DER LANGE MARSCH VOM REIHERSEE
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SHOW ME THE WAY TO AMARILLA
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CÓDICE AZCATITLÁN

[Die Azteken gründen 
Tenochtitlán]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN, DIE GESCHICHTE[N] MACHTEN

[Azteken]

Wenn es ein Volk auf der Welt gibt, das Grund hat, die Geschichte seiner Landnahme besonders zu beschönigen, die Verbrechen, die es dabei verübt hat, zu vertuschen oder gar mit göttlichen Weisungen zu "rechtfertigen" und sich anschließend noch selber als "Opfer" aufzuspielen, dann ist es... Nein, liebe Leser, Dikigoros meint nicht die Juden - die haben ihre Untaten, die sie auf dem Weg in ihr "gelobtes Land" begingen, doch erstaunlich freimütig aufgezeichnet, wie Ihr im "Alten Testament" nachlesen könnt, und bisweilen waren sie ja tatsächlich nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Er meint vielmehr das Volk der Nahua, die Speerspitze jener "roten" Völkerwanderer, die vor ca. 15.000 Jahren aus Asien über die während der Eiszeit zugefrorene Beringstraße nach Amerika eindrangen und die weiße Urbevölkerung, den so genannten "Kennewick Man", ausrotteten. Und er meint insbesondere einen Stamm jenes Volkes, dessen Angehörige in unsere Geschichts- und Märchenbücher als "Azteken" eingegangen sind, die Jahrhunderte lang als Ureinwohner Mexikos und Kulturträger angesehen und als "Opfer" der bösen spanischen Konquistadoren um Cortés & Co. bemitleidet wurden. (Aber über jenen "Opfergang" schreibt Dikigoros an anderer Stelle.)

[Tonatiuh]

In Wahrheit waren sie ein (oder mehrere) Haufen blutrünstiger Raubmörder, Vergewaltiger und Schmarotzer, welche die alten Kulturen Mittelamerikas zerstört und ein blutiges Terrorregime über deren einstige Träger errichtet hatten, zu denen sie sich - nicht nur kultur-historisch - in etwa verhalten wie die Araber zu Ägypten, Mesopotamien und Persien, die "Moghule" zu Indien, die türkischen Osmanen zum Byzantinischen Reich, die Mandschu zu China und die "Befreier" des Zweiten Weltkriegs zum Deutschen Reich. (Wobei es sicher nur ein Zufall ist, daß die Unterworfenen, pardon, die "Befreiten" den Hügel, auf dem die Invasoren, pardon die "Befreier" zuerst einfielen, "Chapultepec [Heuschrecken-Hügel]" nannten - aber Dikigoros wollte Euch, liebe SPD-Wähler, diese Pointe nicht vorenthalten, für den Fall, daß Ihr da etwa eine Parallele sehen wollt... :-)

[Heuschreckenstein im Parque de Chapultepec]

Den Spaniern kann man dagegen bei nüchterner Betrachtung nur eines vorwerfen, nämlich daß sie nicht eher gekommen waren, um die mittelamerikanischen Kulturen vor den "Azteken" zu erreichen und sie vor dem Untergang zu retten - 50 Jahre früher, und die alte mixtekische Hochkultur im Oaxaca-Tal, um Mitla und Monte Albán hätte noch bestanden, und nur 25 Jahre früher, und Yucatán wäre ihnen noch unversehrt in die Hände gefallen (freilich nicht mehr die alte Hochkultur der Maya, die war längst untergegangen - über das genaue Wann, Wie und Warum streiten die Gelehrten noch immer erbittert). Aber das sind rein hypothetische Überlegungen, denn das erstere hätte nicht notwendigerweise das letztere nach sich gezogen. Es ist einer der Treppenwitze der Geschichte, daß die Spanier die mutmaßlichen Schöpfer der altamerikanischen Kulturen tatsächlich ausgerottet haben - allerdings nicht in Mexiko und/oder Perú, sondern... auf den kanarischen Inseln. Man nimmt heute an, daß es die dort beheimateten Guanchen waren, welche die Zivilisation nach Amerika brachten und deren weiße, bärtige Männer von den mittelamerikansichen Völkern zurück erwartet wurden. Jene Guanchen hatten die Spanier aber schon ausgerottet, bevor sie selber nach Amerika aufbrachen - übrigens in deren Kielwasser, Kolumbus nahm die gleiche Route -; denn sie führten zwar ständig das Wort "raza" im Mund; aber sie waren keine Rassisten, d.h. wenn ein Weißer den einzig wahren und selig machenden christlichen Glauben nicht annehmen wollte, dann wurde er von ihnen ebenso erbarmungslos verfolgt - und wenn sie ihn erwischten getötet - wie ein Fremdrassiger. Wenn sie also 130 Jahre früher nach Mittelamerika gekommen wären, hätten sie dort wahrscheinlich genau das getan, was die Historiker ihnen lange Zeit zu Unrecht vorgeworfen haben, nämlich jene Kultur vernichtet, bevor die Azteken das tun konnten.

Ja, die Spanier kamen zu spät, wenngleich nicht 2000 Jahre, wie es in dem reißerischen Titel eines Amerika-Buches aus den 1960er Jahren hieß - das meinte etwas anderes. Aber in jenem Buch steht auch der Satz: "Selbst wenn die Spanier ein Jahrhundert früher gekommen wären, ist es zweifelhaft, ob sie viel mehr erfahren hätten." Und dieser Satz ist falsch. Wären sie 100 Jahre früher gekommen, hätten sie immerhin noch die Vernichtung der altamerikanischen Handschriften verhindern können; denn entgegen weit verbreiteter Ansicht sind auch diese nicht von den Spaniern vernichtet worden, sondern von den Azteken: 1425 hatte einer ihrer Häuptlinge, nachdem er die letzte Hochburg der alten Kulturen am Texcoco-See unterworfen hatte, deren Aufzeichnungen restlos vernichten und die Geschichte neu schreiben lassen, womit er vor allem zweierlei erreichte: zum einen, daß wir nichts Genaueres über jene Völker wissen, die von ihnen pauschal als "Tolteken [Baumeister]" bezeichnet wurden (wohl weil sie nicht in Höhlen hausten, sondern richtige Gebäude erbauten), zum anderen, daß wir nichts über die Zusammensetzung jener barbarischen Nomaden wissen, die mit dem Sammelnamen "Chichimeken" bezeichnet werden, und zu denen wahrscheinlich auch die Azteken - oder "Mexica", wie sie sich inzwischen nannten - gehörten, halt als letzte von mehreren Invasionswellen. Diese Geschichtsschreibung war also ohnehin nur "zweite Wahl"; da fiel es nicht mehr sonderlich ins Gewicht, daß deren Produkte von einigen übereifrigen spanischen Priestern verbrannt wurden - man hat sie weitgehend rekonstruiert, und zwar relativ zeitnah, als es noch genügend Leute gab, die ihren Inhalt kannten. Daß diese Rekonstruktionen so wenig ergiebig sind, liegt wahrscheinlich nicht an den Rekonstrukteuren, sondern an den aztekischen Originalen. Gut drei Dutzend "Códices" sind auf uns gekommen; nichtmal ein Drittel davon ist historisch brauchbar, und dieses Drittel zählt eher zu den Stiefkindern der Forschung, da sich die so genannten "Altamerikanisten" lieber mit denjenigen Schriften befassen, die über Religion, "Kultur" und Alltagsleben der Azteken berichten - nebenbei bemerkt eine ziemlich unappetitliche Angelegenheit, in der die bildliche Darstellung von Folter und Mord an Kindern und Kriegsgefangenen, pardon Erziehung, Strafjustiz und religiöser Riten überwiegen. Schaut Euch nur mal die berühmten Facsimiles an, die in den letzten Jahrzehnten für teures Geld auf den Markt gekommen sind: den "Codex Mendoza", den "Codex Borgia", den "Codex Dresdensis" und wie sie alle heißen. Oder laßt es bleiben, und geht statt dessen mit Dikigoros der Frage nach, woher das Unheil kam, das über die alten Hochkulturen Amerikas, die fälschlich "prä-kolumbianisch" genannt werden - richtig müßten sie "prä-aztekisch" heißen -, herein brach, mit anderen Worten: auf die Suche nach der Heimat der Akteken.

[Menschenopfer der Azteken - aus dem Codex Magliabecchi]

Wie lange gurkte Odysseus im Mittelmeer herum, bevor er nach Ithákä heim kehrte? 10 Jahre? Wie lange marschierte Mao durch China, bis er es ruiniert hatte? 13 Jahre? Lächerlich! Multipliziert diese beiden Zahlen, liebe Leser, dann kommt Ihr auf die Zeit, die es gedauert haben soll, bis die Azteken nach ihren Chroniken von ihrer Heimat Aztlán bis in die Gegend gelangten, wo heute "Mexico City" liegt; und Dikigoros wundert sich immer wieder, wie "Wissenschaftler", die jene Sage auch nur halbwegs ernst nehmen, glauben können, daß jenes famose Aztlán irgendwo ganz in der Nähe gelegen habe, im Hochland von Mexiko: im 50 km von Tenochtitlán entfernten Tula, im 25 km entfernten Teotihuacán oder gar im 5 km entfernten Colhuacán alias Culiacán. Berichten nicht die Chroniken von einem "krummen Berg (Colhuacán)" nahe der Heimat der Azteken, mit Höhlenwohnungen darin? Die Märchentante Laurette Séjourné verstieg sich 1971 zu der Behauptung, man könne in Colhuacán "noch heute" den "krummen Berg" sehen, mitsamt den Wohnhöhlen. [L. S. zählt zu den ethno-linken "Historiker[innen]", die seit den "68er" Jahren die Geschichtsschreibung inbesondere über die so genannte "Dritte Welt" mit ihrem Schwachsinn durcheinander gebracht und umgekrempelt, pardon "neu konzipiert" haben. "Fischers Weltgeschichte" in 24 Bänden ist ein typisches Sammelsurium jener absurden Ergüsse, das weniger "die Totalität des Weltgeschehens" zeigt, wie der Verlag behauptet, als vielmehr die Tollität ihrer Verfasser[innen], "achtzig hervorragenden Gelehrten aus aller Welt", welche die "political correctness" in die Geschichtsschreibung eingeführt haben.] Nichts davon ist wahr, liebe Leser, wovon Ihr Euch selber überzeugen könnt, denn Colhuacán gibt es noch heute, nämlich als Stadtteil Coyoacán in Mexico City, nördlich des Universitätsviertels, um die Plaza Hidalgo mit der Kirche Johannes des Täufers (San Juán Bautista) herum. Dort gibt es weit und breit keinen derartigen Berg; und er wurde auch nicht etwa anläßlich der Bauarbeiten für das Olympiastadion 1967/68 abgetragen - aber wer weiß, wo die gute Frau und Schreibtisch-Historikerin gewesen ist... jedenfalls nicht vor Ort!

[Zeichnung aus dem Codex Boturini]

Und überhaupt, was heißt hier "vor Ort"? Nennen die Chroniken nicht mehrere Orte, an denen die Azteken zuvor gewesen sein sollen? Aztlán, den "Reihersee", Colhuacán, den "krummen Berg", und Chicomoztoc, die "sieben Höhlen"? Ach was, sagen die "Historiker" - wie immer bestrebt, "Klarheit" in die Geschichte zu bringen, indem sie sie "vereinfachen" -, das waren sicher nur unterschiedliche Bezeichnungen für ein- und denselben Ort. (Das hatte schließlich schon Diego de Durán, ein Chronist des 16. Jahrhunderts, angedeutet.) Aber dem widersprechen nun wirklich eindeutige Quellen, zu denen auch die berühmte Zeichnung zählt, die Euch Dikigoros oben abgebildet hat, die zeigt, wie die Azteken Aztlán im Jahre 1 Tecpatl verlassen und nach Colhuacán fahren. Insgesamt soll ihre Wanderung 130 Jahre gedauert haben - und das, um von Tula nach Mexico City zu gelangen? Nein, für irgendeinen Katzensprung hätten sie keine Rechtfertigung in Form einer umfangreichen Abstammungssage gebraucht, die sie 130 Jahresreisen Richtung Norden beheimatet sein läßt. Wie weit nördlich mag das gewesen sein? Das ist selbst innerhalb der Mindermeinung derjenigen, die an eine Herkunft der Azteken von jenseits des Hochlands glauben, umstritten. Gewiß, von Mexico City bis El Paso sind sich alle einig, das ist der uralte Weg, dessen Ausbau heute etwas großspurig "Panamerican Highway" oder "Panamericana" genannt wird. Dann weiter den Río Grande entlang - denn ein Volk, das auf Wanderschaft geht, ist wohl beraten, sich einen Fluß als Trinkwasser-Reservoir und als Transportweg zu suchen; und die Zeichnungen sprechen auch hier eine deutliche Sprache: Die Wanderung folgte entlang eines Flusses, nicht irgendwo querfeldein; und noch heute verläuft dort die Interstate 25 als große Nord-Süd-Achse. Zumindest bis Albuquerque dürfte das auch die Route sein, der die Azteken - in umgekehrter Richtung - gefolgt sind. (Und wenn man Durán glauben darf, dann ist noch im 15. Jahrhundert ein Aztekenhäuptling von Mexiko aus nach Norden gezogen, auf der Suche nach der Heimat seiner Vorfahren, und ist dabei sogar fündig geworden - nur wo, das schreibt Durán nicht dazu, und das läßt Dikigoros seinen Bericht denn doch etwas zweifelhaft erscheinen :-)

Aber wie soll es dann weiter gehen? Da scheiden sich die Geister: Nordöstlich, beim heutigen Taos, gibt und gab es ja schon recht früh eine recht hoch entwickelte Indio-Kultur - deren Träger allerdings gerade nicht ausgewandert, sondern dort geblieben sind; außerdem sind sie auffallend friedlich, und das waren die Azteken nie. Oder direkt nördlich, bis zur Quelle des Río Grande? Aber dort gibt es weit und breit keine Gegend, die in Frage käme. Die Tourismus-Industrie hat sich für den Nordwesten entschieden, für eine Ecke in der Nähe des Vierländerecks ["Four State Corners"] zwischen Utah, Colorado, Arizona und New Mexico, südlich der "Mesa Verde", denn dort, bei einem Ort, den man kurzerhand in "Aztec" umbenannt hat, sind Ruinen gefunden worden, die man den Indios zuordnet; man beförderte sie großzügig zum "Aztec Ruins National Monument", und ein etwas weiter nordwestlich gelegenes Bächlein zum "Montezuma Creek", und voilà: die Heimat der Azteken war gefunden! (Einen Weg von "Aztec" zum Río Grande gab es auch: die heutige Landstraße Nr. 44.) So weit so gut.

Oder doch nicht? In der Gegend von "Aztec" lebt heute der Stamm der Navajos, und das sind bekanntlich keine Nahua, sondern - ebenso wie der benachbarte Stamm der Apachen - Athapasken. Na wenn schon, wenn die ersteren ausgewandert sind, besagt das doch gar nichts - oder? Stimmt; aber hätte ein Volksstamm, wenn er denn so weit nordwestlich gelebt hätte, bei seiner Auswanderung wirklich einen Weg gewählt, der so beschwerlich war wie der südöstliche über die immerhin 3.000 m hohen Nacimiento Mountains? Oder wäre er nicht vielmehr den schon erwähnten "Montezuma Creek" und den "San-Juán-Fluß" entlang zum Colorado gezogen, d.h. Richtung west-südwest, durch den Grand Canyon? Und wären die Azteken dann nicht, statt im Hochland von Mexiko, in Baja California angekommen? Eben - und das spricht auch gegen Versuche, die Heimat der Azteken noch weiter nordwestlich, also noch näher am Colorado, zu lokalisieren, z.B. in den "Cliff dwellings [Klippenbehausungen]" der Mesa Verde oder gar in Utah. (Wohlgemerkt: Dikigoros will nicht bestreiten, daß die Nahua-Völker - und somit auch die Azteken - irgendwann einmal dort saßen. [Er will insbesondere nicht über die Frage streiten, ob sie früher an der "Teguyo-Lagune" saßen oder nicht oder doch, obwohl ihm die Quelle - eine spanische Karte aus dem Jahre 1768 - doch etwas dünn erscheint.] Aber nach dieser "Ur-Heimat" suchen wir nicht, sonst müßten wir ja, wie einleitend bemerkt, damit in Asien anfangen. Nein, wir suchen den Ort, den die Chroniken der Azteken "Aztlán" nannten, und von dem sie nicht irgendwann in grauer Vorzeit aufbrachen, sondern just 130 Jahre, bevor sie das Tal von Mexiko erreichten. [Deshalb interessiert ihn auch die neuerdings aufgeworfene Frage nicht, ob die Hopi ursprünglich ein Zweig vom Stamme der Azteken waren, und ob sie vielleicht - gewissermaßen als "Fußkranke der Völkerwanderung" - dort zurück blieben, wo sie heute sitzen. Denn ersteres könnte man ganz leicht feststellen, wenn sich die immer noch überwiegend linkslastigen Ethnologen nicht mit Händen und Füßen dagegen wehren würden, die neuen Techniken der - von ihnen als "rassistisch" verschrienen - Genforschung anzuwenden; und letzteres ist müßig, da wir längst wissen, daß die Hopi erst viel später, nach schweren Kämpfen gegen die Navajos, in ihr heutiges Siedlungsgebiet eingedrungen sind.])

Exkurs. Ein Forschungsteam um den in den 60er Jahren mit einer zweifelhaften Theorie zur Entzifferung der Maya-Hieroglifen hervor getreteten flämischen Entwicklungshelfer Antoon Leon Vollemaere, hat sich in den 90er Jahren eine besonders hübsche Route ausgedacht: Danach lag Aztlán am Lake Powell, Colhuacán waren die "White House Cliff dwellings" des Chelly-Canyon, und Chicomoztoc die "Gila Cliff dwellings" nördlich von Silver City in New Mexico.

Was spricht für diese These? Nun, in erster Linie, daß jene Berghöhlen-Wohnungen weit über den Südwesten der USA hinaus bekannt, verkehrstechnisch gut erschlossen und auch touristisch gesehen recht attraktiv sind. Was spricht dagegen? Eigentlich alles andere, denn vor dem Bau der Autobahnen und der Einrichtung von "National-Denkmälern" war es halt nicht so einfach, von einem dieser Orte zum anderen zu kommen - insbesondere gibt es zwischen ihnen keine brauchbaren Wasserwege. Und im Canyon de Chelly leben - wie in Mesa Verde und in "Aztec" - keine Nahua, sondern Navajos. Zwischen jenen Orten besteht denn auch ein Besiedlungs-Zusammenhang, und die Höhlenmalereien in Chelly zeigen sogar, wie diese Siedler sich fort bewegten: nicht etwa wie die Azteken auf dem Wasser, sondern auf dem Rücken von Pferden; und da die letzteren erst im 16. Jahrhundert durch die Spanier ins Land gebracht wurden - bei den Mustangherden Nordamerikas handelte es sich um die Nachkommen entlaufener Reitpferde! -, können wir diese These also vergessen. Das gleiche gilt für Gila: Es liegt viel zu weit abseits jeglicher vernünftiger Route, vor allem jeglichen Wasserwegs von Nordamerika ins Hochland von Mexiko. Exkurs Ende.

Nein, es hat keinen Zweck, von bestimmten Berghöhlen auszugehen, bloß weil sie heute touristische Sehenswürdigkeiten darstellen. Solche Höhlen gibt es viele, wir brauchen andere Anhaltspunkte - und wir haben sie. Wenn wir den Chroniken glauben wollen, dann müssen wir vor allem den Namen der Azteken-Heimat ernst nehmen, der auf ein Totemtier zurück geht - den Reiher. Moment mal, werden vermeintliche Mexiko-Kenner sagen, heißt "Aztlán" nicht "Insel im See", und suchten die Azteken nicht gerade danach, in ihrer neuen Heimat, nach einer Insel im See, wo ein Kaktus wuchs, auf dem sich eine Schlange kringelte, die von einem Adler gefressen wird, wie das heute noch auf dem mexikanischen Wappen zu sehen ist, und wie sie die Azteken auf dem Texcoco-See antrafen, wo sie dann Tenochtitlán gründeten?

[aus dem Codex Mendoza]

Gemach, liebe Leser, Gemach. Dieses Märchen steht zwar in vielen "Geschichtsbüchern" zu lesen, aber es stimmt vorne und hinten nicht. Fangen wir hinten an: Die Azteken haben Tenochtitlán nicht gegründet, sondern erobert, verloren, wieder erobert, dabei mehr oder weniger zerstört und von den "Tolteken" wieder aufbauen lassen. Das heutige Wappen Mexikos ist nicht das ursprüngliche, sondern eine Verballhornung ad usum Delphini seitens der Spanier. Der gute Vogel ist kein Adler, sondern vielmehr ein Caracara-Falke, und im Original frißt er keine Schlange, sondern Herz und Gedärme geopferter Menschen, wie Ihr es oben rechts seht, bisweilen symbolisiert durch Tenochtli, die Frucht der Puntien-Kaktee (ja, nur symbolisiert, denn Obst und Gemüse fressen Falken nun mal nicht - Adler übrigens auch nicht -, sondern nur Fleisch, z.B. das anderer Vögel, wie Ihr es oben links seht, auf die wir gleich zurück kommen werden). Das letztere ist wichtig, liebe Leser, denn die Wertschätzung dieser eigentlich nicht sonderlich attraktiven Frucht - die sich auch in der Benennung der Hauptstadt Tenochtitlán zeigt - verrät uns den Weg, den die Azteken auf ihrer Wanderung genommen haben müssen, und sie schließt eine Herkunft aus der Nähe des Hochlands aus, wo man bis heute die Frucht der Agave vorzieht - wir werden gleich darauf zurück kommen. Erstmal müssen wir uns jedoch dem Vogel zuwenden, und zwar nicht dem am Zielgebiet - das haben wir längst -, sondern dem am Ausgangsort der Azteken-Wanderung, also dem Reiher. Aber, sagen Vollemaere & Co., Reiher gibt es doch überall - welchen Sinn soll es machen, alle Orte abzuklappern, wo die leben? Da schon lieber die - ungleich weniger zahlreichen - Berghöhlen-Wohnungen! Pardon - hat Dikigoros gesagt, er wolle alle Orte untersuchen, wo es Reiher gibt? Die Chroniken sagen ja nicht einmal, daß dem so war, sondern lediglich, daß ihr Heimatort bzw. dessen See so hieß. Wie viele solche Namensgebungen finden wir aber, wenn wir zwischen Mesa Verde und Taos, zwischen Lake Powell und dem Chelly-Canyon suchen? Genau eine: den "Heron Lake [Reiher-See]" westlich von "Tierra Amarilla [Gelbe Erde]".

[Reiher im Reihersee]

In der Gegend soll es in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts eine Reihe schwerer Erdbeben gegeben haben - das würde erklären, warum die Bewohner ihr Heil in der Auswanderung suchten; und wenn wir 130 Jahre drauf legen, dann kommt das schon in etwa hin mit der mutmaßlichen Ankunftszeit der Azteken im Hochland von Mexiko. Aber wie und wo soll es weiter gegangen sein? Finden wir irgendwo einen Anhalts-, sprich Anhalte-Punkt auf dem Weg zum Río Grande, der es mit den Berghöhlen-Wohnungen von Chelly aufnehmen könnte? Oh ja, den gibt es, aber er steht in kaum einem Reiseführer, man hat ihn nicht zum "National-Denkmal" erklärt, und in Dikigoros' USA-Road-Atlas (immerhin der renommierte "Rand McNally") ist er nicht mal richtig geschrieben: "Puve Ruins" steht da irgendwo zwischen "Los Alamos" und "Espanola" - was soll man damit groß anfangen? Aber Dikigoros war schon als 19-jähriger in der Gegend um Santa Fé, auf einer seiner ersten, noch stümpferhaft (oder so gut wie gar nicht :-) organisierten Reisen, von denen er sonst nicht im Internet berichtet, und sie hat ihn seit je her fasziniert, wie überhaupt das Thema dieser "Reise durch die Vergangenheit", seit er als Kind in dem Birkel-Sammelbild-Album "Was weisst du von der Welt?" den Artikel über "Inka und Azteken" gelesen hatte. Während also seine Kollegen so berühmte Orte wie Taos, Chelly oder Gia besuchten und jede Menge selbst geschossener Hochglanz-Fotos mitbrachten, war er bescheidener - und so will er es auch hier tunlichst halten.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Karte links: Wenn man vom "Heron Lake" (links oben) den Río Chama entlang nach Süd[ost]en zieht, dann gelangt man beim heutigen Espanola (rechts unten) an seine Mündung in den Río Grande. Unweit südlich von Espanola liegt, wie wir auf der zweiten Karte sehen, das Indianer-Dorf Santa Clara (wo man inzwischen auch die finanziellen Segnungen des Tourismus entdeckt hat - aber damals war das noch nicht so). Und ein paar Meilen westlich von Santa Clara, noch in Sichtweite des "großen Flusses", stoßen wir auf die "Puye Cliff dwellings".

Diese Höhlenwohnungen sind zwar nicht ganz so spektakulär wie die zuvor genannten im Chelly Canyon und bei Gila, aber dafür liegen sie im Gegensatz zu den letzteren ziemlich genau auf der mutmaßlichen Wanderroute der Azteken. Als die abrückten, zogen die Anasazi ein - deren Nachkommen heute noch in Santa Clara leben, im Dorf und in dem gleichnamigen Indianer-Reservat.

[Höhlenwohnungen in den Puye-Klippen] [Höhlenwohnungen in den Puye-Klippen]

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Nun bleibt nur noch die Frage: Wo liegt Chicomoztoc, der Ort der "sieben Höhlen"? Mit anderen Worten: Wo haben die Azteken auf ihrer Wanderung nach Mexiko noch einmal für längere Zeit halt gemacht? Eigentlich ist die Antwort auf diese Frage ganz einfach: Natürlich (ja, natürlich - Dikigoros gebraucht dieses Wort niemals leichtfertig, etwa wenn er nur "selbstverständlich" meint!) dort, wo sie entscheiden mußten, ob sie weiter bequem dem Laufe des Río Grande folgen wollten - der plötzlich nach Südosten abbog -, oder aber ihrem Sonnen- und Kriegsgott Huitzilopochtli, d.h. direkt nach Süden, durch die nicht ganz ungefährliche Wüste von Chihuahua, wo man, um nicht zu verdursten, auf Kaktus-Früchte (Tenochtli, s.o.) zurück greifen mußte, wie einige Vögel es ihnen vormachten. Nein, nicht die Adler und auch nicht die Falken - die fressen wie gesagt kein Obst und kein Gemüse -, sondern eine kleinere Species: die Kolibris. (Schaut Euch noch einmal das Bild oben links an, auf dem der Caracara-Falke einen kleineren Vogel verspeist: es handelt sich um einen Kolibri!) Was bedeutet eigentlich der Name des Gottes Huitzilopochtli, der ihnen für die Himmelsrichtung stand, der sie folgten? Na was wohl: Kolibri!

[Kaktus mit Früchten] [Kolibri auf Kaktusblüte]

Die Entscheidung der Azteken für die Weiterreise gen Süden war ein wichtiger, ein entscheidender Schritt; und so heißt denn auch der Ort am wichtigsten Flußübergang des Río Grande bis heute: "Der Schritt" - El Paso.

Nun müssen wir nur noch die "sieben Höhlen" finden. Geht das? Na klar: El Paso liegt am Fuße der Franklin Mountains; und auf deren Rückseite befinden sich bis heute Höhlen, die der Volksmund (und die lokale Tourismus-Industrie :-) "Azteken-Höhlen" nennt; Dikigoros, der eine Zeit lang in El Paso gelebt hat - wie Leser von "Kugelfisch und Kupfer-Canyon" längst wissen - hat tagtäglich auf jene Berge geblickt, wenn er aus dem Fenster schaute. Aber... sind denn das wirklich sieben Höhlen, und ist der Berggipfel denn wirklich gekrümmt? Ach, liebe Zweifler, mit den "sieben Höhlen" (oder, wie einige auch übersetzen, "sieben Canyons") ist das so eine Sache. Wahrscheinlich ist das bloß ein Übersetzungefehler, denn die Abbildungen, die uns dazu überliefert sind, zeigen etwas ganz anderes, nämlich Höhlen, die nach einem bestimmten Muster aufgebaut sind, mit sieben Ausbuchtungen, die als Wohnungen oder Vorratslager gedient haben mögen, und dazu mit jenem Zipfel versehen sind, der einer Jakobinermütze ähnelt, und den die Azteken "krummer Berg" nannten. Da haben nun ganze Generationen von Forschern krampfhaft nach einem Berg gesucht, dessen Gipfel derart gekrümmt war - aber natürlich (s.o.) gibt es einen solchen nicht. Und die Abbildungen zeigen uns auch warum: Es ist gar kein Berggipfel dargestellt, sondern es handelt sich um einen Querschnitt, und der merkwürdige Zipfel war wahrscheinlich künstlich von außen angelegt! Diesem Muster sind die Azteken bei der "Inneneinrichtung" ihrer Höhlen offenbar immer treu geblieben - bis sie im Hochland von Mexiko ankamen und dort richtige Häuser kennen lernten -, und das dürfte auch der Grund sein, weshalb so viele Historiker mein[t]en, Colhuacán und Chicomoztoc seien identisch gewesen, da sie doch beide den gekrümmten Bergzipfel, pardon -gipfel trugen.

Exkurs. Seit einiger Zeit gibt es in Mexiko eine neue Theorie zur Lokalisierung von Aztlán, die vor allem in der Zeitschrift México Desconocido [Unbekanntes Mexiko] verbreitet wird. Ihre Anhänger wollen im Mini-Bundesstaat Nayarit fündig geworden sein, genauer gesagt ein paar Meilen westlich von Tuxpan, in einem Ort namens Texcaltitán. Da paßt scheinbar so vieles so gut zusammen, daß es auf den ersten Blick geradezu bestechend wirkt: Der Ort liegt an einem See, wo es viele Reiher gibt; ein anderer "Reihersee" liegt unweit nördlich, und unweit östlich des letzteren gibt es ein Dorf mit Namen "San Felipe Aztlán" - das alles ca. 1.000 km nordwestlich von Mexico City, pardon Tenochtitlán; und ca. 500 km nördlich gibt es auch einen Ort namens Culiacán, auf halbem Wege zwischen Mazatlán und Los Mochis - Lesern von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" bestens bekannt aus "Kugelfisch und Kupfer-Canyon". Und zu allem Überfluß zeigt man im örtlichen Museum auch noch einen Fund, der dem mexikanischen Staatswappen - Adler und Schlange - angeblich verblüffend ähnelt: Reiher und Aal.

Aber bei näherem Hinsehen - und dafür hat Euch Dikigoros unten ein paar Landkarten abgebildet - erweist sich diese Theorie doch als ziemlich brüchig: Es beginnt damit, daß Mexcaltitán nicht am Reihersee liegt, sondern an der "großen Lagune", die durch den Río San Pedro Mezquital gespeist wird; und der kommt - von Norden. Wenn die Azteken den entlang gezogen wären, wären sie garantiert nicht in Tenochtitlán heraus gekommen, das im übrigen nicht südöstlich liegt, sondern schlicht östlich, während es der Sage nach im Süden von "Aztlán" liegen müßte. (Deshalb scheidet auch jenes Culiacán in Sinaloa aus, denn das liegt nun mal im Norden. Um von Mexcaltitán nach Tenochtitlán zu gelangen, müßte man dem Río Grande de Santiago folgen - aber der fließt viel weiter südlich und berührt die "Laguna Grande" gar nicht.) Und der Reihersee, genauer gesagt die "Reiher-Lagune (Laguna de Garza)", liegt noch viel weiter nördlich, und sie weist zwar ein hübsches Inselchen auf, aber dort hat man bisher beim besten Willen nichts auszubuddeln vermocht, was auf die Urheimat der Azteken hinweisen könnte. (Das gilt auch für die archäologischen Ausgrabungen im nahe gelegenen Arenitas.) Das Dorf östlich der Lagune heißt auch nicht "San Felipe de Aztlán", sondern "San Felipe de Aztatán" - da hat jemand "Gustaf" mit "Gasthof" verwechselt. Und die Reiher? Nun, die gibt es in den Sümpfen nahe der Pazifik-Küste wirklich überall - in 50 Meilen entfernten San Blas hat man ein Hotel nach ihnen benannt, um mit auf den Aztlán-Zug aufzuspringen. (Warten wir mal ab, ob es sich länger hält als einst das famose Yacht-Hotel in Topolobampo :-) Und last but not least: Es gibt weit und breit keine Höhlenwohnungen im Gebirge. Also, liebe Leser, wenn Ihr dennoch in die Gegend reisen solltet, seid nicht allzu enttäuscht, wenn Ihr dort nicht auf die Urheimat der Azteken stoßt. Fahrt noch ein paar Kilometerchen weiter nach Süden, schaut Euch Guadalajara an, macht einen Ausflug mit der Eisenbahn von Ameca nach Puerto Vallarta, und laßt Euch die leckeren Fischgerichte und den Jalisco schmecken. Exkurs Ende.

[Karte des Bundesstaates Nayarit] [Laguna la Garza 
(Reihersee)]
[Mexcaltitán]

Das wars also: Wir haben Aztlán, Colhuacán und Chicomoztoc am "Heron Lake" bei Tierra Amarilla, in den "Puye Cliff dwellings" bei Santa Clara und in den "Aztec caves" bei El Paso lokalisiert und die Verbindungswege rekonstruiert; mehr war anhand der dürftigen Quellenlage nicht drin - aber das ist ja schon etwas, wenn man bedenkt, daß die schlaf- und zipfelmützige Mehrheit der "Fachwissenschaftler" Jahrzehnte lang völlig im Dunkeln, d.h. im Hochland von Mexiko, herum getappt ist und bisher nur Unwissen geschaffen hat.

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