NORMAN LEWIS
(28.06.1908 - 22.07.2003)

[Norman Lewis]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' SEITE
ALS ES NOCH KEIN INTERNET GAB -

Große Reiseschriftsteller des 20. Jahrhunderts

Deutsch dürfte die einzige "Welt"-Sprache" sein, in welche die Reisebücher des bedeutendsten britischen Reiseschriftstellers des 20. Jahrhunderts nicht übersetzt worden sind - was umso beschämender ist, als der deutsche Büchermarkt seit Jahren weitgehend von mehr oder weniger gelungenen Übersetzungen mehr oder weniger gelungener Werke englisch-sprachiger Autoren beherrscht wird. (Nur der Aufbau-Verlag hat, noch zu DDR-Zeiten, zwei kleinere, unverfängliche Werke von Lewis - keine Reisebücher - auf Deutsch heraus gebracht, und der Econ-Verlag eine gekürzte Fassung seiner Mafia-Geschichte.) Die Gründe liegen auf der Hand: Bis 1945 kannte ihn niemand, und danach paßte das, was er [be-]schrieb und wie er es schrieb, den politisch-korrekten "Gutmenschen" Deutschlands nicht mehr in den Kram. Deshalb kennen ihn heute nur wenige deutsche Leser - und das ist wohl auch so gewollt. Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen, mit einer Reise nach Spanien, deren Beschreibung ("Spanisches Abenteuer", 1935) nicht viel besser oder schlechter war als etwa Edschmids "Basken Stiere Araber". Lewis hatte das Glück, das Land kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs zu sehen (das gleiche Glück, das Dikigoros in Ceylon hatte und sein Freund Melone in Persien und Afģānistān); aber gerade das wollten die Leute damals nicht lesen - sie kauften lieber die reißerischen Fantasie-Produkte eines Ernest Hemingway aus dem Bürgerkrieg. 1938 folgte "Sand und See in Arabien", ein nicht nur äußerlich ziemlich dünnes Bändchen über eine Reise vom Yemen in den Sudan. Bald darauf zog Lewis selber in den Krieg, als Nachrichten-Offizier, und machte die Kämpfe auf Sizilien und in Unteritalien mit. Viele Jahre später sollte er darüber die (Sach-)Bücher "Die ehrenwerte Gesellschaft" (gemeint ist die sizilianische Mafia) und "Neapel '44" schreiben.

Anfang der 50er Jahre hatte Lewis, der sich selber als "einsamer Pilger" bezeichnete, wieder das Glück, einige Länder bereisen zu können, bevor dort Bürgerkriege u.a. "höhere" Gewalten einen Besuch für Ausländer unmöglich oder jedenfalls zu einem unkalkulierbaren Risiko machten: "Ein Drache erscheint" (am Flammen-Himmel, wie der Titel der französischen Übersetzung ergänzt) beschreibt Kambodja, Laos und Vietnam, bevor der Indochina-Krieg ausbrach; "Goldene Erde" schildert Barmā (so die richtige - indische - Schreibweise für das Land, das die Europäer meist "Burma" oder "Birma" und die heutigen Machthaber "Myanmar" nennen), das Land Kiplings und Orwells vor seiner Abschottung durch die kommunistische Militär-Diktatur. (Lewis arbeitete dort als Englisch-Lehrer. Das war damals nicht nur sein Beruf, sondern auch seine eigentliche Berufung; die Zahl seiner Reisebücher und Romane wird deutlich von der seiner - durchweg unorthodoxen - Sprachführer und Lehrbücher für Englisch übertroffen.) Gewiß, recht nett - aber macht das Lewis schon zum "Reiseschriftsteller"? Wohl kaum, obwohl sein Verlag 1982 noch einmal den "Drachen" neu auflegte (der Vietnam-Krieg war vorbei, und eine gewisse Nostalgie nach dem Vorher kam auf) und er 1983 noch die "Kubanische Passage" folgen ließ. (Es ist freilich zu vermuten, daß es sich bei dieser Reisebeschreibung eher um ein Fantasie-Produkt des Autors handelt als daß er sich wirklich unter falschem Namen vom Castro-Regime hat einladen lassen, um die kommunistische Insel-Diktatur dann derart herunter zu machen; der Titel der französischen Übersetzung - "Wie im Krieg" - spricht Bände.)

Das schien es denn aber auch gewesen zu sein; mit über 70 Jahren - einem Alter, in dem andere entweder längst nicht mehr schrieben (geschweige denn in der Weltgeschichte herum reisten) oder nur noch Unsinn verzapften (wie A. E. Johann) machte sich der schottische Veteran auf die Suche nach einem Plätzchen, wo er in Ruhe seine Memoiren schreiben konnte (nicht gerade die eines Weltreisenden). Er dachte an das sonnige Spanien, genauer gesagt an die Costa Brava. Dort verschlug es ihn in ein Kaff namens Farol, und er mußte erfahren, daß eine große Baufirma aus Barcelona es binnen weniger Jahre platt gemacht hatte, um ein Touristen-Zentrum aus dem Boden zu stampfen - mit allen negativen Folgen für die Sozialstruktur der alteingesessenen katalanischen Bevölkerung. Wieder ist nicht ganz klar, ob es sich lediglich um ein Fantasie-Produkt des Autors handelt, oder ob Lewis tatsächlich einen Vergleich mit dem kleinen Fischerdorf von einst zog, über dessen Besuch er bereits einen Roman geschrieben hatte ("Der Turm im Meer", 1955), in dem er die traurige Chronik seines Untergangs aufzeichnete. Klar ist nur, daß Lewis nach Ibiza weiter reiste und dort statt seiner Memoiren erst mal ein bitterböses Buch über just dieses Thema schrieb: "Stimmen der alten See". (Die englische Original-Ausgabe erschien 1984, die deutsche Übersetzung sollte erst im Jahre 2000 erscheinen, nachdem sich die Gutmenschen auf die abwegige Interpretation geeinigt hatten, daß es sich wohl um eine nachträgliche Kritik am Franco-Regime - zwei Jahrzehnte nach dessen Tod - handeln müsse, unter dem Titel "Stimmen des alten Meeres", die Dikigoros für unpassend hält, da er allzu sehr an Hemingway's "Der alte Mann und das Meer" erinnert.)

Als ein Jahr später (1985) Lewis' Memoiren unter dem Titel "Jackdaw Cake" auf den Markt kamen, waren sie praktisch schon überholt; denn auf seine alten Tage hatte Lewis nochmal die Reisewut gepackt - und die Wut auf all das, was er auf diesen Reisen erlebte und erfuhr, wuchs von Jahr zu Jahr: 1988 erschien "Die Missionare - Gott gegen die Indios", ein Buch über den Untergang der eingeborenen Kulturen rund um den Pazifik infolge der Christianisierung. 1992 erschien "Eine Göttin in den Steinen. Reisen in Indien" (in der spanischen Übersetzung klingt es viel drastischer: "Wo die Steine Götter sind. Reisen durch die verbotenen Zonen Indiens". Gemeint sind die Gebiete der "primitiven" Stämme in Bihār, wohin die indische Regierung Ausländer nicht gerne reisen läßt - sei es, daß sie tatsächlich um deren Sicherheit fürchtet, sei es, daß ihr die steinzeitliche Rückständigkeit der "tribes" am Ende des 20. Jahrhunderts peinlich ist). 1993 erschien Lewis' Abrechnung mit dem indonesischen Terror-Regime Soehartos und dessen Verfolgung der chinesischen, balinesischen und Papua-Minderheiten: "Ein Reich des Ostens". Lewis nahm kein Blatt vor den Mund, war bald in aller Munde und machte sich ob seiner "eurozentrischen Betrachtungsweise" viele Feinde unter den Ethno-Linken: Wie konnte er nur wagen, die edlen Diktatoren der Dritten Welt zu kritisieren? War das nicht kolonialistische und imperialistische Einmischung eines rassistischen Besserwissers in deren innere Angelegenheiten?

Den Picador-Verlag scherte das gar nicht. Er beeilte sich, unter dem Titel "Omnibus" Lewis alte Werke über seine Reisen nach Indochina und Burma neu herauszugeben (1995, in einem Sammelband zusammen mit der Neuauflage von "Ein Reich des Ostens"); und als sich Barmā - aus Devisen-Mangel - wieder ein wenig dem Ausland öffnete, schickte er ihn und einige Kollegen noch einmal in das einstige Land der "Goldenen Erde". Der voluminöse Bildband "Zurück nach Mandalay" (ein Titel, der jedem britischen Leser aus Lewis' Generation sofort das Gedicht Back to Mandalay von Rudyard Kipling in Erinnerung ruft) ist das Ergebnis dieser Reise; die Kritik am barmesischen Regime und seinen Taten fällt ebenso sachlich und vernichtend aus wie zuvor die am indonesischen. Jawohl, Lewis wagte offen auszusprechen, daß es den Völkern Asiens unter europäischer Kolonial-Herrschaft durchweg besser gegangen war als unter den korrupten Regimes von ihresgleichen nach der Unabhängigkeit - er bestätigte damit die 60 Jahre zuvor von Richard Katz aufgestellte Prognose.

Nun durfte Lewis auch seine Memoiren noch einmal neu schreiben: "Jackdaw Cake" wurde erweitert zu "Ich kam, ich sah..." (natürlich in Anspielung auf Caesars "Veni, vidi...") und 1996 durch einen zweiten Band ergänzt: "Die Welt, die Welt" - von der Lewis in den zehn Jahrennach Erscheinen seiner ersten Memoiren mehr gesehen und beschrieben hatte als in den über 70 Jahren zuvor.

Anscheinend unverwüstlich, kehrte Lewis als über 90-jähriger auch noch einmal nach Sizilien zurück und schrieb sein letztes Buch "In Sizilien" (2000), mit dem er wieder allen "Gutmenschen" kräftig vors Schienbein tritt, denn er berichtet nicht mehr nur über die Mafia, sondern auch über den Verlust der sizilianischen Sprache (nein, liebe Leser, das ist nicht bloß ein "Dialekt"; Sizilianisch unterscheidet sich vom - fiorentinischen - "Hoch"-Italienisch mindestens ebenso stark wie Oberbayrisch oder Pladdütsch von "Hoch"-Deutsch!), den allgemeinen Verfall der Moral (besonders der sexuellen) und die katastrofalen Auswirkungen der afrikanischen Immigration. (So ein Buch darf natürlich nicht ins Deutsche übersetzt werden - aber im einst so Immigranten-freundlichen Holland war das inzwischen möglich - dort hat man begonnen, aus Schaden klug zu werden!)

Posthum wurden Lewis' beide ersten Reisebücher noch einmal unter anderem Titel neu aufgelegt: "Sand und See in Arabien" als "Reise im Dhow" (als ob noch jemand wüßte, was das ist bzw. war: ein kleines Segelboot für den Küstenverkehr), und "Spanisches Abenteuer" als "Das Grab in Sevilla".

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