schnell zu beenden - nicht, indem man ihn verloren gab, sondern indem man ihn gewann, bevor er sich zum Weltkrieg ausweitete, und bevor der Holocaust begann (aber das ist eine andere Geschichte). Exkurs Ende.

Solche Erlebnisse erklären wenigstens zum Teil die Einstellung jener Leute, die an der Schwelle zum Dritten Reich nach Deutschland zurück kehrten, "das für sie weder Stellung, noch Unterkunft, noch Essen hatte - aber das doch das einzige Land war, in dem sie leben, hungern, dursten und sterben wollten und auf das sie sich freuten... auf seine Luft, auf seine Flüsse, seine Berge und seine Wälder... Denn nicht zuletzt aus ihrer Hand sollte dies wunderbare Land einmal wieder auferstehen, aus jenem Funken, der alles umschloß, was Deutschland war, was Deutschland bedeutete und was Deutschland einmal sein mußte, und den er bis zum letzten Atemzug zu bejahen entschlossen war - den Funken jenes heimlichen Deutschland, an das er mit seinem Blut, seinem Instinkt, seinem Verstand und seiner Leidenschaft glaubte.... weil Deutschland das einzige Land war, wo man leben konnte... Man kann in Deuschland in den verschiedensten Ecken des Landes leben und dabei so unzertrennlich sein, wie wenn man in einem Zimmer zusammen säße. Denn in Deutschland ist dieselbe Luft und dieselbe Sprache und derselber Himmel, und man ist daheim und bei einander, auch wenn man nicht ganz nahe beieinander ist." Ja, Deutschland mußte wieder auferstehen, wieder aufgebaut werden, denn, so fragte Edschmid, "was war denn noch übrig von Deutschland? Es hatte den Krieg verloren. Es hatte die Revolution, die Geldentwertung, den Verlust an Land und Kolonien [darf Dikigoros noch eine boshafte Anmerkung machen? Besser nicht - seine Leser wissen ja, wie er über "Gewinn" und "Verlust" von Kolonien denkt] mitgemacht. Seine Bürger waren keine Bürger mehr, sondern arme Schlucker. Der Adel war vor die Hunde gegangen. Die Industrie wankte. Die Schlösser zerfielen. Die Banken waren nicht mehr das Bollwerk der Welt. Die Vermögen waren zerflattert. Die Arbeiter hatten nichts mehr zu tun. Die jungen Leute wuchsen auf wie die Hunde. Die Häuser in den Städten waren verstaatlicht. Selbst die äcker der Bauern waren nicht mehr verkaufbar." Tja, da mußte fürwahr einmal ordentlich drüber gehobelt werden; und wo gehobelt wird fallen bekanntlich Späne. Das taten sie denn ja auch in den folgenden zwölf Jahren - und nicht nur Späne.

Wollte Edschmid das? Jawohl, er wollte und befürwortete es ganz offen; denn als halber Elsässer empfand er natürlich die Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen, die ihm seine Heimat genommen hatten, besonders tief. Besonders eindrucksvoll ist die Passage, in der er den Gegensatz zwischen den kriegslüsternen Franzosen und den friedliebenden Deutschen schildert, und in der er den sterbenden Major Bell, sozusagen als letztes Vermächtnis, die deutschen Politiker, die nach 1932 an die Macht kommen sollten, zur Nachrüstung aufrufen läßt: "Er sah hinter der französischen Grenze immer einen Kilometer auf den anderen folgend Fort neben Fort, mit Artillerie gespickt. Dahinter die Flughäfen, die Panzerzüge und die Tanks. Dreitausendfünfhundert Tanks, so groß wie Autos, so groß wie Häuser, so groß wie Festungen, die ein Dorf unter sich zerkrachen lassen konnten, die Wälder unter sich zu Brei zermalmten, Tanks, die wie phantastische schießende Burgen gegen die Grenze anrollten. Er sah hinter den viereckigen mörderischen Ungeheuern dreitausend Flugzeuge stehen, jedes zum Platzen gefüllt mit schlanken rassigen Bomben, die an den Enden kleine Propeller trugen. Und dahinter fünf Divisionen Kavallerie, die Pferde mit Gasmasken und die Reiter in Gasrüstungen gepanzert. Und hinter den Reitern sechsundzwanzig Divisionen Männer in flachen Stahlhelmen. In ihrem Rücken zwanzig Divisionen Reserve. Und hinter ihnen fünf Divisionen Nigger, aus dem Senegal, aus Timbuktu, von der Elfenbeinküste, vom Kongo, Haussa, Marokkaner, Leute aus Gabun, aus Nigeria, dem Tschad, der Sklavenküste und Guinea. Und diese ganze Armee aus Höllenmaschinen, aus genial gebauten Vernichtungs-Instrumenten, waren gegen den Rhein aufgestellt. Gegen den Rhein, an dem die Apfelbäume blühten, auf dem die Dampferglocken läuteten, auf dem die lustigen Fahnen wehten, auf dessen Hügeln die Burgen standen und die Weinberge reiften. Es war ein schönes Land, mit friedlichen Leuten. Und er bekam eine furchtbare Angst um die Zukunft in diesem Land. Denn die anderen Völker um das Land herum hatten nicht abgerüstet, sonden sie hatten noch dazu gerüstet und alle die Mordmaschinen, die Tanks und die Bombengeschwader auf die Höhe gebracht. Und er hatte genug Geschichte studiert, um sich zu sagen, daß es kein Beispiel gab, daß ein Land entwaffnet zwischen waffenstarrenden anderen Ländern auf die Dauer leben konnte. Entweder war das entwaffnete Land zertrümmert und zu Sand zermahlen worden, oder es hatte sich eines Tages ebenso bewaffnet und hatte die anderen zu Sand gemacht. Es gab keinen Ausweg, als daß die anderen abrüsteten oder daß Deutschland aufrüstete."

Nach 1945 tat Edschmid alles, um diese seine Vergangenheit vergessen zu machen. So verfaßte er gleich 1946 einen dicken autobiografischen Roman über die Jahre 1942-45 mit dem Titel "Das gute Recht", der ihn als "inneren Widerstandskämpfer" ausweisen sollte. Es war in erster Linie ein Rechtfertigungsversuch derjenigen Schriftsteller, die wie Edschmid in der Zeit des Dritten Reiches in Deutschland gebliebenen waren, gegenüber denjenigen, die ab 1933 davon gelaufen, pardon emigriert waren und sich nach 1945 als die einzig wahren Moralisten aufspielten. (Gegen die vor 1933 Ausgewanderten hatte Edschmid nichts; über sie hatte er ganz im Gegenteil noch 1932 geschrieben: "Die Auslandsdeutschen - hochgerechnet hundert, schwach gerechnet sechzig Millionen im Baltikum, in Palästina, in Südafrika, in Sibirien, in Kanada, in Australien, in den Staaten, im Kaukasus, in Chile, in Polen, im Elsaß - sind das beste deutsche Material. Sie sind nicht kurzsichtig, nicht dumm, nicht beschränkt. Sie kennen im Gegensatz zu fast allen anderen Deutschen, auch den Politikern, die weiß Gott die ahnungslosesten Deutschen sind, die Welt wirklich. Sie haben sich in der Welt durchgesetzt und das heißt etwas, denn die Welt ist den Deutschen feindlich... die ganze Welt. Das war nun einmal so, trotz aller Freundschaftsreden und trotz aller Bankette... Die Leute in Deutschland wissen das allerdings nicht. Aber unsereiner, der in der Welt herum gekommen ist, weiß es.") Aber darüber zu schreiben ist hier nicht der Ort, da es Dikigoros nicht um politische Streitigkeiten zwischen Literaten um die "innere Emigration" geht (wer sich für das Thema interessiert, möge den auf der Startseite verlinkten Aufsatz von Iring Fetscher lesen), sondern um Reisebücher. Deshalb will er sich hier auch nicht länger über die ebenso offensichtliche wie plumpe Lüge auslassen, mit der Edschmid den alliierten Besatzer-Zensoren in den Hintern kroch, nämlich daß "das Österreich des Kanzlers Schuschnigg, der letzte Hort dessen, was an deutscher Gesittung und Freiheit noch bestand", "ein blühendes Land", von den Deutschen (ja ja, Hitler, der böse Preuße! :-) 1938 "mit Waffengewalt erobert" worden war - über dieses Märchen und seine[n] Urheber schreibt er an anderer Stelle mehr. Über einen Satz aus jenem Buch kann Dikigoros jedoch nicht schweigend hinweg gehen, zumal er heute von so vielen jungen Leuten (und älteren Kindsköpfen :-) gedankenlos benutzt wird: "Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein." Edschmid legt ihn nicht etwa seinem alter ego "Rotenhan" in den Mund, sondern dessen Freund, dem pommerschen "Leutnant E.". Und er läßt ihn auch gleich erklären, warum: "Der üblen Dinge halber, derentwegen sich die Deutschen in der Welt einen verhaßten Namen gemacht haben." So so, Herr Edschmid, der Sie 14 Jahre zuvor, 1932 in Chile - also ohne jeden Zwang seitens der bösen Nazis - noch geschrieben hatten, die Deutschen seien "das beste Volk der Welt", das nur den Fehler hatte, "zu tüchtig und zu anständig" zu sein. Aber halt, das ist ja jetzt gar nicht mehr Edschmid, sondern jener mysteriöse Leutnant E., der da spricht. Also pardon, Herr Leutnant, aber die "üblen Dinge", die Sie meinen, waren damals eben noch nicht in aller Welt bekannt; und den schlechten Namen dortselbst hatten den Deutschen ganz andere gemacht, nämlich die ewigen Lügner und Verleumder, die ihnen Geschichten anhängten wie die von den kannibalischen Hunnen, die belgischen Müttern ihre Babys raubten, sie am Spieß brieten und auffraßen...

Aber zurück zu jenem ominösen Satz. Wißt Ihr, wie er vollständig lautet und wer ihn in welchem Zusammenhang zuerst geäußert hat? Dikigoros will es Euch verraten: Er stammt von Franz Boas, einem lange vor dem Ersten Weltkrieg in die USA emigrierten deutschen Juden, Anthropologen, Nationalisten, Patrioten und Rassisten (oder, wie man in seiner Jugend noch schrieb, "Racisten"), dem Doktorvater von Margaret Mead. Der verfaßte im Februar 1933 einen "offenen Brief" an seinen Altersgenossen, den deutschen Reichspräsidenten Paul v. Hindenburg, in dem er u.a. schrieb: "Ich habe mich immer mit Stolz einen Deutschen genannt; heute ist es fast so gekommen, daß ich sagen muß: ich schäme mich ein Deutscher zu sein. Glauben Sie, daß ich eine Flagge achten kann, deren Symbol für mich eine persönliche Beleidigung ist?" (Der letzte Satz ging freilich nicht mit durch den Blätterwald, der den Brief abdruckte.) Es ging Boas also um den berühmt-berüchtigten Flaggenstreit: So wie sich andere an "schwarz-rot-mostrich" gestört hatten, so störte er sich an der Hakenkreuz-Flagge, welche die Nazis (von denen er natürlich wußte, daß sie Antisemiten waren - er hatte "Mein Kampf" gelesen!) anstelle des letzteren eingeführt hatten. Wenn man sieht, was seitdem in diesen "fast"-Satz alles hinein interpretiert worden ist... Edschmid war übrigens nicht der einzige, der ihn fehl interpretierte und zur Verallgemeinerung mißbrauchte - dies, wiewohl er es besser hätte wissen müssen, denn er hat jenem Flaggenstreit in seinen Werken wiederholt breiten Raum gewidmet. Bereits im Mai 1945, nach der Befreiung Bayerns (von seinen Armbanduhren) durch die U.S.Army, pinselte ein Schmierfink, pardon, braver Antifascist und Widerstandskämpfer mit weißer Farbe an die Münchner Feldherrenhalle die Worte: "Dachau, Auschwitz, Theresienstadt - ich schäme mich, ein Deutscher zu sein." Eine Nacht später pinselte ein unverbesserlicher Nazi daneben: "Beethoven, Mozart, Schiller - ich bin stolz, ein Deutscher zu sein." Hätte man ihn erwischt, es hätte ihn den Kopf gekostet, zumal Mozart ja gar kein Deutscher war (sondern, wie wir eben erfahren haben, ein von den bösen Nazis mit Waffengewalt eroberter Österreicher) und ab Mai 1945 in Mitteleuropa - noch viel mehr als zuvor - der Satz galt, den Edschmid in "Das gute Recht" so betonte: "Nur die Gewalt regiert." Seht Ihr, und deshalb wurde jenes Buch des Ex-Fascisten Edschmid mit (gutem) Recht ein Ladenhüter, während kurz darauf "Der Fragebogen" des ebenfalls nicht-emigrierten National-Bolschewiken (nicht "Ex-", er ist es sein Leben lang geblieben!) Ernst von Salomon, der es wagte, diese Wahrheit umfangreich darzulegen, ein Bestseller wurde - aber das ist eine andere Geschichte.

Und noch ein Nachkriegsbuch wurde wenn schon kein Bestseller, so doch gut verkauft: "Wenn die Dämme brechen" von Edschmids Zeitgenossen Edwin Erich Dwinger. Vordergründig ein "Roman" über den Untergang Ostpreußens am Ende des Zweiten Weltkriegs, d.h. über die "Reise" der deutschen Vertriebenen aus den Ostgebieten in den Westen, war es doch in Wirklichkeit eine - mit preußischen Sprichwörtern gespickte - Abrechnung mit dem National-Sozialismus, mit der auch Dwinger sich in den Augen der alliierten Besatzer rein waschen wollte. Das hatte der ehemalige Reichskultursenator und SS-Sonderführer a.D. auch in weit höherem Maße nötig als Edschmid - allein der Umstand, daß er sich am Ende aus mehr oder weniger persönlichen Gründen mit Himmler überworfen und die letzten Kriegstage unter Hausarrest verbracht hatte, rettete seinen Hals vor dem Strick. Und dennoch - nachdem er sich und den Deutschen lange genug gegen die Brust geschlagen, pardon geschrieben und "peccavi[mus]" gerufen hat, legt er seinen Gestalten auch Sätze in den Mund wie den, daß am Aufstieg Hitlers und des National-Sozialismus im Grunde genommen die Alliierten ebenso schuld hatten wie die Deutschen, durch ihre Haßpolitik nach dem Ersten Weltkrieg, deren Wiederholung in noch weit schlimmerem Maße nach dem Zweiten Weltkrieg sich bereits abzeichnete. Und was die "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" anbelangt (von denen die Menschen Anfang der 1950er Jahre, als das Buch erschien, noch wußten, daß die Alliierten sie millionenfach selber begangen und erst dann den Deutschen angehängt hatten), so zitiert Dwinger nicht wie Edschmid Boas' aus dem Zusammenhang gerissenen Satz "ich schäme mich ein Deutscher zu sein" - deshalb braucht er auch nicht mit dem Stolz auf Beethoven, Mozart und Schiller dagegen zu halten -, sondern er läßt eine alte preußische Baronin angesichts der "Millionen Sklaven, die Stalin nach Sibirien führt, mit Zustimmung des Westens", sagen: "Man schämt sich manchmal, ein Mensch zu sein." Was immer man von jenem Buch halten mag - das sonst nicht viel besser ist als Edschmids "Das gute Recht" - das ist eine starke Passage.

Exkurs auf Leser-Anfragen: Wie hält es Dikigoros denn selber mit jenen beiden Sätzen? Er muß Euch enttäuschen, denn er hält den einen für ebenso dumm wie den anderen. Er mag Beethoven und ist stolz darauf, etwas von seiner Musik zu verstehen - aber er mag auch Tschajkowskij (wohlgemerkt seine Musik; seine sexuellen Neigungen teilt er nicht :-), und er wüßte nicht, mit welchem (guten) Recht ein unmusikalischer Mensch ihretwegen "stolz" sein dürfte, bloß weil er Deutscher bzw. Russe (oder schwul) ist. Er anerkennt Schiller als jemanden, der die schwierige deutsche Sprache virtuos handhabte, und er ist stolz darauf, das auch von sich behaupten zu können - aber er beherrscht auch andere Sprachen, und er wüßte nicht, mit welchem (guten) Recht jemand, auf den das nicht zutrifft, auf Schiller oder sonst einen Dichter "stolz" sein dürfte, bloß weil er mehr oder weniger schlecht die selbe Muttersprache spricht. Und Dikigoros glaubt, daß es viele Deutsche in der Geschichte gab, die sich ihrer Taten schämen müßten - aber es gab auch viele Juden in der Geschichte, auf die das zutrifft, und er wüßte nicht, mit welchem (guten) Recht ein an diesen Taten unschuldiger Mensch sich ihretwegen schämen müßte, bloß weil er Deutscher ist. Nun werdet Ihr freilich einen kleinen, aber feinen Unterschied zu dem Satz mit den Musikern festgestellt haben, liebe Leser: es fehlt das "bzw. ...". Warum? Weil die Vorstellung der Erbschuld, der Erbsünde und des sich-für-den-Erblasser-schämen-müssens eine ureigenst jüdische Erfindung ist, wie Ihr im Alten Testament nachlesen könnt, und Boas war Jude. Wenn er sich also schämen wollte, ein Deutscher zu sein, weil der Deutsch-Österreicher Hitler etwas gegen die Juden geschrieben und das Hakenkreuz zur Reichsflagge gemacht hatte (viel mehr war ja Anfang Februar 1933, als er jenen Brief verfaßte, noch nicht geschehen), so hatte er das Recht dazu - nichtjüdische Deutsche nicht, geschweige denn die Pflicht. Und Dikigoros glaubt, daß es auch in der Gegenwart viele Deutsche gibt, die sich ihrer Taten schämen müßten - aber es gibt auch viele Juden, auf die das zutrifft, und er wüßte nicht, mit welchem (guten) Recht ein an diesen Taten unschuldiger Mensch sich ihretwegen schämen müßte, bloß weil er Deutscher bzw. Jude ist, oder weshalb er "Wiedergutmachungsgelder" und ähnliche Reparationen zahlen sollte.

Freilich gibt es auch hier einen kleinen, aber feinen Unterschied: Wer eine Regierung gewählt hat, die eine bestimmte Politik verfolgt, den trifft an dieser Politik eine ganz konkrete (Mit-)Schuld, wenn sie schändlich ist, und umgekehrt kann er stolz auf sie sein, wenn sie Anlaß dazu gibt. Und nun dürft Ihr, wenn Ihr Deutsche oder Juden seid, Euch aussuchen, ob Ihr auf die Politik der bundesrepublikanischen bzw. israelischen Regierung stolz sein könnt oder Euch ihrer schämen müßt - Dikigoros hat sie nicht gewählt; aber ihm fällt bei der Gelegenheit ein Satz aus einem der Bücher Edschmids ein, das später um zwei Drittel gekürzt werden sollte: "Wir werden von einem Typus regiert; man könnte alle diese Schädel abheben und mit einer Zitrone im Mund als Eberköpfe servieren lassen; es würde niemand auffallen." Davon abgesehen ist Dikigoros auf die heutigen Deutschen weder stolz noch schämt er sich ihrer, denn er ist weder an den Verdiensten noch an den Schandtaten einzelner Deutscher beteiligt, die solche Gefühle rechtfertigen könnten. Er weiß wohl, daß er sich mit dieser Einstellung zwischen fast alle Stühle setzt: Die einen nehmen ihm übel, daß er nicht alles, was in Deutschland war und ist, in Bausch und Bogen verdammt, wie es ein braver Gutmensch heutzutage tun muß; und die anderen, daß er nicht umgekehrt alles gut heißt in diesem unserem Lande. Sein Schwiegervater zum Beispiel war immer stolz darauf, ein Deutscher, ein Preuße und ein Neuruppiner zu sein - deshalb war er auch wie Edschmid ein Fontane-Fan, der stammte nämlich aus demselben Kaff. Und seinen Schwiegersohn hielt er zeitlebens für einen "vaterlandslosen Gesellen", weil der Fremdsprachen lernte, ins Ausland reiste und von dort fremdartige Bücher und Kochrezepte mit brachte, in denen Fleisch und Kartoffeln fehlten. Aber das "Stolz-sein-auf..." hat auch auf höchster Ebene Konjunktur: Als das Nobelpreis-Komitee im Jahre 2003 beschloß, den - nein, nicht den Literatur-Nobelpreis, sondern den Friedensnobelpreis einer iranischen "Menschenrechtlerin" zu verleihen, entblödete es sich nicht, in der Begründung zu schreiben, die Dame könne "stolz darauf sein, eine Muslimin zu sein". Dazu besteht nun wahrlich kein Anlaß - aber ebenso wenig ist es ein Grund, sie zu verdammen. Ach so - was hätte Dikigoros denn auf die Feldherrenhalle gepinselt, wenn er im Mai 1945 in München gelebt hätte? Nur ein Wort, das er in den Spruch "Und Ihr habt doch gesiegt!" eingefügt hätte: das Wörtchen "nicht" - aber das ist eine andere Geschichte. Und auf eine weitere Anfrage: Welchen echten Edschmid-Satz hätte er denn in die Überschrift gesetzt, wenn ihm das Boas-Zitat nicht so wichtig gewesen wäre? Einen, den er seinen Lesern als Rätsel aufgegeben hätte, nämlich nach dem Entstehungsjahr: "Wir sind nicht Kinder einer erlesenen Epoche, sondern Freibeuter eines Zusammenbruchs." Wie meinen? 1945? Falsch geraten! Er stammt aus dem "Bücher-Dekameron" von 1923, dem selben Jahr, als Spengler "Der Untergang des Abendlandes" schrieb; und je älter Dikigoros wird, und je länger er den tatsächlichen Untergang des Abendlandes mit erlebt, desto mehr schwankt er, ob er die Untertitelzeile nicht austauschen soll; denn dies ist ein Musterbeispiel für seine These, daß viele Zitate, die ursprünglich gar nicht viel her gaben, im Laufe der Zeit eine geradezu unheimliche Aktualität gewinnen, ohne daß ihr Verfasser das ahnen, geschweige denn wissen konnte. Ja, er zieht sich diesen Schuh durchaus auch persönlich an: Er fühlt sich zunehmend wie ein Freibeuter des Geistes, der versucht, die letzten Freiräume, wie sie u.a. das Internet - noch - bietet, auszufüllen, mit dem bißchen Rest von Wahrheit, das - noch - nicht ganz kriminalisiert ist.

Das ist übrigens ein Punkt, in dem Dikigoros dem o.g. Buch von Dwinger auch noch Gerechtigkeit widerfahren lassen muß. Der schrieb - wohlgemerkt 1950, nur ein Jahr nach Gründung der BRD - beinahe hellsichtig: "Es wird vorschnelle Geschichtskonstruktionen auf uns niederhageln, es werden summarische Verdammungen wie Regengüsse auf uns herabprasseln. Es wird so gut wie nichts bestehen bleiben, es wird fast alles schlecht gewesen sein! Wie mit einem Mikroskop wird man die deutsche Geschichte durchstöbern, aus jedem winzigen Dunkelpunkt eine schlammige Pfütze unserer Schuld machen. Was uns bei dieser Orgie der Selbstbespeiung an Spülicht überschütten wird, können sich alle Erfahrenen schon heute an den Fingern abzählen. Jeder vernünftige Historiker aber, der maßvoll dagegen einschreitet, wird schon von den anderen beschlagnahmt, wird dadurch wiederum zum Nazi gestempelt." Warum hält Dikigoros Dwinger gleichwohl für einen schlechten Historiker und "Wenn die Dämme brechen" für ein ziemlich durchwachsenes Buch? Nun, da stehen z.B. auch Sätze drin wie: "Man braucht ein Jahrhundert, um Friedrich den Großen richtig zu sehen, ein ganzes Menschenalter, um Bismarck zu erkennen, über ein Jahrzehnt, um Wilhelm II gerecht zu werden - für Adolf Hitler braucht man kein Jahr, braucht man keinen Tag, nicht einmal eine Stunde." Das sieht die heutige Geschichts-"Wissenschaft" genau umgekehrt, wenngleich ebenso oberflächlich: Sie wird sich noch ein Jahrhundert nach Hitlers Tod die Finger über ihn wund schreiben, während sie an Wilhelm II nach einem Lebensalter so allmählich das Interesse verliert (es gibt andere Buhmänner, man braucht ihn nicht mehr); über Bismarck wird schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr ernsthaft geforscht (es gibt einfach nichts Neues mehr); und Friedrich II von Preußen ist inzwischen sogar aus den Schulbüchern so gut wie verschwunden - man widmet ihm nicht mal mehr eine ganze Stunde Geschichts-Unterricht (warum sollte man - Preußen gibt es ja nicht mehr). Um Fragen seiner Leser vorzubeugen: Was würde Dikigoros denn zu diesem Themenkomplex sagen? Er findet das eine Extrem ebenso falsch wie das andere. Friedrich und Otto würde er ins selbe Boot setzen: Beide zerstörten Deutschland durch vorschnelle Bruderkriege zwischen Hohenzollern und Habsburgern, der eine das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" - Napoleon zerriß doch nur noch eine ohnehin schon leere Hülle -, der andere den "Deutschen Bund"; und in ein zweites Boot würde er Wilhelm und Adolf setzen: beide zerstörten den Rest Deutschlands durch ihre starrsinnige Weigerung, seinen um jeden Preis zum Krieg entschlossenen Feinden rechtzeitig durch Präventivschläge zuvor zu kommen, in der naïven Hoffnung, dadurch den Frieden zu bewahren - Wilhelm 1904 gegen Frankreich und Adolf 1940 gegen England - und erreichten dadurch das genaue Gegenteil. Für diese Erkenntnis braucht man kein Jahrhundert, aber sie kommt einem auch nicht in ein paar Stunden. Exkurs Ende.

Edschmid verbreitete auch außerhalb jenes autobiografischen Romans fleißig das Märchen von sich als "innerem Widerstandskämpfer", der während des Dritten Reichs Publikationsverbot gehabt habe - mit Erfolg. Als 1965, anläßlich seines 75. Geburtstages, sein Bolivar-Roman "Der Marschall und die Gnade" unter dem Titel "Die Befreiung Südamerikas" neu heraus gebracht wurde, erwähnte die Kurzbiografie auf dem Rückumschlag kein einziges seiner 1933-1945 erschienenen Werke. [Eines davon hat auch Dikigoros nie auftreiben können - er kennt nicht mal den Titel; aber es muß relativ bekannt gewesen sein, denn Margret Boveri zitierte daraus 1936 in ihrem Buch "Das Weltgeschehen am Mittelmeer" Seiten lang. Leider nannte sie nur den Autor, nicht den Titel - wie hätte sie auch ahnen können, daß jenes Buch nach 1945 spurlos verschwinden würde? Es handelte offenbar von einer Reise Edschmids nach Palästina und Syrien; und Dikigoros vermutet, daß es Kritisches über die Juden enthielt; Edschmid dürfte also selber ein Interesse daran gehabt haben, es vergessen zu machen, bevor die Zensoren - oder schlimmere Zeitgenossen - es fanden und lasen.] Auch 1996, anläßlich der Neuauflage der "Achatnen Kugeln" durch den 1993 gegründeten Kranichsteiner Literatur-Verlag (Dikigoros vermutet aufgrund einer Passage in einem seiner autobiografischen Romane, daß Edschmid entgegen seiner offiziellen Biografie nicht direkt in Darmstadt, sondern im Jagdschloß Kranichstein bei Darmstadt geboren wurde), wurde bei der Aufzählung seiner "über 50" Werke kein einziges Reisebuch auch nur erwähnt, geschweige denn gewürdigt - dabei waren das schon zu seinen Lebzeiten die einzigen Bücher, die von der breiten Masse gelesen wurden, und es sind die einzigen, die bis heute lesenswert geblieben sind. Statt dessen werden uns Märchen aufgetischt: Wegen der Verleihung des Büchner-Preises 1927 habe Edschmid sich 1933 "zurückziehen" müssen. (Neuerdings wird von gewissen Witzbolden sogar das Märchen verbreitet, er sei ein Opfer der Bücherverbrennung von 1933 geworden.) Das ist schlicht unwahr - wahr ist vielmehr das Gegenteil: Gleich 1933 veröffentlichte er "Das Südreich. Roman der Germanenzüge". (Dieses Buch wurde zwar verboten - aber nicht von den Nazis, sondern 1945 von den alliierten Besatzern :-) "Das große Reisebuch" durfte zwar im Dritten Reich nicht mehr neu aufgelegt werden (Edschmid hatte sich darin abfällig über Hitler geäußert, den er für eine schlechte Imitation Mussolinis hielt - damals waren sich die beiden Diktatoren noch nicht sonderlich grün), aber Edschmids Hauptwerk in fünf Bänden über Italien (unter besonderer Berücksichtigung der Verdienste Mussolinis) erschien 1935 ("Lorbeer, Leid und Ruhm"), 1937 ("Gärten, Männer und Geschichte"), 1939 ("Inseln, Römer und Cäsaren), 1941 ("Hirten, Helden und Jahrtausende") und 1948 ("Seefahrt, Palmen und Unsterblichkeit"). Der Inhalt war so "rechtslastig" (und damit "belastend" im Sinne des bereits erwähnten alliierten Fragebogens), daß Edschmid die insgesamt über 2.000 Seiten Anfang der fünfziger Jahre auf 423 Seiten zusammen strich und sie in einem Band unter dem Titel "Von Verona bis Palermo" neu heraus brachte. (Zu diesem Zweck wechselte Edschmid auch den Verleger. Zur Zeit des Dritten Reichs hatte er im Zsolnay-Verlag geschrieben; nach 1945 hielt er sich viel darauf zugute, daß dort vor 1933 auch jüdische Autoren erschienen waren; die Darstellung in "Das gute Recht", wie er mit Paul Zsolnay 1943 gebrochen habe, aus Empörung darüber, daß der nach 1933 auch Bücher böser "rechter" Autoren veröffentlichte, ist freilich wenig glaubhaft.) Dagegen erweiterte Edschmid "Afrika nackt und angezogen" 1951 gerade um so viele Seiten, daß nicht weiter auffiel, wie viele verfängliche, da inzwischen als "rassistisch" geltende Passagen er heraus gestrichen, pardon modernisiert hatte; auch wenn es wohl nur ein Zufall war, daß der neue Bucheinband ebenso verwaschen war wie der neue Inhalt - solche Zufälle liebt Dikigoros...


Bucheinband 1929 - Edschmid mit Schlips und Tropenhelm in Afrika - Bucheinband 1951

Aber seien wir nicht ungerecht: Edschmid nutzte seinen eigenen Persilschein auch, um anderen zu helfen, die weniger Glück - oder Geschick - hatten als er. So erreichte er 1947 als gut-demokratischer Entlastungszeuge, daß die als Schwerkriegsverbrecherin angeklagte Henriette v. Schirach - deren Verbrechen darin bestanden hatten, den Propaganda-Fotografen Heini Hoffmann zum Vater und den Führer der deutschen Pfadfinderjugend, Baldur v. Schirach, zum Ehemann zu haben, es herrschte eben Sippenhaft! - nur als "Minderbelastete" eingestuft und lediglich vollständig enteignet (übrigens zugunsten der gerade wieder neu gegründeten bayrischen SPD; die Genossen waren damals schon fast so korrupt wie heute :-) und damit an den Bettelstab gebracht wurde. Henriette v. Schirach sollte Edschmid um ein Vierteljahrhundert überleben und selber noch einige Bücher schreiben, freilich keine Reiseberichte, weswegen sie bei Dikigoros nicht auftauchen. Immerhin zählte - der als Jude sicher unverdächtige - Carl Zuckmayer ihre Memoiren, "Der Preis der Herrlichkeit", die sie Colin Ross widmete, zu den interessantesten Erinnerungen, die über das Privatleben der Nazi-Größen geschrieben wurden. Es ist, soweit Dikigoros weiß, die einzige Quelle aus der wir erfahren, daß Hitler am liebsten Spaghetti mit Tomatensauce aß, Homer las und Klavier spielte - vorzugsweise Opern des von ihm so bewunderten Richard Wagner, aber auch seine Lieblings-Oper von Verdi, La forza del destino. Hätte Edschmid das noch erlebt - er wäre aus allen Wolken gefallen, denn er hielt Hitler für ungebildet, unmusikalisch und geistigen Dingen überhaupt abgeneigt. Wie schrieb er einmal: "Mussolini war ein gebildeter, geistig hochgezüchteter Mann, dem fast alle Gebiete des höheren Lebens zugänglich waren, der in machen Bezirken des intellektuellen Lebens sogar nicht nur lebte, sondern auch wirkte. Dem deutschen Diktator dagegen waren die Provinzen des Geistes fast ausnahmslos verschlossen." So so...

Ein Werk Edschmids hat Dikigoros bisher nicht erwähnt, da es kein Reisebuch ist; aber er will ihm wenigstens einen kleinen Exkurs widmen: seiner Biografie des großen Afrika-Reisenden Albert Schweitzer, der ebenfalls Elsässer - also ein halber Landsmann Edschmids - war (und ein großer Liebhaber deutscher Musik, besonders der Orgel-Werke Bachs - ohne stolz darauf zu sein). Ihr, liebe Leser, habt von ihm wahrscheinlich eher als von einem großen Theologen, Menschenfreund und Entwicklungshelfer gehört; aber in diese Kästchen hat ihn erst Edschmid gesteckt. Tatsächlich war Albert Schweitzer ein ziemlich komischer Heiliger, ausgebildeter Arzt und Priester, der sich wegen seines - sagen wir einmal: äußerst "modernen" - Verständnisses der Person Jesu Christi mit den Kirchen-Oberen überworfen hatte und deshalb ins Exil nach Afrika gehen mußte, nicht als "Missionar", wie man immer wieder hört und liest, sondern auf eigene Faust, ohne den Segen der Mutter Kirche, und ausgerechnet nach Gabun, das damals noch eine französische Kolonie war. Als der Weltkrieg kam, kassierten die Franzosen Schweitzer als Angehörigen eines Feindstaates ein (wen interessierte schon die blöde Kongo-Akte und daß er nur Zivilist war?), hielten ihn und seine Frau zwei Jahre in Afrika gefangen und steckten dann beide für weitere zwei Jahre in das berüchtigte Konzentrationslager St. Remy, wo man die Gefangenen auf kleinen Holzflößen im See festmachte (eine Behandlung, die eine Generation zuvor schon den Maler Vincent van Gogh in den Irrsinn - an dem er entgegen weit verbreiteter Meinung zuvor nicht litt, aber das ist eine andere Geschichte - und in den Selbstmord getrieben hatte). Von dort wurde die Familie Schweitzer 1919, halb zu Tode gequält, nach Deutschland abgeschoben. (In einem weit verbreiteten deutschen Personen-Lexikon steht über diese Zeit: "interniert in Europa".) Aber Schweitzer war unverbesserlich: 1924 kehrte er, inzwischen als Elsässer mit der französischen Staatsbürgerschaft versehen, nach Gabun zurück, zwischendurch immer wieder kräftig die Werbetrommel rührend, vor allem in Deutschland, selbst als auch dort Hunger und Not herrschten. Als er 1939 wieder nach Europa reisen wollte, ließen ihn die Franzosen nicht mehr herein - sie hatten dem Reich gerade den Krieg erklärt, alle Elsässer als potentielle Staatsfeinde deportiert und in Konzentrationslager gesteckt. Über das nächste Lebensjahrzehnt Schweitzers ist praktisch nichts zu erfahren. 1948 tauchte er im völlig zerbombten Frankfurt wieder auf - wo man ihm zehn Jahre zuvor den Goethe-Preis verliehen hatte -, unternahm anschließend eine Bettel-Reise durch die USA. Nein, nicht für seine Landsleute bettelte er, die gerade ganz unfriedlich in Indochina verheizt wurden (aber das ist eine andere Geschichte), sondern für die Negerlein in Afrika, denen es ja sooo schlecht ging. Das rührte denn auch die Deutschen, und zwar so sehr, daß sie ihm den neu gestifteten "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" verliehen. Die Laudatio hielt der damalige Bundespräsident Theodor Heuss - den Schweitzer als Jung-Priester einst mit Elli Knapp getraut hatte -, und begründete damit jene Tradition, die Jahrzehnte später in der Verleihung des selben Preises an die zwielichtige Islamistin Annemarie Schimmel unter der Lobrede Roman Herzogs gipfeln sollte (aber auch das ist eine andere Geschichte). Das alles konnte Edschmid 1949 noch nicht wissen - ebenso wenig, daß Schweitzer 1953 auch noch der Friedensnobelpreis verliehen werden sollte. Hätte er gewußt, welch mutig-zweideutige Dankesrede Schweitzer bei dieser Gelegenheit halten sollte, hätte er das Buch vielleicht gar nicht geschrieben. Als man ihn nämlich in den Mund zu legen versuchte, daß die bösen Deutschen im allgemeinen und die bösen Nazis im besonderen ob ihrer unfriedlichen Gewalt besonders zu verurteilen seien, gab er ganz trocken zurück, daß jede Art von Gewalt zu allen Zeiten und bei allen Völkern zu verurteilen sei. Dann reiste er wieder ab gen Afrika, wo er ein Jahr vor Edschmid das Zeitliche segnen sollte. (Der letztere starb übrigens nicht in Italien, wie manche Biografen behaupten, sondern in der Schweiz - Vulpera liegt im Engadin; der Name ist nicht italienisch, sondern räto-romanisch.)

[Logo des PEN-Zentrums]

Aber Dikigoros hat vorgegriffen. Edschmid ist noch längst nicht tot, sondern quick-lebendig und hat es inzwischen zum General-Sekretär des Deutschen PEN-Zentrums gebracht (und nebenbei zum Vizepräsidenten der Jury für die Vergabe des Georg-Büchner-Preises, zusammen mit Frank Thiess, seinem Ex-Mitautor bei Zsolnay). In jenem "Zentrum" kon-zentrierten sich vornehmlich solche Schreiber, die nicht so viel "biografisches Glück" hatten wie etwa Anton Zischka (ein Landsmann von Katz, Kisch und Ross), der zwar ein überzeugter National-Sozialist war, aber 1935 nach Mallorca emigriert war, ein Jahr bevor der spanische Bürgerkrieg ausbrach, also ohne daß man ihn darob der Sympathie für Franco verdächtigen konnte. Er durfte, wohl als einziger seiner Generation, sein Leben lang - 1904-1997 - ungestraft schreiben, was er wollte, und alle staatlichen Bibliotheken - des Dritten Reichs, der BRD und der DDR - kauften es! (Eine Ausnahme machte nur sein einziges Reisebuch - und deshalb erwähnt Dikigoros das hier -, nämlich "Italien in der Welt", das nach 1945 verboten wurde, freilich nur die fünfte und letzte Auflage von 1941, in der Zischka sich allzu lobend über den treuen Kriegsverbündeten des Deutschen Reichs geäußert hatte - eine Ergänzung, die in den nächsten Auflagen, wenn es denn noch welche gegeben hätte, wohl ohnehin wieder gestrichen worden wäre :-) Oder wie Edschmids Freund und weiterer halber Landsmann, der Elsässer René Schickele, der auch eine recht bewegte Vergangenheit als Emigrant hatte: 1916 war er als "Pazifist" in die Schweiz emigriert, die ihn freilich 1919 als mittellosen Hungerleider hinaus warf (merke: die Schweizer wollen nur gut betuchten Exilanten!). Da die Franzosen inzwischen seine Heimat annektiert hatten, ging er zunächst nach Deutschland, dann nach Frankreich, leider ein knappes Jahr zu früh - 1932 -, um das als Flucht vor den bösen Nazis verkaufen zu können. (Wohlwollende Nachrufer behaupten gleichwohl, er sei "wegen der sich abzeichnenden Diktatur in Deutschland" emigriert; aber das ist Unfug: Die so genannte "Weimarer Republik" war in ihrer Endfase längst eine Diktatur, in welcher der Ex-Feldmarschall v. Hindenburg, gestützt auf so genannte "Not-Verordnungen", mit Kanzler-Diktatoren regierte, die über keinerlei parlamentarische Mehrheiten verfügten, nämlich den Ex-Offizieren Brüning, v. Papen und v. Schleicher; dagegen dachte er noch nicht im Traum daran, den "böhmischen Gefreiten" Hitler zum Kanzler zu machen. Die einzige Gefahr, die sich abzeichnete, war, daß die NSDAP, wenn man weiterhin freie, demokratische Wahlen zuließ, in absehbarer Zeit die absolute Mehrheit gewinnen würde, und dann hätte auch Hindenburg wohl nicht mehr anders gekonnt.) Allerdings hatte Schickele das Glück, noch vor dem Frankreich-Feldzug zu sterben, sonst hätte sich womöglich heraus gestellt, daß er von den Nazis bzw. ihrem Quasi-Verbündeten Pétain durchaus wohl gelitten war, und das hätte ihm bzw. seinen Büchern nach 1945 leicht das Genick brechen können - wenn es nicht Institutionen wie das PEN-Zentrum gegeben hätte.

[Exkurs. Da Dikigoros so viele Elsässer erwähnt hat, muß er auch noch Artur Dinter erwähnen - der in die Kategorie "Treppenwitze der [politischen] Litaraturgeschichte" fällt, auch und gerade wenn man ihn mit Edschmid vergleicht. Wie dieser war er ein erfolgreicher Schriftsteller (von ihm stammte z.B. die heute verbotene Trilogie "Die Sünden der Zeit"), mit vielen Pfarrern befreundet (aber den "falschen" - denen der "Deutschen Volkskirche", die 1937 auf Betreiben Himmlers verboten wurde), Rassist und Fascist, aber kein National-Sozialist - im Gegenteil: Er war ein erklärter Feind Hitlers und wurde 1928 aus der NSDAP (der er noch vor letzterem angehört hatte, als sie noch eine eher harmlose kleine Splittergruppe war; er hatte die Mitgliedes-Nr. 5) und später auch aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen (anders als Edschmid hatte er also wirklich Berufsverbot); 1942 entging er nur knapp der Verurteilung zum Tode durch ein NS-Sondergericht. Dennoch gelang es ihm nicht, sich nach 1945 als "Widerstandskämpfer" aufzuspielen; vielmehr wurde er von den Sondergerichten "Entnazifizierungskammern" der Nachkriegszeit als "Mitläufer des NS-Regimes" schuldig gesprochen. 1948 starb er, verarmt und verbittert, noch bevor er dem PEN-Zentrum beitreten konnte. Exkurs Ende.]

Kurzum, im PEN-Zentrum sammelten sich Penner, pardon Literaten, die wie Edschmid alles tun mußten, um ihre "rechte" Vergangenheit durch besonderes Engagement in die andere Richtung zu vertuschen oder wenigstens "wiedergutzumachen", wenn sie nicht, wie ihr bereits erwähnter Kollege Ernst von Salomon, in einem Lager der alliierten Besatzer, pardon Befreier "konzentriert" werden wollten. Diese Species legte den Grundstein für die verhängnisvolle Entwicklung, die jene Institution immer mehr nach links abdriften ließ. Heute tarnt sie sich hinter der heuchlerischen Parole "Für die Freiheit des Wortes" - aber die Freiheit, die sie meinen, ist nicht die des Andersdenkenden, wenn die auch nur einen Millimeter von der eigenen, stramm linken Meinung abweicht. Im Gegenteil - da schreien sie laut nach Zensur! So hat das PEN-Zentrum kürzlich einen "Aufruf" an seine Mitglieder erlassen, ihr "Engagement gegen rechts" unter Beweis zu stellen durch die Beteiligung an der Aktion "Neonazis raus aus dem Netz", die von so verdienstvollen Persönlichkeiten angezettelt, pardon ins Leben gerufen wurde wie Uwe-Karsten Heye, Paul Spiegel und Michel Friedman. Wer "Neonazi" ist und deshalb "raus aus dem Netz" muß, wollen die gutmenschlichen Initiatoren natürlich selber entscheiden (wer sonst?!) - im Zweifel jeder, der rechts von ihnen steht. (Klickt bitte mal den Heye-Link an - er stammt von der rot-grünen Bundes-Regierung -, wenn Ihr wissen wollt, auf welchem Niveau sich die nicht-rausgeworfenen Seiten nach deren Vorstellung bewegen sollen: purer Personenkult ohne ein Quentchen Information!) Ihr seht, liebe Leser, heute braucht's gar keine Bücherverbrennung mehr, das ist doch mittelalterlich, total überholt vom technischen Fortschritt...

Doch für's erste müssen wir noch einmal zurück kehren in die düstere, nicht so fortschrittliche Vergangenheit. Ende der 1950er Jahre wurde die unsichtbare Zensur in der Bundesrepublik vorübergehend so weit gelockert, daß Edschmid sein Italien-Werk wieder auf drei Bände - "Zwischen Alpen und Apennin", Zwischen Apennin und Abruzzen" und "Rom und der Süden" - mit insgesamt 1.860 Seiten aufstocken konnte, natürlich brav "demokratisch geglättet". Auch seinen ersten Vorversuch zu Italien von 1932 - "Zauber und Größe des Mittelmeers" - brachte er ebenso geglättet 1959 noch einmal unter dem Titel "Stürme und Stille am Mittelmeer" auf den Markt; ein Jahr darauf ging Edschmid mit allen Ehren, nämlich als "Ehrenpräsident" des PEN-Zentrums, in den Ruhestand. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er damit, seinen apologetischen (oder, wie ein boshafter Kriker schrieb, "etwas weinerlichen") Lebensroman nach dem gleichen Strickmuster zu kürzen wie einst seine Reisebücher: Bis zur Neuauflage zwei Jahre vor Edschmids Tod schrumpfte "Das gute Recht" der Jahre 1933-1945 von 1089 auf sage und schreibe 325 Seiten zusammen. (Dabei hatte sich doch von 1946-1964 das schlechte Recht, nämlich die Flut der Gesetzes-, Verordnungs- und Urteilssammlungen des alliierten "Kontrollrats", der BRD, der DDR und der "Republik Österreich" mehr als verhundertfacht :-) Neue Reisebücher schrieb Edschmid dagegen nicht mehr. Das ist schade, denn er hatte doch - angeblich - eine reichhaltige Sammlung von "harmlosesten Aufzeichnungen aus England, aus der Schweiz, aus den Dominions", die er bis 1945 nicht zu veröffentlichen wagte, weil die Nazis daraus eine Anklage hätten zusammen zimmern können, "aus Unkenntnis, aus bösem Willen oder aus beidem". Aber vielleicht waren diese Aufzeichnungen nur aus Sicht der Nazis "harmlos" - nach 1945 fand Edschmid erst recht keinen Verlag mehr, der sie zu drucken wagte - sei es aus Unkenntnis, aus bösem Willen oder aus beidem.

Zwei Jahre nach Edschmids Tod machte sein Verlag aus den Italien-Büchern wieder einen - den "68ern" genehmen - gekürzten Einbänder von 928 Seiten mit dem unpersönlichen Titel "Italien, Landschaft, Geschichte, Kultur". Doch all diese Verstümmelungen und Rekonstruktionen ad usum Dummviehi waren vergeblich: Auch die dreibändige Ausgabe der späten 1950er Jahre wurde inzwischen - wie nach dem Zweiten Weltkrieg die fünfbändige - aus den öffentlichen Bibliotheken verbannt. Nein, nicht verbrannt, wie es Thomas Mann, der schwule Kultur-Bolschewik (nein, liebe Leser, das ist heutzutage keine Beleidigung mehr, sondern vielmehr eine Empfehlung, z.B. wenn man in Berlin, Hamburg oder Bremen Regierender Bürgermeister, Kultur-Senator oder einfach nur Bürgerschafts-Abgeordneter werden will :-) mit allen deutschen Büchern tun wollte, die vor 1945 erschienen waren - einschließlich seiner eigenen, insbesondere von "Gedanken im Kriege", "Friedrich und die große Koalition" und "Betrachtungen eines Unpolitischen", die ihm als selbst ernanntem "anti-nazistischem Widerstandskämpfer im Exil" nach dem Krieg ausgesprochen peinlich sein mußten -, sondern nur verramscht. (Diesem glücklichen Umstand verdankt Dikigoros übrigens ihren Besitz :-) Man mache sich nichts vor: Wenn 1933, nach der Machtergreifung der National-Sozialisten, ein paar dumme Jungen und erwachsene Kindsköpfe ihnen nicht genehme Bücher verbrannten (übrigens nach dem Vorbild des "Wartburgfests" von 1817, das uns heute als ach so fortschrittlich und "demokratisch" hin gestellt wird), dann war das mehr oder weniger ihr Privat-Vergnügen, auch wenn sie dabei irgendwelche Uniformen trugen, und es betraf jeweils nur ein paar Einzel-Exemplare. Eine systematische Durchsuchung aller öffentlicher und privater Buchbestände nach "politisch unkorrekter" Literatur und deren "Ausmerzung" von Staats wegen, wie sie nach 1945 - und vor allem nach 1969 - um sich griff, gab es im "Dritten Reich" nicht. (Ein weiterer Unterschied ist, daß die Bücherverbrennungen im "Dritten Reich" öffentlich statt fanden - jeder wußte es, und jeder, dem das nicht gefiel, hätte protestieren können; in der BRD dagegen, jener wunderbaren Demokratie mit all ihren Mitspracherechten des mündigen Bürgers, wurde die Vernichtung heimlich, still und feigeleise vollzogen; und wenn doch jemand etwas davon erfahren und öffentlich zu protestieren gewagt hätte, wäre er ebenso heimlich still und leise mundtot gemacht worden.)

So spiegelt sich denn in der Werkgeschichte auch die Lebensgeschichte Edschmids und die politische Geistesgeschichte Deutschlands. Und nicht nur die: War eine Reise durch Frankreich und Italien für einen Deutschen Mitte der 1920er Jahren noch eine "große" Reise, so war dieselbe Reise Ende der 1950er Jahre nur noch eine "kleine" Reise. (Ob man allerdings auf den "großen" Reisen rund um den Erdball, wie sie inzwischen Mode geworden sind, so viel mehr sehen kann - subjektiv und objektiv - als Edschmid zu seiner Zeit, bleibe dahin gestellt.) In jüngster Zeit hat seine Schwiegertochter Ulrike noch ein's drauf gesetzt, indem sie ein weiteres Märchen in Umlauf gebracht hat: das vom Freund und Beschützer aller Juden (und vor allem Jüdinnen :-) in der dunklen Zeit des Dritten Reiches. War nicht die Jüdin Erna Pinner seine große Liebe? Wenn man es darauf anlegt, aus den knapp 600 Briefen, die sie einander im Laufe ihres Lebens geschrieben haben, "mit Schere und Klebstoff" ein "Konzentrat" von knapp 10% zu machen, das den Anspruch erfüllt, eine neue Romanze à la "Romeo und Julia" darzustellen, dann ist das sicher möglich; wie weit man damit freilich der Wahrheit nahe kommt, ist eine andere Frage. Richtig ist, daß Pinner Edschmid fast zwei Jahrzehnte auf seinen Reisen begleitete und die Illustrationen zu seinen rassistischen Büchern zeichnete. (Auch wenn es heute viele nicht mehr wahr haben wollen: es gab damals viele Juden - von Sigmund Freud bis Stefan Zweig - die durchaus "deutsch-national" und "euro-zentrisch" eingestellt waren und für die Kommunisten, Sozialisten und National-Sozialisten nur verschiedene Erscheinungs-Formen ein- und desselben "roten Gesocks" waren.) 1935 emigrierte Pinner nach England; 1946 nahm Edschmid den Briefkontakt wieder auf. Er hatte freilich fünf Jahre zuvor geheiratet (Elisabeth v. Harnier, Tochter eines deutschen Generalarztes a.D., 20 Jahre jünger als Pinner und selbstverständlich Arierin - nicht jeder hatte die Zivilcourage, 1933-45 mit einer Jüdin zusammen zu leben, wie Ernst von Salomon); und sie hatte sich von der alliierten Greuel-Propaganda derart einnehmen lassen, daß sie alle Deutschen - einschließlich Edschmids - für Menschenfresser hielt. Die "große" Romanze wurde zur kleinen Romanze und schlief schließlich ganz ein - und das hat sie mit den erst "großen", dann "kleinen" Reisebüchern und dem Ruhm ihres wendehalsigen Autors gemeinsam.

[Wendehals Edschmid] [Copyright: Klaus Nerger, mit freundlicher Genehmigung]


Anhang: Johannes Gaitanides

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