A. E. JOHANN (1901-1996)
Adolf (seit 1945: Alfred) Ernst Johann Wollschläger
"Je unwahrscheinlicher und merkwürdiger die Geschichten klingen,
desto sicherer mag indes der Leser davon überzeugt sein,
daß sie sich so und nicht anders abgespielt haben . . .
Denn erfinden kann man nur Wahrscheinliches;
das Unwahrscheinliche - passiert . . ."


[A. E. Johann 1985]
[A. E. Johann Unterschrift 1985]

(FORTSETZUNG VON TEIL II)

Dann machte sich A. E. Johann daran, seine alten Reise-Bücher umzuschreiben und ihnen - wie sich selber - eine Namensänderung zu verpassen. Alle verfänglichen Passagen wurden gestrichen, geglättet oder durch nette Harmlosigkeiten ersetzt. Das große Afrika war bereits während der ersten neun (!) Auflagen von 573 Seiten 1939 auf 399 Seiten 1957 abgemagert. Dafür mochte es gute Gründe geben - vielleicht hatte sich ja inzwischen so vieles so grundlegend geändert, daß weite Passagen tatsächlich überholt waren? Nein, eigentlich nicht: die alten Kolonialherrschaften hatten noch Bestand; erst 1957 wurde die Goldküste ("Ghana") in die "Unabhängigkeit" entlassen, ein Jahr später Französisch-Guinea. 1960 folgten weitere anderthalb Dutzend Staaten, und in den folgenden drei Jahren noch einmal ein halbes Dutzend - nun war "Groß ist Afrika" wirklich überholt, und es war an der Zeit, auch hinsichtlich der lieben Negerlein umzudenken. A. E. Johann, nicht faul, machte sich - zusammen mit "Wanda", seinem VW-Bus - auf den Weg: 14 Monate lang gurkte er knapp 50.000 km durch Afrika (1939 waren es "nur" 1.600 km gewesen, da ihn die Franzosen damals nicht in ihre Kolonien einreisen ließen - wohl aber die Portugiesen und Belgier, für deren Kolonial-Politik er anerkennende Worte fand), und als er wieder zuhause war, schrieb er ein neues Buch: "Afrika gestern und heute. Europas dunkle Schwester". Es war wieder - oder immer noch, der Verlag bezeichnete es einfach als "10. Auflage" von "Groß ist Afrika" - Karl Haushofer gewidmet (und durch die Hintertür des Vorsatzes lugte boshaft ein Zitat von Cecil Rhodes, das man nicht verbieten konnte, denn Rhodes war ja Vorkämpfer und Vertreter einer "demokratischen" Siegermacht des 2. Weltkriegs: "Gleiche Rechte für alle zivilisierten Menschen"); aber davon abgesehen hätte man meinen können, daß hier zwei verschiedene Autoren mit völlig entgegen gesetzten Erfahrungen und Meinungen am Werk gewesen wären, oder daß A. E. Johann einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen wurde. Dikigoros will Euch mit Details verschonen; aber in "Groß ist Afrika" bemühte sich A. E. Johann, "die Unterschiede zwischen Negern und Niggern" zu erklären, ferner darzulegen, weshalb Deutschland unbedingt seine afrikanischen Kolonien zurück haben müsse, und er schloß mit dem Fazit: "Unkontrollierte und leichtfertige Intellektualisierung der Schwarzen schafft nicht nur endlose Schwierigkeiten für die weißen Herren, sondern verdirbt und zerstört auch das Beste im schwarzen Menschen!" (Frei nach "Mein Kampf", und wie dort mit dem Hinweis auf Indien, der sich anders kaum ableiten läßt - wenigstens einer, der es aufmerksam gelesen hat, alle anderen Deutschen hatten es ja angeblich nur ungelesen im Schrank herum stehen :-)

In "Afrika gestern und heute" behauptet A. E. Johann dagegen, daß es auf den Unterschied der Hautfarbe gar nicht ankomme, daß vielmehr "weiß ist, wer was kann", und daß die Afrikaner - die ja alle "weiß werden wollen" - das durch fleißiges Schulbankdrücken auch bald lernen könnten. Er schließt mit den Worten: "Wo sich der Drang, zu lernen, der Hunger nach Wissen so stark und beständig erweist, wie unter der Jugend Afrikas, da braucht Europa nicht um seine geistige Macht und Beständigkeit zu bangen... Für Europa und gerade auch für uns Deutsche bietet das schäumend schnell sich entfaltende Afrika noch ganz unabsehbare Möglichkeiten. [Ja ja, Träume sind Schäume, Anm. Dikigoros] Aber wir müssen sie erkennen, müssen begreifen, daß es großartige und wichtigere Perspektiven gibt als die einer nur innerdeutschen Politik. Afrika bleibt eine gesamteuropäische Aufgabe." Wo hatte der Mann bloß 14 Monate seine Augen gehabt? Natürlich auf der Landstraße - das kommt davon, wenn man alleine im Auto durch die Gegend fährt statt in öffentlichen Verkehrsmitteln, wo man Menschen trifft - womöglich gar schwarze -, die einem die Augen öffnen könnten. (Aber das hatte A. E. Johann in Afrika stets vermieden. Kleine Kostprobe aus der 1. Auflage von "Groß ist Afrika" gefällig? Bitte sehr: "In Kapstadt gibt es keine strenge Trennung zwischen Weiß und Farbig. Neger und Weiße jeder Herkunft fahren in Omnibussen und Straßenbahnen friedlich durcheinander. Das ist nicht immer sehr erfreulich - für die Weißen natürlich. Deshalb kaufen sich auch alle Weißen Autos, darunter viele deutsche Marken. Ich habe mir aber sagen lassen, daß nur ein kleiner Teil bar bezahlt sei. Die Autohändler müssen also unter Umständen dafür bluten, daß man in den Straßenbahnen keine getrennten Sitzplätze für Weiß und Farbig einführen will. Mit den Farbigen hat man auch sonst genug Ärger. In einen bestimmten Kapstädter Stadtbezirk wagt sich nachts selbst die wohlbewaffnete Polizei nur zu zweien oder im Panzerauto. Da wohnen Mischlinge, licht- und arbeitsscheues Gesindel, mit dem nicht gut Kirschen zu essen ist. Das Leipziger Allerlei aus Negern, Buschmännern, Malaien, Hottentotten, Chinesen und Weißen ist nicht gerade sehr gut geraten." [Was hat er nur gegen Leipziger Allerlei? Dikigoros findet, daß das ein schlechter Vergleich ist, denn Erbsen, Karotten und Spargel oder Blumenkohl passen ganz ausgezeichnet zusammen.]) Zu diesem Buch kann man nur sagen: "[Farben]blind, blinder, A. E. Johann". Oder durfte er nicht [mehr] hinsehen? War die "politische Korrektheit" 1963 schon so weit fortgeschritten, daß die von oben verordnete Weltanschauung das Anschauen der Welt ersetzte? Kaum. Dikigoros erinnert sich noch genau, wie er damals auf Klassenfahrt einen neuen Text auf das alte Lied vom Negeraufstand in Kuba lernte - die UNO war gerade dem unabhängigen Katanga (von dem A. E. Johann noch hoffte, daß es sich mit Hilfe der belgischen Fallschirmjäger würde halten lassen, er konnte die Korrekturfahnen nicht mehr ändern) in den Rücken gefallen, das Morden erreichte einen neuen Höhepunkt:

Negeraufstand ist im Kongo, Schüsse peitschen durch die Nacht,
In den Straßen von Katanga werden Weiße umgebracht.
Humbahumbuassa... usw.
[Wer sich für den vollständigen Text interessiert, kann ihn hier nachlesen.]

Was liest Dikigoros da in einem bekannten Internet-Forum: "Wie kann man nur so ein böses, rassistisches Lied...?" Pardon, liebe Neger, und pardon, liebe Leser, die Ihr Euch als "Anti-Rassisten" fühlt - nichts von dem, was da besungen wird, ist erfunden, vielmehr hat sich all das im Kongo - und später noch in vielen anderen Ländern Schwarz-Afrikas - genau so abgespielt. Das ist die Wahrheit. (Wer das nicht glaubt, kann es z.B. bei V. S. Naipaul nachlesen.) Und wenn es Rassismus ist, die Wahrheit zu sagen, dann ist Dikigoros auch Rassist (wofür ihn manche ja ohnehin schon halten - zumeist solche, die seine "Reisen durch die Vergangenheit" nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit gelesen haben :-). Und was das Liedchen anbelangt, so stammt es aus der damals noch millionenfach verbreiteten "Pfadfinderbibel" Die Mundorgel, wohlgemerkt aus der alten Auflage von 1953, die ihre Herausgeber aus noch älteren Liedersammlungen wie "Der Helle Ton", "Wachet auf", "Eisbrecher" und "Kilometerstein" zusammen geklaut hatten. Erst in der Neuauflage von 1968 wurden dieses und andere "faschistoïde" Lieder von der Zensur - pardon, die gibt es ja in der BRD gar nicht -, wurden sie freiwillig gestrichen und durch neue, "demokratische" Lieder setzt. Seitdem ist Die Mundorgel freilich aus den Bestsellerlisten verschwunden. Die Herausgeber trösten sich damit, daß das nichts mit dem veränderten Inhalt des Liederbüchleins, sondern mit dem "Zeitgeist" zu tun habe: Es gibt keine Maikäfer mehr, pardon es gibt keine Pfadfinder mehr. Das ist doch völlig "out", in einer Gruppe junger Leute durchs eigene Land zu reisen, womöglich mit Zeltlager und altmodischer Lagerfeuer-Romantik: Nein, wenn schon in der Gruppe, dann nur zum Ballermann oder ähnlich "hippen" Reisezielen, und nachts in die Disco, da braucht man nicht mehr selber zu singen, und die Texte der Geräusch-Kulisse versteht eh niemand mehr. Stimmt, lieber Leser, der Zeitgeist hat sich gewandelt - fragt sich nur, was Ursache und was Wirkung ist: Erst als die alten Lieder verboten wurden, ist auch der Spaß am selber Musizieren und am selber Singen verloren gegangen. Und Verstärker und Lautsprecher haben die Gruppe ersetzt. Aber dies nur am Rande, auch damit Ihr seht, wie ungewöhnlich es damals noch war, daß jemand wie A. E. Johann allein in der Weltgeschichte herum reiste, dazu noch in so exotische Länder wie den Kongo.

[Exkurs. A propos Zeitgeist: A. E. Johann und die Herausgeber der "Mundorgel" waren nicht die einzigen, die ihm damals - auf Kosten der Wahrheit - ihre Bücher anpaßten: Auch die einst beliebten "Lurchi"-Hefte des Schuhauses Salamander wurden in den späten 1960er Jahren auf "politisch korrekt" getrimmt. Wenn Lurchi in Afrika auf fette, rassistische (und barfüßige :-) Menschenfresser traf, dann hieß es dazu nun nicht mehr: "In dem Lande wo die Mohren kurzerhand Gefang'ne schmoren, ist es ratsam schwarz zu sein...", sondern: "Lurchi reist durch Afrika, seht nur hin, er ist schon da." Exkurs Ende.]

Aber nicht nur durch Afrika reiste der Lurch, pardon das Chamäleon A. E. Johann wieder, sondern auch in die USA; und dabei wurde aus dem "Land ohne Herz" von 1942 "Der große Traum Amerika" von 1965 - gewidmet "dem Andenken meines treuen Freundes Dr. Ossip S. Bernstein"! A. E. Johann war ja schon immer ein Feind aller Nazis und ein Freund aller Juden gewesen, spätestens seit ihm der Kritiker Süskind 1929 seinen ersten Roman "Die innere Kühle" zerrupft hatte (übrigens völlig zurecht, Dikigoros hätte die Rezension nicht besser schreiben können :-). Aber A. E. Johanns "Freundschaft" zu den Juden ist wohl schon etwas älter; wer sich dafür interessiert, der lese die letzten Kapitel - ab 47 - von "Im Strom", und bitte in der Originalausgabe von 1941, in der sich auch das Bekenntnis findet zu "den Bezwingern des Separatismus und Spartakismus, den Helden, die vor der Feldherrnhalle gefallen waren, und den 'Fememördern', die das Recht in ihre eigenen harten Soldatenhände nahmen, da ihnen anderswo keines wurde." Egal, A. E. Johann wollte halt wieder in die USA und nach Kanada reisen, und er hätte wohl kein Visum erhalten, wenn er sich weiterhin abfällig über diese Länder und ihre Juden geäußert hätte. Es folgten harmlose - man könnte fast sagen langweilige - Bücher über Reisen im Auto über die Highways wie "Nach Kanada sollte man reisen", "Westwärts nach Oregon" und noch ein paar andere, die alle bei weitem nicht an seine früheren Werke heran reichten. [Dikigoros hat nach Lektüre des erstgenannten Buches seine erste Reise nach Kanada unternommen und war irgendwie enttäuscht, obwohl er heute im Rückblick froh ist, daß auch er A. E. Johanns kanadische Lieblingsstadt Vancouver noch als "große, schöne Hafenstadt" mit vielen Parks und bunten Ausländervierteln kennen gelernt hat, bevor es zu einem kalten Moloch mit gesichtslosen Wolkenkratzern geworden ist, der sich kaum noch von anderen Großstädten Amerikas unterscheidet. Wenn er A. E. Johann um etwas beneidet, dann um das Sehen dieser schönen alten Städte rund um den Pazifik, vor allem der japanischen, bevor sie im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs untergingen und als Abbilder der US-Metropolen wieder aufgebaut wurden.]

Noch viel entlarvender als A. E. Johanns späte Amerika-Bücher ist indes seine Einstellung zur Sowjet-Union, die zeigt, daß er seine alten Überzeugungen eben doch nie ganz aufgegeben hatte: An der kommunistischen Ideologie hatte ihn ja vor allem die "Verteilungs-Mentalität" gestört, von wegen "jedem nach seinen Bedürfnissen"... Genau die hielt er jetzt für einen Nachteil der kapitalistischen "Wohlfahrts-Staaten": Heere schmarotzender Beamte und Rentner, die nichts (mehr) produzierten als bedrucktes Papier, mit ebensolchem zu entlohnen, das bald nichts mehr wert sein konnte. Dagegen schätzte er nun an der Sowjet-Union - die in der Praxis längst mit dem Schluß gemacht hatte, was einige Theoretiker noch immer unter "Kommunismus" verstanden - das, was ihm früher am Dritten Reich so gefallen hatte: die staatlich gelenkte, zentrale Planwirtschaft, die erst etwas unters Volk verteilte, wenn es erarbeitet worden war, die "viel härtere Arbeit verlangt, viel bescheidenere soziale Errungenschaften [er setzte diese beiden Wörter in Anführungsstriche, da er sie nicht wirklich als solche betrachtete] anbietet, die Löhne diktiert, viel mehr von dem Mehrwert, den die Arbeitenden erarbeiten, einbehält, als je ein Kapitalist heutzutage wagen dürfte, mit einem Worte: den Leuten und Völkern das abzwingt, wozu sie freiwillig und unter freier Verfassung nicht bereit waren - sich nämlich groß zu hungern, groß zu arbeiten, groß zu sparen." Das schrieb jemand, der gerade aus Japan kam und dort gesehen hatte, daß das sehr wohl auch auf freiwilliger Basis ging - und nur auf freiwilliger Basis, denn in der Sowjet-Union und ihren Satelliten-Staaten ging es mit der Zwangs-Methode ja eben nicht! Daß die sowjetische Nomenklatura weit größere Bedürfnisse hatte als ihre Untertanen je befriedigen konnten, und daß die Ostblock-Staaten deshalb immer mehr auf Pump beim Klassenfeind lebten, sah er nicht - konnte er vielleicht noch nicht sehen, denn damals war die Verschuldung ja noch nicht so hoch wie vor ihrem Zusammenbruch; und die Erkenntnis, daß das mit "Rubl" bedruckte Papier bald nichts mehr wert sein konnte, kam ja auch anderen Zeitgenossen erst einige Jahrzehnte später - als es zu spät war.

Wie schlecht in der Sowjet-Union tatsächlich geplant und gearbeitet wurde, sah A. E. Johann nicht - wollte es auch gar nicht (mehr) sehen; schließlich würde auch im Westen nicht jeder gestresste Manager für jeden daher gelaufenen Besucher seine Fabrikhallen öffnen, schrieb er dazu sinngemäß. Er war halt nicht mehr der junge Spund mit offenen Augen, der 30 Jahre zuvor einfach seinen Bewachern ausgebüchst war und auf eigene Faust in Bergwerken gearbeitet und bei Arbeitskollegen gehaust hatte; er war nun der bekannte Reiseschriftsteller, dem man gerne Sand in die Augen streute und der sich das auch bereitwillig gefallen ließ. Sein Fazit: Der europäisch-amerikanische und bald auch der sowjetische Lebensstil, der für die ganze Welt (!) zur Leitidee geworden ist, wird überall zum erfolgreichen Kampf gegen Elend, Hunger und Schmutz führen; und Unterschiede (Johann schreibt "Diskriminierungen") aufgrund der Rasse, der Hautfarbe oder der Herkunft wird es nicht mehr geben. (20 Jahre zuvor hatte A. E. Johann noch geschrieben, "daß dies amerikanische System nicht wert ist, den Krieg zu gewinnen und sich über die ganze übrige Welt auszubreiten, daß es nicht lohnt, in amerikanischen Verhältnissen noch etwas Erstrebenswertes zu sehen. Käme der Amerikanismus über die Welt, er würde den Untergang aller menschlichen Würde und echter Freiheit - der Freiheit 'zu etwas', nicht 'von etwas' - bedeuten, aller Werte, für die das Abendland seit tausend Jahren gekämpft, gelitten und sich mit allen Kräften des Leibes und der Seele gemüht hat.") A. E. Johann glaubte auch, "daß in 50 Jahren das Problem Kommunismus-Kapitalismus längst uninteressant geworden ist." (Mit der Prognose hatte er mal Recht - allerdings aus ganz anderen Gründen als er geglaubt hatte.) Noch zwei Dinge imponierten ihm: "daß an gutem Wodka in der Sowjet-Union kein Mangel herrscht", und daß die Sowjets die "Lösung aller Rassenprobleme" gefunden hätten: "Über 60 nationale Gruppen und Völkerschaften" lebten friedlich nebeneinander... A. E. Johann wurde alt, sehr alt - vielleicht zu alt, um die sich rapide verändernde Welt noch zu verstehen. Aber den Zerfall der Sowjet-Union sollte er noch miterleben, und auch, wie "friedlich" die über 60 Völkchen dort sich anschließend in die Haare gerieten... Und noch etwas sollte er miterleben: das westliche Gegenstück zur SU, die EU und ihre Agrarpolitik. Darf Dikigoros noch einmal aus einem seiner Bücher zitieren, die Klage eines Farmers über die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre: "Uns zahlen sie Prämien für Weizen, den wir nicht anbauen, für Mais, den wir nicht pflanzen, für Vieh, das wir nicht züchten. Und was wir doch noch lieferen, das stapeln sie in den Lagherhäusern auf, hinter verschlossenen Türen. Aber vor den Türen verhungern die Leute. Millionen haben nicht genug zu essen, weil die Regierung nichts dagegen tut, daß die Milch in die Straßengräben gegossen und das Obst einfach einen Berghang hinunter geschüttet wird, damit es verfault." Was muß A. E. Johann empfunden haben angesichts der von Brüssel subventionierten Milchseen und Butterberge der 1970er Jahre und der gleichzeitigen Hungersnöte in der Dritten Welt, die er so fleißig bereist hatte? Und zwar ganz speziell ihrer hungernden Teile, so speziell, daß sein spanischer Verleger die Übersetzung der "großen Weltreise" unter dem Titel "Viaje al fondo del hambre [Reise auf den Grund des Hungers]" veröffentlichte?

Zwischendurch schrieb A. E. Johann "Menschen an meinen Wegen"; und da ihm dieses Thema ein ganzes Buch wert war, will Dikigoros ihm wenigstens einen längeren Exkurs widmen. Was waren das für Menschen? A. E. Johann mokierte sich einmal über sie unter dem Stichwort "Weltreise-Zirkus": "Auf den großen Dampferrouten über die Weltmeere, in den mächtigen Hotels, wo sich alles trifft, was weltreist, in der Nähe der berühmten Sehenswürdigkeiten, die der Baedeker mit drei Sternchen hervorhebt - dort trifft man sie, die Leute, die aus Langerweile mit einem Überfluß an Geld und Zeit in der Weltgeschichte herum gondeln, jene Zeitgenossen, die keinen Hafen anlaufen, ohne andenkenbeladen wieder an Bord zurückzukehren... Sie machen sich gar kein Gewissen daraus, von einem Dach im Sommerpalast bei Peking einen der goldgelben Ziegel abzubrechen, die in vergangenen Zeiten allein der Kaiser von China auf seinen Häusern verwenden durfte, sie halten es für eine Heldentat, von jedem Schiff einen Teelöffel mit dem eingravierten Schiffswappen 'zur Erinnerung' zu stehlen. Aber am sichersten sind sie daran zu erkennen, daß sie mit ebensoviel Ausdauer wie Mangel an Talent alles, was nicht niet- und nagelfest ist, fotografieren. Es blieb mir ein ganz ungelöstes Rätsel, warum dasselbe Leipziger Allerlei [s.o., Anm. Dikigoros] von Menschen auf jeder Fahrt sich wiederholt." Hm... das mag daran liegen, daß A. E. Johann - zumal in späteren Jahren - halt auch immer wieder denselben ausgelatschten Pfaden folgte. Vor dem Krieg war er mit einem ganz bestimmten Ziel los gefahren, nämlich um über die Lage der deutschen Auswanderer zu berichten - die meist auch nicht viel rosiger war als die der daheim gebliebenen. Wann immer er irgendwo in der Welt Deutsche traf, freundete er sich mit ihnen an und schrieb über ihre Lebensgeschichte. Dagegen ist nichts zu sagen, es ist sogar gut so; aber dabei riskiert man natürlich, über die bereisten Länder recht einseitig und nicht immer zutreffend informiert zu werden. Dikigoros hat die Kontakte zu seinen Landsleuten im Ausland nie gesucht, und da er für gewöhnlich auch ihnen nicht als Landsmann auffällt, hat es dabei sein Bewenden.

Weiß Dikigoros denn eine bessere Methode, um durch die Welt zu reisen? Ja, und er folgt darin dem holländischen Schriftsteller Simon Carmiggelt, der einmal sinngemäß schrieb: Wenn man fremde Länder und Völker kennen lernen will, soll man die Kirchen nicht besichtigen, wenn sie leer sind, sondern sie während eines Gottesdienstes besuchen, nicht ins Ausländer-Restaurant essen gehen, sondern morgens auf den Wochenmarkt zum Einkaufen, nicht im Sightseeing-Bus mit anderen Touristen durch die Städte gurken, sondern mit den Einheimischen, wenn sie abends in der Rush-hour von der Arbeit heim fahren... Dazu gehört auch, daß man nicht ständig mit einer Kamera herum läuft (Dikigoros hat auf seinen Reisen nie eine mit) und ungeniert alles abknipst, was einem vor die Linse kommt. Diesen letzten Punkt haben die meisten Reiseschriftsteller nie akzeptiert, nicht einmal Colin Ross, der die Gedanken Carmiggelts 1925 in "Heute in Indien" eigentlich schon vorweg genommen (aber eben nicht konsequent beherzigt) hatte: Er hatte auf Reisen immer seine "Mentor" dabei (eine der ersten Spiegel-Reflexkameras), und A. E. Johann seine "Bessamatic" - Wertarbeit made in Germany, das in Sachen Fotografie einmal weltweit führend war, nicht nur mit jenem Flaggschiff aus dem Hause Voigtländer, sondern auch mit den Produkten von Agfa, Leitz, Rollei, Steinheil oder Zeiss. Und Johanns Fotos sind nicht einmal uninteressant: Sie zeigen ihn schon mit Mitte 30 als vorzeitig gealterten Dickbauch mit Halbglatze. Dikigoros geht noch weiter: Er fährt in Bahnklassen, die sonst nur Einheimische benutzen; und wenn ein Zug Verspätung hat, dann setzt er sich nicht in den Wartesaal und jammert herum, sondern sucht den Stationschef auf und läßt sich von dem den Grund erklären (oder amüsiert sich über dessen faule Ausrede). Er übernachtet in Hotels und speist in Restaurants, wo er der einzige Ausländer ist, so daß sich sein Kontakt zu Einheimischen nicht auf Angehörige der Dienstleistungsbranche, wie Portiers, Zimmermädchen und Kellner beschränkt, sondern auch auf andere Gäste erstreckt. Und er folgt dem Rat Carmiggelts, keine alten (oder neu wieder aufgebauten) Ruinen zu besuchen, sondern lieber Gebäude, in denen die Menschen heute leben und arbeiten: Wenn er an einem Schachclub vorbei kommt, geht er hinein und spielt mit. Wenn er an einem Gericht vorbei kommt, geht er hinein, wohnt der Verhandlung bei und lädt sich hinterher bei einem Kollegen zum Tee ein. Ebenso wenn er einen Architekten an einer Baustelle oder einen Geschäftsmann oder sonst irgendwelche ihm interessant scheinenden Personen trifft. Ihr meint, liebe Leser, das ginge nicht so ohne weiteres? Das geht doch - als Ausländer hat man fast überall auf der Welt Narrenfreiheit. (Außer natürlich in West- und Mitteleuropa - aber wer ist schon so blöd, dort Urlaub zu machen :-) Die meisten Leute sind neugierig und freuen sich über jeden, der sie in Anspruch nimmt. (Auch das ist ein Stück "Freiheit" - die es z.B. in den USA noch heute gibt, auch wenn A. E. Johann sich davon wohl nichts hätte träumen lassen.) Gewiß, Dikigoros mag seine Sprachbegabung vieles erleichtern (wie schrieb A. E. Johann einmal: "Wer zwei Sprachen kann, der lebt doppelt, und wer drei beherrscht, sogar dreifach!"), während es für jemanden, der die Landessprache nicht versteht, wenig Sinn macht, in ein Kino, ein Theater oder eine Oper für Einheimische zu gehen, wo er kein Wort versteht. Aber wer Kontakte mit Einheimischen knüpfen will, braucht dazu keine perfekten Sprachkenntnisse, sondern nur etwas guten Willen und Aufgeschlossenheit, wie sein Freund Melone, der sich halt mit Händen und Füßen verständigte. Er war übrigens ein großer Fan von A. E. Johann, hatte alle seine Bücher gelesen, benutzte die gleiche Kamera und sogar das gleiche alte Koffer-Modell - weil er nicht als "Rucksack-Tourist" herum laufen wollte (wie Dikigoros es früher tat) und aus Prinzip keine amerikanischen Hartschalenkoffer kaufte (wie Dikigoros sie heute auf Reisen mit sich führt). Exkurs Ende.


        Melones "Bessy"                                             A. E. Johanns Koffer                                       A. E. Johanns Bessamatic

1964 - zwei Jahre nachdem das Militär in Barmā (oder wie es einige schreiben, Burma) erfolgreich geputscht und eine "sozialistische" Diktatur errichtet hatte - schrieb A. E. Johann "Gewinn und Verlust", ein Buch, aus dem kaum jemand so recht schlau geworden ist, auch Dikigoros nicht, jedenfalls nicht auf Anhieb. Es schildert die Irrungen und Wirrungen eines deutschen Geschäftsmannes, der nach Thailand und Barmā reist (genauer gesagt nur nach Bangkok und Rangūn), um Teakholz einzukaufen, das infolge der Verstaatlichungen in Barmā sowie des Raubbaus und des Elefantensterbens in Thailand allmählich knapp zu werden droht. Die Kritiker meinen, daß ihm dabei "Soll und Haben" zum Vorbild gedient habe, Gustav Freytags erfolgreichster Roman (ob es auch sein bester war, wie einige meinen, vermag Dikigoros nicht zu beurteilen - er hat die anderen nicht gelesen, obwohl man inzwischen auch "Ingo und Ingraban" kostenlos aus dem Internet herunter laden kann -; aber ihm erscheint das Deutschland der 1830er Jahre, das darin beschrieben wird, exotischer als das Thailand der 1960er Jahre, das A. E. Johann in "Gewinn und Verlust" beschreibt), dessen Lektüre im Original heute ob seiner anti-semitischen Tendenzen für brave Gutmenschen tabu ist. Dikigoros glaubt das nicht; er vermutet vielmehr, daß es sich - wiewohl A. E. Johann im Nachwort einmal mehr das Gegenteil beteuert - um die wahre, nur leicht verfremdete Geschichte einer seiner Reise-Bekanntschaften handelt; er hat nur noch nicht heraus bekommen, um wen. (Die Entdeckung, daß "Emasholz" - Goldholz, von Bahasa "kayu [e]mas", wächst heute vor allem auf Java, in Australien und Brasilien - sich beim Furnier als Ersatz für Teakholz eignet, könnte just in jener Zeit gemacht worden sein.) Aber wenn es denn doch nur ein Roman war, dann hatte er ein ganz anderes Vorbild - A. E. Johann nennt es sogar, man liest nur leicht darüber hinweg -, nämlich "The Ugly American [Der häßliche Amerikaner]" von Lederer und Burdick, das gerade zwei Jahre zuvor auch auf den deutschen Büchermarkt gekommen war. Es ist ganz offensichtlich, daß A. E. Johann hier die Frage zur Diskussion stellt, wer in erster Linie schuld daran ist, daß die Businessmen aus USA in Südostasien so verhaßt sind: sie selber mit ihrem mal großkotzigen, mal hemdsärmeligen Auftreten oder vielmehr die Fremdenfeindlichkeit der Asiaten, insbesondere der gerissenen Chinesen. Lange sieht es so aus, als würde A. E. Johann der letzteren Alternative zuneigen - ein betrügerischer Chinese legt seinen Helden herein und bringt die Firma, für die er arbeitet, an den Rand des Ruins, während der nette US-Kollege ihn noch gewarnt hatte. Aber dann hilft ihm der alte, anständige Vater (ein honoriger Geschäftsmann mit Deutschkenntnissen :-) des chinesischen Betrügers höchstpersönlich wieder aus der Patsche, und der nette Onkel aus Amerika hat nur so edel gehandelt, weil er deutscher Abstammung ist und den "american way of life" im Grunde seines Herzens ablehnt; und das ist ja auch die Meinung, der heute mehr denn je die meisten Nicht-Amerikaner in aller Welt zuneigen.

Darf Dikigoros dennoch den advocatus diaboli spielen? Ja, er darf, denn er selber ist mit den Asiaten immer gut ausgekommen und sie mit ihm - dennoch vertritt er die zweite Alternative. Es stimmt, daß "die" Amerikaner eine etwas oberflächliche Art haben, sich mit anderen Menschen auseinander zu setzen und damit Betrugsversuche provozieren, wie sie die Asiaten so lieben - besonders gegenüber Fremden. (Was nicht bedeutet, daß die ach-so-tiefschürfende Art der Deutschen sie vor solchen Betrugsversuchen zuverlässiger schützen würde.) Denn wechselseitige Verpflichtung aus einem Geschäft gibt es bei ihnen nicht (deshalb wickeln sie ihre Geschäfte vorzugsweise mit Verwandten ab - da verpflichten die Blutsbande zur Ehrlichkeit): Die Götter geben, und die Götter nehmen, da hat der Geschäftspartner nichts mit am Hut - wenn die Götter ihm einen Fremden in die Hand geben wäre es Sünde, das nicht auszunutzen. (Dikigoros erspart sich an dieser Stelle lange Ausführungen darüber, daß es in den asiatischen Sprachen den Begriff der wechselseitigen Verpflichtung in unserem "vertragsrechtlichen" Sinne gar nicht gibt, während es entgegen im Westen weit verbreiteter Meinung ein Äquivalent der "Sünde" durchaus gibt - glaubt es ihm einfach oder laßt es und macht Eure eigenen Erfahrungen.) Respekt und ehrliches Handeln gewinnt den Asiaten nur ab, wer sie durchschaut hat und ihnen das unmißverständlich klar macht. Dikigoros hat sie durchschaut, deshalb ist die folgende Passage aus "Gewinn und Verlust" über Thailand und die Thais Wasser auf seinen Mühlen. (In ein paar Punkten muß er doch mal mit A. E. Johann überein stimmen, sonst würde er ihn ja nicht zu den "großen Reiseschriftstellern des 20. Jahrhunderts" zählen :-) "Ein liebenswürdig heiteres Volk, ein paradiesisches Klima, eine überschwengliche Fülle von Schönheit für Augen und Herz, golden strahlende Pagoden, unabsehbare Ebenen, auf denen smaragden und üppig der Reis wächst, zierliche Mädchen und bunte Tänze, Elefanten und Wasserbüffel, lautlos gleitende Boote auf tief beschatteten Flüssen und Kanälen, Tempelglocken und Tempelbogen und das leise Geknister siamesischer Seide - solches hat er nach all seiner eifrigen Lektüre erwartet. Wo ist es?" Die Frage stellen heißt sie beantworten - man soll eben nie mit allzu hohen Erwartungen in ein fremdes Land reisen, sonst wird die Enttäuschung unausweichlich. Aber den meisten Thailand-Reisenden von heute reichen ja die "zierlichen Mädchen", und die gibt es dort tatsächlich - wenngleich nicht mehr in der reichhaltigen Auswahl von damals, als dem Helden der Geschichte schon am ersten Abend nach der Ankunft ein zwielichtiger Franzose wahlweise "Japanerinnen, Chinesinnen, Malayinnen, Burmesinnen und Inderinnen" anbietet. Doch er bleibt standhaft. Was hat er davon? Seine deutsche Ehefrau, die er nachholt, - eine ehemaliges Mannequin (A. E. Johann schreibt auf gut Deutsch "Vorführdame"), "sehr hübsch, hyperelegant, hochmütig, strohdumm und gierig, genau wie viele Amerikanerinnen", das "vorläufig" keine Kinder will und am liebsten den ganzen Tag vor dem Spiegel säße, um sich zurecht zu machen und zu "repräsentieren" - läuft ihm davon, als ihm seine Firma, die kurz vor dem Konkurs steht, das Gehalt kürzt, und wirft sich einem reichen chinesischen Geschäftsmann an den Hals; der Held hat aber Glück: er findet Ersatz in der Tochter des besagten Amerikaners deutscher Abstammung, die noch die alten Tugenden der treudeutschen Frau verkörpert (und auch nicht auf sein Gehalt angewiesen ist, denn ihr Papi ist ja Millionär). Ende gut, alles gut - der letzte Satz des Romanhelden spricht so manchem Drittwelt-Reisenden aus der Seele: "Ich bin froh, wieder einmal in einem deutschen Bett zu schlafen."

Exkurs. Wirklich "Ende gut, alles gut?" Ach, liebe Leser, die Geschichte hat nie ein "Ende", und nichts ist "endgültig" - wenngleich man das so oft leichtfertig geschrieben sieht. Wie fern ist uns das alles heute schon geworden: Deutsche Kameras? Deutsche Möbelfabriken? Teakholz und Goldholz sind längst aus unseren Wohnzimmern und Gärten verschwunden, nicht etwa, weil sie in ihren Ursprungsländern knapp geworden wären oder weil die Mode sich geändert hätte, sondern weil die rot-grünen Gutmenschen meinen, sie uns verbieten zu müssen, aus Gründen eines falsch verstandenen Umweltschutzes. Die Umweltschützer begreifen nicht, daß ein Wald nur so lange auf Schutz rechnen kann, wie sich das wirtschaftlich rentiert, weil er absetzbare Produkte liefert - ebenso wenig wie die Tierschützer begreifen, daß bestimmte Tierarten nur überleben können, solange sie als Nutztiere verwendbar sind: Pferde, die nicht mehr zur Fuchsjagd verwendet werden dürfen, Arbeitselefanten, die keine Baumstämme mehr transportieren dürfen und Tiger, die nicht mehr im Zirkus auftreten dürfen, werden zwar in einigen Exemplaren "geschont", aber als Art sterben sie unweigerlich aus. [Milchkühen, Legehennen, Bratkapaunen, Mastschweinen, Schoßhunden, Drosophila, weißen Mäusen und den sprichwörtlichen Versuchs-Kaninchen wird dagegen nichts dergleichen passieren, jedenfalls nicht solange man sie in Konzentrationslagern, pardon "Ställen" und/oder Labors quälen darf und damit Geld verdient. Dikigoros will das nicht moralisch bewerten, liebe Leser, sondern Euch nur die Fakten aufzeigen; traurige Fakten, wenn Ihr so wollt, aber Fakten gleichwohl.] So wie in Ländern, wo Kinderarbeit verboten wird, die Arbeit nicht etwa den Erwachsenen übertragen wird (die sind viel zu teuer oder viel zu ungeschickt, etwa zum Teppichknüpfen, mit ihren großen Händen), sondern ganz verschwindet - und die "geschützten" Kinder können verhungern. [Habt Ihr mal (ver-)hungernde Dritte-Welt-Kinder gesehen, die um "Kinderarbeit" betteln? Life, nicht bloß im klinisch sauberen Fernseher mit salbungsvollem Kommentar des Reporters? Und habt Ihr mal gesehen, mit welchem Geschick z.B. in Indien kleine Jungen Autos reparieren? Davon könnte sich mancher "erwachsene" deutsche Azubi im 3. Lehrjahr als Kfz-Mechaniker mehrere dicke Scheiben abschneiden. Ihr meint, die wären unglücklich? Falsch: sie sind stolz darauf, Geld zu verdienen - und sei es noch so wenig -, um zum Unterhalt ihrer Familie beizutragen, ihrer Eltern, Großeltern und Geschwister, vor allem ihrer Schwestern, um ihnen die nie wieder gut zu machende Schande zu ersparen, in die Schule gehen und einen Beruf erlernen - und womöglich gar ausüben - zu müssen, statt, wie es ihnen gebührt, jung zu heiraten und viele Kinder zu gebären, die wiederum um "Kinderarbeit" betteln werden. Nein, Dikigoros will auch das nicht moralisch bewerten.] Oder so wie die Arbeitsplätze in den westlichen Ländern durch allzu viele "Schutzgesetze" nicht gesichert, sondern im Gegenteil vernichtet bzw. vertrieben werden, in Länder, wo es keine Mindestlöhne, keinen "Kündigungschutz" (der in Wirklichkeit, d.h. von der Wirkung her, "Einstellungsschutz" heißen müßte, da er verhindert, daß noch jemand die solchermaßen "Geschützten" einstellt), keine Mitbestimmung, keinen bezahlten Urlaub, kein Weihnachtsgeld und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt. (Was läßt A. E. Johann die Chef-Sekretärin in "Gewinn und Verlust" sagen: Wenn die Gewerkschaften weiter auf Lohnerhöhungen bestehen, gehen erst einzelne Arbeitsplätze verloren, und am Ende macht der ganze Betrieb pleite; dann stehen wir alle auf der Straße.) Nein, nicht nach Barmā oder Thailand - aber was aus diesen beiden Ländern geworden ist, hätte sich A. E. Johann bestimmt nicht träumen lassen: An der politischen Lage hat sich in den letzten vier Jahrzehnten kaum etwas geändert - wohl aber an der Wirtschafts-(und damit auch an der Sozial-)struktur: Wo früher Teak und andere Edelhölzer von Barmā über die Grenze nach Thailand geschmuggelt und von dort in alle Welt verhökert wurden, werden heute, da die Verwendung dieser tropischen Edelhölzer im Westen geächtet ist, junge Mädchen als Prostituierte in die thailändischen Puffs verkauft (für die thailändischen Männer, denn die thailändischen Mädchen arbeiten lieber in den Etablissements für ausländische Männer mit harter Valuta, die extra anreisen, weil sie sich den strengen "Schutzgesetzen", die den Verkehr bei ihnen zuhause regeln, nicht unterwerfen wollen - die AIDS-Industrie will ja auch leben!), und Rauschgift geht tonnenweise über die Grenze, um in alle Welt verteilt zu werden - davor schützen uns dann keine Schutzgesetze mehr, jedenfalls nicht wirksam. Die gutmenschlichen "Schützer" von Natur, Tieren, Wäldern, Kindern, Arbeitsplätzen usw. haben genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie vorgeben, erreichen zu wollen, und uns an den Rand des Ruins gebracht - wer schützt uns nun, da wir uns in einer Notwehr-Situation befinden, vor diesen unseren "Schützern"? A. E. Johann hat die Antwort nie schriftlich zu geben gewagt - wir müssen schon zwei Jahrhunderte zurück gehen, um ein passendes Zitat zu finden, bis zu Heinrich v. Kleist. Sucht es Euch selber, liebe Leser; es endet mit den Worten: "... das Weltgericht fragt Euch nach den Gründen nicht!" Exkurs Ende.

Dikigoros hat lange überlegt, wo er am besten einen weiteren, längeren Exkurs, nämlich über "Das Frauenbild A. E. Johanns und seine Wandlungen im Spiegel seiner Reisen um die Welt" (oder so ähnlich) unterbringen könnte; dann brachte ihn der Titel der Dissertation, den A. E. Johann in "Gewinn und Verlust" einer der weiblichen Gestalten anhängte, auf diese Stelle: "Der Wandel des Idealbildes der minniglichen Frau in der Literatur von Tacitus bis Weinheber". (Das soll lächerlich klingen; A. E. Johann fand studierte Frauen lächerlich, und er konnte es nie verwinden, daß aus seiner eigenen Promotion nichts geworden war, zumal ihm - anders als fast allen anderen auf dieser Reise durch die Vergangenheit vorgestellten Reiseschriftstellern und Reiseschriftstellerinnen - nie ein "Dr. h.c.", geschweige denn mehrere, ja nicht mal ein Adelsprädikat verliehen wurde :-) Natürlich hat man[n] ein anderes, stärker dem Wandel unterliegendes Frauenbild, wenn man viel in der Weltgeschichte umher gereist ist, als wenn man immer nur zuhause gehockt und nie etwas anderes "live" gesehen hat als die Mädchen aus der Nachbarschaft (nichts dagegen - vielleicht ist es sogar die bequemste Lösung, eine von denen zu heiraten) - das weiß Dikigoros nur zu gut aus eigener Erfahrung: Sein bevorzugter Frauentyp war zunächst der südländische - Spanierinnen, Lateinamerikanerinnen, Italienerinnen -, dann der [süd-]ostasiatische - Japanerinnen, Polynesierinnen, Sino-Malaiinnen -, und geheiratet hat er am Ende... eine Deutsche, die die Größe seiner Mutter, die Ansichten seines Vaters und die Haar- und Augenfarbe seiner Schwester hatte (und die hausfrauliche Fähigkeiten der letzteren, also praktisch null :-). A. E. Johann hat sich besonders drei Frauentypen gewidmet: der Amerikanerin, der Deutschen und der Japanerin, und ob Ihr es glaubt oder nicht: Er war Anhänger der Emanzipation - wenngleich er dieses Wort noch nicht gebrauchte. Dikigoros gebraucht es auch nicht gerne, weil er es für nichtssagend hält. Er sieht die Sache mehr von den Aufgaben her, die einer [Ehe-]Frau abverlangt werden. Die können durchaus unterschiedlicher Art sein (mal abgesehen vom Kinderkriegen, das muß - und kann - jede): die züchtig am Herd waltende Hausfrau, die liebevolle Bettgespielin und/oder die gebildete Begleiterin ihres Mannes, die mit ihm hinaus ins feindliche Leben zog. Ja was denn nun, "und" oder "oder"? Seht Ihr, liebe Leser[innen] - genau da liegt der Hase im Pfeffer (nein, nicht in der Sahnesauce!), denn früher, vor der Emanzipation, gab es sowohl im Osten wie auch im Westen so etwas wie Arbeitsteilung, und das Interessante daran war die völlig unterschiedliche Verteilung: Im Westen heiratete der Mann aus der Oberschicht vorzugsweise eine gebildete Gefährtin zum Repräsentieren (den Haushalt konnten Angestellte besorgen), der Mann aus der Unterschicht (der nicht zu "repräsentieren" brauchte) bevorzugt eine tüchtige Hausfrau, der Mann aus der Mittelschicht hatte die Wahl, welchem Muster er folgen wollte (als dritte Alternative konnte er darauf abstellen, ob die Frau eine ordentliche Mitgift mitbrachte oder eine gute Berufsausbildung, die es ihr ermöglichte, mit zu verdienen); ihre sexuellen Vergnügungen suchten sie dagegen allesamt zur Not außer Hause. In Japan war es genau umgekehrt: dort heirateten Männer aller Schichten die Bettgespielin (die hausfraulich nicht viel zu leisten brauchte, wie A. E. Johann einmal bemerkte, denn die Wohnungen waren klein, und zu kochen hatte sie auch nicht viel: außer dem täglichen Reis, der leicht zuzubereiten war, wurde überwiegend Rohkost gegessen); wenn Japaner eine Frau für geistig anregende Gespräche oder zum Repräsentieren - oder auch nur für ein besonders gutes Essen - suchten, dann gingen sie... zur Geisha, der "kunstfertigen Person" (bei der es, allen westlichen Vorurteilen zum Trotz, keinen Sex gab - die wirklich wichtigen Dinge im Eheleben behielt die japanische Hausfrau in der eigenen Hand :-).


früher: Hausfrau im Westen - Geishas in Japan                   heute: Single-Frau im Westen - eine Frau, für alle Freuden

Diese kulturelle Kluft zwischen Ost und West ist so abgründig, liebe Leser, daß man sie sich kaum tief genug vorstellen kann. Die heutige Entwicklung - die A. E. Johann kommen sah -, verstellt uns leicht den Blick darauf, weil sowohl Japanerinnen als auch Westlerinnen (und ihre Ehen) gleichermaßen an der Mehrfachbeanspruchung zerbrechen, alles zugleich können zu müssen - die Menschheit scheint vergessen zu haben, welch segensreiche Erfindung die Arbeitsteilung war. Und so lag denn A. E. Johann einmal mehr voll daneben, als er schrieb: "Die Männer entdecken auch in Japan, daß es viel schöner ist, mit einer Frau alle Freuden und Leiden des menschlichen Daseins zu teilen, anstatt die Zuneigung zu verzetteln; und die japanischen Frauen verwandeln sich deshalb nicht in schlechtere Mütter, weil sie nun alle heimlich, bewußt oder unbewußt, bei den Geishas in die Schule gehen." Diese Einstellung muß A. E. Johann in den USA gewonnen haben, denn in "Pelzjäger, Prärien und Präsidenten" äußerte er sich ganz begeistert von den Amerikanerinnen, die durch Erfindungen wie den Elektroherd, den Kühlschrank und den Staubsauger von ihren häuslichen Arbeiten entlastet, die so gewonnene Zeit in ihr Aussehen investieren und immer chic (oder, wie er schrieb, "schick" - aber das erinnert Dikigoros immer so an Schickse; na ja, A. E. Johann konnte wohl kein Jiddisch) gekleidet und zurecht gemacht sind. Dagegen äußerte er sich in "Das Land ohne Herz" mehr als kritisch über die gelackten, geschminkten Zicken in den USA, die nur auf Äußerlichkeiten achteten, und sang das hohe Lob der braven, ungeschminkten, natürlichen Schönheit, wie sie für ihn die deutsche Frau verkörperte. Hatten sich denn die Amerikanerinnen so schnell und so sehr zu ihrem Nachteil verändert? Wohl kaum, aber 1937 hatte A. E. Johann den selben Sachverhalt noch ganz anders beurteilt: "Wir dürfen uns nicht dadurch täuschen lassen, daß die Mädchen in Amerika sich gern wild die Haare färben und die Gesichter pudern, die Lippen anstreichen und so oft wie möglich in Abendkleidern einherschreiten. Sie sehen zwar oft genug aus wie bei uns die Damen in Anführungsstrichen; aber nichts wäre falscher, als sie mit solchen zu verwechseln. Nein, sie geben gute Kameraden ab, halten mit durch dick und dünn, arbeiten schwer und schnell und besitzen die beinahe unverwüstliche Fähigkeit, sich zu freuen und mit geringen Mitteln ein Fest oder einen vergnügten Abend steigen zu lassen. Sie verkehren auch untereinander in viel besserer Kameradschaft, als dies bei uns im allgemeinen unter Frauen üblich ist; sie beneiden einander weniger, helfen sich gern und nehmen sich viel seltener etwas übel." Nein, es sei nicht wahr, daß die Amerikanerinnen sich scheiden ließen und wieder heirateten als stiegen sie von einer Straßenbahn in die andere, sie seien auch nicht nur darauf aus, den Männern das Geld aus der Tasche zu ziehen, und sie trügen nicht immerzu eine Flasche Whisky mit sich herum, das seien alles Märchen, die an böswillige Verleumdung grenzten! Fünf Jahre später verbreitete er sie selber... Späte Einsicht, oder sollte ihn die Rücksicht auf die politischen Beziehungen zwischen Hitler und Roosevelt 1937 etwa auch gezwungen haben, die Amerikanerinnen nicht zu kritisieren? A. E. Johann war von seiner ersten Ehefrau - einer Emanze, die es nur auf sein Geld abgesehen hatte - geschieden; seine zweite Frau kam im Krieg um - da ist es leicht, sie im Rückblick zu verklären. Nach 1945, als er zum dritten Mal verheiratet war, äußerte er sich zu diesem Thema nicht mehr ausführlicher - schade.

Ebenso schade ist es, daß A. E. Johann offenbar nie ein islamisches Land richtig bereist hat - jedenfalls nicht à la Carmiggelt, d.h. so, daß er etwas mehr von der Gesellschaftsstruktur mitbekommen hätte -, sonst hätte er in diesem Zusammenhang von einem weiteren fundamentalen Unterschied berichten können: Bei den Muslimen gehen die Frauen zwar in der Öffentlichkeit möglichst in Sack und Asche (und Schleier), um ihre Schönheit nur ja nicht den Blicken fremder Männer zu offenbaren; aber zuhause laufen sie für unsere Begriffe herum wie die Vamps, die mitten aus dem Puff entsprungen sind - und das mit vollem Einverständnis ihrer Männer! Im Westen ist es genau umgekehrt - jedenfalls in Dikigoros' Verwandten- und Bekanntenkreis: Frau Dikigoros verachtet ihre Geschlechtsgenossinnen, die sich nicht "chic" zu machen verstehen; aber ihr Mann achtet darauf, daß sie ihre Kriegsbemalung nur außer Hause trägt; zuhause will er sie ungeschminkt sehen und nicht in Klamotten, die keinen Spritzer Tomatensauce abkönnen. Wollt Ihr diese Unterschiede kulturell und moralisch werten, liebe Leser? Nein? Dann will Dikigoros es versuchen. Also: Die Unterschiede zwischen amerikanischen und deutschen Frauen sind gering. Die Amerikanerinnen sind etwas selbständiger (das macht das Erbe - oder, wie A. E. Johann es ausdrückte, "das gute Blut" - der Pionier-Generation, als die Amerikanerin härter mit anpacken mußte als jede noch so tüchtige Hausfrau oder Bäuerin in Europa); deshalb kommen sie mit der Mehrfachbeanspruchung heute etwas besser zurecht als die Europäerinnen. (Ausgenommen die schwarzen Amerikanerinnen, die jenes Pionier-Erbe nicht "im Blut" haben - deshalb gibt es heute in den USA kaum noch eine intakte schwarze Familie.) Die heutigen Japanerinnen sind wie Schmetterlinge: In ihrer Jugend sind sie bunter, schillernder, schräger und verrückter als Amerikanerinnen und Europäerinnen zusammen; aber laßt Euch nicht täuschen, liebe Leser: Wenn sie erwachsen werden, verpuppen sie sich, gehen in die Frauenklinik, lassen sich ihr Jungfernhäutchen wieder zusammen nähen, heiraten und werden ganz konservative Ehefrauen und Mütter, die ihre Männer und Söhne gnadenlos zur Arbeit antreiben bis zum Umfallen (oder - wenn sie versagen - zum Selbstmord). Hat da eben jemand an Raupen gedacht? Das würde an böswillige Verleumdung grenzen - der Raupen. Und die Musliminnen? Muslime sind mit ihrem Urteil für gewöhnlich schnell bei der Hand: Die westlichen Frauen sind allesamt verdorbene Flittchen und Huren, deshalb müssen sie sich zum Heiraten eine brave, saubere, moralisch einwandfreie Muslimin aus der Heimat kommen lassen, die in der Öffentlichkeit immer züchtig verhüllt und verschleiert (oder zumindest bekopftucht) herum läuft und nur ihren Mann zuhause mit ihren Reizen erfreut. Darf Dikigoros dagegen halten? "Die westliche Gesellschaft ist krank," sagen die Muslime. Mag ja sein, aber dann ist ihre eigene noch viel kranker. Die westlichen Frauen laufen in der Öffentlichkeit leicht geschürzt und stark geschminkt herum? Macht nichts, das ist gesund, härtet im Winter ab, und im Sommer beugt die Schminke dem Sonnenbrand vor. Die Muslimin dagegen benimmt sich zuhause wie eine Nutte, die ihren ehelichen Freier zum Sex animieren muß. In dieser widerwärtigen Atmosfäre wachsen muslimische Kinder auf. Später werden die Jungen jede Frau für eine Nutte halten, die man draußen nicht frei herum laufen lassen kann, sondern nur in Begleitung männlicher Verwandter, und auch das nur, wenn man sie zuvor beschnitten, zugenäht und von Kopf bis Fuß in einem Müllsack verhüllt hat wie den letzten Dreck, pardon den letzten Abfall. Die Mädchen wiederum werden alle Männer für potentielle Freier und Vergewaltiger halten, so daß sie sich schon von sich aus nicht mehr alleine auf die Straße trauen, sobald sie in die Pubertät kommen. Ihr meint, liebe Muslime, Dikigoros kenne offenbar die nordafrikanischen und vorderasiatischen Frauen nicht, die müsse man so behandeln und verstecken, sonst würden sie gleich vom Pfad der Tugend abfallen, pardon abweichen und sich dem nächsten besten anderen Mann in die Arme werfen? Mag sein, daß letzteres zutrifft - und, wundert Euch das?!? Exkurs Ende.

Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre überarbeitete A. E. Johann seine beiden autobiografischen Romane aus dem Zweiten Weltkrieg ad usum Gutmenschi, pardon, den gab es damals noch nicht, ad usum Dummviehi und ergänzte sie um einen dritten Band ("Aus dem Dornbusch"); nun war auch daraus eine Trilogie geworden, der er den Namen "Die Schaukel der sieben Jahrzehnte" gab. Freilich fiel der dritte Band in einem solchen Maße gegen die beiden ersteren - die durchaus spannend, ja bisweilen fesselnd geschrieben sind - ab, daß man es fast nicht glauben konnte und wollte. A. E. Johann hat seine Lebensgeschichte im Dritten Reich derart verzerrt und entstellt, daß sich dagegen andere autobiografische Romane jener Zeit, selbst "Das gute Recht" seines Reiseschriftsteller-Kollegen Kasimir Edschmid, wie die reine Wahrheit ausnehmen: Eigentlich habe er in jenen Jahren gar nicht mehr in Deutschland gelebt, sondern vielmehr in Kanada, dessen Staatsangehörigkeit er schon angenommen habe. Nur durch Zufall sei er 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, nach Deutschland zu Besuch gekommen, und da haben ihn die bösen Nazis gleich als Wehrbauern da behalten, so daß er ganz unschuldig in den Untergang des deutschen Ostens geraten sei, seine Frau und Tochter verloren habe usw. [A. E. Johann ist nie kanadischer Staatsbürger geworden - wie schrieb er einmal: "Ich habe zwar schon viele Länder schön und großartig gefunden, Kanada zum Beispiel, das wälderrauschende, präriegoldene, oder Australien, das himmelweite und blendende; doch Kanadier oder Australier zu werden, wäre mir kaum eingefallen." (Später sollte er den Kreis der Länder, in die er "fast" einmal ausgewandert wäre, noch um Südwestafrika und Brasilien erweitern.) Dikigoros vermutet, daß in die Beschreibung der Auswanderung nach Kanada die Lebensgeschichte seines Freundes Fritz Hansen eingeflossen ist.]

Anfang der 1980er Jahre unternahm der Heyne-Verlag die verdienstvolle Aufgabe, A. E. Johanns (angebliches) "Gesamtwerk" noch einmal gründlich zu "überarbeiten" und zu kürzen - natürlich nur, um die 30-bändige Taschenbuch-Ausgabe (in der bezeichnenderweise seine wichtigsten Bücher fehlen, nämlich die vier Bände von "Große Fahrt in die Welt", "Groß ist Afrika", "Sehnsucht nach der Dobrinka" und "Am Ende ein Anfang") für den Normalverbraucher erschwinglich zu machen. Darf Dikigoros dennoch, da ein solcher Hinweis seitens des Heyne-Verlags fehlt und da er schon einmal "Soll und Haben" erwähnt hat, passenderweise zitieren, was der Lingen-Verlag ins Vorwort zu dessen Neuauflage geschrieben hat: "Die vorliegende Ausgabe folgt dem ursprünglichen Text, ist aber in manchen Teilen gestrafft. Allzu altertümliche Ansichten, Vorurteile oder Gefühlsausbrüche wurden behutsam gekürzt und damit Passagen, die auf den Leser von heute befremdend und lächerlich wirken würden, gestrichen." So so - Dikigoros fragt sich nur, wie befremdlich und lächerlich Gustav Freytag wohl die Ansichten und Vorurteile der heutigen Gutmenschen gefunden hätte - und wohl mit mehr Grund. Nehmen wir nur ein Text-Beispiel, das der "behutsamen Straffung" zum Opfer gefallen ist: Am Schluß des 6. Kapitels des II. Buches, in dem es zwar nicht um Pelzjäger und Präsidenten, aber immerhin um Pelzwaren und Parlamentsreden in Amerika geht, erzählt der jüdische Kaufmann dem arischen Adeligen, daß er sich mit indianischen Stammessprachen beschäftigt habe, und damit endet die "gestraffte" Fassung. Im Original fragt ihn der letztere noch: "Und wozu haben Sie sich die unnütze Mühe gemacht? Es wird dort drüben schnell aufgeräumt; bevor Sie eine Sprache erlernen, ist der Stamm ausgerottet, der sie sprach." Pfui, das soll doch nicht etwa ein Vorwurf à la "Land ohne Herz" gegen die edlen USA und ihre Indianerpolitik sein? Lächerlich! Der Jude antwortet, "daß die Kenntnis der Sprachen für die Wissenschaft die beste Hilfe sei, um das Höchste zu verstehen, was der Mensch überhaupt begreifen könne, die Seelen der Völker." Aber wenn das stimmt, dann müßten ja Völker, die unterschiedliche Sprachen sprechen, auch unterschiedliche Seelen haben?! Nein, diese altertümliche Ansicht, dieses befremdliche Vorurteil hat nun wirklich nichts mehr verloren in unserer politisch-korrekten Zeit. Da darf es keine "Länder und Völker" mehr geben, sondern nur noch Staatsgebiete und Migrationsströme, die über sie hinweg ziehen, keine "Menschen an meinen Wegen" mehr (geschweige denn "Volksgenossen" - aber dafür werden die Parteigenossen immer wichtiger :-), sondern nur noch Verbraucher und statistisch erfaßbare Gruppen an der mautpflichtigen Autobahn, und die dürfen natürlich keine "Seele" mehr haben, sondern allenfalls noch Meinungen, deren Gleichschaltung regelmäßig von "Meinungsforschungs-Instituten" abgefragt und von deren Auftraggebern überprüft werden kann, um Gedankenverbrechen vorzubeugen. Aus den unterschiedlichen Völkern rühren wir einen schönen, großen Einheitsbrei zusammen, und aus den unterschiedlichen Sprachen ein Kauderwelsch, das seine Urheber am Ende selber nicht mehr verstehen - also weg mit dieser blöden Passage! Dafür steht in der gestrafften Fassung wieder ein Satz, der in "Das Land ohne Herz" hätte stehen können - mit dem gleichen Sarkasmus: "Da lobe ich mir, was Sie die Gemütslosigkeit des Amerikaners nennen. Was er besitzt, das hat ihm gerade nur den Wert, der sich in Dollars ausdrücken läßt. Sehr gemein, werden Sie mit Abscheu sagen, aber diese Gemeinheit hat einen mächtigen, freien Staat geschaffen." Eben.

Als A. E. Johanns alter Verlag Ullstein(-Langen-Müller) Ende der 1980er Jahre wieder in "rechte" Hände kam, wurden "Sehnsucht nach der Dobrinka" und "Am Ende ein Anfang" doch noch einmal neu aufgelegt (nicht aber seine fünf Reisebücher aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre). Und ihm gelang - zum 70. Jahrestag des Attentats von Sarajewo (ein merkwürdiges Datum, aber Johann setzte es ausdrücklich an den Anfang des Buches, vielleicht weil es der Anfang vom Ende der deutschen Kolonie Südwest-Afrika war?) - noch einmal ein großer Wurf mit "Südwest", das eigentlich gar kein Reisebuch war, sondern die Geschichte der deutschen Siedler-Familie Wittlinger, von ihrer Einreise nach "Deutsch-Südwest" bis zur Wiederabreise aus "Namibia" auf der Flucht vor den SWAPO-Terroristen. In einem ernüchterten und ernüchternden Nachwort zog A. E. Johann ein Fazit, das auch Dikigoros unterschreiben könnte, und das vermuten läßt, daß er vielleicht doch noch zu ein paar späten Einsichten über seine früheren, etwas blauäugigen Afrika-Bücher hinaus gelangt war - und sei es mit Hilfe von Dritten. Ernüchterung, liebe Leser, ist eine gute Sache nach einem Rausch (oder, wie A. E. Johann früher geschrieben hätte, "Wahn"), und aus den Fehlern der Vergangenheit sollte man lernen, ohne zu resignieren. Rund hundert Jahre lang haben Europäer und Asiaten in Afrika viel Blut, Schweiß und Tränen vergossen, pardon viel Waffen, Arbeit und Geld investiert. Das war ein Fehler (aber nur ein kleiner, verglichen mit dem, was die Deutschen sieben Jahrhunderte lang in Osteuropa aufgebaut hatten und was die Slawen ebenso gründlich zerstörten wie die Neger das Werk der weißen Kolonialisten in Afrika). Die meisten haben den dunklen Kontinent inzwischen wieder verlassen, und vielleicht wäre es das beste, wenn die übrigen ihnen baldestmöglich folgen würden, schon weil sie nicht für das dortige Klima gemacht sind - weder für die Wüste im Norden noch für den tropischen Regenwald in der Mitte noch für die Savannen im Süden. (Nein, auch nicht für das Hochland, das A. E. Johann ihnen einst zugedacht hatte.) Und ein friedliches Miteinander oder auch nur Nebeneinander kann auf die Dauer keinen Bestand haben, geschweige denn ein Durcheinander - das ist die Lehre der Geschichte: Die Menschen wollen keine Zebras sein, sondern Schimmel, Rappen oder Füchse, und das ist gut so, denn so hat es die Natur eingerichtet. Also sollten die letzten Weißen (zu denen Dikigoros - pardon, Herr Hitler, pardon, Herr Wollschläger - auch die Inder zählt) Afrika den Rücken kehren und die Schwarzen in ihrem eigenen Saft schmoren lassen, ohne dem schlechten Geld noch gutes hinterher zu werfen (zumal auch die so genannte "Entwicklungshilfe" der Entwicklung dort in der Regel mehr schadet als hilft, wie man inzwischen selbst bei der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung erkannt hat). Und darüber hinaus sollten sie so konsequent sein, die Schwarzen, die sich zur Zeit noch in Europa und Amerika aufhalten, auf den ihnen angemessenen Heimat-Kontinent ihrer Vorfahren (die diesen ja meist nicht freiwillig verlassen hatten) zurück zu expedieren, damit es ihnen nicht eines Tages ergeht wie den Weißen im Kongo.

1991 begleitete A. E. Johann, mittlerweile 90 Jahre alt, den damals erst 73 Jahre jungen Fotografen Earl Roberge zu einer letzten USA-Reise auf der gerade neu erbauten Route 101 ("Amerikas abenteuerlichste Straße" - na ja, was A. E. Johann auf seine alten Tage so als "Abenteuer" ansah...), wohl bewußt als Kontrast-Programm zur viel beschriebenen - und sogar besungenen - Legende der "Route 66", die er in den 1930er Jahren so schrecklich gefunden hatte, jener "Ausgeburt des häßlichen, lärmvollen, unabsehbaren Chicago am Michigansee" mit seinen "wie Geschwüren sich ins Land fressenden verkommenen Vorstädten", auf der sich drei Millionen entwurzelte und hungernde Landstreicher herum trieben. (Das alles kann Dikigoros gar nicht nachvollziehen; aber er war halt dreieinhalb Jahrzehnte später da - es scheint sich doch einiges zum Besseren gewandelt zu haben in den USA :-) Er wäre besser noch einmal in die gerade auseinander brechende Sowjet-Union gefahren - aber das hätte er vielleicht nicht überlebt... Letztlich hatte A. E. Johann auf seinen Reisen ein Leben lang falsche Eindrücke gewonnen, Irrtümer angehäuft und unzutreffende Prognosen abgegeben - manchmal könnte man an dem Satz zweifeln, daß Reisen bildet; aber vielleicht kommt es einfach darauf an, wann, wo und wie man reist, und A. E. Johann war irgendwie immer zur falschen Zeit am falschen Ort und mit den falschen Leuten zusammen getroffen. Das kann Blindheit, Unvermögen oder einfach nur persönliches Pech sein - es macht seine Bücher nicht weniger reizvoll, vielleicht sogar im Gegenteil umso interessanter für die Nachgeborenen, die es leicht haben, alles besser zu wissen. (Dikigoros hat mit seinen auf Reisen gewonnenen Prognosen auch nicht überall richtig gelegen, wie ihm seine Leser immer mal wieder genüßlich unter die Nase reiben; aber er tut auch nicht so als ob - also darf er das schreiben :-)

"Amerikas abenteuerlichste Straße" war A. E. Johanns Schwanengesang; er starb, vergessen (oder verdrängt?) und verlassen, mit 95 Jahren; allein der Berliner Zeitung war er noch einen Dreizeiler als Nachruf wert; und dem Verlag Frederking & Thaler den Zusammenschnitt einiger aus dem Zusammenhang gerissener, aber politisch korrekter Passagen unter dem Titel "Das Glück des Reisens. Ein Leben unterwegs". Darüber waren einige Buchprojekte A. E. Johanns liegen geblieben, deren Titel eigentlich recht viel versprechend klingen, wie "Die Affen nehmen überhand - späte Einsichten nach Weltreisen" oder "Die Reiserei nach anderswo". Wer weiß, vielleicht hätten sich so spät auch noch ein paar andere "Einsichten" wieder gefunden, die er viele Jahrzehnte zuvor schon einmal über die erste deutsche Republik geschrieben hatte: "Wer glaubt denn nicht, daß heute alles faul ist: das Geld, die soziale Lage, die internationalen Beziehungen, die politische und die geschäftliche Moral! Unsere Herren Politiker kommen mir so klüglich vor. Und dabei sägen sie schon eifrig an dem Ast, auf dem sie sitzen. Es gibt kein Deutschland mehr; es wird nicht mehr von Deutschen bewohnt. Das Wort haben nicht die Besten, sondern die Erbärmlichsten; ausgezeichnet werden nicht die Tapfersten, sondern die Nachgiebigsten und Schleimigsten, belohnt werden nicht die Treuen und Ehrlichen, sondern die Falschmünzer und Gerissenen..." Schade, aber vielleicht schreibt Dikigoros ja bei Gelegenheit mal selber etwas zu diesen Themen, da fiele ihm auch eine Menge ein... A. E. Johann hat immer - zumindest in der zweiten Hälfte seines Lebens - an die weltweite Angleichung der Lebensverhältnisse nach kapitalistischem und/oder kommunistischem Muster geglaubt; er hat den "Backlash" gegen diese Tendenz zur "Globalisierung" nicht kommen sehen. Aber er mußte kommen, er ist in einigen Teilen der Welt schon gekommen, und er wird überall kommen, auch bei uns, liebe Leser, und die meisten von uns werden das noch mit erleben. Wir sind längst ins Orwell'sche Jahr 1984 zurück gekehrt (aber das ist eine andere Geschichte), und nun bewegen wir uns mit Riesenschritten wieder auf das Jahr 1932 zu - wenn Ihr wißt, was Dikigoros damit sagen will.

[Rudi Zülch (SPD)]

Nachtrag. Im neuen Jahrtausend ist es Rudi Zülch, einem jungen Bewunderer A. E. Johanns, in seiner Eigenschaft als SPD-Gemeinderat von Knüllwald-Völkershain - dessen Wappen, ein [Wasser-]Rad im Strom, verblüffend an das von A. E. Johann in "Im Strom" beschriebene Wappen von "Hans Radmacher" erinnert - gelungen, die Benennung eines Feld-, Wald- und Wiesenweges nach dem großen Reiseschriftsteller durchzusetzen. (Zufällig wohnt er selber dort :-) Leider ist Genosse Rudi gar nicht gut auf Dikigoros zu sprechen - wegen der Sache mit dem geänderten Vornamen. Auf seiner Webseite bestreitet er mit Nachdruck, daß dieser ursprünglich "Adolf" lautete; er hat sogar eine Geburtsurkunde abgebildet, die auf den ersten Vornamen "Alfred" lautet. Das ist sehr dankenswert, hat aber - wie jeder Jurist weiß - keinerlei Beweiskraft, denn es handelt sich um [die beglaubigte Kopie] eine[r] Neuausstellung, nicht um das Original, wie man schon an der 1901 noch nicht gebräuchlichen "Sütterlin"-Schrift erkennt. (Diese wurde erst 1924 als Schreibvorlage in den deutschen Schulen eingeführt und erst 1941 als solche abgeschafft; es war also die Schrift, in der die Geburtsjahrgänge 1918-1935 schreiben lernten; davor und danach schrieb man in Deutschland "Fraktur" bzw. "Lateinisch".) Das ist ja eben der Sinn der Namensänderung, daß von Amts wegen eine neue Geburtsurkunde ausgestellt wird, die es so aussehen läßt, als sei dies der ursprüngliche Name. Dikigoros muß es wissen, denn sein Großvater - der ungefähr aus der gleichen Ecke stammte wie A. E. Johann - hat seinen Namen auch ändern lassen, weil ihm der Leu allzu jüdisch klang, und ist zum Bären gewechselt, allerdings schon mehr als zwei Jahrzehnte vor A. E. Johann (er war ja auch ein paar Jährchen älter :-), also nicht aus Opportunismus und/oder Kriecherei vor den Nazis und/oder den Anti-Nazis, und selbstverständlich bekam er eine neue Geburtsurkunde auf seinen neuen Namen Urs ausgestellt. Unverfälschte Auskunft könnte allein das evangelische Taufregister von Bromberg geben - aber das haben die gut katholischen Polen 1919 vernichtet, pardon, wir wollen es doch politisch korrekt ausdrücken: es ist verschollen. (Schon Dikigoros' Vater konnte infolgedessen im Dritten Reich seinen Arier-Nachweis nicht vollständig führen - aber das ist eine andere Geschichte.) Wie dem auch sei, wenn dieser kleine Streit (der ja eigentlich ziemlich unerheblich ist, denn was ist an "Alfred" besser oder schlechter als an "Adolf"?) die Internetgemeinde dazu anregt, sich wieder etwas mehr mit A. E. Johann zu beschäftigen, ist das vielleicht der Anfang einer Wiederentdeckung, die Dikigoros sehr begrüßen würde.

[Bromberg, Kirche]

Und noch ein Nachtrag: Anno 2006 reisten zwei ZDF-Reporter 10.000 km durch Rußland - allerdings nicht mit der Eisenbahn, sondern mit dem Auto, und sie hüteten sich auch, A. E. Johann auch nur dem Namen nach zu erwähnen. Dennoch hegt Dikigoros den Verdacht, daß sie da etwas auf seinen Spuren genassauert haben; denn sie nannten ihren zweiteiligen Bericht, ganz im Stil der Drei-Schlagwörter-Titel, die A. E. Johann in den 1930er Jahren seinen Reiseberichten gegeben hatte: "Business, Buddhisten und Baikal-Taucher" bzw. "Helden, Halunken und Hasardeure".


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