Neues
Max
Stirner und Bayern
von Sabine
Scholz
Die
Bayern sind ein aufmüpfiges Volk von Individualisten. Mit
Deutschland wollen sie nicht allzu viel zu tun haben, weswegen sie
ihr Land immer noch als „Freistaat“ bezeichnen. Max Stirner
scheint also sehr gut in die Ahnenreihe zu passen. Warum schämt man
sich seiner trotzdem und vermeidet es z.B. ihm in seiner
Geburtsstadt Bayreuth ein Denkmal zu setzen? Der Grund liegt im
Kapitel 2, §3 „Die Hierarchie“ von Stirners Hauptwerk, dem
„Einzigen“1 begraben.
Jan
Ross2 sieht in seinem Zeit-Artikel „Das gelobte Land“
vom Mai/2002 die kulturelle Tradition Bayerns in Sturheit, Anarchie
und preußischer Strenge. Wie kommt es zu dieser seltsamen Mischung?
Warum ist Bayern so anders als der Rest der Republik? Wird es den
Bayern in die Wiege gelegt?
Ross behauptet weiter, dass Bayern
extrovertiert sei, theatralisch, ein Garten der Kunst und Musik,
aber ohne Philosophen. Ohne Philosophen? Das stimmt nicht ganz, denn
wir Bayern haben doch Max Stirner. Oder war er gar kein Bayer?
Historisch gesehen gehörte Franken, wo
Max Stirner geboren ist, zwar nicht zu Altbayern, wurde ihm aber als
Folge der napoleonischen Kriege später einverleibt. Mit dem fränkischen
Protestantismus trat eine neue Denkweise in das katholische Bayern:
die deutsche, nationalistische Mentalität. Stirner unterzieht vor
allem den Protestantismus in seinem Werk „Der Einzige und sein
Eigentum“ einer herben Kritik, meiner Meinung nach das überzeugendste
Kapitel seiner Schriften. Stirner zeigt die fatalen Konsequenzen des
Protestantismus auf: „Dem Protestantismus pflegt das Kompliment
gemacht zu werden, dass er das Weltliche wieder zu Ehren gebracht
habe, z.B. die Ehe, den Staat usw. Ihm aber ist gerade das Weltliche
als Weltliches, das Profane, noch viel gleichgültiger als dem
Katholizismus, der die profane Welt bestehen, ja sich ihre Genüsse
schmecken lässt, während der vernünftige, konsequente Protestant
das Weltliche ganz und gar zu vernichten sich anschickt, und zwar
einfach dadurch, dass er es heiligt.“3
Am
deutlichsten zeigt sich der Unterschied zwischen Katholizismus und
Protestantismus in der Auffassung vom Königsmord. Wurde er zum
Vorteil der katholischen Kirche verübt, konnte er durchaus vor Gott
gerechtfertigt werden, für den Protestanten jedoch ist er in jedem Fall
verwerflich, denn für ihn ist die Majestät an sich unantastbar.
Stirner hat hier ein düsteres Kapitel der bayrischen Geschichte
vorausgesehen. Im protestantischen Franken legten die Bürger eine
derartige Ergebung an die nationalsozialistische Ideologie an den
Tag, dass Hitler aus diesem Grund Nürnberg für die Zelebrierung
seiner Reichsparteitage auswählte. Diese Megaveranstaltung diente
damals auch als Sommerfrische für die ganze Familie und kann
durchaus mit dem Oktoberfest verglichen werden: “Integration durch
Verbrüderung, Verbrüderung durch Besäufnis.“4 Die Nürnberger
Prozesse bestätigen leider diese These. In einem katholischen Land
hätte Hitler keine Chance gehabt, seine wahnsinnigen Ideen ohne
Widerstand zu realisieren. Das sieht man gut am faschistischen
Italien, wo die Partisanen den diktatorischen Allüren des Duce
entschlossen ein Ende bereitet haben. Katholizismus und
Individualismus sind also überraschenderweise gar nicht weit
voneinander entfernt, sondern hängen eng zusammen.
Bei Stirner heißt es so: „Kein Mittel
ist für sich heilig oder unheilig, sondern seine Beziehung zur
Kirche, sein Nutzen für die Kirche, heiligt das Mittel. Königsmord
wurde als ein solches angegeben; ward er zum Frommen der Kirche
vollführt, so konnte er ihrer, wenn auch nicht offen
ausgesprochenen Heiligung gewiss sein. Dem Protestanten gilt die
Majestät für heilig, dem Katholiken könnte nur die durch den
Oberpriester geweihte dafür gelten, und gilt ihm auch nur deshalb
dafür, weil der Papst diese Heiligkeit ihr, wenn auch ohne
besonderen Akt, ein für allemal erteilt. Zöge er seine Weihe zurück,
so bliebe der König dem Katholiken nur ein Weltmensch oder Laie,
ein Ungeweihter.“5
Den
Franken steht Deutschland näher als Bayern, da sie sich dem Staat,
der Nation verbundener fühlen, die echten Bayern stellen mit
katholischer Großzügigkeit ihr Land über die Nation. Kurz ausgedrückt:
Der Bayer ist Rebell, der Franke Mitläufer der Mächtigen. Während
der heutige Bayer nur den Laptop und die Lederhose zu seiner Sache
erklärt, ist der Franke immer noch dem Geist und dem Vaterland
verhaftet und wagt es kaum fränkische Interessen zu vertreten. Die
Franken haben einen Philosophen, die Bayern – abgesehen von Karl
Valentin – haben keinen, aber wäre Stirner in München geboren,
dann stünde sein Standbild jetzt im Hofbräuhaus.
1
Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. Stuttgart: Reclam 1985
2 Die
Zeit, Dossier 05/2002: Das gelobte Land von Jan Ross
3
Der Einzige, S. 98
4 Die
Zeit, Dossier 05/2002: Das gelobte Land von Jan Ross
5
Der Einzige, S. 99
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© August 2002 Sabine Scholz
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