DAS MAURISCHE SPANIEN
. . . UND DAS MÄRCHEN VON DER "RECONQUISTA"
EL CANTO DO MEU CID
[Die 'Mezquita' von Córdoba] [Manuskript] [Buchcover]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN, DIE GESCHICHTE[N] MACHTEN

von sagenhaften Reisen und märchenhaften Reiseberichten

Vorbemerkung: Es gibt Geschichten, die einen ordentlichen Anfang und ein ordentliches Ende haben, und solche, denen es daran mangelt. Ersteres ist ein Indiz, daß sie sich jemand im Nachhinein ausgedacht hat, denn in der Geschichte gibt es weder Anfang noch Ende. Aber auch letzteres ist keine Garantie für Authentizität. Es könnte ja sein, daß der Autor sich gar nicht für die "ganze Geschichte" interessierte, daß also z.B. Konrad von Würzburg sich nicht mit allen Personen der "Thidrekssaga" befassen, sondern auf Siegfried und die Burgunder bzw. Kriemhilds Rache beschränken wollte, und daß Homer nicht den ganzen Krieg um Troja abhandeln wollte, sondern nur den Streit zwischen Agamemnon und Achill und dessen Folgen - dafür reichten ein paar Tage jenes Jahre langen Krieges. Aber es könnte auch sein, daß uns ein Text bloß fragmentarisch überliefert ist. Beides ist übrigens keine Frage der Länge - die "Ilias" ist länger als alle anderen Werke, aus denen wir über die "fehlenden" Teile des Kriegs um Troja informiert sind, zusammen. Aber darum soll es im folgenden ja gar nicht gehen; Dikigoros will es nur voraus schicken als Aufhänger für die Feststellung, daß Länge und Authentizität auch nichts über die Bedeutung einer Geschichte aussagt. Überhaupt: Was ist schon bedeutend und wichtig? Je länger Dikigoros darüber nachdenkt, desto mehr relativieren sich für ihn diese Begriffe; er neigt inzwischen dazu, auf die Aktualität für uns heutige abzustellen; und da steht für ihn an erster Stelle eine Geschichte - nämlich diese -, die nicht nur die kürzeste auf dieser "Reise durch die Vergangenheit" ist, sondern auch deren banalsten Teil aus einem ungleich wichtigeren Gesamtzusammenhang reißt und zu allem Überfluß nur als Fragment einer Abschrift überliefert ist. Aber die - anderweitig überlieferte - Geschichte im Hintergrund, auf die wir notgedrungen eingehen müssen, wiederholt sich in der Gegenwart: Die beiden Völker - Angehörige ein- und derselben Untermenschenrasse, wenngleich Anhänger unterschiedlicher Religionen -, die damals die Macht in Spanien an sich zu reißen versuchten, sind die selben, die sich heute anschicken, die ganze Welt zu unterwerfen. Und vielleicht bedarf es ebenso skrupelloser Personen wie des Helden dieser Sage, wenn wir ihre finsteren Pläne durchkreuzen wollen, bevor es zu spät ist. Vorbemerkung Ende.

* * * * *

Wenn das Rolandslied die Lebenslüge der französischen Nation ist und die Nibelungennot die Lebenslüge der deutschen Nation war, dann waren das schlechte Lügen. Was sollten sie denn beweisen? Daß die Franzosen sich schon immer heldenhaft gegen ausländische Invasoren zur Wehr setzten? Oder daß die Deutschen schon immer einen Drang gen Osten hatten? Oder sollten sie, wie böse Zungen behaupten, nur dazu dienen, um ganz allgemein ihren Drang zum Heldentod im Kriege zu rechtfertigen und zu verherrlichen? Aber das wäre doch ziemlich sinn- und nutzlos gewesen: Das Rolandslied betraf keine feindliche Invasion in Frankreich, sondern eine gescheiterte Invasion der Franken im Emirat Zaragoza; die mittelalterlichen deutschen Herrscher führten ihre Kriegszüge bevorzugt, ja fast ausschließlich ins südliche Italien (während der Zug der deutschen Kolonisten nach Osten ganz überwiegend friedlich und unspektakulär verlief); und zur Verherrlichung des Schlachtentodes im allgemeinen hätte es jener Epen wohl auch nicht unbedingt bedurft.

Die Führer des Staates "Spanien" hatten dagegen allen Grund, nach einer epische Lebenslüge für ihr Gemeinwesen zu suchen - sie fanden sie in der Sage von Don Rodrigo ("Ruy") Diaz aus Bivar (einem Vorort der damaligen kastilischen Hauptstadt Burgos, der sich heute "Vivar" schreibt, aber immer noch "Bibar" spricht), den die Christen "Campeador [Kämpfer]" nannten und die Arabern "Sidi [Herr]" - was die Kastilier später zu "Cid" verballhornten. Warum meint Dikigoros, daß gerade die Spanier das nötig hatten, mehr als alle anderen Völker der Welt? Gibt es nicht auch in anderen Staaten unterschiedliche Volksgruppen? In Großbritannien, in Frankreich, Deutschland... Wohl wahr, liebe Leser, Bayern und Preußen, Sachsen und Schwaben, Friesen und Ostmärker mögen unterschiedliche Stämme sein, aber sie sind doch alle ganz unzweifelhaft Deutsche. Und in Großbritannien mögen mehrere Völker leben, aber daß es diese Völker - Engländer, Schotten, Iren und Waliser - als solche gibt, wird doch wohl niemand bestreiten wollen, ebenso wenig, daß es auf dem Boden des heutigen Frankreichs neben den Franzosen noch Bretonen, Flamen, Elsässer, Monegassen und Korsen gibt. Aber Spanier? Die gibt es überhaupt nicht! Wißt Ihr, woher das lateinische Wort "Hispania" stammt, aus dem alle übrigen Sprachen ihre Bezeichnungen für "Spanien" abgeleitet haben? Darf Dikigoros etwas weiter ausholen? Vor vielen, vielen Jahren, als er noch Comics las (weil es damals noch Comics gab, die zu lesen sich lohnte) schuf der große sächsische Humorist Rolf Kauka, der schon als Gegengewicht zu den amerikanischen Mickey-Mouse-Heften "Fix und Foxi" erfunden hatte, als Gegengewicht (und in ziemlich deutlicher Anlehnung :-) zu den französischen (genauer gesagt belgischen) Astérix-Heften eine deutsche Zeichentrick-Serie mit dem Titel "Fritze Blitz und Dunnerkiel". Und so wie es bei Astérix den etwas minderbemittelten, unter dem Pantoffel seiner Frau stehenden Dorfhäuptling gibt, so gibt es bei Fritze Blitz in Bonhalla (boshafte Zusammensetzung aus Bonn und Walhalla) den vertrottelten Herzog Heinerich von Hattenstich (boshafte Anspielung auf den damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke), der eines Tages eine Delegation der "Romis" (der römischen Besatzer - boshafte Anspielung auf die "Amis") empfangen soll und erst in letzter Minute - "Wotan sei Dank" - das Manuskript seiner Begrüßungsrede für den römischen Konsul findet - denn frei reden kann er nicht. Er beginnt mit den Worten: "Schon in meiner Jugend habe ich Karnickel gezüchtet und weiß deshalb: das Vaterland ist stolz auf Euch." (Dikigoros wird diesen Satz nie vergessen; immer, wenn er einen deutschen Politiker dummes Zeug schwafeln hört, muß er an ihn denken :-) Erst dann merkt er, daß er das falsche Manuskript erwischt hat, nämlich das der Begrüßungsrede für den Karnickelzüchterverband (boshafte Anspielung auf Vereinsunwesen, Lobbyismus und Kungelei in der zweiten Republik, die man damals - nicht zu Unrecht - einen "Parteien- und Verbändestaat" zu nennen begann), und fängt an zu improvisieren: "Stolz auf Euch kann Caesar sein, willkommen Konsul, fettes, äh..."

Worauf will Dikigoros eigentlich hinaus? Nein, nicht auf das fette Schwein, sondern auf die Karnickel. Als nämlich die Karthager nach ihrer Niederlage im ersten Punischen Krieg, in dem sie Sizilien, Sardinien und Korsika an Rom verloren, als Ersatz die iberische Halbinsel eroberten, fanden sie dort reichlich Karnickel vor. Karnickel hieß auf Punisch "shapan", und so nannten sie es "i-shapan", Land der Karnickel. Die Römer verballhornten das zu "Hispania", und dazu erfand man dann später die Bezeichnung "Spanier" für dessen Bewohner. Aber "Bewohner" sind noch kein Volk - das müßtet gerade Ihr, liebe deutsche Leser, inzwischen erkannt haben, da sich auf dem Terror-, pardon Territorium der B.R.D. Dutzende unterschiedlicher, nicht integrierbarer Völkerschaften tummeln. Die Bewohner Spaniens als "Spanier" zu bezeichnen ist vergleichbar mit der Bezeichnung "Europäer" für die verschiedenen Völker, die in Europa leben - ein Volk der Europäer wird es gleichwohl nie geben, auch wenn gewisse Politiker nicht müde werden, Euch etwas anderes vorzulügen. Aber wie das so ist: Auch in Spanien gab es diese Sorte Politiker, und die begannen, nachdem anno 1479 die Königin von Kastilien und der König von Aragon einander geheiratet hatten, fleißig an der Legende zu stricken, daß es so etwas wie "Spanier" gab, die allesamt einem einzigen Zentralstaat untertan sein müßten, den es nun zu erobern galt, und zwar mit allen Mitteln: den militärischen, den geistlichen und den geistigen zugleich.

Schauen wir uns die Opfer dieser Politik einmal etwas näher an. Traditionell gab es auf der iberischen Halbinsel sechs Völker (wenn man mal von den Nachfahren der [West-]Goten absieht, auf die wir später zurück kommen): Im Nordwesten die Asturier, die auf dem Boden des heutigen Galicien das Königreich León gründeten und später nach Süden ausgriffen, wo sie das Königreich Portugal gründeten, das sich als einziges in Jahrhunderte langen Kämpfen gegen den "spanischen" Moloch behaupten konnte. Im Nordosten die Basken, die das Königreich Navarra gründeten, und über die Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt. Im Südosten die Katalanen, die das Königreich Aragon gründeten, und die bei der "katholischen Heirat" 1479 ziemlich über den Löffel barbiert wurden. (Die Grafschaft Barcelona gehörte noch zum Fränkischen Reich.) In der Mitte die Barbiere, pardon die Kastilier, ein hartes, anspruchsloses (manche würden auch sagen: primitives) Volk, die Preußen der iberischen Halbinsel, deren Stärken vor allem auf den Gebieten des Militärs und der Verwaltung lagen - die sollten sich letztlich durchsetzen, und die kastilianische Mundart - hart, anspruchslos und primitiv (und daher für Ausländer besonders leicht zu erlernen, ungleich leichter als Portugiesisch, Baskisch oder Katalanisch) - sollte zur "spanischen" Sprache werden. Moment, sind das nicht nur vier Völker? Wo bleiben die beiden anderen? "Sag mir, wo die Männer sind, wo sind sie geblieben?" zitierte der große Cyniker des 20. Jahrhunderts, Joachim Fernau, in "Halleluja" boshaft einen Schlager von Marlene Dietrich, und er meint damit die fast ausgerottenen Indianer in den USA. Aber die wurden eben nur fast ausgerottet (darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr); ganz im Gegensatz zu den Völkern Nr. 5 + 6 im Südwesten der iberischen Halbinsel - den Arabern und den Juden.

Denen ging es nun mit allen genannten Mitteln zuleibe: zunächst den geistlichen - 1481 wurde die Inquisition erneuert -, dann mit den militärischen - 1492 (just im Jahre der Entdeckung Amerikas) wurde die Eroberung Granadas abgeschlossen - und schließlich den geistigen: Um die Vertreibung der Muslime und Juden aus "Spanien" zu rechtfertigen, besann man sich darauf, daß die schließlich knapp 800 Jahre zuvor - angeblich anno 711 - als glaubensfremde Eindringlinge nach "Spanien" gekommen waren, um es zu erobern, und daß die "echten Spanier" seitdem damit beschäftigt waren, sie wieder hinaus zu werfen, also mit der "Rückeroberung [reconquista]". Und welchen "Spanier" - der natürlich ein Kastilier sein mußte - erkor man nun zum Helden dieser Rückeroberung? Die Wahl fiel nicht schwer, denn die Sagenbücher berichteten nur von einem einzigen: eben von "El Cid", unserem Titelhelden. Hm... darf Dikigoros Euch da gleich mit einer ganz ketzerischen These ins Haus fallen? Er bezweifelt, daß dieses Epos aus dem 12. Jahrhundert allzu viele Leute in Spanien gelesen haben; denn ebenso wenig wie die Ilias vom Trojanischen Krieg handelt (sondern vielmehr vom Streit zwischen Agamemnon und Achilleus während jenes Krieges) oder das Nibelungenlied vom Krieg "der Burgunder" gegen "die Hunnen" (sondern erst vom Streit der Königinnen Brunhild und Kriemhild und dann von der ganz persönlichen Rache der letzteren an ihren Brüdern), so wenig handelt das Heldenlied des "Cid" vom Krieg "der Spanier" gegen "die Mauren", sondern vom Streit des Königs von Kastilien und León, Alfons VI, mit dem "Cid". [Wie dieser Streit genau entstanden ist, erfahren wir aus dem Heldenepos nicht, denn in dem einzigen erhaltenen Manuskript fehlt ausgerechnet die erste Seite. Doch die Geschichte ist bekannt: Ferdinand I von Kastilien und León wollte sein Reich eigentlich unter seinen Kindern aufteilen; aber einer von ihnen - Sancho - bekam den Hals nicht voll und versuchte, zusammen mit seinem Jugendfreund und Kriegsminister - dem späteren "Cid" - die Herrschaft ganz an sich zu reißen. Alfons VI ließ ihn ermorden - nur um selber an seine Stelle zu treten; und danach konnte er den Ober-Spezi seines Bruders natürlich nicht länger neben sich dulden. Er ließ ihn aber nicht ermorden, sondern verbannte ihn nur; eigentlich war er also nur fair, auch wenn er in der Sage nicht viel besser weg kommt als etwa die Mörder Siegfrieds im Nibelungenlied.]

Aber wie das so ist: Die meisten Leute kennen nicht die Original-Quellen (schon aus sprachlichen Gründen - wer kann schon noch Altgriechisch, Mittelhochdeutsch oder jenes merkwürdige Idiom zwischen Lateinisch, Galizisch und Kastilianisch, in dem der Canto do meu Cid geschrieben ist? [Das ist übrigens ein durch und durch langweiliges Werk - und Dikigoros hat bestimmt Sinn für alte Epen und wirft nicht gleich jedes auf den geistigen Misthaufen, bloß weil es nicht dem modernen Zeitgeschmack entspricht!] Da ist es doch viel bequemer, man greift zu Gustav Schwab oder Auguste Lechner und verläßt sich einfach darauf, daß die den Inhalt schon richtig wieder gegeben haben. Und so geht es halt auch und erst Recht den "Spaniern"; denn während man bei der Ilias und dem Nibelungenlied davon ausgehen kann, daß sie wenigstens die ersten paar Jahrhunderte nach ihrer (Wieder-)Entdeckung noch von ein paar Spezialisten und interessierten Laien gelesen wurden (so etwa bis zur Mitte des 20. Jahrhundert), wagt Dikigoros die Behauptung, daß das in Spanien mit dem "Cid" nie der Fall war. Vielmehr dürfte da von Anfang an eine Märchenversion unters Volk gebracht worden sein, und was noch schlimmer ist: diese Märchenversion hat sich bis heute in den Geschichtsbüchern gehalten - nicht nur den spanischen.

Darf Euch Dikigoros zu einem kleinen Ausflug durch die spanische Geschichte im Schnelldurchgang einladen, liebe Leser? Wenn Ihr in Eure Schulbücher schaut, dann werdet Ihr dort in etwa folgendes finden: Nach den keltischen Iberern kamen die Karthager nach Spanien, die verloren es im Punischen Krieg an die Römer. 375 begann die Völkerwanderung damit, daß die Hunnen die Goten aus Rußland vertrieben, die daraufhin ins Römische Reich zogen. 378 besiegten die Westgoten die Oströmer bei Adrianopel, später taten es ihnen die anderen germanischen Stämme gleich: Die Ostgoten eroberten Italien, die Franken Gallien, die Wandalen Nordafrika und die Westgoten Spanien. Im 6. Jahrhundert erstarkte Ostrom wieder; Belisar und Narses eroberten die verlorenen Gebiete im Westen zurück, säuberte Italien ethnisch von den Ostgoten, Nordafrika von den Wandalen und den Südwesten der iberischen Halbinsel (das spätere Andalusien mit der Hauptstadt Granada) von den Westgoten. In das so geschaffene Vakuum stießen im 7. Jahrhundert die Langobarden nach Italien vor und die Araber (die inzwischen Dank Mohammed islamisiert worden waren) erst nach Nordafrika, dann nach Spanien. Anno 711 setzten sie über die Meerenge von Gibraltar und unterwarfen das ganze ehemalige Westgotenreich. Sie hätten wohl ganz Europa erobert, wenn sich ihnen nicht der Franke Karl Martell zwei Jahrzehnte später heldenhaft entgegen gestellt und sie in der Schlacht von Tours und Poitiers besiegt hätte. (Und zwei Generationen später schlug sie Karl der Große noch einmal bei Roncesvalles - oder auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte.) Im 11. Jahrhundert begann die Wiedereroberung der iberischen Halbinsel durch spanische Christen, allen voran die tapferen Kastilier. 1185 eroberte "El Cid" die maurische Hauptstadt Toledo, und knapp drei Jahrhunderte später wurde die "Reconquista" mit der Eroberung Granadas durch die "katholischen Könige" abgeschlossen. Amen.

Vielleicht habt Ihr ja im Schulunterricht nicht so genau aufgepaßt, liebe Leser? Gut so - dann braucht Ihr dieses Märchen nämlich nicht erst mühsam aus Euren Hinterköpfen zu verdrängen, das im 19. Jahrhundert von irgendwelchen Schreibtisch-Professoren ausgesponnen wurde, deren geschichtliches Weltbild ganz von Kriegen und Schlachten geprägt war, sondern könnt Euch gleich mit der Wahrheit vertraut machen, die inzwischen längst bekannt ist, die man Euch aber vorenthält, damit Ihr daraus keine den Herrschenden peinliche Parallelen zur Gegenwart ziehen könnt. Die "Geschichte der Völkerwanderung", wie Ihr sie vielleicht bei Felix Dahn so spannend gelesen habt, beruht auf völlig falschen Voraussetzungen. Oder glaubt Ihr im Ernst, ein Volk, das gerade von den Hunnen platt gemacht worden ist, könnte nur drei Jahre später das mächtige Römische Reich besiegen und zerstören? Und es anschließend auf einen Schlag bevölkern? Nein, die so genannte germanische Völkerwanderung war nicht zu vergleichen mit den Kriegszügen der Türken nach Wien im 16. und 17. Jahrhundert, sondern sie ging über einen sehr langen Zeitraum und in ganz kleinen Schüben vor sich, etwa so wie die Züge der Türken in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Mitteleuropa: Germanische Gastarbeiter und Söldner wanderten schon seit dem 3. Jahrhundert erst einzeln, dann mit "Familiennachzug", ins Imperium Romanum ein, dessen Politiker sie selber gerufen hatten, in das von den Anwerbern hoch gelobte Land. (Hinter den Kulissen war es freilich schon seit Beginn des 2. Jahrhunderts marode: Caesar Hadrian - nach dem Adrianopel, das heutige Edirne, benannt war - kam schon nicht mehr aus Rom, sondern aus "Hispania".) Viele von ihnen waren tüchtig und fleißig - ganz so wie die erste Gastarbeiter-Generation des 20. Jahrhunderts - und arbeiteten sich hoch, erst in der Militär-Hierarchie, dann auch in der Staatsverwaltung. (Manche schafften sogar den "Quereinstieg" und wurden "Militärkaiser" :-) Die führenden germanischen Helden, die Ihr aus Felix Dahns "Ein Kampf um Rom" kennt, die Alarich, Odoaker, Theoderich usw., waren römische Kavallerie-Offiziere, etwa im Range eines heutigen Brigade-Generals. Was die Hunnen anno 375 mit ihren hinter den Pripjet-Sümpfen zurück gebliebenen fernen Verwandten anstellten, scherte diese Leute herzlich wenig; sie hatten ganz andere, handfeste Interessen: 376 erhielten sie endlich die doppelte Staatsbürgerschaft; zwei Jahre später putschten sie (die Schlacht von Adrianopel wurde nicht von Flüchtlingen vor den Hunnen geschlagen, sondern von germanischen Söldnertruppen im Dienste Roms!) - und siegten. Anno 476, also exakt 100 Jahre nach jenem großzügigen Verwaltungsakt, der sie zu "Römern" machte, setzten sie den letzten Caesar von Rom kurzerhand ab. Ganz ähnlich lief es in den anderen Teilen des Imperium Romanum ab, wo sie längst auch eine numerische Überlegenheit erreicht hatten - wiederum nicht durch Flüchtlinge, sondern durch mehrere Generationen Geburtenüberschuß, denn immer mehr emanzipierte Römerinnen zogen es vor, kinderlos zu bleiben, während die Germaninnen damals noch jedes Jahr ein Kind bekamen.

Aber, liebe Politiker von heute, davon sollen, pardon wollen wir doch nichts hören, zumal sich das ja alles wieder gerade rücken läßt, nicht wahr? Wofür gab es die Ossis, die Oströmer? Im 6. Jahrhundert vernichteten ihre Truppen die Germanenreiche im Westen des ehemaligen Imperiums und rotteten die Germanen dort aus, schreibt Felix Dahn - dann muß es ja stimmen, denn andere Quellen dafür haben wir nicht. Ist das glaubhaft? Nein, ist es nicht. Belisar (wahrscheinlich ein Thraker oder Makedone aus dem heutigen Bulgarien) und Narses (ein Armenier) besiegten in einer Art Fortsetzung des Bürgerkriegs mit ihren germanischen Söldnern die germanischen Soldaten (Ihr seht, liebe Leser: der Unterschied ist - auch sprachlich gesehen - gering) und machten sie bis zum letzten Mann nieder; aber sie rotteten doch nicht die ganze Zivilbevölkerung aus - das waren schließlich potentielle Steuerzahler, ohne die das eroberte Land wertlos gewesen wäre! Und dann kamen also die Araber und eroberten Spanien und Nordafrika? Nun, auch dieses Märchen könnt Ihr getrost vergessen; die waren genau so friedlich - oder jedenfalls kampflos - in die "germanischen" Reiche eingesickert wie die Germanen einst ins "römische" Reich: Mann für Mann, Stück für Stück, Schub für Schub. Ja, auch nach Spanien, wo die verschiedenen Bevölkerungsteile gut miteinander auskamen, und das hatte einen guten Grund: Sowohl die Westgoten als auch die Araber als auch die Hebräer (die mit ihnen kamen) hingen demselben Glauben an: die Westgoten nannten ihn "Arianismus", die Araber "Islam", die Hebräer "Judentum". Es war ein strenger Monotheismus, der sich von dem damals in Ostrom herrschenden Christentum der Katholisch-Orthodoxen (jawohl, damals waren die noch nicht gespalten!) grundlegend unterschied, denn er erkannte Jesus von Nazareth nicht als Gott an, sondern nur als Profeten, und lehnte die "Dreifaltigkeitslehre" strikt ab. (Wenn die heutigen Historiker den Arianimus zum "Christentum" zählen, so ist das schlicht irreführend. Natürlich hatten alle drei jüngeren Religionen - Christentum, Arianismus und Islam - ihr Wurzeln letztlich im Judentum; aber die Trennungslinien verliefen damals ganz woanders als man heute gemeinhin glaubt.) Fast alles, was uns die Schulbücher bis heute als "arabisches Spanien" verkaufen wollen, war in Wahrheit - zumindest während der ersten Jahrhunderte - eine römisch-westgotisch-arabisch-jüdische Mischkultur, wobei das westgotische Element wahrscheinlich noch lange überwog. Wart Ihr mal in der berühmten Moschee von Córdoba, liebe Leser? Auch der "ursprüngliche" Innenteil ähnelt doch viel mehr einer christlichen Kirche als einer Moschee; und ihr Erbauer, der "andalusische Emir" Abdul Rahman I., wird als groß, [rot]blond und blauäugig beschrieben - bestimmt nicht der typische "Syrer", als der er durch die Geschichts- und Märchenbücher geistert. Und wenn die "christlichen" Chronisten des Mittelalters vom Kampf gegen "die Ungläubigen" schrieben, dann meinten sie damit wohl in erster Linie die (westgotischen) Arianer. Ja, sie trugen den Titel "Emir" - aber was besagt das schon? Die Deutschen nannten ihren Kaiser auch nach Caesar - beweist das etwa, daß er ein Italiener oder gar ein Römer war? Alfons, der allerchristlichste König von Kastilien, trug einen arabischen Namen - war er deshalb ein Maure? Und woher kommt der "arabische" Name "Andalusien"? Von den Wandalen, die dort früher einmal durch gezogen (und von denen einige sicher auch dort hängen geblieben) waren! Waren "die Andalusier" deshalb Wandalen?

Wie dem auch sei, für Leute wie Don Rodrigo (der übrigens einen gotischen Namen - Roderich - trug, ohne deshalb notwendigerweise ein Westgote zu sein) waren solche Fragen schwerlich von Belang. Der wollte sich in erster Linie eine eigene Herrschaft sichern, und das gelang ihm auch: Er drehte beiden Seiten eine Nase und machte sich am Ende als Graf von Valencia unabhängig. Seine Raubzüge hatten indes ein böses Nachspiel, denn kaum hatte er Toledo für die Kastilier erobert, als die Westgoten, Araber und Juden nach Hilfe riefen - aus Afrika. Und nun erst begann eine umfangreiche militärische Invasion der Araber (und der - mittlerweile auch islamisierten - Berber), die wir von nun an "Moros [Mauren]" nennen dürfen, denn es waren die Al-Moraviden. Dies führte zum erneuten Verlust Toledos und weiter Teile der iberischen Halbinsel, die nun tatsächlich überwiegend maurisch geprägt wurde, denn das westgotische Element war im Laufe der Jahrhunderte zusammen geschmolzen. Die historische Wahrheit ist also, daß "El Cid" Spanien nicht von "den Arabern" oder "den Muslimen" befreit hat, sondern daß die letzteren Spanien erst in Reaktion auf seine Husarenstreiche eroberten! Nun kam Alfons wieder angekrochen und söhnte sich mit dem "Cid" aus - freilich nur zum Schein. Als der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte, fiel er wieder in Ungnade und wurde erneut verbannt - aber davon erfahren wir im Heldenepos nichts, denn das endet mit der glücklichen (Wieder-)Verheiratung der beiden Töchter des "Cid" mit den Königen von Aragon und Navarra. (Diese beiden "Königreiche" hatten damals in etwa die Größe des Saarlandes, so daß es objektiv ein schlechter Tausch war; aber die ersten Ehen - mit kastilischen Edelleuten - waren gescheitert, woran zumindest in der Sage natürlich nur die bösen Männer schuld waren :-) Der zweite und dritte Teil des Heldenepos (einige Forscher meinen, daß es sich um die Zusammenstoppelung dreier ursprünglich getrennter Sagen handelt) beschäftigt sich denn auch so gut wie ausschließlich mit diesen Ehegeschichten, die wir hier getrost vernachlässigen - und der Filmindustrie überlassen - können.

(...)

Was sollte also die Berufung auf "El Cid", und wofür mußte er herhalten? Für die Ausrottung der Konvertierten im 16. Jahrhundert - von wegen es ging "nur" um die Religion! Es war purer Rassismus, wobei die "spanischen" Rassisten - anders als ihre Epigonen in späteren Jahrhunderten - noch wußten, daß Araber und Hebräer nur verschiedene Stämme ein- und derselben [Unter-]Rasse waren, nämlich der Semiten (die natürlich ebenso zur weißen Rasse gehören wie andere Kaukasier - aber das nur am Rande). Auch wenn es von allen Kommentatoren unisono bestritten wird: Das Heldenepos ist antisemitisch, und zwar mit allerbestem Gewissen - das erfahren wir schon in den ersten Strofen:

(...)

* * * * *

Es dauerte einige Zeit, bis sich Spanien nach dem Bürgerkrieg die Wunden geleckt hatte und wieder an Denkmäler auf neue, 900 Jahre alte "Nationalhelden" denken konnte. {In den ersten Nachkriegsjahren waren sie nicht ganz so alt und nur auf Geldscheinen abgebildet - Dikigoros schreibt darüber an anderer Stelle.} Dafür wurde das 1955 in Burgos auf den Cid errichtete Standbild hoch zu Roß besonders imposant - jedenfalls aus der Ferne. Wenn man näher heran ging und es sich von vorn ansah, beeindruckten freilich nur noch das bärtige Gesicht und das überdimensionale Schwert "Colada" - über das die Gelehrten bis heute streiten bzw. darüber, ob es wirklich der Cid führte oder wer sonst. War das wirklich nötig? Gab es in Burgos nicht längst ein Denkmal auf den Cid, nämlich auf dem berühmten Stadttor "El Arco de Santa Maria" - zusammen mit anderen "Helden" der spanischen Geschichte? Schaut es Euch an und entscheidet selber!

Burgos, Die-Denkmal von Quesada Detailansicht Das Schwert 'Colada'

Wie dem auch sei, das Denkmal inspirierte den jüdischen Filmproduzenten Schmuel Bronstein zu einem "Monumentalfilm", zu dem Ernst von Salomon nur eine Frage gestellt - und sie auch gleich beantwortet - hätte: "Wissen Sie, was flüssiger ist als flüssig? Ihr Film, der ist nämlich überflüssig!" Drei Jahre - 1958-1961 - dauerte es, bis der über drei Stunden lange Schinken endlich im Kasten war. Charlton Heston und Sofia Loren spielten die Hauptrollen. Die "wissenschaftliche" Beratung steuerte ein vermeintlich ganz hochkarätiger Sprach- und Literaturhistoriker von der Königlich Spanischen Akademie bei, Ramón Menéndez Pidal, der sich angeblich sein ganzes Leben - also schon rund 90 Jahre lang - mit dem Epos beschäftigt hatte; das Ergebnis verdient nur ein Prädikat, nämlich "jämmerlich". Der Film beginnt früher als das Epos und versucht, dem Zuschauer die Vorgeschichte zu erklären, verkürzt die Handlung dann aber mit fortschreitender Dauer immer mehr. Als der Cid schließlich in der letzten Schlacht vor Valencia trotz eines tödlichen Pfeils in der Brust die Feinde (das nordafrikanische Heer Yussufs) besiegt - sein bloßer Anblick reicht schon, um sie in die Flucht zu schlagen - und am Strand des Mittelmeeres entlang in die Unendlichkeit reitet (ein beliebtes Motiv aus einer anderen Überlieferung), ist er nicht der alte Mann mit ellenlangem Bart, sondern ein immer noch fast jugendlich wirkender Held im besten Alter, und seine beiden Töchter sind noch immer kleine Kinder - womit die Notwendigkeit der Eheschließung mit all ihren Verwicklungen entfällt. Den Kritikastern fiel weniger auf, daß über 90% der Filmhandlung überhaupt keine Basis im Epos fand und daß der Drehort - irgendein Kuhdorf am Mittelmeer - überhaupt keine Ähnlichkeit mit Valencia hatte, als daß die Hauptdarsteller einander offenbar nicht mochten; sie hatten wohl übersehen, da das Drehbuch das zwingend so vorschrieb, denn Ruy hatte ja seinen Schwiegervater getötet, sei es im Zweikampf aus Notwehr erschlagen, sei es meuchlings ermordet - was uns egal sein kann, seiner Tochter aber nicht. Bronstein war es auch egal - der Film spielte rund das Doppelte seiner Produktionskosten wieder ein, und nur darauf kam es an.

Auch in Deutschland lief der Film gut; und so entschied sich der Goldmann-Verlag, als er 1970 endlich die erste für den Normalverbraucher erschwingliche deutsche Übersetzung des Epos auf den Markt brachte, für ein Titelbild, das Charlton Heston mitten im Schwertkapf zeigt - irreführender Weise, denn anders als etwa in der "Ilias" oder im "Nibelungenlied", wo ja tatsächlich viel gekämpft wird, dürfte der Leser, der das Buch aus diesem Grunde kauft, ziemlich enttäuscht sein. Als der Reclam-Verlag Jahre später nachklapperte, verzichtete er auf dieser Irreführung der Verbraucher und bildete statt dessen - leicht retouchiert - einen Holzschnitt aus dem Jahre 1525 ab, der schon das Frontispiz der "Cronica del muy efforçado cavallero el Cid ruy díaz campeador" aus dem 16. Jahrhundert geziert hatte, aus der die Drehbuchautoren - Yordan, Frank und Barzman - wohl ohnehin mehr geschöpft hatten als aus dem Epos-Fragment.

Filmplakat

Zurück zum Film und ins Jahr 1961. In Houston/Texas sieht ein 14-jähriger Junge mit Namen George den Streifen im Kino. Eine Szene - die weder im Epos noch in den sonstigen Quellen eine Stütze hat, also wohl vom Drehbuchautor frei erfunden wurde - muß ihn besonders beeindruckt haben: In Valencia herrscht, bevor es die Spanier erobern, ein böser islamischer Diktator, der das Volk unterdrückt. Die Festungsmauern scheinen uneinnehmbar; aber der Cid tritt vor und hält den Einwohnern folgende Ansprache: "Liebe Leute, wir wollen ja gar keinen Krieg gegen Euch führen, sondern nur gegen Euren bösen Diktator. Euch, dem Volk, wollen wir vielmehr Frieden und Freiheit bringen. Und Ihr habt doch Hunger, deshalb bringen wir Euch auch Brot." Sagt's und läßt von den Katapulten Brotlaibe in die belagerte Stadt schießen. Die Bürger sind begeistert, kloppen sich erst um diese humanitären Hilfslieferungen, dann stürzen sie ihren bösen Diktator, werfen ihn eigenhändig von der Stadtmauer und heißen ihren Befreier, den Cid, jubelnd willkommen. Ach sooo geht das also... 40 Jahre später wird George Präsident der U.S.A.

Aber was das mit der "Reconquista" zu tun hat - oder auch nicht -, darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle; er will nur noch der guten Ordnung halber nachtragen, daß Spanien, als es im Jahre 2007 aus unerfindlichem Anlaß eine goldene Gedenkmünze auf den Cid und das Epos, um das es hier geht, heraus gab, wieder auf das o.g. Bild aus der Chronik des 16. Jahrhunderts zurück griff.

Spanien 200 Euro in Gold 'cantar de mio Cid'


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