MISHIMA YUKIO
(KIMITAKE HARAOKA, 1925-70)



EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ES STEHT GESCHRIEBEN. . .
Große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts

Nanu - hat Dikigoros nicht einleitend geschrieben, er würde hier keine Selbstmörder aufnehmen? Nein, hat er nicht. Er nimmt keine Leute auf, die ihr Leben weg geworfen haben, ohne sich etwas dabei zu denken, die sich gleichsam aus dem Leben davon geschlichen haben wie feige Täter vom Ort ihrer Tat. Das ist nicht die japanische Art, und schon gar nicht die von Mishima Yukio. Sein öffentlicher Selbstmord war ein Fanal, er sollte sein Werk (noch) bekannt(er) machen, gleichsam sein Schlußpunkt werden. Deshalb griff er auch nicht zur Pistole, wie es ein glückloser General im Westen täte, der die Konsequenzen seiner verlorenen Schlachten nicht tragen will, oder wie ein erwischter Verbrecher, der nicht vor Gericht gestellt und eingesperrt werden will, oder zu Schlaftabletten, wie ein hysterisches Filmsternchen, sondern er vollzog das rituelle "Seppuku [Bauchaufschlitzen], das traditionell einen stummen Protest beinhaltet: "Schaut her, ich habe Euch gewarnt, aber Ihr habt nicht auf mich gehört; ich rebellieren nicht, sondern ich trete zurück. Endgültig. Nehmt das nochmal zum Anlaß, darüber nachzudenken, ob Ihr nicht auf dem falschen Weg seid." Das ist eine Haltung, die Westler schwer nachvollziehen können (auch Dikigoros muß einräumen, daß er persönlich es nicht vermag - da noch eher das Amoek-laufen der Malaiien :-); aber den Japanern imponiert das immer noch.
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Von den großen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, die Dikigoros auf dieser "Reise durch die Vergangenheit" vorstellt, werden nur ganz wenige dauerhaften Nachruhm ernten. Um sie in Vergessenheit versinken zu lassen, bedarf es heute keiner Aufsehen erregenden öffentlichen Bücherverbrennungen und keiner Orwell'schen "memory holes" mehr - es genügt, wenn man ganz heimlich, still und leise, ihre Werke aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt, sie nicht mehr nachdrucken läßt und sie in den Medien nicht mehr erwähnt - das ist so gut, als hätten sie nie existiert. Gründe dafür gibt es genug: Wer von der Vergangenheit allzu viel festgehalten hat, was nicht in den offiziellen Schul-, Geschichts- und Märchenbüchern steht (und das gilt für fast alle hier Genannten, die sie Chronisten ihrer Zeit waren), ist nicht wohl gelitten; wer politisch nicht korrekt denkt und schreibt, sowieso; und wer gar die Zukunft richtig - und negativ - prognostiziert hat (die ja inzwischen Gegenwart geworden ist), erst recht. So sind denn Céline und Salomon als "Faschos" geächtet (obwohl Salomon ein ausgewiesener Gegner des National-Sozialismus war), Silone und Gironella als Renegaten, d.h. solche, die dem Sozialismus abtrünnig geworden sind (ein Schicksal, dem Rolland durch seinen rechtzeitigen Tod gerade noch entgangen ist), Orwell ist bereits von allen Lehrplänen gestrichen, und Solzhenitsyn beginnt man gerade mit der Antifa-Keule zu erschlagen (wie alle, die es wagen, etwas Kritisches über "die" Juden zu schreiben). Nur ein Schriftsteller wird zumindest in seinem eigenen Land, aber wohl auch über dessen Grenzen hinaus, noch lange bekannt und bewundert bleiben: Mishima Yukio. Warum? War nicht auch - und gerade - er ein "böser Fascho"? Besuchte er nicht schon als 10-jähriger jene Schreine, die heute im Ausland als "Nazi-Schreine" verteufelt werden? (Ja, dem Westen sind nicht-monotheïstische Religionen suspekt, vor allem solche, deren Anhänger andere nicht zu bekehren suchen, sondern ihre Götter für sich behalten wollen, wie die Inder und die Japaner. Also lieber ein muslimischer Terrorist - immerhin terrorisiert er die anderen ja im Namen "Allahs", den die meisten Christen gedankenlos mit "Gott" und "Jahwe" gleich setzen - als ein japanischer Shintō-Anhänger oder ein "heidnisher" Hindu!) Begeisterte er sich nicht schon als 11-jähriger für die "Nazi-Olympiade" in Berlin, vor allem für die Goldmedaille der Schwimmerin Hideko Maehata? Pfui! Begann er nicht als 15-jähriger, Deutsch zu lernen, und las er nicht Rilke? Dreimal pfui! (Rilke war zwar kein Nazi im engeren Sinne, aber bekanntlich sind alle Deutschen Nazis im weiteren Sinne, und so etwas mußte ja prägen :-) [Yukio las auch Oscar Wilde; aber es ist halt schwer abzuschätzen, ob er dadurch zum Schwulen wurde oder nicht vielmehr als Schwuler - seine Großmutter hatte ihn quasi wie ein Mädchen erzogen - eine besondere Vorliebe für den Engländer entwickelte] Und verherrlichte er nicht Japans faschistoïde Vergangenheit, kritisierte seine Gegenwart und profezeite für seine Zukunft nur das Schlimmste? Gilt er nicht heute den japanischen "Neonazis" als Idol? Warum trifft nicht auch ihn der Bannfluch der linken Medienmonopolisten?

Nun, eines vorweg, Euch zum Trost, liebe linke Leser: In der BRD funktioniert die unsichtbare Zensur, da werde Ihr so schnell nichts von Mishima Yukio zu lesen bekommen, weder im Original (ja, er hat auch auf Deutsch geschrieben, nichts Weltbewegendes; aber welcher Deutscher hat umgekehrt schon Weltbewegendes - wenn überhaupt irgendetwas - auf Japanisch geschrieben?) noch in Übersetzung. [Die wenigen Übersetzungen seiner Werke ins Deutsche - meist nicht direkt aus dem Japanischen, sondern aus einer englischen Übersetzung - sind nur in winziger Auflage erschienen und für Normalverbraucher praktisch nicht erhältlich.] Aber sein Nachruhm wird es verschmerzen, denn der deutsche Büchermarkt hat literarisch kaum noch Bedeutung. Die großen deutschen Verlage drucken zu über 90% nur noch ausländische Schriftsteller in Übersetzung, meistenteils aus dem Englischen; und die wenigen deutschen Schriftsteller, die überhaupt noch in Deutschland verlegt werden, schreiben mit Verlaub überwiegend Schrott, den zu lesen, geschweige denn aufzubewahren nicht lohnt. Das ist in Japan, wo noch nicht die Übersetzungen vorherrschen, anders; dort haben Leute, die einen guten Stil schreiben, von vornherein einen Bonus - und Yukio hat unbestritten das beste Japanisch seiner Zeit geschrieben. (Was bei einer Übersetzung ins Deutsche ebenso verloren gegangen wäre wie z.B. das hervorragende Russisch eines Solzhenitsyn - insofern brauchen sie dem beide nicht nachzutrauern.) In Deutschland ist das anders, da ist Schreiben keine Kunst, oder genauer gesagt, da ist die "Kunst" per se entartet, d.h. nur Schmierfinken gelten als "Künstler". Wer ein gutes Deutsch schreibt, wie Salomon, ist suspekt, so wie ein Maler suspekt wäre, der ordentlich malt; und ein Verlagslektor, der es wagen würde, die Ergüsse der Döblin & Co. in eine ordentliche Sprache zu bringen, der würde behandelt wie die Putzfrau, die es wagte, die Fettflecken, die ein Beys an die Wand gekleckst hatte, abzuwischen.
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Aber das alleine ist es nicht, denn es würde nicht erklären, warum Mishima Yukio z.B. auch in den USA eine große Fangemeinde hat, die ihn in englischer Übersetzung liest, seine sprachlichen Feinheiten also schwerlich nachvollziehen kann. Vielleicht ist sein "Faschismus" ein anderer, weniger verabscheuungswürdiger? In der Tat weist der japanischen Nationalismus - so wollen wir ihn der Neutralität halber mal nennen - eine Besonderheit auf: Die "Nationalisten" im Westen führen zwar auch oft das Wort "Vaterlandsliebe" oder "Patriotismus" im Munde, aber tatsächlich definieren sie sich meist gar nicht über diese Liebe, sondern vielmehr über den Haß auf andere: Gute Franzosen waren Jahrhunderte lang solche, die den Erbfeind Deutschland hassen, und vice versa, pardon, und umgekehrt. Die meisten Nachbarn Deutschlands definieren sich heute noch durch ihren Haß auf die - und die künstlich geschürte Furcht vor den - bösen Deutschen. Es ist immer leichter, gemeinsam gegen etwas zu sein als gemeinsam für etwas, nicht wahr, man kann leicht dagegen sein, das Volksvermögen für Kriege, Mondraketen und anderen Unfug zu vergeuden; aber wofür man es statt dessen ausgeben soll, darüber ist längst nicht so leicht Einigung zu erzielen. Viele Völker - wenige Jahre auch mal die Deutschen - haben auch versucht, sich über innere Feindschaften zu definieren, etwa gegen "die" Juden; und in einer Zeit, da die Staats- und die Volkstumsgrenzen immer weniger überein stimmen, versucht man es auch gerne mal mit politischem Ersatz: Vom Anti-Semitismus zum Anti-Zionismus, vom Anti-Kommunismus bis zum Anti-Kapitalismus oder zum Anti-Fascismus - es wird alles mal ausprobiert. Wenn Ihr dagegen mal versucht, heraus zu finden, wofür sich die Angehörigen der westlichen "Nationen" heute noch gemeinsam begeistern können, dann seid Ihr bald bei ihren Fußball-"Nationalmannschaften" angelangt - und all das ist in Japan anders. Die Japaner definieren sich nicht über ihre Sumo-Ringer; und sie benötigen zur Aufrechterhaltung ihrer nationalen Identität nicht den Haß auf andere Völker (wie etwa die "Chinesen" - deren Flickenteppich von Völkern und Stämmen sonst nichts mehr zusammen hält, seit der Anti-Kapitalismus ausgedient hat und der - eigene - Imperialismus wieder als Tugend angesehen wird), auch nicht auf diejenigen, die sie eigentlich nicht sonderlich mögen, wie die Chinesen, die Koreaner oder die US-Amerikaner; ihnen genügt die Liebe zur eigenen Nation. Warum das so ist? Ganz einfach: Die Japaner sind noch eine echte Nation, d.h. sie verfügen noch über eine weitgehende genetisch - Dikigoros vermeidet das Wort "rassische" - Homogenität, die den meisten westlichen Völkern abhanden gekommen ist, wobei "abhanden gekommen" vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist, denn es bezeichnet ja ein unfreiwilliges Verlieren; vielmehr haben gewisse westliche Staaten es ganz bewußt auf eine genetische "Durchmischung" - Dikigoros vermeidet das Wort "Bastardisierung" - angelegt, sehr zu ihrem Nachteil, wie sie jetzt merken, aber dem entgegen zu wirken wird sehr, sehr schwierig, wenn nicht unmöglich werden. Mishima Yukio hat vor einer ähnlichen Entwicklung auch in Japan gewarnt - zu Unrecht? Oder hat sein Tod ein Umdenken bewirkt, das dieser Entwicklung entgegen gewirkt hat?

Nun, die Gefahr einer Trübung des japanischen Genpools hat selbst nach dem Zweiten Weltkrieg nie ernsthaft bestanden und dürfte auch auf absehbare Zeit nicht bestehen; aber darum ging es Mishima Yukio wohl gar nicht in erster Linie. Er sah vielmehr eine kulturelle Bastardisierung Japans - und nicht nur Japans - unter amerikanischem Vorzeichen voraus (eine seiner wichtigsten Schriften trägt den programmatischen Titel "Verteidigung der Kultur"); und da hat er in erschreckendem Umfang Recht behalten, und das macht ihn mit seiner Kulturkritik zu einem Profeten des Niedergangs, der sich neben Solzhenitsyn nicht zu verstecken braucht. Denn in Wahrheit ist es ja gar keine bloße "Amerikanisierung" - auch wenn uns dieses Schlagwort von oberflächlichen Amerika-Hassern ständig an den Kopf geworfen wird -, sondern eine globale Entwicklung, unter der durchaus auch die US-Amerikaner selber leiden, wie immer mehr von ihnen immer deutlicher erkennen.
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Aber werfen wir einen Blick auf die Lebensreise des Mishima Yukio - ohne uns an den Banalitäten festzuhalten, die brave Biografen für gewöhnlich in sie hinein geheimnissen, von denen Dikigoros eingangs schon ein paar erwähnt. Millionen Japaner haben schon als Kinder irgendwelche Schreine besucht, viele haben in jener Generation noch deutsche Bücher (und sei es in Übersetzung) gelesen, die man heute als "faschistoïd" bezeichnen würde, und praktisch alle haben die Leiden des Weltkrieges mit erlebt (die in Japan schlimmer waren als in allen anderen Ländern der Welt - nur mit der Nachkriegszeit hatten sie vergleichsweise Glück); aber aus keinem anderen ist ein Mishima Yukio geworden. (Ja, geworden, denn er war es ja nicht - erst im September 1941 nahm Kimitake Haraoka jenen "Künstlernamen" an.) Wer oder was war er? Ein schwächliches, immer kränkelndes Kerlchen - der typische Bücherwurm -, als untauglich vom Militär entlassen (wohlgemerkt 1945, als man es mit den Tauglichkeits-Anforderungen nicht mehr so genau nahm), dessen bester Freund - Leutnant in Malaysia - wenige Tage nach der Kapitulation Japans Seppuku begeht, dessen jüngere Schwester zwei Monate später an Typhus stirbt, und der bereits mit 23 Jahren - kurz nachdem er den Roman "Die Räuber" veröffentlicht hat, der eine umfangreiche "Anleitung für Selbstmörder" enthält - beginnt, seine Memoiren ("Die Bekenntnisse einer Maske") zu schreiben.
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Daß Mishima Yukio auf dem Balkon des Verteidigungs-Ministeriums Seppuku beging, nachdem er das Militär vergeblich zu einem Putsch aufgerufen hatte, der die Herrschaft des Tenno wieder herstellen sollte, läßt westliche Beobachter, die mit der Geschichte Japans nicht vertraut sind, leicht falsche Parallelen ziehen. Er wollte keine Militär-Diktatur des Kaisers - ganz im Gegenteil, er ging viel weiter: Er wollte die Meiji-Reformen rückgängig machen, die Japan verwestlicht und aus dem Tenno - der bis dahin eher so etwas war wie der Papst in der katholischen Kirche, nach Ansicht einiger sogar ein Gott - ein weltliches Staatsoberhaupt, eben einen "Kaiser" gemacht hatte. Rückständig? Hoffnungslos reaktionär? Nun, liebe Leser, analysieren wir das doch mal ganz nüchtern (und dann werden wir auch verstehen, warum Mishima Yukio in den USA mehr Freunde als Feinde hat): Die Meiji-Reformen haben die alte Ständeordnung Japans zwar nicht ganz zerstört, aber auf einigen Gebieten doch einschneidende Änderungen bewirkt, vor allem auf militärischem: Vorher gab es nur eine kleine Elite-Truppe aus Samurai-Kriegern - die für die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung (Japan war bis zur gewaltsamen Öffnung durch amerikanische Kriegsschiffe im 19. Jahrhundert weitgehend von der Außenwelt abgeschottet) vollkommen ausreichten. Als dann nach westlichem Vorbild eine moderne Armee und eine moderne Marine geschaffen wurde, konnte Japan endlich auswärtige Kriege führen - und tat das auch, eine Zeit lang sogar mit bemerkenswertem Erfolg. Welch ein Fortschritt - aber eben am Sinn dieses "Fortschritts" zweifelte Mishima Yukio.
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Die Historiker meinen ja, man sollte nie fragen: Was wäre gewesen wenn...? Aber in diesem Fall muß man einfach mal festhalten, welche ungeheuren Auswirkungen der von den USA erzwungene Eintritt Japans in die Weltgeschichte hatte: Japan hinderte den russischen Tsaren daran, sich nach der nördlichen Hälfte Asiens auch noch Nordchina unter den Nagel zu reißen. (Die Konsequenz wäre gewesen, daß es kein "China" mehr gegeben hätte, denn die "Süd"-, d.h. die echten Chinesen, hätten sich bedankt für die Befreiung von den Mandschus - mit denen sie eigentlich gar nichts gemeinsam hatten als die Schrift, und mit denen sie auch sonst nicht zu tun haben wollten - und ihren eigenen Laden aufgemacht (wenn es ihnen denn gelungen wäre, die Kolonialherrschaft der Europäer abzuschütteln, aber davon geht Dikigoros mal aus). Es hätte auch keinen Zweiten Weltkrieg gegeben, denn ohne den Vorwand des Angriffs auf Pearl Harbor wäre es selbst einen Roosevelt wohl nicht gelungen, die Amerikaner in einen Krieg gegen Deutschland und Italien zu hetzen. Und es hätte nicht den Kampf um die Weltmärkte gegeben - jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie wir es heute unter der Bezeichnung "Globalisierung" kennen. Nein, liebe Leser, an Stelle der Japaner wären nicht die Chinesen oder sonstige asiatische Völker getreten. Macht Euch nichts vor: Ohne das Organisationstalent, den Fleiß und die Technik der Japaner gäbe es nirgendwo in Ostasien Billiglohn-Fertigungsstätten - die Europäer und Amerikaner wären gar nicht erst auf die Idee gekommen, es mit so etwas zu versuchen - bis in die 70er Jahre hinein glaubten sie ja nicht mal, daß die Japaner selber es schaffen würden, so etwas auf die Beine zu stellen! (Daher auch der Leichtsinn, mit dem sie ihnen ihr Know-how zum Abkupfern - und Verbessern! - überließen.) In Korea, Taiwan, Singapur, Indonesien, Malaysia, ja selbst in Rotchina und Vietnam steht nichts - jedenfalls nichts, das exportfähig für den Weltmarkt wäre -, was nicht die Japaner (oder in ihrem Kielwasser die westlichen Industrie-Staaten ) dort hin gesetzt hätten. Doch davon konnte Mishima Yukio noch nichts ahnen, da er sich just in dem Augenblick umbrachte, als Japan sich anschickte, die Weltmärkte zu erobern. Schade, daß er nicht noch ein paar Jahre gewartet hat - was hätte er zu dieser Entwicklung gesagt? Ihr meint, er wäre stolz auf sein Land gewesen (und hätte erst dann Seppuku begangen, als die große Seifenblase gegen Ende des Jahrhunderts platzte)? Nein, das glaubt Dikigoros nicht. Er glaubt vielmehr, daß er entsetzt gewesen wäre ob jener Export-Offensive, weil sie gar keine Offensive japanischer Kultur war, sondern vielmehr die Verwestlichung Japans zur Voraussetzung hatte: Japan produzierte westliche Klamotten, Autos und elektronische Geräte vom Fernseher bis zur Kamera, in alle Welt; aber kein Japaner trug mehr in der Öffentlichkeit einen Kimono wie die alten Samurai, keiner benutzte noch eine Sänfte, kaum noch jemand ging in das von ihm so geliebte Kabuki-Theater (wofür gab es Fernsehen mit amerikanischen Filmen?), und kaum noch jemand schwang selber den Pinsel - mit einem Klick der Kamera konnte man doch den Fuji-Berg viel bequemer auf den Fuji-Film bannen!

Aber werfen wir endlich einen Blick auf einige von Mishimas Werken. Lassen wir mal sein kommerziell erfolgreichtes Buch, "Der Goldene Pavillon", außer Acht - Mishima hat da einer Zeitungsnotiz (ein Mönch hatte 1950 einen alten Tempel in Kyoto nieder gebrannt) eine Motivation untergelegt, die schwerlich den Tatsachen entsprach, nämlich einen psychopathischen Haß auf "das Schöne". Lassen wir auch seine Kurzgeschichten beiseite (die psychologisch interessant sein mögen - aber da hat ein Kobo Abe besseres geschrieben) und auch die Werke, die empörte ausländische Kritiker unter dem Schlagwort zusammen gefaßt haben: "Das Vaterland ist wichtiger als Freiheit und Demokratie!" (Ja, liebe Gutmenschen, darüber mögt Ihr Euch aufregen; aber in Mishimas Generation war das noch völlig herrschende Meinung, nicht nur in Dai-Nippon und Groß-Deutschland; und in anderen Ländern ist es das heute noch - fragt nur mal Amerikaner und Franzosen, Griechen und Türken, Polen und Russen!) Nein, am wertvollsten unter dem Aspekt "Chronik des 20. Jahrhunderts" - um den es Dikigoros ja auf dieser "Reise durch die Vergangenheit" vornehmlich geht - ist seine Tetralogie "Der See der Fruchtbarkeit". Mishima mag damit nicht ganz an Jules Romains oder Ernst v. Salomon heran kommen - aber mit José Maria Gironella oder Aleksandr Solzhenitsyn kann er ohne weiteres mithalten - auch sprachlich. Laßt Euch von dem merkwürdigen Titel nicht verwirren - auch nicht von den Titeln der vier Einzelteile ("Frühlingsschnee", "Entlaufene Pferde", "Tempel der Morgendämmerung", "Des Engels Verfall"); wenn Dikigoros eine deutsche Gesamtausgabe zu betreuen hätte, dann würde er ihr den Titel geben: "Die Honda-saga". Das Originelle ist, daß Mishima keine fortlaufende Chronik schreibt, sondern das Leben seines Helden Honda Shigekuni im Abstand von jeweils rund 20 Jahren schildert: Er beginnt 1912, greift die Handlung dann im Jahre 1932 wieder auf, dann 1952 und schließlich 1972.
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Exkurs. Was meint Ihr, liebe Leser, wie viele Japaner von heute, die nicht gerade von Berufs wegen Mönche sind, sich noch so viel buddhistischen Glauben bewahrt haben, daß sie an die Reïnkarnation glauben? Dikigoros will es Euch verraten: null! (Na und? Glaubt Ihr im Ernst noch an die Wiederauferstehung, wie es Euch die christliche Religion gebietet? Eben! Das einzige Volk auf der Welt, das heute noch mehrheitlich an Wiedergeburt glaubt - was übrigens nicht das selbe ist -, sind die Inder, aber das ist eine andere Geschichte.) 1970 mag das noch anders gewesen sein - jedenfalls scheint Mishima das geglaubt zu haben, sonst hätte es ja keinen Sinn gemacht, diese Tetralogie zu schreiben.
(...)
Exkurs Ende.

(Fortsetzungen folgen)


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