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Der Ferienjob

von Sabine Scholz

Anfang Oktober klappte es mit einem Job in einem großen Konzern. Man steckte mich in die Vertriebsabteilung. Der Gruppenführer, dem ich zugeteilt wurde, war ein untersetzter 50jähriger Mann, dem nur noch ein Haarkranz geblieben war. Er strahlte Sicherheit und Professionalität aus. Ständig lief er im Büro umher. Ich hatte den freien Schreibtisch ihm gegenüber bekommen, wo ich einen Ordner zusammenstellen sollte. Herr Fuchs telefonierte fast den ganzen Tag. Ab und zu musste ich etwas für ihn kopieren. Es war ein Großraumbüro, das durch 1.50 m hohe Zäune in einzelne Parzellen aufgeteilt war. Oft konnte ich Gespräche, mitverfolgen, die hinter dem Zaun geführt wurden. Einige Kollegen waren mir flüchtig vorgestellt worden. Am sympathischsten war Frau Müller. Sie war Schreibkraft und saß die meiste Zeit apathisch da. Dann tippte sie wieder eine halbe Stunde, worauf sie wieder eine lange Pause benötigte. In der Mittagspause kam ich mit ihr ins Gespräch. Sie war im Sommer in einer psychiatrischen Kurklinikgewesen wegen ihrer Depressionen. 
"Ich finde es schlimm, dass in unserer Gesellschaft die Depressionen immer noch nicht als richtige Krankheit anerkannt werden." sagte sie und stand steif vor mir.
"Oft habe ich Angst, dass man denkt, ich mache blau, wenn ich nicht zur Arbeit kommen kann. Aber oft muss ich mich einfach zwei Tage ins Bett legen."
Dann verschwand Frau Müller wieder hinter der grünen Trennwand und setzte sich an ihre Schreibmaschine. 
Frau Müller hatte einen wehmütigen Zug um den Mund. Ich sah sie gerne an. Sie sah so aus, wie ich das Leben sah.
Am nächsten Tag musste ich Lieferscheine abheften. Ich liebte den intensiven Geruch des Papiers. Doch die Arbeit war sehr monoton. Wenn ich mit einem Berg fertig war, brachte man schon den nächsten. Die Augen taten mir weh und ich blickte zu Frau Müller. Sie hatte die Bildzeitung auf einem Schrank ausgebreitet und blätterte darin herum. 
Herr Feininger war eine Frau. Alle nannten ihn "Herr Feininger", also tat ich es auch. Manchmal jedoch ertappte ich mich dabei, wie ihn mit "Frau Feininger" ansprechen wollte. Sie erklärte mir die Funktion des EMS-Gerätes, einem elektronischen Schreibtisch. Sehr umständlich. Dann dauerte es zwei Tage, bis ich die Genehmigung erhalten hatte, an diesem Gerät zuarbeiten. Ich bekam ein eigenes Codewort. Ich verwechselte oft die elektronischen Ordner und Schränke und brauchte Tage, um ein Dokument zu erstellen und es anschließend auszudrucken. Doch der Konzern konnte sich das leisten. Ich glaube, er setzt die Studenten von der Steuer ab. 
Herr Feininger hatte die schönste Kaffeetasse. Deswegen war es auch natürlich, dass er die Rolle des Kaffeekochens übernommen hatte. Es musste Geld eingesammelt werden, frisches Wasser geholt werden, neues Kaffeepulver gekauft werden, und nach dem Genuss mussten die Tassen in die Geschirrspülmaschine gestellt werden. Herr Feininger erledigte das alles sehr effizient für alle. 

Es herrschte eine seltsame Atmosphäre in dem Gebäude, da kein Fenster geöffnet werden konnte. Die Lüftung besorgte eine Klimaanlage. Man hatte den Eindruck, dass der Geruch der einen Abteilung in die nächste gefächelt wurde. Hin und wieder rief mich Herr Fuchs "Schaun sie mal bitte...". Er war sehr höflich, wenn er mir eine neue Aufgabe übertrug. 
Herr Fuchs war zudem sehr penibel. Oft gab er mir Listen, die rot, grün und gelb markiert waren. Ich musste dann die Teile in einer bestimmten Farbe herausschreiben, z.B. alle Gelben, und an eine andere Abteilung schicken. Mittags in der Kantine setzte sich oft Herr Diebold zu mir an den Tisch. 
"Es ist doch gestattet?" 
"Ja."
Herr Diebald strahlte. Dann begann er immer mir aus seinem Leben zu erzählen. Er trug altmodische Anzüge und orangefarbene Hemden. Er musste sie dutzendweise besitzen. 
"Früher war ich selbständig. Ich hatte ein Elektrogeschäft. Als das Geschäft nicht mehr so gut ging, bin ich durch Beziehungen hierher gekommen."
Von Mal zu Mal wurde Herr Diebold ein bisschen aufdringlicher.
"Ich werde jetzt einmal sehr frech, wenn sie nichts dagegen haben. Hätten sie Lust, mit mir einen Tanzkurs zu machen?"
"Ich tanze nicht so gern." Antwortete ich.
"Schade". Murmelte Herr Diebold.
"Aber sie finden doch auch, dass ich viel jünger aussehe als ich bin!"
Herr Diebold setzte wieder sein selbstbewusstes Gesicht auf. 
"Ich weiß nicht, ich schätze sie auf 50." Sagte ich.
"Also hören sie auf...Ich bin gerade 47 geworden. Also das trifft mich schon."
Ich hatte mir eine große Firma immer ganz anders vorgestellt. Irgendwie hatte ich gedacht, dass mehr Verbindung zur Außenwelt, zu anderen Niederlassungen bestehen würde. Stattdessen saß jeder Mitarbeiter vor seinem Terminal, machte automatische Lieferungen. Es war ein Jonglieren mit riesigen Zahlen. Wurde eine Bestellung nicht sofort erledigt, stellte Herr Fuchs den entsprechenden Mitarbeiter zur Rede. Er benahm sich dann wie ein Lehrer, der einem Schüler eine schlechte Zensur gibt oder einen Verweis erteilt. Mit der nichterledigten Bestellung als Beweisstück ging er zum Abteilungsleiter, den ich noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, da er ein eigenes Zimmer mit Sekretärin hatte. Kurz danach klingelte das Telefon am Schreibtisch des betreffenden Mitarbeiters und er wurde zum Chef zitiert.



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