^ Gertrude Bell. Tochter Arabiens oder Königin der Wüste?

GERTRUDE  BELL
Gertrude Margaret Lowthian Bell
(1868 - 1926)

[Gertrude Bell Portrait]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite:
LÜGEN HABEN SCHÖNE BEINE -
WENN FRAUEN EINE REISE TUN

Leser haben Dikigoros wiederholt gefragt, warum er dieses Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" mit einer Frau beginnt, die doch als Schriftstellerin weder qualitativ noch quantitativ sonderlich bedeutend war, und die auch nicht allzu viel von der Welt gesehen hat, geschweige denn von den Gegenden, die als Reiseziele besonders interessant sind - wenn man nicht gerade fanatischer Jude, Christ oder Muslim ist und deshalb den Nahen Osten als den Nabel der Welt betrachtet. Nun, letzteres ist Geschmackssache. Dikigoros' persönlichen Geschmack treffen jene Länder auch nicht unbedingt. (Er hat, mit Ausnahme der Türkei, keines von ihnen öfter als einmal betreten - d.h. zum ersten- und zum letzten Mal - und manche überhaupt nicht :-) Aber es sind unbestreitbar die ersten Ziele, die von einer europäischen Frau bereist wurde, die darüber einen Reisebericht verfaßt hat, dessen Inhalt uns überliefert ist, nämlich einer gewissen Etherea. Nie gehört? Nun ja, das war bis vor einigen Jahren verzeihlich, denn wer kann schon das Küchenlatein des späten 4. oder frühen 5. Jahrhunderts n.C. lesen? Und eine Übersetzung ins Deutsche gibt es ja bis heute nicht. Aber inzwischen gibt es eine ins Englische, die bereits in mehreren Auflagen erschienen und ganz lesbar ist. (Nachtrag: Jetzt ist sie sogar kostenlos im Internet erhältlich; man google unter "Full text of the pilgrimage of Etheria"!)

Gewiß, eine verbindliche Fassung ihres Original-Reiseberichts ist nicht erhalten; es gibt bloß einander mehr oder weniger widersprechende Abschriften; ja, man hat sich nicht einmal auf ihren Namen einigen können! Hieß sie wirklich Etheria? Oder eher Egeria oder gar Sylvia? Und es war wohl auch keine reine Vergnügungsreise, sondern vielmehr das, was man heute vornehm eine "Pilgerfahrt" nennt; aber Dikigoros' altgediente Leser wissen ja schon aus einer anderen Reise durch die Vergangenheit, daß der Besuch heiliger Stätten am Anfang unserer heutigen "Bildungsreisen" steht (und in frommen Ländern wie Indien bis heute der Hauptzweck des Reisens geblieben ist). Worauf es ihm hier im Wesentlichen ankommt - wie auch bei "Als es noch kein Internet gab", seinen Berichten über männliche Reisende -, ist, daß es sich um Reisen handelt, die nicht durch Einöden, Dschungel, Gebirge, Polareis o.ä. unternommen wurden, sondern auf halbwegs festen Straßen, womöglich sogar mit öffentlichen Verkehrsmitteln, durch von halbwegs zivilisierten Menschen bewohnten Gegenden, die theoretisch für jedermann nachvollziehbar waren und sind. Eben das war bis in die Endfase des Römischen Reichs der Fall, und seitdem erst wieder seit dem späten 19. Jahrhundert. Insoweit ist die zeitliche Lücke, die da klafft, viel geringer als es auf den ersten Blick scheinen mag; und Dikigoros' Ansatz ins vollauf gerechtfertigt (auch wenn er diese Begründung zugegebenermaßen erst auf besagte Leseranfragen nachgeschoben hat ;-).

* * * * *

Gertrude Bell war eine der ersten Frauen, die im alt-ehrwürdigen Oxford studiert hatte: zwei Jahre Geschichte - ohne richtigen Abschluß, aber immerhin. Sie bereiste bevorzugt Länder des Nahen Ostens und wird von ihrer jüngsten Hagiografin Janet Wallach als "Königin der Wüste" bezeichnet; sie selber nannte sich schlichter "eine Tochter Arabiens" (die sie nicht war - sie stammte aus dem englischen Finanz-Adel; ihr Großvater Isaac Lowthian Bell war zum Christentum konvertiert und für seine Verdienste um die Industrialisierung Northumbriens geadelt worden). Sie steht nicht nur am Anfang dieser traurigen Übersicht, sondern an der Wurzel fast aller Übel jener Region - oder, wie es besagte Hagiografin geschönt ausdrückt, sie war "der Katalysator für viele der Probleme im Nahen Osten, darunter auch des Golfkrieges." Letzteres ist vielleicht ein wenig übertrieben, denn ihr ist zwar zu "verdanken", daß Scheich Fäisal König des Irāq wurde; aber daß Saddām Ħussäin sein Nachfolger wurde, kann man schwerlich ihr alleine anhängen - irgendwo reißt die zwingende Kausalkette doch mal ab. Aber vielleicht sollte man die gegenwärtigen Probleme gar nicht alleine an Saddām festmachen? Möglicherweise ist seine Person viel austauschbarer, als manche große Vereinfacher meinen? Würde nicht ein anderer Führer des Irāq genauso oder ähnlich handeln? Die Verhältnisse sind nun mal so wie sie (von Gertrude Bell geschaffen worden) sind. "For Whom the Bell Tolls" (wem die Stunde schlägt), nannte Hemingway seinen Roman über den Spanischen Bürgerkrieg; der Nahe Osten, der bis heute die Kriegsregion par excellence in der Welt ist, war mit Gertrude Bell schon genug geschlagen. Hätte sie doch nur ein paar Jahre früher das Zeitliche gesegnet! Hätte sich irgend jemand gefunden, der sie im Ersten Weltkrieg oder unmittelbar danach getötet hätte - Millionen von Menschenleben hätten gerettet werden können...

Ihr erstes Buch nannte Gertrude Bell 1894 "Persische Bilder" (die deutsche Übersetzung sollte erst 1949 unter dem Titel "Persische Reisebilder" erscheinen). Das war kühn, denn ihre Reise hatte darin bestanden, daß sie 1892 - auf der Suche nach einem passenden Ehemann, der sich in England partout nicht auftreiben lassen wollte - einige Monate den Schwager ihrer Stiefmutter, den britischen Botschafter in Persien, in Teheran besucht und dort am Swimming-pool seiner Residenz gelegen hatte. Ein alter Perser hatte zwar versucht, ihr ein wenig Persisch beizubringen, doch leider verstand er kein Englisch, und so kam sie über die Anfangsgründe nie hinaus. Aber eines lernte und verinnerlichte sie dennoch: "Der Schleier ist der Prüfstein der Toilette einer Frau. Ein Schleier sollte vom Scheitel bis zur Sohle fallen, und er sollte nicht durchsichtig sein." Und sie "schämte" sich, wenn eine andere Frau ihren Schleier "besser umgelegt" hatte als sie selber. Auf einem Empfang lernte sie - ob verschleiert oder nicht, verschweigt sie uns - einen anderen britischen Diplomaten kennen, der sie 1899 zu sich einlud, als er britischer General-Konsul in Jerusalem geworden war. Auch dort unternahm sie kühne Reisen, z.B. "ganz allein" (d.h. nur von einer Köchin und mehreren Dienern begleitet) durch die Straßen Jerusalems (das war damals für eine englische Lady der Gipfel des Wagemuts)! Dabei machte sie die epochale Entdeckung, daß die meisten Palästinenserinnen unverschleiert herum liefen - unerhört! Im Jahre 1900 unternahm sie gar von Jerusalem aus eine mehrtägige Expedition ins ferne Damaskus, wieder ganz "allein" - begleitet lediglich von einigen "Kamelkolonnen, die Handelsware nach und aus Damaskus transportierten", ihren arabischen Reitern, ihren Eselsjungen, Dienern usw. Wieder lernte sie ein paar Brocken der Landessprache und freute sich im übrigen, daß sie auch dort Irish Stew, Plum Pudding und Tea bekam. 1905 reiste sie nach Beirut, der Hauptstadt des Libanon (sie hielt es für Syrien, aber so genau nahm man das damals vielleicht nicht). Bis dahin hatte sie sogar schon gelernt, richtig "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" auf Arabisch zu sagen, wie sie stolz nach Hause schrieb. Das machte ihr Mut, gleich bis in die Türkei weiter zu reisen, in die alte Seldschuken-Hauptstadt Konya, das Zentrum des Sufismus, den eine Generation später Annemarie Schimmel zu ihrem Lebensinhalt machen und leichtgläubigen Zeitgenossen als "typisch islamisch" verkaufen sollte. Auch Gertrude Bell war ganz begeistert: "Etwas sehr Erfreuliches ist passiert. Eine der größten Kirchen ist dem Erdboden gleich gemacht - nichts als Fundamente sind verblieben." Aber sie fand noch einen großen Trümmerstein, mit "wunderschönen erhabenen griechischen Buchstaben. War das nicht ein ungeheures Glück?" Kein Wunder, daß ihr Bericht über diese ungeheuer glückliche Reise ein Bestseller wurde - trotz (oder wegen?) des irreführenden Titels "Wüste und bebautes Land" (1906. Die deutsche Übersetzung erschien erst 1991 unter dem Titel "Am Ende des Lavastroms. Durch die Wüsten und Kulturstätten Syriens"). Reisen, die diesen Namen verdient hätten, nämlich von Damaskus nach Bagdad, unternahm sie freilich erst in den folgenden Jahren: 1909 und 1911 auf direktem Weg durch Syrien, und 1913/14 über Hail, eine Oase in der Wüste des heutigen Saudi-Arabiens. Wie immer reiste sie "ganz allein", d.h. als einzige Europäerin mit reichlich einheimischer Begleitung. (Aber die zählte ja nicht, ebenso wenig wie es zählte - und bis heute zählt -, wenn ein europäischer oder amerikanischer "Gipfelstürmer" im Himālay von einem Dutzend einheimischer "Gepäckträger" begleitet wird, ohne die er es nicht mal bis zum Ausgangslager schaffen würde :-)

Nach diesen reichhaltigen Erfahrungen hatte Gertrude Bell freilich von Land und Leuten im Nahen Osten mehr Ahnung als 99% der britischen Diplomaten, die sich nicht einmal aus ihren Residenzen hinaus und in die Innenstädte Teherans, Jerusalems oder Bagdads getraut hätten, geschweige denn in die Wüste... Deshalb durften Leute, die noch dümmer und unwissender waren - Politiker halt, die ihr Lebtag nicht aus England hinaus gekommen waren - nach Lektüre ihrer Reiseberichte glauben, daß die Autorin so etwas wie politisches Gespür und Verständnis für die von ihr bereisten Regionen besaß - wies sie nicht auf jeder Seite mindestens einmal darauf hin, wie gut sie die Leute und ihre Probleme verstand, da sie ja - angeblich - ihre Sprache sprach? Also berief man sie Ende 1915 als "Sekretärin" (was nicht als Schreibkraft zu verstehen ist) in das "Arabische Büro", das britische Spionage-Zentrum in Kairo, wo sie immerhin vier Wochen lang mit T. E. Lawrence, dem berühmten Anführer des Araber-Aufstands gegen die Türken, zusammen arbeitete und die Pyramiden besichtigte.

[Bell u.a. vor Pyramiden]

Anfang 1916 nach Delhi abgeschoben, durfte Gertrude Bell 1917, nach der Eroberung Baģdāds durch die Briten, dort wieder als "Sekretärin" arbeiten. Kurz zuvor hatte Scheich Ħussäin sich zum "König der arabischen Länder" ausrufen lassen, was die Alliierten freilich wenig scherte, denn die - insbesondere die Engländer und Franzosen - hatten ihre eigenen Vorstellungen von der Zukunft dieser Gebiete. Als das Osmanische Reich 1918 militärisch besiegt war, übertrug das britische Außenministerium Gertrude Bell auf den "Friedens"-Konferenzen von Paris 1919 und Kairo 1921 die Aufgabe, es in mundgerechte Happen (für die Alliierten, die sich deren "Verwaltung" anmaßten) zu tranchieren - mit dem Lineal auf einem Blatt Butterbrotpapier. Das klingt einfacher als es war, und man muß wohl so fair sein einzuräumen, daß diese undankbare Aufgabe kein Mann übernehmen wollte, und zur Politik des "divide et impera" gehört ja entgegen weit verbreiteter Meinung nicht nur das Teilen von dem, was eigentlich zusammen gehört, sondern auch das gewaltsame Zusammenfügen dessen, was nicht zusammen gehört - und darin waren die Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg bekanntlich Weltmeister: Deutsche und Deutsch-Österreicher wurden getrennt, dagegen wurden Tschechen und Slowaken (und Sudeten-Deutsche und Karpatho-Ukrainer), Serben und Kroaten (und Slowenen und Bosniaken und Makedonen), Polen und Weißrussen (und Galizier) jeweils in einen Staat gezwungen...

Und auf der Arabischen Halbinsel? Eigentlich hätten die Kurden einen eigenen Staat haben sollen - mit der osmanischen Provinz Mōssul (das alte Ninive) als Kern; die Shī'iten in der osmanischen Provinz Basrā fühlten sich mehrheitlich als Perser, wollten endlich "heim ins Reich". (Die Todfeindschaft zwischen Basrā und Baģdād war rund 1.500 Jahre alt.) Und die sunnitischen Araber der osmanischen Provinzen Baģdād und Damaskus fühlten sich ebenso als Brüder wie die Araber in "Jordanien" und "Palästina". Hatte nicht kürzlich jemand etwas vom so genannten "Selbstbestimmungsrecht der Völker" erzählt? Na klar - also schauen wir mal, was daraus wurde: Die Feindstaaten der Alliierten - das Deutsche, das Habsburger und das Osmanische Reich - wurden zerschlagen. Aus den Trümmern des letzten bekamen die Kurden ihren eigenen Staat (der freilich nicht viel mehr als eine Art alliiertes Protektorat war); die Araber wählten 1920 Feisal, den Sohn Scheich Husseins, zu ihrem neuen König. Das gefiel aber den Franzosen ganz und gar nicht, und sie jagten ihn davon. Darauf griffen die Araber zu den Waffen gegen ihre einstigen Alliierten, denn sie erkannten, daß sie belogen und nur als Kanonenfutter gegen die Türken ausgenutzt worden waren. Die Partie drohte im Patt des permanenten Bürgerkriegs zu enden. Aber Gertrude Bell fand einen verhängnisvollen Zug, eine Lösung, von der man damals vielleicht noch nicht absehen konnte, daß sie keine war: Sie empfahl, den König Feisal einmal quer über das nahöstliche Schachbrett rochieren zu lassen, vom französisch besetzten Syrien in den britisch besetzten "Irāq" (so nannte man jetzt die Provinzen Baģdād und Basrā - die Engländer dachten gar nicht daran, das letztere an Persien heraus zu geben, wo gerade Bürgerkrieg herrschte, aus dem ein Kosakenführer namens Reza Pahlevi als Sieger hervor gehen sollte), und ihn dort auf den Thron zu setzen - als Marionette von Englands Gnaden. Dadurch schlug sie scheinbar zwei Fliegen mit einer Klappe, denn nicht nur auf der arabischen Halbinsel, sondern auch im Irāq ruhte daraufhin der Aufstand erst einmal. Die politische Verantwortung (damals meinte man noch: das politische Verdienst) dafür trug Winston Churchill, der die Konferenz von Kairo offiziell leitete; daß die Interessen-Ggegensätze in der Region damit nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben waren, wollte man nicht wahr haben.

[Feisal I, Ritter von der traurigen Gestalt, erster König des Irāq]

Aber nicht nur in Arabien waren die Kurden die Gelackmeierten: In der Türkei gelangte Mustafa Kemal an die Macht (den man später "Atatürk [Vater der Türken]" - nennen sollte) und annektierte die nach dem - von ihm nie anerkannten - Friedensdiktat von Sèvres der Türkei abgenommenen Kurden-Provinz um Diyarbakir am Tigris wieder; und England schlug die Provinz Mōssul dem "Irāq" zu. [Das hatte Gertrude Bell von Anfang an so gewollt, denn ihr Weltbild war streng geografisch geprägt, nicht "völkisch" - das war ihr größter und verhängnisvollster Fehler. Deshalb war sie z.B. auch dafür, daß die griechischen Städte an der kleinasiatischen Küste an die Türkei fielen und ganz Palästina an die Araber - man sollte sich doch von den Juden nicht "kaufen" lassen. Wir wissen das u.a. aus den Briefen, die sie vor, während und nach der Konferenz von Kairo an ihre Eltern schrieb; Dikigoros empfiehlt dem geneigten Leser, der wissen will, was von dieser Frau und ihrer politischen "Weitsicht" zu halten ist, vor allem ihre Schreiben vom 10. Januar, vom 7. Februar und vom 15. Mai 1921 zur Lektüre.]

Dafür blieben oder wurden "Kuwait" (das die Briten bereits 1913 zu ihrem "Protektorat" gemacht hatten) und noch ein paar erdölreiche Mini-Scheichtümer am Golf "unabhängig", d.h. wirtschaftlich und politisch vollkommen von England abhängig. Gertrude Bell's Kampfgefährte T. E. Lawrence, der sich für den Verrat an seinen arabischen Freunden mit verantwortlich fühlte, gab sein Offiziers-Patent zurück und beging Selbstmord auf seinem Motorrad. Er sollte nicht das einzige Opfer der Zerstückelung des Osmanischen Reiches in ethnisch nicht homogene, unter- und miteinander verfeindete Staaten bleiben: Bis heute herrscht dort Krieg, und die Zahl der Toten, die er künftig noch kosten wird, läßt sich nicht einmal annähernd abschätzen. Sie ist jetzt schon Legion, und sie steigt weiter, während Dikigoros dies schreibt. Als 1926 endlich die Totenglocken für Gertrude Bell läuteten (sie war an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben; ob es Selbstmord war oder nur Schusseligkeit, ist nie restlos geklärt worden - wie auch), bekam "die Frau, die den Irak erfand" (so der ihr gewidmete Titel des "GEO"-Magazins vom Februar 2008) ein Staatsbegräbnis erster Klasse in Baģdād.

Exkurs: Warum denkt Dikigoros so schlecht von jener Frau? Hat er nicht selber oben geschrieben, daß nach dem Ersten Weltkrieg auch andere unsinnige Grenzziehungen vorgenommen wurden? Waren die nicht ebenso unheilvoll - oder sogar noch mehr? Pardon, liebe Leser, aber entgegen weit verbreiteter Ansicht waren weder die Zerschlagung der Tschecho-Slowakei 1938/39 noch die Zerschlagung Polens 1939 eine adäquat-kausale Ursache für den Zweiten Weltkrieg - niemand zwang die Briten, Deutschland anzugreifen wegen der Beseitigung jener beiden Mißgeburten (bei der ersten hatten sie selber mitgemacht, und bei der zweiten die Sowjet-Russen, ohne daß sie denen darob den Krieg erklärt hätten!); aber das hätten sie auch ohne diese beiden Vorwände getan! (Und wer hat denn einen Krieg für nötig befunden, als die "CSSR" etwas mehr als ein halbes Jahrhundert später zum zweiten Mal aufgelöst wurde? Eben - niemand!) Dagegen führte das gewaltsame Zusammenlegen der sunnitischen Araber, der shi'itischen Iraner und der alewitischen Kurden im "Irak" fast zwangsläufig zu der Situation, die bis heute fort besteht, und an der sich auch nichts ändern wird, solange die Narren, die Mesopotamien besetzt halten, weiter auf jener "staatlichen" Fiktion der Gertrude Bell festhalten. Hätte sie es denn besser wissen können? Oh ja, und ob: Wer durch den Nahen Osten reiste und sich ab und zu mal mit den Einheimischen unterhielt, hätte diese Animositäten - die ja nicht erst seit gestern bestehen - bemerken müssen, so er bzw. sie nicht völlig auf den Kopf gefallen war. "Animositäten" ist noch viel zu schwach ausgedrückt; es waren dies Gegensätze, die nicht überwindbar, sondern allenfalls unterdrückbar waren (und sind), wie Saddām das vorexerziert hat. Die Frage ist, ob man eher das letztere will, ober aber eine Aufteilung jener Zwangsehe; einen dritten Weg, das tagtägliche Morden an den Wassen von Babylon endlich zu beenden, gibt es nicht - das müßte doch inzwischen selbst ein Blinder [ein]sehen. Exkurs Ende.

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Im Zweiten Weltkrieg sollten die arabischen "Syrer" und "Irāqer" glücklos - und von Deutschland mehr oder weniger im Stich gelassen - gegen ihre alliierten Besatzer kämpfen. Aus den Resten der geschlagenen "Freiheitskämpfer" sollte in beiden Staaten die national-sozialistische "Ba'ath"-Partei entstehen, aber sie sollten auch nach dem Abzug der alliierten Besatzungs-Truppen nicht mehr zueinander finden, wie überhaupt die ganze Region nicht mehr zur Ruhe kommen sollte, geschweige denn zum Frieden. Nein, die Araber sind aus den Fehlern der Türken und der Briten nicht klug geworden. 1958 versuchten ein paar Verrückte um den ägyptischen "Rais [Führer]" Gamāl 'Abd-äl-Nāsir, eine "Vereinigte Arabische Republik" zu schaffen, indem sie so unterschiedliche Länder wie Ägypten, Syrien und den Yemen zusammen schlossen. Auch der Irāq und Jordanien [und natürlich "Palästina", worunter man nicht nur das Westjordanland, sondern auch Israel verstand - die Juden wollte man zuvor "ins Meer werfen"] waren Kandidaten für dieses Gebilde, das dann freilich noch vor ihrem Beitritt wieder auseinander brach. (Tja, liebe Deutsche, wie war das gleich mit Eurer "Wieder"-Vereinigung? :-) Aber zurück zu Gertrude Bell und ihren Werken: 1973 ist "Wüste und bebautes Land" noch einmal neu aufgelegt worden. Ob in den Ländern, die es angeht, heute noch jemand Muße hat, es zu lesen? Oder ob demnächst endlich mal jemand den Mut aufbringt, all diese künstlichen Staatsgebilde zu zerschlagen und die Länder und Völker in ihre natürlichen Grenzen zurück zu führen?

Nachtrag Februar 2006. Dikigoros will sich mal weit aus dem Fenster lehnen: Nachdem die USA und Großbritannien den Irāq in zwei Kriegen besiegt und besetzt haben, dachte Dikigoros, daß sie die Fehler ihrer Großväter korrigieren und jenes künstliche Gebilde endlich zerschlagen würden. Aber Bush Vater und Sohn und der [un]heilige Geist ihrer Berater waren nicht klüger, sondern eher dümmer als Gertrude Bell & Co., allen voran die schwarze Latina Condoleeza Rice, die ihre Posten (zunächst Professorin für Außenpolitik, dann "außenpolitische Beraterin" des Präsidenten, schließlich gar Außenministerin) lediglich ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe und ihrer Muttersprache verdankte - also politisch-korrekte Inkompetenz hoch drei personifizierte - und voll in die Scheiße ihrer Fußstapfen trat.

[Make war, not love=]

Doch nun haben die Menschen im Irāq die Sache selber in die Hand genommen: Neben den täglichen Anschlägen auf die angelsächsischen Besatzungstruppen - die nie mehr als Nadelstiche waren - haben sie sich nun endlich darauf verlegt, ihre Kämpfe ohne Rücksicht auf die ersteren untereinander auszutragen: Sunniten gegen Shī'iten, beide gegen die Kurden, und umgekehrt. Die Alliierten werden den Deckel, den Saddām Ħussäin müh- und gewaltsam über diesem Topf mit der brodelnden Multikulti-Suppe "Irāq" zugehalten hatte, nachdem sie ihn einmal abgenommen haben, nicht wieder drauf bekommen; der "Bürgerkrieg" (der, allen Kritikern Samuel Huntingtons zum Trotz, ein Krieg der Ethnien und religiösen Konfessionen, also der "Kulturen" ist - das Konzept des "Bürgers" ist den Menschen dort, mit Ausnahme einer ganz kleinen, verwestlichen "Ober"-Schicht, völlig fremd) wird sie am Ende zwingen, die Realitäten anzuerkennen (wann immer das sein wird, aber ohne diese Erkenntnis wird kein Ende des Kämpfens sein!) und sich ihr Erdöl - das ja der eigentlich Grund ihres Kommens war und ihres Nicht-wieder-gehen-wollens ist - dort zu holen, wo es herkommt: aus der kurdischen Provinz Mōssul und aus der iranischen Provinz Basrā.

[Atomkraftwerke im Iran] [Kurdengebiete]

Welche Konsequenzen das haben wird? Nun, genau die, die sie bisher vermeiden wollten: Sie werden auch den Iran angreifen müssen (dessen Atombombenbau einen prächtigen Vorwand, pardon Grund abgibt) und das persische Volk - das in seiner Mehrheit der Ayatollah-Herrschaft müde ist - von seinem radikal-shī'itischen Terror-Regime befreien; dafür werden einige zehntausend Mullah-Köpfe rollen müssen - was man den Exil-Iranern, die dann zurück kommen werden, getrost selber überlassen kann. Zur Belohnung wird der Iran die Provinz Basrā bekommen, pardon, infolge der selbstlosen Einführung der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechts der Völker werden der Iran und die Provinz Basrā "wiedervereinigt" werden - so muß es politisch-korrekt heißen. Den Kurden wird man - mit der gleichen gut-demokratischen, "völkerrechtlichen" Begründung - endlich einen eigenen Staat geben müssen, der auch Teile der heutigen Türkei, des heutigen Syrien und des heutigen Iran umfaßt. (Glücklich werden sie damit ebenso wenig werden wie die deutschen Wessis und Ossis in ihrer endlich "wiedervereinigten" Groß-BRDDR, denn "die Kurden" bestehen aus zahlreichen Stämmen, deren Mundarten und Konfessionen sich weit mehr von einander unterscheiden als die der Preußen und Sachsen von denen der Bayern und Ostfriesen: sunnitische Schafi'iten, shi'itische Alewiten und jezidische Zarathustra-Anhänger würden einander am liebsten an die Gurgeln gehen, aus denen es mal Bahdini, mal Sorani, mal Zaza-Gorani gurgelt - Sprachen, die etwa so nah verwandt sind wie Deutsch, Dänisch und Englisch; "Kurdisch" gibt es ebenso wenig wie "Indisch" oder "Chinesisch"; und "Kurmanji" ist etwa so lebendig wie "Kirchenslawisch" oder "Mittelhochdeutsch".) Syrien wird man dafür mit der Provinz Baģdād entschädigen, die ja vom "Irāq" übrig bleibt und allein kaum überlebensfähig ist. Im Gegenzug wird Syrien den Libanon in die vollständige Unabhängigkeit entlassen müssen - wenn ihm das nicht paßt, muß auch das Regime in Damaskus gestürzt werden, notfalls mit militärischen Mitteln. Und wenn die Amerikaner gerade beim Großreinemachen sind, sollten sie die Verbrecher-Regime in Riyād und Kairo gleich in einem Aufwasch mit beseitigen, auch auf die Gefahr hin, daß dann radikale "Islamisten" versuchen könnten, dort die Macht zu ergreifen. Gegen die gibt es ein probates Mittel: den "big stick", mit dem die Amerikaner seit Teddy Roosevelt so gerne auf Reisen gehen. Und so werden letztlich die natürlichen Bausteine gesunder Staaten - Blut und Glaube (nein, liebe Neo-Nazis, nicht "... und Boden" - ein solcher Staat wäre dort in der Wüste im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut :-) - über all die Hirngespinste von politischen Ismen, juristischen ("völkerrechtlichen") Spitzfindigkeiten und [wirtschafts-]kolonialen Interessen siegen, die man so oft wider bessere Einsicht gegen sie auszuspielen versucht hat, und die so viel Unglück über Millionen Menschen gebracht haben.

[befreit den Nahen Osten von den Mullahs!]

P.S.: Gießt Dikigoros hier nicht massiv Öl ins ohnehin schon heftig brennende Feuer des Nahostkonflikts? Könnte nicht irgend ein böser "war monger" im Pentagon - dem das Internet schließlich "gehört" - mit lesen und sich seine Gedankengänge zu eigen machen? Na klar, das hofft Dikigoros sogar - je eher, desto besser! Und seine deutschsprachigen muslimischen Leser - die doch bitte zur Kenntnis nehmen wollen, daß im voraufgegangenen Absatz auch eine karikierende Spitze gegen die christliche "Dreifaltigkeit" vorkommt - dürfen gerne weiter auf Foren wie Türkdunya (das bedeutet nicht einfach bloß "Türkenwelt", wie unbedarfte westliche Leser nach einem kurzen Blick ins Wörterbuch meinen könnten, sondern "türk" bedeutet zuallererst "tapfer", also das gleiche wie auf Arabisch "ħamās") und anderswo Gift und Galle gegen ihn spucken. (Aber nicht vergessen, Ihr Tapferen: Die Huris im Firdaus - von denen kürzlich ein Haßprediger aus Kairo jedem Martyrer für die gute islamische Sache Stücker 72 versprochen hatte - sind alle; wenn Euch also danach gelüstet, dann geht besser nach Kolonistan ins "Pascha" :-)


[Die Huris sind alle]

* * * * *

Nachbemerkung: Dikigoros legt Wert auf die Feststellung, daß er die letzten beiden Abschnitte lange vor Beginn des so genannten "Arabischen Frühlings" Anfang 2011 geschrieben und sie danach auch nicht geändert hat. Etwas mulmig ist ihm schon, wenn er daran denkt, daß vielleicht tatsächlich einer jener "war mongers" in Washington mitgelesen und - ihn gründlich mißverstehend - jene verhängnisvolle Politik gegenüber Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien eingeleitet haben könnte, die zur Machtergreifung islamischer Fundamentalisten (die neuerdings nicht mehr "Al qaida" genannt werden - obwohl letzteres "das Fundament" bedeutet -, sondern beschönigend "Salafisten") in ganz Nordafrika und Nahost führen wird, wenn das Steuer nicht noch ganz schnell und ganz radikal herum gerissen wird. Vielleicht hat Dikigoros sich nicht klar genug ausgedrückt? Also nochmal ganz langsam, zum Mitschreiben und Mitdenken: Die conditio sine qua non seiner o.g. Ausführungen ist der "big stick" gegen die Fundamentalisten - ohne den ist alles andere nicht bloß ein Fehler, sondern, um einem bekannten französischen Politiker des 19. Jahrhunderts das Wort im Munde herum zu drehen, ein Verbrechen!


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