Bert Brecht. Der gute Mensch von Ostberlin

"Die Wahrheit ist das Kind der Zeit!"
BERT[OLT] BRECHT
Berthold Eugen Friedrich Brecht, 1898-1956
Der gute Mensch von Ostberlin
(oder: der verhinderte Boxer)




EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE BRETTER, DIE DIE WELT [BE]DEUTEN

"Erstens, vergeßt nicht, kommt das Fressen
Zweitens kommt der Liebesakt.
Drittens das Boxen nicht vergessen
Viertens Saufen, laut Kontrakt."

(Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, 13)

1924 zog ein verkrachter Medizin-Student und November-Verbrecher, pardon Soldatenrat a.D. (die gelten ja heutzutage nicht mehr als Verbrecher, sondern fast schon als Helden), von Bayern, pardon Schwaben, nach Preußen. Er war der Sohn eines Augsburger Industriellen, eines großbürgerlichen Kapitalisten; er wurde also mit einem silbernen Löffel im Maul geboren, wie fast alle Kommunisten und Terroristen, auch wenn er sich später lieber mit einer dicken Zigarre in der Fresse fotografieren ließ. (Das Rauchen hat er in der Aufzählung oben vergessen; dafür schrieb er an anderer Stelle: "Wer raucht, sieht kaltblütig aus... Und raucht man, wird man kaltblütig." Er wollte also "kaltblütig" werden - oder aussehen :-).

[Brecht] [Brecht] [Brecht] [Brecht]

Brecht war damals durchaus noch nicht klar, welche Bretter für ihn die Welt bedeuten sollten. Gewiß, er hatte ein bißchen Kabarett gemacht (als Wasserträger von Karl Valentin, dem deutschen, pardon bayrischen Charlie Chaplin) und auch ein paar unbedeutende Theaterstücke geschrieben, die u.a. in München aufgeführt worden waren. (Eines, "Trommeln in der Nacht", hatte sogar den Kleist-Preis für Anfänger, pardon Nachwuchs-Dramaturgen bekommen; der einflußreiche Theater-Kritiker Herbert Jhering - ein Bekannter seiner Eltern - hatte ihm den zugeschanzt. Ein anderes, die "Legende vom toten Soldaten", hatte ihm dagegen nur Ärger eingebracht - das war selbst den Weimarer "Demokraten" zu links und zu anti-militaristisch -, und noch andere, wie "Der belgische Acker", "Karfreitag" und die "Gesänge von Deutschlands siegender Größe", hatte er verdrängt - Jugendsünden, aus der ersten Kriegsbegeisterung geboren, ähnlich wie Thomas Manns "Betrachtungen eines Unpolitischen"; sie fehlen heute in fast allen Werkausgaben.) Aber damit war im Deutschland der Hyper-Inflation kein großes Geld zu verdienen - das hatten die Schieber gemacht. Nun gab es endlich wieder richtiges Geld, die "Rentenmark" (sie ersetzte die Papiermark im Verhältnis 1:1.000.000.000.000 [eins zu einer Billion!] und wurde bald in "Reichsmark" umbenannt), und wenn jemand sonst nichts gelernt oder einfach keine Lust zu arbeiten hatte, gab es vor allem eine Möglichkeit, um schnell und legal, reich zu werden: Man mußte im Boxring seinen Gegner vor der Zeit auf die Bretter schicken, die das Geld bedeuten. In Berlin begann damals das Zeitalter der "Professionals". (Bis 1911 - und wieder im Ersten Weltkrieg - war das "Preisboxen" im Deutschen Reich noch verboten; erst seit 1920 war es nicht mehr strafbar.)

[Medaille auf die Währungsreform]

Ende Februar 1924 verteidigte im Berliner Sportpalast "der blonde Hans" (damit war damals noch nicht der Schauspieler Hans Albers gemeint, sondern Hans Breitensträter, der erste deutsche Nachkriegs-Meister), seinen Titel als deutscher Meister aller Klassen gegen Paul Samson-Körner, und Berti saß in der ersten Reihe und fieberte mit. Breitensträter war zu seiner Zeit wahrscheinlich der weltbeste Schwergewichts-Boxer - allemal besser als die offiziellen "Weltmeister" aus den USA - bis 1919 der alte, nasse Sack Jess Willard, danach der hinterhältige, fast immer nur durch Tiefschläge und andere Fouls siegende "Manassa Mauler" Jack Dempsey -; aber er hatte keine Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen, weil er das Pech hatte Deutscher zu sein, so daß er in seinem stärksten Lebensjahrzehnt nicht boxen durfte - jedenfalls nicht international; denn bis 1924 waren die Sportler des Deutschen Reiches durch die "Friedens"-Diktatoren von Versailles von allen internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen, von der Olympiade bis zum Faustkampf. (Als Breitensträter wieder boxen durfte, war er über seinen Zenith hinaus und unterlag dem baskischen Europameister Paolino Uzcudun; über diesen Kampf wurde übrigens der erste Sportfilm in Deutschland gedreht.) An jenem Abend unterlag er dem fast eine Generation jüngeren Samson-Körner nach einem Zufallstreffer durch k.o.; und nach dem Kampf biederte, pardon freundete sich Berti mit dem Sieger an und ließ sich von ihm sogar Boxunterricht erteilen. 1925 holte sich Breitensträter den Titel von Samson-Körner zurück, der nur ein Jahr Meister war und danach bald in der Versenkung verschwand, jedenfalls sportlich gesehen. Er wäre heute wohl gänzlich vergessen (so wie es Hans Breitensträter ist - Dikigoros' Schreibprogramm versucht ständig, seinen Namen in "Breitenstrategie" zu "korrigieren" -, den man in der BRD aus den Annalen der Sportgeschichte getilgt hat, weil er "Nazi" war) hätte nicht Berti 1926 sein Debut als Roman-Schriftsteller gegeben - mit einer Biografie des Ex-Meisters. Man sollte es nicht für möglich halten - Dikigoros fällt es jedenfalls schwer. Brecht hat sich doch selber angeblich immer als "politischen Schriftsteller" verstanden. Gab es damals keine politischen Themen, die des Schreibens wert gewesen wären? Ach, es waren ihrer so viele, daß Dikigoros gar nicht wüßte, womit er anfangen sollte; er hat Euch, liebe Leser, daher hier einen Link auf eine kleine Übersicht gesetzt - leider nur auf Französisch, denn Brecht scheint bis heute nicht der einzige Deutsche zu sein, der sich für die Geschichte Deutschlands vor 1933 nicht interessiert hat (obwohl die nach 1933 nur aus jener zu verstehen ist - deshalb wird die letztere in Deutschland bis heute durch die Bank verzerrt dargestellt). Aber wenigstens die Namen werdet Ihr auch auf Französisch verstehen; wenn sie Euch nichts sagen, könnt Ihr ja mal kurz ins Lexikon schauen, wenn Ihr noch eines habt. (Und wenn, dann haltet es gut fest, denn neue werden nicht mehr hergestellt, seit Brockhaus aufgegeben hat; bald wird, was nicht auf Wikipedia steht - und das ist oft bloß "gequirlte Scheiße" -, nicht mehr existieren und nie existiert haben, weil es, wie ausgerechnet ein "Professor" für Geschichte an einer staatlichen Universität der BRDDR das kürzlich nannte, nicht mehr "gegenwartstauglich" ist!)

[Brecht (rechts) und Samson-Körner (links) 1926] [Paul Samson-Körner]

Frage: Was faszinierte den Intellektuellen Brecht ausgerechnet an jenem schrägen Vogel? Die Kraft eines Samson? Oder die Körner, die er damit aufpickte, finanziell gesehen? Gewiß, Boxer waren (fast) nie geistig besonders hoch stehende Menschen; aber Hans Breitensträter zum Beispiel spielte nicht nur Geige und züchtete Orchideen, sondern war unzweifelhaft ein großer Sportler, während Samson-Körner ebenso unzweifelhaft bloß ein primitiver, brutaler Schläger war. Die Antwort ist eindeutig: Eben das faszinierte den primitiven, brutalen Intellektuellen Brecht. Ihr glaubt das Dikigoros nicht, liebe Naïvlinge? Dann klickt bitte mal diesen Link an, in dem Brecht gegen die Entbrutalisierung des Sports im allgemeinen und des Boxsports im besonderen vom Leder, pardon von der Feder zieht. (Er nennt die Leute, welche diese Entbrutalisierung betreiben, seine "Todfeinde", und das bedeutet aus dem Maul eines Kommunisten bekanntlich, daß er sie töten würde, wenn er könnte - am liebsten hätte er sie eigenhändig im Boxring tot geschlagen.) Nein, es ist nicht alles falsch, was er da geschrieben hat. Es ist die Erkenntnis, daß Sport - je nachdem wie man ihn betreibt - Mord sein kann (ein Satz, den die Deutschen fälschlich Winston Churchill zuschreiben, statt seinem Übersetzer; im Original hatte er nur auf die Frage, was er mache, um gesund zu bleiben und lange zu leben, gesagt: "no sports [keinen Sport]"), verbunden mit dem Bekenntnis, daß er auch genau das sein soll. Das kann man so sehen. Dikigoros sieht es anders - und die Mehrzahl seiner Leser hoffentlich auch -, aber Brecht sah es nun mal so, und in dieser Weltsicht liegt der Schlüssel zu seinem Lebensweg und zum Leitmotiv aller seiner Werke - so wie es bei Kleist der Verrat, bei Wagner die Erlösung und bei Dürrenmatt die Vergeblichkeit allen Planens war. (Selbst in "Der gute Mensch von Sezuan" kann sich Brecht nicht verkneifen, an irgendeiner unpassenden Stelle eine Boxer-Weisheit einzuflechten: "Schwanken macht nichts, wenn man nur siegt.") Deshalb müssen wir uns etwas eingehender damit beschäftigen oder, boxerisch gesprochen, etwas weiter ausholen.

Viele Menschen - besonders so genannte Intellektuelle - beneiden andere Menschen, nicht etwa weil die tugendhafter, klüger, gebildeter wären als sie selber, sondern vielmehr, weil sie schöner, stärker, größer (bei Männern: an Körperhöhe; bei Frauen: an Brustumfang), kurzum, weil sie körperlich attraktiver sind. [Manche Ignoranten sprechen da von oben herab von "äußerlicher" Attraktivität, die doch längst nicht so wichtig sei wie die "inneren Werte" - als ob Schönheit und Stärke nicht auch und gerade eine Frage der inneren Organe wäre! Glaubt Ihr denn, mit einer Säuferleber, einer Raucherlunge und einem verfetteten Herzen könntet Ihr körperlich attraktiv sein? Und hat es nichts mit inneren Werten zu tun, sich des übermäßigen Fressens, Saufens und Rauchens zu enthalten? Bei Brecht offenbar nicht - deshalb ist er ja auch mit 58 einem Herzinfarkt erlegen.] Schon Shakespeare läßt seinen Hamlet bekanntlich sagen: "Die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandeln, als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ähnlich machen kann." Und den Intellekt haben viele "Intellektuelle" überhaupt nur ausgebildet - denn angeboren ist er nicht -, weil sie wußten oder zumindest glaubten, daß an ihrem Körper beim besten Willen nichts heraus zu holen oder auszubilden war. Und viele würden auch ihr noch so umfangreiches Wissen mit Freuden eintauschen für ein paar klitzekleine körperliche Vorzüge, und seien sie aus Silikon. (Zugegeben: Auch Dikigoros würde gerne auf einiges seines am Schreibtisch verdienten Geldes verzichten und lieber mehr Zeit auf dem Sportplatz verbringen, wenn ihm seine Frau nicht ständig wegen eines größeren Hauses, eines schnelleren Autos und längerer Urlaubsreisen in den Ohren läge - aber das ist eine andere Geschichte.) Früher gab es eine böse Redensart: "Wer nichts wird, wird Wirt." Damit war gemeint: Wer zum Unternehmer taugt, macht einen Betrieb auf und wird Unternehmer. Wer nicht, geht an die Universität studieren und wird Volks- oder Betriebswirt; und wenn er Glück hat, wird er im Betrieb des Unternehmers Niete in Nadelstreifen, pardon leitender Angestellter, und kann dessen Geld (oder das der Aktionäre) für unsinnige, pardon intellektuelle Investitionen in den Sand setzen, wie das die Herren Volks- und Betriebswirte bei Daimler-Chrysler, Siemens, VW usw. (Dikigoros hat die anderen nicht vergessen, aber über die schreibt er an anderer Stelle) bis heute tun. Das gilt insbesondere für Männer.

Eine Frau, die einigermaßen attraktiv und bei Verstand ist, wird versuchen, möglichst früh zu heiraten und sich eine Existenz als Ehefrau, Hausfrau und Mutter (und, wenn sie ihre To[e]chter vernünftig erzogen hat, auch Großmutter) aufzubauen, um auf die Frage: "Was machen Sie denn beruflich?" antworten zu können: "Ich manage ein sehr erfolgreiches kleines Familien-Unternehmen." (Das schließt - zumal im Zeitalter der Tiefkühltruhen, Mikrowellen, Waschmaschinen und Home-Computer - nicht [mehr] aus, daß sie auch nebenberuflich irgend etwas auf die Beine stellt, wenn sie denn zuviel Freizeit hat und sonst nichts mit sich anzufangen weiß; nicht jedem ist die Fähigkeit zur Muße gegeben, wie schon Nietzsche bemerkte, und erst recht nicht jeder :-) Eine Frau, die das nicht schafft, weil sie zu dumm und/oder häßlich ist, muß sich statt dessen durch eine Berufs-Ausbildung - womöglich sogar durch ein Universitäts-Studium - quälen und, wenn sie auch dabei nicht fündig wird, irgendwann selber einer Lohnarbeit außer Hause nachgehen, wobei sie sich heutzutage damit selbst betrügen, pardon trösten kann, daß ihr das alle als besonders erstrebenswert eingeredet wurde; sie weiß deshalb nicht, daß das Gegenteil der Fall ist - jedenfalls hat Dikigoros noch keine ehrliche Frau getroffen, die das anders sähe. Eine alte Witwe, die das Musik-Geschäft ihres Mannes weiter führte, sagte ihm mal in den 1960er Jahren: "Das ganze Gewäsch von der Emanzipation dient doch nur dazu, uns Frauen die Arbeit schön zu reden." Sie wußte, wovon sie sprach, denn sie hatte die Arbeit und die Verantwortung, von der sich ein dummes Gänschen, pardon häßliches Entchen keine Vorstellung macht, wenn es anfängt zu studieren und sich vielleicht noch ein paar Semester in blauäugigen Illusionen wiegt, welch eine Zuckerschlecke das Berufsleben sein wird und wie viel "unabhängiger" frau doch lebt, wenn sie statt von einem Ehemann und ihrem - eigenen! - Haushalt von einem Chef wie Dikigoros (wünscht Euch das nicht, liebe Leserinnen :-) oder einem Dutzend Vorgesetzter in einem fremden Betrieb abhängig ist. Besonders von weiblichen, die sie mit Haß und Neid verfolgen, weil sie in der Regel noch älter, noch häßlicher und noch frustrierter sind. Ihr meint, die Gesellschaft müßte es einer Frau doch eher danken, wenn sie ein Leben lang Geld verdient, Steuern und Sozialabgaben zahlt, als wenn sie "nur" Ehefrau und [Groß-]Mutter ist? Aber mit dem Dank des Vaterlandes ist das so eine Sache. Als Oma - und Uroma - kann frau auch noch über ihr 65. Lebensjahr hinaus eine sinnvolle Rolle in der Gesellschaft spielen, nämlich als Erzieherin; und wenn dann so ein junger Flegel, pardon Nachwuchs-Politiker von der FDP daher käme mit dem flotten Spruch, die Alten sollten doch endlich "die Löffel abgeben", um die Renten- und Sozialkassen zu entlasten, damit die Berufspolitiker sich selber die Taschen noch mehr füllen können als sie das ohnehin schon tun, dann könnte sie ihm eins (oder auch mehrere) hinter die Löffel geben und sagen: "Wenn du mein [Ur-]Enkel wärest, hättest du wenigstens eine anständige Kinderstube genossen." Aber als Rentnerin ohne Kinder und Enkel wird sie früher oder später im Altersheim landen - was weitaus schlimmer ist als gleich die Löffel abzugeben, denn auch wenn sie Glück hat und ein Heim erwischt, das nicht die Hölle ist: zumindest dem Fegefeuer wird es nahe kommen; und das ist dann der (verdiente) Lohn für ihre verfehlte Lebensplanung.

[Brechts Handschrift]

Über die Gewalt
Der reißende Strom
wird gewalttätig genannt
aber das Flußbett
das ihn einengt
nennt keiner gewalttätig.

Brecht war alles andere als überdurchschnittlich intelligent; seine Handschrift weist ihn eher als trübe Funzel, pardon Tasse aus denn als große Leuchte. Aber seine Eltern schickten ihn aufs Gymnasium - das war damals eine reine Geldfrage -, und um im Ersten Weltkrieg nicht an die Front zu müssen, schrieb er sich als Medizin-Student an der Universität ein. Tatsächlich lungerte er aber viel lieber im Theater herum als auf der Schulbank oder im Hörsaal (Discos gab es noch nicht), und irgendwann begann er, Kritiken und am Ende sogar eigene Stücke zu schreiben. Doch insgeheim wäre er viel lieber groß, schön und stark geworden, wie diese Boxer. [Jedenfalls bevor sie sich im Herbst ihrer Karrieren die sprichwörtlichen Boxer-Nasen, Blumenkohl-Ohren und halbblinde Augen geholt hatten; aber dann sah man ihre Bilder ja nicht mehr in der Zeitung - ebenso wenig wie man sie heute dann noch im Fernsehen sieht. Wißt Ihr, liebe Leser, wie Adolf Heuser, Joe Louis usw. usw. ver-, pardon ge-endet sind - wenn Ihr die denn überhaupt noch dem Namen nach kennt? Das sind die, die es in Sachen Sport mit Brecht gehalten haben! Ein Schmeling dagegen ließ sich lieber von der Journaille als "alle-Jahre-einmal-Boxer" beschimpfen und vorübergehend sogar seine Titel aberkennen - dafür ist er fast hundert Jahre alt geworden.] Hat Dikigoros da eben "herum lungern" geschrieben? Ja, hat er. Aber ist es nicht immer die Rede der Intellektuellen, daß so viel mehr Fleiß, Ausdauer und Selbstdisziplin dazu gehören, um ein Studierter, ein Gebildeter, kurz ein Intellektueller zu werden, als sich einfach ein paar Muskeln anzutrainieren (Doping machts möglich - auch für die eigentlich Unbegabten!) und Sportler zu werden? Ach, liebe Leser, das ist ein Gerücht, das Dikigoros Tag für Tag augenfällig widerlegt findet. Jeder Trottel kann - zumal heute - ein wenig Stoff fürs Examen pauken, den er spätestens eine Woche nach der Prüfung wieder vergessen hat, und sich dann für den Rest seines Lebens bildungsmäßig auf die faule Haut legen. (Er kennt Professoren, die seit dreißig Jahren dieselben Manuskripte zum Ablesen mit in die Vorlesung bringen, ohne sie einmal überarbeitet zu haben.) Welch eine Anstrengung, Disziplin und Selbstüberwindung kostet es dagegen, ein Leben lang körperlich fit zu bleiben? Schaut Euch mal um. Nein, nicht im Fernsehen, wo ein paar (überwiegend ausländische) Spitzen-Sportler ein paar Jahre lang auf den wenigen Eisbergen herum turnen, die sich noch aus dem allgemeinen Sumpf erheben, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden, sondern auf dem Sportplatz um die Ecke (so er nicht schon verfallen ist, weil die Kommunen doch sparen müssen und an der Volksgesundheit immer zuerst gespart wird - schließlich wollen die Ärzte und Apotheker auch leben, das sind gute Steuerzahler)!

A propos um- und anschauen: Habt Ihr Euch die Welt mal angeschaut, bevor Ihr Euch Eure Weltanschauung (wenn Ihr denn eine habt) gebildet habt? Wart Ihr mal im Ostblock, als es den noch gab, oder in anderen kommunistischen Ländern, die es heute noch gibt (so unerfreulich und mühselig solche Reisen sein mögen)? Wenn Ihr es wart (Brecht war es), und wenn Ihr mit offenen Augen und Ohren durch die Lande gereist seid (Brecht ist es nicht - er ist vielmehr der Devise der drei Äffchen gefolgt: "nichts sehen, nichts hören, nichts sagen"), dann wißt Ihr, daß der homo communisticus überall auf der Welt körperlich und geistig minderwertig ist, im wahrsten Sinne des Wortes: Seine Werte sind - nicht nur in Sachen Arbeitsproduktivität, sondern auch in solchen, die nicht regelmäßig statistisch erfaßt werden - mindere gegenüber denen seiner Verwandten, die in geistiger und wirtschaftlicher Freiheit aufgewachsen sind. Das gilt gleichermaßen für Ossi-Deutsche und Wessi-Deutsche, für Sowjet-Russen und Exil-Russen, für Rot-Chinesen und Auslands-Chinesen. Dies ist die Folge der kommunistischen Ideologie, die diesen Zustand als Ideal gepredigt und auch weitgehend praktiziert hat, als Negativ-Auslese, und daran wird sich nichts ändern, jedenfalls nicht bevor die letzte im Kommunismus aufgewachsene und auf Gartenzwerg-Niveau abgestumpfte Generation ausgestorben ist. Glaubt Ihr das nicht, liebe Ossis? Schaut in den Spiegel - Dikigoros sieht Euch auf 100 m Entfernung an, daß Ihr Ossis seid. Glaubt Ihr das nicht, liebe Wessis? Dann seid Ihr entweder blind oder taub oder nie dort gewesen. Wie dem auch sei - Brecht sah, daß er sich körperlich und geistig zu nichts Höherem aufschwingen konnte, und aus diesem Bewußtsein heraus entschied er sich für den Kommunismus - wie so viele.

[Exkurs. Die Polit-Professoren und andere "Intellektuelle" rätseln seit Jahrzehnten daran herum, worin wohl die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen zwischen den beiden Ideologien, die damals, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, entstanden, dem Kommunismus und dem National-Sozialismus: In der Gleichmacherei? Im totalitären Anspruch, die Wahrheit und das Recht, sie zu verbreiten, für sich alleine gepachtet zu haben? In den Mitteln, mit denen sie ihre Ziele verfolgten? Ach was, all das trifft doch auch auf Demokratismus, Liberalismus, Sozialismus und all die anderen schönen Ismen zu, an denen wir uns heute noch erfreuen dürfen. Dikigoros will Euch den Haupt-Unterschied verraten, liebe Leser, jedenfalls in der Theorie: Die Kommunisten wollten alle Menschen gleich arm, häßlich und dumm machen; die National-Sozialisten wollten alle Menschen - jedenfalls die der eigenen Nation - gleich reich, schön und klug machen. Und weil das unüberbrückbare Gegensätze waren, haben sie einander so gehaßt; denn es war nicht etwa bloß der Unterschied zwischen dem Glas Wasser, das halb voll, und dem, das halb leer war. (Obwohl sie beide nur mit Wasser kochten - genau wie die heutigen Ideologen, die es freilich nur noch lau warm bekommen, deshalb schmecken deren Süppchen auch so fade; dafür sind ihre Gläser auch nicht wie die der Kommunisten und Nazis zersprungen - bisher jedenfalls nicht.) Nein, es war ein ganz unterschiedlicher Ansatz: Die Kommunisten wollten die von ihnen beneideten Menschen zu sich herunter in den Dreck ziehen, während die Nazis ihren auf einer Fehlinterpretation Nietzsches beruhenden Flausen vom "Über-Menschen" nach jagten und versuchten, hinauf zu steigen (wobei sie dann endeten wie Ikarus). In der Praxis haben sich freilich beide nicht an ihre schönen Theorien gehalten, denn im Kommunismus setzte sich bald die Auffassung durch, daß einige gleicher sein müßten als gleich (aber das ist eine andere Geschichte); und die Nazis übersahen, daß es in jedem Volke arme und reiche, schöne und häßliche, dumme und kluge Menschen gibt; ein ganzes Volk der einen oder anderen Kategorie zuschlagen zu wollen war einfach lächerlich und mußte schief gehen, weil sich bald alle anderen Völker der Welt auf den Schlips getreten und bemüßigt fühlten, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Und wie viele schöne, große, starke Menschen konnten die Nazis denn vorweisen in ihrer "Führungs"-Riege? Einen einzigen: den [Halb-]Juden Reinhard Heydrich, den sie zum Arier h.c. und zum SS-General machten, damit sie wenigstens einen zum Vorzeigen hatten. (Ja, liebe linke und rechte Leser, Dikigoros ist biestig - aber hat er nicht Recht?) Nebenbei gefragt: Was hatten die beiden gemeinsam? Antwort: Ihren zweiten Vornamen und daß sie ihren ersten Vornamen geändert haben - allerdings in entgegen gesetzte Richtungen: Der Fechter Reinhardt Eugen nannte sich "Reinhard", machte also aus der harten Endung eine weiche, während der Boxer Berthold Eugen es umgekehrt machte und sich "Bertolt" nannte - um den harten Mann zu markieren? Exkurs Ende.]

* * * * *

Und nun wollen wir uns endlich ein paar von Brechts Theaterstücken näher anschauen. Seine ersten Werke hat er, wie böse Zungen behaupten, bei anderen abgeschrieben: "Der kaukasische Kreidekreis" aus der Bibel (1. Könige 3, 16-28, "Urteil des Salomo" - den Titel hat er freilich nicht daher, sondern aus dem chinesischen "Hui Lan Ji", das er wiederum nicht selber gelesen haben dürfte, sondern in der Bearbeitung von Klabund), "Die Dreigroschenoper" bei John Gay ["Beggar's Opera"], "Das Leben Eduards des Zweiten" bei Christopher Marlowe, "Die Mutter" bei Gorkij, "Mutter Courage und ihre Kinder" bei Grimmelshausen und "Don Juan" bei Molière. Na, wenigstens mal einer, der nicht vom Schüttelspeer kommt, könnte man sagen - aber macht es denn einen Unterschied, ob von Shakespeare oder von Marlowe? (Brecht kann die Werke des ersteren wirklich nicht sehr gut gekannt haben, denn im Prolog von "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" - auf das wir gleich kommen werden - vergleicht er allen Ernstes Hitler mit Richard III. Wenn so ein Vergleich von Dikigoros käme, wäre es boshaft gemeint; aber von Brecht ist es einfach nur dumm und peinlich, genauso wie - im selben Stück - die Persiflage auf die Rede des Antonius aus Shakespeares "Julius Caesar", mit der Brecht Hindenburg die Rolle Caesars zuweist und Hitler die des Antonius. Deshalb verkneift sich Dikigoros auch die These, daß Brecht die Doppelrolle des bösen Vetters in "Der gute Mensch von Sezuan" dem Narren in Shakespeares "King Lear" nachempfunden haben könnte, der offenbar die bösartige Seite der guten Cordelia verkörpert, weshalb er auch nie mit ihr zusammen auftritt.) Die englischen Dramatiker haben einen merkwürdigen Hang dazu, ihre Könige schlecht zu machen - entweder müssen sie alle Monster gewesen sein, oder die Dichter alle Verleumder (und die Historiker ihnen aufgesessen - oder umgekehrt). Aber warum interessieren sich auch Nicht-Engländer so auffallend für jene Stoffe? Konkret gefragt: Was faszinierte so unterschiedliche Menschen wie Christopher Marlowe, Bert Brecht und neuerdings auch Mel Gibson an einer Figur wie Edward II? Der Konflikt mit dem übermächtigen Vater? Seine homosexuellen Neigungen zu einem gewissen Gaveton? Die Ermordung von der Hand seiner französischen Ehefrau? Aber das sind doch, historisch und bei Licht besehen, alles keine Besonderheiten! Wie vielen "starken" Herrschern sind nicht "schwache" Söhne gefolgt? (Manche meinen sogar, das sei ein Naturgesetz, worauf Dikigoros freilich entgegnen würde: "Nur wenn die Mutter fremd gegangen ist" - aber gerade in diesem Fall will er das nicht ausschließen.) Und wie viele Herrscher waren (und sind) schwul? Und dieser Gaveton (der übrigens kein Ire war, wie uns der Iren-Feind Marlowe und der unkritische Brecht weis machen wollen - Gibson als Kelten-Freund natürlich nicht -, sondern ein Gascogner, also ein Baske aus Frankreich) war ja nicht irgend ein Weich-Ei, sondern ein erstklassiger Mann, den Edward I höchst-persönlich als Erzieher und Ausbilder für seinen Sohn ausgesucht hatte. Wenn er das nicht gewesen wäre, hätten ihn die edlen Engländer doch nicht umzubringen brauchen, sondern sie hätten ihn als Marionette behalten und durch ihn regieren können - nur Luschen läßt man am Leben. (Schaut doch mal in Eure Bundeshauptstadt, liebe deutsche Leser. Da regiert jetzt auch ein Schwuler, und sicher nicht besser als Edward II. Na und? Hat den schon jemand umgebracht? Eben!) Und die Ermordung durch die eigene Ehefrau? Nun ja, darüber kann man streiten; aber auch die spricht eher für als gegen Edward II, denn wenn er wirklich so schwach gewesen wäre, wie er immer dargestellt wird, hätte sie das ja gar nicht nötig gehabt, sondern statt ihres Sohnes ihren Ehemann als Marionette lenken können. (Und vielleicht mit mehr Erfolg, denn ihr starker Sohn steckte sie nach drei Jahren Regentschaft für die restlichen 28 Jahre ihres Lebens ins Gefängnis :-) Aber all das hat Brecht halt mehr oder weniger gedankenlos abgeschrieben. Was solls, liebe Leser, so erspart Dikigoros sich und Euch wenigstens einen eigenen Exkurs über Marlowe.

Hat Dikigoros da eben "abgeschrieben" gesagt? Das ist ein hartes Urteil. Ebenso gut könnte man sagen, daß Brecht - wie Dikigoros selber - die Parallelen gesehen hat, die zwischen jenen Vorlagen und seiner eigenen Zeit bestanden und daß er sie entsprechend bearbeitet und angepaßt hat. [Viel schwerer wiegt der Vorwurf, den in den 1990er Jahren ein ihm wenig wohl gesonnener Biograf erhoben hat, daß auch diese Bearbeitungen größtenteils gar nicht von Brecht, sondern vielmehr von Benno Besson und Elisabeth Hauptmann stammen - aber für diese Diskussion muß Dikigoros auf seine Leseempfehlungen auf der Startseite verweisen.] Nun, bei Licht besehen waren das ohnehin keine Stoffe, die historische Persönlichkeiten verzerrt hätten - ein guter Marxist, der Brecht war, hatte ja nicht auf die die Geschichte formende Kraft einzelner Persönlichkeiten abzustellen, sondern vielmehr auf die der anonymen Massen. Dennoch will Euch Dikigoros hier vor allem drei Werke vorstellen, bei denen Brecht von diesem ehernen kommunistischen Grundsatz abgegangen ist, und die er selber - der er nun mal kein Kommunist ist - zwar nicht für die besten, aber für die interessantesten hält, und mit denen er zufällig (?) auch als ersten in Berührung gekommen ist. Das erste hat er auf der Schule gelesen, das zweite auf der Universität, und das Thema des dritten hat ihm seine Mutter nahe gebracht, die Brecht zwar nie gelesen hat, aber den historischen Hintergrund jenes Stücks - im Gegensatz zu Brecht, der im Ausland weilte - persönlich mit erlebt hat.

In Unterprima (für jüngere Leser: So nannte sich damals die 12. und vorletzte - künftig wohl bald letzte - Jahrgangs-Klasse eines Gymnasiums) wurde Dikigoros von seinem Deutsch-Lehrer alberner Weise nicht "Tarzan" genannt - wie von allen anderen -, sondern "der gute Mensch von Sezuan"; und er ist sich bis heute nicht sicher, wie das gemeint sein sollte. Gewiß, sie hatten dieses Stück von Brecht im Unterricht gelesen (es gehörte zum Pflichtstoff, den das sozialistische Kult-, pardon Kultus-Ministerium für die Lektüre an höheren Schulen vorgeschrieben hatte); aber so recht schlau waren sie daraus nicht geworden. Irgendeine Dumpfbacke von Literatur- und Theater-Kritiker (nein, liebe Leser, nicht Marcel Reich-Ranicki - der ist gar nicht so dumm, wie er immer tut :-) hat mal geschrieben, dieses sei Brechts geschlossenstes Stück. Tatsächlich ist es wohl sein zerrissenstes; und die Umstände seiner Entstehung erklären auch, warum. (Auf der Schule war es Dikigoros und seinen Mitschülern immer streng verboten, so etwas mit in Betracht zu ziehen - seine Lehrer bestanden auf einer so genannten "werk-immanenten" Interpretation, d.h. ein Schrift- oder Theaterstück mußte betrachtet werden wie unter einer Käseglocke, abstrahierend, d.h. fein säuberlich getrennt von der Welt, in der es [ent]stand.)

[Dikigoros' Deutschlehrer in Unterprima bei der werk-immanenten Interpretation Brechts]

Wohl nichts ist so bezeichnend wie die Freud'sche Fehlleistung, die sich Brechts westdeutscher Herausgeber (Suhrkamp) in der Textausgabe von 1965 geleistet hat, als er gegen Ende des 7. Auftritts Wang sagen läßt: "Er [der Vetter] ist kein böser Mensch, aber Shen Te ist gut." (Richtig muß es heißen: "... ein böser Mensch".)

(...)

Angefangen zu schreiben hat Brecht das Stück 1938, als die Welt für einen guten Kommunisten noch in Ordnung war: Im Reich saßen seit fünf Jahren die bösen Nazis (Brecht war noch 1933 aus Deutschland geflohen, erst in die Schweiz, dann nach Dänemark, wo er "Furcht und Elend des Dritten Reiches" schrieb - das freilich erstmal niemand aufführen wollte). Die hatten gerade das arme Deutsch-Österreich gegen den erklärten Willen von fast 1% der Bevölkerung heim ins Reich geholt, als erstes Opfer ihrer kriegerischen Aggressionen. (Darauf kommen wir gleich noch einmal zurück.) In Rußland, pardon in der Sowjet-Union, saßen dagegen die friedliebenden Kommunisten und Antifaschisten. Brecht hatte 1935 Moskau besucht und dabei - neben Kollegen wie Tretjakow und Eisenstein - auch den chinesischen Schauspieler und Dramaturgen Mei Lan-fan getroffen, der ihn auf die Idee brachte, eines seiner nächsten Stücke in China spielen zu lassen (dort kämpfte gerade ein gewisser Mao Tse-tung gegen die "nationalistische" Regierung von Tschiang Kai-schek). Gewiß, in der SU war auch nicht alles Gold, was glänzte, aber darüber sah man damals hinweg oder sprach es wenigstens nicht aus, geschweige denn daß man es nieder geschrieben hätte. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Auch wenn man nur das Beste wollte vom Volk, pardon für das Volk, wie Shen Te, mußte man es manchmal hart anpacken, wie ihr Vetter und alter ego Shui Ta, um sein Überleben zu sichern. (Der große Kulturfilosof und Menschenkenner Sigmund Freud schrieb damals, daß die meisten Menschen und Völker ohne Zwang nicht einmal bereit wären, so viel zu arbeiten, daß es ausreichte, um sich selber vor dem Verhungern zu bewahren. [Für alle, die es nicht glauben wollen: "Die Zukunft einer Illusion", Kapitel 1, Seite 3.] Auf die Russen traf das unzweifelhaft zu.) Also wohnten zwei Seelen, ach, in einer Brust, und es ist ganz offensichtlich, daß diese Doppelrolle ursprünglich als "Parabel" auf den guten Onkel Joe Stalin gedacht war. Dann, 1939, geschah das Unfaßbare: Joe der Gute schloß ein Bündnis mit Adolf dem Bösen von Nazi-Deutschland!

Damals war Brecht längst auf Reisen gegangen: Ende Januar 1933 war Hitler Reichskanzler geworden, Ende Februar 1933 brannte der Reichstag, und Brecht ging ins Exil: Erst nach Prag, dann nach Wien, dann nach Zürich, dann nach Kopenhagen, dann, im Mai 1939 - also noch vor dem Hitler-Stalin-Pakt - nach Stockholm. Später hat Brecht behauptet, daß er "Der gute Mensche von Sezuan" noch dort zuende geschrieben habe, aber das glaubt ihm Dikigoros nicht: Erstens hat er das Stück gar nicht richtig zuende geschrieben - wenn Ihr es Euch mal genau anschaut, ist es nicht nur formell, durch den Schlußabsatz, sondern auch inhaltlich eigentlich ein Fragment; Brecht wußte nicht mehr weiter, wie er es zu einem braven, linientreuen Abschluß bringen sollte und ließ es einfach im Nichts enden. Und das spricht wiederum dafür, daß sich Brecht, als er das Stück so ohne echten Schluß "abschloß", d.h. die Arbeit daran beendete, bereits in Helsinki befand, wohin er erst 1940 weiter reiste, also nachdem Hitler und Stalin sich Polen geteilt hatten. (Angeblich tat er das, weil er sich wegen des Norwegen-Feldzugs in Schweden nicht mehr sicher fühlte. Er zeigte sich den Schweden gegenüber ziemlich undankbar, indem er den hetzerischen Einakter "Was kostet das Eisen?" schrieb, in dem er ihnen Kollaboration und Kriegsgewinnler-Mentalität unterstellt. Und dem schwedisch-stämmigen Charles Lindbergh unterstellte er in "Der Ozeanflug", ein Nazi zu sein: "Der Unselige zeigte den Hitlerschlächtern das Fliegen mit tödlichen Bombern. Darum sei sein Name ausgemerzt." Ob Brecht diesen Unsinn wirklich glaubte? (Für alle, die es nicht wissen sollten: Der Erfinder sowohl des Jagdflugzeugs als auch des Bombers war der französische Fliegerheld Roland Garros.) Bitte beachtet, daß er sich selber am Ende eines Verbs bedient, das heute als "Nazi-Vokabular" ausgemerzt, pardon, verpönt ist.) Im Mai 1941 - also zu einer Zeit, als Hitler und Stalin nach außen hin noch beste Freude und Verbündete waren - reiste Brecht, wie so viele deutsche Emigranten, mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok, und von dort weiter mit dem Schiff nach Kalifornien, ins piekfeine Santa Monica, wie das einem "Proletarier" wohl anstand. Dort konnte er dann in aller Ruhe abwarten, bis der gute Onkel Joe Stalin wieder auf den rechten, pardon auf den linken Weg zurück fand.

(...)

Wie war das mit dem Schlußabsatz: "Das ist kein rechter Schluß", schrieb Brecht, und fragte, wie man dieses Dilemma lösen könnte: "Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt? Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?" Die Kommunisten haben ihre Antwort gegeben, und die war falsch: Sie haben andere Götter gesetzt - die keine waren, wie Ignazio Silone einmal schrieb - und versucht, andere Menschen zu schaffen und eine andere Welt, freilich mit völlig untauglichen Mitteln: Sie haben versucht, den neuen Menschen, den "homo communisticus" durch Umerziehung hinzubekommen (was noch naiver ist als der Versuch, das durch Umzüchtung zu bewerkstelligen, aber das ist eine andere Geschichte). Gleichwohl ist das die Antwort, für die sich auch Brecht persönlich entschieden hat, wie wir gleich sehen werden, wenn wir auf "Der Kaukasische Kreidekreis" zu sprechen kommen.


Adolf Hitler alias "Arturo Ui"* - Szenenbild von "Arturo Ui" - Cover der englischen Ausgabe von "Arturo Ui"

*(Titelbild der Taschenbuchausgabe von "Monologe im Führer-Hauptquartier 1941-1944" von 1982. Es handelt
sich um eine Fälschung. Das Original entstand im August 1939, bei der Rückkehr der Ribbentrop-Delegation,
die in Moskau den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt unterzeichnet hatte. Die rechte Hälfte des Bildes
wurde abgeschnitten, weil darauf der Vater des ehemaligen Bundespräsidenten v. Weizsäcker zu sehen ist.)

Doch nachdem der Hitler-Stalin-Pakt gebrochen war, machte sich Brecht erstmal daran, ein Propagandastück gegen Hitler zu schreiben, um den Amerikanern zu zeigen, wie es zu dessen Aufstieg gekommen war und wie man ihn hätte verhindern können. (Angeblich hatte Brecht es bereits in Finnland abgeschlossen, aber auch das glaubt ihm Dikigoros nicht.) Er nannte es: "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" und versetzte es in die Unterwelt von Chicago, frei nach Al Capone, mit Adolf Hitler als "Arturo Ui", Hindenburg als "Dogsborough [Hundeburg]", Dollfuß als "Dullfeet [eingeschlafene Füße]", Josef Goebbels als "Giuseppe Givola", Ernst Röhm als "Ernesto Roma", Hermann Goering als "Emanuele Giri" und der Parteien-Mafia, pardon, den Vertretern der bürgerlich-kapitalistischen Parteien als "Karfiol-Trust". (Für des ostmärkischen Dialekts nicht mächtige Leser: Das ist Blumenkohl, so wie "Erdäpfel" Kartoffeln und "Paradeiser" Tomaten sind :-) Gewöhnlich skizziert Dikigoros in den Kapiteln dieser seiner Reise durch die Vergangenheit des Theaters erst kurz den Inhalt der vorgestellten Stücke, um dann zu fragen: "Und wie war es wirklich?" Aber hier will er es ausnahmsweise einmal umgekehrt machen. Nein, er will keine "wissenschaftliche" Erklärung für den Aufstieg Hitlers geben, geschweige denn darüber spekulieren, wer ihn wie, wo und wann hätte aufhalten können, sollen oder müssen; er will nur ein paar Kleinigkeiten aus der Geschichte seiner eigenen Familie zum besten geben, weil er meint, daß sie der Nachwelt überliefert werden sollten. Nicht weil sie so einmalig wären - ganz im Gegenteil: so dürfte es Millionen anderen damals auch gegangen sein -, sondern weil die Wahrheit heute tot geschwiegen wird: Die Großeltern sind gestorben (und "die Toten reden nicht" [Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Szene 18]), die Eltern erzählen ihren Kindern nichts mehr, weil sie Angst haben müssen, als "alte Nazis" denunziert zu werden, und bald werden auch sie gestorben sein, und die Kinder und Enkel werden diese Geschichte nur noch von den staatlich besoldeten Berufs-Historikern erfahren, die, wenn man Brecht glauben darf (und in diesem Fall tut Dikigoros es einmal, nicht ohne anzumerken, daß sich Brecht auch bei diesem Zitat ein Bild aus der Boxersprache nicht verkneifen konnte :-) alles mögliche schreiben werden - nur nicht die Wahrheit:

"Immer doch schreibt der Sieger die Geschichte der Besiegten.
Dem Erschlagenen entstellt der Schläger die Züge.
Aus der Welt geht der Schwächere,
und zurück bleibt die Lüge."

Dikigoros' Eltern waren zu jung, um im "Dritten Reich" selber zu wählen (während des Krieges wurde nicht gewählt - auch nicht in den so genannten "Demokratien" der Alliierten), aber wenn sie alt genug gewesen wären, hätten sie wahrscheinlich dasselbe gewählt wie (fast) alle anderen auch, nämlich NSDAP. Warum? Weil ihre Eltern es auch taten? Nein - die taten es nämlich gar nicht. Warum taten es dann die anderen? Weil sie die Juden vergasen wollten? Weil sie etwas gegen die Demokratie hatten? Welchen vernünftigen Grund sollten sie sonst gehabt haben, so eine böse Partei zu wählen? Dikigoros' Großvater Urs wählte - natürlich - SPD, denn er war Arbeiter.

[Urs' Arbeitsplatz - Sauerstoffwerk der Linde AG in Wilhelmsburg] [Schrebergärten hinter den Mietskasernen am Vogelhüttendeich in Wilhelmshaven]

Gewiß, es ging ihm dreckig, finanziell und vor allem gesundheitlich, denn die Arbeit in der Fabrik war schlecht bezahlt (für die besser bezahlte, etwa im Hamburger Hafen, nahm man keine kränklichen Schwächlinge, sondern nur richtige "Kleiderschränke") und anstrengend, aber was sollte er machen - er hatte halt nichts gelernt außer Soldat. (Als seine Militärdienstzeit zuende ging, brach der "Große Krieg" aus, wie man den Ersten Weltkrieg damals noch nannte, und danach gehörte der kleine Bauernhof der Eltern - der aber eh nicht ausgereicht hätte, um alle Söhne zu ernähren - mit einem Male zu Polen; und für Flötenspielen - er war Pfeifer im Musikzug seines Regiments gewesen - gab niemand mehr etwas.) Egal, für Kommißbrot und Buttermilch reichte es, auch um einen winzigen Schrebergarten hinter dem Vogelhüttendeich zu pachten, auf dem man Kartoffeln, Bohnen und Gurken anbauen konnte - davon wurde man zwar nicht fett, aber man hungerte auch nicht. Was versprachen die Nazis? "Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an." Na ja, aber Brot hatte man doch wieder; und für "die Freiheit" womöglich noch einmal in den Krieg ziehen? Wessen Freiheit denn? Die der "Volksdeutschen" jenseits der Reichsgrenzen? Seine 5 Brüder waren im Kreis Bromberg geblieben, polnische Staatsbüger geworden - selber schuld, die sollten sich gefälligst selber helfen, er hatte mit ihnen endgültig gebrochen.

[Ein Indiz dafür ist, daß er seinen Sohn nach keinem von ihnen nannte, sondern nach sich selber "Urs" - das ist verwechslungsfähig, aber aufmerksame Leser werden schon aus dem Zusammenhang erkennen, wer gemeint ist. Übrigens sollte das später im Krieg einen nicht zu unterschätzenden Vorteil haben: Dikigoros' Vater schickte vom Sommer 1943 bis zum Sommer 1944 seine "Reichskarte für Urlauber" nach Hause; da Name, Anschrift und Dienstgrad - Gefreiter - identisch waren, bekam Urs senior auf die - eigentlich nicht übertragbare - Karte jedes Mal 290 gr Brot, 50 gr Wurst und 30 gr Butter extra. Natürlich nicht im Laden nebenan - das wäre aufgefallen -; aber diese Urlauberkarten galten auch in Gaststätten; da lohnte es sich schon, ein paar Haltestellen nach auswärts zu fahren - in Hamburg selbst gab es seit der "Operation Gomorrha" eh so gut wie nichts mehr, auch nicht mit Karte, denn alle Gaststätten waren zerbombt -, um sich mal einen Abend richtig satt zu essen. Diese Karten gab es regelmäßig, denn Urs junior wurde der Urlaub immer wieder gestrichen, weil es an der Front immer wieder brannte, dann erneut bewilligt, gestrichen usw., und die Urlauberkarte mußte ja immer wieder neu ausgestellt werden, weil die Gültigkeitsdauer begrenzt war. Dikigoros' Vater war während dieser Zeit kein einziges Mal auf Heimaturlaub; aber das war nicht weiter schlimm; sie schrieben einander fast jeden Tag ein paar Zeilen, und in Italien gab es, anders als im Reich, "noch immer alles", wenn auch "zu Wucherpreisen". Und da wir gerade bei Nachträgen sind: Dikigoros hatte oben geschrieben, daß der kleine Hof seiner Urgroßeltern nicht ausgereicht hätte, um alle Söhne zu ernähren. Wohl wahr - aber nur die halbe, ja nicht mal die halbe Wahrheit. Denn erstens hatte Urs gar nicht 5 Brüder, wie er immer behauptete. Ein Familienfoto, von dem Dikigoros nicht mehr weiß, wie es in seinen Besitz gelangte - er fand es irgendwann zwischen alten Unterlagen - zeigt ihn mit seinen Eltern, drei Brüdern und zwei Schwestern - er hatte einfach aus einer Ricarda einen Richard und aus einer Alexandra einen Alexander gemacht. Warum? Hatte er Probleme mit Frauen? Die Familiensage geht, daß er seine Mutter haßte, weil sie ihm die jüngeren Geschwister vorgezogen habe, während sie ihn als Ältesten zwang, von klein auf mitzuarbeiten. Aber das ist doch ganz normal, daß Mütter sich immer um das jeweils jüngste Kind am meisten kümmern und daß Kinder auf einem Bauernhof früh mitarbeiten müssen - oder? Darob würde doch kein halbwegs gescheiter Sohn seine Mutter hassen! Aber noch etwas spricht gegen die Richtigkeit dieser Legende: Die Frau auf dem Foto sieht aus wie die Zwillingsschwester von Dikigoros' Großmutter; wenn es noch eines Beweises für die These bedarf, daß sich ein Mann die Partnerin nach dem Bild der Mutter sucht - bewußt, unbewußt oder unterbewußt -, hier ist es! Und zweitens reichte der Hof nicht mal aus, um auch nur eine Familie ordentlich zu ernähren - jedenfalls schlugen die Kinder allesamt die Erbschaft aus; und der Hof - auf dem wohl auch noch eine kleine Grundschuld lag, die sich niemand ans Bein binden wollte - fiel an den Staat. Nach dem Polenfeldzug hätte Urs einen Antrag auf Rückübereignung stellen können, aber er verzichtete dankend. Recht hatte er - nach dem Krieg wäre er eh wieder enteignet und vertrieben und das Land irgendeiner Kolchose zugeschlagen worden.]

In Deutschland wollte man sich erstmal von der eigenen Misere befreien. Seine Schwägerinnen und Schwäger - Dikigoros' Großtanten und -onkel - waren allesamt arbeitslos bzw. mit Männern verheiratet, die arbeitslos waren, obwohl sie fast alle einen ordentlichen Beruf erlernt hatten (zumeist Maurer - einer hatte es sogar zum Polier gebracht und war damit für seinen Neffen, Dikigoros' Vater, eine absolute Respektsperson -, aber wer baute schon noch?). Das war ein bitteres Los, weit bitterer, als es sich die Arbeitslosen von heute bei allem Gejammere vorstellen können. (Damals sind in Deutschland noch Menschen verhungert und erfroren!) Brecht hat es ja beschrieben, in "Furcht und Elend des Dritten Reiches": Wer stempeln ging bekam 26,80 Mark im Monat. Und wenngleich die Kaufkraft der Mark damals erheblich höher war als die Kaufschwäche des Teuro heute (Ihr dürft in etwa ein Null dran hängen, liebe Leser), war das noch immer erbärmlich wenig. Da Brecht seit 1933 nicht mehr in Deutschland lebte wußte er nicht, daß er da nur die Zustände in den ach-so-goldenen Jahren der "Weimarer Republik" schilderte; im Dritten Reich herrschte, als er das 1936 schrieb, schon längst Vollbeschäftigung; es kam also alles ganz anders als auf den Wahlplakaten der SPD und der KPD dargestellt.

[Der Arbeiter im Reich des Hakenkreuzes - SPD-Wahlplakat von 1932] [Wie im Mittelalter... so im Dritten Reich - KPD-Wahlplakat] [Wappen von Harburg-Wilhelmsburg 1931-37]

Habt Ihr auch mal den Vorwurf gehört, "die" Deutschen hätten ja, bevor sie Hitler wählten, "Mein Kampf" lesen können? Aber das Buch zu kaufen hätte einen Wochenlohn gekostet - das war es Dikigoros' Großvater nicht wert -, und in der Leihbücherei stand es nicht. (In Wilhelmsburg-Veddel gab es eine "Bücherhalle", in der die Ausleihe "nur" 5 Pf kostete, was freilich für die Bewohner jenes ärmsten aller armen Stadtteile Harburgs - die Eingemeindung nach Hamburg erfolgte erst 1937 - so billig auch nicht war, aber das hätte Urs vielleicht noch investiert.) Es steht da auch heute noch nicht; und die Frage muß erlaubt sein, ob das nicht vielleicht ein Fehler war - und ist. Wart Ihr zufällig 2013 auf der "Internationalen Gartenschau [IGA]" in Hamburg-Wilhelmsburg? Wahrscheinlich nicht, denn noch nie war eine Bundesgartenschau (etwas anders war es ja eigentlich nicht, bloß mit neuem Namen :-) so schlecht besucht, und noch nie hat sie einen derart hohen Verlust gemacht (fast 40 Millionen Euro, munkelt man - die exakten Zahlen werden unter Verschluß gehalten) - was einen nicht wundern darf: Wer will schon nach Wilhelmsburg? Es wurde z.B. für viele Millionen extra ein neuer, schiffbarer Kanal gebuddelt, aber kein Schiffer war bereit, Wilhelmburg anzufahren, denn das ist heute ein "sozialer Brennpunkt", wie man beschönigend sagt, und das hat sich herum gesprochen, nicht nur weil der "Arbeitskreis Umstrukturierung [AKU]" ganz offen propagiert, Wilhelmsburg, die einstige Elbinsel, zu einem "Lampedusa in Hamburg" zu machen, d.h. möglichst alle "Flüchtlinge", die dort auflaufen, hierher zu holen - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle. Hier will er auf etwas anderes hinaus, nämlich auf den abstrusen "Bücherturm", den man zur IGA errichtet hat, angesichts dessen er sich fragte, ob Bücher denn wirklich nicht mehr zum lesen, sondern nur noch zu solchen Albernheiten "gut" sein sollen - wie viele Exemplare von "Mein Kampf" hätte man für die Millionen, die jene Veranstaltung verschlungen hat, drucken und unters Volk bringen können, damit sich die mündigen Bürger endlich mal ein eigenes Bild machen können?

[Lampedusa in Hamburg] [Der Bücherturm von Wilhelmsburg - IGA 2013] [Mein Kampf (1. Band)]

Oder ist etwa vieles von dem, was in "Mein Kampf" steht, heute immer noch - oder wieder - so aktuell, daß es für die Herrschenden gefährlich sein könnte, wenn ihre Untertanen es lesen und darüber nachdenken dürften, was da über den Parlamentarismus im allgemeinen und über die Parteien-Demokratie im besonderen steht? Dikigoros maßt sich nicht an, diese Frage abschließend zu beantworten; aber er hat Euch mal verlinkt, was Leser aus Staaten, in denen das Buch (noch) nicht verboten ist, darüber geschrieben haben - wohlgemerkt keine bösen deutschen Neonazis, sondern ganz harmlose Rezensenten auf der Webseite von Amazon, z.B. aus England oder aus den USA - ohne Kommentar. (Dikigoros besitzt übrigens selber keine authentische, d.h. bis 1945 in Deutschland gedruckte Ausgabe von "Mein Kampf", sondern lediglich ausländische Raubdrucke. Er hat sich aus fast jedem Land, das er bereist hat und dessen Sprache er einigermaßen beherrscht, eine Übersetzung mitgebracht; und obwohl er sie z.T. über viele Grenzen schmuggelntransportieren mußte - vor allem über die eine, die letzte, zur BRD - ist nie ein Exemplar entdeckt, geschweige denn beschlagnahmt worden :-)

[Exkurs. André François-Poncet, 1931-38 französischer Botschafter in Berlin, schrieb nach dem Krieg in seinen Memoiren selbstgerecht - und "die" Deutschen anklagend -, die hätten selbst dann wissen müssen, was Hitler vorhatte, wenn sie seine Bücher nicht gelesen hätten, denn das sei ja auch das Programm seiner Wahlkämpfe gewesen. Ach ja? Hand aufs Herz, liebe Leser: Habt Ihr das Programm der Partei, für die Ihr bei der letzten Wahl Euer Kreuzchen gemacht habt oder bei der nächsten Wahl Euer Kreuzchen zu machen gedenkt, gelesen? Oder trifft auf Euch der Spruch zu: "Wenn die Deutschen sich vor dem Kauf einer Waschmaschine so gut informieren würden, wie sie es vor Wahlen tun, dann würden sie mit einer Mikrowelle nach Hause kommen!"? Und wenn Ihr denn zu den positiven Ausnahmen gehört, die das Programm doch gelesen haben - haben sich die Damen und Herren Politiker, nachdem Ihr sie gewählt hattet, daran gehalten? Oder habt Ihr hinterher feststellen müssen, daß sie Euch verkohlt, verschrödert oder vermerkelt haben?

[Politiker und Wähler] [wie gehabt...]

Oder, wenn Ihr US-Amerikaner sein solltet, seid Ihr nach dem Rausch einer Wahlnacht auch schon vercartert, verclintont, verbusht oder verniggertverbarackt aufgewacht? Und wenn Ihr Franzosen seid, wie Monsieur F.-P., dann darf Dikigoros das gar nicht in eine Frage kleiden, ohne rot zu werden, sondern muß es vielmehr als Aussagesatz formulieren: Noch nie hat ein französischer Politiker nach seinem Wahlsieg seine Wahlversprechen gehalten. Im besten Fall hat er sie vergessen, im schlimmsten Fall das genaue Gegenteil von dem getan, was er vorher versprochen hatte. De Gaulle ließ sich mit dem Versprechen, Algerien zu verteidigen, wählen; dann fiel er den französischen Siedlern in den Rücken und setzte sogar sein Militär gegen sie ein - anderthalb Millionen wurden mit seiner Beihilfe von den muslimischen Terroristen ermordet oder vertrieben. Sarkozy versprach im Wahlkampf, mit der muslimischen "racaille [Pack]", welche die Vororte der französischen Vorstädte terrorisierte, aufzuräumen - was tat er, nachdem er gewählt war? Er stellte die Muslime in Frankreich unter seinen ausdrücklichen Schutz vor "Diskriminierungen" und "Beleidigungen" und fuhr gleich nach Amtsantritt zum libyschen Diktator Gaddafi, um ihm französische Kernkrafttechnologie zu verkaufen, damit dieser endlich sein erklärtes Ziel, Israel mit Atombomben von der Landkarte zu tilgen, verwirklichen konnte. Als Gaddafi von diesem Ziel Abstand zu nehmen wagte, begann Sarkozy unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand Krieg gegen Libyen und brachte dort islamische Fundamentalisten an die Macht, von denen er sich Wiederaufnahme der früheren Politik Gaddafis versprach. Wenn sie es tun, dann wird der vom Judentum abgefallene Muslimfreund Sarkozy also am Holocaust - dem wahren Holocaust, der zur vollständigen Vernichtung der Juden in Israel führen wird - schuld sein. Und? Haben "die" Franzosen das gewußt oder hätten sie es wissen müssen? Woher denn? Und wie war das mit "den" Deutschen? Mußten sie damit rechnen, daß Hitler seine Wahlversprechen halten würde? Hatte er nicht auch seine "braune" Revolution verraten und Röhm an die Wand stellen lassen? Und war nicht eine seiner ersten Amtshandlungen - noch vor Abschluß des Konkordats mit der katholischen Kirche in Rom - der Abschluß des Ha'avara-Abkommens mit den deutschen Zionisten gewesen, die er unter seinen ausdrücklichen Schutz stellte (und deren Auswanderern nach Palästina er massive finanzielle Förderung angedeihen ließ)? Papier war offenbar geduldig - auch das, auf dem "Mein Kampf" gedruckt worden war! Wie gesagt, Dikigoros' Großeltern hatten es ohnehin nicht gelesen, aber der Witz ist ja: Selbst wenn sie es getan hätten - stand denn da etwas von Judenvergasungen? Eben nicht, wenngleich reichlich böse Sätze gegen "die" Juden darin vorkamen; aber der Anti-Semitismus war nun wahrlich keine Erfindung Hitlers und kein auf Deutschland beschränktes Fänomen. Was hätten "die" Deutschen jener Zeit trotzdem wissen können oder gar müssen? Dikigoros' Vater wußte definitiv nichts. Als der "Holocaust" begann, war er 17 und schon an der Front, und dort blieb er bis Kriegsende, nur unterbrochen von zwei Lazarett-Aufenthalten, zwei Lehrgängen und je zwei Genesungs- und Heimaturlauben von wenigen Tagen. Beim letzten, im Dezember 1944 im völlig zerbombten Hamburg, lebte sein Schulfreund Siegfried - Volljude und Offiziersanwärter der Waffen-SS - noch, ebenso dessen Schwester und Eltern; sie wurden erst 1945 von den alliierten Besatzern ermordet. (Nein, nicht im Kampf getötet oder "hingerichtet", sondern schlicht ermordet, wohlgemerkt von den sonst so korrekten Briten: der Sohn, weil er SS-Offizier war, die Tochter, weil sie sich gegen die - damals übliche - Vergewaltigung zur Wehr setzte, und die Eltern, weil sie sich gegen die Beschlagnahme ihres Häuschens - eines der wenigen in Hamburg, die noch halbwegs bewohnbar waren - zur Wehr setzten.) Sie sind alle vier mit in die berühmt-berüchtigte 6-Millionen-Statistik eingegangen, die Ihr ja zur Genüge kennt. Und Dikigoros' Mutter? Sie hatte nichts gesehen, aber gehört, denn sie diente in einem Stab, wo viel getratscht wurde, vor allem von den Reservisten; und sie glaubte sogar das meiste, was sie hörte. Aber glauben ist nun mal nicht wissen - und was hätte sie denn tun können, als kleine Wehrmachtshelferin? Etwa so viel wie der französische Sarkozy-Wähler des Jahres 2007, der wutentbrannt mit ansehen muß, wie der Präsident der Republik sein Volk verrät und verkauft. Leider hat Frankreich keinen Brecht, der das in seinen Theaterstücken geißeln würde - und wenn es einen hätte, dann würden Sarkozy, Hollande, Macron und ihre Schergen wohl wissen, ihn (mund)tot zu machen, denn Kritik am islamischen Terror ist strafbar - das hat bekanntlich schon Brigitte Bardot erfahren müssen. Exkurs Ende.]

Überhaupt war der Trend zum Zweitbuch, zumal in Arbeiter-Kreisen, in den 1920er und 1930er Jahren noch längst nicht so stark ausgeprägt wie später, im Zeitalter von Simmel, Konsalik und Harry Potter: Die meisten Arbeiter hatten allenfalls eine Familienbibel (wenn sie Katholiken waren nicht einmal das); Dikigoros' Großeltern hatten darüber hinaus noch die "Germanischen Götter- und Heldensagen" - ein Erbstück -, und lagen damit schon 100% über dem Durchschnitt.

[Auf Nachfragen schockierter Leser: Nein, etwas mehr gab es schon, aber nicht viel. Vor 1945 - d.h. bevor die billigen Ro-Ro-Ro-Taschenbücher auf den Markt kamen - besaß Urs neben den beiden erwähnten nur eine Handvoll Bücher: "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque - das hatte ihm ein ehemaliger Regimentskamerad zum Geburtstag geschenkt -, zwei historische Romane von Mirko Jelusich (über Caesar und Hannibal, nicht dagegen seinen bekanntesten über Cromwell, denn der erschien erst 1933, und Urs hatte schon den 7 Jahre älteren Cromwell-Roman "Die eiserne Gnade" von Hellmuth Böttcher, und zwei Bücher über dasselbe Thema wären des Guten doch etwas zuviel gewesen :-), zwei Sachbücher von Anton Zischka, zwei von Hermann Löns ("Mümmelmann" und "Was da kreucht und fleucht"), ein Lehrbuch der französischen Sprache zum Selbststudium und ein paar zerfledderte Notenhefte. Alles andere kam aus der und ging zurück an die Leihbücherei. (Was notierte er 1933 aus gegebenem Anlaß in sein Tagebuch: "In Wilhelmsburg gab es keine Bücherverbrennung; bei uns gab nichts zu verbrennen.") Ach so, es gab noch zwei weitere Bücher in der Familie, aber die gehörten Dikigoros' Vater: Das erste war "Heia Safari!" von Paul v. Lettow-Vorbeck - das hatte er zum Schulabschluß von seinem Klassenlehrer bekommen, genauer gesagt vom Schulleiter durch seinen Klassenlehrer, der "im Auftrag" unterschrieben und das Schulsiegel drunter gesetzt hatte. (Dikigoros bekam zum Schulabschluß von seinem Direktor die Memoiren von Max Frisch - das langweiligste Buch, das er je gelesen hat - und fühlte sich ziemlich verarscht.) Urs dagegen fühlte sich nicht verarscht, im Gegenteil: er war von Afrika begeistert, und als er von seinem RAD-Einsatz in Rußland zurück kam, meldete er sich zu Rommels Afrikakorps. (Er hatte allerdings Pech: Bevor er ankam, hatten die deutschen Truppen im Kessel von Tunis schon kapituliert, und er blieb in Italien hängen.) Sein zweites Buch war "Der Glaube an Deutschland" - die Weltkriegs-Memoiren des königlich-bayrischen Vize-Feldwebels Hans Zöberlein, die ihn jedoch weniger beeindruckt haben müssen - er hat sie seinem Sohn gegenüber nie erwähnt; Dikigoros fand sie erst in seinem Nachlaß. (Einem Tagebucheintrag seines Großvaters - der sie selber nicht gelesen zu haben scheint - entnahm er jedoch, daß seine Großmutter sie wahnsinnig spannend fand :-)]

Statt Büchern las man in Arbeiter-Familien eher die Zeitung. Dikigoros' Großvater, der kein Geld für ein eigenes Abo hatte, bekam sie von einem Nachbarn, mit einem Tag Verspätung - na wenn schon. Es war zufällig der "Völkische Beobachter" - na wenn schon, einem geschenkten Gaul... außerdem fing man eh hinten zu lesen an, und über den Sportteil kam man nur selten hinaus. (Was lest Ihr denn bevorzugt, liebe Leser, wenn Ihr mal eine Zeitung kauft? Eben.)

Exkurs. Einmal war er sogar froh, daß es der VB war, nämlich im März 1933, als die SA völlig überraschend und ohne einen konkreten Anlaß Hausdurchsuchungen in den "roten" Arbeitervierteln Hamburgs und seiner Vororte vornahm. (Nun ja, ohne direkten Anlaß; aber der "Altonaer Blutsonntag" von 1932 war noch nicht vergessen, als die Kommunisten - und womöglich auch die sie unterstützende Polizei, die einen SPD-Bonzen zum Präsidenten hatte - mehrere hundert in den Arbeitervierteln demonstrierende SA-Leute ermordet oder schwer verletzt hatten. [In den heutigen Lügenmedien werden die Ereignisse zugunsten der KPD und der SPD "geschönt"; aber damals war die Wahrheit noch allgemein bekannt; die "Roten" machten ja garkeinen Hehl daraus, sondern waren ganz im Gegenteil noch stolz darauf; auch Dikigoros' Großvater fand es gut, daß die "Braunen" mal "eine ordentliche Abreibung bekommen" hatten!]) Damals legten Leute, die es nicht so dicke hatten, ihre Schrankfächer und -schubladen nicht mit feinem Krepp o.ä. aus, sondern mit alten Zeitungen. Als die SA-Männer sahen, daß das der VB war, beendeten sie die Durchsuchung sofort. Der Wohnungsnachbar dagegen hatte seinen Schrank mit einer kommunistischen Zeitung ausgelegt; da suchten sie intensiv weiter und fanden schließlich irgendeine alte, verrostete Waffe. Die nahmen sie mit, ihren Besitzer auch, und von ihm ward nichts mehr gehört oder gesehen. Dikigoros' Großvater hütete sich, irgendwo nachzufragen - es hätte dem Betroffenen ja nicht geholfen, höchstens ihm selber Scherereien eingetragen. [Seht Ihr, liebe Leser, und so dachten und handelten - bzw. unterließen zu handeln - auch die meisten anderen Volksgenossen, wenn jemand "abgeholt" wurde. Und wenn Ihr ehrlich seid, dann hätten es die meisten von Euch doch genauso gemacht - und würden es heute noch so machen!] Exkurs Ende.

Irgendwann hatten Dikigoros' Großonkeln und -tanten alle Regierungs-Parteien einmal durch gewählt, ohne daß sich etwas zum Besseren gewendet hätte - im Gegenteil: Der Scheiß-Brüning von der katholischen Zentrums-Partei (für Leser, denen das nichts mehr sagt: das war die Vorläuferin der CDU), seines Zeichens Reichskanzler, gab sich immer so "christlich-sozial" und "demokratisch"; dabei regierte er quasi-diktatorisch mit Notstands-Verordnungen von Hindenburgs Gnaden (nicht anders, als es nach ihm die Barone v. Papen und v. Schleicher tun sollten), aber nicht wie er Politik machte regte die Leute auf (Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung erlaubte das nun mal), sondern was er für Politik machte: Er sparte, von den Beamtengehältern, die er pauschal um 20% senkte, bis zur ohnehin knappen Sozialhilfe, die er nochmal kräftig kürzte. (Nicht daß Ihr glaubt, liebe Leser, daß die Beamten das doch wohl leicht verknusen konnten angesichts der schnell einsetzenden Deflation: Damals war noch nicht jeder zweite im gehobenen oder höheren Dienst, sondern die meisten waren im mittleren oder einfachen Dienst - den es ja heute kaum noch gibt -, und da waren die Gehälter alles andere als üppig: "Des Königs Rock ist eng, aber warm", pflegte man zu sagen, aber oft war er mehr eng als warm, und als Beamter konnte man auch nicht einfach in den Wald gehen und dort Brennholz klauen, pardon klauben, wie es Dikigoros' Großeltern zu tun pflegten, wenn sie im Winter nichts zum Heizen hatten - Kohlen wären für sie unerschwinglich gewesen.) Symbolisch ließ Brüning 1932 neue 4-Pfennig-Stücke anstelle der alten 5-Pfennig-Stücke prägen, damit den Hausfrauen beim Einkaufen das Sparen leichter fiel. Für alle, die sehen, rechnen und denken konnten, war es ein bezeichnendes Symbol: Die Material- und Prägekosten der 4-Pfennig-Stücke lagen um 40% höher als die der 5-Pfennig-Stücke - und an Nennwert heraus kam 20% weniger. Brüning sparte den Staat kaputt und würgte die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft vollens ab, statt sie anzukurbeln, wie Hitler es bald darauf tun sollte.

Versteht den letzten Satz bitte nicht falsch, liebe Leser. Staatliche Sparsamkeit an sich ist ebenso wenig gut oder schlecht wie staatliche Konjunkturprogramme an sich gut oder schlecht sind. Es kommt immer darauf an, woran gespart und in was investiert wird. Gewisse Politiker hatten (und haben!) leider eine besondere Begabung dafür, ständig am falschen Ende zu sparen und die falschen Programme zu fördern. Einer von dieser Sorte war Brüning, von Beruf Gymnasiallehrer für Geschichte. (Sein Volkswirtschaftsstudium hatte er nach ein paar Semestern erfolglos abgebrochen - womit Dikigoros nicht behauptet haben will, daß diplomierte Volkswirte immer etwas von Volkswirtschaft verstehen müssen :-) Freilich hatte er seinen Beruf nie ausgeübt, sondern war gleich - d.h. gleich nach Kriegsende, denn ein "Drückeberger" war er nicht - in die Politik gegangen und hatte damit eine Tradition begründet, die bis heute unter Berufspolitikern gepflegt wird. Wer ihn kannte, zitierte Goethes Faust: "Heinrich, mir graut vor Dir!"

[5-Pf-Stück]
[4-Pf-Stück]
[Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum)] [5-RM-Gedenkmünze auf den 100. Todestag Goethes]
aus 5 mach 4: Reichskanzler Brüning läßt fünfe gerade sein - allerdings nur bei den Pfennigen; die Silbermünzen für die Reichen bleiben bei 5 Reichsmark!

Ihr glaubt das nicht? Ihr meint, die betroffenen Arbeiterkreise seien doch damals viel zu ungebildet gewesen, um überhaupt je vom ollen Goethe gehört zu haben? Ihr irrt. Selbst Dikigoros' Großvater zitierte in seinem Tagebuch einmal aus dem Faust: "Was soll euch Wahrheit? Dumpfen Wahn faßt ihr an beiden Zipfeln an!" Das war zwar nicht ganz korrekt; aber den kleinen Fehler - "beiden" statt "allen" - hatte er wohl absichtlich eingebaut; er hatte gerade zwei Reden - eine vom Führer und Reichskanzler und eine vom Reichs-Propaganda-Minister - zitiert und sich darüber mokiert, daß einige Volksgenossen noch immer an den Endsieg glaubten; das war anno 1944. Aber schon 12 Jahre zuvor kannte man den Faust; just 1932 war nämlich das "Goethe-Jahr" ausgerufen worden, denn er war anno 1832, genau 100 Jahre zuvor, gestorben; er war also in aller Munde. Freilich nicht in aller Hände - die aus diesem Anlaß geprägten Silbermünzen zu 5 Reichsmark (niemand kam auf die Idee, die etwa auf 4 Reichsmark herab zu setzen, damit auch die oberen Zehntausend mal ein wenig ans Sparen dachten!) bekam kaum ein Arbeiter zu sehen; sie waren schon damals so selten wie sie heute unter Sammlern sind, die sie in Gold aufwiegen.

Dreimal dürft Ihr raten, liebe Leser, was Dikigoros' Großtanten und -onkel - und nicht nur die - 1932 gewählt haben. Richtig geraten. Ein Jahr später traten sie alle der richtigen Partei bei - mit einer "rühmlichen" Ausnahme, über die Dikigoros zwar schon an anderer Stelle geschrieben hat, aber hier will er sich ausnahmsweise einmal wiederholen, weil es einfach auch dazu gehört. Sein ältester Großonkel - von allen nur "der rote Onkel" genannt, war 1918 beim Kieler Matrosenaufstand dabei gewesen - wohlgemerkt auf Seiten der Meuterer. (Brecht wäre begeistert gewesen :-) Und als die Meuterer, pardon die guten Demokraten, das [Plakat der baltischen Ausstellung 1914 in Malmö] Kaiserreich beseitigt und die Republik errichtet hatten, trat er gerne in die kleine Reichsmarine ein, in der er es bis zum Obermaschinisten brachte; aber obwohl er so etwas wie der Krösus der Familie war, wurde er von allen geschnitten - lieber hungern als mit so einem Umgang haben! Er hatte "des Kaisers Rock" besudelt. Das war nicht irgendeine Militär-Uniform: Beim Heer z.B. gab es nur königlich preußische, sächsische, württembergische oder bayrische Uniformröcke; allein die Marine war 1871 kaiserlich geworden; und darauf ließ man als guter Norddeutscher nichts kommen, auch wenn man Arbeiter und womöglich selbst SPD-Wähler war. Und dazu noch ein Torpedo-Maschinist, der sogar bei der Marine-Auswahl von Torpedo Friedrichsort mitgekickt hatte. [Kiel war damals eine Fußball-Hochburg: Die "Störche" des KSV Holstein hatten 1912 die deutsche Meisterschaft und damit den von der Kaiserin gestifteten Victoria-Pokal gewonnen; und 1914, als im schwedischen Malmö die "Baltischen Spiele", eine Art erste Leichtathletik- und Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wurden, am Rande der "Baltischen Ausstellung" (so wie damals auch die Olympischen Spiele am Rande von Weltausstellungen ausgetragen wurden), stellte Kiel sogar die komplette Nationalmannschaft des Deutschen Reichs. (Passend zum offiziellen Ausstellungsplakat, das einen Schwarm Störche zeigte - aber das war sicher nur Zufall :-) Sie gewann jenes Turnier souverän - ohne Punktverlust und ohne ein einziges Gegentor -; dennoch sind diese Spiele heute aus den offiziellen Annalen des DFB komplett gestrichen.] 1935, als die Wehrmacht - und somit auch die Kriegsmarine - personell stark erweitert wurde, machte man den "roten Onkel" zum Fachoberleutnant; und im Krieg wurde er noch zum KaLeu befördert. 1945, nach dem Zusammenbruch, war er fein 'raus, denn als Berufssoldat hatte er ja kein Parteimitglied werden dürfen (so war das damals), also war er vollkommen unbelastet und bekam als erster der Familie seinen Persilschein; sobald wieder Parteien zugelassen waren trat er der SPD bei, wurde schnell Ortsvorsitzender, und wenn er nicht bald darauf gestorben wäre, wer weiß, welche Karriere jener brave Demokrat noch gemacht hätte... Nun, dieser Großonkel war ja auch nie arbeitslos gewesen; und alle anderen kamen noch im selben Jahr 1933 wieder in Lohn und Brot; und für Dikigoros' Großvater, der sich beharrlich weigerte, der Partei beizutreten (und damit seinem Sohn den Weg zu einer besseren Schulbildung verbaute, denn das wäre Voraussetzung gewesen für ein Stipendium zum Besuch der Adolf-Hitler-Schule), hatten sie nur ein müdes Lächeln übrig, ebenso dafür, daß er sie "Märzgefallene" schimpfte.

[Exkurs. Im März 1933 fanden die letzten "freien" Wahlen statt, bei denen die NSDAP die absolute Mehrheit gewann; danach traten auch bis dahin völlig unpolitische Leute der Partei in Scharen bei. Warum sie "Märzgefallene" genannt wurden, ist Dikigoros ein Rätsel. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Revolution von 1848: Eine Massen-Demonstration verhetzter "Demokraten" hatte sich drohend auf das Berliner Schloß des Königs von Preußen zubewegt; aber da Fritz Willi ein Weich-Ei war, befahl er seinen Truppen, abzurücken - psychologisch das dümmste, was er tun konnte, denn die Menge fühlte sich durch diese "Flucht" bestärkt und schoß auf die Soldaten. (In Euren Geschichtsbüchern steht heute: "lösten sich versehentlich ein paar Schüsse" - eine Formulierung, über die sich schon Joachim Fernau in "Sprechen wir über Preußen" mit Recht mokierte - da hatten also offenbar einige "friedliche Demonstranten" rein vorsorglich ein paar scharf geladene Gewehre mitgebracht, um dem König Salut zu schießen :-) Die Soldaten schossen zurück, und am Ende gab es Tote. Hinterher hieß es, die bösen Soldaten seien brutal auf die armen, unbewaffneten Demonstranten los gegangen und hätten sie wahllos zusammen geschossen. Der preußische Monarch kroch zu Kreuze, verneigte sich vor den toten "Martyrern der Revolution" und nannte sie: "Märzgefallene". Könnt Ihr da eine Parallele zu 1933 entdecken, liebe Leser? Dikigoros auch nicht, wenn man sie nicht darin sehen will, daß plötzlich alle, auch die ehemaligen Monarchisten, zu Kreuze krochen und sich vor den "Revolutionären" verneigten, die im November 1923 beim Marsch auf den Schloßplatz, pardon die Feldherrenhalle, zusammen geschossen worden waren und nun die Macht ergriffen hatten. (Doch dieser Vergleich hinkt, denn die Marschierer vom November 1923 waren tatsächlich unbewaffnet gewesen - die vom März 1848 nicht.) Aber es war wohl anders gemeint, denn der Begriff "Märzgefallene" des Jahres 1933 war nicht gerade positiv besetzt. À propos: Urs hat sich - jedenfalls gegenüber seinem Sohn - nie darüber beklagt, daß ihm sein Vater dieses vermeintlich kleine Opfer nicht bringen wollte, obwohl er es ursprünglich sicher nicht positiv aufgenommen hatte. Aber vielleicht empfand er es im Rückblick als Wink des Schicksals mit dem Zaunpfahl, spätestens im Mai 1945, als er mit seinem verlorenen Haufen in Mecklenburg stand und sein Kommandeur angesichts der in der Ferne anrollenden Sowjet-Panzer meinte: "Männer, wir haben keine panzerbrechenden Waffen, wir haben nichtmal genügend Munition für unsere Gewehre, um die aufgesessene Infanterie der Iwans herunter zu schießen. Wir ziehen ab gen Westen und versuchen, in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu kommen." Gesagt, getan. Aber damit war ja noch nichts gewonnen, denn die USA und die SU hatten vereinbart, daß deutsche Soldaten, die auf dem Boden der künftigen SBZ in Gefangenschaft gerieten, an die Sowjets auszuliefern waren - und so geschah es in der Regel auch. Das wäre für Urs - und andere nicht arbeitsfähige Verwundete - das sichere Todesurteil gewesen. Was sollte man den Amis erzählen, um das abzuwenden? Daß sie gar keine echten Soldaten waren, sondern ein paar RAD-Pimpfe ohne richtige militärische Ausbildung, kurzfristig zusammen gekratzt und in Uniformen gesteckt für die imaginäre "Armee Wenck", mit vorzeitig beförderten Reserve-Offiziers-Anwärtern und ihren Ausbildern, die eigentlich noch auf der Infanterieschule in Randers hätten lernen bzw. lehren müssen, die also in Mecklenburg gar nichts verloren hatten, sondern in die britische Besatzungszone gehörten? Wohl wahr - aber wie sollte man das den Amis verklickern? Alle ordentlichen Offiziere und Offiziers-Anwärter hatten ein Gymnasium oder ein Real-Gymnasium - oder eben eine Adolf-Hitler-Schule - besucht und dort als Fremdsprachen Lateinisch und Griechisch - oder bestenfalls Französisch - gelernt; und bei der bekannten Affinität der Amis zu Fremdsprachen war die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu finden, der das verstand, eher gering. (Nicht jeder war ein Patton, der Homer und Vergil im Original lesen konnte :-) Aber Urs, der unordentliche Leutnant d.R. - gerade erst vor ein paar Tagen sprungbefördert vom Fahnenjunker-Unteroffizier d.R. -, der nur die Volksschule und danach die Handelsschule besucht hatte, hatte dort, wie es damals an Handelsschulen des einstigen Welthafens Hamburg - der inzwischen in Schutt und Asche lag - üblich war, Englisch und Spanisch gelernt. Nur Schulenglisch und "Commercial English" zwar, aber das ganz ordentlich. Und den schickte sein Kommandeur nun vor, um das alles dem amerikanischen Colonel irgendwie glaubhaft zu machen. Urs schaffte es, und sein Haufen wurde in britische Gefangenschaft überstellt, die sie fast alle überlebten. Und da dürfte auch Urs drei Kreuze hinter der "verpaßten" Adolf-Hitler-Schule gemacht haben. Exkurs Ende.]

So simpel soll sich das erklären lassen? Pardon, liebe Zweifler, Dikigoros ist noch nicht fertig. Brecht schildert ja auch (im Kapitel 24, das er "Volksbefragung" überschrieben hat), wie 100.000 böse Nazi-Deutsche am 13. März 1938 das arme, wehrlose "Österreich" (Ihr gestattet doch, daß Dikigoros das in Anführungsstriche setzt? Das war früher für die "DDR" auch üblich; und was Mitteldeutschland recht ist, muß der Ostmark billig sein :-) "überfielen", und alle, die nicht für den "Anschluß" waren, hinrichteten - weshalb denn auch das Abstimmungsergebnis so merkwürdig hoch ausfiel. Brecht mußte es ja wissen - schließlich erhielt er nach dem Krieg von den russischen Besatzungs-Behörden die "österreichische" Staatsbürgerschaft. Dikigoros' Mutter hat das freilich alles ganz anders in Erinnerung behalten. Nein, nicht die Zeit der "Ersten Republik", aber für deren "Demokratie" und "Freiheit" konnte man sich nichts kaufen, vor allem nichts zu essen. Als dann Dollfuß seinen komischen Ständestaat errichtete (den die Historiker heute "austro-faschistisch" nennen - er wurde von Mussolini, dem italienischen "Duce", unterstützt, der damals noch kein Freund Hitlers war), gab es zwar keine Demokratie und keine Freiheit mehr, aber - auch nicht mehr zu essen, und das unterschied ihn eben vom "Dritten Reich". Dikigoros' Mutter jobbte (auch wenn man das damals noch anders nannte) als Aushilfs-Bedienung in einer Café-Konditorei in Wien. (Sie hätte lieber eine ordentliche Lehre gemacht, zur Köchin oder Schneiderin; aber damals bekamen Lehrlinge noch keinen Lohn, wie die heutigen Azubis und Azubinen, sondern sie mußten selber Lehrgeld zahlen für eine Ausbildung. [Was meint Ihr, liebe Politiker, wie schnell alle arbeitslosen Jugendlichen eine Lehrstelle hätten, wenn man das wieder einführen würde! Wieso sollen eigentlich nur Studenten für ihre Ausbildung Gebühren zahlen?] Und das Geld war schlicht und einfach nicht vorhanden.) Jeden Morgen ging sie zweieinhalb Stunden zu Fuß zur Arbeit und abends zweieinhalb Stunden wieder zurück in ihr Dorf.

[Preßbaum um 1880]

Denn für die Trambahn (jawohl, es gab schon eine; das idyllische Bild ohne Trambahn, das Dikigoros hier vom Heimatdorf seiner Mutter eingefügt hat, ist aus dem Jahre 1880, also eigentlich eine Generation zu alt; aber er hat kein zeitgenössisches auftreiben können - später fühlte sich offenbar niemand mehr bemüßigt, das Kaff zu malen, und Geld für Fotokameras hatten damals nur reiche Leute) langten die 10 Schillinge, die sie im Monat verdiente - plus Trinkgelder, aber wer gab schon noch Trinkgeld? - nicht, geschweige denn für ein Zimmer in der Stadt. (Ihr findet das skandalös wenig, liebe Leser? Dann seid Ihr ziemlich weltfremd. In anderen Ländern - selbst in den "reichen" USA - arbeiten heute noch viele Kellnerinnen und Kellner ganz ohne festen Lohn, d.h. sie leben nur von Trinkgeldern. Denk daran, wenn Ihr im nächsten Urlaub dort essen gehen solltet!) Gegen Monatsende, wenn das Geld knapp wurde, wurde sie schon mal kriminell. Nein, sie griff nicht in die Kasse, und sie hätte auch nicht gewagt, etwa ein Stück Kuchen zu entwenden; aber nach Ladenschluß wurden die abgefallenen Kuchenkrümel gesammelt, um sie am nächsten Morgen für einen Groschen (1/100 Schilling) die Tüte zu verkaufen; und von diesen Krümeln aß sie bisweilen etwas, um nicht zu verhungern, statt sie einzutüten. Ihr meint, das sei doch lächerlich, allenfalls Mundraub? Irrtum - das war mindestens Unterschlagung, wenn nicht gar Veruntreuung, denn ihr waren diese Krümel ja zu treuen Händen anvertraut. Andere, die auch hungerten, beließen es freilich nicht bei ein paar Kuchenkrümeln; und ob es daran lag oder daran, daß es immer weniger Leute gab, die sich einen Besuch im Café leisten konnten - eines Tages mußte der Laden schließen. Das war im März 1938, und Grete stand buchstäblich vor dem Hungertod.

[Die überfallenen Österreicher jammern]

Ein paar Tage später "überfielen" die bösen Nazis "Österreich"; zum 1. April eröffnete die Partei dort, wo bisher das Café gewesen war, ein Büro, für das sie Tippsen (oder, wie das damals auf Amtsdeutsch hieß: "Kontoristinnen") suchte. Grete war als erste da und bekam den Job, obwohl sie weder blond noch blauäugig war und ihre Mutter zu allem Überfluß auch noch einen ungarischen Geburtsnamen hatte. (Zum Glück schon den von Dikigoros' Ururgroßvater; über den Mädchennamen seiner Ururgroßmutter, einer Schwester des Revoluzzers Gyula Andrássy, wären sie vielleicht doch gestolpert. Sie wußte es selber nicht, denn ihre Großeltern hatte sie nicht mehr kennen gelernt, ihre Mutter hatte es ihr nie gesagt und ihr auch kein Wort Ungarisch beigebracht, so daß sie den Taufschein aus dem Jahre 1826 nicht lesen konnte; erst ihr Sohn, dem er irgendwann in die Hände fiel - ein Original mit Gebührenmarken und Siegel -, hat es heraus gefunden, ihr aber nie verraten, denn es hätte ihr Weltbild arg erschüttert - wie sein eigenes übrigens auch.) Es fragte sie auch niemand, ob sie in der Partei war - auch später wurde nie Druck auf sie ausgeübt, beizutreten -, nur ob sie Steno und Schreibmaschine könne.

[Exkurs auf Leseranfragen. Nein, das war im "Dritten Reich" noch anders als heute. In der BRDDR kann niemand hauptamtlicher Mitarbeiter einer Partei oder irgend eines anderen Vereins sein, ohne dort auch Mitglied zu werden. Die Nazis waren da toleranter; sie zwangen nicht nur niemanden, ihrer Partei beizutreten, sondern verhängten vorübergehend sogar einen Aufnahmestop, weil es zu viele Bewerber gab! Und wenn Eure Eltern und/oder Großeltern Euch etwas anderes erzählt haben, dann haben sie Euch schlicht und ergreifend belogen. Wer Mitglied der NSDAP wurde, der tat es freiwillig, sei es aus politischer Überzeugung, sei es, weil er sich davon einen Vorteil versprach. Gewiß, es gab auch damals schon Ärzte- und Anwaltskammern, Industrie- und Handelskammern usw., und wer einen entsprechenden Beruf ausübte, mußte denen selbstverständlich beitreten, das waren auch damals schon Zwangsmitgliedschaften. Aber das waren doch keine national-sozialistischen Organisationen, auch wenn die Nazis albernerweise überall ein "NS-" vor den Namen setzten und es gerne sahen, wenn ein Parteigenosse den Vorsitz führte. (Aber das war keine Besonderheit des "Dritten Reichs"; es gibt auch in der BRDDR keine derartige Körperschaft, deren Vorsitzender nicht ein "richtiges" Parteibuch hätte, d.h. von einer der in den Parlamenten vertretenen, "etablierten" Parteien.) Fazit: Niemand, der Parteigenosse bei den Nazis war, kann sich damit heraus reden, daß er dies nur unter Zwang geworden und ein "innerer Widerstandskämpfer" geblieben sei oder was man heutzutage an ähnlichen Märchen hört und liest. Exkurs Ende.]

Zurück zu Grete. Sie log tapfer in Sachen Steno und Schreibmaschine (übrigens auch in Sachen Augen- und Haarfarbe - sie schrieb einfach "grau" und "blond", und das stand bis 1945 in all ihren Ausweisen, obwohl sie bernsteinfarbene Augen hatte und brünettes Haar; aber damals waren Bewerbungs- und Paßfotos noch schwarz-weiß :-) und lernte es mit knurrendem Magen und mit Hilfe einer ehemaligen Mitschülerin, die jetzt zur Handelsschule ging und eine eigene Schreibmaschine hatte, in den noch verbleibenden 14 Tagen bis zum Arbeitsantritt so weit, daß sie nicht allzu sehr auffiel... Später, als sie das einigermaßen konnte, ging sie noch zur Abendschule und machte den Abschluß nach, den sie versäumt hatte, als sie beim Tode ihres Vaters von der Realschule abgehen mußte. Und als sie 18 war, meldete sie sich als Wehrmachtshelferin, wie jede anständige, unverheiratete Deutsche, die nichts besseres zu tun hatte (und sie fand es besser als das Tippen von Briefen für die Partei-Filiale, zumal es besser bezahlt wurde, so daß sie ihrer Mutter Geld nach Hause schicken konnte), erst nach Serbien, dann nach Norwegen. [Auf Leseranfrage: Völlig richtig, eigentlich mußte frau - anders als man - für einen Auslandseinsatz das 21. Lebensjahr vollendet haben; aber Grete beantragte und bekam eine Sondergenehmigung und durfte früher. Und um auch das noch nachzutragen: Dikigoros verwendet "Wehrmachtshelferin" hier als Oberbegriff; Grete gehörte nicht der zahlenmäßig größten Untergruppe an, die offiziell "Nachrichtenhelferinnen" hieß und im Volksmund wegen ihres komischen Abzeichens "Blitzmädel" genannt wurde - so eine Telefonistin verdiente ja noch weniger als eine Tippse und hatte praktisch keine Aufstiegschancen, das wäre für sie völlig uninteressant gewesen; sie war vielmehr "Stabshelferin", und mit Vertrag, nicht wie die armen Mädels, die später - oft unfreiwillig - eingezogen wurden.] Und obwohl sie sich immer beharrlich weigerte, Uniform zu tragen (natürlich nicht offiziell - sie behauptete einfach, das Zeug passe ihr nicht, und lief weiter in Zivil herum :-) stieg sie bis in die Offiziersränge auf; bei Kriegsende leitete sie den Regiments-Nachschub. ("Warum muß der S3 ein Mann sein?" pflegte sie zu sagen, "das kann eine Frau doch viel besser.") Wen hätte sie wohl gewählt? Ihr meint, bestimmt die Partei, der sie das alles zu verdanken hatte? Irrtum - Parteien waren ihr völlig schnuppe, auch nach dem Krieg. Sie fragte immer nur nach Personen - auf den Kanzler kommt es an! Wer von den Kandidaten war denn wählbar? Der korrupte Adenauer? Der dumme Ollenhauer? Der fette Erhard? Der schleimige Kiesinger? Der versoffene Brandt? Der farblose Barzel? Der kettenrauchende Schmidt? Der verlogene Strauß mit seinem kriminellen Clan? Birne, pardon BlumenKohl, der Möchtegern-"Historiker", der unter "Wiedervereinigung" das Zusammenpfuschen von BRD und DDR verstand, und der die DM auf dem Altar des Götzen "Europa" geopfert hatte? (Den hatte sie am meisten von allen "gefressen".) Der komische Vogel? Kaschmir-Gerhard, der seinen Untertanen Wasser predigte und selber den teuersten Wein trank (und die teuersten kubanischen Zigarren rauchte, um das Castro-Regime zu unterstützen)? Zu dem fiel ihr nur der Spruch ein: "Lügen haben kurze Beine!" So, jetzt wißt Ihr, warum Grete (fast) nie zur Wahl gegangen ist (und den einen Fehlenden - der übrigens nie Kanzler wurde - dürft Ihr selber ergänzen :-).

Ach so - wen Dikigoros' Großmutter mütterlicherseits wählte? Ganz einfach: Vor dem Krieg hatte sie kein Geld, um die Trambahn zum nächsten Wahllokal in der Stadt zu nehmen (s.o.) - und so weit laufen konnte sie nicht mehr. Im Krieg wurde nicht gewählt (s.o.). Und nach dem Krieg waren ihr die "österreichischen" Kanzler-Kandidaten genauso sympathisch wie ihrer Tochter die bundesrepublikanischen (s.o.). Und nun wißt Ihr auch noch, warum Helene nie gewählt hat. [Dikigoros' Vater war übrigens die rühmliche Ausnahme der Familie: Er ging immer wählen - auch wenn er nicht immer wählte: Nach dem Krieg waren im roten Hamburg nur KPD und SPD zugelassen, da wählte er letztere; und weil er kein religiöser Mensch war und ihn deshalb das "C" im Namen der Unionsparteien störte, blieb er auch dabei - bis Schumacher abtrat, dessen Nachfolger in seinen Augen "unwählbar" waren; und da er auch "Lackschuh-Erich" nicht mochte, wählte er zähneknirschend CDU ("weil der Erhard auch kein Katholik ist und wir ihm das Wirtschaftswunder verdanken"); als Schmidt Kanzler wurde, kehrte er wieder zur SPD zurück ("denn der Helmut ist Hamburger und hat was für die Opfer der Flutkatastrofe getan"); und als der durch Intrigen in der eigenen Partei und den Verrat seines Koalitionspartners gestürzt wurde, hatte er von der Politik die Nase so voll, daß er von da an nur noch leere Wahlzettel abgab. Nicht zur Wahl zu gehen traute er sich nicht - als Beamter hätte ihm das ja schwarze Punkte in seiner Personalakte eintragen können, glaubte er.] Wie war das gleich: Jedes Volk hat die Regierung verdient, die es gewählt hat; und wer nicht zur Wahl geht, ist selber schuld. Alle selber schuld? Ja, das sagt sich leicht, wenn man wie Brecht Millionärs-Sohn ist: alle selber schuld! Und wenn man selber noch nie gehungert hat, dann ist es leicht, Sätze wie den folgenden sarkastisch zu meinen: "Wer frißt am Kalb mit, das wir schlachten, he? Das hab ich gern: nach Fleisch schrein und den Koch beschimpfen, weil er mit dem Messer läuft!" Helene und Grete waren froh, nach vielen Jahren mal wieder Fleisch essen zu können - wenngleich nicht gerade Kalbfleisch -; aber sie schimpften auch nicht über den Koch - das überließen sie denen, die sich schon immer den Wanst hatten voll schlagen können. [Als Dikigoros seine alte Mutter 60 Jahre nach Hitlers Selbstmord besuchte, um ihre Steuererklärung zu machen, erzählte sie ihm, warum sie diesmal wieder nicht zur Landtagswahl gehen würde: "Was las ich da gerade - die wollen Arbeitslosen elektronische Fußfesseln anlegen, damit sie nicht vor der Arbeit weg laufen können, die ihnen angeblich angeboten werden könnte? Siehst du, das hat es bei Hitler nicht gegeben - aber da gab es ja auch keine Arbeitslosen."]

Nachtrag. Einmal wäre Dikigoros' Mutter ihrem Prinzip, nicht zur Wahl zu gehen, beinahe untreu geworden, und das war anno 2009. "Die Frau K. von nebenan hat mir erzählt, daß ihr Enkel jetzt bei der neuen Piraten-Partei ist und daß ich die doch wählen sollte. Was meinst du?" - "Die Piraten-Partei?" - "Ja, die Stadt hat mir das auch geschrieben, und dann könnte ich mir auch gleich einen neuen Elektroversorger auswählen." - "Das hat dir die Stadt geschrieben? Aber die müßte doch ein Interesse daran haben, daß du weiter ihren teuren Strom von den Stadtwerken beziehst." - "Nein, schau mal." Grete zeigt ihm eine Hochglanz-Broschüre in Vierfarbdruck, die der Wahlbenachrichtigung beigelegen hat. Dikigoros hatte sein Exemplar längst weg geworfen, aber Grete hebt amtliche Schreiben, zu denen sie noch Fragen hat, immer auf, bis ihr Sohn zu Besuch kommt. Auf der Vorderseite prangt das Bild einer Halbnegerin, die die Zähne fletscht. "Das ist doch sicher die Piraten-Jenny," meint Grete. Owei owei, liebe Sesselpupser, das kommt also dabei heraus, wenn Ihr so einen Mist verschickt - wie soll eine alte Frau daraus schlau werden? Dikigoros überlegt: Soll er seiner Mutter umständlich erklären, daß die Seeräuber-Jenny lediglich eine von Brecht erfundene Theater-Figur ist? Und daß für die Piraten-Partei ein Ex-Funktionär der Bundesregierung kandidiert, der in deren Auftrag Kinder-Pornografie im Internet angeschaut und daran so viel Gefallen gefunden hat, daß er jetzt für deren Freigabe eintritt? (Was ja noch hinzunehmen wäre, wenn er zugleich dafür einträte, daß auch politisch unliebsame Seiten freigegeben würden - aber damit ist nicht zu rechnen, sonst würde die PPD sofort als "potentiell rechtsradikal" verboten.) Und daß "Wahlen" auf Neudeutsch "Elections" heißt, was mit elektrischem Strom gleich gar nichts zu tun hat? Nein, besser nicht... "Das mit dem Wechsel des Stromanbieters finde ich eine gute Idee," sagt er, "zufällig habe ich gerade ein Kärtchen von meinem Versorger bei mir, das ist guter, sauberer Atomstrom aus Frankreich, viel billiger als das Zeug aus den deutschen Kohledreckschleudern, das füllen wir jetzt gemeinsam aus." - "Und das muß ich dann im Wahllokal abgeben?" - "Nein, das werfe ich gleich heute in den Briefkasten." - "Dann brauche ich also gar nicht zur Wahl zu gehen? Dann lasse ich es bleiben. Die Piraten-Jenny sieht mir für eine Politikerin sowieso noch arg jung aus, und der Enkel von Frau K. auch. Und die anderen Kandidaten..." Grete hat noch zweimal Wahlpropaganda aufgehoben: "Dieser N. - für wen kandidiert der eigentlich?" - "Der ist von der S-Partei, er traut sich aber nicht, das drauf zu schreiben, weil er Angst hat, daß ihn dann niemand wählen würde," meint Dikigoros amüsiert - seine Frau und er kennen den guten N. persönlich und würden ihn eigentlich wählen, wenn nicht... aber das gehört nicht hierher. "Bevor du fragst," ergänzt Dikigoros, "die 'Bonn-Partei' ist keine neue Partei, sondern unter dieser Bezeichnung kandidieren die Genossinnen und Genossen von N., aus den gleichen Gründen." - "Aber war die S-Partei nicht die, die damals fast geschlossen für den Umzug nach Berlin gestimmt hat? Dann müßten die sich doch ehrlicherweise 'Anti-Bonn-Partei' nennen?!?" - "Das mag schon sein, aber die vertrauen halt auf die Dummheit und das kurze Gedächtnis der Wähler." - "Also, ich habe ja jetzt manchmal auch schon Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis," meint Grete, "aber was vor 20 Jahren war, daran erinnere ich mich noch genau. So eine verlogene Bande!" Dikigoros widerspricht nicht. "Und hier hat mir noch die C-Partei geschrieben," fährt Grete fort, "daß sie mich zum Wahllokal fahren, wenn ich ihren Kandidaten wähle; aber wie komme ich dann zurück? Meinen Rollator nehmen die bestimmt nicht mit, und du weißt ja, daß ich ohne den nicht mehr alleine gehen kann." - "Wie kommst du denn darauf, daß die dich nach der Wahl nicht wieder zurück fahren würden?" - "Erstens steht da nur drauf, daß sie mich hin fahren, nicht, daß sie mich auch wieder nach Hause bringen; und selbst wenn es da stünde: Den Brief hat doch der Norbert B. unterschrieben, dieses Schwein, das uns schon mit der Rente so schamlos belogen hat. Dem glaube ich nichts mehr..."

[N. Blüm]

"Und hier hat mir noch eine Partei geschrieben, daß sie Geld wollen - muß ich das zahlen?" - "Aber das ist doch keine Partei, sondern ein eingetragener Verein, der vorgibt, gegen den Hunger in der Dritten Welt zu kämpfen und dich um eine Spende bittet." - "Aber sagst du nicht immer, daß die das Geld irgendwelchen Militärmachthabern in den Rachen werfen, die dafür Waffen und Munition kaufen, die Lebensmittelgeschenke und Medikamente an ihre Soldaten verteilen und dann Bürgerkriege führen?" - "Ja, bei den meisten ist das wohl so; aber die hier verwenden das Geld überwiegend für andere Dinge. [Nachtrag der guten Ordnung halber: Auch Dikigoros kann mal irren. Damals wußte er noch nicht, daß die Welthungerhilfe zu jenem Zeitpunkt bereits für 55 Millionen Euro Lebensmittel an das Regime von Nordkorea verschenkt hatte - die ausschließlich zur Verpflegung des Militärs verwendet wurden, während die Zivilbevölkerung (ver-)hungerte; er will das seinen Lesern nicht vorenthalten.] Schau mal, unsere bisherige Oberbürgermeisterin ist doch da jetzt Frühstücks-Direktorin geworden, und die kann ja auch nicht von Luft und Liebe leben." - "Bekommt die nicht genug Pension?" - "Ja, sicher, als Studiendirektorin a.D. und als OB a.D. kommt schon einiges zusammen; aber nimm mal an, sie will eine schöne Reise machen, dann wird irgendwo am anderen Ende der Welt, z.B. in der Karibik, ein Anti-Hunger-Projekt angeschoben, und sie fliegt persönlich hin, um dort nach dem Rechten zu sehen; und die Kosten dieser Reise bekommt sie als so genannte 'Aufwandsentschädigung' ersetzt." - "Und ich dachte immer, die würden dort ehrenamtlich arbeiten." - "Tun sie ja auch; das einfache Fußvolk bekommt keinen Pfennig, deshalb sind die so genannten 'Verwaltungskosten' auch relativ niedrig, ca. 3,5 Mio Euro im Jahr." - "Das sind ja 7 Mio DM!" (Dikigoros' Mutter rechnet immer noch alles in DM um :-) "Ja, aber das ist doch gar nichts; für Bettelbriefe wie diesen und andere 'Werbemaßnahmen' geben die pro Jahr gut das Doppelte aus." - "Und das soll ich unterstützen? Damit die Frau D., die eine Altersversorgung hat wie ein Bundeskanzler, schöne Reisen machen kann?" - "Ach was, die arme Frau D. dürfte nicht mal ein Zehntel der Altersversorgung eines Ex-Kanzlers haben. Rechne doch mal zusammen: Bezüge als Landtagsabgeordneter a.D., Bezüge als Ministerpräsident a.D., Bezüge als Bundestagsabgeordneter a.D., Bezüge als Bundeskanzler a.D., Bezüge als Schläfer in zehn Aufsichtsräten, diverse Schmiergelder und anderen 'Bimbes'; und dann noch Frühstücks-Direktoren-Bezüge z.B. einer Gesellschaft für Gasleitungen in der Ostsee..." - "Das ist ja unerhört." - "Wieso? Du bekommst doch auch zwei Renten, eine Witwenrente und eine eigene." - "Ja, aber wenn meine eigene Rente nicht weit unter dem Sozialhilfesatz läge, müßte ich mir die auf die Witwenrente anrechnen lassen. Muß Frau D. das auch?" - "Nein. Ihr wart halt beim selben Arbeitgeber beschäftigt; Frau D. dagegen bekommt die Lehrerpension vom Land, die OB-Pension von der Stadt und die Reisen von einem privaten e.V. bezahlt. So ist die Rechtslage." - "Das nennst du Rechtslage? Was bist du nur für ein Jurist? Ich nenne das Unrechtslage! Früher hätte es sowas nicht gegeben..." - "Was heißt 'früher'?" - "Na, nehmen wir doch mal an, es hätte keinen Zweiten Weltkrieg gegeben, und Hitler wäre mit 65 Jahren in Pension gegangen. Was hätte der denn als Altersversorgung bekommen?" - "Gar nichts, wieso auch?" - "Na, als Braunschweiger Regierungsrat, als Reichskanzler und als Oberbefehlshaber der Wehrmacht." - "Also, Regierungsrat war er nur ein paar Monate, das reichte nicht, um irgendwelche Versorgungs-Anwartschaften aufzubauen; als Kanzler hatte er auf sein Gehalt verzichtet, konnte also auch keine Pension bekommen; und OB der Wehrmacht war bloß eine Funktion, die mit keiner besoldeten Planstelle verbunden war. Hitlers militärischer Rang war bis zuletzt Gefreiter der Reserve; und als solcher hatte er auch keine Versorgungs-Ansprüche. Nein, der hätte im Alter von seinen Tantiemen als Schriftsteller leben müssen." - "Aber der hat doch nur ein Buch geschrieben, und das hatten schon alle - da hätte er im Alter womöglich nicht mehr Geld gehabt als ich." - "Na und? Der lebte ja auch sparsam, rauchte nicht, trank keinen Alkohol und aß kein Fleisch; er brauchte also nicht so viel Geld wie die heutigen Politiker. Du kommst doch auch mit deiner Rente aus!" (Ihr habt doch Verständnis, liebe Leser, daß Dikigoros das alles hier so ausführlich wieder gibt? Die Pfründen von Politikern im allgemeinen und deren Altersversorgung im besonderen sind schließlich ein zentrales Thema in Brechts "Arturo Ui"!) - "Ja, aber nur, weil ich mit jedem Pfennig rechne, selbst beim Strom."

So kam also die Firma Y...-Strom zu einer neuen Kundin, und die Parteien wieder nicht zu einer neuen Wählerin - im Gegenteil: Wenige Tage später verlor die C-Partei eine langjährige Stammwählerin in Person von Frau Dikigoros: "Wenn das alles ist, was die mehr zu bieten haben als andere Parteien, daß zwei häßliche Klunzen ihre Hängeeuter auf einem Wahlplakat zur Schau stellen, dann sollen die sehen, woher sie Wählerstimmen bekommen, von mir jedenfalls nicht mehr! (Frau Dikigoros selber ist nicht gerade üppig gebaut und haßt "Hängeeuter" :-) Und zur F-Partei werde ich auch nicht wechseln; wie können die es wagen, auf ihren Plakaten mit einem Schwulenpärchen zu werben und das auf ihrer Webseite auch noch dazu zu schreiben! Ist es schon so weit gekommen mit unserem Staatswesen?" - "Aber Liebling, das ist doch nur ein Druckfehler, der sicher bald korrigiert wird: Es soll bestimmt nicht 'Schwulfreunde' heißen, sondern 'Schulfreunde'!" - "Das schließt sich ja nicht aus; und selbst wenn sie es korrigieren sollten, würde das doch nichts in der Sache ändern; das ist eine klassische Freud'sche Fehlleistung! Da könnte man ja gleich den schwulen Horst Schlämmer wählen." - "Nach den letzten Umfragen würden es 18% der Wahlberechtigten tun, wenn er kandidierte." [Nein, liebe jüngere Leser, Ihr wollt das jetzt bitte nicht mit Italien vergleichen, wo, wenn man deutschen Medien glaubt, ein "Hanswurst" namens Beppe Grillo bei den Parlamentswahlen vom Februar 2013 sensationell auf den 2. Platz kam. Aber erstens kandidierte Grillo gar nicht persönlich, d.h. seine Partei gewann zwar die zweitmeisten Stimmen, aber er selber profitierte davon nicht, jedenfalls nicht in Form eines SesselpupserAbgeordneten-Mandats. Und zweitens ist das kein Hanswurst, sondern vielmehr ein gelernter Buchhalter, d.h. er versteht von ordentlicher Haushaltsführung wahrscheinlich mehr als alle Finanz- und Wirtschaftsminister der BRD und Italiens zusammen. Und Ihr, liebe ältere Leser, wollt das bitte nicht mit dem französischen Komiker Coluche vergleichen, der 1981 zur Präsidentschaftswahl antreten wollte, aber in letzter Minute einen Rückzieher machte, als ihm Meinungsumfragen "nur" 16% profezeiten. Der war wirklich ein Hanswurst - und er hatte Angst vor der eigenen Mutter Courage.] "Das zeigt nur, in welchem Zustand sich diese so genannte Demokratie befindet," sagt Frau Dikigoros, "die Wahlen sind doch nur noch eine Farce. Warum nicht gleich Micky Mouse oder Donald Duck? Der OB-Kandidat der F-Partei sieht ja eh aus wie die Kröte Unkerich in den Lurchi-Heften." - "Jetzt bist du aber ungerecht. Wie er aussieht, dafür kann er schließlich nichts." - "Und er ist Direktor bei der S-Kasse, also mitverantwortlich für deren Beinah-Pleite." - "Ach was, der ist doch nur ein armes kleines Würstchen von Filialleiter; der kann nun wirklich nichts für die Milliardenverluste." - "Dann wähl du ihn doch, wenn du ihn so toll findest!" - "Wofür hältst Du mich?"

[Wir haben mehr zu bieten] [Schulfreunde oder Schwulfreunde?]

Bei den Kommunalwahlen siegten dann die Nichtwähler mit 44%; und da man die Stichwahlen abgeschafft hatte, aus Angst, das Volk könnte noch wahlmüder werden als es eh schon war, hätten eigentlich im ganzen Lande die [Ober-]Bürgermeisterstellen vakant bleiben müssen, denn das entsprach offenbar dem Willen der Mehrheit der Wahlberechtigten. Darf Dikigoros bei dieser Gelegenheit an einen Satz von Brecht erinnern, der einst ebenso bekannt war wie der, den er an den Anfang einer anderen Reise durch die Vergangenheit gestellt hat, nämlich "Stellt Euch vor, es ist Krieg, und niemand geht hin..."? Nein, nicht "Stellt Euch vor, es ist Wahl, und niemand geht hin..." - so ein Satz hätte zu Brechts Zeit noch keinen Sinn gemacht; er war nie in North Dakota, geschweige denn in Pillsbury, und im Juni 2008, als dort bei den Kommunalwahlen keine einzige Stimme abgegeben wurde, war er schon fast 52 Jahre tot. (Was hatten die Nichtwähler übrigens davon? Waren sie ihre Obrigkeit nun endlich los? Ach was - die alte blieb einfach im Amt! Wie man es richtig macht, zeigten die Einwohner des US-Städtchens Talkeetna/Alaska anno 1997, als sie mit überwältigender Mehrheit einen Kater namens Stubbs zum Bürgermeister wählten. Der fraß keine fetten Diäten, sondern bloß ein paar Mäuse, machte auch sonst keinen Ärger, sondern verhalf dem Ort zu erklecklichem Wohlstand, denn bald kamen mehr und mehr Touristen, um sich jenes Wundertier anzuschauen, und ließen reichlich Geld da. Leider ist er mittlerweile in die Jahre gekommen und wird wohl keine weitere Amtszeit mehr überleben; aber ein ehrendes Andenken ist ihm sicher; und vielleicht werden die dankbaren Bürger dem guten Beispiel ja folgen und einen seiner Artgenossen zum Nachfolger wählen :-) Nein, Dikigoros meint einen anderen Satz, der vor allem auf die so genannten "Volks"-Parteien paßt: "Wäre es nicht die beste Lösung, die Regierung löste das Volk auf und wählte sich ein anderes?" Weshalb glaubt Ihr wohl, darf dieser Satz seit einigen Jahren in den staatlich kontrollierten Medien der BRDDR nicht mehr zitiert werden? Etwa, damit kein Untertan mit der Nase darauf gestoßen wird, daß die Obertanen Machthaber guten Demokraten nach US-amerikanischem Vorbild schon lange dabei sind, genau das zu tun? Ein ungeheurer Bevölkerungsaustausch ist im Gange; 16 Millionen "Migranten" leben bereits in diesem unserem Lande, Tendenz rapide steigend; wenn es so weiter geht, wird das große Werk, sich in Mitteleuropa ein neues Volk zu wählen, in zwei, maximal drei Generationen vollendet sein. Sollte das vielleicht Brechts Vermächtnis sein?!?

Ein paar Tage später trifft Dikigoros am Rande einer halb-offiziellen Veranstaltung zufällig auf den Ortsgruppenleiter Ortsvorsitzenden der C-Partei. Der hat schon etwas zu tief ins Glas geschaut und wiederholt pausenlos den Spruch, den er bereits in den lokalen Medien mehr als einmal zum Besten gegeben hat: "Ich begreife die Wähler nicht! Wenn es bei dieser Wahl um Kompetenz gegangen wäre, dann hätten die doch unmöglich den N. zum Oberbürgermeister wählen können, sondern nur unseren D.!" - "Da mögen Sie recht haben," pflichtet ihm Dikigoros sarkastisch bei, "denn N. war der kompetenteste Schulleiter, den diese Stadt seit Jahrzehnten gehabt hat. Der hat diesen Sauhaufen von Gesamtschulklitsche so ausgemistet und auf Vordermann gebracht, daß er kürzlich beim Bundeswettbewerb sogar einen Preis gewonnen hat, als beste Gesamtschule der Republik. Es ist geradezu ein Verbrechen, ihn von diesem Posten abzuziehen, denn jetzt wird die Schule bald wieder so verlottert sein wie vor seiner Zeit; und als OB wird er wohl scheitern, denn alles was er zu tun versucht, wird Ihre Partei ja sabotieren, da Sie die Mehrheitsfraktion im Stadtrat haben." - "Ach, so ein blöder Lehrer," lallt der C-Parteichef, "in diesen schweren Krisenzeiten braucht unsere Stadt keinen Schulmeister, sondern jemanden mit wirtschaftlicher Kompetenz. Unser D. ist schließlich ein Topmanager in Deutschlands größtem Wirtschafts-Unternehmen..." - "Hören Sie auf mit den Lügenmärchen," knurrt Dikigoros, "der Wahlkampf ist vorbei und für Sie verloren, weil zu viele Wähler heraus bekommen haben, was Ihr D. wirklich ist: Frühstücks-Direktor in einer Outplacement-Gesellschaft, wohin ihn die Firma T. wegen völliger Inkompetenz abgeschoben hat. Dort ist das Schlimmste, was er anstellen kann, daß er sich beim Nasepopeln den Finger bricht oder beim Däumchendrehen..." - "Na, erlauben Sie mal..." - "Nein, was erlauben Sie sich eigentlich mit diesen schamlosen Lügen? Und die Wähler wußten auch, daß Ihr D. gar kein Bonner ist, sondern aus M. kommt, ausgerechnet, damit war er für jeden echten Bonner von vornherein unwählbar. Hätten Sie unter den 300.000 Bürgerinnen und Bürgern keinen einzigen finden können, der weniger ungeeignet gewesen wäre, Sie... Sie... Ortsvorsitzender?" - "Was heißt denn Bonner? Der N. kommt auch nicht aus Bonn, sondern aus W.; das einzige, was der dem D. voraus hat, ist, daß er Bönnschen Dialekt spricht. Unser D. spricht dafür ausgezeichnet Hochdeutsch." - "N. kann auch ausgezeichnet Hochdeutsch sprechen, wenn er will; dagegen kann Ihr D., selbst wenn er wollte, ebenso viel echtes Bönnsch sprechen wie Sie und ich, nämlich gar nicht." - "Das ist also in Ihren Augen und Ohren eine Qualifikation für einen OB, Sie... Wähler?" - "Wollen Sie mich beleidigen? Ich bin Nicht-Wähler!" - "Ach, und warum?" - "Was liegt an mir? Ich hätte Sie sowieso nicht gewählt. Sie sollten sich lieber fragen, warum so viele, die potentielle Wähler Ihrer Partei sind oder sie sogar gewählt haben, sich trotzdem Ihrem OB-Kandidaten verweigert haben." - "Das frage ich mich schon die ganze Zeit." - "Ich verrate es Ihnen: Nachdem Sie die Wähler in zwei wesentlichen Punkten über D. belogen haben, glaubte man ihm halt auch den dritten Punkt nicht mehr. Es kommt ja nicht nur darauf an, wie man spricht, sondern auch darauf, was man sagt, und da hätte Ihr D. besser die Klappe gehalten, statt ein paar Tage vor der Wahl ausgerechnet auf Radio Bonn-Rhein-Sieg ein Interview zu geben, das sicher jeder potentielle Wähler gehört hat." - "Ich nicht." - "Dann lade ich Sie gerne mal ein und spiele Ihnen den Mitschnitt vor. Wenn Sie danach noch behaupten, D. sei Akademiker mit abgeschlossenem Jurastudium..." - "Ja, wieso denn nicht?" - "Weil jeder, der dieses Interview gehört hat, zu dem Schluß kommen muß, daß Ihr D. nicht mal einen ordentlichen Hilfsschul-Abschluß haben kann." Der Ortsgruppenleiter kippt mit einer fahrigen Handbewegung den restlichen Inhalt seines Bierglases auf den Boden und wirkt plötzlich wie ernüchtert: "Ich habe keine Lust, mir so alte Kamellen anzuhören; sagen Sie mir lieber, wie wir diesen Kerl jetzt wieder los werden; der ist doch erst vor ein paar Tagen unserem Ortsverband beigetreten; und in M. nehmen die ihn sicher nicht freiwillig zurück." - "Vielleicht sollten Sie ihn in die USA abschieben, dann kann er ja dort bei der nächsten Kommunalwahl nochmal kandidieren." - "Wie bitte?" - "Ja, ich erinnere mich noch an einen Wahlkampf in den 1970er Jahren, den ich dort miterlebt habe, und an eine Ausgabe von MAD..." - "Vom militärischen Abschirmdienst?" - "Nein, Sie alter Kommißkopp, ein Satire-Magazin. Darin war ein Cartoon, das einen Schreibtischtäter zeigte, der Ihrem D. verblüffend ähnelte; und darunter stand: 'Help the mentally incompetent, re-elect your congressman!'" - "Und was heißt das bitte?" - "Helft den geistig Behinderten, wählt Euren Abgeordneten wieder!" An dieser Stelle brach der Ortsgruppenleiter - der schließlich auch Abgeordneter im Stadtrat war - das Gespräch beleidigt ab. Dikigoros ist untröstlich, daß er diesen köstlichen kleinen Cartoon nicht mehr wieder findet, um ihn hier ins Web zu stellen; aber er versucht sich ein wenig mit dem Gedanken zu trösten, daß jetzt vielleicht endlich das häßliche pseudo-lateinische Fremdwort "Kompetenz" [wörtlich: Zusammengefurztes, aus "con (zusammen)" und "petere (furzen)"] aus dem Wortschatz der Wahlkämpfer verschwindet und dem schönen deutschen Wort "Sachverstand" Platz macht. (Im großen Zirkus der US-Politik spricht man bekanntlich längst nicht mehr davon, daß jemand "[in]competent" ist, sondern daß er oder sie "[un]qualified" ist.)

[Steinmeiers Sachverstand: So groß wie Merkels Pimmel] [Obamas Qualifikation: reicht zum Grüß-Gott-August am Valentinstag]

Wenige Wochen, nachdem Dikigoros diesen Nachtrag ins Web gesetzt hatte - aber wohl auch, weil nicht nur seine Frau über jene Wahlplakate gestolpert war -, änderte die C-Partei ihre Taktik und hängte neue Werbetafeln auf, die wiederum zu eine Anruf von Dikigoros' Mutter führten: "Sag mal, hat unsere Kanzlerin wieder geheiratet?" - "Ich wußte nicht mal, daß die schon wieder geschieden ist." - "Aber sie heißt doch jetzt 'Klug'." - "Ach was, die heißt noch immer 'Sauer' und nennt sich noch immer 'M.'." - "Aber auf einem Wahlplakat, das ich kürzlich gesehen habe, heißt sie 'Klug'; und darunter steht 'aus der Krise', das muß sie also sein, die aus der Krise." - "Tja, weißt du, so wie es Politiker gibt, die sich nicht trauen, zu schreiben, welcher Partei sie angehören, so gibt es eben auch Politikerinnen, die sich nicht trauen, zu schreiben, wie sie heißen. Was hätte sie denn sonst schreiben sollen: 'Dumm in der Krise' oder 'Sauer in der Krise'? Das wissen doch sowieso alle, nachdem ihrer Partei bei den letzten Kommunal- und Landtags-Wahlen über eine Million Wähler davon gelaufen sind." - "Aber es wäre doch wenigstens ehrlich!" - "Nun mach dich doch endlich mal von dem Gedanken frei, daß im Wahlkampf Ehrlichkeit regieren müßte. Und die Lügen der Frau Sauer werden auch keine Konsequenzen haben, denn die Konkurrenz lügt ja genauso oder noch dümmer. Wenn die 'großen' Parteien so weiter machen, wird noch der Napoleon von der Saar neuer Kanzler." - "Der Gysi?" - "Nein, Lafontaine; der Gysi würde dann wohl Justiz- oder Innenminister. Wenigstens die beiden sind ehrlich und sagen, was sie wollen: eine kommunistische Groß-DDR. Wenn dir das lieber ist..." - "Und noch etwas. Du hattest doch gesagt, Atomstrom wäre sauber; aber jetzt hängt da ein Plakat von der S-Partei, darauf steht: 'Saubere Energie ohne Atomkraft', und darauf zeigt der S. einem kleinen Mädchen eine Karte von Afrika. Ja, lügt denn der etwa auch?" - "Das würde ich so nicht sagen," antwortet Dikigoros, "denn lügen bedeutet ja, wissentlich die Unwahrheit sagen; aber der S. - das ist der, dessen Verstand so groß ist wie der Pimmel der Kanzlerin - ist so strohdumm, daß er vielleicht tatsächlich an den Unsinn glaubt, den er da verzapft." - "Aber ist es nicht eigentlich eine gute Idee, aus Sonnenenergie Strom zu gewinnen? Die Sonne scheint in der Wüste immer und kostet nichts." - "Ja, aber nach dem heutigen Stand der Technik ist das mit der Solarenergie gleich aus drei Gründen eine Schnapsidee: Erstens kostet der Bau der notwendigen Sonnenkollektoren hunderte von Milliarden, wenn nicht Billionen; der so gewonnene Strom würde ein Vielfaches des heute erzeugten kosten. Zweitens sind solche Anlagen sehr empfindlich; ein mittlerer Sandsturm, wie er in der Wüste seit Menschengedenken jedes Jahr mindestens einmal vorkommt, würde die Spiegel irreparabel zerstören. (In Deutschland reicht schon etwas Taubenscheiße, um sie dauerhaft unbrauchbar zu machen, aber das sollte Dikigoros erst ein paar Monate später erfahren :-) Und drittens will man ja gerade vom Erdöl weg, um nicht länger von Ländern wie Algerien und Libyen politisch abhängig und erpreßbar zu sein. Und wo will man die Sonnenkollektoren bauen? Genau dort! Ja, glaubt Du denn, wenn die uns den Ölhahn zudrehen, daß der Sonnenstrom weiter fließen würde? Das ist ein Milliardengrab, das uns die S-Partei im Kielwasser der Grünen da schaufeln will." - "Ich sag's ja immer, die kann man alle nicht wählen!"

Wenige Tage später ruft Dikigoros' Mutter ihren Sohn überraschend schon zur Frühstückszeit an: "Sag mal, habe ich das eben richtig gelesen, daß unsere scheidende Oberbürgermeisterin bei ihrem Abschiedsfest 100.000.- DM verpraßt hat, auf Steuerzahlerkosten? Und das, wo die Kassen der Stadt doch angeblich so leer sind?" - "Also erstens," meint Dikigoros, "waren das ja nicht 100.000.- DM, sondern nur 50.000.- Euro, und du weißt doch, daß die heuer nur noch eine Kaufkraft haben wie 50.000.- DM vor der Währungsreform. Und zweitens waren das ja nicht alles Steuergelder, nur etwa 17.000.- Euro." - "Und der Rest?" - "Den haben Spender aufgebracht." - "Spender? Was für Spender denn?" - "Industrielle, Wirtschaftsbetriebe und so." - "66.000.- DM, so einfach ohne Gegenleistung? Die verlangen doch bestimmt etwas dafür?!?" - "Nun ja, wie das so üblich ist, die hoffen halt, daß man ihnen dafür Aufträge der Öffentlichen Hand zuschustert." - "Ach, wie dieses größenwahnsinnige Weltkonferenzzentrum, oder wie das auf Englisch heißt. Wieviel Geld hat das die Stadt gleich gekostet? 400 Millionen Mark?" - "Nein, nur 200 Millionen Euro," entgegnet Dikigoros schwach. "Na, das ist aber mal ein gutes Geschäft, 66.000 DM spenden und dafür 400 Millionen Mark auf Steuerzahlerkosten zurück bekommen, das sind, Moment mal, für jede Mark Spende 6.000 Mark Steuergelder. Wenn ich also für das nächste Gelage im Rathaus 100.- Euro spende, bekomme ich dann 600.000 Euro heraus? Das wäre etwas mehr als ich in 100 Jahren Rente bekäme!" Dikigoros schweigt - was soll er darauf antworten? "Und überhaupt," fährt seine Mutter fort, "wie kann man an einem Abend 100.000.- DM verfressen und versaufen mit weniger als 100 Leuten? Da muß ja jeder für über 1.000.- DM gezecht haben!" - "Na ja, aber wenn die etwas Ordentliches trinken, dann kommt das doch auch dem gebeutelten deutschen Weinbau zugute." - "Ach, hast du mir nicht erst neulich erzählt, daß dein alter Schachfreund F. das kleine Weingut mit Gasthaus, das er von seinen Eltern geerbt hatte, dicht machen mußte, weil es sich nicht mehr rechnete?" - "Du kannst doch nicht erwarten, daß die Honoratioren unserer Stadt so ein essigsaures Gesöff von einer Klitsche in Niederdollendorf trinken!" - "Aber mußte es denn gleich Bordaucks und Schampakner sein?" (Dikigoros' Mutter spricht das gut deutsch aus, wie es sich schreibt, nicht etwa "Bordo" und "Schampanjer" :-) - "Wie kommst du denn darauf?" - "Das stand auch in der Zeitung. Kommen die nicht aus Frankreich? Wie soll denn das dem deutschen Weinbau zugute kommen?" - "Wenn du das so eng siehst, mußt du eben beim nächsten Mal die Kommunisten von der L-Partei wählen." - "Wieso, fressen und saufen die nicht?" - "Doch, aber bei denen gäbe es wahrscheinlich bloß billigen Rotkäppchensekt und Radeberger aus Ossiland. Und dazu statt Austern und Kaviar bloß Thüringer Rostbratwürstchen." - "Schade, daß ich das nicht vor der Wahl wußte, dann wäre ich vielleicht doch wählen gegangen." (Brecht, der alte Kommunist, wäre begeistert gewesen ob dieses Gesinnungswandels :-) [Dikigoros will hier nicht den Eindruck erwecken, als würden nur die Bonzen der S-Partei derart auf Steuerzahlerkosten prassen. Wenig später machte der Landesrechnungshof publik, daß auch die Vertreter der C-Partei und der F-Partei im Bundeslande N. während ihrer Koalitionsverhandlungen recht ordentlich zugelangt hatten, zwar nicht für 1.000 DM pro Nase, aber immerhin hatten die Delegationen gemeinsam 75 Flaschen besten französischen Weins à 85 bis 94 Teuro verzehrt. Ihr meint, kein Wein der Welt könne 188.- DM pro Flasche wert sein? Das meint Dikigoros' Mutter auch (deshalb hat er ihr das vorsichtshalber gar nicht erst erzählt :-), und das meinten in diesem Falle sogar die Parteien; sie zahlten deshalb auch "nur" 30.- Teuro pro Flasche; den Rest mußte das Land, also der Steuerzahler, übernehmen!]

Und da Dikigoros mit seinen Nachträgen so weit gegangen ist, will er seinen Lesern auch nicht vorenthalten, was seine Mutter zu den nächsten Bundestagswahlen, im Oktober 2013, zu sagen hatte - zumal es auch da wieder interessante Vergleiche mit früher gibt. In den letzten Tagen vor der Stimmabgabe hatten die Parteien nochmal ihre eigenen Wahlplakate mit kurzen, griffigen Schlagworten überklebt, über die auch Grete förmlich gestolpert war - wenngleich sie nicht so recht schlau aus ihnen wurde: "Sag mal, was verspricht der S. da? Er will seine Schlaftabletten absetzen? Das hätte er ja schon längst tun sollen, deshalb macht der immer so'nen verschlafenen Eindruck! Aber das ist wahrscheinlich wieder nur so'n Wahlversprechen, das er eh nicht hält..." [Ihr meint, liebe Leser - besonders Ihr von den Werbe-Agenturen -, das könne doch nur eine demente alte Frau in den 90ern mißverstehen? Ihr irrt: Frau Dikigoros - Akademikerin und im besten Alter -, von ihrem Mann darauf angesprochen, meinte nur: "Diesen Quatsch hat die S-Partei bestimmt nicht selber geklebt; das war die Konkurrenz, um S. lächerlich zu machen!"] Noch bevor Dikigoros dazu kam, seine Mutter aufzuklären, fuhr die schon fort: "Und dann will er den amerikanischen Nazis eine Ansichtskarte schicken - deshalb soll man ihn wählen?" - "Was will der?" - "Er will den National-Sozialisten Amerikas eine rote Karte schicken." - "Aber die NSA ist doch, äh... so etwas wie der Geheimdienst der USA, der all unsere Daten ausgeschnüffelt haben will, das hat damals die S-Partei, als sie an der Regierung war, mit denen so abgemacht, und die C-Partei hat das stillschweigend übernommen." - "Ja, aber passen denn diese Daten alle auf eine Postkarte? Sollte er da nicht besser gleich eine Diskette schicken?" - "Ich fürchte, diese Daten hätten auch auf einer Diskette keinen Platz; es wird schließlich jedes geschriebene und jedes gesprochene Wort eines jeden Bundesbürgers ausspioniert und festgehalten." - "Dann hat dieser S. also von Tuten und Blasen überhaupt keine Ahnung - und das gibt er auch noch so offen zu? Der ist ja völlig unwählbar! Was wollen die eigentlich mit meinen Daten?" - "Das ist eine gute Frage. Angeblich wollen die so verhindern, daß du Terror-Anschläge unterstützt." - "Ich?!?" - "Alle Menschen in Deutschland. Dabei bräuchten die nur mal in eine Moschee zu gehen, da wird jeden Freitag zu Terror-Anschlägen gegen Nicht-Muslime aufgerufen; das weiß auch jeder, aber es wird nichts dagegen getan; deshalb überzeugt mich diese Begründung auch nicht so recht." - "Und was habe ich da im Radio gehört, die G-Partei will einen Wätschi-Tag einführen? Was ist denn das?" - "Die wollen an einem Tag der Woche verbieten, daß Fleisch gegessen wird; das haben die den Nazis abgeguckt."

[braune Sauce und grüne Pest]

"Was für'n Unsinn," entgegnete Grete, "es gibt doch schon einen fleischlosen Tag in der Woche, den Freitag, da wird nur Fisch gegessen, wir sind schließlich ein christliches Land." - "Erstens sind die von der G-Partei überwiegend keine Christen, sondern Muslime oder Atheisten, und zweitens wollen die, daß wir auch keinen Fisch essen." - "Wie wollen die denn das kontrollieren? Soll da ein Blockwart durch die Häuser gehen und herum schnüffeln, wer was ißt? Und was passiert, wenn sie jemanden erwischen, der doch Fleisch ißt? Wird der dann verhaftet und eingesperrt?" - "Also erstens wird das nicht 'Blockwart' heißen, sondern 'Navigator', das klingt viel besser und bezeichnet neuerdings in den USA die staatlich besoldeten Spitzel, die überall herum schnüffeln, um heraus zu bekommen, ob auch jeder krankenversichert ist, und solche Fremdwörter übernehmen wir ja gerne; und zweitens brauchen sie das in den meisten Fällen gar nicht, sondern das geht wie bei Orwell in '1984': In alle neuen Fernsehgeräte sind Überwachungschips eingebaut, und da die meisten Leute vor laufendem Fernseher essen..." - "Ich nicht." - "Dein alter Kasten hat eh noch keinen solchen Chip, also laß dir bloß keinen neuen aufschwatzen." - "Und wie kommst du darauf, daß die das den Nazis abgeguckt haben?" - "Ja, gab es da nicht auch einen Eintopftag pro Woche?" - "Aber mein lieber Junge, wo denkst du hin? Die hätten sich doch nicht so lächerlich gemacht wie die Politiker heute! Damals hat niemand 7x pro Woche Fleisch gegessen, sondern unter der Woche Mehlspeis, Eier, Krautfleckerln oder Suppen, und vielleicht am Sonntag 1x Fleisch, weil das so teuer war. Und weil der Ley Spendengelder fürs Winterhilfswerk brauchte, ist er auf die Idee gekommen, daß die Leute im Winter an jeweils einem Sonntag im Monat statt Fleisch etwas Billigeres essen und die Differenz spenden sollten; wenn sie das taten, bekamen sie eine Anstecknadel, und niemand hat gefragt, ob sie trotzdem Fleisch gegessen haben oder nicht." [Anm. Dikigoros: Da hatte Grete etwas durcheinander gebracht: Weder das "Winterhilfswerk" noch der "Eintopfsonntag" - oder "Tag des Eintopfgerichtes", wie er offiziell hieß - unterstanden Robert Ley, sondern dem in der Öffentlichkeit weniger präsenten Erich Hilgenfeldt, über den Dikigoros an anderer Stelle schreibt. Dieser leitete die so genannte "NS-Volkswohlfahrt", zu der ein gutes Dutzend Hilfsorganisationen zählten, u.a. das "Ernährungshilfswerk" und das "Winterhilfswerk". Für alle wurde getrennt gesammelt; beim "WHW" bekamen Spender eine Anstecknadel; bei anderen Gelegenheiten, u.a. beim "Eintopfsonntag", gab es bloß eine Art Sammelbildchen mit Wertangabe.]

"Ich weiß gar nicht mehr, wann das angefangen hat mit dem täglichen Fleischessen," fuhr Grete fort, "wir haben es jedenfalls in den ersten 10-20 Jahren nach dem Krieg nicht getan, das mußt du doch noch wissen." - "Offen gestanden erinnere ich mich nicht mehr so genau; bei mir ist 7x pro Woche fleischloser Tag; aber deine Schwiegertochter ißt bekanntlich täglich Fleisch, Wurst und Schinken, schon zum Frühstück, die würde sich schön bedanken..." (Dikigoros hat seiner Mutter verschwiegen, daß die C-Partei, nachdem sie im Stadtparlament eine Koalition mit der G-Partei eingegangen war, längst in allen öffentlichen Kantinen der Stadt zwangsweise den "Veggie-day" eingeführt hatte. Seitdem bleiben die Kantinen Donnerstags gähnend leer; die Pommesbuden-Betreiber freuen sich, denn ihre Umsätze an Currywürsten, Hamburgern pp. sind dann immer besonders gut :-) "Und die L-Partei sagt: Finger weg von Syrien - was haben wir denn mit Syrien zu tun?" - "Tja, weißt du, früher haben die Staaten Kriege geführt, um andere Staaten zu erobern oder um sich gegen deren Angriffe zu verteidigen. Heute zetteln insbesondere die USA, seit sie einen Muslim zum Präsidenten haben, in aller Welt Bürgerkriege an, um islamische Fundamentalisten an die Macht zu bringen, u.a. in Syrien. Und die L-Partei fürchtet halt, daß auch wir da irgendwann mitmachen könnten." - "Dann müßte man doch eigentlich die wählen?!" - "Hm... wenn die anderen Parteien so weiter machen, muß man das wohl eines Tages; aber bis dahin bleib besser Nichtwählerin."

Nachtrag. Dikigoros' Mutter hat den Bonner OB-Wahlkampf im Sommer 2015 nicht mehr erlebt. Aber er ist überzeugt, daß ihre Reaktion darauf nicht viel anders ausgefallen wäre als die von Frau K., der letzten Überlebenden des Kaffeekränzchens aus ihrer Nachbarschaft, mit der er eigentlich nie viel am Hut hatte: Wenn sie ihm zufällig über den Weg lief, sagte er höflich "Guten Tag" und ging weiter. Aber in Gretes letzten Lebenswochen, als es ihr schon ziemlich schlecht ging, hatte er ihr unvorsichtiger Weise seine private Telefon-Nr. gegeben, für alle Fälle. Und nun ruft sie ihn, ganz wie früher seine Mutter, immer dann an, wenn es irgendwelchen Unsinn zu besprechen gibt, den sie früher wohl mit Grete durch hechelte. (Nicht ans Telefon gehen kann Dikigoros nicht; denn wie seine Mutter hat auch Frau K. noch einen alten Apparat ohne Absenderkennung.) Und rückblickend hat Dikigoros den Verdacht, daß sie es war, die hinter manch dummer Frage seiner Mutter stand, die sich eigentlich nie ernsthaft für Politik interessierte. Er hatte das auf ihre im Alter zunehmende Demenz zurück geführt; aber Frau K. ist erst Mitte 80 und schon ebenso dement, wie es Grete zuletzt war - jedenfalls ihren Fragen nach zu urteilen: "Für die C-Partei kandidiert ja jetzt so ein komischer Kauz aus Indien..." - "Wieso komischer Kauz?" - "Der trägt auf einem Wahlplakat rote Socken - das paßt doch gar nicht zu seiner Partei!" - "Das sind keine roten Socken, sondern rote Turnschule." - "Auch nicht besser. Kennen Sie den?" - "Nicht persönlich." - "Aber Ihre Frau Mutter hat mir mal erzählt, daß Sie alle Bonner Inder persönlich kennen." - "Na, alle ist wohl etwas übertrieben. Außerdem ist der S. ja gar kein Bonner." - "Das behauptet die C-Partei aber." - "Er ist nur zufällig in einer Bonner Klinik zur Welt gekommen. Er wohnt in Bornheim und arbeitet in Königswinter. Ich kenne ihn weiter nicht, und von meinen indischen Bekannten kennt ihn auch niemand - oder es will ihn niemand kennen." - "Dann sollte man den also nicht wählen? Vielleicht lieber den jungen Trommler mit dem Hitlerbärtchen, der verspricht, daß die Telefone nicht mehr abgehört werden und daß er die Steuern abschafft?" - "Erstens heißt der nicht Trommler, sondern, äh..." - "Ach nein, Pauker oder so ähnlich." - "Zweitens soll das bestimmt kein Hitlerbärtchen sein, sondern der ist nur schlecht rasiert, und drittens ist das doch eine Mogelpackung. Ob die unsere Telefonate abhören oder zuhören ist Jacke wie Hose, außerdem entscheidet darüber nicht der Bonner OB, sondern irgendjemand in Berlin oder in Washington. Und was die Steuern anbelangt, die heißen halt auf kommunaler Ebene Gebühren oder Abgaben; aber niedriger werden sie dadurch nicht, denn von irgend etwas muß unsere turmhoch verschuldete Stadt ja leben." (Dikigoros verkneift sich den Hinweis, daß der junge Mann in Bad Reichenhall wohnt - man soll ja keine Vorurteile gegenüber Auswärtigen haben; und weiter weg als Indien ist das auch nicht :-) "Dann sollte man vielleicht den Bauern aus Bessarabien wählen?" - "Wen?" - "Na, den Besser Rutenstroh. In Bessarabien haben die Leute noch so schöne, sprechende Namen. Man hört förmlich, wie der Bauer das Stroh mit Ruten drischt. Und die Berufsbezeichnung Bauer finde ich viel ehrlicher als Landwirt; er betreibt ja keine Kneipe auf dem Land, sondern bebaut es. Landwirt... das klingt für mich immer so, als ob sich eine Putzfrau Raumpflegerin nennt. Unser Bundespräsident kommt ja auch aus Bessarabien, und der nennt sich auch nicht Brennmaterialproduzent." - "Der Köhler ist zwar Bessarabier, aber schon längst nicht mehr Präsident. Haben Sie nicht mit bekommen, daß der zurück getreten ist?" - "Ach, und wer ist sein Nachfolger geworden?" - "Der Türken-Wulff, aber der ist auch schon zurück getreten; jetzt haben sie den Bock zum Gärtner gemacht." - "Zum Gärtner? Ich meine doch zum Bundespräsidenten!" - "Ja, ich auch, die Kuckuckslarve." - "Wen?" - "Offiziell heißt er Kuckuck; aber als er noch für die Stasi arbeitete, hieß er Larve. Und nach der Wende hat man ihm zum Verantwortlichen für die Stasi-Unterlagen gemacht; so konnte er alles vertuschen, was ihn oder andere IMs - die es ja auch im Westen zu tausenden gab, vor allem unter den Politikern - hätte belasten können. Aber der Kandidat der S-Partei heißt bestimmt nicht mit Vornamen Besser, sondern das soll ein Vergleichswort sein; und Bauer ist bestimmt keine Berufsbezeichnung, sondern sein Nachname." - "Aber Herr Doktor, Sie wollen wohl eine alte Frau veräppeln. Wenn Bauer sein Nachname wäre, dann wäre sein Vorname ja Rutenstroh." - "Ruhenstroth." - "Das wäre auch kein Vorname. Und das Vergleichswort besser schreibt man ja klein, nicht groß wie auf dem Wahlplakat; und überhaupt, was würde das für einen Sinn machen: besser als Rutenstroh?" - "Ruhenstroth!" - "Also, mir ist letztlich egal, wie der genau heißt; aber wen soll ich denn jetzt wählen?" - "Liebe Frau K., ich kenne keinen der Kandidaten persönlich; aber ich will mich gerne mal umhören, und dann rufe ich Sie zurück. Einverstanden?" - "Ja, wenn Sie meinen..."

"Die ist doch total plem-plem," sagt Frau Dikigoros, die mit gehört hat, "der S. trägt bestimmt keine roten Socken oder Turnschuhe; ihr müßt das mit dem Wahlplakat von diesem... na wie auch immer verwechselt haben. Vielleicht heißt der doch mit Vornamen Besser und mit Nachnamen Ruhenschrott-Bauer? Wahrscheinlich hat er eine Frau Bauer geheiratet." - "Aber dann müßte sich das doch mit Bindestrich schreiben!" - "Ach, die jungen Leute von heute können halt nicht mehr richtig lesen und schreiben; Politiker sind da keine Ausnahme. Nimm doch mal diese gehirn-amputierte Kindergebär-Maschine - wie wirbt die neuerdings für ihren Verein? 'Wir.Dienen.Deutschland.' So etwas wäre früher nicht über die 3. Klasse Volksschule hinaus gekommen." Dikigoros denkt an "seine" Zeit zurück, als die Bundeswehr noch mit dem Slogan "Wir produzieren Sicherheit" warb - und alles korrekt geschrieben! Aber er sagt nur: "Manchmal ist es wichtiger, daß eine Frau Kinder bekommt, als daß sie richtig lesen und schreiben kann." (Wenn Dikigoros weniger zartfühlend wäre, würde er fragen: 'Was ist schlimmer - wenn eine Frau keine Kinder bekommen kann oder wenn sie nicht richtig lesen und schreiben kann?' Aber er hält sich zurück.) "Ja, das ist auch wichtig; aber muß man so eine gleich zur Verteidigungs-Ministerin machen? Die Milliarden Steuergelder ausgibt, damit Kampfpanzer so umgerüstet werden, daß auch hoch schwangere Frauen darin zum Fronteinsatz fahren können? Und das Geld wieder einspart, indem sie Helme anschafft, die nicht dicht halten, und Gewehre, die nicht schießen?" - "Wir sind nicht mehr im 20. Jahrhundert. Bei den heutigen Kampfmitteln ist die Qualität von Gewehren und Helmen nebensächlich." - "Du meinst, weil heute mit Drohnen gekämpft wird? Aber bestimmt nicht mit denen, die diese Analfabetin angeschafft hat; die sind nämlich erstens unbewaffnet und zweitens so langsam, daß sie jeder mit einem simplen Schießgewehr herunter holen kann - vorausgesetzt, es funktioniert!" - "Nein, der nächste Krieg wird auch nicht durch unbemannte Flugkörper entschieden, sondern durch Software-Hacker, die Elektrizitäts- und Wasserwerke lahm legen." - "Aber diese Hacker werden des Lesens und Schreibens mächtig sein müssen, sonst bekommen die das nämlich nicht hin." - "Reg dich ab; wir hatten schon mal einen Analfabeten als Kultus-Minister, Minister-Präsidenten und sogar Bundes-Präsidenten, und das zu einer Zeit, als in Deutschland noch eine vorbildliche Bildungspolitik gemacht wurde, NRW das reichste Bundesland und die BRD in aller Welt hoch-angesehen war." - "Ja, jeweils zu Beginn seiner Amtszeit. Und an deren Ende waren die Universitäten in NRW nur noch Klippschulen, das Land war finanziell ruiniert, und die BRD war weltweit zur Lachnummer verkommen. Das waren raue Zeiten. Willst du, daß so etwas auch auf Bonn losgelassen wird?" - "Da kommt es doch nicht mehr drauf an. Die Stadt ist eh schon pleite, die Schulen sind völlig auf den Hund gekommen, und im Ansehen rangiert das Bundesdorf republikweit hinter allen Städten vergleichbarer Größe." - "Fehlt nur noch, daß du behauptest, dieser Bauer könnte auch nicht so viel saufen wie einst Bruder Johannes, weil nach dessen Abgang alle Brauereien in Bonn dicht gemacht haben. Nein, der heißt Bauer und ist Analfabet." - "Und woher soll der Vorname Besser kommen?" - "Stalins Vater hieß auch so; die Georgier haben halt aus dem griechischen Namen ein Wissarion gemacht, und die Bessarabien-Deutschen ein Besserion. Du weißt doch, daß das altgriechische Beta mal zum W und mal zum B geworden ist." [Auch Frau Dikigoros hat zu Urlaubszwecken Neugriechisch gelernt und kennt sich aus in solchen Dingen.] "Schön, ich werde mal nachfragen," sagt Dikigoros; aber er denkt gar nicht daran - wie käme er, zumal als Nichtwähler, dazu, seine Zeit mit Nachforschungen über diesen komischen Typen zu vergeuden, der schon einen Tag nach der Wahl wieder vergessen sein wird?

Doch schon nach wenigen Tagen ruft Frau K. wieder an: "Herr Doktor, stellen Sie sich vor, der Kandidat der S-Partei hat seinen Namen geändert! Er heißt jetzt mit Vornamen Peter. Alle Wahlplakate sind überklebt." Oha, denkt Dikigoros bei sich, so viel zu der Vermutung, daß bloß der BND und/oder die NSA unsere Telefonleitungen abhören - offenbar tun das auch die Stadt und die Parteien, die im Stadtrat vertreten sind! "Außerdem hat er noch ein paar Zeilen Text zusätzlich drauf gepappt," fährt Frau K. fort, "Bonn wächst." - "Bonn wächst?" - "Ja, um 30.000 Menschen in den nächsten Jahren, und er hätte die besten Konzepte, um sie zu integrieren. Aber woher sollen denn in den nächsten Jahren so viele Menschen nach Bonn kommen?" - "Ja, haben Sie das denn nicht mit bekommen? Deutschland nimmt doch in diesem Jahr ziemlich viele Flüchtlinge auf; die müssen ja irgendwo bleiben; in Griechenland und Italien, wo sie landen, ist nicht genug Platz." - "Aber müssen die denn alle ausgerechnet nach Bonn kommen?" - "Wieso alle?" - "Die Bundesregierung hat doch gesagt, in diesem Jahr kommen insgesamt 300.000; warum soll Bonn da gleich 10% nehmen?" - "Erstens hat die Regierung ihre Schätzungen gerade nach oben korrigiert, auf 800.000; zweitens dürfte auch das viel zu niedrig gegriffen sein, ich tippe eher auf 2 Millionen, und danach jedes Jahr mindestens das doppelte..." [Nur wenige Wochen später sollte die Bundesregierung ihre Schätzungen erst auf 1,7 Millionen, dann - unter Berücksichtigung des "Familiennachzugs" - sogar auf 7 Millionen korrigieren - bis Jahresende 2015, und danach bis zu 40 Millionen insgesamt - aber von diesem Schreckensszenario ahnte selbst Dikigoros noch nichts.] - "Moment mal, dann hätte Bonn ja bald mehr ausländische Einwohner als deutsche." - "In manchen Stadtbezirken ist das doch jetzt schon so: Im Norden Dransdorf, Tannenbusch und Auerberg, im Zentrum Castell und die Altstadt, im Süden Bad Godesberg, im Osten Pützchen und Neu-Vilich... wobei letztere wenigstens nicht mehrheitlich von Muslimen und Afrikanern bevölkert werden, sondern von Polen und Russen." - "Aber wo sollen die denn alle unterkommen?" - "Das hat der Sch. von der G-Partei doch auf seinen neuen Wahlplakaten klipp und klar gesagt: 'Flüchtlinge zu Nachbarn machen!'" - "Aber wie soll denn das gehen?" - "Man wird erst alle leer stehenden Gebäude beschlagnahmen, und wenn das nicht mehr ausreicht, wird man Zwangseinweisungen vornehmen, wie nach dem Krieg. Sie dürfen sich Ihre Eigentumswohnung also bald mit ein paar Muslimen teilen und fünfmal täglich mit denen gen Mekka beten." - "Und wenn ich das nicht will?" - "Dann werden Sie getötet, das sieht die Sharia so vor, die soll bei uns demnächst Gesetz werden." - "Dieser Sch. spinnt wohl - was ist denn das für ein Typ?" - "Das ist ein Theologe, genauer gesagt ein Befreiungs-Theologe, d.h. ein Krimineller, der die besten Jahre seines Lebens damit zugebracht hat, den Untergrundkampf irgendwelcher Terroristen in Lateinamerika zu unterstützen. Und seit er wieder in Deutschland ist, hat er noch keinen Tag ehrlich gearbeitet, sondern sich als Frühstücks-Direktor und Aufsichtsrat durch irgendwelche aus Steuergeldern finanzierte Institutionen schmarotzt." - "Und so einer soll Bürgermeister werden? Was sagt denn die Bundesregierung dazu?" - "Die ist genau derselben Meinung, allen voran die Kanzlerin." - "Dann ist die ja zehnmal schlimmer als die Nazis!" - "Wieso?" - "Na, wie viele ausländische Besatzer haben uns die Nazis mit ihrem verlorenen Krieg eingebrockt?" - "Was weiß ich? Vielleicht eine Million, vielleicht zwei." - "Und wie viele Ausländer haben wir jetzt im Land?" - "Wenn man die so genannten Deutschen mit Migrations-Hintergrund dazu zählt, etwas über 16 Millionen." - "Sehen Sie, und bis Ende nächsten Jahres kommen noch mal 6 Millionen dazu, das haben Sie eben selber gesagt, also sind die da in Berlin zehnmal schlimmer als die Nazis. Kann man da, muß man da nicht Widerstand leisten? Mein Enkel war doch bei der Piraten-Partei..." - "Das habe ich gehört. Ist er es nicht mehr?" - "Nein, er war ja nur bei den Piraten, weil die gegen das Abhören von Telefon-Gesprächen sind; aber als er erfahren hat, daß die auch dafür sind, noch mehr Asylanten ins Land zu holen, ist er sofort ausgetreten. Vielleicht sollte er der Pegida beitreten?" - "Das ist keine Partei, und es gibt auch keine Mitgliedschaft. Und bevor Sie fragen: Die A-Partei ist gerade über dieser Frage auseinander gebrochen." - "Dann müßte man halt eine neue Partei gründen, die gegen die Aufnahme von Millionen Flüchtlingen ist. Ich hätte auch schon einen guten Slogan: Schlagt den Rutenstrot mausetot!" - "Da bekämen Sie garantiert Ärger mit der Staatsanwaltschaft und den Gerichten. Bei denen dürfen nur Muslime ungestraft zum Mord an Nicht-Muslimen aufrufen."

"Müßten die Gerichte nicht vielmehr gegen diesen Rutenstrot vorgehen, ich meine wegen Schadensersatz?" - "Ha ha. Eine Flüchtling kostet die Stadt, alles zusammen genommen, pro Jahr ca. 50.000 Euro, das sind bei 30.000, wenn es denn dabei bleibt, 1,5 Millarden Euro pro Jahr. Sie glauben doch nicht, daß dieser Bauer so viel Geld hat?!" - "50.000.- Euro im Jahr? Aber das ist ja fast fünfmal soviel wie ich Rente bekomme!" - "Tja, das hat meine Mutter auch immer gesagt." - "Dann wären das ja bei 6 Millionen, Moment mal... 300 Milliarden Euro pro Jahr! Was kostet uns gleich die Griechenland-Rettung, von der jetzt so viel geredet und geschrieben wird?" - "Erheblich weniger. Aber beides sind Fässer ohne Boden: Je mehr Geld wir für Flüchtlinge ausgeben, desto mehr kommen nach; und je mehr wir den Griechen in den Arsch pusten, desto mehr verlangen sie." - "Könnte man den Griechen nicht ein Geschäft vorschlagen: sie lassen keine Flüchtlinge mehr rein, und wir erlassen ihnen dafür einen Teil der Schulden?" - "Das haben die Griechen ja schon angeboten." - "Und?" - "Die Bundesregierung hat es strikt abgelehnt und gedroht, den Griechen den Geldhahn zu zu drehen, wenn sie die Grenzen nicht für Flüchtlinge offen halten; und da Griechenland nicht genug Lebensmittel produziert und sie auf Pump importieren muß, würde das eine Hungersnot bedeuten." - "Aber woher soll denn das viele Geld für diese so genannten Flüchtlinge kommen?" - "Von den Kommunen. Der Bund hat seine Beihilfen gerade gerade großzügig von 500 Mio auf 1 Mrd. Euro erhöht, d.h. den Rest von schlappen 299 Mrd. Euro pro Jahr zahlen die Stadt Bonn und andere Städte, und die meisten krebsen jetzt schon am Rande der Pleite. Ihr Guthaben bei der städtischen Sparkasse können Sie dann vergessen." - "Aber muß die Bundesregierung, wenn die Städte Pleite machen, da nicht einspringen?!" - "Das wird sie wohl oder übel; aber auch das muß irgendwie bezahlt werden, und zwar vom Steuerzahler, der künftig noch mehr geschröpft werden wird, und von Leuten, die etwas mehr Rente haben als Sie; die wird dann gekappt. Es gibt ja erst 3 Millionen Rentner in diesem unserem Lande, die nur knapp über dem Sozialhilfesatz liegen, das werden dann eben noch mehr. Rechnen Sie mal grob geschätzt, daß für jeden so genannten Flüchtling zehn deutsche Rentner unter die Armutsgrenze rutschen. Es geht ja längst nicht allen so gut wie meiner Mutter, die eine zusätzliche Witwenpension hatte, oder Ihnen, die Sie eine Eigentumswohnung haben, so daß Sie die Miete sparen, egal ob Sie die künftig noch alleine nutzen dürfen oder nicht, und ob Sie die Nebenkosten, die ihre Zwangsuntermieter verursachen, übernehmen müssen, wovon ich freilich ausgehe." - "Und keine einzige Partei ist gegen diesen Wahnsinn?" - "Doch, die P-Partei; aber die wird wieder nicht über die 5%-Hürde kommen, weil die Auszählung manipuliert wird." - "Wenn das so ist, dann muß man eben militärischen Widerstand leisten, wie die Helden vom 20. Juli." - "Ja, aber Sie wissen doch, wie die geendet sind. Und überhaupt: Hat Ihr Enkel gedient? Wie viele Truppen hat er hinter sich? Hat er Leute bei der Bundesmarine, die den Befehl erteilen können, ab sofort keine Flüchtlinge mehr aus dem Mittelmeer zu fischen? Hat er Leute bei der Bundespolizei, die die Grenzen dicht machen können? Hat er Leute bei der Polizei der Länder, die den verbrecherischen Schießbefehl aufheben können gegen Menschen, die friedlich gegen die Aufnahme von noch mehr Flüchtlingen demonstrieren? Hat er Leute bei den Medien, die das Verbot, den Menschen die Wahrheit zu sagen, aufheben können?" - "Nein, aber er hat technisches Verständnis. Man müßte doch nur eine mit Sprengstoff beladene Drohne über den Bundestag..." - "Eine Drohne? Liebe Frau K., selbst wenn die durchkäme, und selbst wenn alle Abgeordneten anwesend wären, und wenn sie allesamt umkämen... damit wäre gar nichts gewonnen. Hitler & Co. hätten Ihre Helden, wenn sie denn welche gewesen wären, noch mit einem einzigen Anschlag beseitigen können - obwohl der ja bloß dem Mufti und noch ein paar hundert anderen Muslimen Asyl gewährt hatte. Aber heute gibt es tausende Politiker, die nicht zehn-, sondern hundertmal schlimmer sind als Hitler; und die Zahl ihrer Helfer und Helfershelfer in den Medien, der Verwaltung und den bewaffneten Organen ist Legion; die kann man nicht alle so einfach auf einen Schlag beseitigen. Aber ich sage Ihnen etwas: Zwei Häuser weiter wohnt Frau C., die hat bei der letzten BT-Wahl für die A-Partei kandidiert, die jetzt auseinander gefallen ist; deren Mann ist Berufsoffizier a.D. Vielleicht hat die eine Idee, was zu tun ist. Ich suche Ihnen mal die Nr. raus..." Dikigoros greift zum Telefonbuch, gibt die Nr. durch und hofft inständig, daß Frau K. in Frau C. eine neue Gesprächspartnerin finden wird. Nachtrag Ende (hoffentlich :-) [Fast: Ein paar Tage später hatte Peter R. den Text von den 30.000 Flüchtlingen überklebt mit dem Versprechen, mehr Steuergerechtigkeit einzuführen. Blieb nur noch die Frage, ob dieser Bauer nicht wußte, daß Steuergerechtigkeit Bundes- bzw. Ländersache ist, oder ob er inzwischen erfahren hatte, daß Bonn nicht mit nur 30.000 Flüchtlingen davon kommen würde. Zu diesem Zeitpunkt wußte Dikigoros immer noch nicht, ob er nun Bauer war oder Bauer hieß. Erst kurz vor der Wahl erhielt er Gewißheit, als seine Helfer alle Plakate der Konkurrenz mit einem Zweizeiler versahen, dessen 1. Zeile lautete: "Besser R.", gefolgt von einer 2. Zeile, auf der nur "Bauer" stand. Frau K. hatte also recht. Und was lernen wir daraus? Daß der Satz "Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln" gar nicht so verkehrt ist. (Und, um auch das noch nachzutragen: Bei der Wahl gewannen - wie zuletzt fast immer - die Nichtwähler die absolute Mehrheit; Dem guten S., der sich dessen rühmte und der damit im 1. Wahlgang OB wurde, hatten in Wahrheit nicht mal 20% der Wahlberechtigten ihre Stimme gegeben :-)]

* * * * *

Blenden wir wieder knapp 80 Jahre zurück. Nein, Hitler brachte den armen Leuten das Fleisch nicht gleich persönlich vorbei - zumal er ja selber Vegetarier war -; vielmehr begab es sich, daß just in jenen Tagen zwei Cousinen von Grete heirateten, und zwar, eingedenk des Satzes, daß Handwerk goldenen Boden hat, und das Metzgerhandwerk für gewöhnlich auch einen gefüllten Magen, zwei "Fleischhauer", wie das damals auf Amtsdeutsch hieß. Und damit kommen wir zugleich auf ein Thema, zu dem Dikigoros auch immer wieder Leseranfragen erhält, denn der eine war christlichen, der andere mosaïschen Glaubens - also kein Konvertierter hebräischer Abstammung, sondern ein echter Jude, der auch noch gemäß seinem Glauben lebte. Der Unterschied war ganz einfach - und in den Augen Helenes und Gretes ganz beträchtlich: Wenn der christliche Fleischer schlachtete, lud er bisweilen die armen Verwandten seiner Frau zum Essen ein; wenn dagegen der jüdische Fleischer schächtete, dann war das eine sakrale Handlung, der kein Nicht-Jude beiwohnen durfte - nicht mal seine eigene Frau -, und von dem solchermaßen gewonnenen Fleisch bekamen Gojims - auch wenn sie mit ihm verschwägert waren - grundsätzlich nichts ab. Dreimal dürft Ihr raten, welcher der beiden bei Helene und Grete beliebter war. Was aus den beiden geworden ist? Nun, der christliche Fleischer - Otto hieß er übrigens - war ein Dummkopf; er hatte 1938 laut "Heil Hitler" gerufen, als der so Gegrüßte das friedlich wieder zusammen wachsen ließ, was ein anderer Dummkopf - der zufällig auch Otto hieß - 72 Jahre zuvor mit Blut und Eisen auseinander gerissen hatte. Er wurde bald darauf eingezogen und fiel 1941 auf dem Balkan, von dem der andere Otto gesagt hatte, daß er nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Grenadiers wert sei (und da hatte er ausnahmsweise mal Recht gehabt, aber das ist eine andere Geschichte). Der jüdische Fleischer dagegen war ein kluger Mann, schon ein etwas älteres Semester mit entsprechender Lebenserfahrung. Er sah, was kommen mußte, und obwohl ihm als Reserve-Offizier und Träger des Frontkämpfer-Abzeichens aus dem Ersten Weltkrieg keine Gefahr von den "Nürnberger Gesetzen" drohte, zog er es doch vor, ins vermeintlich sichere Ungarn überzusiedeln. 1945, bei der "Befreiung" durch die Sowjets, wurde er durch diese von seinem Leben befreit - immerhin war er ein böser Kapitalist gewesen (er hatte drei Gesellen und Lehrlinge beschäftigt, pardon "ausgebeutet"); auch er zählte also zu den 6 Millonen jüdischen Opfern der Jahre 1941-48, die man später allein den Deutschen in die Schuhe schieben sollte.

[Nachtrag. Dikigoros hat wie gesagt vieles hier nach den Erinnerungen seiner Mutter nieder geschrieben, die für ihn einen hohen Quellenwert haben, da sie Zeitzeugin war. (Übrigens auch in Sachen "keine Gefahr von den Nürnberger Gesetzen" - wenngleich in den heutigen Geschichts- und Märchenbüchern steht, daß die Ausnahmetatbestände später aufgeweicht worden seien. General-Leutnant Rosenbusch - den sie anläßlich einer Ordensverleihung in Norwegen auch mal persönlich kennen lernte -, 1942-44 Inspekteur der Landbefestigung Nord, war im Ersten Weltkrieg Hauptmann gewesen und in den 1920er Jahren Mitverfasser eines anerkannten - und daher 1945 verbotenen - Standardwerks über den Minenkrieg. Niemand diskriminierte ihn im "Dritten Reich", weil er Jude war - ebenso wenig wie die General-Feldmarschälle Milch und v. Lewinski alias v. Manstein, die erst 1945... aber das könnt Ihr selber nachschlagen.) Er will Euch indes nicht verhehlen, daß andere Zeitzeugen das damalige Geschehen ganz anders in Erinnerung behalten haben - oder das jedenfalls behaupten -, darunter solche, deren Stimme in den Augen und Ohren der "Historiker" ein ungleich höheres Gewicht haben als die einer kleinen Kontoristin und Stabshelferin, z.B. Otto v. Habsburg. Der durfte 70 Jahre lang ungestraft das gleiche behaupten wie Brecht, nämlich daß "Österreich" das erste Opfer der Aggression des Preußen Hitler war, und daß die braven "Österreicher" in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit den "Anschluß" ablehnten; die paar Tausend Jubelnden auf dem Wiener Heldenplatz seien nur dorthin gegangen, um Hitler zu sehen wie man heuer zu einem Fußballspiel geht und mit jubelt - überhaupt nicht ernst zu nehmen... Wer beschreibt aber seine unangenehme Überraschung, als er anläßlich des 70. Jahrestages der Wiedervereinigung der Ostmark mit dem Deutschen Reich gewaltsamen Annexion der Republik Österreich durch Nazi-Deutschland genau das noch einmal sagte: Plötzlich hatte sich die Doktrin der politisch-korrekten Gutmenschen geändert, und er wurde beinahe zum Gedankenverbrecher und Holocaust-Leugner gestempelt, weil er nicht zugeben wollte, daß die Mehrheit der Österreicher genauso böse Nazis waren wie die Mehrheit der Deutschen aus dem "Altreich". Gut so, meint Dikigoros, daß dem verkalten alten Trottel endlich mal übers Maul gefahren wird. Er fragt sich allerdings, weshalb dann nicht auch Brechts "Arthuro Uri" - der sich inhaltlich in nichts von Ottos Sermon unterscheidet - endlich von den Bühnen dieses unseres Landes abgesetzt und sein Verfasser in die gleiche Ecke gestellt wird. Nachtrag Ende.]

Und noch ein Exkurs. In jüngster Zeit setzt sich unter Historikern die These durch, daß die Wurzeln des Zweiten Weltkriegs im Ersten Weltkrieg im allgemeinen und im Versailler Vertrag im besonderen gelegen haben. Das ist eine interessante These, die wiederum auf einer anderen interessanten These beruht, nämlich daß Hitler den Zweiten Weltkrieg entfesselte, um die durch das Versailler Friedensdiktat geschaffene Welt[un]ordnung zu beseitigen, und sowohl Rechte als auch Linke können sich - wenngleich unter anderen Vorzeichen - mit ihr anfreunden. Dennoch ist sie in fast jeder Hinsicht falsch. Zwar ist es richtig, daß der Versailler Vertrag viele Ungerechtigkeiten enthielt. (Eine davon, den Ausschluß deutscher Sportler von internationalen Wettkämpfen, hat Dikigoros schon erwähnt, eine weitere war die Vorenthaltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker für die Deutschen - zu denen ja auch die Ostmärker zählten -, und man könnte sicher noch mehr finden, wenn man wollte.) Richtig ist auch, daß Hitler den Kampf gegen Versailles auf seine Fahnen geschrieben hatte - aber da fängt die Geschichts-Klitterung schon an, denn das hatten alle deutschen Politiker und Parteien der Zwischenkriegszeit, von Rechtsaußen über die bürgerliche Mitte, die Sozial-Demokraten bis hin zu den Kommunisten (jawohl, auch Thälmanns KPD)! Und eine Revision von Versailles war ja nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch und vor allem der Vernunft: Die einseitigen Warenströme der Reparations-Leistenden an die Reparations-Empfänger hatten den "Weltmarkt", d.h. die Währungssysteme und den Warenaustausch, gründlich ruiniert. (Was kein Kunststück war, nachdem die größten Industrie-Staaten der Welt vier Jahre lang praktisch ihre gesamte Arbeitsleistung darin "investiert" hatten, Waffen, Munition und anderes Kriegsgerät zu produzieren, die dann mitsamt Millionen von Menschen irgendwo an der Front "verbraucht" wurden für nichts und wieder nichts; aber umso mehr hätte man dem nach Kriegsende entgegen steuern müssen durch einen vernünftigen, den allseitigen Wiederaufbau fördernden Friedensvertrag.) Betroffen waren dabei keineswegs nur die Völker der Verlierer-, sondern auch die der "Sieger"-Staaten, die es psychologisch vielleicht noch schlimmer traf, denn die hatten sich ja darauf verlassen, daß nach dem Krieg die geschlagenen Deutschen für alle Verluste aufkommen würden. Nun aber lag die Wirtschaft in England und Frankreich (in Rußland sowieso) genauso darnieder wie in Deutschland, und selbst in den USA - die weder vom Krieg zerstörte Landstriche noch einen hohen Blutzoll entrichtet hatten - war sie nach dem Börsenkrach Ende der 1920er Jahre zusammen gebrochen. (Und es blieb nicht bei dem einen "Schwarzen Freitag": In den USA gab es in den 1930er Jahren sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentual mehr Armut und Arbeitslosigkeit als im Deutschen Reich - erst Roosevelts geniale Kriegspolitik sollte die Krise überwinden.) Aber dennoch - wo soll da der zwingende Kausal-Zusammenhang zwischen den beiden Weltkriegen gewesen sein? Hitler hätte es mit Dikigoros' Großvater halten und die Volksdeutschen in Bromberg und anderswo in Polen ihrem Schicksal überlassen und gut Freund mit Stalin bleiben können; Japan hätte den chinesischen und die südostasiatischen Märkte mit friedlichen Mitteln erobern können; die Engländer und Franzosen hätten sich mit den Deutschen selbst nach dem Polen-Feldzug noch friedlich arrangieren (und damit ihre Kolonialreiche behalten) können, und die USA...? Ja, die wären ein echtes Problem gewesen, solange Roosevelt an der Macht war, denn der brauchte und wollte den Krieg unbedingt; aber ob er es auch geschafft hätte, ihn alleine anzuzetteln, wenn alle anderen nicht gewollt hätten? Wohl kaum, denn ohne entsprechenden Vorwand wäre ihm das amerikanische Volk - das in seiner Mehrheit die Zusammenhänge zwischen Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Aufrüstung und Krieg nicht durchschaute - schwerlich gefolgt. Exkurs Ende.

Und noch ein längerer Nachtrag als Antwort auf diverse Lesermails: Nein, Dikigoros will hier über niemanden den Stab brechen, der die Nazis oder die Kommunisten gewählt hat, er will auch niemanden in den Himmel loben, der das nicht getan hat, und er will niemanden entschuldigen, der es dann doch getan hat. Er lehnt den Satz "alles verstehen heißt alles verzeihen" ab; er macht immer einen Unterschied zwischen "etwas verstehen" und "für etwas Verständnis haben". Er will hier also kein Verständnis wecken; er möchte nur jüngeren Lesern verstehen helfen, warum damals einige Menschen so gewählt haben und andere so und andere überhaupt nicht. Meist steckten gar keine unterschiedlichen Ideologien dahinter, sondern einfach nur unterschiedliche Lebenslagen. Dikigoros' Großvater war von klein auf arm gewesen und hatte gelernt, damit zu leben; er hatte kein Geld, das er in der Inflation 1923 hätte verlieren können, also auch keinen Grund, die "Weimarer Republik" und ihre Parteien zu hassen. Seinen Job hatte er auch während der Weltwirtschaftskrise nicht verloren. (Es hätte sich für seinen Arbeitgeber nicht gelohnt, ihn zu entlassen, denn getan werden mußte die Arbeit, und sie war so gefährlich und so schlecht bezahlt, daß sich erstmal ein anderer Dummer hätte finden müssen, der sie tat ohne zu murren, ohne zu streiken und ohne andere aufzuwiegeln.)

Längerer Nachtrag: Leser haben Dikigoros gefragt, was denn der Beruf seines Großvaters war. Das wußte er bis vor kurzem selber nicht so genau; und auch sein Vater erzählte ihm mal, daß er es nicht genau wußte und es ihm immer peinlich war, wenn er danach gefragt wurde, denn "Arbeiter" war ja nun doch etwas ungenau. Dikigoros hat es erst nach dem Tode seiner Mutter erfahren, die den Nachlaß seines Vater unter Verschluß gehalten hatte, der den Nachlaß seines Großvaters unter Verschluß gehalten hatte, genauer gesagt dessen Tagebuch, ein Dokument allerersten Ranges zur deutschen, insbesondere Hamburger Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Seine Eltern hatten sich wohl nie die Mühe gemacht, es richtig durchzuackern, denn es waren mehrere DIN-A-3-Kladden mit zusammen vielen tausend Seiten und schwierig zu lesen: Verblichene Tinte, Sütterlin-Handschrift eines von Krankheit gezeichneten Mannes. ("Vielleicht sind es die Nerven, daß ich meine Hand nicht mehr ruhig halten kann, was sich auch in der Schrift bemerkbar macht. Man schmiert dann eben drauf los, ganz egal wie es aussieht. Dabei habe ich früher immer großen Wert auf eine schöne, leserliche Handschrift gelegt!") Und seit Ende 1943, als es die dicken Kladden à 384 Seiten nicht mehr zu kaufen gab - sondern nur noch solche à 192 -, kürzte er alle längeren Wörter ab und klebte Zeitungsausschnitte, Bilder, mangels Masse nicht eingelöste und verfallene Lebensmittelmarken etc. nicht mehr auf leere Stellen, sondern auf den geschriebenen Text. Auch inhaltlich war es keine leichte Kost; schon aus dem eingelegten Bildmaterial wurde klar, daß es einige äußerst unschöne Dinge enthielt, und die wollten sie ihren Kindern vorenthalten. Das folgende ergibt sich aus jenem Tagebuch, und es stimmt mit seinem offiziellen Lebenslauf nur bedingt überein. Urs war nach dem Krieg Flaschenabfüller bei Linde in Wilhelmsburg geworden. Offiziell war das ein "Sauerstoffwerk". Nun wird niemand bezweifeln wollen, daß dort tatsächlich auch Sauerstoff abgefüllt wurde - aber eben nicht nur. Durch das Versailler Diktat waren dem Deutschen Reich u.a. Entwicklung, Produktion und/oder Import von Kampfgasen verboten; und auch die Siegerstaaten hatten ein paar Jahre später ein Stück geduldiges Papier mit einem Abkommen beschmiert, in dem sie sich selber zu einer entsprechenden Unterlassung verpflichteten. Aber natürlich hielt sich niemand daran - wer wollte sich schon gegenüber potentiellen Feinden im nächsten Krieg wehrlos machen? Militärflugzeuge und Panzer - die den Deutschen ebenfalls verboten waren - mußten sie im Ausland erproben, in der Sowjet-Union - ihre Anwesenheit im Reich wäre zu auffällig gewesen -; aber was in so einer Stahlflasche steckte fiel doch niemandem so ohne weiteres auf, oder? Bei Linde wurde auch "Senfgas" produziert. (Ja, liebe Chemiker, Dikigoros weiß schon, daß das eigentlich kein "Gas" im wissenschaftlichen Sinne des Wortes ist; aber es wurde als chemisches Kampfmittel eingesetzt, stand ihm also gleich.) Bisweilen passierten Unfälle im Werk; und bei einem davon bekam Urs etwas ab. Ihm war sofort klar, daß er da keinen Sauerstoff eingeatmet hatte; aber er war weder Chemiker noch Mediziner, und so mußte er glauben (bis er viele Jahre später anhand der Symptome die traurige Wahrheit rekonstruierte - die damals unter keinen Umständen bekannt werden durfte), was der Betriebsarzt und der Vertrauensarzt der Krankenkasse übereinstimmend diagnostizierten: Spätfolgen einer Tuberkulose. Nun hatte Urs zwar tatsächlich mal Tbc gehabt; aber vor Erfindung des Penicillin gab es da nur zwei Möglichkeiten: Entweder man starb daran oder man wurde wieder gesund, und dann gab es auch keine "Spätfolgen". Aber wer einen Lungenschaden partout so begründen wollte hatte anhand der aktenkundigen Krankengeschichte leichtes Spiel. Immerhin erkannte man Urs eine 50%ige Erwerbsminderung zu, verschrieb ihm als Placebo Medikament regelmäßig Anis-Fenchel-Tee - den es damals nur in der Apotheke gab und den er so gerne trank (genau wie sein Enkel, der von Kind an darauf "geeicht" wurde; auch während er diese Zeilen schreibt, steht auf seinem Schreibtisch ein großer Becher davon :-) - und versetzte ihn auf einen leichteren Arbeitsplatz, wo er in erster Linie die Flaschen zu zählen hatte, die ins Lager kamen und es verließen (zeitweise über 1.000 Stück pro Tag, wie er mal empört schrieb); nebenbei durfte er manchmal aushilfsweise das Werktagebuch schreiben - nach Diktat des Obermeisters -, was ihn auf die Idee brachte, auch selber ein privates Tagebuch zu führen, und noch später auch aushilfsweise den Postein- und ausgang bearbeiten. Das alles erstmal bei gleichem Lohn. Dann kam der Krieg; die KV-fähigen Männer wurden eingezogen; die Dienstuntauglichen durften ihre Arbeit mit erledigen. Urs kam im Durchschnitt auf 70 Stunden pro Woche. Das machte ihm an sich nichts aus, denn die Arbeit war wie gesagt nicht anstrengend; und da die Nazis die 48-Stunden-Woche eingeführt hatten, wurden Überstunden, Nachtarbeit und Arbeit an Sonn- und Feiertagen - der Krieg machte keinen Feierabend und keine Feiertage - entsprechend höher bezahlt, so daß sich sein Lohn fast verdoppelte. Dann bekam er eines schönen Tages im Jahre 1943 die erfreuliche Mitteilung, daß er ins Angestelltenverhältnis übernommen worden sei. Das war damals, als die Klassengesellschaft - welche die Nazis eigentlich hatten "abschaffen" oder "überwinden" wollen - noch immer herrschte, ein sozialer Aufstieg: Ein Angestellter war zwar weniger als ein Beamter, aber mehr als ein Arbeiter; u.a. hatte er das Recht, bei der Arbeit ein weißes statt eines blauen Hemdes zu tragen. (Von diesem zweifelhaften Privileg machte Urs indes nie Gebrauch; denn der "Blaumann" wurde vom Werk gestellt; das weiße Hemd hätte er dagegen selber kaufen müssen - das wäre auf Kosten der ohnehin knapp bestückten Kleiderkarte gegangen (die enthielt nur 100 Punkte p.a., und ein Oberhemd kostete 20!) -, und vor allem hätte es seine Frau selber waschen müssen, denn Sauberkeit mußte sein - und Waschmittel waren ebenfalls rationiert und nur auf Karte zu beziehen. Oder er hätte dafür auf dem Schwarzmarkt Zigaretten opfern müssen - und die waren für wichtigere Tauschgeschäfte reserviert.) Das böse Erwachen kam bei der nächsten Lohnabrechnung; die Sache hatte nämlich den berühmten Pferdefuß, und der hieß Sozialversicherung. Bis zu einer bestimmten Lohnhöhe bzw. -niedrigkeit war man sozialversicherungspflichtig; das ging zwar noch nicht so ins Geld wie heute, aber genau wie heute hatte der Arbeitgeber die Hälfte davon zu zahlen. Oberhalb dieser Lohngrenze entfiel die... nein, nicht die Sozialversicherungspflicht - die bestand als "freiwillige" Selbstversicherungspflicht fort -, sondern nur die Pflicht des Arbeitgebers, sich an deren Kosten zu beteiligen. Der Knackpunkt war die Bemessungsgrundlage: Zählten die Überstunden mit oder nicht? Das kam drauf an: Bei Arbeitern zählten sie nicht mit, und zwar überhaupt nicht. Bei Angestellten zählte dagegen nur der Mehrverdienst nicht mit, d.h. die Summe, um die eine Überstunde höher bezahlt wurde als eine Normalstunde; die gemachten Stunden aber wurden dem Grundgehalt zugeschlagen; und so landete Urs um 1,50 RM (anderthalb Reichsmark!) über der Bemessungsgrenze und mußte künftig seine Sozialabgaben zu 100% selber bezahlen - allein an "freiwilliger" KV 14,40 RM p.m. -, hatte also wesentlich weniger Geld in der Lohntüte als vorher. Ihr seht, liebe Leser, die Arbeitgeber konnten schon damals schäbig und das Leben verdammt ungerecht sein.
Auf Rückfrage: Wozu brauchte man denn überhaupt Geld, wenn es im Krieg eh alles bloß auf Karte oder gegen Zigaretten auf dem Schwarzmarkt gab? Nun, die Antwort ergibt sich doch schon aus der Fragestellung: für solche Dinge, die es weder auf Karte noch auf dem Schwarzmarkt gab, z.B. Radios. Natürlich hatte vor dem Krieg jeder einen Volksempfänger, die gab es ja in großen Stückzahlen und ganz billig - der von Dikigoros' Großeltern hatte nur 35.- RM gekostet. [Es gab auch "bessere" Modelle, aber selbst die teuersten blieben unter 100.- RM.] Den ersten Bombentreffer auf ihre Mietskaserne im März 1943 hatte die "Goebbelsschnauze" wie durch ein Wunder überlebt; aber beim zweiten Mal - Mitte Dezember 1943 - gab sie ihren Geist auf. Urs geriet geradezu in Panik, denn das Ding war überlebenswichtig: Die "Fliegerwarnung" kam meist zu spät, d.h. wenn die FlAK schon bellte oder die Bomben schon fielen; und auf die "Luftschutzwarnung" war als Voralarm auch kein Verlaß. Es gab nur eine sichere Vorwarnung: Wenn der Hamburger Sender verstummte - dann machte man sich sprungfertig für den Keller. Urs ließ das Radio rund um die Uhr laufen, Tag und Nacht, auf Akkus, die er regelmäßig im Wechsel aufladen ließ. Aber nun war guter Rat teuer: Seit dem Feuersturm vom Juli/August 1943 war in Hamburg kein Radiogeschäft mehr in Betrieb; und für ein intaktes Gerät wurden um die 400.- RM geboten! [Urs hatte damals zwar 500.- RM auf dem Sparkonto, aber mehr als 100.- RM pro Monat durfte man nicht abheben, um einer Inflation, pardon, "Preissteigerungstendenzen" hieß das im Amtsdeutsch, vorzubeugen, und auf Ratenzahlung ließ sich niemand ein.] Was tun? Ein Versuch, dem Nachbarn ein Zweitgerät gegen Zigaretten abzutauschen, scheiterte. [Aber um das gut-nachbarschaftliche Verhältnis zu wahren, überließ er ihm seine Zweitbratpfanne - mit Holzgriff - für nur 10 Zigaretten. Das war ein Freundschaftspreis, denn im zerbombten Hamburg gab es auch keine Küchen-Utensilien mehr. Wer in die Kantine ging, kein eigenes Besteck mitbrachte und nicht mit den Fingern essen wollte, mußte 15.- RM Pfand hinterlegen - wohl gemerkt nicht für Tafelsilber, sondern Blech!] Also bastelte Urs notgedrungen selber eines (mit dem er dann zu seiner eigenen Überraschung sogar Feindsender hören konnte :-), nachdem er mühsam die Einzelteile zusammen gekauft hatte - und selbst die kosteten mehr als vor dem Krieg der teuerste Volksempfänger. Dafür brauchte er Geld! Längerer Nachtrag Ende.

Wie dem auch sei, Urs hatte keinen Grund, die Nazis zu wählen, denn er hatte von ihnen keine Verbesserung seiner Lebensumstände zu erwarten. Bei Dikigoros' Großonkeln sah das z.T. ganz anders aus: Sie hatten die paar Mark Erspartes in der Inflation verloren, zudem in der Depression ihre Jobs, und einige hatten auch ein Häuschen gebaut - als Handwerker ging das relativ leicht, mit Eigenleistung und "Nachbarschaftshilfe": damals brauchte man ja noch keine großartigen Anschlüsse an Kanalisation, Stromnetz und Gasleitungen: Man hatte einen Brunnen im Hof, das Plumsklo neben dem Hühnerstall, gekocht und geheizt wurde mit Brennholz, man ging mit den Hühnern schlafen und stand mit ihnen auf, und für die dunkelste Jahreszeit gab es Petroleumlampen. Dennoch - das Stückchen Land und das Baumaterial mußten gekauft werden, und das ging nun mal nicht ohne Hypothek ab. Normalerweise war die problemlos zu bedienen, aber ohne Job... Wenn man Glück hatte, erwarb auf der Zwangsversteigerung irgendein reicher Jude die Immobilie und ließ einen gegen Mietzins weiter darauf wohnen. Aber viele empfanden das gar nicht als "Glück", sondern vielmehr als Skandal - war es nicht ihr Land und das mit ihren eigenen Händen im Schweiße ihres Angesichts erbaute Häuschen? Vielleicht hatte dieser Hitler ja doch Recht, daß die Juden an allen Übeln der Welt schuld waren - warum also nicht seiner Partei mal eine Chance geben? Da Dikigoros Euch oben schon die Geschichte von seinem "roten [Groß-]Onkel" erzählt hat, will er auch noch die vom "braunen [Groß-]Onkel" nachschieben, dem (zweiten) Mann der ältesten Schwester seiner Großmutter (der erste war 1914 gefallen), die er als böse alte Hexe in Erinnerung behalten hat, deren Besuche allseits gefürchtet waren, vor allem von den Kindern, nicht nur weil sie immer ihre große, schwarze Schäferhündin mitbrachte, die aussah wie der böse Wolf im Märchenbuch ("Freyja" hieß sie, völlig unpassend, denn das war doch eigentlich die Göttin der Katzen! Zum Glück starb das Vieh bald an Altersschwäche), sondern auch und vor allem, weil sie immer wieder die selbe blöde Geschichte erzählte, die man sich mucksmäuschenstill anhören mußte.

[Freyja, Göttin der Katzen]

Als der Onkel 1930 arbeitslos wurde, machte er sich als Handwerker selbstständig - und wartete zweieinhalb Jahre vergeblich auf Aufträge, hielt sich nur mit etwas Schwarzarbeit mühsam über Wasser. Im März 1933 trat er der Partei bei - und plötzlich regnete es Aufträge. Der Onkel konnte sein Glück kaum fassen: Nun konnte er nicht nur seine Schulden bezahlen, sondern sogar noch eine Familie gründen - vorher war daran nicht zu denken gewesen, er hatte ja kaum sich selber ernähren können. Also heiratete er die Tante und schenkte dem Führer - von dem er nun ganz begeistert war - zwei Jungen, die sicher einmal hervorragende Soldaten abgeben würden. (Mehr war nicht drin, denn seine Frau war 1933 schon deutlich über 40, und die Wechseljahre setzten damals früher ein als heute.) Seine Begeisterung ließ auch nicht nach, als 1939 der Krieg ausbrach - ganz im Gegenteil: Er war ja zu alt, um noch eingezogen zu werden, und sein Betrieb - ein Zulieferer der Kriegsmarine - expandierte weiter und lag so weit ab vom Schuß, daß wohl kein Feindflugzeug eine Bombe darauf verschwenden würde... Ende 1944 verschwendeten sie dann doch mehr als eine Bombe und machten den Betrieb dem Erdboden gleich; der Onkel blieb wie durch ein Wunder unverletzt; aber bald darauf wurde er doch noch eingezogen - zum Volkssturm. (Die idiotische Art und Weise, auf die er im Mai 1945 in allerletzter Stunde umkam, läßt Dikigoros weg; er kann die Geschichte, die er so oft gehört hat, nicht so recht glauben, zumal die Tante gar nicht selber dabei war.) Er hinterließ eine arme, alte, verbitterte Witwe und zwei halbwüchsige Söhne, von denen der eine sein Lebtag geistig behindert blieb - er hatte bei dem Bombenangriff eine schwere Kopfverletzung davon getragen - und der andere seiner Mutter nie verzieh, daß sie dem Bruder soviel mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmete als ihm, dem Gesunden. Auch Dikigoros verstand das als Kind nicht; aber im Rückblick versteht er, warum die "böse" Tante so wurde wie sie war. Was das alles mit Brecht zu tun hat? Eine ganze Menge (sonst hätte Dikigoros es auf einer anderen seiner "Reisen durch die Vergangenheit" berichtet, nicht hier). Man muß nämlich auch verstehen, warum Brecht zum Kommunisten wurde: Wie gesehen war er körperlich und geistig minderbemittelt; seine Stücke waren entweder Schrott oder geklaut. (Das gilt übrigens auch für solche, die Dikigoros hier nicht einzeln bespricht; so stammen z.B. alle guten Liedertexte aus der Dreigroschenoper von François Villon.) Seine einzige Chance, sie jemals aufgeführt zu sehen, bestand darin, sich bei den Kommunisten anzubiedern, sowohl inhaltlich als auch persönlich. Eines von beidem allein reichte nicht aus - sonst hätte wahrscheinlich sein Freund und Kollege Georg Kaiser das Rennen gemacht, der ja ebenfalls Kommunist war und bis 1933 der meist gespielte deutschsprachige Bühnenautor unter den Lebenden. Aber seine Theaterstücke waren nach 1945 ideologisch nicht mehr brauchbar: Die Bürger der deutschen Städte, die den Zweiten Weltkrieg durchgemacht hatten, interessierten sich nicht mehr für das Schicksal der Bürger der flämischen Stadt Calais, die im Mittelalter Zankapfel zwischen englischen und französischen Besatzern war... Jetzt ging es darum, die Zeitgeschichte aufzuarbeiten, und zwar aus kommunistischer Sicht - und genau das tat Brecht!

Wenn Dikigoros eben geschrieben hat, daß sein Großvater nichts für die Nazis übrig hatte, weil er von dem Positiven, das sie brachten, keine persönlichen Vorteile hatte, so gilt für seine Mutter das Gleiche unter umgekehrtem Vorzeichen: Sie hatte nichts gegen die Nazis, weil sie von dem Negativen, das sie brachten, keine persönlichen Nachteile hatte. (Nicht, daß sie es nicht gesehen hätte - sie war ja nicht blind, und wenngleich noch jung, nicht so dumm wie es die heutige Jugend in dem Alter ist; sie war halt nicht so lange auf eine staatliche Verblödungsanstalt gegangen.) Und damit kommen wir endlich zu etwas, das die Gutmenschen und die Antifa doch auf keinen Fall unerwähnt wissen wollen: Habt Ihr auch schon gelesen, liebe Nachgeborene, daß die bösen Nazis "Österreich" 1938 vor allem deshalb "überfallen und annektiert" hätten, weil sie pleite waren und dringend die in Wien lagernden Gold- und Devisen-Vorräte haben wollten? Das ist zwar Blödsinn, aber wie fast jeder Blödsinn hat es einen wahren Kern: Wie das so ist, wenn zwei Staaten [wieder-]vereinigt werden, muß auch eine Wirtschafts- und Währungs-Union her. 1938 wurde das Umtauschverhältnis zwischen Reichsmark und Schilling auf 1:1,5 festgesetzt, d.h. für 1.- RM mußte der Ostmärker 1,50 AS geben. Auf dem Papier war das korrekt, scheinbar sogar großzügig, denn an den internationalen Devisenbörsen wurde der AS nur um 50 Pf notiert, d.h. dort hätte man für 1.- RM sogar 2.- AS geben müssen. Aber dieser Außenhandels-Kurs wurde - unter dem Druck der Auslands-Gläubiger auf das bankrotte "Österreich" - künstlich niedrig gehalten; die Inlandskaufkraft des AS war, wie Grete sich genau erinnert, erheblich höher als die der RM. Ihr könnt das ganz leicht nachrechnen, liebe Leser, denn damals gab es ja noch durch Edelmetall gedeckte Währungen: Ein 2-RM-Stück enthielt 1937 5 gr. Feinsilber, während ein 2-AS-Stück 8 gr. enthielt. Wer also 3.- AS gegen 2.- RM eintauschte, gab 12 gr. Silber für 5 gr., d.h. er zahlte exakt 140% drauf oder, anders herum gerechnet, er verlor über 58%. Ein 100-AS-Stück enthielt knapp 22 gr. Feingold, die konnte bzw. mußte man für 66.- RM, also für 165 gr. Silber, eintauschen - Kommentar überflüssig.

[2 Reichsmark 1937: 5 gr. Silber] [2 Schillinge 1937: 8 gr. Silber] [100 Schilling 1937: 22 gr. Feingold] [goldenes 100-Schilling-Stück 1937]

[Ihr wollt Euch das Nachrechnen und Übertragen auf die heutige Zeit bitte nicht zu einfach machen, liebe Leser im 21. Jahrhundert, die Ihr ja fast nur noch Papiergeld und Blechmünzen kennt, mit Ausnahme der von der Bundesbank regelmäßíg heraus gegebenen Gedenkmünzen zu 10 Euro, die seit 2011 exakt 10 gr. Feinsilber enthalten. Es ist ja so verführerisch einfach, das auf damals zu übertragen, nach dem Motto: "1 AS entsprach also 4.- Euro." Vom Silberwert her stimmt das zwar, aber vom Goldwert her wären es mehr als 8.- Euro, also gut das Doppelte. Das Wertverhältnis zwischen Silber und Gold war und ist halt durch allerlei Faktoren, denen Dikigoros hier nicht im Einzelnen nachgehen kann, künstlich verzerrt. Auch die Sache mit dem Kaufkraftvergleich ist nicht so einfach, wie es scheint: Damals kostete die Miete für eine Bruchbude auf dem Dorf, wie sie Dikigoros' Mutter und Großmutter bewohnten, nicht viel; und wer keine Zentralheizung, keinen Strom und kein fließend Wasser hatte, hatte auch keine hohen Nebenkosten. Aber Kleidung und vor allem Nahrung waren damals viel teurer als heute, da beides entweder von menschlichen KZ-Insassen in Fernost oder von tierischen KZ-Insassen in der Fleischfabrik geliefert wird. Wer sie nicht selber herstellen konnte (sei es, daß er einen Garten und/oder eine Nähmaschine hatte), der gab 2/3-3/4 seines Einkommens dafür aus. Für 10.- Euro bekommt man heute im Supermarkt 2 kg Fleisch - für 2,50 AS bekam man sogar doppelt so viel, und in viel besserer Qualität; aber Dikigoros' Großmutter bekam damals knapp 60.- AS Witwenrente im Monat - noch Fragen?]

Aber Grete hatte nach eigenem Bekunden nie im Leben ein goldenes 100-AS-Stück gesehen und nur ganz selten mal ein silbernes 2-AS-Stück in der Hand gehabt; sie hatte auch kein Bankkonto, ja nicht mal ein Sparschwein; in ihrem Portemonnaie tummelten sich, als die Nazis kamen, nur ein paar kupferne 1- und 2-Groschen-Stücke. Und just für die gab es eine Ausnahme, d.h. die blieben gültig zum Kurs 1:1 - Grete hatte also nichts verloren und wars zufrieden... Wie "negativ" war das eigentlich, was die Nazis da bei der Währungsunion angestellt hatten? Das zeigte sich bald: Binnen eines Jahres blühte die marode Wirtschaft "Österreichs" auf; in der Ostmark gab es schon Anfang 1939 keine Arbeitslosigkeit mehr, sondern vielmehr Arbeitskräftemangel. Und welche "positiven" Folgen es hat, wenn wirklich "großzügig" umgetauscht wird, das wissen die Deutschen spätestens seit 1990, als die DDR-Aluchips 1:1 gegen DM eingetauscht wurden: Die DDR-Wirtschaft brach unter dieser 400%igen künstlichen Aufwertung schlagartig zusammen - genau das, was die westdeutsche Export-Lobby, die keine Billig-Konkurrenz aus den neuen Bundesländern haben wollte, bezweckt hatte, als sie Birne & Co geschmiert - und ihm nebenbei noch eingeflüstert hatte, daß ihm das ja auch Wählerstimmen von den doofen Ossis eintragen würde, die sich über dieses Danaergeschenk in ihrer Unwissenheit erstmal freuen würden. So schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe, d.h. man ruinierte gleich beide deutschen Staaten auf einen Schlag - aber das war den Multis piepegal. Längerer Nachtrag Ende.

Und noch ein längerer Exkurs - nein, kein Nachtrag, denn er trägt zum Verständnis von Brechts "Arturo Ui" gleich gar nichts bei. Genau das antwortete Dikigoros auch einer Leserin, die anfragte, warum er denn nichts über das Verhältnis seines Vaters zu den Nazis geschrieben habe, da er doch über all seine anderen Familienmitglieder... ob es da etwas zu verbergen gebe? Nein, mailte Dikigoros zurück, sein Vater sei halt kein Ostmärker gewesen, und ganz bestimmt kein Nazi, ganz im Gegenteil; und er führte das auch ein wenig weiter aus. Daraufhin meinte die Leserin, das sei so interessant, vor allem die schöne Schlußpointe, daß er das unbedingt mit aufnehmen sollte - auf einen Exkurs mehr oder wenige käme es doch nicht an. Dikigoros findet die Schlußpointe zwar eher unschön; aber er will sich nicht - auch nicht von einer einzigen Leserin - nachsagen lassen, daß er etwas negatives über die Nazis "zurück gehalten" habe. (Ihr, liebe Ewig-Gestrige, die Ihr Dikigoros' Seiten so oft in Eurem Sinne mißversteht, dürft diesen und den nächsten Absatz überspringen.) Machen wir also einen Sprung von Süddeutschland nach Norddeutschland, von der Ostmark an die Ostsee, wo Dikigoros alias "Tarzan" einen der letzten gemeinsamen Familienurlaube bei der Oma verbrachte und mit seinem Vater am Marinehafen entlang ging. Er hat den profetischen Satz, den Urs damals sprach, schon an anderer Stelle zitiert, aber aus dem Zusammenhang gerissen: "Eines Tages werden wir alle keine Offiziere mehr gewesen sein, sondern Nazi-Offiziere, auch die, die von den Nazis gar nichts wissen wollten." Er nahm das damals zum Anlaß, bei seinem Vater nachzuhaken. "Tja, weißt du," meinte der, "es ist natürlich ein Unding, wenn heute Eigenschaften wie Anstand, Treue, Tapferkeit, Verantwortungsbewußtsein, Kameradschaft und Vaterlandsliebe verteufelt werden, bloß weil sie bei den Nazis hoch im Kurs standen. Als ob die sie erfunden hätten! Um uns beizubringen, was ein guter Deutscher ist, haben wir die Nazis nicht gebraucht; und auf das, was sie uns sonst noch gebracht haben, hätten wir gut verzichten können." Dikigoros dachte zuerst, sein Vater meinte das, was er in den Geschichts- und Märchenbüchern seiner Zeit gelesen hatte, von wegen "die Nazis haben den Menschen ihre demokratische Freiheit genommen und eine Diktatur errichtet", "die Nazis haben die Juden verfolgt", "die Nazis haben den Zweiten Weltkrieg angefangen" usw. Aber Urs meinte etwas ganz anderes - es ging ihm nicht um irgendwelche Ereignisse, sondern um bestimmte Eigenschaften, ob derer man von den Nazis etwas wissen wollte oder eben nicht. Habt Ihr in der Aufzählung oben "Fleiß", "Pflichterfüllung" und/oder "Leistungsbereitschaft" vermißt, liebe Leser[innen], und glaubt Ihr vielleicht, daß Dikigoros die vergessen hätte? Nein, durchaus nicht - die hatte sein Vater vielmehr ganz bewußt weg gelassen, und der Grund dafür ist Gegenstand dieses Exkurses.

Wie Ihr schon gelesen habt, konnte Urs aus finanziellen Gründen keine höhere Schule besuchen. Aber er war ehrgeizig und entschlossen, seinen sozialen Aufstieg dennoch zu machen, und das gleich um zwei Stufen: vom Arbeiterkind - unter Überspringen des Angestellten - zum Beamten, und noch dazu gleich im gehobenen Dienst. Er bewarb sich also bei der Reichsfinanzschule; und obwohl er "nur" die Handelsschule besucht hatte, während fast alle anderen Bewerber Abitur oder zumindest Mittlere Reife hatten, setzte er sich bei der Aufnahmeprüfung durch. So weit, so gut - aber damit war es ja nicht getan. Die meisten seiner Mitschüler hatten einen mehr oder weniger großen Bildungsvorsprung; und so saß Urs jeden Abend und jedes Wochenende über seinen Büchern und paukte sich verbissen das ein, was die anderen schon auf der Schule gelernt hatten. Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps, Lagerfeuer ist Lagerfeuer - und für ihn kam halt der Dienst, d.h. die Schule, zuerst. Lagerfeuer? Nun muß Dikigoros doch etwas weiter ausholen. Es war früher üblich, daß Jungen bei den Pfadfindern o.ä. Jugendgruppen waren - das gehörte einfach dazu. Auch Dikigoros war als Kind Mitglied einer solchen Gruppe, einer christlichen halt. Der Trägerverein hatte eine alte Villa in der Bonner Kaiserstraße zur Verfügung gestellt. Sie lag zwar direkt an der Eisenbahnlinie - am Übergang Königsstraße, der damals noch nicht untertunnelt war -, hatte das, was man heutzutage vornehm einen "Sanierungsstau" nennt, und der Garten war ziemlich verwildert; aber an solchen Kleinigkeiten störten sich allenfalls Immobilien-Spekulanten. Haus und Garten waren riesig; man konnte dort wunderbar spielen. [Was heute daraus geworden ist? Etwa vier Fünftel des Gartens wurden abgetrennt, entgrünt und in einen Parkplatz umgewandelt - Autos sind wichtiger als Kinder, zumal wichtiger als christliche Kinder; die muslimischen, die ja mittlerweile in Bonn die Mehrheit bilden, haben nachmittags ohnehin besseres zu tun: Sie gehen zur Koranschule, um sich für den Jihād gegen die Christenhunde ausbilden zu lassen - die Bonner Koranschulen gelten nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa als führend zu diesem Behuf; deshalb schicken Muslime aus aller Welt ihre Kinder hin, auch die sa'udische Königsfamilie. Die Villa steht leer; aber sicher nicht mehr lange; die Stadt wird sie beschlagnahmen, um muslimische "Flüchtlinge" einzuquartieren.] Wohlgemerkt, die Mitgliedschaft war keine Pflicht; aber die nur 100 m Luftlinie entfernte katholische Volksschule, die Niko vier Jahre lang besuchte [für jüngere Leser: sie stand dort, wo heute das Goethe-Institut steht], sah es gerne und "empfahl" es mit einem gewissen Nachdruck - sehr zum Mißvergnügen von Grete, die das als sparsame Hausfrau für Zeit- und Geldverschwendung hielt. Irgendwann nahm sie eine Beitragserhöhung um ein paar Groschen zum Anlaß, zu sagen: "Jetzt reicht es aber, du trittst sofort aus. Steck deine Nase lieber in die Schulbücher, schließlich willst du nächstes Jahr aufs Gymnasium!" Es ging also ums liebe Geld - und das war bei Urs nicht anders gewesen. 1932 hatte der Träger seiner Jugendgruppe vor der Pleite gestanden, und die letztere somit vor der Auflösung. Da kam die Hitlerjugend - die bis dahin im roten Wilhelmsburg noch nicht vertreten war, aber offenbar über genügend Geld verfügte - und machte ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte: Begleichung der Schulden und Übernahme aller Mitglieder zu gleichen Konditionen. Wohlgemerkt, auch die HJ-Mitgliedschaft war noch keine Pflicht - das sollte erst ein paar Jahre später kommen -; Urs hätte "nein" sagen können. Aber warum sollte er sich ausschließen, wenn seine Kameraden alle mitmachten? Da Urs in seinem alten Haufen Fähnleinführer gewesen war, wurde er qua "gleiche Konditionen" als Jungvolkführer übernommen, obwohl er dafür eigentlich noch zu jung war. (Aufmerksame Leser von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit", zumal jene, die sich so intensiv für seine Familienverhältnisse und deren zeitliche Einordnung interessieren, haben sicher schon bemerkt, daß Urs zwei Jahre jünger war als Grete.) Er nahm zwar erfreut zur Kenntnis, daß dort in der Theorie alle gleich behandelt wurden, egal ob sie Kinder armer oder reicher Leute waren; aber in der Praxis war es so, daß z.B. gemeinsame Kinobesuche nicht aus der Gemeinschaftskasse bezahlt wurden, sondern von jedem selber; und dafür reichte es bei ihm nicht. (Kino war teuer, 50 Pf pro Film. Statt dessen ging Urs Fußball spielen; er war Torwart der 3. Jugendmannschaft von Harburg, im Verein von Rudi Noack, der wahrscheinlich heute niemandem mehr etwas sagt. (Dikigoros schreibt über ihn an anderer Stelle mehr.) Urs war also öfters nicht "dabei"; aber das nahm ihm niemand von den Kameraden übel - sie wußten ja warum, und er war nicht der einzige in dieser Lage. Auch von den Vorgesetzten wurde dieses relativ häufige Fehlen - auch bei gemeinsamen "Fahrten", die Geld kosteten - nicht als Verfehlung gewertet, sonst hätte man ihn später, als er vom Jungvolk in die eigentliche Hitlerjugend "aufstieg" - inzwischen war die Mitgliedschaft Pflicht, er konnte also nicht mehr "nein" sagen - wohl nicht zum HJ-Führer gemacht. Und so glaubte er auch an der RFS nicht viel zu versäumen, wenn er öfter über seinen Schulbüchern hockte als am Lagerfeuer mit "dabei" zu sein. Bei der Abschlußprüfung hatte er ein gutes Gefühl, ein sehr gutes sogar; und er bestand auch; aber bei der Abschlußfeier mit Zeugnisübergabe kam dann das böse Erwachen: Der neue Schulleiter (den alten hatte man eingezogen, es war ja längst Krieg) war ein besonders guter Parteigenosse, erpicht zu zeigen, wes Geistes Kind er war: "Ich habe Ihre Gesamtnote herunter gesetzt, wegen grober Vernachlässigung Ihrer Pflichten als HJ-Führer," kanzelte er Urs vor versammelter RFS ab. Und der hat das nie vergessen und vergeben. Was hatte man ihm als Widmung in "Heia Safari" geschrieben? "Für Fleiß und gute Leistung". (Urs hatte nicht in allen Fächern Spitzennoten; aber in Fleiß hatte er immer ein "sehr gut", ebenso in Rechnen - auf beides war er stolz; und entsprechend enttäuscht war er, daß sein Sohn auf dem Abi in Mathe nur ein "ausreichend" hatte; aber Dikigoros ist überzeugt, daß sein Vater, hätte er Integral-Rechnung, Infenitesimal-Rechnung u.ä. Zeug lernen müssen - war das damals überhaupt schon erfunden? - auch kein "sehr gut" geschafft hätte :-) Wie lange war das her? Und was hatte v. Lettow-Vorbeck im Vorwort geschrieben? "Echte Ideale halten Stürmen stand; denn das Gute ist ewig." Von wegen... Die "Ewigkeit" schien plötzlich verdammt kurz geworden zu sein; und da fragte sich Urs zum ersten Mal, wie lange wohl das "tausendjährige Reich" halten würde, wenn die so weiter machten; denn für ihn stand nunmehr fest: Bei den Nazis galten Aktivitäten für die Partei-Jugend, wie blöde Lieder am Lagerfeuer zu grölen (einige Idioten hatten die Zeile "Heute, da hört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt" großkotzig in "Heute gehört uns Deutschland..." geändert), mehr als Fleiß und gute Leistungen, Schnaps mehr als Dienst und Pflichterfüllung. "Siehst du, das haben uns die Nazis gebracht; seitdem zählt auch in Deutschland Parteiklüngel mehr als Leistung. Und heute ist es sogar noch schlimmer geworden; die so genannten demokratischen Parteien, die unser Leben mehr und mehr überwuchern wie Unkraut, sind da um kein Deut besser als die NSDAP es war oder geworden wäre, wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten." (Das sagte Urs in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Hätte er geahnt, wozu sich die Krake Parteienstaat im nächsten halben Jahrhundert auswachsen sollte, hätte er es vielleicht noch etwas drastischer formuliert, z.B. daß die NSDAP, verglichen mit selbst der besten aller demokratischen Parteien von heute, nur ein harmloser Pfadfinderverein war.) Das war die [un]schöne Schlußpointe, liebe Leser, die übrigens noch wesentlich unschöner hätte ausfallen können. Denn mit Erreichen des 18. Lebensjahres mußte man ja die heiß geliebte HJ verlassen und, wenn man "dabei" bleiben wollte, in die SA wechseln. Das war allerdings keine Pflicht, und da sagte Urs - wer hätte das gedacht - "nein". Er wurde sofort zum RAD eingezogen und zur "Belohnung" nach Rußland geschickt, genauer gesagt in die Ukraïne, und wenn er sich dort nicht ziemlich bald Typhus und Gelbfieber zugezogen hätte und heim ins Reich geschickt worden wäre, hätte er diesen Einsatz im Herbst 1942 - dem er übrigens 1945, kurz vor dem Endsieg, die vorzeitige Beförderung zum Leutnant und Abkommandierung zu einem RAD-Regiment verdankte - wahrscheinlich nicht überlebt.

Ihr meint, Dikigoros' Vater sei ein "Streber" gewesen? Ja, das war er: Er strebte raus aus Armut, Not und Elend, in die er ohne eigenes Verschulden hinein geboren war. Er war bereit, etwas dafür zu tun, und er hatte Erfolg. Er brachte es so weit, wie er es unter den gegebenen Umständen auf anständige Art und Weise, d.h. durch fleißiges Lernen und fleißiges Arbeiten, bringen konnte - aber eben "nur" so weit. Wann immer sich ihm die - vermeintliche - Chance bot, es auf unanständige Art und Weise noch weiter zu bringen, verzichtete er darauf, es auszuprobieren. [Dikigoros schreibt über zwei dieser "Chancen" hier (Stichwort "Kaffee-Röster") und hier (Stichwort "Berufsoffizier") mehr - für alle, die es interessieren sollte.] Wenn Dikigoros daran denkt, auf welche Art und Weise er, der es Dank seinem Vater im Leben viel leichter hatte, sein Geld als Anwalt verdient - verdienen muß unter den gegebenen Umständen, um nicht zu verhungern -, dann ertappt er sich manchmal bei der Frage, ob er sich nicht eigentlich schämen müßte - für sich selber und für dieses "unser" Land, das ihn dazu zwingt, so zu handeln. Eine Gesellschaft, die Eigenschaften wie Anständigkeit, Fleiß und Strebsamkeit lächerlich macht und glaubt, sie durch Korruption, Filz und Parteien-Klüngel ersetzen zu können, ist für den Untergang nominiert, darauf könnt Ihr Gift nehmen, liebe Leser, sei es aus der von Katalysatoren gefilterten Luft voller Feinstaub, die Ihr täglich einatmet, sei es aus dem Tiefkühl-Mikrowellen-Fraß voller Chemikalien, den Ihr täglich in Euch rein würgt. Denkt mal drüber nach! Längerer Exkurs Ende.

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Nun aber endlich zu der Version vom Aufstieg des "Arturo Ui", die Brecht den Amerikanern verkaufen wollte. Der läßt erstmal die Tatsache beiseite, daß Hitler in freien, demokratischen Wahlen von der Mehrheit des deutschen Volkes gewählt worden war (übrigens mit einer Mehrheit, wie sie nie ein deutscher Kanzler zuvor erreicht hatte und mit einer einzigen Ausnahme - Adenauer 1957 - auch danach nie wieder erreichen sollte) - welcher Kommunist schert sich schon um den Willen des Wahlviehs, pardon Wahlvolks? Für ihn wurde Hitler nicht gewählt, sondern von Hindenburg ernannt. Daran ist so viel richtig, daß es nach der Weimarer Verfassung keine direkte Kanzlerwahl gab (nach dem Bonner Grundgesetz übrigens auch nicht, und auch keine direkte Präsidentenwahl mehr, mit der Begründung, das dumme Volk könnte sonst wieder einen wie Hindenburg wählen, der wieder einen wie Hitler zum Kanzler machen könnte), daß vielmehr der Reichspräsident eine Person seines Vertrauens mit der Regierungsbildung beauftragte. Das mußte nicht notwendigerweise der Führer der Mehrheitspartei sein. (Das war sogar eher selten der Fall, egal wie oft man wählen ließ - und in der Weimarer Zeit wurde ständig gewählt -; speziell die letzten Kanzler - Brüning, v. Papen und v. Schleicher - standen Minderheits-Kabinetten mit z.T. verschwindend wenigen Abgeordneten vor.) Es war allgemein bekannt - auch Brecht -, daß Hitler dem alten preußischen Feldmarschall a.D. persönlich unsympathisch war, erstens weil er ihn für einen Böhmen hielt - und das waren für ihn allesamt Schwejks -, zweitens weil er es im Krieg bloß zum Gefreiten gebracht hatte, drittens weil er nicht von Adel war, und viertens weil ihm seine Rabaukentruppe, die SA, suspekt war - für ihn als ehemaligen Berufssoldaten durfte es keine bewaffnete Truppe außer der Reichswehr geben. Warum änderte Hindenburg im Januar 1933 seine Meinung und berief Hitler doch zum Reichskanzler? (Wie gesagt: der bloße Umstand, daß er Führer der Mehrheitspartei war, zwang ihn dazu nicht.) Ganz klar ist das bis heute nicht; die Vermutungen reichen von "Hindenburg war eben zunehmend verkalkt" bis "v. Papen und Hugenberg haben ihm das eingeflüstert, weil sie meinten, Hitler als Marionette gebrauchen und im Hintergrund selber die Fäden ziehen zu können." Lassen wir das dahin stehen und wenden uns der Erklärung zu, die Brecht parat hatte: Hindenburg alias Dogsborough wurde von Hitler alias Ui erpreßt.

Nanu - wie das? Tja, Hindenburg war - jedenfalls in Brechts Augen - ein alter, "ostelbischer Junker", und deren Klitschen ging es damals allgemein schlecht. Ohne die "Osthilfe" wären die meisten von ihnen den Bach 'runter gegangen; und auch Hindenburg stand vor der Pleite, denn sein Gut war bis über den Schornstein verschuldet. Nun gab es nette Leute, z.B. Industrielle, die schon mal für verdiente Staatsmänner etwas springen ließen, was man beschönigend "Dotation" nannte; und auch wenn man nicht gerade Reichspräsident war, gab es ja noch die "Osthilfe". (Das müßt Ihr Euch in etwa so vorstellen wie die Steinkohle-Dotationen, pardon -Subventionen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, liebe Leser.) Einen "Blumenkohl-Trust" gab es zwar nicht, aber immerhin den so genannten "Reichslandbund", den man am ehesten in diese Ecke stellen könnte - wenngleich er wesentlich weniger "mafiöse" Strukturen aufgewiesen haben dürfte als etwa heutige Parteien und Lobbyisten-Verbände. Es war halt schon immer so: Eine Hand wäscht die andere - und nicht nur mit Schmier-Seife. 1929 hatte Hindenburg Gut Neudeck schuldenfrei bekommen; 1933 kam der "Preußenwald" hinzu. Mag ja sein, aber im Gegensatz zu dem, was unsere heutigen Politiker "nebenbei" einstecken, d.h. im Rahmen von gar nicht ausgeübten, sondern nur zur Vertuschung von Schmiergeld-Zahlungen vorgeschobenen "Nebentätigkeiten" hinzu "verdienen", geschah das damals ganz offen - jeder wußte es, und die meisten fanden es in Ordnung. Gut Neudeck hatte gerade mal 375 ha (für Stadtkinder: ein Hektar sind ungefähr zwei Fußballfelder); das war zwar mehr als der Bauernhof von Dikigoros' Urgroßeltern, aber sooo toll war es denn auch wieder nicht; die Urgroßeltern von Frau Dikigoros hatten mehr - das brauchte man auch bei der bescheidenen Boden-Qualität im Havelland, wenn man halbwegs ordentlich wirtschaften wollte. [Selbst die dummen Ossis, die 1945 alle Höfe über 100 ha enteigneten (entschädigungslos, versteht sich, und das wurde 1990 im "Einigungsvertrag" noch einmal nachträglich abgesegnet, wodurch man den letzteren in eine Reihe stellen darf mit den Verträgen von Versailles, St. Germain usw.) sahen das nach sieben Jahren Hungersnot ein und legten die Klitschen, die dabei entstanden, 1952 wieder zusammen, zu so genannten LPGs (für Wessis: das war die Abkürzung für "Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaften")]. Wurde Hindenburg dadurch erpreßbar? Wohl kaum; es war doch alles ganz legal, und wenn nicht, dann hätte ihn auch jeder andere damit "erpressen" können. Mit einem Wort: Diese Theorie Brechts ist einfach lachhaft.

Über alles andere - oder jedenfalls über vieles - kann man streiten, zum Beispiel über den "Speicherbrandprozeß"; aber das Thema "Reichstagsbrand" behandelt Dikigoros schon an anderer Stelle und will sich hier nicht wiederholen. Das gleiche gilt für den so genannten "Röhm-Putsch" und die anschließende Tötung Röhms. (In beiden Fällen hat Brecht ein wenig überzogen, aber das kann man ihm im großen und ganzen noch als "dichterische Freiheit" durchgehen lassen.) Über den Fall Dollfuß haben sich die Gemüter erregt wie über kaum ein anderes Thema dieses Theaterstücks - vor allem seine Nachkommen betrachten Brechts Darstellung als "Verunglimpfung". Ja, pardon, liebe Dollfüße, was erwartet Ihr denn? Daß der "Pipifax" (wie er nicht nur im Altreich genannt wurde) posthum zum guten Demokraten oder gar zum anti-nazistischen Widerstandskämpfer hochstilisiert wird? Zu einer so dreisten Lüge wollte sich nicht mal Brecht hergeben. Dollfuß war ein skrupelloser Intrigant, der nur wenige Wochen nach Hitlers Berufung zum Kanzler, Anfang März 1933, das "österreichische" Parlament (den "Nationalrat") entmachtet, die Verfassung suspendiert und sich selber de facto zum Diktator gemacht hatte. Nach und nach verbot er alle Parteien von links bis rechts außen und erlaubte nur noch seine eigene Staatspartei, die so genannte "Vaterländische Front". Bald waren sich alle gegen ihn einig, selbst Kommunisten und Nazis rauften sich zusammen, um ihn zu stürzen. (Wen die Einzelheiten interessieren, der besorge sich die Memoiren von Otto Skorzeny, der das kurz und dennoch sehr anschaulich schildert; die französische und die spanische Ausgabe sind in der BRD noch nicht verboten.) Am 20. Juli 1944, pardon am 25. Juli 1934 war es so weit: Einer erwischte ihn und schoß ihn ab. Daß es ein National-Sozialist war, war eher Zufall.

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An dieser Stelle kommt Dikigoros um einen kleinen Exkurs zum Thema "Tyrannenmord" nicht herum. War Dollfuß ein Tyrann? Wenn ja, gab das irgend jemandem das Recht, ihn zu töten? Pardon, liebe Leser, aber das ist mal wieder eine jener falschen Fragestellungen, auf die es nur falsche Antworten geben kann. Um uns die lästige filosofische Frage zu ersparen, was das überhaupt ist, ein "Tyrann", nehmen wir einfach mal an, daß Dollfuß einer war. Aber das alleine wäre doch kein Grund gewesen, ihn umzubringen! Auch ein Tyrann kann gute Politik machen, sogar viel leichter als der "demokratisch gewählte" Regierungschef eines "Rechtsstaats", der Rücksicht auf irgendwelche "Koalitionspartner", "Parteifreunde" und andere Dummköpfe nehmen muß, die ihm im Auftrag irgendwelcher Lobbyisten ins Handwerk pfuschen wollen - nicht umsonst pflegten die alten Griechen und Römer, wenn ihre Demokraten nicht mehr weiter wußten, die Herrschaft einem einzelnen "Týrannos" (das altindische Wort "tyranyus" bedeutet ganz wertneutral "kräftig vordringend", wie auch das Wort "türk", nach dem sich die oģusischen Selçuken und Osmanen später "Türken" bzw. "Türkler" nennen sollten) bzw. "Dictator" zu übertragen. (Nachdem er den Karren dann aus dem Dreck gezogen hatte, erntete er meist wenig Dank, sondern wurde oft noch ermordet - nicht umsonst stammt auch das Wort tyrannoktónos [Tyrannentöter]" aus dem Griechischen. Auf Nachfrage eines Lesers: Nein, Despótäs" bedeutete ganz neutral Hausherr, nicht das, was die Feministinnen später einen "Haustyrannen" nennen sollten; und "Despótis" [Hausherrin] hatte ursprünglich sogar einen positiven Klang.) Wenn ein solcher gute Politik macht, gibt es nicht den geringsten Grund, geschweige denn ein Recht, ihn zu töten. (Haben dann nicht die Kommunisten Recht, die ganz wertfrei von einer "Diktatur des Proletariats" sprechen und für diese in Anspruch nehmen, daß sie per se gute Politik machen müsse? Nein, denn zum Wesen einer "guten", ja einer jeden echten Diktatur, gehört ihre zeitliche Begrenztheit. Sulla war ein guter Diktator, weil er seine - im voraus nicht befristete - Diktatur nach getaner Arbeit freiwillig nieder legte. Wer dagegen versucht, sie an Nachkommen, Verwandte oder Partei-Genossen zu vererben, der ist kein Diktator, sondern ein Möchtegern-Monarch, wie die Herrscher Afrikas, der indischen Staaten, Nordkoreas, des modernen Griechenlands und neuerdings selbst der USA; es gibt nur noch wenige echte Diktatoren, wie z.B. Castro auf Kuba und Putin in Rußland - und wie "gut" oder "schlecht" deren Politik ist, werden wir erst im Rückblick beurteilen können, wenn wir wissen, wer und was nach ihnen kommt. [Damit meint Dikigoros nicht ihre Marionetten, die anno 2008 in beiden Staaten pro forma an ihre Stelle getreten sind, sondern ihre echten Nachfolger, wenn sie nicht mehr sind.] Alles andere, vor allem die Partei-"Demokratie", ist in Wahrheit die Herrschaft kleiner Eliten, also bestenfalls Aristokratie, schlechtestenfalls Kakokratie - sucht Euch selber aus, liebe Leser, in welche Kategorie Eure derzeitige Regierung fällt.)

Wer dagegen schlechte Politik macht, der gehört abgesetzt - und allenfalls da mag es einen geringfügigen Unterschied zwischen "Diktatoren" und "Demokraten" geben: Die letzteren kann man vielleicht abwählen (vielleicht - denn manchmal ist die Zeit bis zu einer möglichen Abwahl zu lang), die ersteren meist nicht. Hätte man Dollfuß oder Hitler abwählen können? Nein - allerdings aus unterschiedlichen Gründen: Hitler hatte bis zuletzt über 90% der Bevölkerung hinter sich, hätte also Wahlen nicht zu fürchten brauchen. Dollfuß dagegen hatte zwar zuletzt über 90% der Bevölkerung gegen sich; aber er hätte keine Wahlen zugelassen. Bleibt die Frage: Machten sie gute oder schlechte Politik? Hitler machte spätestens seit Mai 1940 eine so schlechte Politik, daß man ihn hätte beseitigen müssen, um Deutschland vor der Niederlage im Zweiten Weltkrieg und das Reich vor dem Untergang zu bewahren - aber darüber hat Dikigoros oft genug geschrieben. Und Dollfuß? Seht Ihr, wegen dieser Frage hat Dikigoros diesmal seine eigene Darstellung bzw. die seiner Mutter voran gestellt. Aber was heißt schon "gut" oder "schlecht"? Wer so argumentiert, muß zur moralischen Rechtfertigung seines Tyrannenmordes noch eine weitere Voraussetzung erfüllen: Er muß gewährleisten können, daß er selber - oder andere - eine bessere (oder weniger schlechte) Politik machen als der Ermordete. Hätten die Attentäter des 20. Juli 1944 eine bessere Politik gemacht als Hitler? Müßige Frage, denn sie scheiterten ja, so daß sie den Beweis nicht antreten konnten. Machte Dollfüßchens Nachfolger Kurt v. Schuschnigg (den man übrigens im Zusammenhang mit der Demontage Ottos v. Habsburg anno 2008 gleich mit degradiert hat, vom "Widerstandskämpfer" zum "Nazi-Kollaborateur", um auch das noch nachzutragen) eine bessere Politik als sein Vorgänger? Kaum; aber er trat - "freiwillig" oder nicht - zurück, so daß man ihn weder abzuwählen noch abzuschießen brauchte. Seht Ihr, Dikigoros würde dem Enkel von Frau K. ja gutes Gelingen bei seinen Plänen wünschen - er würde sogar selber aktiv am Widerstand mit wirken, den Art. 20 Abs. IV des Grundgesetzes allen Deutschen gebietet, wenn er dafür nicht schon zu alt wäre -, wenn er sicher wäre, daß nach dem Sturz des derzeit herrschenden Verbrecher-Regimes nicht ein anderes käme, das vielleicht noch schlimmer wäre. Aber da hat er so seine Zweifel. Exkurs Ende.

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