Johannes Gaitanides

(1909 - 1988)

[Gaitanides]

EIN ANHANG ZU
Kasimir Edschmid

Was Edschmid für Italien war, das war Gaitanides für Griechenland. Nein, er war kein großer Reiseschriftsteller - deshalb hat es hier auch zu keinem eigenen Kapitel, ja nicht mal zu einem eigenen Exkurs, sondern eben nur zu diesem Anhang gereicht -, aber er hat das Griechenlandbild der Deutschen vielleicht sogar länger geprägt als Edschmidt ihr Italienbild. Sein "Griechenland ohne Säulen" war Jahrzehnte lang die Bibel aller Griechenland-Kenner und solcher, die es werden wollten; selbst die alternativ angehauchten Verfasser von "Anders Reisen Griechenland" (nebst Teilbänden) haben es durch alle Auflagen hindurch unverändert empfohlen. Und "Das Inselmeer der Griechen" wurde anläßlich der Olympischen Spiele von 2004 posthum noch einmal neu aufgelegt. Über den Autor erfährt man dagegen sehr wenig. "Johannes Gaitanides, geboren 1909 in Dresden, 1933 aus politischen Gründen nach Griechenland emigriert [zwischen den Zeilen glaubt man lesen und ergänzen zu müssen: "als guter Demokrat und Anti-Faschist"], später in die Bundesrepublik zurück gekehrt, 1988 gestorben" liest Dikigoros in einem Klappentext. Das ist herzlich wenig - und selbst das stimmt nicht alles. Beginnen wir mit dem Namen. Sein Vater war Grieche und arbeitete an der Gesandschaft in der Hauptstadt des Königreichs Sachsen; die Mutter war Deutsche. Für den Sprößling einer solchen Verbindung ist "Johannes" der ideale Vorname; man konnte ihn nämlich beliebig abwandeln, sei es zu "Ioannis", sei es zu "Hans" - und so hieß er denn auch erstmal, bis 1945. 1933 machte er eine Reise nach Griechenland; aber die hatte keine "politischen" Gründe und mit Emigration vor dem National-Sozialismus gleich gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: 1936 schloß Hans Gaitanides sein literatur-wissenschaftliches Studium an der Universität München mit der Promotion zum Dr. phil. ab. Seine Doktorarbeit hatte er über den Barockdichter Georg Rodolf Weckherlin geschrieben, der u.a. am englischen Königshof gewirkt hatte - das war Mitte der 1930er Jahre, als Hitler noch auf die britische Karte setzte, ein dankbares Dissertationsthema. Aber noch viel interessanter ist, unter welchem Aspekt er es sich vorgenommen hat: "Versuch einer physiognomischen Stilanalyse... das Leib-Seele-Problem."
(...) Lavater, Goethe, Hitler

Im Zweiten Weltkrieg war Hans Gaitanides als überzeugter National-Sozialist wie sein Altersgenosse fernau.htm" target="_blank">Joachim Fernau Kriegsberichterstatter und Sonderführer der Waffen-SS. Aus dieser Zeit - Sommer 1940 - ist uns ein Juwel aus seiner Feder erhalten (leider nur noch in wenigen Exemplaren, denn es fiel der heimlichen Bücherverbrennungnichtung in der BRD zum Opfer: "Neues Griechenland". Das neue Griechenland, das war der Staat, den sein Namensvetter Metaxás sich zu schaffen anschickte, der 1936 die korrupten Erben des Elefthérios Venizélos, die mit dem Kommunismus kokettierten, gestürzt hatte, und ein "falanxistisches" Regime errichtet hatte (daher stammt diese Bezeichnug, nicht aus dem Spanien Francos, der noch drei Jahre warten mußte, bis er den Bürgerkrieg gewonnen hatte). Gaitanides beginnt sein Opus mit den markigen Worten: "Rasse, Geschichte, Landschaft sind die Hauptkräfte, die das Wesen des Menschen formen (...) Ein Volk, wie das deutsche, wird mehr durch sein rassisches Erbe, das andere, wie die Schweiz, mehr durch seine Geschichte, das dritte schließlich vorwiegend durch seine Landschaft bestimmt. Zum Musterbeispiel für den letzten Fall eignet sich Griechenland." Aber wollen wir uns nicht an der Sprache aufhängen - man schrieb halt damals nicht nur in Deutschland anders als heute -, sondern uns dem Inhalt zuwenden. Wenn Dikigoros eben von einem "Juwel" gesprochen hat, so bezog sich das nicht auf die Lesbarkeit als Reisebericht - aber das ist es eben nicht, sondern vielmehr ein Sachebuch mit vielen trockenen Zahlen und Statistiken aus Geschichte und Wirtschaft. Da erfahren wir z.B., daß Griechenland vor dem Krieg fast ein Drittel seines Außenhandels mit dem Deutschen Reich abwickelte (pfui, wie undemokratisch - das mußte ja den berechtigten Zorn und Neid z.B. der braven Briten provozieren!), und daß die Flüchtlinge aus Venizelos' kleinasiatischen Abenteuer gerade erst mühsam integriert worden waren (allerdings nicht politisch - viele tendierten zum Kommunismus, einer sonst in Griechland nicht eben weit verbreiteten Ideologie). A propos Venizelos: der war ein größenwahnsinniger Verbrecher, der Griechenland erst gegen den Willen der Bevölkerung - und die Bemühungen des Generals Metaxás - in den Ersten Weltkrieg geführt hatte und dann seinen vermeintlichen Alliierten auf den Leim gegangen waren, die es in den Anatolien-Feldzug gegen die Türkei - und damit in die "megali katastrofi [große Katastrofe]" laufen ließen. Und nun - das Buch war im August 1940 geschrieben - schickten sich die Engländer schon wieder an, ein gleiches zu versuchen: Im April 1940 - also noch vor Beginn des Westfeldzugs - hatten sie Griechenland ultimativ aufgefordert, ihnen Militärstützpunkte in Saloniki und auf Kreta einzuräumen; aber Metaxás hatte ihnen sein "och [nein]!" entgegen geschleudert, weshalb Griecheland sich noch immer des Friedens erfreute. Schau mal an - wo liest man das heute noch? Nirgendwo, weder bei Gaitanides noch bei irgendeinem anderen deutschen oder griechischen Schriftsteller, denn das ist inzwischen ebenso tabu wie das, was anschließend geschah: Die Briten ermordeten Metaxás (offiziell starb an einer versehentlich verabreichten Überdosis eines harmlosen Hustenmittels); seine Nachfolger ließen die britischen Truppen ins Land, und so kam es dann doch zum Krieg, den weder die Deutschen noch die Griechen gewollt hatten.

* * * * *

Nach dem zweiten Weltkrieg tauchte Hans Gaitanides erstmal ab und dann als "Johannes Gaitanides" wieder auf. Als er sein Griechelandbuch 1955 unter dem Titel "Griechenland ohne Säulen" neu heraus brachte, las sich das plötzlich alles ganz anders. Die politische Lage hatte sich grundlegend geändert, und mit ihr offenbar auch die historischen Fakten: Venizelos war jetzt ein genialer Politiker und großer Held gewesen, der halt bloß Pech gehabt hatte. (Ja, es gab auch noch immer Leute, die das gleiche von Hitler dachten, aber die hielten besser den Mund - die Katastrofe, die er verschuldet hatte, lag halt erst zehn Jahre zurück.) Über Metaxás wurde dagegen - wie allgemein - nur noch wenig geschrieben: Für die einen war er ein Fascistenfreund, der das Glück hatte, rechtzeitig zu sterben, für die, die ihm wohlwollend gesonnen waren, war er der couragierte Neinsager, der Begründer des "Ochi"-Feiertags. Nanu - doch nicht etwa wegen seiner Weigerung, die britischen Invasoren ins Land zu lassen? Das waren doch jetzt "Befreier" (schon lange, bevor auch die Deutschen ihre alliierten Besatzer als solche zu bezeichnen begannen - das war erst anno 1985)! Nein, man hatte eine ganz neue "Ochi"-Legende gestrickt: Angeblich hatte Metaxás nämlich nach dem britischen Ultimatum - das man ganz unter den Tisch fallen ließ - auch ein italienisches erhalten und dem bösen Fascho Mussolini ein mutiges "Ochi" entgegen geschleudert und damit dessen mißglückten Angriff auf Griechenland ausgelöst. So anders liest sich "Geschichte" aus ein- und derselben Feder mit nur wenigen Jahren Abstand! Wie es wirklich war? Das läßt sich heute kaum noch entwirren; Tatsache ist, dasß es im Herbst 1940 zu einigen Scharmützeln zwischen italienischen und griechischen Truppen auf dem Balkan, genauer gesagt im albanisch-makedonischen Grenzgebiet, kam. Man nannte sie den "Krieg der Sergeanten", weil es eigentlich keine echten, d.h. generalstabsmäßig geplanten "Operationen" gab. Die Kämpfe plätscherten so vor sich hin und schliefen dann im Winter 1940/41 wieder ein. (Entgegen weit verbreiteter Ansicht führten sie nicht zum Balkanfeldzug - den sollten erst die Briten mit ihrer Besetzung Kretas und dem Sturz der mit Deutschland verbündeten jugoslawischen Regierung provozieren.) Über den Zweiten Weltkrieg schreibt Gaitanides relativ wenig - die griechischen Verluste waren minimal gewesen; am ärgerlichsten war die britische Hungerblockade -, dafür umso mehr über den anschließenden Bürgerkrieg zwischen Monarchisten und Kommunisten, der ebenso lang dauerte und ebenso brutal geführt wurde wie der Spanische Bürgerkrieg zehn Jahre zuvor (auch wenn die ausländischen Interventionsmächte diesmal andere waren und die Zahl der Todesopfer in absoluten Zahlen - nicht in Prozenten - etwas niedriger). Als er 1949 zuende ging, lag Griechenland in Trümmern, war bettelarm (es gab weder die Möglichkeit, als Gastarbeiter in der BRD harte DM zu verdienen, noch gab es so etwas wie Massentourismus) und weite Teile der Bevölkerung ernährten sich von amerikanischen Care-Paketen - die Finanzhilfen der USA an die Regierung wurden hauptsächlich in die Rüstung gesteckt, denn Griechenland mußte ja unbedingt der NATO beitreten.
(...)

(Fortsetzungen folgen)


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