|
Neues
Philosophen
unter der Haube
Von
Sabine Scholz
Johann
Wolfgang von Goethe war ganz sicher, dass „die Ehe der Anfang und
der Gipfel aller Kultur sei“. Das sahen die Weisheitslehrer
allerdings völlig anders und ergingen sich über die Misslichkeiten
der Ehe. Philosophen
haben bekanntlich sehr selten geheiratet, weil die Heirat ihrer
Meinung nach offensichtlich nicht unbedingt nötig war, um in den
Genuss der Endgültigkeit des Glückes zu kommen. Wenn sie es aber
dann doch taten, endete es natürlich meistens in der Katastrophe
wie bei Max Stirner (mit bürgerlichem Namen Johann Caspar Schmidt)
und „seinem Liebchen“ Marie Dähnhardt. Offensichtlich schlug
Stirner die höchst einleuchtenden Ratschläge seines
Philosophenkollegen Theophrast1 in den Wind, nach denen
ein weiser Mann nicht heiraten dürfe. Offensichtlich behindert die
Frau die Studien des Mannes.
Ich habe Stirners Malaise mit Marie ausführlich in meinem Buch „Die
Sonne hat keinen Eigentümer“ geschildert. Das Denken Max Stirners
ist sicherlich als emanzipatorisch, als freiheitlich in jeder
Hinsicht, zu charakterisieren. Das Verhalten seinen beiden Ehefrauen
gegenüber, kann dagegen sicher nicht als progressiv betrachtet
werden. Leider besitzen wir darüber nur wenige Mitteilungen. Nach
einem Freund scheint es ganz so, dass Johann Caspar Schmidt, als er
eines Abends zu Bett gehen wollte und entdecken musste, dass seine
erste Ehefrau Agnes
Clara sich bereits nackt entblößt hatte, von einer solchen
Initiative des anderen Geschlechts derartig schockiert war, dass er
keinerlei intime Kontakte mehr mit ihr haben konnte. Sie litt seiner
Meinung nach an sexueller Unersättlichkeit. Stirner war nur, was
seine Gedanken anbelangt, ein Freigeist. Im Alltagsleben jedoch
entpuppte er sich als konservativer Spießbürger, als preußischer
Staatsbürger Schmidt, der nur im Ehebett Widerstand leistete.
Marie Dähnhardt, Stirners zweite Ehefrau, war eine der ersten
emanzipierten Frauen. Sie hatte ihr Elternhaus verlassen, um allein
in Berlin ein unabhängiges Leben zu führen. Sie war sehr
selbstsicher, liebte Diskussionen und das Leben im Allgemeinen. Sie
negierte die männlichen Autoritätsansprüche und nahm es mit der
ehelichen Treue auch nicht so genau, da sie nicht die Absicht hatte,
einmal als Hausfrau vor Langeweile zu vergehen. Marie Dähnhardt
hoffte mit Max Stirner, ein gleichberechtigtes Leben verwirklichen
zu können, akzeptiert zu werden als emanzipierte Frau, auch wenn
sie die allgemeinen Verhaltensregeln brach. Aber auch dieses Mal
versagte Stirner-Schmidt. Es gelang ihm nicht, eine so
fortschrittliche, strapaziöse und konfliktgeladenen Beziehung zu
managen. Sein unmöglicher Charakter machte Marie das Leben zur
Hölle.
Sie verließ Johann Caspar Schmidt, nachdem dieser bei einem
Versuch,
ein Milchgeschäft zu eröffnen, das gesamte von seiner Frau ererbte
Vermögen verloren hatte. Verbittert ging sie nach London. Ihre
Beziehung scheiterte nicht an Stirners Ideen, die Marie sehr wohl
verstanden hat, ohne sie jedoch zu teilen. Sex war das Hauptmotiv
ihrer Trennung. Sie verließ ihn, als er sich in einer
Schaffenskrise befand. Sex ist das Hauptmotiv aller Kreativität. Hätten
sie mehr miteinander geschlafen, hätte er sicher noch weitere
wichtige Werke geschrieben. Auf diese Weise geht Stirner als ein
zugrundegerichteter Mann in die Philosophiegeschichte ein. Geliebt
wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu
provozieren, sagte Theodor W.
Adorno. Wahrscheinlich hatte Marie Dähnhardt einen zu starken
Charakter für einen so schwachen Mann wie Stirner.
Wenden
wir uns nun den anderen unglücklichen Paaren zu. In
der Auswahl ihrer Partnerinnen waren Philosophen alles andere als
zimperlich: Albert Camus2, der davon überzeugt war, dass
"einen Menschen lieben hieß einzuwilligen, mit ihm alt zu
werden“, entschied sich für die 19-jährige drogensüchtige
Simone Hié, deren Extravaganzen ihm so den Kopf verdrehten, dass er
nicht anders konnte als die Schöne seinem Freund auszuspannen.
Anscheinend hatte sie ihren Vater zum Vorbild erkoren, der trotz
seiner gutbürgerlichen Herkunft die Familie verlassen hatte, um dem
schweren Joch der Ehe zu entgehen. All dies erhöhte natürlich
keineswegs ihren Wert auf dem Heiratsmarkt. Camus Onkel und Tante
sollen diese Heirat deswegen für Null und nichtig erklärt haben,
und um einer Auseinandersetzung mit seiner Mutter aus dem Weg zu
gehen, hatte Camus es vorgezogen sie erst gar nicht von seiner
Verehelichung in Kenntnis zu setzen. Der Grundstein für Camus
emotionale Niedergeschlagenheit war gelegt.
Arthur
Schopenhauer warnt in seinem Essay
„Über die Weiber“ vor der drohenden Gefahr, die in der
Damenwelt an sich liege. Unermüdlich stellt er dem männlichen
Leser lockende Fallen und nervtötende Verwicklungen vor Augen, die
der nähere Umgang mit dem schönen Geschlecht mit sich bringe und
lobt das Junggesellentum.
Schopenhauers Misogamie und Misogynie kennen keine Grenzen und
treiben satirische Blüten: „Mit mehr Fug, als das schöne, könnte
man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für
Musik, noch Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und
wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit; sondern bloße Aefferei“3.
„Heiraten heißt das Mögliche thun, einander zum Ekel zu werden.“
Dank seiner Geistesschärfe und der Abwehrreaktion gegenüber seiner
dominanten Mutter blieb Schopenhauer das Joch der Ehe erspart.
Seit der Antike, so zeigt der Fall Sokrates und Xanthippe, liegen
Philosophen mit ihren Angetrauten im Clinch. „Heirate oder heirate
nicht, du wirst beides bereuen“, pflegte Sokrates zu sagen. Nie
kann es der Mann seiner Frau recht machen, da es faktisch unmöglich
ist, eine gute Frau zu finden.
Doch
vielleicht braucht ja ein wirklich intelligenter Mann eine ebenbürtige
Frau, mit der er brillant streiten kann.4
1
Theophrast: Liber Aureolus de Nuptiis, 4. Jh v. Chr.
2
Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos, 1942
3
Arthur Schopenhauer: Über die Weiber, 1851
4 Robert Gordian: Die Frau des Philosophen, Heyne Verlag, 2002
Copyright
© Juni 2006 Sabine Scholz
Mailen Sie der Autorin Ihre
Meinung!
Zurueck nach oben
|
|