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Max Stirner als Gegner der nationalen Einheit Deutschlands

von Sabine Scholz

Das deutsche Reich hat nur 74 Jahre existiert von 1871 bis 1945. Woran liegt das? Wie lange wird das wiedervereinigte Deutschland bestehen? Hat es überhaupt eine Zukunft? Sebastian Haffner nennt das Deutsche Reich ein "Kriegsreich", da seine kurze Geschichte mit drei Kriegen begann und mit zwei Weltkriegen endete.1 Da stellt sich natürlich die Frage: Was machte die Deutschen so kriegerisch? Liegt das in ihrem Nationalcharakter? Haffner erwähnt eine Theorie, nach der die Schuld bei Preußen läge durch seine Vorherrschaft in Deutschland.2 
Stirner ist der Ansicht, dass das Deutschtum den Separatismus in sich trägt: Am Ende bleibt der einzelne Deutsche, der vollkommen machtlos ist. Völker sind willenlos und deshalb machtlos. In diesem Zusammenhang liest man den seltsamen Satz: "Die Deutschen werden aber nur dann einig werden, d. h. sich vereinigen, wenn sie ihr Bienentum sowohl als alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr sind als - Deutsche".3 Was bedeutet das, mehr sein als Deutsche? Könnte man damit an so etwas denken wie das deutsche Volk der Täter?

C. K. Williams beschäftigt sich in seinem Zeitartikel DAS SYMBOLISCHE VOLK DER TÄTER4 mit der Frage nach der Identität des deutschen Volkes. Seit dem Holocaust würde es die Welt des Bösen verkörpern. Damit wären die Deutschen wie einst die Juden ein symbolisches Volk geworden. Das sei der Grund, warum sie keine Nation seien wie die Franzosen oder die Italiener. Es sei äußerst unangenehm zu entdecken, dass man ein Symbol sei. Man werde zu einer Identität gezwungen, die einem nicht gefalle. Doch im Gegensatz zu den Juden, Schwarzen oder Türken, die unter ihrer Symbolhaftigkeit litten, könnten die Deutschen existieren, ohne die Verstrickungen der symbolischen Identität überhaupt zu bemerken.
Das ist ein harter Vorwurf.
Könnte man es auf die Spitze treiben und behaupten, dass der Holocaust passieren konnte, weil Deutschland eine Nation geworden war? Wäre er zu vermeiden gewesen, wenn Bismarck das Deutsche Reich nie gegründet hätte? War Deutschland vielleicht etwa schon vor dem Holocaust ein Symbol und hat diese Symbolhaftigkeit zum Verhängnis geführt? Was ist Ursache und was Wirkung?

Nach Haffner suchen Kleinstaaten Anlehnung oder Neutralität, Großmächte dagegen suchen nach Expansion.5 Die Deutschen hätten die Reichsgründung für unvollkommen gehalten; für keinen Abschluss ihrer Nationalgeschichte, sondern für ein Sprungbrett zu einer nie genau definierten Ausdehnung.6 Anschließend stellt Haffner die Frage, warum man den 1871 gegründeten Staat "Deutsches Reich" getauft hätte und nicht einfach "Deutschland"? Doch wohl deswegen, weil er eben kein Nationalstaat gewesen wäre, denn er hätte ja viele Deutsche ausgeschlossen. Haffner ist davon überzeugt, dass das Deutsche Reich von Anfang an seine eigene Zerstörung betrieben hätte. Mit seiner immer größeren Machtentfaltung hätte es sich Feinde geschaffen, zwischen denen es schließlich aufgeteilt worden sei. 

Interessant ist, dass Stirner im EINZIGEN genau über diese Frage reflektiert: Das Volk ist für Stirner ein Spuk. Die mechanische Zusammensetzung zum Deutschen Reich könnte also durchaus ins Verderben geführt haben, zu einem leblosen abstrakten Begriff, zum Symbol.

"Es ist dies das Wahrzeichen aller reaktionären Wünsche, daß sie etwas Allgemeines, Abstraktes, einen leeren, leblosen Begriff herstellen wollen, wogegen die Eigenen das stämmige, lebenvolle Einzelne vom Wust der Allgemeinheiten zu entlasten trachten. Die Reaktionären möchten gerne ein Volk, eine Nation aus der Erde stampfen; die Eigenen haben nur Sich vor Augen. Im Wesentlichen fallen die beiden Bestrebungen, welche heute an der Tagesordnung sind, nämlich die Wiederherstellung der Provinzialrechte, der alten Stammeseinteilungen (Franken, Bayern usw., Lausitz usw.) und die Wiederherstellung der Gesamt-Nationalität in Eins zusammen. Die Deutschen werden aber nur dann einig werden, d. h. sich vereinigen, wenn sie ihr Bienentum sowohl als alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr sind als - Deutsche; erst dann können sie einen "Deutschen Verein" bilden."7 

Der Deutsche Verein wäre also nach Stirner als einzige Alternative zum Deutschen Reich zu betrachten. Gleicht das wiedervereinigte Deutschland so einem Verein? Ganz im Gegenteil. Das geteilte Deutschland hatte meiner Meinung nach eine wesentlich größere Überlebenschance als das wiedervereinigte Deutschland. Der Anschluss an die Nato, und damit an die USA, schafft ihm wieder Feinde, die die beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1990 nicht besaßen. 


1 Sebastian Haffner: Von Bismarck zu Hitler, München: Knaur 1989, S. 10
2 ebenda, S. 11
3 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. Stuttgart: Reclam 1985, S. 255
4 Die Zeit, FEUILLETON 46/2002: Das symbolische Volk der Täter von C. K. Williams
5 Haffner, S. 14
6 Haffner, S. 16
7 Stirner, S. 254, 255

Copyright © November 2002 Sabine Scholz


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