Neues
Die ersten Euros in Turin
von Sabine Scholz
Das
neue Jahr begann für mich ganz erfreulich. Mit einem Heiratsantrag
und einem Bündel nagelneuer Euros.
Da ich keine Zeit hatte, gab ich meinem Kavalier schnell einen Korb
und stürzte los in die Banca San Paolo. Ich hörte ihn noch in die
Muschel rufen: “Das neue Jahr fängt ja gut an...“
Die Geldautomaten sind fast alle leer. Die Italiener haben sie am
ersten Tag bereits völlig geplündert. In der Bank erwartet mich
eine kilometerlange Schlange von ungeduldigen Klienten. Jeder steht
mit einem Merkzettel in der Schlange mit vielen Ziffern, die er vor
sich hinmurmelt. Ständig gibt es etwas zu murren.
Ich hatte mir „Ausweitung der Kampfzone“ von Houellebecq zum
Lesen mitgenommen, sozusagen mein Verlobungsgeschenk. Nach einer
Stunde und zwanzig
Minuten war ich auf Seite 60, wo Raphael Tisserands Hässlichkeit
dem Leser vor Augen geführt wird: „Er hat exakt das Aussehen
einer Büffelkröte ...“. Ah, das alte Ehepaar an der zweiten
Kasse hat sich endlich den Inhalt seines Sparstrumpfes erfolgreich
bis hinters Komma aufdröseln lassen. Nun bin ich dran. Ich
lasse mir mein Geld in 50er Scheinen auszahlen und tue sie in eine
neue Geldbörse im Euroformat, ein Weihnachtsgeschenk, das ich nicht
losgeworden bin. Die Scheine sind bräunlich mit einer Landkarte von
Europa. Kleingeld habe ich noch keines. Das soll ja automatisch in
meine Taschen fließen. Mal abwarten. Auf dem
Heimweg fällt mir auf, dass man bei der Deutschen Bank ein Fenster
eingeschlagen hat. Ob das ein Zufall ist?
Mein Obst kaufe ich auf dem Markt bei einem Bauern, der als einziger
seine Preise noch rigoros in Lire ausgezeichnet hat. Die
genmanipulierten, kernlosen Clementinen stammen aus Sizilien, die Äpfel
aus Südtirol und die Bananen aus Ecuador.
Vielleicht sollte
ich über den Heiratsantrag doch noch mal nachdenken?
Copyright
© Januar 2002 Sabine Scholz
Mailen Sie der Autorin Ihre
Meinung!
Zurueck nach oben