Neues
Hippels Weinstube
von Sabine Scholz
Es war gegen zwanzig
Uhr, als wir die gemütliche Weinstube betraten, wo bereits eine
Gruppe von mehreren Männern versammelt war und angeregt
diskutierte. Wie ich im Laufe des Abends erfuhr, repräsentierten
sie die äußerste Linke, d.h. sie waren alle unzufrieden mit den
bestehenden politischen und sozialen Verhältnissen und bekämpften
sie heftig, auch in der Öffentlichkeit.
Das Gastzimmer war geräumig, aber niedrig und spärlich beleuchtet.
Wir nahmen an einem langen Tisch Platz. Einige der Anwesenden gehörten
zum festen Stamm, da sie fast jeden Tag bei Hippel zusammen saßen,
andere frequentierten das Lokal seltener.
Zum Stammtisch gehörten auch liberale Journalisten, die ihre neuen
Artikel vor der Veröffentlichung zur Diskussion stellten. Die
politischen Debatten dauerten meist bis spät in die Nacht. Es wurde
viel getrunken, manch einer bestellte sich auch ein Nachtessen, um
die schwindenden Kräfte wieder aufzufrischen. Es gab aber auch
Schriftsteller und Dichter unter den Anwesenden, die sich an den
revolutionären Worten der Runde berauschten und sie dann in ihren Werken
verewigten. Außerdem traf man auch Studenten an, die der
politischen Theorie an der Universität überdrüssig, endlich die
Theorie in die Praxis umsetzen wollten. Bei Hippel bekamen sie Ideen
zu hören, die ihnen vom Katheder herunter nicht gepredigt wurden.
Am meisten überraschte mich die Präsenz einiger Offiziere, deren
Horizont offenbar etwas über Frauen und Pferde hinauszugehen
schien. Am Tag kommandierten sie rechts und links, während sie
abends zur Belohnung für ihre Tapferkeit literweise Bier hinunter
spülten und andächtig den Reden klügerer Zeitgenossen lauschten.
Die Gruppe der Freien scharte sich um einen Mann, dessen Name einen
gefürchteten Klang hatte: Bruno Bauer. Er war das Gehirn des
Vereins. Seine scharfsinnige Abrechnung mit der Bibel hatte enormes
Aufsehen erregt. Wer war der Mann, der es wagte derartig gotteslästerliche
Ideen zu verbreiten? Bruno Bauer hatte die seltene Gabe, alle –
seine Gegner eingeschlossen – in seinen Bann zu ziehen. Stets
jagte er hinter soeben veröffentlichten Büchern her, deren
Verfasser er fast ausnahmslos mit seiner Kritik zerstampfte. Auch
Max Stirner sollte nicht von ihm verschont bleiben.
An diesem Abend kam es zu einem Schlagabtausch über das Thema der
Gottesbeweise. Bruno Bauer verfocht die unerschütterliche Ansicht,
dass die Existenz Gottes auf gar keinen Fall wissenschaftlich
bewiesen werden könnte, wie er ausführlich in seinem neuesten
Artikel nachgewiesen hätte. Daraufhin entgegnete ein Philosoph,
dass dies falsch wäre: “Die Existenz eines philosophischen Gottes
kann durchaus bewiesen werden. Descartes z.B. hat dieses Problem
hervorragend gelöst. Natürlich darf man diesen Gott nicht mit dem
christlichen verwechseln, der unter anderem auf zwielichtige Weise
zu einem Sohn gekommen ist.“
Bruno Bauer entgegnete zornig: „Alle bisherigen Versuche, Gottes
Existenz zu beweisen, sind an ihrer inneren Widersprüchlichkeit
gescheitert. Es gibt keine haltbaren Gottesbeweise!“
Meine Aufmerksamkeit war jedoch auf Max Stirner gerichtet, da mir
sein Verleger, Otto Wigand aus Leipzig, sein Werk „Der Einzige und
sein Eigentum“ zum Lesen empfohlen hatte. Es war ein stattlicher
Band von fast 500 Seiten, auf bestem Glanzpapier gedruckt, und
kostete zweieinhalb Taler. Doch leider stellte sich heraus, dass
sich nicht mehr als 1000 Exemplare verkaufen ließen. Zum Schrecken
Wigands wurde DER EINZIGE anfänglich auch von der Zensur verboten,
die ihn dann aber doch wieder freigab. Der Misserfolg drohte Stirner
zu zerstören. Das Zitat, mit dem Stirner sein Werk begann - ICH HAB
MEIN SACH AUF NICHTS GESTELLT – schien sich wie ein böses Omen am
Ende gegen ihn selbst zu wenden.
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© Juli 2002 Sabine Scholz
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