Erhart  Kästner

(1904 - 1974)

[Erhart Kästner]

EIN ANHANG ZU
Kasimir Edschmid

Wenn Dikigoros geschrieben hat, daß Johannes Gaitanides für Griechenland das war, was Edschmid für Italien war, dann war das nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, daß neben den Werken des ersteren auch die Griechenland-Bücher von Erhart Kästner lange Zeit Dauerbrenner auf den Empfehlungslisten der Filhellenen waren, vor allem "Ölberge, Weinberge". (Aber auch "Die Lerchenschule" und "Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos" - Frucht zweier Reisen in den Jahren 1953 und 1954 - waren beliebt, und seine Bücher über Kreta und die anderen griechischen Inseln jednfalls nicht ganz unbekannt; nur "Byzantinische Aufzeichnungen", ein Jahr vor seinem Tode erschienen, paßte nicht mehr in die politisch-korrekte Zeit und geriet zum Flop - für Griechenland-Reisende war es nicht geeignet, und ob man es nach Istanbul hätte mitnehmen dürfen, war durchaus nicht klar.) Kästner - mit dem berühmten Kinderbuchautor weder verwandt noch verschwägert - war ebenso wenig wie Gaitanides Reiseschriftsteller, sondern Bibliothekar (und für ein paar Jahre Privatsekretär von Gerhard Hauptmann). Aber wie Gaitanides verschlug es auch ihn im Zweiten Weltkrieg nach Griechenland, und zwar mit dem offiziellen Auftrag, ein Buch für deutsche Soldaten über jenes Land zu schreiben. Es erschien in zwei Bänden; der erste trug den unverfänglichen Titel "Griechenland" (den Untertitel - "Ein Buch aus dem Kriege" - konnte man ja weg lassen), der zweite den ebenso unverfänglichen Titel "Kreta". Da Kästner "Ölberge, Weinberge" immer ausdrücklich als "Überarbeitung" seines ersten "Griechenland"-Buches ausgab, fragte niemand nach dem Original, und Kästner starb als allseits geachteter Antifascist und Griechenlandfreund. Amen. Doch dann, nach einem Vierteljahrhundert, kam einer jener Antifa-Schnüffler, die überall in der Vergangenheit herum stochern, um echten oder vermeintlichen Fascisten von einst noch posthum das Handwerk zu legen. Arn StrohkopfStrohmeyer hieß er, hatte seine Jugend als Gammler auf Kreta - vor allem im damals als "Hippie-Hochburg" berühmt-berüchtigten Matala - zugebracht und war dann Journalist beim Bremer Rotfunk geworden. Sein erstes Opfer war 1998 ein gewisser Manfred Hausmann, den er als "Mitläufer" entlarvte. Es folgten "Enthüllungsbücher" über Alexis Zorbás und seinen eigenen Vater. Dann stieß er auf Kästners "Griechenland" in der Original-Ausgabe. Als Resultat seiner Lektüre kam - nur zwei Jahre, nachdem die Universität Augsburg Kästners 100. Geburtstag noch mit einer Ausstellung gefeiert hatte - das Buch "Dichter im Waffenrock" auf den Mark. Gegen den Titel ist eigentlich gar nichts einzuwenden ist - auch Kästner hätte ihm wohl nicht ernsthaft widersprochen. Weniger harmlos ist jedoch der Inhalt, der Kästner zum Nazi stempelte (er war 1939 der NSDAP beigetreten) und ihm vor allem eines vorwarf: In seinem Buch fehlt eine Aufzählung all der "Greueltaten" der "brutalen deutschen Besatzer" in Griechenland. Wie blind muß Erhart Kästner gewesen sein, wenn er die nicht bemerkt hatte? Oder war er vielleicht doch ein gefährlicher Nazispion? Jedenfalls wurde er ja als solcher von den Briten verhaftet und drei Jahre in einem Concentration Camp in der ägyptischen Wüste festgehalten, gegen das Guantánamo das reinste Sanatorium sein dürfte. (Er schrieb auch darüber - das "Zeltbuch von Tumilad", das heute freilich kaum noch jemand kennt.)

Was kann man Kästner und seinem ersten Griechenland-Buch nun wirklich vorwerfen? Was die "Greueltaten" anbelangt, so heißt es im Vorwort von 1942 ganz eindeutig: "Es entspricht dem Geist des deutschen Soldaten, die Länder, in die das Schicksal des Krieges ihn führt, mit wachen Augen zu erleben und Stätten alter Kultur mit Ehrfurcht zu betrachten. So wie während des Feldzuges 1941 in Griechenland und Kreta kein einziges klassisches Kulturdenkmal durch unsere Waffen beschädigt worden ist, so bringen wir, wohin wir auch kommen, echter Kultur stets die Achtung entgegen, die ihr gebührt." Punkt. Und selbst die übelsten Hetzer, die von den Kulturverbrechen der Alliierten ablenken wollen, werden nicht bestreiten können, daß sich die Deutschen in Griechenland mehr als rücksichtsvoll verhalten haben: Keine griechische Stadt wurde von ihnen zerstört, weder bei der Eroberung, noch beim Rückzug 1944; alle griechischen Kriegsgefangenen wurden sofort nach der Kapitulation entlassen - das war allerdings ein schwerer Fehler, denn einige davon gingen als Partisanen in den Untergrund und bestritten später den fast vierjährigen Bürgerkrieg, in dem dann halt doch noch einiges zerstört wurde. Ursprünglich richteten sich die Anschläge der Partisanen jedoch nicht gegen die Deutschen - die ganz im Gegenteil äußerst beliebt waren und gleich wieder frei gelassen wurden, wenn man sie mal versehentlich einfing -, sondern gegen die Italiener, die sich nicht immmer so korrekt benahmen. (Erst ab 1943 richteten sich die Anmschläge auch gegen deutsche Truppen, was u.a. zu den häßlichen Lügenmärchen über die Ereignisse von Kalawrita führte, die heute in einer Reihe mit der antideutschen Hetze in Sachen Guernica und Oradour steht - aber davon konnte Kästner damals noch nichts wissen.) Was kann man dem Buch sonst vorwerfen? Nun, was die Fakten angeht, wohl nicht allzu viel, denn Kästner schrieb ja für Leute, die selber im Lande waren, also genau wußten, wie es dort aussah. Es hätte also keinen Zweck gehabt, ihnen vorzulügen, wie toll das alles sei, sondern nur die Glaubwürdigkeit seiner übrigen Ausführungen erschüttert. (Das ist bei den Schreiberlingen heutiger Reiseführer anders - die können dem unbedarften Paulschaltouristen eine Menge vorlügen; wenn er nur einmal darauf herein fällt und Urlaub bucht, ist der Zweck ja schon erreicht; und beklagen darf er sich eh nicht, denn er und seinesgleichen sind ja schuld daran, daß manche Ferienziele geworden sind, was sie sind.) Mit einem Wort: Griechenland war - jedenfalls gemessen an den naïven Erwartungen vieler "klassisch" gebildeter Deutscher - eine Katastrofe, nicht mal die Ruinen waren echt... Aber es kommt ja auch auf die Bewertung an, und was man davon halten soll, kommt auf den Standpunkt an, wobei wir, liebe Leser, doch bitte nicht den heutigen Standpunkt einnehmen wollen, sondern den von 1942. Kästner schreibt mit liebenswürdiger Herablassung, etwa wie ein mit den lieben Negerlein sympathisierender Afrikareisender des 19. Jahrhunderts. Man dürfe die Griechen halt nicht an der Gegenwart messen, sondern ihnen die großartige Vergangenheit zugute halten, der wie soviel verdanken... Nun, auch darüber kann man geteilter Meinung sein, aber dem heutigen Leser stößt es schon irgendwie merkwürdig auf, wenn Kästner z.B. beklagt, nirgends in Griechenland blonde Menschen gesehen zu haben außer einem kleinen Mädchen (das sich nachher als Dänin entpuppt :-) und... den deutschen Fallschirmjägern aus Kreta. Das sind für ihn die Verkörperungen der antiken Helden, wie sie Homer in der Ilias beschrieben hat, die reinsten Götter in blond... Ansonsten zieht er von Ruinenstätte zu Ruinenstätte, und alles, was er beschreibt, ist eigentlich enttäuschend, soweit es die Gegenwart betrifft. Lobende Worte findet er allein für die - von den Wittelsbachern im 19. Jahrhundert wieder aufgebauten - Städte Athen und Sparta. Wohlgemerkt, was er da schreibt, ist historisch durchaus interessant - wo liest man sonst schon noch so schonungslos, wie die schwulen Spartaner der Antike lebten, daß sie selbst ihre Frauen in der Hochzeitsnacht als Männer verkleideten und ihnen die Haare kurz schoren, damit sie nicht so weiblich aussahen...?

Wie hat Kästner das nun nach dem Krieg verändert? Zunächst einmal fällt auf, daß er plötzlich allenthalben auf blonde Griechen trifft - merkwürdige Mutation in einem runden Jahrzehnt, nicht wahr? Ansonsten fällt "Ölberge, Weinberge" gegenüber dem Vorläufer ab - es ist zwar nicht direkt schlecht, aber im Vergleich eben doch enttäuschend. (Das unterscheidet es von den Nachkriegsbüchern Gaitanides', die im Großen und Ganzen eine Verbesserung gegenüber Neues Griechenland darstellen.) Nein, nicht für die Enthüllungs-Biografen: Er erwähnt brav ein paar Geiselerschießungen und nennt sie pflichtgemäß "sinnlos" - aber er schreibt halt auch, was ihnen von Seiten der griechischen Partisanen voraus gegangen war... Und er beschreibt etwas, das er zehn Jahre zuvor ausgelassen hatte: die Hungersnot. Nein, er schreibt nicht ausdrücklich, wie sie zustande kam - nämlich durch die britische Blockade des östlichen Mittelmeers -, aber das wußte damals sowieso noch jeder. 430.000 Tote hat Griechenland der Zweite Weltkrieg nach offiziellen Verlautbarungen gekostet, wovon allenfalls 30.000 auf Kampfhandlungen zurück zu führen waren; der anschließende Bürgerkrieg bis 1949 noch einmal so viele Tote und nach Albanien, Bulgarien und Jugoslawien Verschleppte (von denen 1954 gerade mal 3.000 lebend zurück kehren sollten). In Griechenland sah es damals nicht viel besser aus als in Mitteleuropa; und vielleicht machte einen Teil des Bucherfolgs auch aus, daß sich die deutschen Leser angesprochen fühlen konnten: "Jetzt reist man," schreibt Kästner, "um zu erfahren, wie das ist, wenn die Völker vollends ins Geschichtslose glitten. Denn das ist es doch, daß sie keine Geschichte mehr haben; es sind bloß noch Nachwehen davon. Wo geordnete Macht mit ihren Säulen, Wölbungen, Spannungen, Stockwerken nieder brach, ist bloß noch Eingeebnetes, Schutt. Bloß noch Preisgabe. Bloß noch Masse und Glaube, wie er zuweilen in Lagern und in den Gefängnissen wächst. Die Länder gleichen dann Wüsten, über welche Stürme ohne Aufenthalt rasen. Da sind keine Aufhalter mehr..." Ach, liebe Leser, wie oft hat Dikigoros ein ähnliches Gefühl, wenn er hört und sieht, was aus Ländern geworden ist, die er und seine Freunde vor Jahrzehnten bereist haben, und die es z.T. noch schlimmer getroffen hat als Griechenland in den Jahren 1943-53.

(Fortsetzungen folgen)


zurück zu Kasimir Edschmid

heim zu Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts