"Laudato si', mi' Signore, per
sora nostra matre terra!"
KATHERINE MAYO
(1868 - 1940)

[Mayo, Mother India]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
LÜGEN HABEN SCHÖNE BEINE
(Wenn Frauen eine Reise tun . . . )

Sagt Euch das Eingangszitat etwas, liebe Leser? Wahrscheinlich nicht. Es stammt aus dem "Cantico di Frate Sole [Gesang des Bruders Sonne]" des Franz von Assisi aus dem Jahre 1224 und bedeutet: "Gepriesen sei'st Du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde." Die Erde als Schwester und Mutter, die Sonne (die im Italienischen männlich ist) als Bruder - das geht bei der üblichen, aber unvollständigen und daher ungenauen Übersetzung mit "Der Sonnengesang" verloren. Man hört und sieht diesen "Gesang" überhaupt nicht mehr so gerne in der christlichen Kirche, denn er weist den Gründer des nach ihm benannten Ordens als das aus, was man heute einen "Heiden" und "Polytheïsten" nennen würde: Er betete zu Sonne, Mond und Sternen, Wind und Wolken und - Mutter Erde. Er betrachtete sie allesamt als Brüder und Schwestern des Menschen, insoweit sie göttliche Schöpfungen ("Creature" - warum hat das Wort "Kreatur" im Deutschen nur so einen negativen Beigeschmack angenommen?) waren; er sprach zu den Pflanzen und Tieren, wenn Ihr so wollt, betete er zu einigen von ihnen - wie die Inder. Ja, der große Heilige - vielleicht der größte, den Italien je hervor gebracht hat - und seine Ideen und Taten sind heute im Westen vergessen oder verdrängt. (Ganz anders als die seines Möchtegern-Kollege Wynfreth, dem übelsten Subjekt, das die Angelsachsen vor dem 20. Jahrhundert auf Deutschland losgelassen haben, der ihre heiligen Eichen schlug, bis ihn einige aufrechte Männer seinerseits erschlugen, was ihm den Rang eines BlutzeugenMartyrers einbrachte, eine Heiligsprechung als "Sankt Bonifatius" - obwohl er weiß Gott nur Schlechtes getan, also eher den Namen "TunichtgutiusMaleficius" verdient hatte -, den Beinamen "Apostel der Deutschen" und seit einiger Zeit sogar eine eigene Webseite.) Die weltlichen sowieso, zum Beispiel daß es Franz von Assisi war, der das von den einfachen Menschen gesprochene Italienische an Stelle des von den Gelehrten bevorzugten Lateinischen zur Literatursprache erhob - nicht der heute so berühmte Deutschen-Hasser Dante Alighieri, der seine "Divina commedia [Göttliche Komödie]" erst Jahrzehnte nach dem "Cantico" schrieb. Und die filosofisch-theologischen erst recht: Ein komischer Heiliger aus Spanien namens Pedro de Alcántara pervertierte, pardon "reformierte" im 16. Jahrhundert seinen Orden, und anno 1600 verbrannte die römische Kirche Giordano Bruno, der auf seinen Pfaden gewandelt war und "Gott" ebenfalls in der Natur sah. [Was, liebe Leser, Ihr glaubt immer noch das Märchen, der sei auf dem Scheiterhaufen gelandet, weil er Kopernikus darin folgte, daß sich die Erde um die Sonne drehte und nicht umgekehrt? Und das, obwohl Euch Dikigoros bereits an anderer Stelle berichtet hat, daß Kopernikus das ebenso wenig wußte - er glaubte an irgendwelche obskuren Schalen, in denen die Planeten liegen sollten - wie Brunos Zeitgenossen Galileo und Kepler? Und selbst wenn sie es gewußt - und verkündet - hätten, wäre ihnen darob nichts geschehen, wie das Beispiel von Nicolaus Cusanus und seinem Freund Georg von Peuerbach zeigt, die das schon ungestraft taten, als Kopernikus noch gar nicht geboren war - und der erstere brachte es immerhin bis zum Kardinal!] Franz von Assisi würde sich im Grabe umdrehen, wüßte er, welche Region der Erde sich der Franziskaner-Orden zu seinem Haupteinsatzort erkoren hat und welche Ziele er dort in seinem Namen verfolgt: Indien, den letzten Hort der von Franz selber vertretenen Natur-Religion, und das Ziel lautet, diese auszurotten und durch jenen hirnrissigen, "monotheïstisch" genannten Dreifaltigkeits-Glauben zu ersetzen, den die katholische Kirche für den einzig wahren hält. Und als Hauptargument, um dieses ihr Vorhaben zu rechtfertigen, dient jenen "Missionaren" ausgerechnet der Umstand, daß viele nicht-christliche Inder zugegebener Maßen arm sind - so arm, wie es dem guten Franz als Ideal vorschwebte. (Er lebte dieses Ideal übrigens - im Gegensatz zu vielen anderen "Heiligen" - auch selber vor, obwohl er als Sohn eines reichen Kaufmanns ein Millionen-Erbe hätte antreten können.)

[Der heilige Franz von Assisi spricht zu den Vögeln]

Wenn wir dem Bericht des Odorico da Portenone (der eigentlich Oderich von Portenau hieß und Ostmärker war) glauben dürfen, dann war der heilige Franz noch keine 100 Jahre unter der Erde, als sich der nach ihm benannte Orden schon zu seiner ersten Missionsreise nach Indien (und China) anschickte - 1314 soll das gewesen sein. Manche meinen freilich, Oderichs Bericht sei zumindest teilweise bei Marco Polo abgeschrieben, aber das gilt vielleicht nur für Einzelheiten. Wie dem auch sei, jedenfalls ernannte der Papst schon 1329 den ersten Bischof für Kerala; und seitdem sind die Bekehrungsversuche der christlichen Missionare - anders als in China oder Japan, wo man mit ihnen irgendwann kurzen Prozeß machte - nie ganz abgerissen. Nun will Dikigoros gerne glauben, daß viele Missionare das in der ehrlichen Überzeugung taten, den armen Heiden etwas Gutes zu tun, wenn sie ihnen den wahren Glauben brachten und so ihre Seelen vor ewiger Höllenpein bewahrten; und natürlich kostete so eine Mission viel Geld, das der Orden nicht hatte; er war also auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen, und um die zu mobilisieren bedurfte es - das war zu allen Zeiten so und hat sich bis heute nicht geändert - massiver Propaganda. Wenn ein frommer Christ spenden sollte, um den Heiden zu helfen, dann mußte das Leben der letzteren in den schwärzesten Farben geschildert werden; und nichts anderes taten die meisten Berichte über Indien. In der ursprünglichen Fassung dieser Seite endete dieser Absatz mit dem allgemeinen Verdikt: "Im Grunde genommen tun sie das, von einigen nie ganz ernst genommenen Schwärmern abgesehen, heute noch, bis hin zu den Büchern des Literatur-Nobelpreisträgers Naipaul - aber das ist eine andere Geschichte." Doch Dikigoros will nicht ungerecht sein und etwas differenzieren. Indien muß man lieben oder hassen, es kann niemanden gleichgültig lassen, auch keinen Nicht-Inder, jedenfalls keinen, der selber mal dort war. (Dazu zählt Dikigoros freilich nicht solche Zeitgenossen, die nur mal eine 7-tägige Pauschalreise durchs "Goldene Dreieck" Delhi-Agra-Jaipur" gebucht haben, im klimatisierten Reisebus, zusammen mit lauter anderen Ausländern, begleitet von einem deutsch- oder englisch-sprachigen "Reiseführer", nur im Touristen-Hotel übernachtet und nur westliche Speisen im Touristen-Restaurant zu sich genommen haben :-) Diese nicht-indischen In-Indien-gewesenen kann man im wesentlichen in vier KastenKategorien einteilen (wobei hier nur diejenigen berücksichtigt sind, die anschließend über Indien schreiben): Die erste - und kleinste - findet alles toll, bleibt in Indien und lobt es fortan in den höchsten Tönen. Dazu zählte z.B. die in Frankreich als Maximine Portas geborene Anglo-Italo-Griechin Savitri Devi Mukherji, über die Dikigoros hier nichts weiter zu schreiben braucht, weil sie trotz - oder gerade wegen - ihrer betonten Deutschfreundlichkeit in der BRDDR Dank der Totschweige-Politik der staatlichen Monopol-Medien völlig in Vergessenheit geraten ist - das kann er getrost anderen überlassen. Die zweite Kategorie - zu der sich auch Dikigoros zählt - findet vieles in Indien gut, fährt immer mal wieder gerne hin, kehrt aber immer wieder nach Hause zurück und versucht, Verständnis für Indien zu erwerben und an andere weiter zu geben - aber das wissen Leser seiner Indien-Seite ja schon. Die dritte - ebenfalls sehr kleine - Kategorie findet vieles, wenn nicht das meiste in Indien schrecklich, bleibt aber trotzdem dort und versucht, etwas dagegen zu tun - dazu zählen Leute, über die Dikigoros an anderer Stelle schreibt, wie Dominique Lapierre oder Mutter Teresa. Und schließlich gibt es die vierte Kategorie - die größer ist als alle anderen zusammen: Das sind diejenigen, die nur ein einziges Mal dort waren (nach dem Motto: "einmal und nie wieder"), aber nach ihrer Heimkehr nicht müde werden, kübelweise Dreck über Indien auszuschütten. Von einer der größten - und effizientesten - Dreckschleudern dieser Kategorie will Dikigoros Euch hier berichten.

* * * * *

Wir schreiben das Jahr 1927. In Indien gärt es, dem einzigen Land auf der Welt, das sich seine große, alte Kultur allen Widrigkeiten der Geschichte zum Trotz bewahrt hat. China? Ein von Bürgerkriegen zwischen War Lords zerriebener Koloß auf tönernen Füßen, der bald im kommunistischen Chaos versinken wird. Die altamerikanischen Kulturen? Restlos vernichtet (wie man damals noch meinte von den spanischen Konquistadoren, wie man heute weiß, von den Inka und Azteken, die nicht ihre Schöpfer, sondern ihre Zerstörer waren.) Ägypten? Mesopotamien? Persien? Alles dem verfluchten Islam zum Opfer gefallen - gegen den sich auch Indien seit Jahrhunderten verzweifelt gewehrt und darüber versäumt hat, sich rechtzeitig auch gegen die Briten zur Wehr zu setzen. Aber die kamen ja anfangs gar nicht als Eroberer, wie die Muslime, sondern als Händler: Ein paar Niederlassungen in Bambai, Kålkattā und Madrās - was war das schon? Die Maha- und Minirājen regierten weiter, die kleinen und größeren Sultane auch, die Briten herrschten nur indirekt und unmerklich. Im zweiten Weltkrieg des 18. Jahrhunderts (den die Kontinental-Europäer fälschlich den "Siebenjährigen Krieg" nennen, die Briten aber richtiger den "French and Indian war") hatten sie ihre französischen Konkurrenten aus Indien hinaus geworfen - aber was scherte das die Inder? Die Ostindien-Gesellschaft machte Pleite, der britische Staat übernahm die Konkursmasse - na wenn schon. Die einheimischen Fürsten machten gute Geschäfte mit den Briten, u.a. indem sie ihnen Soldaten vermieteten. (Na und? Das taten die deutschen Fürsten doch auch!) 1857 meuterten einige dieser Soldaten - so what? Aber die Briten schlugen diesen "Sepoy"-Aufstand mit großem militärischem Aufwand nieder; und als sie genügend Truppen im Lande stehen hatten, ließen sie plötzlich brutal die Maske fallen und ernannten Indien Knall auf Fall zur Kolonie und ihre Königin zur "Kaiserin von Indien". (Wurde ja auch Zeit: Der Großfürst von Moskau nannte sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr "Selbstherrscher", sondern "Tsar" und übersetzte das kackfrech mit "Kaiser"; auch der Erzherzog von Österreich nannte sich "Kaiser" - obwohl es doch das Reich, dessen Kaiser er gewesen war, nämlich das "Heilige Römische Reich Deutscher Nationen", schon seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gab -, und der in Portugal als König geschaßte Herzog von Bragança nannte sich "Kaiser von Brasilien"; neuerdings hatte sich sogar der Präsident von Frankreich zum Kaiser ernannt; der Kurfürst von Brandenburg und König in Preußen, der Papst ["Tenno"] von Japan und am Ende sogar der Duodezfürst von Bulgarien sollten folgen.) Dann kam der Erste Weltkrieg und viele "Kaiser" wurden mitsamt ihrer Reiche hinweg gefegt - genau genommen alle außer... dem britischen Kaiser von Indien, der weiterhin sein "Empire [Kaiserreich]" regierte. Da wachten die Inder endlich auf und forderten... ja, was forderten sie eigentlich? Selbstverwaltung, Selbstregierung, Autonomie? Unabhängigkeit? Nun, zunächst einmal den Status eines "Dominions", wie ihn auch die überwiegend von Weißen bewohnten Kolonien Kanada, Südafrika, Australien und Neuseeland hatten.

Doch die Briten wollten das "Juwel" Indien nicht los lassen - was scherte sie ihr dummes Geschwätz von gestern? Das so genannte Selbstbestimmungsrecht der Völker galt schließlich nicht für diejenigen, die den ersten Weltkrieg des 20. Jahrhunderts verloren hatten. Moment mal - hatten die Inder das? Hatten sie nicht vielmehr brav auf Seiten der siegreichen Entente gekämpft gegen das Versprechen eben dieses Dominion-Status? Laberten die westlichen Politiker davon nicht auch ständig im Völkerbund herum? Ja, schon, aber in der Völkerbund-Satzung stand auch, daß Völker, die "noch" nicht reif seien, sich selber zu regieren, erst einmal unter der segensreichen Herrschaft der lieben Kolonialmächte bleiben sollten, so diese zu den Siegermächten des Weltkriegs gehörten. Ja und - waren die Inder etwa nicht reif, sich selber zu regieren? fragten sie empört zurück. Tja, liebe Leser, woran soll man festmachen, ob ein Volk reif ist, sich selber zu regieren? Was heißt das eigentlich, sich selber zu regieren? Alle vier Jahre ein Kreuzchen auf irgendeinem geduldigen Stück Papier namens "Wahlliste" zu machen, das irgendwelche korrupten Parteibonzen mit ihren intern ausgekungelten Namen verunziert haben? Das kann wohl jeder Negerstamm in Zentral-Afrika - und mehr wird in den so genannten Ein- oder Mehr-Parteien-Diktaturen, pardon -Demokratien ja bis heute nicht vom Wahlvieh verlangt (geschweige denn daß mehr erlaubt wäre)! Ja, aber würden die Inder nicht zurück in die Barbarei verfallen, aus der sie die edlen Briten doch gerade erst aus christlicher Nächstenliebe errettet hatten? Welcher Barbarei? Aber das wissen wir doch alle: Götzenverehrung, Menschenopfer, Kinderprostitution, Witwenverbrennung, Kastenwesen, Unberührbare, heilige Kühe, deren Exkremente man mit Begeisterung verschlingt, und und und... Ja, aber gab es das denn wirklich alles noch in Indien? [Darf Dikigoros Euch gleich mit der Nase darauf stoßen, wie müßig diese Frage eigentlich ist? Wenn diese Dinge ein Grund waren, Indien den Dominion-Status zu versagen, dann zeigte das doch nur, daß es auch die Briten als Kolonialherren nicht geschafft hatten, all das in der Praxis abzuschaffen (in der Theorie hatten sie es, aber zum geduldigen Papier, auf dem die Gesetze und Verbote gedruckt waren, s.o.), daß sie also ebenso unfähig waren, die Inder zu regieren und als Kolonialmacht hätten abtreten müssen - aber so wagte niemand zu argumentieren!] Wer konnte das feststellen? Die Briten hatten Jahrzehnte lang niemanden ins Land gelassen, der sich einen unparteiisches Urteil hätte bilden können; sie selber waren voreingenommen und saßen außerdem im Elfenbeinturm, d.h. sie wußten selber kaum, was unterhalb der indischen Oberschicht, mit der sie zu tun hatten, im Lande vor sich ging, schon gar nicht bei den Hindus (denn sie bevorzugten ja völlig einseitig die Muslime, da sie sich ihnen als Monotheïsten geistesverwandt fühlten, während die Hindus für sie Heiden und Götzenanbeter waren - also in den Augen eines frommen Christen das, was man später als "Untermenschen" bezeichnen sollte).

Aber zum Glück gab es ja ein Volk, das seit dem gewonnenen Weltkrieg als das beste und unparteiischte der Welt galt, nämlich die US-Amerikaner; und bei ihnen gab es wiederum eine Berufszunft, die - wiederum vornehmlich im Krieg - bewiesen hatte, daß sie die Wahrheitsliebe sozusagen gepachtet hatte: die Journalisten. Wenn sie also schon heraus gefunden hatten, daß die Deutschen belgische Babies am Spieß briten, pardon brieten, 600.000 Serben vergast hatten und daß ihre Verbündeten, die Türken, von den 1,7 Millionen Armeniern, die 1914 im Osmanischen Reich gelebt hatten, 3 Millionen umgebracht hatten, dann mußten sie doch auch in der Lage sein, zweifelsfrei festzustellen, ob Indien reif für den Dominion-Status - oder gar mehr - war oder nicht, und zwar anhand der oben genannten Kriterien. Das Prachtexemplar, das man zu diesem Behuf auswählte, hieß Katherine Mayo. (Nein, sie hieß nicht "Catherine Mayo", auch wenn sie heute meist so geschrieben wird.) Wohlgemerkt, sie war nicht etwa irgend ein junges, dummes Gänschen wie Margaret Mead, die sich damals gerade in der Südsee herum trieb, um sich etwas vom Pferd - und von der ungezügelten Sexualität der Eingeborenen - erzählen zu lassen, sondern eine gestandene Reporterin Ende 50, im selben Jahr geboren wie Gertrude Bell, und von ihrem Bericht durfte man einiges erwarten. Als sie ihn 1927 unter dem Titel "Mother India [Mutter Indien]" in Buchform veröffentlichte, schlug er diesseits und jenseits des Atlantiks (und des Indischen Ozeans :-) wie eine Bombe ein; sie landete damit einen Bestseller - neben Margaret Meads Buch über das Erwachsenwerden in Samoa den Bestseller des Jahrzehnts unter den "Sachbüchern" - und goß damit Wasser auf die Mühlen all derer, deren Urteil von vornherein festgestanden hatte: Die Inder sind zur Selbstregierung völlig unfähig. Und weil die Gründe, die sie dafür aufführte, heute z.T. widerlegt, z.T. überholt sind, gäbe es eigentlich gar keinen Grund mehr, Euch, liebe Leser des 21. Jahrhunderts, diesen alten Schinken vorzustellen, wenn er nicht - hochaktuell wäre. Ihr dürft Euch nämlich einmal die Frage stellen, ob das, was Mayo an den indischen Zuständen vielleicht mit Recht kritisiert, heute nicht in viel schlimmerem Maße im Westen eingerissen ist, und ob wir uns das, was sie zu Unrecht an Indien kritisiert hat, nicht längst hätten zum Vorbild nehmen sollen oder es zumindest jetzt schleunigst nachholen sollten, bevor es zu spät ist und wir dort landen werden, wo Mayo es den Indern profezeite.

Mayos "Mutter Indien" ist ein Musterbeispiel für die Kategorie der Reisebücher, die aus richtigen Beobachtungen die falschen Schlüsse ziehen. Das passiert oft - und, wie Dikigoros immer wieder feststellen muß, besonders oft in Bezug auf Indien -, wenn jemand dieses Land nicht zunächst unvoreingenommen auf sich wirken läßt und dann versucht, die sich zweifellos in großer Zahl aufdrängen Fragen zu beantworten, sondern schon mit einem Haufen vorgefaßter Meinungen hinfährt, um sie dann dort bestätigt zu finden. Mayo war insoweit gut "gerüstet", hatte sie doch zuvor die englische Übersetzung von "Mœurs, Institutions & Cérémonies des Peuples de l'Inde" von J. A. Dubois aus dem Jahre 1823 und "Lotus Bud" von Amy Wilson Carmichael gelesen. Nun ist zumindest das erstere ein durchaus lesenswertes und noch immer nicht ganz überholtes Buch - jedenfalls wird es bis heute in Indien (und nur dort :-) unter dem Titel "Hindu Manners, Customs and Ceremonies" neu aufgelegt. Aber Dubois war katholischer Priester, sah also den Hinduismus selber durch die Brille des Vorurteils, und konzentrierte sich zudem ziemlich einseitig auf den Süden, während Mayo - ganz im Sinne der Briten - sich vor allem in Bengalen umsah. Auch sie trug eine Brille, die Brille der Frauenrechtlerinnen, und um ihr Fazit vorweg zu nehmen: Die noch nicht erfolgte Befreiung (das, liebe Kinder der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist das deutsche Wort für "Emanzipation", auch wenn Ihr gelernt habt, es in der Bedeutung "Besatzung und Ausplünderung" zu miß-, pardon gebrauchen) der indischen Frau, vor allem die aus der sexuellen Knechtschaft des indischen Mannes, aber auch aus der der Schwiegermutter, war für sie der ausschlaggebende Beweis, daß die Inder noch keine politische Befreiung vom britischen Kolonialjoch verdient hatten. Wie war das: Im Kapitalismus wird der Mensch vom Menschen ausgebeutet, im Sozialismus ist es genau umgekehrt; im Hinduismus wird die Frau von der Frau ausgebeutet - und im Christentum, ist es da etwa auch umgekehrt? Nun, in den U.S.A. - Mayo war nicht umsonst, wie Margaret Mead, Amerikanerin - mag es insoweit umgekehrt sein, als die Frau meist den Mann ausbeutet, und das ist ihr als Frau natürlich sympathischer; aber, um auch das vorweg zu nehmen: Der traditionelle Zwang zur Zahlung einer hohen Mitgift in Indien deutet eigentlich eher auf das Gegenteil hin, nämlich daß die Frau für ihren Ehemann zeitlebens eine große finanzielle Belastung darstellt und deshalb Geld mit in die Ehe bringen muß. [In Gesellschaften, in denen die Frauen wirklich von ihren Männern ausgebeutet werden, ist nicht die Mitgift, sondern der Brautkauf die Regel.]

Mayo beginnt mit einigen erschütternden Schilderungen aus Krankenhäusern, besonders Frauen- und Kinderkliniken - wenn man die Einrichtungen denn so nennen darf -, jedenfalls Orten, an denen schwangere Frauen ihre Kinder zur Welt bringen oder auch nicht. Allerdings nur kranke Frauen oder solche, bei denen es zu Komplikationen gekommen ist - die Millionen "normalen" Entbindungen sieht sie nicht, da die ja zuhause statt finden. Wenn man so durch die Krankenhäuser eines Landes tingelt und die dort herrschenden Zustände verallgemeinert, kann man in den meisten Fällen eine [un-]schöne Sammlung von Schauermärchen zusammen tragen - die noch nicht einmal erfunden sein müssen, denn die Wirklichkeit ist, wie Dikigoros zu sagen pflegt, oft schlimmer als die schlimmsten Fantasien es sich auszudenken vermögen. Fahrt doch mal durch die Länder des ehemaligen Ostblocks, ja fahrt nur einmal in westliche Länder, in denen es "kostenlose" staatliche Gesundheitsfürsorge gibt, und schaut Euch in den Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen um... Miss Mayo - sie gehörte einer Generation an, die auf das "Miss" noch Wert legte, es wies sie als eine alte Jungfer, pardon eine gottgefällige Person aus, die den fleischlichen Gelüsten auf eine Ehe ihr Lebtag erfolgreich widerstanden hatte - regte sich besonders über all das auf, wovon sie jedenfalls aus eigener "Lebenserfahrung" überhaupt nichts wußte: Ehe, Sex, Schwangerschaft, Geburt und Tod. Wenn man ihr glauben darf, wird das indische Mädchen in der Regel gleich nach der Geburt getötet (ein Vorwurf, den man noch heute immer wieder hört und liest - vor allem im Westen, wobei jetzt meist noch ein Punkt vorgezogen wird: die Abtreibung nach pränataler Diagnose); anschließend verhungert es im Kindesalter, weil man ihm - im Gegensatz zu seinen Brüdern - weder hinreichende Nahrung noch medizinische Versorgung zukommen läßt; im Alter von 9-10 Jahren wird es mit einem 50-60 Jahre alten Knacker verheiratet, der es gleich schwängert; nach der dritten Fehlgeburt - verursacht durch Unterernährung und mangelnde Hygiene - stirbt es selber im Kindbett; und wenn sein Gatte vor ihm stirbt, wird es als Witwe auf dem Scheiterhaufen verbrannt und zuguterletzt von allen Verwandten schrecklich schikaniert. Deshalb, so Mayos Prognose, kann es auch nicht mehr lange dauern, bis die Inder - von denen es damals rund 200 Millionen gab (Pakistan, Bangla Desh, Burma und Ceylon eingeschlossen) - ausgestorben sind, es sei denn, sie würden sich schleunigst den Westen zum Vorbild nehmen.

Haben sich die Inder den Westen nun zum Vorbild genommen? - Nein, deshalb sind sie inzwischen ja auch ausgestorben bzw. stehen kurz davor, mit nur noch einer Milliarde Menschen im Staate Bharat (und fast ebenso wenigen in den inzwischen abgetrennten anderen Staaten zusammen). Der Westen hat es da offenbar viel besser getroffen: Die Geburtenrate ist Dank der Befreiung der Frau und der hervorragenden Hygiene in den Krankenhäusern so stark gestiegen, daß wir in Europa (und in Nordamerika - jedenfalls bei den Weißen) in den nächsten zwei Generationen ein "Negativ-Wachstum" (so nennt man das doch heute, oder?) von 50% erreichen werden; und um unsere Volksgesundheit steht es so hervorragend, daß drei von vier Westlern an den Folgen einer Herzverfettung, eines Lungenkrebses oder einer Säuferleber sterben werden. [Der oder die vierte stirbt an der Abtreibungsnadel; den lächerlichen Promillesatz derjenigen, die an Unfällen oder im Krieg sterben werden, können wir getrost vernachlässigen; und Hungersnöte und epidemische Seuchen gibt es ja im Westen nicht mehr.] Und den wenigen überlebenden Indern geht es ja sooo schlecht, vor allem den Inderinnen, wenn man sie mit ihren Geschlechtsgenossinnen in aller Welt vergleicht: Niemand verkrüppelt ihnen die Füße, wie dies in China üblich war (und bald wieder werden wird - in der Volksrepublik wurde im Jahre 2004 die erste "Miss Body Modification" gekürt, und an der wurde mehr verändert, pardon chirurgisch "verbessert" als nur die Füße :-). Niemand schneidet ihnen vor Beginn der Pubertät den Kitzler und die Schamlippen ab und näht die Wundränder zusammen, wie dies in Teilen Nordafrikas und Arabiens üblich ist - und inzwischen millionenfach auch im Westen geschieht, mit stillschweigender Duldung der Behörden und allenfalls halb-lauten und (-herzigen) Protesten der sonst wegen jedem Dreck so laut aufschreienden Gutmenschen, halt im Zuge der "besseren Integration" der afrikanisch-muslimischen Zuwanderer und der "Toleranz" gegenüber ihren "kulturellen Bräuchen". Niemand versaut verschönert ihnen anläßlich ihrer Heirat die Zähne durch Abpfeilen und/oder Schwärzen, wie das heute noch in Südostasien weit verbreitet ist (zu Mayos Zeiten sogar noch in Japan). Niemand legt ihnen ein Dutzend oder mehr Blechringe um den Giraffen-Hals, wie das heute noch bei einigen Stämmen Barmās der Fall ist. (Was, Ihr habt das noch nie gesehen, weil Ihr noch nie dort wart und haltet solche Bilder für getürkt? Macht nichts - Ihr werdet doch, zumal wenn Ihr Euch für Frauen interessiert, sicher bald mal wieder nach Thailand reisen; dort hat anno 2011 der erste "Menschenzoo" eröffnet, wo Ihr ein paar dieser traurigen Individuen begaffen bestaunen könnt. (Wenn Ihr es schafft, Euch als Thais auszugeben, für umgerechnet 50 Cent; wenn nicht, müßt Ihr als "Falangs" umgerechnet 5.- Teuro Eintritt zahlen, aber das sollte es Euch wert sein.) Sie sind aus Barmā, pardon, "Myanmar" sagt man ja jetzt, geflohen, u.a. weil die böse Militär-Diktatur ihnen diese und einige andere schöne alte Traditionen verbieten wollte, weshalb sie bei uns den Status "politisch verfolgter" Asylanten genießen würden; aber da es den in Thailand nicht gibt, müssen sie halt im "Zoo" arbeiten :-) Niemand zwingt sie in Korsetts, Hüfthalter und Strapse (wie Mayo sie noch am eigenen Leib gespürt haben dürfte und wie sie ihre geistigen Enkelinnen heute wieder tragen, weil sie das "chic" finden oder um damit männliche Fetischisten zu beeindrucken), und niemand läßt sie ihre Brüste mit Silikon aufmopsen - die armen Inderinnen müssen vielmehr in bequemen Saris herum laufen, und außerhalb der großen Städte müssen sie darunter nicht mal einen der neumodischen, BH-ähnlichen "Tops" tragen. (Wozu auch? Die meisten Inderinnen sind ohnehin schlank, und viele haben die "Wespentaille", von der die meisten westlichen Frauen heute vergeblich träumen - Mayo hätte die freilich als ein Zeichen von Unterernährung angesehen.) Niemand brät ihnen allmonatlich das Haupthaar zur Dauerwelle oder färbt es ihnen giftgrün, pink-lila oder hennarot. Niemand läßt sie auf hochhackigen Stöckelschuhen einher stelzen, um sich die Sehnen und Bänder kaputt zu machen; vielmehr müssen die Ärmsten in flachen Latschen oder gar barfuß durchs Leben gehen (und oft, zumal in den Dörfern, auf Sand statt auf Asfalt), wovon alle ökonomisch denkenden Orthopäden dringend abraten, denn das ist die gesündeste Fortbewegungsweise und macht sie folglich arbeitslos. Wenn Frauen also in Indien studieren und Orthopädinnen werden dürften, wären sie dadurch gleich doppelt diskriminiert. Zu Mayos Zeiten waren Frauen und Mädchen in der Praxis noch weitgehend von höherer Bildung ausgeschlossen. Heute dürfen sie theoretisch soviel zur Schule gehen und studieren, wie sie wollen - aber nur wenige tun es, und die wenigsten, um danach wirklich den Beruf auszuüben, den sie erlernt haben. Warum? Nun, wer lernt und studiert schon gerne? Im Grunde genommen ist das doch nur eine sinnlose Quälerei des jungen Gehirns, das viel lieber heiraten würde - und damit schließt sich nach Mayo der Teufelskreis, in dem sie die Inderin sieht.

Wer Indien nicht persönlich kennen gelernt hat - und das traf und trifft nun mal auf 99,9% aller Nicht-Inder, zumal aller Amerikaner, zu - der muß Indien nach Lektüre dieses Buches hassen, so wie er die Sklavenhalter-Gesellschaft" der Südstaaten hassen mußte, wenn er sie nur aus "Onkel Toms Hütte" von Harriet Beecher-Stowe "kannte" (aber das ist eine andere Geschichte. [Mit "kennen" meint Dikigoros nicht, mal eben für 2-3 Wochen eine Fahrt im klimatisierten Touristenbus von Delhi nach Agra und Jaypur und wieder zurück gemacht zu haben (bestenfalls mit Abstechern nach Fatähpur Sikrī, zum Amber Palace und einem kurzen Kamelritt durch die Wüste Rajasthanas), und das alles womöglich mit einem "Reiseführer", der von zuhause mit angereist ist und Lexikon-"Wissen" herunter leiert.] Sie beginnt wie gesagt mit dem Schicksal junger indischer Frauen, die im "Kindesalter" verheiratet werden und in der Frauenklinik landen, sei es weil sie von ihren Ehemännern "vergewaltigt" und mißhandelt wurden, sei es weil sie schwanger wurden und/oder Fehlgeburten erlitten. (Im Anhang führt Mayo sage und schreibe 13 - dreizehn - solcher Fälle von Patientinnen zwischen "ungefähr" 9 und "ungefähr" 12 Jahren auf nebst einer eidesstattlichen Versicherung britischer Ärztinnen aus dem Jahre 1891, daß ihnen noch viele "ähnliche" Fälle bekannt seien.) Dann folgen einige besonders unappetitliche Schilderungen, wie schlecht die Inder ihre Tiere behandelten, auch und vor allem die von ihnen angeblich so verehrten Kühe. Fast könnte man meinen, daß die genauso ausgestorben sein müßten wie die Inder selber, denn die werden ja nicht besser behandelt als die Frauen: Schon bei der Geburt läßt man weibliche Kälbchen sterben oder jedenfalls später langsam und qualvoll verhungern/verdursten; danach mißhandelt man sie ein Leben lang, so daß sie kaum noch trächtig werden können, und verkauft sie schließlich an den muslimischen Abdecker. (Folgerichtig ist Indien ja auch das Land mit den wenigsten Kühen auf der Welt :-) Es folgt eine Reihe von Beispielen für Obstruktion und Versagen der Inder auf politischer Ebene, sobald man ihnen da nur die geringste Mitverantwortung zugestand.

Als Kontrast schildert Mayo die segensreiche Tätigkeit der britischen Kolonialverwaltung, die mit Korruption, Nepotismus, Verschwendung und Rechtlosigkeit aufräumte, indem sie die einheimischen Fürsten entmachtete oder durch "Residenten" bevormundete, nach denen sich alle indischen Untertanen, die eine Vergleichsmöglichkeit hatten - etwa wenn ein zunächst minderjähriger Herrscher volljährig wurde und an die [Selbst-]Regierung kam - sich von Herzen zurück sehnten, denn sie bauten Schulen, Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Krankenhäuser, sorgten für Hygiene, fortschrittliche Tierhaltung und Ackerbau, eine vorbildliche Justiz und Verwaltung. Außerdem sind die Briten die einzigen, die Indien vor dem Auseinanderbrechen, vor einem Bürgerkrieg zwischen Hindus und Muslimen und last not least vor einem Einfall der berufmäßigen Räuber- und Mörderbanden von jenseits der North Western Frontier, aus dem finsteren Afganistan, bewahren können. [Daß dies- und jenseits jener Frontier das selbe Volk lebt, nämlich die Pathanen, war den Angelsachsen damals noch nicht aufgefallen, da sie nur die unterschiedlichen Stammesnamen kannten; erst später sollte irgend jemand merken, daß sie alle das selbe Idiom sprachen, nämlich Paschto - seitdem nennt man sie auch "Paschtunen". (Was natürlich nicht ausschließt, daß es sich meistenteils um professionelle Räuber und Mörder handelt: Ein Pathane von Ehre müht sich nicht auf dem Feld oder in der Fabrik ab - Handarbeit schändet -, sondern nimmt sich von den Schwächlingen, die so etwas nötig haben, mit Gewalt, was ihm gefällt :-)] Fazit: Unabhängigkeit, Selbstverwaltung, ja bereits Mitbestimmung auf unterster repräsentativer Ebene wäre das schlimmste, was den Indern passieren könnte, Beibehaltung einer möglichst langen und noch intensiveren Kolonialherrschaft der Briten das beste. Und mit "Indern" meinte Mayo vor allem die Hindus, jene Götzenanbeter, die von ihrer verderblichen Priesterkaste, den Brahmanen, befreit werden müßten, die schon der Abbé Dubois "auf dem Kieker" hatte.

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Wie soll man auf ein solches Buch reagieren, liebe Leser? Nun, eine Möglichkeit können wir hier außen vor lassen: die der Briten, die natürlich sehr erbaut von Miss Mayo's Ausführungen waren und sich in ihrem Bemühen, Indien zu "halten" bestätigt sahen. Und die Inder selber? (Natürlich hat Dikigoros diese Fragen auf seinen Indien-Reisen unzähliche Male mit Einheimischen diskutiert, und er räumt gerne ein, daß er Katherine Mayo und diesem ihrem Buch auch deshalb ein eigenes Kapitel in "Lügen haben schöne Beine" gewidmet hat, weil er seine o.g. Indien-Seite nicht mit solchen doch sehr speziellen Fragen und Antworten überfrachten will.) Da gibt es drei Möglichkeiten: Die erste, dumm-dreiste, finden wir gleich im Anhang zu Mayos Buch: Man[n] kann die Fakten - ja, um solche handelt es sich durchaus! - kackfrech leugnen, wie dies vor allem Gāndhī und Tākhur ("Tagore") taten, ausgerechnet diese beiden krummen Hunde, die selber mit Kindfrauen verheiratet waren und mit diesen Sex hatten (erst im hohen Alter sollte Gāndhī auf halbwegs erwachsene Teenager umsteigen, aber das ist eine andere Geschichte), und die selber jeder sich bietende Möglichkeit nutzten, um die Nachgiebigkeit der Briten in politischer Hinsicht zur Obstruktion und Sabotage auszunutzen, von Verwaltungsreformen bis hin zur Reservierung von Abgeordneten-Sitzen für Unterkastige. (Gāndhī war bei Mayo nicht gut weg gekommen, erstens, weil er der Muslim-Liga mit ihrer Forderung nach "Swarāj [Selbstregierung]" auf den Leim gegangen sei, worunter die bloß die Errichtung eines islamischen Gottesstaates verstünden; zweitens, weil seine anti-britische Propaganda zu den Ausschreitungen von 1919 geführt habe, bei der auch zur Vergewaltigung weißer Frauen aufgerufen wurde, und drittens, weil er ein Heuchler war, der einerseits westliche Medizin und westliche Eisenbahnen als Teufelswerk bezeichnete, dessen sich ein braver Inder enthalten sollte, aber andererseits selber vorzugsweise mit der Eisenbahn fuhr und sich seinen Blinddarm selbstverständlich nicht vom indischen Ayurwed-Quacksalber, sondern von einem britischen Militärarzt herausnehmen ließ. In diesem Punkt muß Dikigoros Mayo mal Recht geben.) Vor der Kritik solcher verstockten Lügner und Leugner brauchte Mayo weiß Wishnu nicht bange zu sein.

Die zweite Alternative ist, aufzuzeigen, daß sich Mayo lieber an die eigene Nase fassen sollte - und das ist der Standpunkt, auf den man in Indien meistens stößt, je nach dem Grade der historischen Bildung angefangen bei den Verhältnissen zur Zeit Mayos selber bis zu den heutigen Zuständen im Westen. Mayo war Amerikanerin vom Jahrgang 1868. Darf Dikigoros aus dem Werk eines durchaus ernst zu nehmenden Historikers über die diesbezüglichen Zustände in den USA nur eine Generation vor ihr zitieren: "Bis zum Bürgerkrieg [1861-65, Anm. Dikigoros] waren Frühehen eine kulturell gebilligte Selbstverständlichkeit. Man weiß von 27-jährigen Großmüttern, von Ehefrauen, die mit Puppen spielten, und oft kamen Mutter und Tochter zur selben Zeit nieder..." Muß Dikigoros Euch noch Beschreibungen über den Zustand der Rinderherden zitieren, die damals alljährlich von den Weiden des Mittelwestens überland zu den Schlachthöfen Chicagos getrieben wurden, oder findet Ihr die selber? (Ja, das ach so romantische Cowboy-Leben, dem viele Amerikaner bis heute nachtrauern, die nur den "Marlboro man" aus der Werbung "kennen".) Und der Parlamentarismus, mit dem die Inder angeblich [noch] nicht umgehen konnten - oder jedenfalls viel weniger gut als die edlen "Demokraten" des Westens im allgemeinen und die Angelsachsen im besonderen? Pardon, liebe Leser, aber eine solche Frage zeugt von politischer Naïvität und - leider weit verbreiteter - Unkenntnis der Geschichte. Parteien-"Demokratie", Regierung durch Abgeordnete aus der Quasselbude, überhaupt "indirekte" Demokratie, die sich so gerne "repräsentativ" nennt, obwohl sie es fast nie ist (sonst wäre es ja "Populismus" :-) ist ein Übel und hat sich, wohin man auch schaut, noch nie und nirgends bewährt: Schon in der Antike kam man dort, wo man derartige Experimente vorübergehend einreißen ließ, immer dann, wenn die "Demokraten" abgewirtschaftet hatten, zur alt-bewährten Lösung einer "Tyrannei" oder "Diktatur" zurück, d.h. man (das war meist die Abgeordneten-Versammlung!) ernannte (oder "wählte") eine Einzelperson, der man für eine bestimmte Zeit die Befugnis - und die Verantwortung - aufbürdete, den Karren wieder aus dem "demokratischen" oder "repräsentativen" Dreck zu ziehen. (Zum Dank bekam der "Týrannos" bzw. "Dictator" nach getaner Arbeit einen Fußtritt - wenn er Glück hatte; wenn er Pech hatte, ermordete man ihn, wenn nicht in personam, dann durch Rufmord in der Geschichtsschreibung. Heute gilt schon die Institution an sich, unabhängig von der Person, die sie ausfüllt und was diese leistet, als Schimpfwort.) Was Mayo in "Mutter Indien" an Skurrilitäten und vermeintlichen "Auswüchsen" des indischen Parlamentarismus schildert, sind in Wirklichkeit "system-immanente" (so nennt Ihr das doch, liebe Politologen, seitdem das deutsche Wort "arteigen" verfemt ist, nicht wahr?) Züge dieser Regierungsform, die sie auch in jeder "parlamentarischen Demokratie" des Westens hätte finden können - wenn man sie denn suchen und hinter die Kulissen hätte schauen lassen. Muß Dikigoros Euch noch etwas über die Behandlung von Tieren im Westen erzählen? Nein, das können andere viel besser als er, der er kein Tierschützer ist, sondern auch selber Geflügel, Eier und Käse ißt und Milch trinkt; hier soll die Feststellung genügen, daß es der moderne, "aufgeklärte" Gutmensch der "fortschrittlichen" westlichen Gesellschaften glücklich geschafft hat, das Leben und Sterben "seiner" Tiere, insbesondere derjenigen, deren er sich zu seiner eigenen Ernährung bedient, wie Hühner, Schweine und Kühe, ebenso vor den Augen der Öffentlichkeit abzuschotten, wie sein eigenes Leben und Sterben bei Alter und Krankheit. (Und da schrieben eine Margaret Mead und eine Ruth Benedict etwas über die vergleichsweise harmlosen Tabus einiger Naturvölker, als seien das ganz "exotische" Ausnahme-Erscheinungen - aber die vor ihrer eigenen Haustür sahen sie nicht!) Wer von Euch, liebe Leser, der nicht gerade beruflich "vom Fach" ist, war schon mal in einer Legebatterie, in einem Schweine- oder Rinder-KZ, in einem Alters- oder Pflegeheim? (Nein, die Unterschiede sind gar nicht so groß - das ist kein billiger Cynismus, sondern eine traurige, verdammt teure Tatsache!) Wenn nur ein Zehntel der Bevölkerung wüßte, was sich dort nicht nur ab und zu, sondern regelmäßig abspielt, gäbe es nicht nur Montags-Demonstrationen wegen ein paar läppischer Kürzungen von Sozial-Leistungen, und der Kanzler würde nicht mehr mit Eiern beworfen, sondern... aber lassen wir das.

Doch was hilft es, festzustellen, daß die Zustände im Westen ebenso schlimm waren wie - oder inzwischen noch viel schlimmer sind als - die von Mayo in Indien geschilderten? Dikigoros hält das für ein schlechtes Argument; also will er hier einmal den advocatus diaboli spielen und eine dritte Alternative in Angriff nehmen, nämlich den Versuch Euch zu zeigen, daß vieles von dem, was Mayo in Indien bekrittelt hat, gar nicht so übel war, und einiges vielleicht sogar gut und sinnvoll - so sehr, daß man es schleunigst wieder einführen sollte, und zwar nicht nur in Indien, sondern auch und gerade im Westen!

... (Fortsetzung folgt)

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