KILLER - KÖNIG - KAVALIER
Richard Harris als Lordprotector von England
(und Alec Guinness als hingerichteter König)

Ken Hughes: CROMWELL

[Cromwell] [Cromwell] [Cromwell]

"Wir haben uns weit von den Ideen entfernt, die in jenen Tagen Leitsterne waren. Wir müssen
versuchen zurück zu kehren und die Verbindung wieder aufzunehmen. Die Lehren, die
damals in jedem Herzen lebten, sind heute ausgestorben. Es ist traurig, aber wahr:
sie leiten und bestimmen die Geschicke der Welt nicht mehr." (Thomas Carlyle)
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"Er war ein seltener und edler Typ des Führers, der darum kämpfte,
Freiheit und Ordnung miteinander in Einklang zu bringen, und der
Macht eine moralische Grundlage zu schaffen." (John Morley)
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"Die Wahrheit war nicht etwa zu schön; sie war nicht schön
genug; ja, man könnte fast sagen: nicht wahr genug
um wahr zu sein." (Peter de Mendelssohn)
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EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

(von Filmen, Schauspielern und ihren [Vor-]Bildern)

Ende der 1960er Jahre wurden - jeweils mit Multimillionenaufwand - zwei "Monumentalfilme" über ebenso wichtige wie umstrittene Personen (oder muß Dikigoros "Persönlichkeiten" schreiben?) der englischen Geschichte gedreht: "Alfred der Große" kam 1969 in die Kinos und wurde zum größten Flop in der Geschichte von Metro-Goldwyn-Mayer. (Er spielte gerade mal 3% [drei Prozent!] der Produktionskosten wieder ein - selbst "Cutthroat Island" sollte anno 1995 immerhin 10% schaffen :-) Kein Darsteller bekam jemals wieder eine nennenswertge Filmrolle. "Cromwell" dagegen wurde zum kommerziell erfolgreichsten Film des Jahres 1970. Warum?

Die meisten Völker sind geradezu pervers, wenn es um die Auslegung ihrer eigenen Geschichte und die Wahl ihrer "National-Helden" geht - meist sind es ihre schlimmsten Massenmörder. Bei einigen mag das verzeihlich sein, nämlich wenn die Opfer in der Mehrzahl nicht die eigenen Leute waren, sondern Fremde, wie bei den Volkshelden Frankreichs oder der Mongolei (obwohl weder Napoleon ein echter Franzose war noch Dschingis Khan ein echter Mongole); bei anderen, wie denen Griechenlands, Paraguays, der Sowjet-Union oder Rot-Chinas ist Dikigoros das schleierhaft (nicht nur, weil auch Venizelos kein echter Grieche und Lenin und sein getreuer Vollstrecker Stalin keine echten Russen waren - über diese zweite Voraussetzung der Heldenverehrung, das Fänomen des "Profeten im eigenen Lande", schreibt Dikigoros an anderer Stelle, er kann also sich und den geneigten Lesern diesbezüglich weitere Ausführungen ersparen.) Diese einleitenden Sätze schreibt Dikigoros noch einmal wörtlich in einem anderen Kapitel dieser "Reise durch die Vergangenheit", obwohl er zwischen den Protagonisten der beiden Filme keine, nicht einmal die allerkleinste Gemeinsamkeit sieht, was einmal mehr zeigt, daß es mehr auf die Gemeinsamkeit der Mittel - hier des Films - ankommt als auf die tatsächlichen Gemeinsamkeiten der handelnden Personen, um Geschichte zu "machen". Dikigoros will nicht verhehlen, daß er "Cromwell" für den besten eine historische Persönlichkeit verherrlichenden Propaganda-Film hält, seit Raoul Walsh knapp drei Jahrzehnte zuvor dem US-General George Armstrong Custer in "They Died With Their Boots On" ein ebenso geniales wie verlogenes Denkmal gesetzt hat. Als solches ist er bis heute unübertroffen - und nur noch einmal annähernd erreicht, nämlich rund ein Jahrzehnt später in dem zuvor verlinkten Film von Richard Attenborough über Gandhi. Wäre Dikigoros ein Fan von Oliver Cromwell (wovor ihn Gott bewahren möge), würde er sich wünschen, daß dieser so war wie ihn Richard Harris gespielt hat, und wäre er ein Fan von Charles I (was er indes auch nicht ist), daß dieser so war wie ihn Alec Guinness gespielt hat.

Die Titelrolle ist mit einem Schauspieler gesetzt, der in Irland geboren ist (wiewohl Dikigoros angesichts seines Namens vermutet, daß er von englischen Besatzern abstammt): Richard Harris - bis dahin nicht viel mehr als ein Schlagersänger, der gerade mit einem musikalisch ansprechenden, aber vom Text her nichts sagenden (um nicht zu sagen unsinnigen) Lied ("MacArthur's Park [schmilzt im Dunkel]") einen Überraschungserfolg gelandet hatte, der ihn weltweit bekannt machte. Er war - auch im Privatleben - ein Typ wie der ebenfalls aus Irland stammende Australier Errol Flynn (der den Custer in "They Died With Their Boots On" gespielt hatte): ein Draufgänger, ein Frauenheld, einer, der gerne mal einen (oder auch mehrere :-) über den Durst trank, und nur deshalb nicht so endete wie der letztere, weil er eines Tages mit dem Trinken aufhören sollte. Aber noch war es nicht so weit: Während der Dreharbeiten war er ständig betrunken, und man fürchtete schon das schlimmste, nämlich den Film mit einem anderen, teureren (aber nicht unbedingt besseren - die hatten die Rolle schon alle abgelehnt, von Charlton Heston bis Richard Burton :-) Hauptdarsteller zuende drehen zu müssen. Aber wir wollen nicht vorgreifen...

In der Ursprungsfassung dieser Besprechung hatte Dikigoros den Untertitel stehen: "Ein Ire spielt den Iren-Schlächter" - aber das stimmte nicht. Nicht, daß Oliver Cromwell kein Iren-Schlächter gewesen wäre - aber Richard Harris spielt ihn nicht als solchen, denn über diese seine [Un-]Taten geht der Film mit völligem Schweigen hinweg. Stellt Euch vor, liebe Leser, anderthalb Jahrhunderte nach Hitlers Tod würde ein anerkannter Historiker solche Sprüche über ihn und seine Ideen kloppen wie der oben zitierte Carlyle über Cromwell (dem man bis dahin in der englischen Geschichtsschreibung eine Rolle zugewiesen hatte wie Hitler in der deutschen seit 1945), ein weiteres halbes Jahrhundert später einen Satz über ihn schreiben wie John Morley, wieder ein halbes Jahrhundert später eine Rechtfertigung für die Verfälschung seiner Lebensgeschichte finden wie der Jude Mendelssohn (Cromwell ist bei den Juden sehr beliebt, weil er als derjenige gilt, der sie rund dreieinhalb Jahrhunderte nach ihrer Verbannung aus England wieder herein ließ - wie es in Wahrheit war, schreibt Dikigoros weiter unten; im Film wird das nicht thematisiert - vielleicht war es nicht "schön" genug), und gut drei Jahrhunderte nach seinem Tode würde ein Regisseur über ihn einen Film drehen (mit einem Juden in der Hauptrolle - vielleicht einem Ur-ur-urenkel von Charlie Chaplin?!), in dem der Holocaust mit keinem Wort erwähnt würde. Undenkbar? Dikigoros ist sich da nicht so sicher - schließlich waren die Opfer in beiden Fällen keine anerkannten "Volksgenossen", sondern "Fremdvölkische". Da müssen wir also gleich mit schwerer Kost beginnen. In der Geschichte fehlt es wahrlich nicht an Fällen, in denen Minderheiten diskriminiert, verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. Ihr braucht nur ein wenig in Eurem eigenen Geburts-Jahrhundert zu suchen: Im Zweiten Weltkrieg und in der so genannten "Nachkriegszeit" erwischte es ja durchaus nicht nur die Juden, sondern z.B. auch die Elsässer in Frankreich und die Deutschen in Osteuropa. [Dikigoros erspart Euch die außereuropäischen Beispiele, deren Zahl Legion ist, da sie nur quantitativ, nicht qualitativ verschieden sind.] Kann man das vergleichen? Ja, das kann man - allerdings wird man zu dem Schluß gelangen, daß Cromwell doch etwas grundlegend anderes tat, denn er warf ja keine "Fremdvölkischen" aus seinem eigenen Land hinaus, wie Hitler, DeGaulle oder die osteuropäischen Kommunisten, sondern er überfiel ein Nachbarland und dezimierte dessen Einwohner, um statt deren seine eigenen Volksgenossen dort anzusiedeln. Das wäre, als wenn es zur Zeit des Dritten Reiches schon einen Staat Israel gegeben und Hitler diesen überfallen hätte, um statt der Juden Deutsche in Palästina anzusiedeln.

Ein absurder Gedanke? Aus heutiger Sicht gewiß; denn wir leben ja - noch - in einer Zeit, in der es Menschen genug gibt auf der Welt (böse Zungen meinen sogar: zu viele), während Grund und Boden (und Fabriken, in denen noch etwas produziert wird, und Bankkonten, deren Geld als Tauschmittel gegen Leistung noch etwas wert ist) immer weniger werden. Im 20. Jahrhundert wollte man nur die Menschen los werden, aber ihr Land und ihre anderen Besitztümer erhalten. Das war nicht immer so. In früheren Zeiten gab es Land genug - freilich oftmals wüst und leer -, während Menschen, die es kultivierten (oder Geld und Know-how hatten, andere dazu anzuleiten), eine knappe, wertvolle Ressource waren. Deshalb holte man früher die Juden (und ihr Geld) nach Europa, die Deutschen nach Rußland usw. [Es wird übrigens bald wieder so sein, nämlich wenn man erkennt, daß "Mensch" nicht gleich "Mensch" ist, sondern daß solche, die wertvolle Ressourcen darstellen, die etwas leisten können und wollen, immer knapper werden, während solche, die nur faul herum schmarotzen, ohne etwas Produktives zu leisten, immer mehr und eine immer größere Belastung für die ersteren werden. In den meisten Ländern der Welt beginnt man bereits, die Einwanderungs-Programme danach auszurichten. Ihr, liebe deutsche Leser, habt es bloß noch nicht so richtig bemerkt, da Eure Regierungen das bisher schuldhaft versäumt haben und Euch, um das zu vertuschen, bewußt dumm halten, mit gefälschten Statistiken und anderen Mätzchen.] Könige wollten möglichst viele, fleißige Untertanen, so wie früher, vor dem Zeitalter der irrationalen "Rationalisierungen", Firmen- und Behördenchefs möglichst viele Untergebene, pardon Mitarbeiter haben wollten, denn das hob ihr Prestige - und ihr Gehalt. (Darauf basieren zum Beispiel die Mitte des 20. Jahrhunderts geschriebenen "Gesetze" des einst mit Recht berühmten britischen Cynikers Parkinson.)

Wie war das aber unter Cromwell, dem Schlächter der Iren? Wollte er sie unterwerfen, um sie zu wertvollen Untertanen Englands zu machen, oder wollte er sie ausrotten und nur ihr Land gewinnen? Könnt Ihr Euch ein wenig ins 17. Jahrhundert hinein versetzen, liebe Leser? Das fällt auch Dikigoros nicht ganz leicht; aber es muß eine irre Zeit gewesen sein - jedenfalls für das Gefühl der Menschen damals. Zum ersten Mal wurde Geschichte auch für den "Normal-Verbraucher" interessant; denn zum ersten Mal gelang es Leuten, die nicht aus Herrscher-Häusern stammten, die Macht im Staate dauerhaft an sich zu reißen und ihre Könige entweder zu Marionetten zu machen oder sie zu stürzen und sich an ihre Stelle zu setzen. Nein, von ganz unten durften diese Macher noch nicht kommen - ein Mussolini, ein Hitler, ein Stalin, ein Mao oder ein Mobutu wären damals nicht möglich gewesen; aber es reichte schon aus, ein kleiner Adeliger oder Kirchenmann zu sein, um de facto - wenn auch nicht immer auch pro forma - bis ganz nach oben aufzusteigen: Dorgon in China, Richelieu und Mazarin in Frankreich, Shiwaji in Indien, Tokugawa Ieyasu in Japan, Muhamad Köprülü im Osmanischen und Wallenstein im Römischen Reich sowie Boris Godunow in Rußland sind die bekanntesten Beispiele. [Wenn Euch einige dieser Namen - in alfabetischer Reihenfolge der Länder, um nicht über ihre mehr oder weniger große Bedeutung nachdenken zu müssen - unbekannt sind, liebe Leser, dann schlagt sie tunlichst irgendwo nach; es sind die wichtigsten historischen Figuren ihrer Zeit, den zuvor genannten Personen des 20. Jahrhunderts in mehr als einer Hinsicht vergleichbar.] Ihren legitimen Staatsoberhäuptern allerdings in aller (verlogener) Form den Prozeß zu machen, ihre Ermordung als "Hinrichtung" auszugeben und die Monarchie abzuschaffen bzw. sie heuchlerisch umzubenennen in "Protektorat", das hätte keiner von ihnen gewagt - das tat nur einer: Oliver Cromwell in England. Und so wirkt denn auch allein sein zweifelhaftes Vorbild noch bis heute fort, nicht das der anderen; denn der chinesische Prinz bedeutet Rotchina ebenso wenig wie die katholischen Kardinäle dem republikanischen Frankreich, der Marathen-Führer dem indischen Teilstaat Bharat, der japanische Shogun dem modernen Nihon, der aus Albanien stammende Großwezir der modernen Türkei oder der böhmische Feldherr wem auch immer; ihn haben bisher weder die Deutschen noch die Tschechen (oder muß man jetzt politisch-korrekt - und sprachlich unkorrekt - "Tschechiener" oder gar "Tschechienesen" schreiben?) für sich in Anspruch genommen; denn er gilt als "Verräter" und wird daher auch in einer Zeit mit Argwohn betrachtet, die ihren unbekannten Deserteuren und bekannten Verrätern Denkmäler errichtet (aber das ist eine andere Geschichte).

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Genug der Vorrede, kommen wir zum Film. Dessen Inhalt läßt sich nicht in ein paar Worten wiedergeben, sondern nur in einiger Ausführlichkeit - das ist ein Zeichen von Qualität; denn eine Szene baut logisch auf die andere auf, und so ergibt sich ein schlüssiges Gesamtbild (wenngleich es ein irreführendes Bild ist - aber das ist ja vom Regisseur so beabsichtigt). Cambridge 1640. In seinem Haus gibt der Landedelmann Oliver Cromwell - den wir von nun an Richard Harris nennen wollen, zur Unterscheidung vom historischen Oliver Cromwell - ein Abschiedsessen für zwei seiner Ex-Kollegen aus dem (derzeit suspendierten) Parlament, John Pym (er war der "starke Mann" im Parlament gewesen - wenn es damals schon Parteien gegeben hätte, sicher ein "Speaker") und Henry Ireton, einem hoffnungsvollen Nachwuchs-Politiker (gespielt von Michael Jayston, der ein Jahr später selber einen Monarchen darstellen sollte, nämlich den letzten russischen Tsaren, in "Nicholas and Alexandra"). Harris hat beschlossen, nach Amerika auszuwandern, weil England kein Land mehr sei, um seine Kinder zu erziehen: Zu hohe Steuern, Korruption, mangelnde Religionsfreiheit, ein unterdrücktes Volk... Seine Freunde versuchen, ihn umzustimmen: "Wäre es nicht Eure Pflicht, statt zu jammern und davon zu laufen, für ein besseres England zu kämpfen?" fragt Pym. "Oder interessiert Euch als Edelmann etwa das Schicksal der einfachen Leute nicht?" ergänzt Ireton. "Ich habe schon für das einfache Volk und die Demokratie gekämpft, als Ihr noch in kurzen Hosen herum gelaufen seid," bellt Harris mit seiner heiseren, an irischem Whisky aufgerauhten Stimme, "Ihr seid ein junger Mann, Ihr wollt die Welt verändern." - "Die Welt nicht," antwortet Ireton," aber England." - "England?" grunzt Harris, "Gott hat dieser Nation den Rücken gekehrt, und das tue ich jetzt auch."

Halt, liebe Leser, da kommt schon der erste falsche Zungenschlag in den Film: Harris sagt "Common People", und darunter versteht der englische Zuschauer von heute das "einfache Volk" (und ebenso der deutsche Zuschauer, dem es so übersetzt wird). Aber Cromwell war der letzte, der sich für die "einfachen Leute" und für das, was wir heute "Demokratie" nennen, eingesetzt hätte - im Gegenteil: Er schrieb einmal, daß jemand, der weder Land noch Vermögen sein eigen nenne, also über nicht mehr verfüge als seinen Körper und seine Arbeitskraft, kein schützenswertes Interesse habe, in öffentlichen Angelegenheit mit zu reden. Das kann man so sehen, und Cromwell war sicher nicht der einzige, der das damals so sah; es war die herrschende Meinung - und, was wichtiger war, die Meinung der Herrschenden, nicht nur in England. Die "Commons", das war der Stand, dem auch Cromwell angehörte, der niedere [Land-]Adel, die "Squires" der "Gentry", die im "Unterhaus" saßen, wie die Deutschen (und die Inder :-) das "House of Commons" übersetzen (im Gegensatz zum "House of Lords" - das die Deutschen "Oberhaus" nennen, korrekt wäre "Herrenhaus" -, wo der Hochadel saß, also die Barone und Grafen, die schon seit dem 13. Jahrhundert, seit der berühmten "Magna Charta" und ihrer Nachfolger, der Krone ein Mitspracherecht abgetrotzt hatten; aber vom Oberhaus ist nur einmal die Rede - als Charles seine Richter ablehnt -; mit "Parlament" ist ansonsten immer nur das "Unterhaus" gemeint.) Alle zusammen waren sie die "Boni" (lateinischer Ausdruck, den die Deutschen meist mit "die Guten" übersetzen und die Engländer - auch im Film - mit "the good people [of this nation]"; gemeint sind schlicht und einfach die Begüterten); und nur um die ging es in Wahrheit; was immer der Film darüber hinaus suggerieren will in Richtung moderne Demokratie ist reine Geschichtsklitterung.

Aber selbst das Unterhaus regierte noch nicht wirklich mit; es wurde nur von Zeit zu Zeit vom König einberufen, damit es ihm Steuern bewilligte. Charles I regierte schon seit einigen Jahren ohne Parlament und beschaffte sich seine Staatseinnahmen anderweitig - sehr zum Ärger der Gentry. Aber das war nicht der eigentliche Grund, aus dem Leute wie Cromwell England "den Rücken kehren" wollten; es ging ihnen vielmehr um die Religion. Cromwell war Puritaner, einer jener widerwärtigen christlichen Fundamentalisten, wie man sie sich heute gar nicht mehr richtig vorstellen kann - sie standen den muslimischen Fundamentalisten von heute in nichts nach, besonders nicht in Sachen [In-]Toleranz. Nach letzterer schrien sie - wie diese - immer nur, solange sie in der Minderheit waren. Sobald sie die Mehrheit - oder die Macht - erlangt hatten, setzten sie alles daran, die Andersgläubigen zu unterdrücken, zu bekehren oder - wenn ihnen das nicht gelang - auszurotten. Was die Puritaner damals beklagten, war nicht etwa mangelnde Freiheit, ihre Religion auszuüben oder mangelnde religiöse Gleichberechtigung - die hatten sie allemal -, sondern vielmehr die unter Charles I praktizierte Gleichberechtigung Andersgläubiger, wie z. B. der Katholiken (vor allem in Irland), der Presbyterianer (vor allem in Schottland) oder der Anglikaner (vor allem in England) und die mangelnde "Freiheit" der Puritaner, all dieses "papistische Teufelswerk" ausrotten zu können. Diese "Freiheit" wollten sie sich in Amerika nehmen. (Cromwell zog es nach Rhode Island, wo einer seiner Gesinnungsgenossen ihn schon erwartete.)

"Es sieht doch jetzt schon besser aus für uns," meint Pym, "der König wird das Parlament bald wieder einberufen, weil er Geld braucht." - "Wozu? Für einen neuen Palast? Oder um Schmuck für seine katholische Frau zu kaufen?" grunzt Harris. "Nein, weil es Krieg geben wird. Die Schotten haben schon eine Armee aufgestellt." Das ist historisch unrichtig: Die Schotten waren schon in England eingefallen und hatten den Krieg praktisch gewonnen; Charles brauchte Geld, um die Reparationen zu bezahlen, die der Preis für den Friedensschluß sein sollten. Wenn hier von einem neuerlichen Krieg gesprochen wird, muß also ein anderer gemeint sein, und Ireton verplappert sich denn auch gleich: "Es wird Krieg geben, aber nicht gegen die Schotten." - "Gegen wen dann?" fragt Harris lauernd. "Gegen den König." - "Gegen den König? Einen Bürgerkrieg in England? Das wäre Hochverrat! Solche Reden dulde ich nicht in meinem Hause!" - "Gott ist auf unserer Seite." - "Das behaupten alle, die Krieg führen," bellt Harris und wirft ihn hinaus. Ach, der gute, königstreue Cromwell - so soll er uns am Ausgangspunkt des Films also dargestellt werden, jemand, der den blöden Spruch "Gott ist mit uns" als das durchschaut hat, als was wir heutigen ihn durchschaut zu haben glauben, nämlich als "Gott ist mit den stärkeren Bataillonen". Nein, liebe Leser, vergeßt das - wenn man dem historischen Cromwell irgend etwas nicht absprechen kann, dann war es sein unerschütterlicher puritanischer Glaube, von Gott auserwählt zu sein, um England - und Irland, aber darauf geht der Film wie gesagt nicht ein - vom Ketzertum und allen seinen Trägern zu befreien.


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