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Wittgenstein und Stirner

von Sabine Scholz

Im "Tractatus" beweist Wittgenstein die Sinnlosigkeit der Moral, was auch Stirners Hauptanliegen ist. Wittgensteins Ziel ist es gewesen, die Unmöglichkeit der Existenz ethischer Sätze zu beweisen, d.h. den leeren Charakter moralischen Sprechens.
Diesen Gedanken finden wir auch bei Stirner. Man könnte also Stirner als einen Vorläufer der Sprachkritik Wittgensteins bezeichnen.

Die 7 Grundthesen von Wittgensteins "Tractatus"(1) sind:

1. Die Welt ist alles, was der Fall ist. (dem entspricht bei Stirner: Die Welt ist mein Eigentum)
2. Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten. (bei Stirner: Ideen und Allgemeinbegriffe sind keine Tatsachen, besitzen keine Existenz)
3. Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke. (bei Stirner: Was ICH denke ist DIE Wahrheit)
4. Der Gedanke ist der sinnvolle Satz. (bei Stirner: nur was MICH interessiert ist sinnvoll) (2)
5. Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der elementaren Sätze. (bei Stirner: Wahrheiten sind Phrasen, Redensarten, Worte in Reih´ und Glied gebracht, sie bilden die Logik)  (3)
6. ...
7. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. (Bei Stirner: Ich hab´mein Sach auf Nichts gestellt (4); kein Begriff drückt mich aus, nichts, was man als mein Wesen angibt, erschöpft mich; es sind nur Namen) (5)

Nehmen wir noch folgenden Satz des "Tractatus" hinzu:
6.54 Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)
Das erinnert sehr stark an Stirner, wenn er am Ende des "Einzigen" wiederholt: Der Einzige ist ein schöpferisches Nichts, auf ihm wird die stirnersche Welt erbaut, und über ihm stürzt sie wieder ein, wenn der Einzige stirbt. Kein Gott, keine Gattung Mensch können diesen Prozess aufhalten. Wer die Frage stellt, was die Welt unabhängig von ihm selbst ist, geht über sich selbst hinaus und tut damit etwas sinnloses. Die Welt kann immer nur meine kleine beschränkte Welt sein. Die Leiter entspricht allgemeinen Erkenntnissen und muss deswegen weggeworfen werden. In einer individuellen Welt gibt es keine Auskünfte darüber, was andere denken oder wie sie ihre Welt sehen. Meine Welt ist meine und deine Welt ist deine.
Vom ich zum du führt kein Weg, da versagt die Logik.
Im Vorwort zum "Tractatus" weist Wittgestein darauf hin, die Probleme im wesentlichen gelöst zu haben. Einen ähnlichen Optimismus finden wir auch bei Stirner: Der Einzelne ist für sich eine Weltgeschichte und besitzt an der übrigen Weltgeschichte sein Eigentum (6). Gibt es eine optimistischere Schlussfolgerung? Ich glaube nicht. 
Suchen wir bei Stirner nun die entsprechenden Aussagen über "Die Welt", "Tatsachen", "Gedanken", "sinnvolle Sätze" und "wovon man nicht sprechen kann".
Bei Stirner ist der Geist in der irdischen Welt ein Fremdling. Erst in einer fiktiven Welt bekommt er seinen gebührenden Platz. Diese Welt versteht ihn nicht. Mit anderen Worten: Der Geist bildet keine Tatsachen ab, ist also kein sinnvoller Gedanke. Stirners Motto "Ich hab´mein Sach auf Nichts gestellt" scheint exakt dem Punkt 7 von Wittgensteins Tractatus zu entsprechen: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.
Nur Dinge, die unsere Eigenschaften sind, sind auch unser Eigentum, d.h. was Stirner "Eigentum" nennt, bezeichnet Wittgenstein als "was der Fall ist". 

Wittgensteins Bildtheorie des Satzes
Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit. Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.(4.01)
Wir können aber immer nur konkrete Gegenstände erfassen, abbilden. Ideen oder Allgemeinbegriffe können nicht abgebildet werden.
Bei Stirner heißt das dann so: "Mir sind die Gegenstände nur Material, das ich verbrauche. Wo ich hingreife, fasse ich eine Wahrheit, die ich mir zurichte. Die Wahrheit ist mir gewiss, und ich brauche sie nicht zu ersehnen...Sie existiert gerade so gut , als die Dinge dieser Welt fortexistieren..." (7)
Die Atomtheorie der Erkenntnis trifft sowohl auf Stirner zu wie auch auf Wittgenstein.
Die Gegenstände müssen einfach sein, also individuell, damit sie abgebildet werden können.
Wie funktioniert laut Stirner der kognitive Prozess?
Die Welt besteht aus Einzelheiten, Individuellem. Nur aus diesen kann ich Erkenntnisse gewinnen. Allgemeines wie z.B. die Ideen oder Begriffe existieren nicht.
Die erworbenen Eigenschaften sind mein Eigentum. (8)
Zum Denken brauche ich die Wahrheiten und Worte, wie zum Essen die Speisen; ohne sie kann ich nicht denken noch sprechen. Die Wahrheiten sind der Menschen Gedanken, in Worten niedergelegt und deshalb ebenso vorhanden, wie andere Dinge, obgleich nur für den Geist oder das Denken vorhanden. (9) Wahrheiten sind keine göttlichen Eingebungen, sondern von dir und mir gemacht.

Wie sich Sätze auf die Welt beziehen können, werden wir nie wissen, da wir zur Welt an sich überhaupt keinen Zugang haben. Nur als kleine Ichs können wir uns über unsere kleine Welt Gedanken machen, können Sätze aussprechen, die allerdings keine universelle Gültigkeit besitzen. Mein Haus ist klein, und mein Hund ist groß. Das sind zwei Tatsachen mit ihren atomaren Gegenständen, meinem Haus und meinem Hund. Mein Gedanke bildet sie in meinem Kopf ab. Diese zwei elementaren Sätze sind sinnvoll - für mich: Mein Haus ist klein - mein Hund ist groß. Ich kann diese beiden Sätze zusammensetzen: Mein Haus ist klein und mein Hund ist groß. Dieser zusammengesetzte Satz ist wahr, falls beide elementaren Sätze wahr sind. Auf diese Weise gelangen wir zu Erkenntnissen. Was alle anderen Häuser und Hunde betrifft, darüber kann ich keine sinnvollen Sätze bilden.

Sowohl Wittgenstein als auch Stirner hatten mit ähnlichen Konsequenzen ihres Werkes fertig zu werden. Ihre Radikalität rief eine Fülle an Kontroversen hervor. Beide zogen sich nach der Abfassung ihres Werks völlig zurück. Wittgenstein hüllte sich 10 Jahre in Schweigen. Stirners Werk hat keinen Erfolg, er verarmt, erkrankt und schweigt schließlich am 25. Juni 1856 für immer.


1) Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung. Suhrkamp Verlag Frankfurt/M. 1983
2) Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. Reclam Stuttgart 1985, S. 5
3) Ebenda, S. 391
4) Ebenda, S. 3, 412
5) Ebenda, S. 412
6) Ebenda, S. 411
7) Ebenda, S. 398
8) Ebenda, S. 191
9) Ebenda, S. 391



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