RICHARD KATZ

(1888 - 1968)

[Katz 1932]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ALS ES NOCH KEIN INTERNET GAB
Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts

Der "Weltenbummler" Richard Katz war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der meist gelesene Reiseschriftsteller deutscher Zunge (und, nebenbei bemerkt, auch Dikigoros' persönlicher Favorit). Seine bei Ullstein verlegten Werke - vor allem die Ende der 1920er Jahre erschienene großartige Pentalogie "Die weite weite Welt" ("Ein Bummel um die Welt", "Heitere Tage mit braunen Menschen" - eines der besten Bücher, die je über Indonesien geschrieben wurden -, "Funkelnder Ferner Osten", "Zickzack durch Südamerika - Schnaps, Kokain und Lamas" und "Ernte") - sind nicht so linkslastig-sozialkritisch wie die von Kisch und nicht so rechtslastig-geopolitisch wie die von Ross, sondern zwar das, was wir heute "kolonialistisch" oder gar "rassistisch" nennen, aber im Grunde immer liebevoll, distanziert, mit überlegenem Humor, den Katz sich sein Leben lang bewahrt hat, obwohl er persönlich nie viel zu lachen hatte. 1919 mußte er seine Heimatstadt Prag verlassen, weil er Deutsch-Österreicher war - er ging nach Berlin. 1933 mußte er Deutschland verlassen, weil er Jude war - er ging in die Schweiz, in einen Vorort von Locarno, wo er schon seit 1931 sein Feriendomizil hatte. 1941 mußte er die Schweiz verlassen, weil er deutscher Jude war und die Schweiz doch neutral; er ging - besser gesagt er floh, über Vichy-Frankreich und Franco-Spanien - nach Brasilien, dessen Staatsbürgerschaft er annahm und über das er vier weitere Reisebücher verfaßte ("Mein Inselbuch", "Begegnungen in Rio", "Auf dem Amazonas" und "Seltsame Fahrten in Brasilien"). Dennoch war er todunglücklich im Exil - wie so viele andere, die trotz allem, was geschehen war, noch an Mitteleuropa hingen. Katz' Leidensgenosse Stefan Zweig - im Grunde seines Herzens ebenfalls ein "rechter" Konservativer - nahm sich in Brasilien verbittert das Leben; Katz kehrte 1956 in die Schweiz zurück, wo er noch ein paar Bücher schrieb, ohne an seine früheren Erfolge anknüpfen zu können; denn er war seinen Reisebeschreibungen untreu geworden und versuchte sich statt dessen an "Märchen", "Geschichten", "Krimis" und anderen "Romanen" wie "Allerhand aus fernem Land", "Per Hills schwerster Fall", "Wandernde Welt" oder "Die Weltreise in der Johannisnacht". Selbst das verlegerische Genie eines Ernst Rowohlt, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg so unterschiedliche Schriftsteller wie Hans Fallada, Ernst von Salomon, Frank Thiess und Kurt Tucholsky zum Erfolg führte, konnte aus diesen Ladenhütern seines Freundes und Leidensgenossen (die beiden hatten einander in Brasilien kennen gelernt, wo auch Rowohlt bis zum Kriegsende im Exil lebte) nichts mehr machen. Katz starb 12 Jahre nach seiner Rückkehr einsam, verlassen und vergessen.

Zu Unrecht. Katz' Reisebücher sind so zeitlos, daß man aus ihnen noch heute mehr lernen kann über die von ihm besuchten Länder und Völker als aus vielen hochwissenschaftlichen "soziologischen" oder "ethnologischen" Studien. (Es ist bemerkenswert, daß dies ausgerechnet Katz gelungen ist, der "nur" gelernter Jurist war, nicht etwa dem gelernten Ingenieur Colin Ross oder dem gelernten Geografen - und Theologen - A.E. Johann.) Sie sind übrigens aufgrund ihrer einst hohen Auflagen bis heute preiswert in Antiquariaten zu haben - daß sie im "Dritten Reich" verbrannt worden seien, ist nur ein werbewirksames Gerücht, das sein Verleger ausgestreut hat, um die Verkaufszahlen zu steigern. Niemand hätte damals die so offensichtlich deutsch-nationalen Werke eines Katz verbrannt - erst die ach-so-toleranten, den Lippen-Bekenntnissen zur Meinungsfreiheit verpflichteten "Demokraten" und "Gutmenschen" der 70er und 80er Jahre haben seine Werke aus den öffentlichen Bibliotheken verbannt. Und um sie noch mehr in Vergessenheit geraten zu lassen, hat der Ullstein-Verlag in den 1990er Jahren (vielleicht als späte Rache für den autobiografischen Roman "Leid in der Stadt", in dem Katz - wie einst Mark Twain mit 20 Jahren Verspätung - 1954 über seine Zeit als Chef der "Grünen Post" abgerechnet hatte?) nicht etwa eines seiner guten alten Reisebücher neu aufgelegt, sondern nur sein nicht nur umfangmäßig dünnstes Werk, "Von Hund zu Hund", eine seicht-banale Tiergeschichte von 1956. Aus gut[menschlich]em Grunde: Katz' Reiseberichte sind allesamt ein Schlag ins Gesicht unserer "politisch-korrekten" Medienlandschaft, da er sich die Freiheit nahm, mit feiner Ironie festzustellen, daß die Menschen und Rassen dieser Welt nicht alle gleich sind - und das war kein Vor-Urteil, sondern das Nach-Urteil eines welterfahrenen Reisenden! Dabei stände es auch uns heutigen gut an, einmal darüber nachzudenken, ob "anders" sein nun gleich "besser" oder "schlechter" bedeuten muß. Katz hat illusionslos erkannt und akzeptiert, daß auf die Dauer Nationalismus und Rassismus - nicht nur bei den Weißen, sondern bei allen Völkern der Welt - die entscheidenden Triebfedern ihres politischen Handelns sind.

Wie schrieb Katz 1929 in "Heitere Tage" mit bemerkenswerter Weitsicht: "Das Ergebnis ihrer Befreiung wird bei allen asiatischen Völkern die absolute Herrschaft einer Dynastie oder einer Kaste sein. Wenn Intellektuelle diesem Ziel entgegen wirken, so nehmen sie die Blutschuld des Bürgerkriegs nutzlos auf sich. Es ist dem Asiaten nicht nur etwas Gewohntes, sondern auch etwas durchaus Erwünschtes, beherrscht zu werden. Es ist ihm nur unerwünscht, einer fremden Rasse zu dienen, den Weißen, die geistig anders geartet sind als er und vor denen er sich körperlich ekelt. Während beispielsweise die Javaner auch die jetzt weiche Hand der holländischen Regierung als drückende Last empfinden, werfen sie sich vor dem eingeborenen Sultan freiwillig in den Staub. Ginge England aus Indien, ginge Holland aus Insulinde: nicht einen Monat würde sich das Volk selbst verwalten. Statt eines weißen Herrn bekäme es einen seiner Rasse. Einen grausamern, willkürlichern Herrn. Tut nichts. Die schlechteste farbige Regierung ist den Eingeborenen noch immer lieber als die beste europäische. Ist das so unerklärlich? Würden nicht auch wir uns lieber von einem deutschen Tyrannen regieren lassen als von einem malaiischen Präsidenten? Weiße und farbige Denkart gegeneinander gehalten: sie liegen auf zwei windschief geneigten Ebenen. Ohne Schnittpunkte. Das Äußerste, was kluge Kolonisation erzielen kann, ist, daß sich die Farbigen mit ihr abfinden. Daß sie sie verstehen, kommt selten vor. Daß sie sie billigen, nie. Holländisch-Indien ist die reichste Kolonie der Welt. Die reiche Zukunft der Kolonie Holländisch-Indien läßt sich aber nur unter der Voraussetzung prophezeien, daß es in hundert Jahren überhaupt noch Kolonien geben wird. Woran ich zweifle."

Noch ein Werk von Katz ist bis heute aktuell und nachdenkenswert: "Drei Gesichter Luzifers - Lärm, Maschine, Geschäft" (1934). Er räumt im Vorwort ein, daß es eher ein ideologisches (er schreibt "weltanschauliches") Buch ist, wenngleich er es lieber seinen "Reisebüchern zureihen" würde, denn er legt darin seine Schlußfolgerungen aus vielen Jahren Weltreisen dar. Dikigoros kann Katz zwar nicht in allen Punkten zustimmen, aber in einigen hatte er sicher Recht - wie man spätestens heute sieht, da manch unheilvolle Entwicklung noch weiter voran geschritten ist: Er beklagt die Unart, nicht mehr mit eigenen Augen zu schauen, sondern mit der Linse des Fotoapparats, nur noch nach der richtigen Kamera-Einstellung zu schielen, statt nach der schönsten Aussicht. Hinzu kommt, daß das Mitschleppen einer Fotoausrüstung ständig die Aufmerksamkeit des Reisenden fesselt (nicht nur um Verlust durch Diebstahl, sondern auch um Beschädigungen durch Wettereinflüsse o.ä. zu vermeiden: man verzichtet schon mal auf eine Bergbesteigung, wenn dabei die wertvolle Kamera herunter fallen und zu Bruch gehen könnte), ebenso wie das Mitschleppen einer Schreibmaschine (die ersten Weltreisenden, wie Alma Karlín, gewöhnten sich das gerade an), statt sein Manuskript mit Bleistift und Papier zu fertigen. (Was hätte Katz erst zu unseren modernen Filmkameras mit eingebautem Tonband gesagt?) Recht hatte er auch, wenn er das Automobil als Fortbewegungsmittel des Reisenden kritisierte, jedenfalls wenn es nur dazu diente, auf dem Highway "Kilometer zu fressen", ohne noch am Wegesrand die Blumen zu sehen (wo die denn überhaupt noch vorhanden waren), und schließlich zum Massentourismus führte, der auf lange Sicht zerstörte, was er zu erschließen vorgab. (Was hätte Katz erst zu unseren modernen Überschall-Flugzeugen gesagt?)

Aber da kann man streiten: Ist Katz aufrichtig gegenüber sich selber? Ohne moderne Schiffe, Eisenbahnen und Autostraßen hätte er zwar auch reisen können, aber sicher nicht so eben mal um die Welt, sondern vielleicht, wie Seume oder Goethe, zu Fuß oder mit der Pferde-Kutsche, aber dann halt bestenfalls bis Italien. Und den die Umwelt belastenden Massentourismus gab es ja längst vor dem Bau von Autostraßen und Eisenbahnen; schon im Mittelalter verbrachten 'zigtausende, manchmal sogar hunderttausende "Pilger" die wertvollsten Wochen des Jahres damit, zu den Urlaubszentren der Welt zu reisen: Als Christen nach Santiago de Compostela oder Jerusalem; als Muslime nach Mekka (selbst wenn sie sich dabei keine Erkältung holten, durften sie sich danach "Hadschi" nennen); als Hindus nach Prayāg, Haridwār, Ujjayn(i) oder Nāsik (um nur die wichtigsten zu nennen, nämlich die Schauplätze des "Kumbh Melā", des Fests des Wassermanns, bei dem es bisweilen wüster zugeht als bei der "Love Parade" in Berlin; aber das ist eine andere Geschichte); als Buddhist nach Sārnāth, Sānchī, Nālandā oder Bodhgayā als Jain nach Shrawan Belgolā (die anderen Jain-Heiligtümer liegen auf hohen, schlecht zugänglichen und daher für den Massen-Tourismus nicht geeigneten Bergen). Und macht denn der moderne Massentourismus die für den individuellen Weltenbummler interessanten Reiseziele wirklich kaputt? Erreicht er sie überhaupt? Die Neckermänner von heute pilgern doch bevorzugt zu "Heiligtümern" wie dem Ballermann auf Mallorca oder der Susi-Bar in Pattaya - kann uns das im Ernst stören? Vielleicht nicht direkt, liebe Leser; aber indirekt schon, nämlich dann, wenn die Mallorquiner, statt ihren Lebensunterhalt mühselig und schlecht bezahlt damit zu verdienen, Tomaten anzubauen und zu exportieren, lieber ausländisches Bier importieren und mit einem ordentlichen Preisaufschlag an versoffene Touristen weiter zu verhökern; oder wenn die thailändischen Mädchen, statt in den Tempel zu gehen, um zu den einheimischen Göttern zu beten und ihnen Geld zu spenden, lieber in den Puff gehen, um vor importierten Touristen nieder zu knien und sich für die dabei verrichteten Dienstleistungen von ihnen Geld spenden zu lassen. Eines Tages könnte das damit enden, daß es auf Mallorca keine Tomatenfelder und in Thailand keine Tempel mehr gibt.

Gewiß, Katz' radikale Kritik an allem Maschinellen - von der er nur den Elektro-Herd ausnimmt (ja, dessen Bequemlichkeit weiß nur jemand zu schätzen, der schon mal mit dem Esbit-Kocher oder gar am Lagerfeuer hat kochen müssen!) - wirkt stellenweise etwas überzogen; aber man muß berücksichtigen, daß er das zu einer Zeit schrieb, als die Weltwirtschaftskrise Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und (mangels ausgebauter Sozialsysteme) Hunger gestürzt hatte; und er glaubte halt, daß sich diese Not beheben ließe, wenn man "die Herstellung von Maschinen auf die Dauer von zehn Jahren verbieten" würde. Daher waren für Katz auch die drei Länder, die er für am stärksten industrialisiert hielt - Groß-Britannien, die U.S.A. und Sowjet-Rußland - Reiche des Bösen. Speziell Nordamerika galt ihm als "die Heimat Luzifers", reich an "Not und Brutalität, an Slums und Bordellen", bevölkert vom "Abschaum Europas" - ein Vor-Urteil aus zweiter Hand, denn er hatte es gerade einmal in der Eisenbahn durchquert, von San Franzisko bis New York, auf der Rückreise von Polynesien - hier fällt seine Kritik am modernen Verkehrsmittel, dessen Schnelligkeit einen daran hindert, genauer nach links und rechts zu sehen, auf ihn selber zurück. In der Sowjet-Union sah er Stalin als "Erzkapitalisten" an (er verachtete den Bolschewismus vor allem, weil er Massenproduktion an Stelle des ehrlichen Handwerks setzte). Aber Katz hatte sie ebenso wenig bereist wie die britischen Inseln - und vom britischen Empire fehlt ausgerechnet dessen wichtigster und interessantester Bestandteil in seiner Reisesammlung: Indien. Seine Erfahrung beschränkte sich auf einen mehrtägigen Ausflug vom Hafen von Bombay aus zum Berg Ābū (wo er aber bloß der Hitze des Tieflands entfliehen wollte; über die dort gelegenen großartigen Dilwār-Tempel verliert er kein Wort) und nach Benares, wo er sich über Schmutz und Elend empörte. Gerade mal sechseinhalb Seiten lesen wir (in "Ernte") über Indien. Und das von einem Autor, der im Vorwort zum "Bummel um die Welt" geschrieben hatte, daß er während seiner Reise Vorurteile abgebaut habe - mangels eines solchen Abbaus geriet ihm "Drei Gesichter Luzifers" zu einer Anklage gegen die Angelsachsen und Sowjetrussen, gegen ihre Zerstörung alter Kulturen und deren Ersetzung durch "Zivilisationen".

Man spürt nicht nur an dieser Gegenüberstellung, daß Katz mehr unter dem Einfluß Spenglers stand als er wahr haben wollte (er zitierte lieber Goethe), auch wenn er die Weltwirtschaftskrise als "keine Krise der Wirtschaft, sondern des Geistes" bezeichnete. "Unsere Zeit ist so reif für eine neue Religion wie das späte Römertum," schrieb er, "reifer für eine neue Religion, als es die Zeit der Reformation war." Wäre Katz nicht Jude gewesen, so hätte er sich wohl - wie A. E. Johann - dem National-Sozialismus zugewandt; denn er lehnte den Kapitalismus der U.S.A. und den Kommunismus Räte-Rußlands gleicher Maßen ab, er verfluchte "Zinsknechtschaft", "Kornwucherer" und "Trusts", die "Leihwirtschaft", den "Kreditschwindel" (diese Begriffe - vor allem die ersten beiden - waren in der damaligen Vorstellungswelt untrennbar mit dem Adjektiv "jüdisch" verbunden) und das, was wir heute "Globalisierung" nennen, er befürwortete als Wirtschaftseinheit "die Gemeinschaft der Sippe" auf eigener Scholle, er äußerte noch 1934, schon im Schweizer Exil, Verständnis für "die deutsche Revolution" - so nannte man damals Hitlers Machtergreifung von 1933 -, er zitierte zustimmend deren "Grundsatz, daß Gemeinnutz vor Eigennutz geht", und er sah in den (wiederum jüdischen) "Kakophonisten" Meyerbeer, Mahler und Schönberg die Hauptschuldigen an der Entartung von Musik zu Lärm. Man muß es leider so deutlich sagen: Katz' historisches Hintergrundwissen und seine Profetengabe reichten nicht an seine Beobachtungsgabe heran. Als die drei "Antichristen" seiner Zeit empfand er nicht etwa Roosevelt, Hitler oder Stalin, sondern Ford, Pirelli und Kreuger (ein schwedischer Baulöwe und Zündhölzer-Fabrikant, der nach dem Konkurs seines Wirtschafts-Imperiums Selbstmord beging); und den amerikanischen Flotten-Stützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii (wo er besonders die "Vermantschung" der Polynesier durch fremdrassige Zuwanderer beklagte) hielt er nach kurzer, unfachmännischer Besichtigung für "wahrscheinlich uneinnehmbar" (aber das ist eine andere Geschichte). Doch abseits dieser "weltanschaulichen" Fehleinschätzungen hat Katz - wie Ferdinand Emmerich vor ihm - richtig erkannt, daß der Rummel der zunehmenden Tourismus-Industrie nicht geeignet ist, fremde Länder und Kulturen richtig kennen zu lernen; nicht umsonst zog er es vor, sie "bummelnd" zu bereisen, d.h. langsam und in Muße.

[Katz 1936]

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