21. Juli 2004. Knapp acht Jahre nach dem Zufallsfund und nach Gerichtsprozessen, die einige Millionen Dollar verschlangen, scheint das Schicksal des amerikanischen "Ötzis", wie das berühmteste menschliche Skelett Nordamerikas gerne bezeichnet wird, besiegelt: Die vier Indianerstämme, die das zu neunzig Prozent erhaltene Knochengerüst als die sterblichen Überreste eines ihrer Vorfahren reklamiert hatten, verzichten offenbar genauso wie die amerikanische Militärbehörde als Grundbesitzer auf eine Berufungsverhandlung vor dem Supreme Court. Das hat jetzt der Anwalt der Indianer der Zeitung "The Oregonian" zu Protokoll gegeben. Damit bleibt das Skelett in Forscherhand.
Erst im Februar hatte ein Berufungsgericht entschieden, daß die 1996 von der amerikanischen Militärbehörde veranlaßte Aushändigung des Skeletts an die Indianer und die Bestätigung dieser Entscheidung vier Jahre später durch den damaligen Innenminister Bruce Babbitt widerrechtlich gewesen seien. Eine Verbindung zu den Indianern sei nicht erkennbar. Den Wissenschaftlern von der Smithsonian Institution in Washington und des National Museum of Natural History wurde erstmals recht gegeben. Sie hatten stets auf die enorme Bedeutung des Knochenfundes zur Aufklärung der amerikanischen Besiedlungsgeschichte hingewiesen.
Im Juli 1996 hatten zwei Jugendliche das Skelett in einem ausgetrockneten Flußbett am Rande des Columbia River in der Nähe der Gemeinde Kennewick im Bundesstaat Washington entdeckt. Das Gelände gehörte dem Army Corps of Engineers. Anfangs dachte man, es handele sich um ein Mordopfer. Als man in der Hüfte jedoch eine aus der Steinzeit stammende Speerspitze fand und die Datierung ein Alter von 9200 bis 9400 Jahren ergab, war die Sensation perfekt. Seither wird um die Verfügungsgewalt über die derzeit im Burke Museum in Seattle gelagerten 380 Knochen gestritten.
Während sich die Militärbehörde und mit ihr die Stammesvertreter der Umatilla, Colville, Yakama und Nez Percé auf ein Gesetz berufen, den
Native American Graves Protection and Repatriation Act, der bereits
erfolgreich für die Rückgabe zahlreicher indianischer Fundstücke bemüht
worden war, beharrten die Anthropologen auf ihrer Forschungsfreiheit.
Tatsächlich gilt der Kennewick Man als der wichtigste Fund aus der
Frühzeit der Besiedlung Nordamerikas. Zur Verärgerung der Indianer war der
Uramerikaner nach der ersten Auswertung äußerlicher Merkmale, vor allem
der Schädelform, eher einem
europäischen Typus zugeordnet worden.
Sollte sich tatsächlich herausstellen, daß die Siedler aus der Alten
Welt schon so früh auf dem amerikanischen Kontinent Fuß gefaßt hatten, so
argwöhnten nun manche, mußten die Indianer um ihren Status und die damit
zusammenhängenden Vergünstigungen fürchten. Eine stammesgeschichtliche
Verbindung zu den natives konnte und wollte aber offenbar dann doch
niemand ausschließen. Seit ein paar Jahren hat man deshalb versucht, aus
dem Knochenmaterial Gewebe mit intakter Erbsubstanz zu isolieren, das sich
für eingehendere genealogische Analysen eignet - bisher vergeblich. Nun
überlegt die Regierung, ob man solche tiefgreifenden Eingriffe aus
Pietätsgründen generell verbieten sollte. Dann hätten auch die Forscher
nichts mehr zu lachen.
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