Neues
Gott als
Kunstobjekt bei Stirner
von Sabine Scholz
Transzendenter
- immanenter Gott (Zwei Welten – eine Welt)
Man muss zwei Bedeutungen des Ausdrucks „immanent“
unterscheiden: einmal bedeutet es „in dieser Welt“ , an anderer
Stelle wiederum „im Menschen“. Dabei geht man von der Theorie
der zwei Welten aus. Für die Christen gibt es natürlich die
jenseitige Welt, d.h. Gott ist zwar Mensch geworden, das ändert
aber nichts an der Tatsache, dass es die andere, transzendente Welt
auch noch gibt. Da diese Begriffe oft nicht unterschieden werden,
kommt es zu erheblichen Begriffsverwirrungen.
Bei
Stirner finden wir einen transzendenten Gottesbegriff vor, während
Feuerbach von einem immanenten Gott ausgeht.
In dieser Hinsicht bewegt sich
Stirner also im Bereich der heidnisch, jüdisch, christlichen
Vorstellungswelt, während sich Feuerbach außerhalb derselben
befindet.
Wenn
Gott anthropomorph vorgestellt wird, folgt daraus nicht immer, dass
er dem Menschen immanent sein muss. Das ist auch der Grund, warum
man sich leichter von einem transzendenten Gott befreien kann als
von einem immanenten. Deswegen verwundert es nicht, dass Stirner
Feuerbachs Konzeption für viel gefährlicher hält als die
christliche. Dies betont auch Lawrence S. Stepelevich
in seinem Aufsatz
„Stirner contra Feuerbach“:
„Für
Stirner hat Feuerbach das Bewußtsein nicht von der Tyrannei seiner
eigenen Kreaturen befreit, sondern die religiöse Situation
verschlimmert. Indem er der Inkarnation allgemeinen Charakter
verliehen, habe es Feuerbach unmöglich gemacht, sich von Gott zu
befreien, ohne sich gleichzeitig von sich selbst zu befreien. Der
transzendente Gott früherer Religionen konnte zumindest in einem
Akt von Zweifel ignoriert werden, der immanente Mensch-Gott
Feuerbachs jedoch vermischt Illusion und Realität. Der alte Glaube
verlegte seine idealen Wesenszüge in ein vages und entferntes
Jenseits, das nur nach dem Tod erreicht werden konnte. Der „neue
Glaube“ Feuerbachs vervollkommne den alten Glauben, indem er
versuchte, sinnlich, in dieser Welt, all das zu erfassen, was bisher
in einer anderen verborgen war.“1
Bei
den heidnischen Religionen werden die Götter als überlebensgroße
Menschen dargestellt, es gibt aber nur EINE Welt, d. h. sie leben in
ein und derselben Welt mit den Menschen. Im Christentum wird Gott
zwar Mensch, dennoch gehört er jener zweiten, transzendenten Welt
an. Warum musste Gott bei den Christen ein Mensch werden, wo doch
die transzendente Welt erhalten bleibt? Hier kommt es nun zu der
seltsamen Verbindung mit dem Bilderverbot. Gott ist zwar Mensch
geworden, aber man darf sich kein Bildnis von ihm machen. Was
bedeutet das? Welche Gefahr steckt dahinter, wenn man Gott abbilden
würde, wie man es mit Menschen tun kann?
Das
Bilderverbot
Slavoj
Zizek beschäftigt sich mit der Frage der Personalisierung Gottes. Während
die Götter in den heidnischen Religionen bereits
anthropomorphisiert werden, also als überlebensgroße Menschen
dargestellt werden, tritt erst im Judentum die völlige
Vermenschlichung Gottes ein:
„der
jüdische Gott kennt Zorn, Rachegelüste, Eifersucht, genauso wie
jeder Mensch...Dies ist der Grund, warum man keine Bilder von ihm
machen darf: Nicht weil ein Bild die rein spirituelle Wesenheit
<humanisieren< würde, sondern weil es sie gar zu getreu
wiedergeben würde...Das Christentum geht diesen Weg bis an sein
Ende, indem es nicht nur eine Ähnlichkeit von Gott und Mensch
behauptet, sondern ihre unmittelbare Identität in der Figur
Christi: <Kein Wunder, dass der Mensch wie Gott aussieht, wenn
Gott ein Mensch (nämlich Christus) ist<.“ 2
Warum
ist es den Christen verboten, sich ein Bild von Gott zu machen, wenn
er doch ein Mensch ist wie alle anderen Menschen auch? Die Überzeugung,
dass Gott ein Mensch ist, ist also die Voraussetzung für das
Bilderverbot. Vielleicht hat Stirner diese Frage bereits
beantwortet.? In seiner Schrift „Kunst und
Religion“ (1842) zieht Stirner eine Parallele zwischen dem Künstler
und dem religiösen Menschen. Beide erschaffen das Ideal:
„Was
ist der vollkommene Mensch, des Menschen eigenste Bestimmung, von
der Alle eine Anschauung zu erhalten sich sehnen, anders, als der
ideale Mensch, des Menschen Ideal? Der Künstler hat endlich
das rechte Wort, das rechte Bild, die rechte Anschauung
für das entdeckt, wonach Alle verlangten; er stellt es auf: es ist
das Ideal. „Ja, das ist es! Das ist jene Gestalt des
Vollkommenen, das ist der Ausdruck für unser Sehnen, die frohe
Botschaft (Evangelium), welche unsere längst ausgesendeten
Kundschafter, die labungsdurstigen Fragen unseres Geistes,
heimbringen!“ So ruft das Volk bei der Schöpfung des Genies und fällt
– anbetend nieder.“ 3
Das
Gottesbild ist nichts anderes als das Produkt eines Künstlers. Nur
indem man dem Künstler verweigert, SICH EIN BILD ZU MACHEN, bleibt
die zweite, transzendente Welt erhalten. Das Bilderverbot
rettet also die Religion, ansonsten wäre sie Kunst.
Kunst
und Religion verfahren also anders mit ihrem jeweiligen Objekt. Der
Versuch, Gott wieder subjektiv zu machen, ist nichts anderes als die
Religion von der Kunst zu unterscheiden. Feuerbach ist also deswegen
so gefährlich, weil seine subjektivistische Gottesauffassung
letztlich die Religion rechtfertigt: „Diesem Objecte, dem Gotte,
steht der Mensch dann gegenüber, und selbst der Künstler fällt
vor ihm, der Schöpfung seines Geistes, auf die Kniee. Im Verkehr
und Kampfe mit dem Objecte verfolgt die Religion nun einen der Kunst
entgegengesetzten Weg, indem sie das Object, welches der Künstler
dadurch hervorbrachte, dass er die ganze Kraft und Fülle seines
Innern zu einer herrlichen Gestaltung concentrirte und sie, die mit
eines Jeden eigenstem Bedürfniss und Verlangen harmonirte, der Welt
als Object vor Augen stellte, wieder in das Innere, wohin sie gehört,
zurückzunehmen und wieder subjectiv zu machen sucht. Sie
trachtet das Ideal oder den Gott mit dem Menschen, dem Subjecte, zu
versöhnen und ihn seiner harten Gegenständlichkeit zu entkleiden.
Der Gott soll innerlich werden“.4
Das
Bilderverbot ermöglicht allerdings auch die Freiheit der Kunst: „Gerade
das biblische Bilderverbot bedingt die Weltlichkeit der Welt, denn
nichts in der Welt kann mit Gott verwechselt, nichts im Himmel und
auf Erden kann als Bild Gottes mißverstanden werden. In diesem
Sinne bedeutet nicht erst Jesus Christus, sondern bereits das
Bilderverbot des Alten Testaments die "Befreiung der Künste
zur Profanität" (Kurt Marti), denn nichts nötigt und nichts
legitimiert die Künste theologisch zur Repräsentanz: "Das
alttestament(liche) Bilderverbot hat neben seiner theologischen
Seite eine ästhetische.“5
Stirner
erklärt sich den Zusammenhang zwischen Kunst und Religion dadurch,
dass die Kunst Entzweiung schafft, d.h. ohne Kunst würde Gott gar
nicht existieren. Religion ist ein Anblicken und kann schon deshalb
nicht ohne Gegenstand oder Objekt auskommen. Daher rührt der
Versuch, Gott bildlich bzw. anthropomorph darzustellen: „Die Kunst
schafft Entzweiung, indem sie dem Menschen das Ideal entgegenstellt,
der Anblick des Ideales aber, der [260] so lange dauert, bis vom
unverwandten, gierigen Auge das Ideal wieder eingesogen und
verschlungen worden, heisst Religion. Darum, weil sie ein Anblicken
ist, bedarf sie eines Gegenstandes oder Objectes, und der Mensch
verhält sich als Religiöser zu dem durch die Kunstschöpfung
hinausgeworfenen Ideal, zu seinem zweiten, äusserlich gewordenen
Ich, als zu einem Objecte.“ 6
Bei
Nietzsche heißt dieses Objekt „Übermensch“. Er weiß um den
Tod Gottes, weiß, dass alle Ideale nur Einbildungen sind, und sagt
als Künstler zu allen Erscheinungen des Lebens freudig ja. In
diesem Sinne hat Stirner auch dazu beigetragen, den Gottesbegriff
durch den Übermenschen zu retten.
1
Stepelevich, Lawrence S.: Stirner contra Feuerbach. In: Hans-Jürg
Braun, Hans-Martin Saß, Werner Schuffenhauer, Francesco Tomasoni
(Hrsg.): Ludwig Feuerbach und die Philosophie der Zukunft.
Internationale Arbeitsgemeinschaft am ZiF der Universität Bielefeld
1989. Societas ad studia
de homini condizione colenda. Internationale
Gesellschaft der Feuerbach-Forscher. (Akademie-Verlag) Berlin 1990.
2 Slavoj
Zizek, Die gnadenlose Liebe, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1545,
2001, p.163-164
3 Max
Stirner, Kunst und Religion , Rheinische
Zeitung. 14. Juni 1842.
4
ebenda
5
Andreas Mertin, Ist
Gott eine ästhetische Formel? Von Meistern der Leere, Sinnsuchern
und theologischen Zwergen. http://www.theomag.de/classics/am4.htm
6 Max Stirner, Kunst und Religion , Rheinische
Zeitung. 14. Juni 1842.
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© März 2003 Sabine Scholz
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