Die Kultur der Verlierer
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RUTH BENEDICT
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( 1887 - 1948 )
"The trouble with life isn't that there is no answer - it's that there are so many answers." (Ruth Benedict)
[Der Ärger mit dem Leben ist nicht, daß es keine Antwort gibt, sondern daß es so viele Antworten gibt.]
Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
LÜGEN HABEN SCHÖNE BEINE
Wenn Frauen eine Reise tun . . .
Vorbemerkung: "Some cultures are better than others!" Diesen Satz schleuderte ein junger britischer Journalist den Gleichmachern und Kultur-Nivellierern des 21. Jahrhunderts entgegen. Dikigoros hält große Stücke auf Paul Joseph Watson, der den Mut hat, allen Widerständen zum Trotz die politisch in höchstem Maße unkorrekte Webseite Prisonplanet zu betreiben; und der Satz ist an sich nicht falsch. (Dikigoros weiß ja, wie er gemeint ist :-) Aber er ist ungenau formuliert und daher leicht mißverständlich. Wenn Dikigoros das Wort "Freiheit" liest oder hört, dann fragt er immer: "Freiheit wessen wovon wozu?" Und wenn er liest, daß manche Kulturen besser seien als andere, dann muß er konsequenter Weise auch fragen: Besser worin? Und was dürfen wir daraus schließen? Daß die Japaner im Schmieden von Samurai-Schwertern und im Züchten von Chrysanthemen (und im Sumo-Ringen :-) besser sind als andere Nationen wird niemand anzweifeln - aber was besagt das schon über eine Kultur und ihren Wert, insbesondere ihren relativen Wert im Vergleich zu anderen Kulturen? Chinesen sind besser im Pingpong-Spielen und im Zubereiten von Hundebraten und Fledermaussuppe als andere Nationen - aber macht das ihre Kultur wirklich besser? Juden und Araber sind besser im Steinewerfen als andere Völker - und niemand kann ernsthaft bestreiten, daß die kollektive Steinigung zu den ureigensten "Errungenschaften" ihrer gemeinsamen, semitischen Kultur zählt - es ist ein zentraler Punkt ihres Rechtsverständnisses. (Die Nazis haben den Juden bekanntlich nicht nur den Rassismus, den Völkermord und die Vorstellung vom "tausendjährigen Reich" abgeguckt, sondern auch das so genannte "gesunde Volksempfinden"!) Juden sind überdies besser im Schachspielen und Verleumden anderer - sie sind die Erfinder der Lügenpresse, deren ältestes Produkt - von den alten Griechen einfach "wíwlos [Buch]" genannt (und von einem doofen Ossi im 16. Jahrhundert zu "Bibel" verballhornt und zum "Buch der Bücher" erklärt :-) - noch bis vor kurzem auch in jedem christlichen Haushalt zu finden war, freilich schon zu Dikigoros' Zeiten kaum noch gelesen wurde - leider. Ruth Benedict war Jüdin, wie auch fast alle ihre akademischen Lehrer - insbesondere ihr Doktorvater -; sie war also für die hier anstehende Aufgabe wie geschaffen. Vorbemerkung Ende.
Sie war das, was man eine "Spätzünderin" nennt: Erst mit 37 Jahren, angeregt durch die Bücher von Laurence Sterne ("Eine sentimentale Reise durch Frankreich und Italien") und Jacob Meister ("Erinnerungen einer Reise nach England") begann auch sie zu reisen, nach Italien und Deutschland, und darüber zu schreiben. Ihr Buch "Corinne und Italien" wurde prompt ein Bestseller - in Deutschland, wohin sie nicht ganz freiwillig reiste, denn in Europa war wieder einmal Krieg ausgebrochen; und der Kaiser der Franzosen hatte sie verbannt. (Die Historiker fragen sich bis heute, warum; und sie haben darauf nicht etwa zu viele Anworten, sondern gar keine gefunden. Dikigoros glaubt, eine gefunden zu haben, die ziemlich banal ist: Germaine Necker de Staël-Holstein, unglücklich verheiratete Gattin eines schwedischen Diplomaten, millionenschwere Tochter eines jüdischen Bankiers aus der Schweiz, der sowohl unter dem Ancien Regime Ludwigs XVI als auch unter der republikanischen Revolutions-Regierung Finanzminister von Frankreich gewesen war, hatte die Wendehalsigkeit ihres Vaters geerbt und nicht nur mit ihm, sondern mit so ziemlich jedem ein Verhältnis, der in Europa Rang und Namen hatte, einschließlich des Kaiser-Bruders Joseph. Nur mit dem Kaiser hatte sie keine; und das nahm er - der ja nicht gerade ein Kostverächter war, wenn es um Frauen ging - ihr wohl übel.) 1810 schrieb sie ein Buch, das man wahrscheinlich als "Pionierschrift des Kulturdeterminismus" bezeichnet hätte, wenn es diesen Ausdruck damals schon gegeben hätte: "De l'Allemagne [Von Deutschland]". Darin versuchte sie nachzuweisen, daß, obwohl die Deutschen den Krieg verloren hatten, obwohl ihr Reich aufgelöst und geteilt worden war - in den Rheinbund, Preußen, das Großherzogtum Warschau und Österreich -, man ihnen darob nicht allzu böse sein könne. (Jawohl, das bedurfte der eingehenden Beweisführung, denn einen Krieg verloren zu haben, begann damals schon als Verbrechen zu gelten, jedenfalls wenn es sich um Deutsche handelte - hatten sich diese reaktionären Dickköpfe [auf Französisch "caboches" - daraus wurde bald das verkürzte Schimpfwort "boches"] nicht der Befreiung durch die fortschrittlichen, demokratischen Franzosen widersetzt?) Denn sie waren ja durch Landschaft, Klima usw. geprägt und zu dem geworden, was sie eigentlich waren: das Volk der Dichter und Denker (eine Formulierung, die übrigens nicht von Madame de Staël stammte, die sie vielmehr von Jean Paul Richter übernommen hatte). Dreimal dürft ihr raten, liebe Leser, was Napoléon Bonaparte (wie sich der Korse Napoleone Buonaparte in Frankreich nannte, um zu demonstrieren, daß er ein 150%iger war) mit jenem Buch anstellte: Richtig, er ließ die komplette 1. Auflage einstampfen und die Autorin zur Fahndung ausschreiben. Sie floh über Deutschland, Rußland und Schweden nach England, wobei sie schließlich die Koalition zustande brachte, die Napoleon besiegen sollte. Vier Jahre nach der Entstehung kam die 2. Auflage von "De l'Allemagne" heraus - und wurde ein Bestseller. (Und - beinahe ein Wunder: Es wurde nie verboten und darf auch heute noch auf Deutsch nachgedruckt werden!)
Sie war das, was man eine "Spätzünderin" nennt: Erst vom erfolgreichen Vorbild ihrer um fast eine Generation jüngeren Doktor-Schwester Margaret Mead's* ließ sie sich animieren, auch ihre eigenen Reiseberichte zu "wissenschaftlichen Arbeiten" hoch zu stilisieren. Mit 27 Jahren, angeregt durch Bücher, die sie als Angestellte der städtischen Bibliothek in Buffalo las, unternahm sie ihre erste Reise nach Europa, von wo sie nicht ganz freiwillig zurück kehrte, denn dort war wieder einmal Krieg ausgebrochen. Mit 32 Jahren begann Ruth Fulton Benedict, unglücklich verheiratete Gattin eines Pharmazie-Professors (deren Vater kein Millionär war, so daß sie sich keine Seitensprünge leisten konnte - vielleicht machte sie sich aber auch gar nichts daraus :-) ein Studium der Ethnologie. Zunächst beschränkte sie sich - wie es für eine Amerikanerin nahe lag - auf Reisen zu und Feldforschungen bei den vermeintlichen Ureinwohnern ihres Kontinents (der "Kennewick man" war noch nicht entdeckt): den Serrano, Zuñi und Cochiti in Kalifornien ("Erzählungen der Cochiti-Indianer", 1931, "Mythologie der Zuñi", 1935), den Mescalero-Apachen in Arizona und den Blackfoot, kurzum: bei den Verlieren der "Indianerkriege" bzw. deren Nachkommen. Aus den dort gemachten Beobachtungen (und vor allem aus den dort gehörten Märchen und Erzählungen) glaubte sie verallgemeinernd universelle "Kultur-Muster" ableiten zu können - ihr so betiteltes Buch wurde 1934 prompt ein Bestseller in den USA.
Was war an Benedicts Thesen eigentlich so besonders oder neu? Nichts, wenn man sie auf die Beobachtung reduzieren will, daß ein menschliches Individuum bis zu einem gewissen Grad auch von seiner Umwelt geprägt wird, und daß diese eben nicht nur aus Landschaft und Klima besteht, sondern auch aus dem, was die anderen Menschen daraus gemacht haben, kurz die "Kultur". Aber Benedict ging noch viel weiter: Sie behauptete, daß das Verhalten der einzelnen Menschen durch diese kulturelle Umwelt unweigerlich vorher bestimmt, "determiniert" werde. Heute, im Zeitalter der Gentechnik und der "Psycho-Biologie" glauben wir zu wissen, daß das nicht einmal die halbe Wahrheit, sondern gänzlich Unfug ist, daß vielmehr der alte Bismarck (ausnahmsweise einmal :-) richtig lag, als er sagte, daß ein Pferd, das in einem Schweinestall geboren sei, dennoch ein Pferde bleibe, weil das Verhalten eines Menschen weitestgehend nicht durch seine Umwelt, sondern durch seine Erbanlagen vorher bestimmt wird. [Das war selbstverständlich nicht auf Bismarcks eigenem Mist gewachsen, sondern er zitierte nur ein altes chinesisches Sprichwort, das noch heute in ganz Asien praktiziert wird - selbst in der rotchinesischen Volksrepublik: Dort interessiert niemanden der - zufällige - Geburtsort; in amtlichen Dokumenten erscheint vielmehr der Herkunftsort des ältesten bekannten Urahnen, der als Namensbestandteil mit geführt wird, und an dem man in der Regel auch erkennen kann, welcher der verschiedenen Unterrassen, Völker oder Stämme, die in China leben, der Träger angehört.] Aber damals war das mit dem "Kulturdeterminismus" eine reizvolle These, die vor allem in den USA gut ankam, deren Bevölkerung ja mangels gemeinsamer genetischer Wurzeln darauf angewiesen war, durch "kulturelle" Einflüsse zu einer Nation zu werden und gerne an deren Wunderwirkung glauben wollte. Ganz so neu war das freilich auch nicht; denn schon der deutsche Filosof Friedrich Nietzsche hatte in einem zunächst wenig beachteten (oder allenfalls belächelten) Buch mit dem Titel "Die Geburt der Tragödie" versucht, unterschiedliche Kulturmuster zu determinieren, und Benedict borgte sich sogar seine beiden Grundmuster aus: das "apollinische" und das "dionysische" - denen sie noch ein drittes, das "bösartige" hinzufügte (das sie den Kannibalen der Südsee verlieh). So weit, so gut - einige Anthropologen und Ethnologen glaubten und folgten ihr, andere nicht; aber vorerst blieb das eine (bestenfalls populär-)wissenschaftliche Auseinandersetzung unter Fachidioten, pardon Spezialisten ohne große praktische, geschweige denn weltbewegende Auswirkungen.
Weltweit bekannt wurde Ruth Benedict erst, nachdem sie 1945 im Gefolge der amerikanischen Besatzungstruppen kurz nach Okinawa gereist war. Sie hatte während des Krieges für das amerikanische Kriegs-Propaganda-Ministerium (jawohl, das gab es, und es arbeitete sehr erfolgreich!) gearbeitet und sollte nun bei der Re-education der japanischen "Eingeborenen" helfen. Dabei gelang Ruth Benedict nach kurzen, oberflächlichen, von vielen Vorurteilen und Mißverständnissen geprägten "Feldforschungen" an Japanern in den USA (meist Kriegsgefangenen, aber auch internierten "Nisei") und der Auswertung erbeuteter japanischer Propagandafilme (in Japan selbst ist sie nie gewesen) ein Welt-Bestseller, für den sie drei Jahre später - kurz vor ihrem Tode - zur Professorin ernannt wurde, der in den USA bis heute nachgedruckt wird, und der bis vor kurzem ebenso Pflichtlektüre für Studenten der Japanologie war wie Margaret Mead's "Erwachsen werden in Samoa" für Studenten der Ethnologie: " Die Chrysantheme und das Schwert. Japanische Kultur-Muster."
Exkurs. Wie unterschiedlich man dieses Bild interpretieren kann, seht Ihr an den Bucheinbänden, die Dikigoros Euch oben abgebildet hat: In der Originalauflage durchsticht das Schwert die Blume - ebenso in der Taschenbuchausgabe -; in der Neuauflage ein halbes Jahrhundert später wächst die Blume dagegen aus dem Schwert empor. Welches dieser Bilder ist nun richtig? Das kommt darauf an, wie man sie auslegt: Braucht man ein scharfes Schwert, um sich gegen seine Feinde zu verteidigen, bevor man daran denken darf, Blumen und andere "nutzlose" Kulturwerte zu schaffen? Dikigoros würde diese Frage allemal bejahen. Viel schwieriger aber ist die Frage, ob das Schwert dann notwendigerweise die Blume zerstören muß - und das erscheint Dikigoros nicht zwingend, wenngleich er die Gefahr durchaus sieht. Verbindet der Japaner mit Kiku, der Chrysantheme, denn ähnlich kriegerische Hintergedanken, wie Dikigoros sie in "Welchen Frieden bringt das Meer?" für Sakura, den Kirschblütenbaum, beschrieben hat? Nein, eigentlich nicht. Aber das Gewächs, welches die alten Griechen "Goldblume" nannten und welches die alten Chinesen zu den "vier Tugendhaften" zählten (neben der Pflaume, der Orchidee und dem Bambus), stand Modell, als die Japaner anno 1877 ihren höchsten Orden stifteten, der an eine stylisierte Chrysantheme erinnert. (Obwohl er gar nicht so genannt wurde, sondern vielmehr "Kikkashō", Blumenorden - geschrieben mit dem Zeichen für Hana, Blume, wobei freilich manche Japaner die Chrysantheme für die Blume schlechthin halten und sie "Kikka" nennen.) Und der wurde halt auch für kriegerische Verdienste verliehen. Exkurs Ende.
Da waren sie also, die Japaner, die Ikebana, das kunstvolle Blumengesteck, ebenso kultivierten wie Seppuko, den ritualisierten Selbstmord mit dem Schwert - den manche Ausländer auch "Harakiri" nennen, weil er mit den Zeichen für Bauch (hara) und Schneiden (kiri) geschrieben wird, und sie nicht wissen, daß zusammen gesetzte Wörter im Japanischen oft "chinesisch" gelesen werden. (Das ist übrigens die Haupt-Schwierigkeit beim Erlernen der japanischen [Schrift-]Sprache - alles andere ist vergleichsweise einfach :-) Nun war also wieder die Frage zu beantworten: Gibt es einen "Kultur-Determinismus" oder nicht? Konkret: Waren die Japaner von Natur aus so "böse" und "kriegslüstern", daß es zum Zweiten Weltkrieg kommen mußte? Dann wäre der Versuch einer Re-education sinnlos und man hätte sie - wie es die Juden Roosevelt, Kaufman und Morgenthau ja auch mit den Deutschen vor hatten - allesamt töten oder zumindest kastrieren müssen. Nur vier Jahre zuvor war das noch die herrschende Meinung in den USA gewesen. Roosevelt - der in puncto Rassismus seinem Gegenspieler Hitler in nichts nachstand; für ihn waren die Japaner einfach nur Ungeziefer - hatte auf Anraten von General DeWitt (der für die Japaner hätte werden wollen, was Morgenthau für die Deutschen werden wollte, nämlich ihr Ausrotter) die Exekutions-Order 9066" unterzeichnet, aufgrund derer alle japanisch-stämmigen Personen in den USA (die bis 1952 keine US-Bürger werden konnten; das konnten nur Weiße und - seit 1870 - Afrikaner; sie konnten auch keine Eigentumsrechte an Grund und Boden erwerben; und seit dem Exclusion Act von 1924 durften überhaupt keine Japaner mehr in die USA einwandern) in Konzentrationslager verschleppt wurden. (Erst ein halbes Jahrhundert später wurden die wenigen Überlebenden mit ein paar Groschen pro Tag "entschädigt", was freilich in dem Medien-Rummel, der gleichzeitig um wiederholte deutsche Abfindungs-Zahlungen an angebliche Nachkommen angeblicher KZ-Insassen und deren Lobbyisten-Verbände in Milliarden-Höhe herrschte, ziemlich unterging.) In der offiziellen Begründung finden sich Sätze wie: "Die japanische Rasse ist eine feindliche Rasse. Eine Viper bleibt eine Viper, egal wo das Ei ausgebrütet wird. Also wird auch jemand, der von japanischen Eltern geboren wird, zum Japaner heran wachsen. Wir müssen uns vor dem Japaner sorgen alle Zeit, bis er ausgelöscht ist." (Roosevelt hatte diese Order schon seit seiner Machtergreifung 1933 im Schreibtisch; aber er hatte bis 1941 nie einen Vorwand gefunden, sie heraus zu ziehen.)
Oder brauchte man nur die Kultur zu zerstörenändern, um aus all ihren Angehörigen gute, d.h. den USA freundlich gesonnene, Demokraten zu machen? Würden die Japaner zu Blumenkindern werden, wenn man ihnen nur das Schwert wegnähme? Dann konnte man das besetzte Nippon getrost mit milder Hand regieren. Letzteres versuchte Ruth Bendict zu beweisen, und so unhaltbar die zu Grunde liegende Theorie auch gewesen sein mag, für die Betroffenen sind "wissenschaftliche" Irrtümer manchmal ein Segen - so auch hier für die Japaner. Gewiß, es gab Härten. Ignorante "Fach-Historiker" von heute - die weder Benedicts Buch noch Dikigoros' Webseite gelesen haben - fragen sich im Rückblick bisweilen, warum denn die US-Besatzer 1945 den Japanern alle Schwerter wegnahmen? Es waren doch gar keine echten Waffen mehr, sondern durchweg Familienerbstücke von anno dunnemals, die bis auf wenige Ausnahmen nur noch nostalgischen Wert hatten. (Die wenigen wertvollen Exemplare, die einst von hohen Samurai getragen wurden und deshalb einen "Sammlerwert" hatten, nahmen "Kenner" natürlich mit in die USA, um sie dort zu verhökern.) Richtig - aber eben diese Nostalgie, das Andenken an früher, wollte man gezielt
vernichten; und so vernichtete man denn 99% der geraubten Schwerter (die, die keinen "Sammlerwert" hatten) - sie standen also nicht den in Deutschland geraubten Armbanduhren gleich, denn niemand argumentierte, daß die Deutschen, wenn man sie von ihren "Nazi"-Armbanduhren "befreite", zu guten Demokraten mutieren würden. (Sonst hätte man sie als Besatzer ja auch selber nicht tragen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, gleich zum Nazi zu
mutieren :-) Dafür ging man in Japan systematischer vor: In Deutschland wurde nicht jeder Haushalt gezwungen, eine goldene Armbanduhr abzuliefern - nur wer so dumm war, draußen mit einer herum zu laufen, wurde sie halt los. In Japan aber mußte jeder Haushalt ein Schwert abliefern, sonst riskierte er PlünderungHausdurchsuchung, Folterpeinliche Befragung und MordHinrichtung. (Vergewaltigt wurde dagegen in Japan viel weniger als in Deutschland, aber das dürfte andere Gründe gehabt haben: Zum einen waren die US-Amerikaner von 1945 Rassisten; zum anderen hatten die Japanerinnen nicht nur Schlitzaugen und schwarze Haare, sondern auch abstoßend schwarze Zähne, zumindest wenn sie verheiratet waren - und früher wurde eine Japanerin verheiratet, sobald sie mannbar war; als Ehefrau mußtedurfte sie ihre Zähne schwärzen. Die GIs vergewaltigten also in der Regel nur kleine japanische Mädchen - die sie weniger abstoßend fanden - und koreanische Gastarbeiterinnen Sexarbeiterinnen - die ihre Zähne natürlich nicht ehrbar schwärzen durften -, die dann dafür später Schadensersatz von den Japanern forderten, aber das ist
eine andere Geschichte.
Eine Generation und zwei Kriege später waren die US-Amerikaner übrigens weniger wählerisch; viele GIs bezahlten das mit ihrem Leben, denn so manche Vietnamesin - egal ob Prostituierte oder nicht - steckte mit dem Vietcong unter einer Decke :-) Kluge Japaner ließen sich auf die Schnelle eine billige Kopie zu Ablieferungszwecken anfertigen und versteckten das original (die doofen GIs konnten das eh nicht unterscheiden :-) bis die Besatzungszeit vorbei war. (Und anders als die Deutschen, die so dumm waren, die ihnen 1945 geraubten "Kunstwerke" später zu Apothekerpreisen zurück zu kaufen, kauften Japaner nie ein von den Langnasen geraubtes Schwert zurück - es war eh entweiht -, sondern ließen sich von einem Schwertschmiedemeister - die es bis vor kurzem noch in ausreichender Zahl gab; aber allmählich stirbt dieser Beruf auch in Japan aus - ein vollwertiges neues Exemplar anfertigen.) Und - haben die Japaner ihre Kultur wirklich "verändert", d.h. amerikanisiert? Ja, sicher, heute kann/muß man das so sagen; aber Dikigoros bezweifelt stark, daß das an der Wegnahme ihrer alten Schwerter 1945 liegt; oft wird eine Kultur weniger durch das zerstört, was man ihr wegnimmt, als vielmehr durch das, was man ihr hinzufügt: Wer Coca Cola trinkt statt grünen Tee, braucht sich die Zähne nicht mehr schwarz zu färben, und wer... Aber lassen wir das; ein Deutscher hat nicht das Recht, sich darüber zu mokieren; denn auch unsere Kultur wurde ja nicht durch die re-education zerstörtgeändert, sondern durch Coca Cola und all die anderen "Segnungen" der US-amerikanischen Kultur; man braucht sich doch nur bei uns umzuschauen, dann kann man sich einen Blick nach Japan - jedenfalls unter diesem Aspekt - schenken.
Anno 1975 kamen zwei Bücher auf den Markt, von denen man das erstere ignorieren oder in einem kurzen Exkurs von wenigen Zeilen abhandeln könnte, wenn es nicht zum Erscheinen des zweiten geführt hätte: David Kinsley, Professor für Theologie - nicht etwa für "Vergleichende Religionswissenschaften" oder was es sonst so gibt - in Chicago, veröffentlichte "The Sword and the Flute - Kali & Krishna", ein Werk von hohem wissenschaftlichen Rang, das dennoch (oder gerade deshalb :-) nur geringes Publikums-Interesse fand. (Es erschien 1977 auch in der Schweiz als "Flöte und Schwert", 1979 in Österreich - mit dem umständlichen Untertitel "Visionen des Schönen und des Schrecklichen in der altindischen Mythologie" - und in Indien und 1982 noch einmal in 2. Auflage in den USA.)
Die Ambivalenz der indischen Götterwelt: eine androgyne Kālī schlägt ihren Feinden die Köpfe ab; ein effeminierter Krishna spielt Flöte
Es war ein Versuch, ganz auf der Linie Benedicts, den Charakter "der" Inder anhand ihrer Religion als ebenso gemischt und zwiespältig zu erklären wie den der Japaner, irgendwo zwischen der lieblichen Musik aus Krishnas Flöte und den Mordorgien der blutrünstigen Göttin Kālī. Gab es dazu einen Anlaß? Na klar, Bharat und Pakistan hatten gerade (na ja, vor ein paar Jahren, so ein wissenschaftliches Buch hat eine gewisse Vorlaufzeit :-) mal wieder Krieg gegeneinander geführt, und in den USA gab es einige einflußreiche Kräfte im Dunstkreis des unseligen Präsidenten
Richard Nixon
(der die indische Regierungschefin
Indira Gandhi
abgrundtief haßte - auch aus persönlichen Gründen), die am liebsten einen Krieg gegen Indien vom Zaun gebrochen hätten und schon mal mit seiner propagandistischen Vorbereitung begannen, ganz im Stil der Greuel- und Hetz-Propaganda, die man einst gegen Japan geführt hatte. Als das Buch heraus kam, war Nixon schon vorzeitig gestürzt (über den läppischen "Watergate"-Skandal - aber das ist
eine andere Geschichte);
doch wenn es tatsächlich zu einem solchen Krieg gekommen wäre, hätte "Schwert und Flöte" ein Bestseller werden können. Aber diesmal gelang es der US-Regierung nicht, einen Vorwand Anlaß Grund à la Pearl Harbor zu provozieren finden, um das Volk - das, genau wie 1941, zu 90% gegen einen Kriegseintritt der USA war - eines besseren zu belehren, und Indira war denn auch feige vorsichtig klug genug, auf eine völlige Eroberung Pakistanas - die militärisch ohne weiteres möglich gewesen wäre - zu verzichten; sie begnügte sich mit seiner Zerschlagung Aufteilung in Pakistan und Bangla Desh, um den USA keinen Vorwand zu liefern, zur "Rettung" seines braven Verbündeten in den Krieg einzugreifen. (Nein, sie fürchtete keinen Weltkrieg, denn die Sowjets hätten keinen Finger für sie gerührt - trotz des gerade geschlossenen Freundschafts-Vertrags, der kein Militär-Bündnis war, auch wenn Nixon & Co. das gerne so darstellten.) Also verstaubte Kinsleys schönes Buch leider in den Regalen; und es wurde auch nicht wieder hervor geholt, als die USA gut 30 Jahre später dann doch noch in den Krieg zogen, um ihren braven Verbündeten Pakistan - oder wen auch immer - zu "retten", dem zur Abwechslung mal keine Gefahr von seinem östlichen Nachbarn drohte (mal abgesehen von etwas Säbelrasseln ob gelegentlicher muslimischer Terroranschläge in Kashmir oder sonstwo auf indischem Territorium), sondern von seinem westlichen, Afģānistān. (Aber was wollt Ihr, liebe Literaten? Den amerikanischen Militärs erzählen, daß sie aus nicht-militärischen Büchern etwas lernen könnten? Der letzte gebildete General der U.S. Army - ein gewisser
Patton,
wurde 1945 ermordetverunfallt; und überhaupt: Glaubt Ihr denn, daß Leute, die "Caravans [Karawanen der Nacht]" von James Michener - das beste Buch, das je ein Westler über Afģānistān geschrieben hat, und dabei für seine Verhältnisse geradezu dünn - nicht gelesen bzw. nichts daraus gelernt haben, aus Kinsleys Buch etwas gelernt hätten? Eben...)
Exkurs. Wenn Ihr, liebe Leser im 21. Jahrhundert, die Ihr doch "die" Amis heute fast ebenso haßt wie einst die Amis "die" Japaner und "die" Inder, statt eines weiteren pauschalierenden Buches über die bösen, bösen USA (glaubt Ihr wirklich, Ihr könntet die Matthias, Fernau, Herm, Winter und wie sie alle heißen, noch toppen?) zur Abwechslung mal eines nach dem Strickmuster Benedict/Kinsley schreiben wolltet über den zwiespältig gemischten Charakter der US-Amerikaner - selbstverständlich unter besonderer Berücksichtigung ihrer eigenartigen Religiosität, die ja auch den politischen Glauben an Friede, Freiheit, Demokratie usw. einschließt -, wie würdet Ihr es betiteln: vielleicht "The Bible and the Big Stick" (in Anlehnung an Theo Roosevelts Politik des "großen Knüppels")? Oder eher "The Turkey and the Liberty Bird [Truthahn und Freiheits-Vogel]"? Oder würde Euch etwas Besseres einfallen als Dikigoros? mailt ihm doch mal! Exkurs Ende.
Doch ein anderes Buch - schon seit zwei Jahren fertig gedruckt bei einem Londoner Verlag herum liegend und, wie sich heraus stellte, schon seit drei Jahrzehnten fertig geschrieben - fand nun endlich einen Vertreiber für den amerikanischen Markt: "Mirror, Sword & Jewel [Spiegel, Schwert und Edelstein]" hieß es; und es handelte... just von dem, wovon auch "The Chrysanthemum and the Sword" handelte. Nein, nicht daß Benedict es wörtlich abgeschrieben hätte, dafür war sie schließlich Akademikerin. (Wenn man etwas an der Universität lernt, liebe Nicht- oder Noch-nicht-Akademiker[innen], dann ist es, so abzuschreiben, daß es nicht auffällt, d.h. umzuformulieren, zu zitieren, umzustellen usw.; das ist nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht; unerwünscht ist nur selbständiges [Nach-]Forschen, [Nach-]Prüfen und [Nach-]Denken; das war schon immer so, auch bevor es Internet, Google und Wikipedia gab :-) Sie klaute nur die Idee und den Inhalt. Wie das? Nun, der Verfasser war ein Deutscher namens Kurt Singer, der seit 1931 in Japan lebte - er lehrte als Gast-Professor an der Kaiserlichen Universität zu Tōkyō Finanz- und Wirtschaftswissenschaften -, dort Augen und Ohren aufgehalten und einiges über Land und Leute erfahren hatte. 1939 wurde sein Vertrag nicht verlängert; und da er Angst hatte, wegen seiner jüdischen Abstammung verfolgt zu werden, wenn er ins national-sozialistische Deutschland zurück ginge, verfiel er auf die glorreiche Idee (Ihr kennt doch das geflügelte Wort aus Blackadder: "I have a cunning idea" - nicht wahr, liebe Leser?), in die britische Kolonie Australien zu gehen und dort um Asyl zu bitten. Das war im August 1939; und als Großbritannien zwei Wochen später dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, steckte sie ihn kurzerhand als "Angehörigen einer feindlichen Nation" ins Concentration Camp. (Was natürlich kein "KZ" im deutschen Sinne war, bewahre, eher so etwas wie ein Erholungsheim; deshalb gibt es heute noch massenhaft - Dikigoros verkneift sich an dieser Stelle das Wort "angebliche", könnte ja strafbar sein, eine solche Behauptung in Zweifel zu ziehen - Überlebende deutscher Konzentrationslager, die sich an üppigen "Wiedergutmachungs"-Geldern aus Steuermitteln dick und dämlich fressen; aber soweit ersichtlich keinen einzigen Überlebenden der britischen Concentration Camps mehr - das muß wohl an der guten Behandlung dort gelegen haben :-) Als er wieder heraus kam, schrieb er das besagte Buch - aber kein Verlag wollte es annehmen, denn erstens war er Deutscher, zweitens Jude (das war damals, als die Israelis in Palästina sich anschickten, ihr Land von den britischen Besatzern und deren arabischen Verbündeten frei zu kämpfen, fast noch schlimmer) und drittens offenbar ein Freund der Japaner - das schlug nun dem Faß ganz und gar den Boden aus. Sein Manuskript wurde der Zensurbehörde vorgelegt, und die sagte "njet, nichts für die Öffentlichkeit" - aber Kopien wurden den Besatzungstruppen in Japan an die Hand gegeben; und wenngleich die meisten es nicht lasen: Ruth Benedict tat es, denn das Thema interessierte sie aus beruflicher Neugierde; und da kam ihr der Gedanke, es selber mal zu versuchen - wie wir gesehen haben, mit Erfolg.
War das eigentlich schlimm, liebe Leser, die Ihr an Urheberrechtsschutz (auf Neudeutsch "Copyright" - obwohl das eigentlich nicht deckungsgleich ist, aber Dikigoros will Euch hier nicht mit juristischen Spitzfindigkeiten langweilen) glaubt und all den anderen Schnickschnack, der dabei möglicherweise verletzt wurde? Kommt drauf an, aus wessen Perspektive man das sieht: Gewiß war es mies, wie man Singer mitgespielt hatte; aber er hätte ja den Mund aufmachen können - seit 1957 war er wieder in Deutschland, fürstlich entlohnt mit "Wiedergutmachungs"-Geldern als "Opfer des National-Sozialialismus" (nein, nicht etwa der Alliierten - von denen sah er keinen Penny Haftentschädigung o.ä!), mit denen er sich die letzten fünf Jahre seines Lebens einen schönen Dauerurlaub gönnte; er reiste abwechselnd in der Schweiz, Italien und Griechenland herum und hatte es weder nötig noch Lust, sich auf seine alten Tage mit Prozessen um ein paar Mark Tantiemen herum zu ärgern. Aus Sicht der Wissenschaft - und nehmen wir zu Benedicts Gunsten mal an, daß sie es aus dieser sah - mußte das Material natürlich veröffentlicht werden, egal von wem und unter welchem Namen. Und aus der Sicht der Japaner wäre es wie gesagt eine Katastrofe gewesen, wenn es nicht veröffentlicht worden wäre; die US-amerikanischen Besatzer hätten ihre Kultur womöglich ebenso schnell und brutal zerstört wie die deutsche... Cyniker mögen einwenden, daß sie ja nun auch ohne deren Zutun allmählich ausgelöscht wird, ganz ohne Zwang, nicht nur durch Einflüsse von außen, sondern auch und vor allem durch Korruption und Dekadenz von innen. (Ein Mishima Yukio hatte das in hellseherischer Klarheit voraus gesagt und versucht, dagegen anzukämpfen, mit geistigen Waffen, aber auch unter Einsatz seines eigenen Lebens - vergeblich, seine Landsleute lachten ihn bloß aus... heute ist ihnen das Lachen vergangen.) Dem würde Dikigoros entgegen halten, was er den Kritikern des heutigen Deutschland immer sagt: Wenigstens eine - seine - Generation hat nach dem Krieg noch ein schönes Leben in einem Rest der eigenen Kultur gehabt; und in Japan waren es sogar zwei Generationen; ohne Benedicts Buch hätten vielleicht schon diese in der gleichen seelenlosen, "amerikanisierten" Welt leben müssen wie ihre Enkel. Was taten die USA - trotz Benedict - als erstes, als sie Japan besetzt hatten? Sie verboten das Führen der alten Adels-Titel. Seitdem gibt es in Japan nur noch "ehemalige Grafen", "ehemalige Barone" usw. (diese Bezeichnungen darf man führen - und man tut es auch :-) Ja, man zwang die Japaner auch, "Nippon" in "Nihon" umzubenennen - aber den Namen "ehemaliges Japan" verdient es erst heute, ein Menschenalter nach Benedict. À propos "ein Menschenalter nach Benedict": Einen kleinen Trost hat Dikigoros noch für Singer parat: Die deutsche Ausgabe von "Spiegel, Schwert und Edelstein" wurde immerhin schon 1991 veröffentlicht. (Leider nur in der Edition Suhrkamp, die auf lieblose Einfach-Ausgaben akademisch-langweiliger Fachliteratur für Studenten mit schmalem Geldbeutel spezialisiert ist, was einen größeren Verkaufserfolg von vornherein ausschließt. Und was hätte man daraus doch für einen prachtvollen Bildband machen können, der all die heute schon so gut wie verlorene Kultur wenigstens optisch für die Nachwelt festgehalten hätte!) Dagegen dauerte es noch weitere 15 Jahre - also insgesamt sage und schreibe 60! -, bis 2006 endlich eine deutsche Übersetzung von "The Chrysanthemum and the Sword" heraus kam (auch bei Suhrkamp, sonst wollte es kein Verlag haben - Kommentar überflüssig)!
Benedict's Testamentsvollstreckerin Margaret Mead hielt bis zu ihrem eigenen Tode - 1978 - eisern die Hand auf dem "wissenschaftlichen" und literarischen Vermächtnis ihrer Freundin und gab nur einige wenige aus dem Nachlaß zusammen gestellte Werke heraus. 1984 schrieb ihre Hagiografin Judith Modell eine Biografie, die sie folgerichtig "Ruth Benedict. Lebens-Muster" nannte. 1989 wurden "Kultur-Muster" und "Chrysantheme und Schwert" neu aufgelegt. 1995 raffte sich dann eine Japanerin, Nanako Fukui, auf, den Mythos ins rechte Licht zu rücken: "Von japanischen Verhaltsmustern bis zur Chrysantheme und zum Schwert" nannte sie ihre Analyse und warf all die schönen "Kultur-Muster" als "Muster ohne Wert" auf den Möllhaufen der Wissenschafts-Geschichte. Warum auch nicht? Roosevelt und DeWitt (und Hitler und Morgenthau) waren tot; und keine Besatzungsmacht konnte die Japaner mehr ausrotten, wenn sie Ruth Benedict widersprachen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß die seit 1989 immer wieder (zuletzt für das Jahr 2001) angekündete deutsche Übersetzung bis heute nicht erschienen ist. Ruth Benedict sollte eigentlich auch eine ähnliche Untersuchung über das besetzte Deutschland anfertigen; aber gesundheitliche Gründe ließen hinderten sie daran. Vielleicht wäre sonst die Behandlung Deutschlands weniger grausam verlaufen als sie unter dem mörderischen Besatzungs-Regime des deutsch-stämmigen Verbrechers D. David Eisenhower verlief, und wir besäßen heute ein Buch mit dem Titel "The Sauerkraut und the Big Bertha [Sauerkraut und dicke Bertha]"?
[Nachtrag 2005: Mit 60 Jahren Verspätung hat die Deutsch-Amerikanerin Dagmar Herzog eben diesen Versuch unternommen - allerdings nicht mit dem von Dikigoros vorgeschlagenen Titel, sondern unter "Die Politisierung der Lust. Sexualität in der Geschichte des 20. Jahrhunderts". Dieser Titel ist irreführend und hinterhältig zugleich, denn man ahnt erstmal gar nicht, worum es da geht, und wenn man sich dann den Inhalt anschaut merkt man, daß da in weiten Zügen genau das betrieben wird, was Ruth Benedict in Bezug auf Japan getan hat, nämlich eine indirekte Rehabilitierung der "Nazi-Deutschen" jedenfalls insoweit, als die albernen, in der BRD Jahrzehnte lang gepflegten Klischees von den sexuell verklemmten Perverslingen, die ihre unterdrückten Triebe in sadistischen Antisemitismus umsetzten und ähnlicher Schwachsinn à la Theweleit & Co. ins Reich der 68er Märchen verwiesen werden, wo sie hin gehören. Das Buch hat denn auch in Deutschland - wo es nur mit Mühe einen Verleger gefunden hat - betretenes Schweigen usgelöst; es ist eben in Deutschland nicht opportun, solch lieb gewonnene Mythen und Legenden zu zerstören.]
Damit wäre also alles in schönster Ordnung, nicht wahr? Ruth Benedict ist ebenso widerlegt wie Margaret Mead, und die Frage, ob das menschliche Verhalten hauptsächlich durch Erb- oder Umweltfaktoren determiniert, pardon bestimmt wird, ist entschieden. Wirklich? Darf Dikigoros dennoch den advocatus diaboli spielen und darauf hinweisen, daß zwischen diesen beiden Faktoren gar kein Widerspruch bestehen muß? Den vermeintlich "grundlegenden Unterschied zwischen Rasse und Kultur, Wirkungen rein genetischer Beziehungen und denen der sozialen Einflüsse des Milieus" hatte doch erst Franz Boas konstruiert, der Doktorvater jener beiden Damen (und des Brasilianers Gilberto Freyre - aber das ist eine andere Geschichte), und nach ihm eine ganze Reihe von Leuten, die krampfhaft in Prozenten rechneten, weiter ausgesponnen: Soundsoviel macht der Anteil unserer Erbmasse aus, soundsoviel der unserer "kulturellen" Erziehung - sonst wären all die schönen Bildungseinrichtungen, auf die wir so viel Zeit und Geld verwenden und auf die wir so stolz sind (meist zu Unrecht - aber das ist eine andere Geschichte :-) doch für die Katz, oder? Ja, das sind sie wohl, was die Grundmuster unserer Verhaltensweisen anbelangt, und auch die Ausrede des im Elternhaus anerzogenen Verhaltens hilft nichts, seit wir wissen, daß gerade dieses quasi automatisch kopierte Grundverhalten angeboren, nicht erlernt ist. Damit kann man in der Tat die These der Kulturdeterministen, daß unser Verhalten ganz überwiegend anerzogen, nicht angeboren sei, vergessen. Aber wer nur so weit denkt, denkt zu kurz und hat die wichtigsten Forschungsergebnisse der Psycho-Biologen nicht richtig verstanden - was kein Wunder ist, denn zum einen passen sie unseren herrschenden Gutmenschen gar nicht in den Kram und dürfen daher von Staats wegen nicht breit getreten werden; zum anderen versuchen die Neo-Darwinisten und Neo-Spenceristen sie als Beleg für die Richtigkeit ihrer Thesen auszuschlachten und stellen sie entsprechend einseitig dar, auch heute noch, drei Jahrzehnte nachdem die bahnbrechenden Erkenntnisse der Psycho-Biologen zum ersten Mal veröffentlicht wurden.
Die Psycho-Biologie hat viel mehr heraus gefunden als bisher in das allgemeine Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen ist, so viel, daß die scheinbaren Antagonismen in der Verhaltensforschung sich in Wohlgefallen auflösen, ja sogar zur Deckung gebracht werden können - und so gesehen könnte Ruth Benedict im Ergebnis doch noch Recht behalten, wenn auch aus ganz anderen Gründen, die sie selber überrascht hätten. Wenn nämlich unser Verhalten genetisch vorprogrammiert ist (das ist nicht ganz das gleiche wie "determiniert", denn letzteres gibt den Handlungsstrang bis zum Ende vor, während ein Programm anfangs eine Reihe von mehreren Möglichkeiten zur Verfügung stellt, die dann je nach äußeren Umständen und Anpassungen unterschiedlich zuende gespielt werden können - etwa wie bei einem Schachcomputer, der ja auch auf das reagieren muß, was die Umwelt, d.h. sein Gegenspieler, an Zügen auf ihn einwirken läßt), dann sind wir darauf programmiert, uns wie unsere Eltern, Geschwister und andere mutmaßlich ersten Bezugspersonen zu verhalten, weil wir mit ihnen verwandt sind, es also wahrscheinlich ist, daß ihre Handlungsmuster auch für unseren Gensatz eine brauchbare Verhaltensweise darstellen. Bis zu einem gewissen Grad sind Fehlprägungen dabei unschädlich: Wenn z.B. Dikigoros' Kater Gutfriß sich in mancher Hinsicht wie ein Mensch verhält, so wird ihm das nicht weiter schaden, solange er unter Menschen lebt; aber nachts, wenn er wieder in seinen ihm angestammten Lebenskreis zurück kehrt, muß er sich schon wie ein Katzentier verhalten. Auch Bismarcks Pferd im Schweinestall wird es nicht weiter schaden, aus dem Schweinetrog zu fressen - vorausgesetzt allerdings, es ist Hafer drin und kein Schweinefutter. Selbst die berühmten Gänseküken von Konrad Lorenz können ihrem menschlichen Ersatzvater solange ohne Schaden folgen, wie er sie füttert und vor Schaden bewahrt. Ob das Pferd und die Gänschen allerdings jemals lernen werden, sich als Erwachsene "richtig", d.h. artgerecht zu verhalten? Die Ergebnisse mit paarungsunwilligen, da unter menschlichen Bezugspersonen aufgewachsenen und auf sie geprägten Zoo-Tieren geben da zu erheblichen Zweifeln Anlaß. (Deshalb ist es ein Verbrechen, wenn Mütter ihre Kleinkinder irgendjemand anderem zur Erziehung überlassen - womöglich gar einer staatlichen Kindergärtnerin, weil sie selber, Tante oder Oma keine "Lust" mehr dazu haben -, aber das nur nebenbei.) Und damit kommen wir zum springenden Punkt: Solange ein Lebewesen - also auch und vor allem der wegen seiner Neotenie in besonderem Maße auf bewußtes Erlernen und/oder unbewußtes Kopieren von Verhaltensmustern angewiesene Mensch - unter seines gleichen aufwächst, d.h. unter Trägern des weitgehend gleichen Erbguts, solange wird sein Verhalten in zweierlei Weise (die Natur verfährt, wie wir überall feststellen können, nach dem Motto: "doppelt genäht hält besser") genetisch bestimmt: zum einen direkt durch Vererbung, zum anderen indirekt durch Nachahmung der zum Vorbild genommenen angeborenen Verhaltensweisen der Verwandten. Mit anderen Worten: Wo eine besonders hohe Homogenität des Genpools vorhanden ist, bleibt es sich im Ergebnis ziemlich gleich, woher wir das Verhalten eines Menschen oder eines Volkes ableiten: aus vererbten Genen oder aus überlieferter "Kultur". Und welches war - und ist - das Volk mit der höchsten genetischen Homogenität auf der Welt - eigentlich das einzige, bei dem man davon überhaupt noch sprechen kann? Richtig geraten: das japanische!
Heute ist es nicht mehr politisch korrekt, von "Reinrassigkeit" zu sprechen, da sich die ganze übrige Menschheit zunehmend bastardisiert - mit verheerenden Resultaten, wenn man sich die entwurzelten ("Rasse" bedeutet wörtlich "Wurzel"), aus allen möglichen und unmöglichen Genpools zusammen gepanschten Individuen anschaut, die dabei entstehen und weder durch Vorbild noch durch Erziehung noch durch sonst irgendwelche "kulturellen" Einflüsse sozialisiert werden können. Es ist sogar gefährlich geworden, diesen Gedanken zuende zu denken, deshalb will Dikigoros ihn an dieser Stelle nicht weiter verfolgen. Er vertraut darauf, daß diejenigen seiner Leser, die genügend Grips hatten, um ihm bis zu diesem Punkt zu folgen, das schon hin bekommen werden, auch ohne daß er ihnen ein ausdrückliches "Erwachet!" zuruft - und für die anderen gilt halt: "Pennt ruhig weiter!"
Und noch ein Nachtrag. Im neuen Jahrtausend kam auch eine chinesische Übersetzung von Benedicts Hauptwerk heraus; und beim Blick auf das Cover - im Original schön traditionell senkrecht geschrieben und kunstvoll verfremdet, in der Taschenbuchausgabe etwas einfallslos-bieder - ertappte sich Dikigoros dabei, daß er über einen Aspekt noch gar nicht nachgedacht hatte, nämlich daß die Kunst des Schwertschmiedens ebenso wie die der Chrysanthemenzucht gar nicht originär japanisch sind, sondern vielmehr aus China importiert wurden.
Die "Kanji [Piktogramme]" auch, gewiß, aber das ist ja allgemein bekannt - oder? Ja, aber normalerweise gibt es für jedes Kanji je eine chinesische Aussprache (oder mehrere) und eine japanische, deren Gebrauch an keine unterschiedlichen Bedeutungen geknüpft ist, sondern an unterschiedliche Zusammensetzungen - Dikigoros hatte oben ja schon erwähnt, daß z.B. aus "hara" + "kiri" nicht erwa "harakiri", sondern "seppuku" wird, ebenso wie aus "Fuji [das ist eine Gottheit]" + "yama [Berg]" nicht etwa "Fujiyama", sondern "Fujisan" wird. Aber bei den Schriftzeichen, die uns hier interessieren, gäbe es solche Möglichkeiten nicht, d.h. sie können überhaupt nicht kombiniert werden. Für das Kanji "Chrysantheme" gibt es nur eine einzige - chinesische - Lesung, nämlich "kiku". (Nelson Nr. 3.981 - die hohe Zahl zeigt, wie gering der große amerikanische Missionar und Japanologe, der sicher erheblich mehr von Japan und den Japanern verstand als seine Zeitgenossin Ruth Benedict, die Bedeutung jener Blume einschätzte.) Das reicht eigentlich gar nicht aus, um die Blume zu bezeichnen, aber es kann wie gesagt auch nicht zusammengesetzt werden z.B. mit "ka" - der chinesischen Lesung des Kanji für "Blume" -, etwa zu "kikuka", sondern das muß umständlich umschrieben werden, nämlich als "kiku no hana" - letzteres die japanische Lesung desselben Kanji, "no" bezeichnet den Genetiv -, also wörtlich "Chrysanthemenblume". Noch verrückter ist es mit dem Kanji für "Schwert". (Nelson Nr. 665 - ebenfalls eine relativ hohe Zahl für ein Zeichen, das aus nur zwei Strichen besteht!) Es ist nämlich gar nicht allein das Kanji für Schwert, sondern auch für "Messer". Ihr meint, das sei doch mehr oder weniger das gleiche, das eine halt etwas größer, das andere etwas kleiner? Weit gefehlt, jedenfalls wenn Ihr es mit japanischen Augen seht und mit japanischen Ohren hört. In der Bedeutung Messer gilt nur die japanische Lesart, nämlich "katana", und zwar auch in Zusammensetzungen: Ein Taschenmesser heißt "kogatana" (wörtlich "kleines Messer", das Kanji für "klein" japanisch gelesen), ein großes Messer heißt "yamagatana" (wörtlich "ein Berg von einem Messer" - deshalb hat Euch Dikigoros oben das Beispiel vom Fujisan gebracht). In der Bedeutung Schwert gilt dagegen nur die chinesische Lesart, nämlich "tō". Ein großes Schwert heißt "daitō", und ein kleines Schwert heißt "shōtō". Bemerkt Ihr irgendeine Ähnlichkeit mit dem kleinen Messer? Nun, akustisch nicht, aber - es wird genauso geschrieben wie das kleine Messer, bloß halt mit chinesischen Lesungen sowohl für "klein" als auch für "Schwert/Messer". Dies ist ein Unicum in der japanischen Schrift-Sprache, und das läßt tief blicken: Es zeigt uns, daß Chrysantheme und Schwert von den Japanern selber gar nicht wirklich als eigene Kulturgüter verstanden werden, sonden vielmehr als chinesische. (Auch wenn's schwer fällt - beim Tee und beim Reis wollen sie es ja auch nicht so gerne wahr haben :-) Und die Übersetzung des Buchtitels in ihre Sprache würde für japanische Ohren ganz schräg klingen: "Kiku to tō" - kein Wunder, daß es nie eine gegeben hat! Ach so, wie nannten denn nun die Japaner ihre berühmten Samurai-Schwerter? Doch bestimmt "Großschwerter" - lang genug waren sie ja?! Weit gefehlt: Sie müssen das ebenso umständlich umschreiben wie die Chrysanthemenblume, nämlich "nihontō", also wörtlich "Japanschwert". Noch Fragen? Ach so, warum Dikigoros oben als erstes Beispiel das Wort für den rituellen Selbstmord erwähnt hat? Nein, nicht weil Ruth Benedict so lang und breit auf dem japanischen Ehrbegriff herum reitet, sondern - und jetzt wird es ganz verrückt - weil sich auch "kiri" bzw. "kiru", obwohl es ein ganz "normales" Wort mit je einer chinesischen und einer japanischen Lesart ist, eigentlich ganz anders lesen müßte (wenn es denn im Japanischen fünfsilbige Wörter gäbe, aber die gibt es nicht :-), nämlich "nanakatana". Katana kennen wir schon - es ist das Wort für Messer -; und die erste Hälfte bedeutet 7. Sieben? Soll das etwa heißen, daß japanische Messer so schlecht sind, daß man mit ihnen nur 7x schneiden kann? Aber Nein! Ihr kennt doch sicher das Sprichwort: "Eine Katze hat sieben Leben." Aber dann ist es zuende. Und genau diese Nebenbedeutung hat auch "kiru": zuende gehen. Gespenstisch, nicht wahr? Aber das sind wohl eher zufällige Übereinstimmungen, in die man nicht zuviel hinein geheimnissen sollte; genau genommen sind es ja gar keine, sondern bloße Ähnlichkeiten. (Für die es auch Beispiele in anderen Sprachen gibt: Das, was der Franzose einen "schönen Schlag" nennt - "beaucoup" -, nennt der Japaner einen "großen Schnitt" - "taisetsu"; "tai" kennen wir schon, "setsu" ist die chinesische Lesung für "kiru" :-) Die einzige Ausnahme, die Dikigoros gelten lassen würde, ist die Übereinstimmung beim biologischen Herz und dem, was wir - Deutsche, Franzosen u.a. Westler - im übertragenen Sinne darunter verstehen: In allen anderen asiatischen Sprachen sitzt letzteres in der biologischen Leber. (Deshalb fressen die asiatischen Kannibalen gleich nach dem Gehirn bevorzugt die Leber; dagegen frißt der nordische Sagenheld Sigurd oder Siegfried nicht die Leber, sondern das Herz von Fafnir, der ja ursprünglich kein Drache war, sondern der Bruder seines Lehrmeisters, den er bereits zuvor ermordet hatte - mit einem selbst geschmiedeten Schwert; ob kurz oder lang ist nicht überliefert :-) Nur bei den Japanern sitzt das ideelle Herz im biologischen Herz - jedenfalls sprachlich, also wohl auch gedanklich. Und ob "die" Japaner noch allzu viele Gedanken verschwenden an "die" Chrysantheme? Bloß, weil das Kaiserhaus sie noch immer im Wappen führt? Auf das blickt doch jeder anständige Japaner heute nur noch mit Verachtung - aber das ist eine andere Geschichte.
*1999 veröffentlichte Hilary Lapsley ein Buch mit dem Titel "Margaret Mead and Ruth Benedict", in dem sie die These aufstellte, daß das Verhältnis zwischen den beiden Genannten wohl doch nicht nur kollegial, freundschaftlich und/oder [doktor-]schwesterlich war und daß sich erstere von letztere nicht nur zu "wissenschaftlichen Arbeiten" animieren ließ. Anfangs wurde es kaum zur Kenntnis genommen; erst als es mit dem "Judy-Grahn-Preis für lesbische Schriften" ausgezeichnet wurde, begann es in "Fachkreisen" einige Wellen zu schlagen - was nicht gerade für jene Kreise spricht -, obwohl es heutzutage ja kaum noch ehrenrührig ist, lesbisch zu sein. Ob es stimmt, was Lapsley behauptet? Dikigoros kann es nicht nachprüfen; er will seinen Lesern diese These dennoch nicht vorenthalten.
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