"Dem Zeitgeiste so schnurstracks zuwider":
Thomas Mann als 'Konservativer Revolutionär'

Anmerkungen zu den Betrachtungen eines Unpolitischen (1918)[1]

von Tobias Wimbauer

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, ergriff die Welle der nationalen Begeisterung auch Thomas Mann[2]: "wir glaubten nicht an den Krieg, - während wir ihn in uns trugen" (408).[3] Der Behauptung, das Empfinden des deutschen Volkes sei "Entsetzen über die bevorstehenden Greuel" (329) gewesen, hielt er entgegen: "Das Weltvolk des Geistes [d.i. das deutsche Volk], zu überschwänglicher Leibeskraft erstarkt, hatte einen langen Trunk am Quell des Ehrgeizes getan; es wollte ein Weltvolk, so Gott es dazu berief, das Weltvolk der Wirklichkeit werden... Als der Krieg entfesselt war, glaubte Deutschland inbrünstig die seine [Ehrstunde] gekommen, die Stunde der Heimsuchung und der Größe." (330)

Diesen "Krieg gegen äußere Einschnürung und gegen innere Verdüsterung"[4] sah Mann auch als (Volks-)Erziehung.[5]

Als Reaktion auf den Essay Friedrich und die große Koalition (1915), in dem Thomas Mann den Einfall Friedrichs II. in das neutrale Königreich Sachsen verteidigte - die Analogie zur aktuellen Situation (deutsche Truppen in Belgien) war unübersehbar -, veröffentlichte sein Bruder Heinrich Mann[6] seinen Zola-Essay, der, ebenfalls historisch bemäntelt, Gegenposition bezog. Dies führte einstweilig, aber doch über mehrere Jahre hin, zum Bruch zwischen den Brüdern. Davon ausgehend, begann Thomas Mann mit der Niederschrift der Betrachtungen eines Unpolitischen, die er in einem "mehr als zweijährigem Gedankendienst mit der Waffe" (1) vollzog. Ernst Niekisch erinnert sich: "in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen präsentierte er sich als preußisch-militanten Bürger, der im Waffenlärm Genesung von der Fäulnis und neu aufsprudelnden Vitalität suchte; unduldsam rechnete er mit allen literarischen Ärzten ab, insofern sie sich sträubten, ebenso gläubig den Wechsel der Heilmethoden mitzumachen, wie er selbst es getan hatte."[7] Auszüge aus den Betrachtungen erschienen schon 1917 als Vorabdruck in Zeitschriften. Mann schloß dieses "Produkt[s] einer Einsamkeit" (9) am Tage des Beginns der Waffenstillstandsverhandlungen mit Rußland ab, es erschien schließlich 1918. Ende 1917 / Anfang 1918 versuchte Heinrich Mann eine briefliche Wiederannäherung an seinen Bruder und eine Versöhnung, die jener aber zurückwies.[ 8 ] Das Zerwürfnis mit Heinrich Mann sollte auch nach dem Kriege fortdauern. So beklatschte Thomas Mann das Ende der Münchner Räterepublik ("eines Gefühles der Befreiung und Erheiterung entschlage auch ich mich nicht"[ 9 ]) und begrüßte noch 1920 zustimmend den Stimmenzuwachs der Rechts-Parteien bei der Reichstagswahl im Tagebuch, indes Heinrich Mann anläßlich der Ermordung des sozialistischen bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner sprach. Mehrten sich seine Zweifel schon bei dem Kapp-Putsch, gab es nach der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau, mit dem Thomas Mann bekannt war, keinen Zweifel mehr für ihn, sich von der Sphäre des Reaktionär-Nationalen abzuwenden. Den 'Abschied' vollzog er in der Rede Von deutscher Republik im Oktober 1922, auf die unten eingegangen wird. Anläßlich einer Erkrankung seines Bruders erfolgte die Versöhnung der beiden.[ 10 ] Über das Politische der Gebrüder Mann erinnerte sich Golo Mann: "Wenn ich H.M. und T.M. zusammen politisieren hörte, hatte ich manchmal das [...] Gefühl: Was reden doch die zwei unwissenden Magier da ? Unwissend, weil schlecht informiert, weil wirklichkeitsfern. Magier, weil sie sich andere Wirklichkeiten erträumend oder Lieblingsträume mit Wirklichkeit gleichsetzend, noch mehr, weil mit stark intuitivem Blick begabt [...]"[ 11 ]

In einem Brief an Paul Amann schrieb Mann: "Was ich wünsche ist, daß die Überwindung des politischen Preußentums, die Demokratisierung Deutschlands, die dieser Krieg offenbar zur Folge haben wird, Deutschland entdüstern möge, ohne es zu verflachen, daß sein Verhältnis zur Wirklichkeit sich vertraulicher ... gestalten möge."[ 12 ] - "'Unser gesamtes nationales Sein als schuldvoll und irrig erwiesen', - das ist es, wogegen meine Betrachtungen sich frühzeitig auflehnten."[ 13 ]

Mann verfocht die "Identität der Begriffe 'Politik' und 'Demokratie'" (21); indem man Politiker sei, sei man auch zwangsläufig Demokrat (ebd.). In diesem Sinne ist auch der Titel dieses "Rechenschaftsbericht[es]" (9f.) an die Öffentlichkeit und an die Freunde aufzufassen. 'Politik' und die synonym gesetzte 'Demokratie' sind als "deutschfeindlich" (22) anzusehen: "Politik aber, Demokratie, ist an und für sich etwas Undeutsches, Widerdeutsches; und der Selbstwiderspruch der Demokratie, oder doch einer gewissen Demokratie, besteht darin, daß sie zugleich demokratisch und national sein will.... In Wahrheit mag sie patriotisch [ 14 ]sein ... national ist sie nicht und kann sie nicht sein: Ihr abstrakter Begriff des Menschentums, ihre gesamte geistige Überlieferung straft diesen Anspruch Lügen." (254 f.)

Entgegen der landläufig gebräuchlichen Definition von Politik als der Lehre vom Staate, bzw. der Regeln und Folgen des Staatslebens, lautete Manns "wahrhaftige Definition des Begriffes...: Politik ist das Gegenteil vom Ästhetizismus" (214), wobei er Ästhetizismus nicht als "Schöngeistigkeit" etc. definiert (215), sondern als die Art der Betrachtung, in der z.B. antipodische Umstände, wie Krieg und Friede, "mit der gleichen dilettierenden Einfühlsamkeit, Liebe und freien Anschauung" vertieft wird (216). Und: die Abwesenheit der Tat vom Werke, was Mann mit Schopenhauer ausführt (217 f.). Weiter in den Betrachtungen relativiert Mann den Gegensatz von Politik und Ästhetik, zumindest in Hinblick auf die Kunst (535). Mann sieht sich selbst als 'Ästhet'. Er weiß aber sehr wohl von der Schwierigkeit, als 'Ästhet', als 'Unpolitischer', über Politik zu schreiben. Selbst als erklärter Gegner jedoch, trägt er zwangsläufig zu ihr bei, denn "Anti-Politik ist auch Politik, denn die Politik ist eine furchtbare Macht: Weiß man auch nur von ihr, so ist man ihr schon verfallen. Man hat seine Unschuld verloren" (407).

In der folgerichtigen Ablehnung eines 'politischen' Sieges Deutschlands, erhoffte Mann sich den Sieg der "innere[n] Politik" (25), die sich in "Kultur, Seele, Freiheit, Kunst und nicht Zivilisation, Gesellschaft, Stimmrecht, Literatur" manifestiert (23), die nicht eine "imperiale[n] Existenz" oder "[g]roße[n] Politik" anstrebt (25), sondern den "Geist" (ebd.). Zustimmend zitiert Mann aus einem Brief Wagners an Liszt: "Ein politischer Mann [sic !] ist widerlich" (im Original kursiv; 113). Den Geist des Demokratismus will er in diesem Essay, diesem "gewissenhafte[n], erregt durchgeführte[n] Exorzismus"[ 15 ], abwehren und austreiben.

Wie stand Mann denn nun zum damaligen Staatsgefüge, da er doch die drohende Demokratisierung geißelte? Da der "Künstler[s] und Geistige[n]" sich nur soweit dem Staate verbunden fühlt, wie er eine Verwandtschaft im metaphysischen Charakter des Staates zu erkennen vermag, was zu einer Solidarisierung führt, muß der aktuelle Staat als "nicht besonders verehrungswürdig" (241) angesehen werden, zumal er zugunsten eines "sozialen" Charakters den "metaphysischen ... mehr und mehr einbüßt" (ebd.). Mann erhoffte sich also einen Dritten Weg (ein Begriff, den Mann hier jedoch nicht verwendete), der kaum etwas mit dem bestehenden und besonders nichts mit dem erahnten kommenden Staatsgefüge gemein hat. Wie dieser aussehen soll, führte Mann wie folgt aus: "...ich will eine leidlich unabhängige Regierung, weil nur sie die Gewähr politischer Freiheit, im Geistigen wie im Ökonomischen, bietet. ... Ich will nicht die Parlaments- und Parteiwirtschaft, welche die Verpestung des gesamten nationalen Lebens mit Politik bewirkt. Ich will nicht, daß Dreyfus aus Politik verurteilt und aus Politik freigesprochen werde, - denn die Freisprechung eines Unschuldigen aus Politik ist nicht weniger widerwärtig, als seine Verurteilung aus diesem Grunde.[ 16 ] ... Ich will nicht Politik. Ich will Sachlichkeit, Ordnung und Anstand." (253)

Der dem Kriege folgende Friede, so erhoffte Mann, soll "nicht international, sondern übernational [sein], er sei kein demokratischer, sondern ein deutscher Friede" (199); das "gebildetste, gerechteste und den Frieden am wahrsten liebende Volk [soll] auch das mächtigste, das gebietende" (ebd.) sein - natürlich dachte Mann hier an Deutschland, denn: "Deutschlands Selbstbehauptung und Selbsterfüllung, das ist der Friede"[ 17 ].

Der Krieg wurde von ihm - zumindest zwischen Frankreich und Deutschland - als "Bruderzwist" betrachtet, da nur aus gleichem Denken, aber verschiedenem Empfinden, Feindschaft und Haß erwachsen; denn: wenn es keine "Gemeinsamkeit der Gedanken" gibt, kann nur "gleichgültige Fremdheit" herrschen, die jedoch keine Feindschaft ergibt (39).

Die 'brüderliche' Verbindung hält Mann natürlich nicht davon ab, Wertungen vorzunehmen: "Es ist nicht bloße patriotische Voreingenommenheit, wenn man bei der seltsam organischen, ungezwungenen und poetischen Wortverbindung 'Deutsches Volk' etwas nicht nur national, sondern wesentlich anderes, Besseres, Höheres, Reineres, ja Heiligeres imaginiert und empfindet, als bei dem Worte 'Englisches' oder 'Französisches Volk'."(359)

Im Prinzip handelte es sich - und hier geht Mann von Dostojewski aus - um einen Kampf der "römischen Welt gegen das eigensinnige [und protestantische - im mehrfachen Sinne des Wortes] Deutschland" (40).

Hauptsächlich richtete sich das Buch gegen die "Feinde Deutschlands] in seinen eigenen Mauern" (32) und zwar vornehmlich gegen den 'Zivilisationsliteraten', hinter dem unschwer besonders Heinrich Mann zu erkennen ist. Manns Charakterisierung des ('Zivilisations'-) Literaten ist: "Der Literat nämlich ist nicht, er urteilt nur..." (482). "Persönlichkeit" aber, "Persönlichkeit ist Sein, nicht Meinen" (483).

"In Deutschlands Seele werden die geistigen Gegensätze Europas ausgetragen" (46), das faustische "Zwei Seelen...". Der 'Bruderzwist' wurde also nicht nur physisch-kriegerisch an der realen Front ausgetragen, sondern psychisch-kämpferisch im Innern (47). Der 'Zivilisationsliterat' ist eigentlich ein Vertreter des 'geistigen Franzosentums' im Sinne der Ideen von 1789, der aber auf der Seite (willentlich oder nicht) der feindlichen Entente steht, und also auch einen Beitrag zum innerdeutschen 'Bruderzwist' leistete (49, 186) und somit nicht "[u]ndeutsch" ist, obwohl er "unnational", d.h. "antideutsch" aber "national französisch", sich gebärdet (50; vgl. auch 191). Im Grunde ersehnte sich der 'Zivilisationsliterat' die Niederlage Deutschlands, um seine Ideale durchgesetzt zu sehen, da eine Revolution in seinem Sinne ausblieb.

Letztlich ist das Ziel des 'Zivilisationsliteraten' die "Demokratisierung" Deutschlands und damit seine "Entdeutschung", d.h. "die Verdummung des Deutschen zum sozialen und politischen Tier", (265), ein Unfug, an dem Thomas Mann natürlich nicht teilhaben wollte (60). Darauf richtete sich Manns Pessimismus (und er zitiert zustimmend die Worte Overbecks von der "größeren Fruchtbarkeit des Pessimismus", 484): "Denn die Demokratie ist es, und nicht ihre Verwirklichung, an die ich nicht glaube" (486), "...ich hasse die Politik und den Glauben an die Politik" (524).

In den Begriffen "Macht und Geist" sieht jener 'Zivilisationsliterat', der Verfechter der Demokratie also, "seine oberste Antithese"[ 18 ] (51), im völligen Gegensatz zu Thomas Manns ersehnter Gestalt "seines Dritten Reiches", nämlich der "Synthese von Macht und Geist"[ 19 ]. Später wird von "Macht und Geist" als "der spezifisch deutschen Antithese" gesprochen (246), ja gar als der "General-Antithese" (281) und schließlich äußerte Mann die Auffassung, "daß 'Demokratie' ganz eigentlich die Synthese von Macht und Geist bedeutet" (348).[ 20 ]

Ein weiteres Gegensatzpaar, welches sich Thomas Mann im letzten Kapitel der Betrachtungen auftat, ist das von "Ironie und Radikalismus" (560), das zugleich der Gegensatz von "Leben ... [und] Geist" (ebd.) ist. Radikalismus sei Nihilismus (allerdings ohne die nietzscheanische Komponente der darin enthaltenen Selbstüberwindung). Mann führt hierfür den erweiterten Wahlspruch des römisch-deutschen Kaisers Ferdinand I. an, "Fiat justitia ... [et] pereat mundus" (560). Indessen der Ironie ein erotisches Moment innewohne (das dann den 'Konservatismus' ausmacht; vgl. 561 und auch 575 f.). Das Verhältnis Leben / Geist ist ein wechselseitiges, "Sehnsucht nämlich geht zwischen Geist und Leben hin und wieder. Auch das Leben verlangt nach dem Geiste" (561).

In vielem, so muß festgestellt werden, betrieb Mann in diesem "Tausendfüßler von Abhandlung"[ 21 ] eher eine Begriffsverwirrung, denn Klärung, so werden Begriffe wie "Reaktion", "Demokratie", "Bürger" und etliche mehr, immer wieder unterschiedlich bewertet, mal positiv, mal negativ konnotiert. Ein sorgsamer Umgang mit diesen Begriffen kann nicht konstatiert werden, bei aller Brillanz des Stiles.[ 22 ] Auch befähigen die als Beleg oft angeführten Zitate zu keiner Eindeutigkeit.

Dieser Mangel an einheitlichen und damit eindeutigen Aussagen ist es, der den Meisten auffällt. So z.B. Ulrich Greiner: "Wo steht er [T.M.] überhaupt ? Überall und nirgends. Die panoramahafte Verspieltheit des Denkens, die ständige Stippvisite durch alle weltanschaulichen Positionen ist seine Sache"[ 23 ]. Greiner konstatiert einen "völlige[n] Mangel an begrifflicher Schärfe und gedanklicher Disziplin"[ 24 ]. So auch Kurt Flasch: "Es wimmelt in Manns Weltkriegs-Texten von Widersprüchen"[ 25 ].

Es finden sich in den Betrachtungen etliche autobiographische Einschübe und Adnoten zum eigenen literarischen Schaffen, das Mann z.T. als eben jene bei anderen geschmähten Erzeugnisse des 'Zivilisationsliteratentums' bezeichnen mußte und diese zu Rechtfertigen suchte (besonders: 80-93)[ 26 ], indem er sich eine eigene Form der Bürgerlichkeit zuschreibt (106 ff.). Mann möchte die "Wiederherstellung des Begriffs 'Bürger'" erreichen und ihn der "übersetze[n] Begriffswelt" des "Literatentum[s]", die ihn "aufs schmählichste verderbt" hatte, entreißen (127).

Häufig zitiert Mann Wagner, Nietzsche, Schopenhauer und Goethe als 'Kronzeugen' für seine Thesen.[ 27 ] Mann sah sich selbst mit diesem Groß-Essay in der Nachfolge Nietzsches, dessen Selbstbezeichnung als "letzte[r] unpolitische[r] Deutsche[r]" er zitiert (135, 236).

Thomas Mann bezeichnete die Gesinnung des Buches als die der "deutsche[n] Menschlichkeit"[ 28 ]. Für Breuer fand die "Resignation und Politikmüdigkeit" in den Betrachtungen "ihren repräsentativen Ausdruck"[ 29 ].

Ob man wirklich soweit gehen kann, wie es Heimendahl formuliert, zu sagen, daß Mann mit den Betrachtungen "die große alternative europäische Weltanschauung entwickeln"[ 30 ] wollte, sei dahingestellt. Ich bin der Auffassung nicht, daß Mann primär daran dachte, ein Programm zu kreieren, denn vielmehr, seine Position darzustellen und sie zugleich von der des 'Zivilisationsliteraten' in der Gestalt seines Bruders Heinrich abzugrenzen.

Die Betrachtungen wurden als das Werk eines Dichters aufgenommen: "Wenn ein Dichter, wie Thomas Mann, ... sich auf das politische Kampffeld begibt, so hat er unter allen Umständen Anspruch darauf, gehört zu werden. Und dies erst recht, wenn das, was er zu sagen hat, dem Zeitgeiste so schnurstracks zuwider läuft, wie das in dem vorliegenden Werke der Fall ist."[ 31 ]

Doch nicht genug mit dem bisher aus den Betrachtungen eines Unpolitischen Angeführten. Auch nach dem Kriege äußerte Mann sich im Sinne der KR: Er sprach sich für einen Anschluß Österreichs an Deutschland aus und rief zur Revision der "Verfassung von Weimar, die eine nationale Fälschung ist"[ 32 ] auf, gleichfalls äußerte er den Wunsch nach einem weiter verbreiteten deutschen Nationalismus.[ 33 ]

Bereits zum Zeitpunkte der Drucklegung hatten sich die Betrachtungen von ihrem Autor entfernt. Unter dem Eindruck des Nietzsche-Buches von Ernst Bertram charakterisierte er sein eigenes Werk als "...unbesonnene[s], ungebildete[s], stammelnde[s] und kompromittierende[s] Künstlerbuch[e]"[ 34 ]. 'Offiziell' wurde die Entfremdung aber erst in der Rede Von deutscher Republik. Darin vollzog Mann zwar eine Distanzierung von den Inhalten der Betrachtungen, behauptete aber, was hier doch Verwirrung zu stiften vermag, "[i]ch widerrufe nichts. Ich nehme nichts Wesentliches zurück"[ 35 ], sah also in seinem Bekenntnis zur Demokratie eine Kontinuität seiner 'unpolitischen Zeit'. Auch andere wesentliche Begriffe wurden von ihm beibehalten, jedoch mit neuen Inhalten angefüllt.[ 36 ] Letztlich ging es Mann jeweils nur um ein System, welches Freiheit, besonders natürlich die Freiheit des Künstlers (also zuvorderst: für sich selbst) gewährleiste...[ 37 ] Einige Jahre später, nämlich 1928, äußerte Mann in dem Aufsatz Kultur und Sozialismus : "Ich gebe ihre [d.i. der Betrachtungen] Meinungen preis. Ihre Erkenntnis aber bleibt unverleugbar richtig..."[ 38 ]. In diesem aufschlußreichen Text findet sich eine retrospektive Verteidigung der Betrachtungen und somit seiner selbst, ausgehend von der Rede Von deutscher Republik, die ihm ja übel angekreidet worden war. Diese Republik-Rede Manns wirkte nämlich, "als hätte der Autor sich eine Brandbombe ins eigene Haus geworfen"[ 39 ]. Die Reaktionen bewegten sich zwischen Verwunderung und Ablehnung. Der Publizist und Übersetzer Albrecht Erich Günther äußerte sich scharf über die Wandlung Thomas Manns: er (TM) sei vom Glauben abgefallen.[ 40 ] Friedrich Georg Jünger schrieb 1929 im Widerstand, der nationalrevolutionären Zeitschrift von Ernst Niekisch: "Man kann nicht unpolitische Betrachtungen schreiben und dazu demokratische Kulturpropaganda treiben. Klarer - es ist nicht gut, wenn man es kann"[ 41 ]. Eines der gängigen Worte angesichts Thomas Manns Wandlung lautete "Mann über Bord"[ 42 ].

Vorbei die Zeiten, in denen die Betrachtungen "besonders allen denjenigen empfohlen werden [konnten], die von der nunmehr zur Herrschaft gelangten Demokratie sich die Herabführung des Himmels auf die Erde verspr[a]chen"[ 43 ].

Es verwundert die (erneute) Abkehr von 'politischen' Ideen (nicht im Sinne Manns) kaum, waren die Betrachtungen doch schon "ein Buch der Ueberwindungen und Selbstverbrennungen"[ 44 ], sie hatten schon damals "eine katharistische [sic !] Funktion"[ 45 ].

Thomas Mann ist zum liberalen Bejaher der Republik geworden, ja gar zum Sozialismus-Sympatisanten, zum "Kentauren..., der aus einem konservativen Kopf, einem gemäßigt liberalen Leib, sozialistischen Fortschrittsbeinen [besteht]", politisch ein "verwirrende[r] Regenbogen".[ 46 ] Alle Spektren der politischen Richtungen hat er durchlaufen.

Interessant mag hier die Feststellung sein, daß Mann die Neuausgabe der Betrachtungen von 1922, also dem Jahr seiner Republik-Rede, um 38 ½ Seiten gekürzt hat, und zwar, kaum überraschend, zufälligerweise um jene Stellen, "die ihn in der neuen Republik kompromittieren konnten"[ 47 ], wie es zuerst Arthur Hübscher in den Süddeutschen Monatsheften nachwies.[ 48 ]

Daß Thomas Mann die Betrachtungen später unangenehm wurden, verwundert kaum, wurde er doch alsbald schon zur Verkörperung des von ihm zuvor geschmähten Typus des Liberaldemokraten, ja, Thomas Mann war der 'Zivilisationsliterat' des Zweiten Weltkrieges, der in Londoner Sendern Reden gegen Deutschland hielt, indes die Deutschen unter dem Bombenhagel der Alliierten litten[ 49 ] - er saß ja im sicheren amerikanischen Exil. Ja, man kann sogar soweit gehen, in den Radioreden der 40er Jahre eine Art der retrospektiven Selbstkritik zu sehen; wenn auch eine gewisse 'negative Faszination' am Nationalsozialismus durchaus zu verspüren ist. Ulrich Sonnemann: "Thomas Mann hat seinen Anteil am Erbe des Humanismus und der Klassik verscherzt und sich mit Haut und Haar und allen Anzeichen schlechten Gewissens dem Zivilisationsliteraten überantwortet, des Nazi scheinfeindlichem Bruder."[ 50 ]

Nur kurz gestreift werden kann hier die Haltung Manns zum Nationalsozialismus. In seinem Tagebuch notierte Mann: "Die deutschen Vorgänge hören nicht auf, mich zu beschäftigen ... Die Revolte gegen das Jüdische hätte gewissermaßen mein Verständnis ... wenn das Deutschtum nicht so dumm wäre, meinen Typus mit in den selben Topf zu werfen und mich mit auszutreiben."[ 51 ] Kurzum: Würden die Nazis nicht ihn, Thomas Mann, ablehnen, so wäre das alles nicht so schlimm und die Verfolgung der Juden stieße gar auf sein Verständnis, wenn man nicht ausgerechnet ihn mit einbeziehen würde. Golo Mann verwies in einem Brief auf "...sein[en, T.M.s] Antisemitismus, von dem er nie völlig wegkam (sein Bruder auch nicht)."[ 52 ] Noch einmal: wenn Thomas Mann etwas ablehnte, dann hauptsächlich deswegen, weil seine ihm so genehme Rolle als 'erster Schriftsteller der Nation' nicht gebührend anerkannt wurde.[ 53 ] Ob es nun im ersten Kriege sein Bruder Heinrich war und der "Bruderzwist" Deutschland - Frankreich, oder im Zweiten Weltkrieg "Bruder Hitler" (1939). - Das ist Empörung mit "eine[m] Klubsessel im Gehirn"[ 54 ]. Bertolt Brecht bemerkte süffisant: "Thomas Mann würde Deutschland gerne abschaffen, wenn er sich die deutschen Leser dabei erhalten könnte"[ 55 ].

Die Betrachtungen waren auch in der vormaligen "DDR" den Machthabern ein Dorn im Auge.[ 56 ] Harry Matter, der Herausgeber der Berliner Thomas-Mann-Ausgabe, berichtet: "Zu DDR-Zeiten hatte ich große Mühe, manchmal auch Ärger, TM zu vertreten. Das ideologische Dogma der Kulturfunktionäre verbot mir die Aufnahme solcher Texte von TM, die denen politisch suspekt erschienen. Jedes Buch mußte ja als Manuskript dem Kulturministerium zur Zensur vorgelegt werden, ging insgeheim immer auch in die Überbehörde des Politbüros der SED, die eine Veröffentlichung empfahl - oder auch nicht. So blieben etwa die Betrachtungen eines Unpolitischen jahrzehntelang verboten, andere Texte ebenso."[ 57 ]

Freilich ist Breuer nicht darin zuzustimmen, wenn er Manns Äußerung, er sei "niemals Nationalist"[ 58 ] gewesen, für "durchaus glaubwürdig"[ 59 ] erklärt. Breuer spricht kurz darauf auch wieder von zeitweisen "Berührungen mit den Neonationalisten"[ 60 ] und "Affinitäten" Thomas Manns zur KR.[ 61 ] Dennoch versucht Breuer nachzuweisen, daß Mann eben nicht der KR zuzuordnen sei, sondern "eher für eine liberale Restauration"[ 62 ] stehe, was insofern verwunderlich ist, als Breuer den Dank, den Mann dem Antidemokratismus Nietzsches schulde, zitiert;[ 63 ] weiter spricht er von einer gründlichen Ablehnung der westlichen Zivilisation und der Demokratie.[ 64 ] Wie nun eine "liberale Restauration" und der "Antidemokratismus" zusammengehen sollen, führt Breuer wohlweislich nicht aus. Schließlich gesteht Breuer Mann doch eine eigene, nämlich "seine Version der 'konservativen Revolution'"[ 65 ] zu. Kurzke nannte Mann gar einen der "wichtigsten Stichwortgeber"[ 66 ]. Und Hans Mayer stimmte dem französischen Germanisten Edmond Vermeil[ 67 ] zu, daß Thomas Mann zu den geistigen Wegbereitern des "deutschen Nationalismus des 20. Jahrhunderts" zählt.[ 68 ] Armin Mohler nannte Mann einen der "Pate[n]"[ 69 ] der KR. Mann selbst sprach in dem Vortrag Meine Zeit von den Betrachtungen als "eine[r] lange[n] Erkundung der konservativ-nationalen Sphäre in polemischer Form..."[ 70 ].

Heimendahl nennt in seiner Dissertation ausgehend von den Betrachtungen die Gemeinsamkeiten: "Der Rekurs auf die metaphysische Dimension des Menschen wie die Anlehnung an Nietzsche scheinen neben dem Feindbild der Demokratie und einer kulturpessimistischen Blickrichtung die verbindenden Gemeinsamkeiten der 'Konservativen Revolutionäre' zu sein."[ 71 ]

Geht man allein von der Wirkung der Betrachtungen[ 72 ] und der Intention des Autors aus, so ist die Frage, ob Thomas Mann ein konservativer Revolutionär gewesen sei, eindeutig zu bejahen. Jedoch gehörte er zu später jenen,[ 73 ] die "nicht mehr an das erinnert werden wollen, was sie gestern gewesen sind"[ 74 ]. Allerdings gilt auch hier: "[E]in Irrtum [wird] erst dann zum Fehler[...], wenn man in ihm beharrt"[ 75 ]. Fragt sich nur, ob es überhaupt ein Irrtum war. Anders als andere, wollte er später von seiner KR-Zugehörigkeit nichts mehr wissen.[ 76 ] Viele seiner Apologeten folgten ihm in dieser Selbstdarstellung.[ 77 ]

Wenn Max Rychner sagte, daß es "nicht loyal" wäre, "Thomas Mann in seine politischen Begriffe einzuschnüren"[ 78 ], so hat er damit gewiß recht, nur ist es uns hier nicht um Loyalität zu tun.

Und wenn sich Thomas Mann zu einem "Zukunftskonservatismus"[ 79 ] bekennt, wie kann dies denn etwas anderes sein, als eine 'Konservative Revolution', also der Wunsch nach und der Wille zu einem noch zu schaffenden Zustande, den zu Bewahren sich lohnen werde? Revolutionär, da der bestehende Status quo, d.h. die als zum nationalen politischen Handeln in der Folge des sogenannten 'Versailler Vertrages' unfähig wahrgenommene Weimarer Republik, überwunden werden sollte. Konservativ, da mit dieser Überwindung eine neue Staatsform in Deutschland etabliert werden sollte, die es lohne, bewahrt zu werden. Konservativ meint ja nicht zwangsläufig, daß nur Bestehendes bewahrt werden solle, sondern vielmehr, daß das immerwährend Gültige gelebt wird.

Abschließend kann festgestellt werden, daß, um es in einem Bild auszudrücken, Thomas Mann sehr wohl ein Zimmer im Hause KR bewohnte, freilich ein andersartig eingerichtetes als jenes der Nachbarn und Mitbewohner, wie ja auch alle Stockwerke individuell ausgestaltet waren und sich nur in der Adresse vereinten. Aber: in diesem Hause wohnte er. Thomas Mann zog 1922 in ein anderes Stadtviertel um; das Haus schließlich wurde 1933 abgerissen.

Schließen wir mit einigen Sätzen aus dem oben bereits zitierten Aufsatz Friedrich Georg Jüngers aus dem Jahre 1929, Konstruktionen und Parallelen, die auch für die heutige geistige Lage erstaunlich aktuell sind: "Der Spezialfall Thomas Mann hat eine symptomatische Bedeutung. Nicht deshalb allein, weil er bezeugt, was im Geiste heute in Deutschland erlaubt ist, was eine 'geistige Linke' aus dem echten Metall aller Zeiten macht: Konfektion. Gefährlich wird dies erst, weil die Unsicherheit des deutschen Menschen die Entscheidung für das Förderliche und Schädliche, Schwächende leicht verwirrt. Da wir nun Deutsche sind, nicht deshalb, weil wir etwas sein müssen, sondern weil wir eben dieses Sein als ein Schicksal erfassen und es zu erfüllen leidenschaftlich gedrungen sind, wehren wir uns mit Entschiedenheit gegen Bestrebungen, die jede reinliche Gestalt zernagen und verhindern. So inhuman und borniert man einen solchen Willen auch empfinden mag in einer Zeit, die gerne alles sein möchte, von Nanuk dem Eskimo bis zur heiligen Kuh, er verpflichtet genügsam zur Zurückweisung des geistigen Kippens und Wippens und der geistigen Falschmünzerei. Was anders denn legen Versuche der bezeichneten Art offen als ein Denken, das keine Einsätze kennt und das sich in jedem Zusammenhang so leicht hineinbegibt, wie es sich bei Gelegenheit aus ihm herausbegibt, ein Spiel, das man heute geistreich zu nennen beliebt. Ein echter Gedanke aber, sei er Freund oder Feind, hat ein Herz, d.h., der Denkende steckt in ihm und gewiß gibt er ihn nicht ohne Gefecht auf. Ein Geist, der keine echte Entscheidung kennt, der in jeden seiner Gedanken den geheimen Vorbehalt der Zurücknahme einschiebt, nicht aus metaphysischer 'Vorsicht', sondern aus Unfähigkeit zur Entscheidung, ein solcher Geist von leichtem Transport wird leicht zum Glücksspieler, dem man bei erster Gelegenheit die Karte aus der Hand schlägt."[ 80 ]





Anmerkungen

[ 1 ] Eine Zusammenfassung der hier vorgelegten Arbeit erschien anläßlich des 125. Geburtstages von Thomas Mann unter dem Titel "Mann über Bord. Thomas Mann und die Konservative Revolution" in: Junge Freiheit. Wochenzeitung für Politik und Kultur. Berlin. 15. Jg., Nr. 23 vom 2. Juni 2000, S. 10. Den ersten Teil dieses Beitrages bildete ursprünglich eine Einführung in die 'Konservative Revolution', diese glaube ich hier jedoch nicht wiedergeben zu müssen, den Lesern der Etappe müßte die KR hinreichend bekannt sein.
[ 2 ] Die "Betrachtungen" werden im laufenden Text mit Seitenangaben in Klammern zitiert. Zitiert wird nach der Ausgabe: Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen. Frankfurt a. M. 1956 (Stockholmer Gesamtausgabe. 15).
[ 3 ] Ähnlich auch in den "Gedanken im Kriege": "Wir hatten an den Krieg nicht geglaubt, unsere politische [!] Einsicht hatte nicht ausgereicht, die Notwendigkeit der europäischen Katastrophe zu erkennen". Thomas Mann, Gedanken im Kriege. In: ders., Friedrich und die große Koalition [1915]. Berlin 1916, 16.- 25. Tsd., S. 12 f.
[ 4 ] Thomas Mann, "An die Redaktion des 'Svenska Dagbladet', Stockholm". In: ders., Friedrich und die große Koalition, a.a.O., S. 129. - Im folgenden: Svenska.
[ 5 ] Vgl. auch Svenska, S. 128.
[ 6 ] Interessant, und daher sei dieser Seitenblick gestattet, ist auch, daß Heinrich Mann seinem Bruder nicht nur im Alter, sondern auch in politicis voranging: vor seiner Wandlung nämlich zum 'Zivilisationsliteraten' schrieb er Zeitschriftenbeiträge in einer "völkisch-nationalen Grundhaltung" (Ernst Keller, Der unpolitische Deutsche. Eine Studie zu den "Betrachtungen eines Unpolitischen" von Thomas Mann. Bern u. München 1965, S. 11. - Im folgenden: Keller).
[ 7 ] Ernst Niekisch, Das Reich der niederen Dämonen. Hamburg 1953, S. 62.
[ 8 ] Vgl. den Kommentar Kurzkes in: Thomas Mann, Essays, Politische Reden und Schriften. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Hermann Kurzke. (Ausgewählte Essays in drei Bänden. 2). Frankfurt a.M. 1977, S. 341. - Im folgenden: Essays.
[ 9 ] Tagebucheintragung Thomas Manns vom 1. 5. 1919. Zitiert nach Werner Rübe, Provoziertes Leben. Gottfried Benn. Stuttgart 1993, S. 260. - Im folgenden: Rübe.
[ 10 ] Vgl. Eberhard Hilscher, Thomas Mann. Leben und Werk. [Ost-] Berlin 1975, S. 55. - Im folgenden: Hilscher. Und: Klaus Schröter, Thomas Mann. Reinbek bei Hamburg 1998, 29. Aufl., 224.- 227. Tsd. [1964; überarb. Neuausg. 1995], S. 91. - im folgenden: Schröter.
[ 11 ] Golo Mann, Der Bruder zur Linken. Zur Neuauflage von Heinrich Manns 'Ein Zeitalter wird besichtigt'. [zuerst: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 9. 1974]. in: Golo Mann, Marcel Reich-Ranicki, Enthusiasten der Literatur. Ein Briefwechsel, Aufsätze und Portraits. Herausgegeben von Volker Hage. Frankfurt a.M.2000, S. 125-140, hier S. 129. - im folgenden: Golo Mann / Reich-Ranicki.
[ 12 ] Brief vom 25. 3. 1915. Zitiert nach: Schröter, S. 90.
[ 13 ] Brief Thomas Mann an Gustav Blume vom 5. Juli 1919. In: Der Friede und die Unruhestifter. Herausforderungen deutschsprachiger Schriftsteller im 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Hans Jürgen Schultz. Frankfurt a.M. 1973 (=st. 145),48f., hier S. 48.
[ 14 ] Wiederholt äußert Mann sich ähnlich, indem er den Demokraten nicht abspricht, daß sie als Patrioten handelten (u.a. 226 f.).
[ 15 ] Max Rychner, Thomas Mann und die Politik. In: ders.: Welt im Wort. Literarische Aufsätze. Zürich 1949, S. 349-394, hier: S. 369. - Im folgenden: Rychner.
[ 16 ] Mit dieser Stellungnahme zur 'affaire Dreyfus' ist natürlich zugleich eine erneute Kritik an Heinrich Manns Zola-Essay ausgesprochen.
[ 17 ] Svenska, S. 129.
[ 18 ] An anderer Stelle ist von einem "Dualismus von Macht und Geist" die Rede. Svenska, S. 125.
[ 19 ] Svenska, S. 126 f.
[ 20 ] Im Übrigen geht selbst Heinrich Mann von einer Gegensätzlichkeit aus. So preist er im Denken Voltaires den Kampf "Geist gegen die Macht" Heinrich Mann, Macht und Menschen. Leipzig 1919, S. 17. Zitiert nach: Keller, S. 5.
[ 21 ] Rychner, S. 371.
[ 22 ] Friedrich Georg Jünger beschreibt dieses Problem im Zusammenhang mit einem späteren Aufsatz Thomas Manns (Die Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte). Seine, Jüngers, Befunde sind auch für die Betrachtungen gültig: "...Es genügt zunächst hervorzuheben, daß hier geistige Elemente, Stile des Denkens in Zusammenhang gebracht werden, ohne daß diesem Zusammenhang eine innerlich-notwendige Bedeutung entspricht. Dieser Art Architektonik des Geistigen möchten wir den Titel 'wilhelminischer Barock' beilegen [...]. Thomas Mann ist nicht ohne Kühnheit in seinen Konstruktionen, nicht ohne Kunst in seinen Parallelen. Offen gesprochen - seine Fähigkeit, dort Parallelen zu ziehen, wo auch das mathematische Empfinden eines nicht eben puritanischen Geistes die schneidende Divergenz erfaßt, hat etwas beängstigendes, das sich mit einer zwangvollen Komik paart." Friedrich Georg Jünger, Konstruktionen und Parallelen. In: Widerstand. Dresden, 4. Jg., 9. Heft, Juni 1929, S. 177-181; hier S. 177. - Im folgenden: F.G. Jünger, Konstruktionen.
[ 23 ] Ulrich Greiner, Was heißt bürgerlich ? Politische Schriften von Brecht, Broch, Hesse und Thomas Mann - Ein Vergleich ihrer Auswege und Irrwege. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 219 vom 22. September 1970, S. 12 L.
[ 24 ] Ebd.
[ 25 ] Kurt Flasch, Der Unzuverlässige. In einem sublimen Sinne widersprüchlich: Thomas Manns Essays. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 94 vom 23. April 1994, Beilage "Bilder und Zeiten".
[ 26 ] So ist in einer Kritik zu lesen, daß Mann selbst in den Betrachtungen gelegentlich dem Ton des 'Zivilisationsliteraten' verfällt: "...Thomas Mann [nimmt] selbst die Unarten des von ihm so zutreffend gegeißelten 'Zivilisationsliteraten' an, der bei allem seinem Tun und Treiben mit einem Auge nach Paris schielt, Stil und Ausdrucksweise werden französisch, und wir sehen mit bedauern den sonst so ausgezeichneten Stilisten, wie gerade er es ist, sich in dieser undeutschen und gezierten Weise ausdrücken und zur Verwilderung unserer Muttersprache beitragen." Arthur Drews (Rezension). In: Preußische Jahrbücher (hg. von Hans Delbrück), Band 176, Heft 1, Berlin April 1919, S. 131-135; hier S. 135. - Im folgenden: Drews.
[ 27 ] Vgl. hierzu Keller, S. 170 ff., der die Häufigkeit der Namen aufgelistet hat. 'Spitzenreiter' ist übrigens der 'Zivilisationsliterat' mit 172 Nennungen.
[ 28 ] Thomas Mann, Vorwort zu: ders., Von deutscher Republik. In: Essays, S. 60.
[ 29 ] Stefan Breuer, Ein Mann der Rechten? Thomas Mann zwischen 'konservativer Revolution', ästhetischem Fundamentalismus und neuem Nationalismus. In: Politisches Denken. Jahrbuch 1997. Herausgegeben von Karl Graf Ballestreem, Volker Gerhardt [u. a.]. Stuttgart u. Weimar 1997, S. 119-140, hier S. 21. - Im folgenden: Breuer.
[ 30 ] Hans Dieter Heimendahl, Kritik und Verklärung. Studien zur Lebensphilosophie Thomas Manns in Betrachtungen eines Unpolitischen, Der Zauberberg, "Goethe und Tolstoi" und Joseph und seine Brüder. Würzburg 1998, S. 59. - Im folgenden: Heimendahl.
[ 31 ] Drews, S. 131.
[ 32 ] Thomas Mann, Für das neue Deutschland, 1919-1925. In: ders.: Essays. Hg. von Hermann Kurzke u. Stephan Stachorski. Frankfurt 1993, S. 29. Zitiert nach: Breuer, S. 133.
[ 33 ] Thomas Mann, Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Frankfurt 1974, Band 12, 22, 205. Zitiert nach: Breuer, S. 134.
[ 34 ] Tagebucheintrag vom 18. September 1918. Zitiert nach: Heimendahl, S. 75.
[ 35 ] Thomas Mann, Von deutscher Republik. In: Essays, S. 74.
[ 36 ] Vgl. hierzu u.a. Keller, S. 56-64; besonders S. 62.
[ 37 ] Vgl. hierzu Keller, S. 63 f.
[ 38 ] Thomas Mann, Kultur und Sozialismus. In: Essays, S. 96.
[ 39 ] Erika Mann, Einleitung. In: Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, S. IX-XXV, hier: S. XVI. - Im folgenden: Erika Mann.
[ 40 ] Albrecht Erich Günther, Der Nationalismus und die Intelligenz. In: Arminius. 3. Juli 1927, S. 5. Zitiert nach: Hans-Peter Schwarz, Der konservative Anarchist. Politik und Zeitkritik Ernst Jüngers. Freiburg 1962, S. 63. Dort ebenfalls in indirekter Rede wiedergegeben.
[ 41 ] F.G.Jünger, Konstruktionen, S. 180.
[ 42 ] Hilscher, S. 54. Schröter, S. 96.
[ 43 ] Drews, S. 135.
[ 44 ] Rychner, S. 372.
[ 45 ] Ebd.
[ 46 ] Ebd., S. 378 f.
[ 47 ] Keller, S. 130. Im Anhang zu Keller, S. 141-170, sind diese Passagen wiedergegeben, auf die hier im Einzelnen einzugehen den Rahmen sprengen würde. Aber auch die gereinigte Fassung bleibt noch deutlich genug.
[ 48 ] Vgl. ebd., S. 130.
[ 49 ] Ernst Jünger: "Aber ich habe mich immer geärgert, wenn ich den englischen Sender hörte, eine deutsche Stadt war wieder in Flammen aufgegangen, und Thomas Mann hielt seine Reden dazu". "Ein Bruderschaftstrinken mit dem Tod" [Interview mit Ernst Jünger]. In: Der Spiegel, Hamburg. 36. Jg., Nr. 33 vom 16. August 1982, S. 158. Lustigerweise spricht Mann kurz nach dem Kriege in seinem "Reisebericht", nachdem er darauf hinwies, daß er vom Anblick der zertrümmerten Städte schweigen wolle, von "unserer 're-education'". - "unserer" ! Thomas Mann, Reisebericht. In: Neue Schweizer Rundschau. Zürich. Neue Folge, 17. Jg., Heft 8, Dezember 1949, S. 468-477, hier S. 469. (Ich kann es mir nicht verkneifen, noch die folgende Passage aus diesem Reisebericht zu zitieren, wenngleich sie nicht in den näheren Kontext unseres Themas gehört: "...für geistige Arbeiter, wenn sie nicht geradezu stören, sorgt in der Ostzone der Staat, und die Prominenten werden gehegt und gepflegt. Der russische Kommunismus weiß die Macht des Geistes wohl zu schätzen, und wenn er ihn reglementiert und in den Schranken des Dogmas hält, so muß man eben darin einen Beweis dieser Schätzung sehen." Ebd., S. 472. Allerdings, dies muß fairerweise hinzugefügt werden, betont Mann im weiteren Verlauf des Textes, daß er kein Kommunist sei, obgleich er "mehr nicht-kommunist als anti-kommunist" [ebd., S. 473] sei. Ein Lichtblick gegen Ende des Textes: "ich ... fand nur manchmal [in der Ostzone], daß die äußeren Formen der Volksdemokratie eine fatale Ähnlichkeit aufweisen mit der Regie des Hitlerstaates" [ebd., S. 476]).
[ 50 ] Wiedergegeben in: r., Ein scharfer Angriff. In: Weltstimmen. Weltbücher in Umrissen. Stuttgart. 18. Jg., Heft 1, Oktober 1948, S. 44-46, hier S. 45.
[ 51 ] Thomas Mann, Tagebücher 1933-1934. Zitiert nach: Rübe, S. 330.
[ 52 ] Brief Golo Mann an Marcel Reich-Ranicki; Kilchberg, 12. Juni 1981. In: Golo Mann / Reich-Ranicki, S. 76 f., hier S. 76. Zuvor abgedruckt in: "Lieber Marcel". Briefe an Reich-Ranicki. Hg. v. Jochen Hieber. Berlin 1999, S. 212f., hier S. 213.
[ 53 ] Vgl. hierzu die Bemerkung Marcel Reich-Ranickis, immerhin ein großer Bewunderer Manns: "Thomas Mann war ichbezogen wie ein Kind, empfindlich wie eine Primadonna und eitel wie ein Tenor. Aber er meinte, daß die Egozentrik die Voraussetzung für seine Produktivität sei." Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben; o.O. [Lizenzausgabe] 1999, S. 447.
[ 54 ] Friedrich Georg Jünger, Der entzauberte Berg. In: Der Tag. Berlin, Nr. 57 vom 7. März 1928
[ 55 ] Bertolt Brecht, zitiert von Hellmuth Karasek im Literarischen Quartett (ZDF, 30. 11. 1989). In: Marcel Reich-Ranicki / Sigrid Löffler / Hellmuth Karasek, ...und alle Fragen offen. Das Beste aus dem Literarischen Quartett. Herausgegeben von Stephan Reichenberger unter Mitarbeit von Alex Rühle. Mit einem Vorwort von Johannes Willms; o.O. [Lizenzausgabe] 2000, S. 91.
[ 56 ] So konnte z.B. ein Essay des Leiters des Heinrich-Mann-Archives, Alfred Kantorowicz, zu dem Thema nicht in der Literaturzeitschrift Sinn und Form erscheinen; vgl. den Brief des Herausgebers, Peter Huchel, an Kantorowicz vom 27. November 1953. In: Peter Huchel: Wie soll man da Gedichte schreiben. Briefe 1925-1977. Hg. v. Hub Nijssen. Frankfurt a.M. 2000, S. 152-154. (Zu dem Briefband vgl. meine Rezension "Adern des Goldes genug. Briefe von und an Peter Huchel" in: Criticón. Das Magazin für Politik und Kultur. Bonn, Nr. 167, September 2000, S. 65 f.).
[ 57 ] Brief Harry Matter an Joachim Pini (Baden-Baden), [Berlin,] 17. Januar 1995, [S. 2]. Unveröffentlicht; Eine Ablichtung dieses Briefes ist Bestand des Briefwechsels Joachim Pini / Heinz Saueressig 1989-1997, der sich im Privat-Besitz von Tobias Wimbauer in Freiburg befindet, (Pini / Saueressig. 32-2).
[ 58 ] "Es ist wahr, ich fand mich nationaler, als ich gewußt hatte, daß ich sei; aber ein Nationalist ... war ich ja niemals." Thomas Mann, Weltfrieden. In: Essays, S. 40.
[ 59 ] Breuer, 134. Dies muß jedoch als ein Beleg für die Verzerrung aus der "Ex-post-Perspektive" (Rolf Peter Sieferle, Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen. Frankfurt a.M. 1995, S. 20) angesehen werden.
[ 60 ] Breuer, S. 138.
[ 61 ] Ebd., S. 119.
[ 62 ] Ebd., S. 120.
[ 63 ] Ebd., S. 121f.
[ 64 ] Ebd., S. 130.
[ 65 ] Ebd., S. 128.
[ 66 ] Hermann Kurzke, Thomas Mann. Epoche - Werk - Wirkung. München 1985, S. 173 ff. Zitiert nach: Breuer, S. 119.
[ 67 ] Zu Vermeil vgl. Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch [1949]. Hauptband. Darmstadt 1994, 4. Aufl., S. 183 (1. 3. 40). - Im folgenden: Mohler.
[ 68 ] Hans Mayer, Thomas Mann. Zur politischen Entwicklung eines Unpolitischen. In: Ders.: Der Repräsentant und der Märtyrer. Konstellationen der Literatur. Frankfurt a. M. 1971, S. 65-93, hier: S. 66. - Im folgenden: Mayer.
[ 69 ] Mohler, S. 127.
[ 70 ] Zitiert nach: Erika Mann, S. XXIII.
[ 71 ] Heimendahl, S. 84.
[ 72 ] Mohler, S. 68: "Der frühe Thomas Mann aber übt mit seinen 'Betrachtungen eines Unpolitischen' (1918) einen Einfluß auf die 'Konservative Revolution' aus, der dem weniger anderer vergleichbar ist". Ergänzend sollte auch darauf hingewiesen werden, daß Thomas Manns Photo, neben anderen, den Einband von Mohlers Standardwerk ziert.
[73] So äußerte Mann "nicht die geringsten Bedenken, die Betrachtungen vorerst [in einer Gesamtausgabe, 1954 / 55] wegzulassen". Mayer, S. 67.
[74] Ernst Jünger, [Erster (Rund-) Brief] An die Freunde. Kirchhorst / Hannover, 15. Juli 1946, S. 2. Typoskript. Die Briefe an die Freunde befinden sich in der Ernst-Jünger-Sammlung T. Wimbauer / Freiburg. [Anmerkung im Juli 2001: Inzwischen sind die Briefe kommentiert veröffentlicht worden]: Ernst Jünger: Briefe an die Freunde (1946). Herausgegeben von Piet Tommissen. In: Fünfzehnte Etappe. Bonn, Oktober 2000, S. 137-153. Unser Zitat findet sich dort auf S. 141.
[75] Ernst Jünger, Auf den Marmor-Klippen. Hamburg 1939, S. 30.
[76] So behauptet auch Hans Mayer, daß die Betrachtungen ein "peinlicher Zwischenfall" gewesen seien. Hans Mayer, Thomas Mann. In: Der Friede und die Unruhestifter, a.a.O., S. 43-54, hier S. 45.
[77] Ein gutes Beispiel aus jüngster Zeit hierfür ist das Buch von Harald Höbusch, Thomas Mann. Kunst, Kritik, Politik 1893-1913. Tübingen, Basel 2000. "Er [Höbusch] fällt mit der Tür ins Haus, oder besser gesagt: mit dem Vorwort ins Buch, denn sein Ziel scheint es zu sein, Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen als ein rein ästhetisches Phänomen behandelt sehen zu wollen. [...] damit die konservative oder gar konservativ-revolutionäre Seite Manns getrost ins Abseits gestellt und somit vernachlässigt werden kann, denn Mann trieb ja immer nur die Sorge um die Humanität um, schreibt Höbusch also nicht über den Thomas Mann des Ersten Weltkrieges, sondern über den Mann der Vorkriegszeit." Tobias Wimbauer, Thomas Mann - politisch entsorgt. Harald Höbusch über den Buddenbrooks-Dichter in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. In: Junge Freiheit. Wochenzeitung für Politik und Kultur. 15. Jg., Nr. 29 vom 14. Juli 2000, S. 11.
[78] Rychner, S. 381.
[79] Zitiert nach: Rychner, S. 384.
[80] F.G.Jünger, Konstruktionen, S. 181.

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