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Das Schweigen des Lachens 

von Stephanie Semisch



John war ein großer, kräftiger Mann. Eine ansehnliche Erscheinung geradezu, nur vielleicht etwas zurückhaltend. Seine Augen waren tiefblau, wie das Meer, und dabei genauso unergründlich. Von klein auf wurde er gehänselt. Diese Kinder, grausam und lieblos. Sie lachten, ahmten ihn nach, gelegentlich schlugen sie ihn auch. Doch die Schläge trafen ihn nicht so wie dieses ständige Lachen. Sein Stottern blieb. 

Zuhause erzählte er nichts von den Gemeinheiten. Wozu auch? Seine Mutter hörte ihm sowieso nicht zu. Sie war zu sehr mit sich selbst beschäftigt. "Hast du schon wieder geheult? Wie oft, sag!" Wie oft soll ich dir noch sagen, dass dir das nichts hilft. Schluck es runter! Schluck es um Gottes Willen runter! Ach, ich gebe es auf! Du bist zu dämlich!" "Ich... ka-kann... ni... nihichts... dafür!" Sie ahmte ihn nach. Und sie lachte, lachte immer wieder! 

Ihre Erniedrigungen kannte er von Kindesbeinen an. Nie ein liebes Wort, nie ein wenig Zuwendung. Nie. Er hatte aufgehört zu sagen, was er dachte. Er schwieg. Unterdrückte seinen Hass, der von Jahr zu Jahr mehr wurde. Hass, der ihn ausfüllte, ihn fast zum Explodieren brachte. 
Liebe konnte seine Mutter ihm nicht geben. Sie war selbst auf der Suche nach der großen Liebe, die ihr Selbstwertgefühl steigern sollte, sie lechzte nach Liebe und Zuneigung: Immer wechselnde Männerbekanntschaften, von denen sie am Ende doch nie bekam, was sie wollte. Sie suchte Trost im Alkohol, der sich in den Jahren auch auf ihr Aussehen auswirkte - und die Männer immer ekliger und abstoßender werden ließ. 

John war ein erwachsener Mann geworden, und sein Zuhause war immer noch bei seiner Mutter. Er wurde geduldet, weil sie ihn brauchte, wenn sie mal wieder stockbetrunken durchs Haus wankte und ihr Bett nicht fand. Er half ihr dann jedes Mal aus ihren Sachen und brachte sie in ihr Bett. Ihr Körper ekelte ihn an, für ihn war sie keine Frau. Sie war nur Dreck und Abschaum! Wieder spürte er diesen Hass. Und doch: Wenn sie getrunken hatte, war sie zärtlich zu ihm. Sie küsste ihn auf die Stirn und lallte dazu: "Ich hab dich doch lieb!" Zärtlich strich sie ihm dann über den Kopf, als wäre er noch ein kleiner Junge und dann zog sie ihn zu sich ins Bett. Ihr Körper schmiegte sich an seinen und John mochte es. 

Er wusste nicht was es war. Sex hatte er noch nicht gehabt. Bisher hatte er anderen Frauen nur hinterher spioniert: in den Umkleidekabinen des Freibades, an Fenstern, in Kaufhäusern. Wurde er dabei ertappt, schlich er davon wie ein geprügelter Köter. 

An jenem Abend lag er wie etliche Male vorher bei seiner Mutter im Bett. Sie streichelte an seinem Bein entlang. Ihr Streicheln wurde immer fordernder. John wurde heiß, er hatte Schweißperlen auf der Stirn. Er wollte ihre Liebe, aber er musste würgen. Raus! Bloß weg hier! Wie besessen stürmte er aus der Wohnung, lief die Straße entlang. Er hatte Seitenstiche und wurde langsamer. Eine Kneipe. Er ergriff die Türklinke und trat ein. Dämmriges Licht und eine verqualmte Luft empfingen ihn. An der Theke saß eine junge Frau. Sie lachte, ihre strahlend weißen Zähne blitzten ihn an. Lange blonde Haare fielen ihr auf die Schulter. Der kurze schwarze Rock, die zu knappe Bluse und die schwarzen Lackstiefel passten nicht zu ihrem kindlichen Aussehen. Sie hatte zwei Grübchen und Lachfalten um den Mund. Sie wurde nicht wirklich hübsch, aber ihr offenes Lachen reichte, um ihn zu faszinieren. Wie benommen setzte er sich an die Theke und sein Blick war immer noch auf sie gerichtet. "Hallo Süßer", sagte sie mit einem für ihr Gesicht viel zu verlebten Stimme. "Möchtest du mit zu mir? Ich hab noch ein wenig Zeit." 

John konnte ihr nicht widerstehen, er wollte es auch nicht. Er war immer noch erregt. Er wollte es wissen. Die Bestellung. Er verkrampfte sich. "Das Gleiche!" rief er ohne zu stottern. Seine Hand deutete auf das Glas der jungen Frau. Weiter würde er nichts sagen, keiner sollte lachen. "Einen doppelten Whisky!" Der Wirt stellte das Glas auf die Theke. Er prostete der blonden Schönheit zu. Sie lächelte, dann kam sie auf ihn zu und setzte sich neben ihn. Ihre Hand mit den rotlackierten Fingernägeln legte sich auf sein Bein. Sie roch gut. John spürte, wie sie ihn erregte. "Nun komm! Whisky habe ich auch zu Hause. Und ein großes Bett, da passen wir locker zusammen rein!" John bezahlte. Sie verließen die Kneipe. Entlang der Straße erzählte sie lachend ohne Pause von ihrem Leben. John musste über ihre derbe Ausdrucksweise schmunzeln, aber es gefiel ihm. Denn ihre Anziehung verstärkte sich nur noch mehr dadurch. 

Endlich waren sie in ihrer Wohnung. Sie war nicht groß, aber sehr gemütlich. Das einzige, was John störte, waren diese Stofftiere. Dicke, große, rosafarbene Teddybären, in der ganzen Wohnung verteilt. Er setzte sich aufs Sofa. "Ich hole uns eben den Whisky und dann könntest du vielleicht auch mal etwas von dir erzählen!" Als sie die Gläser gefüllt hatte, zog er sie auf seinen Schoß, sie legte ihre Arme um seinen Hals. Innig küssten sie sich - immer und immer wieder. Zwischendurch tranken sie den Whisky. "Ich möchte dich heute Nacht für mich haben!" Ihr Worte hörten sich fast flehend an. John war der Alkohol zu Kopf gestiegen. Sie knabberte an seinem Ohr, ihre Hand kämpfte sich durch sein Hemd, kraulte seine Brust. Vorsichtig öffnete sie seinen Hosengürtel. Sein Atem wurde schneller, er fühlte sich leicht und verlor all seine Hemmungen. Seine Hände griffen gierig nach ihren Brüsten, rissen ihr die Bluse vom Körper. Kraft hatte er. Er wollte sie jetzt. Jetzt sofort. Er bebte vor Erregung. "Bitte, bitte, nimm mich, lieb mich!" Flüsterte sie und öffnete ihren BH. Ihre Brüste streckten sich John entgegen, die Nippel stachen frech hervor. "Ko, ko... komm", sagte er, "lass... u...uns... ins Bett gehen!" Er hatte es über sich gebracht, dass er stotterte war ihm in diesem Moment völlig egal. 

Sie lachte. Sie lachte immer weiter, hörte gar nicht mehr auf. Sein Blick hätte sie töten können. Doch das Lachen erstickte erst, als Johns Hände ihren Hals umschlangen wie eine Schlange ihr Opfer. Er würgte sie. Immer fester, unaufhörlich. Sein Blick dabei war eiskalt und ohne Gefühl. Ihre Arme wehrten sich, doch es war zwecklos. Aus seiner Erregung war Hass geworden. Sie sollte für alle büßen, die ihm jemals etwas angetan hatten. All seine Kraft steckte in diesen Griff. Er spürte, wie sich etwas entlud, er explodierte innerlich. Seine Hände waren wie versteinert. Die junge Frau lachte nicht mehr. Sie atmete auch nicht mehr. Sie fiel einfach zu Boden. Minuten nur waren vergangen, seit sie auf ihm saß. Doch John schien es, als wären es Stunden gewesen. Er legte sie auf die Couch, setzte sich davor und streichelte ihr Gesicht. Als er ging, küsste er ihre linke Brustwarze. Kein Lachen. Nie wieder ein Lachen. Er fühlte sich frei, als er die Straße entlang ging. Am Kiosk angekommen, sagte er: "Guten Tag. Eine Schachtel Zigaretten, bitte. Und ein Bier und diesen Schokoriegel dort." Er lächelte. 


Copyright © Februar 2002 Stephanie Semisch

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