Probleme im Schlaraffenland
von Moskau nach New York
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PAUL MAZURSKY: MOSCOW ON THE HUDSON

[altes Poster mit World Trade Center] [politisch korrektes Poster mit Neger und Frau] [neues Poster ohne World Trade Center]

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
"AVEZ-VOUS  BOURBON?"

Große Reisefilme des 20. Jahrhunderts

Fleißige Leser von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" kennen ja bereits den Spruch seiner Frau: "Die meisten Liebesfilme enden immer dann, wenn es erst beginnt, spannend zu werden, nämlich mit der Heirat." Mit den meisten Agenten-Filmen ist es so ähnlich: Wenn der böse, feindliche Spion endlich bekehrt und übergelaufen ist, macht der Regisseur Schluß und nennt das ganze auch noch ein Happy-end. Da wir im vorigen Kapitel dieser "Reise durch die Vergangenheit" den britischen Geheim-Agenten James Bond auf einer Reise nach Amerika begleitet haben, wissen wir, daß er (wie immer :-) ein nettes Bondgirl kennen gelernt hat, mit dem er am Ende ein Schäferstündchen beginnt - und in der nächsten Folge hört und sieht man nichts mehr von ihr; ganz so happy kann er also doch nicht geworden sein. Und der Republik-Flüchtling, der glücklich übergelaufen ist, weil die Geheimagenten just beim Schäferstündchen waren oder sonstwie gepennt haben? Hier nimmt sich endlich mal ein Regisseur der Nöte und Probleme an, die das neues Leben im vermeintlichen Schlaraffenland mit sich bringt. Wie bitte? Nöte? Probleme? Wer Moskau und New York City kennt - oder zu kennen glaubt - wird derartiges ganz weit von sich weisen, zumal es im "Big Appel" doch anno 1984, als der Film gedreht wurde, noch einen winzigen Rest der Kultur der alten russischen Immigranten gab: ein paar Restaurants mit russischen Speisekarten und Lebensmittel-Läden, eine Kirche, einen Buchshop, und noch ein paar Leute, die Russisch sprachen. Ja, aber 1984 - bevor Gorbatschow, die trübe Tasse, an die Macht kam -, gab es auch in Moskau noch alles zu kaufen!

Was, das glaubt Ihr nicht? Ihr glaubt vielmehr Paul Mazursky all die blöden Klischees, mit denen er den Film beginnen läßt? Pardon, aber der war nie in Moskau, sondern hat die dort spielenden Szenen in München gedreht! (Seine Großeltern waren galizische Juden, aber schon seine Eltern wurden - wie er selber - in New York geboren, wo er sich bestimmt bestens auskannte; aber für Moskau griff er einfach auf die gängigen - und falschen - Vorurteile zurück, wie sie zur Zeit des Kalten Krieges im Westen vorherrschten. Dikigoros war just 1984 zum ersten Mal in Moskau - zusammen mit seiner Frau -; und obwohl sie Mitglieder einer organisierten Reisegruppe mit AufpasserinDolmetscherin waren, hat sie niemand daran gehindert, sich selbständig zu machen und mit offenen Augen - Dikigoros auch mit offenen Ohren, denn sein Russisch war damals noch vorzüglich; inzwischen ist es leider etwas eingerostet - durch die Straßen zu ziehen und sich umzuschauen. Sie haben nirgendwo Juden mit Schildern "Ich will nach Israel ausreisen" demonstrieren sehen, geschweige denn, daß die von bösen KGB-Schergen verhaftet worden wären, nirgendwo Leute, die in dunklen Tunneln schwarz Benzin kauften und nirgendwo Menschenschlangen, die nach Toilettenpapier oder Schuhen aus Polen oder der ČSSR anstanden. [Wohlgemerkt, in anderen Städten der Sowjet-Union mag es das gegeben haben, aber in Moskau nicht - das genoß ebenso eine Sonderstellung wie z.B. Ostberlin in der DDR! Nicht umsonst bedurfte es einer besonderen Zuzugsgenehmigung für Leute, die sich in der Hauptstadt der UdSSR niederlassen wollten.] Vor allem der vermeintliche Kult ums Toilettenpapier grenzt in seiner Ignoranz schon an Peinlichkeit: Die Sowjet-Menschen waren ja nicht so verzärtelt wie z.B. die Venezolaner des 21. Jahrhunderts, die unter der sozialistischen Mißwirtschaft der Chávez und Maduro vor allem deshalb so litten, weil es nirgendwo mehr Toilettenpapier zu kaufen gab! Die Russen behalfen sich mit Zeitungspapier - das gab es immer und überall, denn die Untertanen mußten doch mit staatlicher Propaganda versorgt werden!

[Wie wir Amerika sehen]
SU-Hetzplakat gegen "Jew York"
aus der Zeit des kalten Krieges

Aber nicht nur per Zeitung, und damit kommt Dikigoros endlich zur "Story" - oder muß man dieses alt-germenglische Wort inzwischen durch das neu-germenglische Wort "Plot" ersetzen? (Er läßt die Eingangsszene bewußt weg, um die Spannung aufrecht zu erhalten :-) Ihr Held, Wladímir Iwanow, schaut sich im Kreise der Familie - Opa, Eltern und Schwester - eine Sendung des sowjetischen Staatsfernsehens über die armen Neger in den USA an, die gegen ihre Unterdrückung protestieren. "Großartige Musiker," meint er - der selber von Beruf Saxofonist im Moskauer Staats-Zirkus ist, wo die Musik damals noch nicht vom Band kommt -, holt eine Schallplatte mit US-amerikanischem Blues und Jazz aus dem Schrank und hält sie, während er "Take the A-train" von Duke Ellington vor sich hin summt, seinem Opa vor die Nase, der das, was darauf steht, wahrscheinlich gar nicht lesen kann und auch ganz andere Sorgen hat: "Die beiden wichtigsten Dinge im Leben, die das wahre Glück ausmachen, sind Essen und Verdauung, und da braucht man Klopapier. Wenn die Weicheier da oben so weiter machen, dann wird es wieder eine Revolution geben, und dann können wir eines Tages deren Eier im Kreml-Museum besichtigen!" - "Nicht so laut, die Nachbarn hören mit. Denk an Leonid von nebenan, der sitzt jetzt im Gefängnis!" Aber als Kriegsheld unter Stalin fühlt sich Opa sicher: "Der war doch selber schuld, der hat sich gegen den Krieg in Afģanistan aufgelehnt." Tja, liebe Leser, das hätte ihm anderswo auch passieren können. Was glaubt Ihr denn, geschah in den USA mit Wehrpflichtigen, die sich weigerten, in den Vietnamkrieg zu ziehen, wenn sie nicht gerade Cassius Clay hießen und Boxweltmeister waren? Eben! [Aber 1984 gab es in den USA ja keine Wehrpflicht mehr - sie war gleich nach dem wenig ruhmreichen Rückzug aus Vietnam anno 1973 abgeschafft worden -, und viele hatten jene Zeit wohl schon vergessen oder verdrängt.]

Zurück nach Moskau. Was bringt Wladímir seiner vollbusigen Geliebten zum Rendez-vous als besonderes Geschenk mit? Blumen? Pralinen? Nicht doch - eine Rolle Klopapier, worüber die hoch erfreut ist: "Du kennst den Weg zum Herzen einer Frau," säuselt sie - und das soll wohl nicht mal ironisch gemeint sein. "Das ist für deinen rosigen Hintern, der ist mir viel wichtiger als dein Herz," versetzt Wladímir mit entwaffnender Offenheit. "Wenn das so ist, kannst du mir für den doch Blue Jeans mitbringen, wenn du nach New York kommst," gibt sie ebenso offen zurück und zählt gleich ein paar teure Marken auf, die für ihren rosigen Hintern in Frage kommen - er verspricht es. Auch Wladímirs Eltern und sein Großvater sind begeistert ob des guten Fangs - er hat ein halbes Dutzend Rollen mitgebracht -, und bei der Gelegenheit erfahren wir von einer weiteren "Not" der Moskowiter, nämlich der Wohnungsnot. Ist es nicht schrecklich, mit fünf Personen in ein- und derselben Wohnung hausen zu müssen? "Wenn du Swetlana endlich heiraten würdest," sagt der Vater, "dann bekämet ihr eine eigene Wohnung zugewiesen!" ("Wenn du endlich in die Partei eintreten würdest," sagte Swetlana, "dann bekämen wir nach der Heirat eine bessere Wohnung zugewiesen!") Und am allerbesten wäre es wohl, wenn jeder Sowjet-Mensch für sich allein in einem eigenen Apartement leben könnte, wie es den US-Amerikanern als Ideal vorschwebt, nicht wahr? Merkwürdiges Ideal, findet Dikigoros - aber vielleicht ist er zu altmodisch und denkt noch allzu sehr in Kategorien seiner eigenen Kindheit, die ja nun schon viele Jahrzehnte zurück liegt; vielleicht wollte Wladímir "fortschrittlich" sein. Dabei ist es ursprünglich gar nicht er, der aus der SU abhauen will, sondern vielmehr sein Freund und Arbeitskollege, Anatolij, der Zirkus-Clown. Warum eigentlich? fragt Wladímir ihn wiederholt. Er hat doch alles: ein eigenes Auto (zwar "nur" einen Lada, aber auch den hatte in der SU nicht jeder), eine eigene Wohnung (wir erfahren das, weil er sie Wladímir und Swetlana für ihre Schäferstündchen zur Verfügung stellt - "dafür sind Freunde da!" :-) mit einem Kühlschrank, der von oben bis unten voll Wodka-Flaschen ist. (Auch so ein Klischee, das nicht stimmt, denn Russen lassen immer ein kleines Plätzchen frei, an dem sie auch die Gläser kühlen können - das tat Dikigoros übrigens auch, als er noch Alkohol trank :-) Und reisen darf er als Angehöriger des Moskauer Staatszirkus auch, sogar zum Klassenfeind Nr. 1, den Yankees. Was will er denn noch mehr? "Ich will Freiheit!" antwortet Anatolij. Freiheit wessen wovon wozu? pflegt Dikigoros darauf weiter zu fragen, und dabei kommen bisweilen die krausesten Sachen heraus. Die Freiheit, alle paar Jahre ein oder mehrere Kreuzchen auf einer Liste vorgegebener Partei-Kandidaten zu machen? Nein, damit könnt ihr Wessis für dumm verkaufen, aber bestimmt keine Russen. Reisefreiheit? Ja, aber hat er die nicht schon? Nein, oder vielmehr: die, die er hat, reicht ihm nicht: "Ich will Rio de Janeiro sehen und London und Paris!" Aber vor allem: "Ich will einen großen Mercedes!" Ach so... einer von der Sorte, denen es zu gut geht und die den Hals nie voll bekommen! Dikigoros überlegt, wann er zuletzt einen großen Mercedes in den USA gesehen hat. In New York City eher nicht; es war wohl in der Wüste von Utah, aber ob das nun die Freiheit ist... Und was die Schuhe anbelangt, so erinnert sich Dikigoros jedesmal, wenn er selber welche kaufen will - er hat Schuhgröße 47, was die Sache nicht leichter macht - verärgert an die alberne Szene im Film: Als Wladímir sich endlich durchgestanden hat, gibt es nur noch - oder schon von Anfang an nur? - Größe 38, und er bräuchte eigentlich Größe 45. Egal... "Drei Paar!" - "Pro Person werden nur zwei Paar abgegeben," sagt die Verkäuferin streng. "Dann zwei Paar." Ein Paar davon schenkt er Boris (bitte sagt doch nicht immer "Bóris", liebe deutsche Leser, das spricht sich "Baríeß"! Und Ihr, liebe griechische Leser, hört einfach nicht hin, wenn die Deutschen und die Russen Euren "Páris" so greulich verhunzen :-), dem Zirkus-Beauftragten des KGB, damit der ihm die Tournee genehmigt. Ach, wie sich Paulchen das so vorstellt... So leicht konnte man jemanden in der SU in einer so wichtigen Angelegenheit nicht bestechen, zumal die Schuhe auch Boris zu klein sind. (Er hätte Größe 42 gebraucht, und später beklagt er sich undankbarer Weise auch noch - dabei wußte er es vorher, wollte die Schuhe aber unbedingt haben, war sogar bereit, Wladímir etwas dafür zu bezahlen :-).

Schließlich dürfen sowohl Wladímir als auch Anatolij mit auf US-Tournee, und das ist die Hauptsache, sonst wäre der Film hier ja schon zu Ende gewesen, und uns wäre die ulkige Szene entgangen, wie die Reisenden in spe von den Beauftragten des KGB (hinter Boris steht noch ein Einflüsterer, der aber nicht weiter wichtig ist) belehrt werden, welche "gefährlichen" Orte sie unter allen Umständen zu meiden haben: Die New Yorker U-Bahn, den Times Square, das Rockefeller-Center... Ulkig vor allem deshalb, weil sie nicht in der Lage sind, diese Namen auch nur halbwegs richtig auszusprechen - "typische Russen", die zu doof sind, um Fremdsprachen zu lernen, oder hat da bloß ein Ami von sich auf andere geschlossen, als er das Drehbuch schrieb? Russisch kann er jedenfalls nicht, sonst hätte er sich als besonderes Beispiel schwerlich das Wort "beautiful" ausgesucht: Wladímir und Anatolij üben die korrekte Aussprache, denn in den USA wollen sie natürlich Frauen kennen lernen, und da die bekanntlich immer nach Komplimenten fischen, muß dieses Wort unbedingt dabei sein. Aber Anatolij bekommt es einfach nicht hin - ist ja auch verdammt schwierig, ein "j" zwischen einem "b" und einem "u" zu sprechen, nicht wahr? Habt Ihr, liebe des Russischen nicht kundige Leser, schon mal versucht, vor einer Reise nach Moskau ein paar Sätze einzustudieren, die Ihr der dortigen Damenwelt vortragen wollt? Was heißt z.B. "Ich liebe Dich!"? Eben... Und nun will Euch Dikigoros noch etwas verraten: "Ju" ist einer von zehn Vokalen des russichen Alphabets, und was immer Ihr auf Kamelopedia oder sonstwo an Statistiken über dessen Häufigkeit lest, ist schlicht falsch. Warum? Weil diese Statistiken von Faulpelzen erstellt worden sind, die sich auf tote Materie stützen, nämlich die geschriebene Sprache, die bloß ein Computerprogramm über ein paar Texte haben laufen lassen, und dabei kommt dann heraus, daß die drei häufigsten Vokale "o", "je" und "a" seien und die drei seltensten "jo", "ä" und "ju". Aber das trifft auf die gesprochene Sprache in keinster Weise zu: Das geschriebene "o" wird, wenn es unbetont ist - also in mehr als 50% aller Fälle" - "a" gesprochen. (Wenn Ihr Euch ein wenig mit russischer Musik auskennt, dann habt Ihr sicher schon mal das Volkslied "Odnoswutschno gremit kolokoltschik" gehört und wißt, daß von den sechs "o" im Titel nur eines tatsächlich "[u]o" gesprochen wird, nämlich das letzte, die anderen fünf dagegen als "a" :-) Das "jo" steht nur deshalb ganz unten in der offiziellen Statistik, weil die Punkte über dem "ë" meist geschlabbert werden, so daß das Computerprogramm sie irrtümlich beim "je" mitzählt, das also ebenfalls viel zu weit oben steht. Und warum steht das "ju" so weit unten? Ganz einfach: Weil man in geschriebenen Texten eher selten Verben in der 1. Person Singular findet - achtet mal drauf! In der gesprochenen Sprache hört man die dagegen in jedem zweiten Satz! Nun endet aber die 1. Person Singular fast aller russischen Verben auf "ju", weshalb das der zweithäufigste Vokal - nach "a" - ist. Und in den meisten Fällen folgt er einem Konsonanten, und nur wenn letzterer ein Zischlaut ist, verkümmert das "ju" zu "u" (sonst wäre es nämlich wirklich schwierig zu sprechen :-) Kurzum: Die Kombination aus "b" [und fast allen anderen Konsonanten] plus "ju" gibt es im gesprochenen Russisch - und darum geht es hier ja - wie den sprichwörtlichen Sand am MeerWolgastrand. (Wenn die Aussprache von "beautiful" einem Russen überhaupt Probleme bereitet, dann nur, weil er Schwierigkeiten mit dem trotz des fehlenden Doppel-"l" kurzen "u" in der Schlußsilbe hat :-) In lobhudelnden Nachrufen auf den Hauptdarsteller Robin Williams - der 30 Jahre nach diesem Film Selbstmord beging - liest man, er habe sich ein ganzes Jahr gründlichst auf die Dreharbeiten vorbereitet, u.a. indem er Saxofon spielen und Russisch sprechen lernte, was er "perfekt" beherrscht habe. Dikigoros bezweifelt stark, daß man auch nur eines von beidem binnen eines Jahres "perfekt" erlernen kann; aber er will mal zu Williams' Gunsten annehmen, daß er Saxofon in etwa so gut spielen lernte wie Bill Clinton - nachprüfen läßt es sich nicht, denn niemand weiß, wer die Saxofon-Passagen im Film tatsächlich gespielt hat; dieser Teil der Vorbereitungen war also, selbst wenn es wahr wäre, überflüssig. Aber daß er perfekt Russisch lernte, ist ein Märchen, sonst hätte er sich bestimmt geweigert, diese entlarvende Szene - die für den Fortgang der Handlung ebenso überflüssig kst - zu drehen. Er bekam ja nicht mal einen richtigen russischen Akzent hin, wenn er Englisch sprach! Seine Fans beklagen, daß ihm für seine Rolle als Wladímir nicht der Golden Globe verliehen wurde (nominiert war er); aber das wäre wohl etwas zu viel des Guten gewesen; verdient hätte er dafür allenfalls die Goldene Ananas!

[Golden Globe] [Goldene Ananas]

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Zwischenbemerkung. Dikigoros hat lange überlegt, welchen Titel und welchen Untertitel er diesem Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" geben sollte. Wie ein jüngerer Filmkritiker bemerkte, ist der Titel "Moskau am Hudson" eigentlich unzutreffend: Erstens gebe es das gar nicht mehr - außer einem kleinen Rest, wie Dikigoros ja schon erwähnt hatte, deshalb hat er im Untertitel nicht "in", sondern "nach" geschrieben. (Auch den Hudson hat er ersetzt; denn die meisten Russen würden dieses Wort nicht verstehen, so wie die Amis es aussprechen, nämlich "Hátßän"; sie selber sagen "Guds[u]ón", mit weichem "s" - es stimmt also mit Ausnahme des "n" am Ende kein Buchstabe überein. Die Bearbeiter der offiziellen deutschen Synchron-Fassung - die Dikigoros nicht gesehen hat; er übersetzt die Dialoge aus einer englisch-russischen Fassung, die er auf ok.ru gefunden hat, dem besten russischen Filmportal im www - scheinen das ebenso empfunden zu haben, denn sie titelten "Moskau in New York"; allerdings wäre "[Ein] Moskauer in New York [City]" wohl treffender gewesen :-) Zweitens sähen wir im Film nichtmal diesen kleinen Rest; vielmehr treibe sich Wladímir bloß mit Italienern, Kubanern und Negern herum (pfui aber auch :-) - das stimmt nicht ganz, aber auf die Ausnahme kommen wir weiter unten zurück. Mit seiner Titelzeile ist Dikigoros selber nicht glücklich, denn New York wird ja durchaus nicht als Schlaraffenland dargestellt, in dem nur der arme Wladímir Probleme hätte; deshalb hätte er eher zu "Der Preis der Freiheit" tendiert. Aber als er diese Webseite zu schreiben begann, da war dieser Titel schon anderweitig vergeben, nämlich für die deutsche Fassung des französischen Films "Force majeure" aus dem Jahre 1989, und damit wollte er um keinen Preis (auch nicht den der Freiheit :-) Verwechslungen hervor rufen. Zwar gehen auch da drei Europäer (wenn man den in Frankreich lebenden algerischen Juden Moritz ben Gigi - der als Schauspieler und Sänger unter dem Falschnamen "Patrick Bruel" operiert - als solchen betrachten will, den Vorkämpfer des anti-weißen Rassismus, der aus der kriminellen Vereinigung "SOS racisme" austrat, weil die ihm nicht radikal genug war) auf Reisen; aber das ist kein "Reisefilm" nach Dikigoros' Definition, denn er ist durch und durch humorlos, vielmehr makaber: Die drei kiffen in einem nicht näher bezeichneten fernöstlichen Land Haschisch; einer wird erwischt und zum Tode verurteilt; und nun versucht ein Vertreter von Amnesty international, die beiden anderen zu überreden, sich freiwillig zu stellen und einen Teil der Schuld auf sich zu nehmen; denn wenn die gefundene Menge - ein knappes Pfund - durch drei geteilt wird, dann würde der Verhaftete nicht mehr als Dealer angesehen, sondern als bloßer Konsument, und dafür gibt es "nur" ein paar Jahre Gefängnis... Im Ernst, liebe Leser, wie kann man so einen Mist thematisieren? Wem daran liegt, solchem Abschaum das Leben zu retten, soll sich doch selber nach Fernost begeben, dort ein falsches Geständnis ablegen und dafür in den Knast gehen! Und wenn nicht, dann ist es nur gut, daß solche Typen hingerichtet werden, nicht so sehr als Strafe - denn strafen tun sie sich ja selber schon genug durch den Drogenkonsum -, sondern als Abschreckung für alle Dealer und solche, die es werden wollen, um aus Geldgier das Leben anderer Menschen zu zerstören. Für Dikigoros stehen Drogendealer [Massen-]Mördern gleich, auch wenn der Tod ihrer Opfer nicht gleich eintritt, sondern erst langsam und qualvoll; denn die Definition des Mordes nach dem deutschen Strafgesetzbuch lautet noch immer: Tötung menschlichen Lebens mit besonderen Qualifikationsmerkmalen, z.B. auf besonders grausame Art und Weise (was bei Drogenopfern unzweifelhaft der Fall ist) oder aus niederen Motiven ("Beweggründen"), wozu nach herrschender Rechtsprechung insbesondere Habsucht zählt. Und das schließt auch die ein, die zufälligen Reisebekanntschaften "nur ein bißchen" von dem Zeug geben, denn damit beginnt das Süchtigmachen. Dikigoros hat auf seinen Asienreisen einige von der Sorte kennen gelernt, vor allem aus Frankreich, denn in jungen Jahren suchte er sich seine Kurzzeit-Reisegefährten bevorzugt unter den Frankophonen, und man durchschaut sie nicht immer rechtzeitig genug, um einen großen Bogen um sie zu machen. Und bevor ihm jemand mailt: Nein, er hätte nichts dagegen, wenn auch die großen Dealer in Alkohol und Nikotin - den wichtigsten Einstiegsdrogen - hingerichtet würden, denn die sind um keinen Deut besser als die anderen Verbrecher jener Branche. Zwischenbemerkung Ende.

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Zurück nach New York. Zunächst verläuft alles nach Plan für die Besucher aus Moskau: Das Zirkus-team tritt auf, das Publikum klatscht Beifall, auf irgendwelchen Empfängen werden mehr oder weniger "gute Gespräche" geführt, z.B. mit einer Dozentin für Marxismus-Leninismus an der Columbia University und mit einem Politologen: "Ihr Präsident (gemeint ist Ronald Reagan) ist doch Schauspieler," sagt ein Sowjet-Mensch, "wie glaubwürdig ist derdenn wohl?" Ach, liebe Leser, noch so ein Klischee: Alle Politiker sind heutzutage Schauspieler, denn sie spielen ihren Wählern etwas vor, ein Lügenmärchen, und bestenfalls glauben sie auch selber daran... Und, wie Reagan auf solche Anfeindungen zu antworten pflegte: "Ich habe wenigstens einen Beruf erlernt, die meisten anderen Politiker haben nicht mal das!" Wie dem auch sei, alles verläuft glatt; und zur Belohnung legt am letzten Tag der Zirkus-Bus auf dem Weg zum Flughafen einen 30-minütigen Stop vor einem großen Kaufhaus ein, damit die tapferen Vertreter der ruhmreichen Sowjet-Union noch ein paar Souvenirs einkaufen können. Was werden sie wohl mit zurück in die teure Heimat nehmen? Ihr werdet es nicht glauben, liebe Leser... Aber Achtung, inzwischen sind wir in New York City, und da kennt sich Mazursky wie gesagt aus - sicher hat er mal eine solche Gruppe Sowjet-Menschen über ein Kaufhaus herfallen sehen. (Wundert sich übrigens jemand, daß Dikigoros so penetrant die Bezeichnung "Sowjet-Mensch" gebraucht statt z.B. "Sowjet-Bürger"? Nun, das ist die einzig korrekte Bezeichnung, wie er sie zu Sowjet-Zeiten auf der Schule gelernt hat: "Bürger [grazhdanin]" galt beinahe als Schimpfwort und wurde nur auf "kapitalistische" Ausländer, d.h. solche aus dem NSW [nicht-sozialistischem Wirtschaftsgebiet] angewendet; die offizielle Bezeichnung für Staatsangehörige der UdSSR lautete "sowetskij tschelowek" [gesprochen "ßafjätzkij tschälowjäck"], übersetzt "sowjetischer Mensch" oder eben "Sowjet-Mensch".) Das Kaufhaus-Personal ist natürlich vorgewarnt und bestens präpariert - oder auch nicht: "Wir wünschen Frieden und Liebe [peace and love] mit allen Russen," säuselt eine Verkäuferin, die Italienerin sein soll, der aber die Exil-Kubanerin aus jedem Knopfloch schaut. (Wie die Schauspielerin mal irgendwo "Miss Teenager" werden konnte, ist Dikigoros ein Rätsel; na ja, vielleicht sah sie da noch besser aus :-) "Ich wünsche Jeans," gibt Wladímir trocken zurück. Am Ständer mit den Jeans sammeln sich tatsächlich alle Zirkus-Russen, denn Klopapier haben sie schon im Hotel mitgehen lassen, ein Mercedes ist nicht im Sortiment, und auf Jeans sind sie tatsächlich alle scharf. (Und das, obwohl in besagtem Kaufhaus - Dikigoros will keine Schleichwerbung machen, deshalb wird er den Namen nicht nennen, aber er hat die Preise recherchiert - Marken-Jeans anno 1984 zwischen 100 und 150 US-$ kosteten, ein kleines Vermögen für Sowjet-Menschen; daß sie heute in Moskau - der teuersten Stadt Europas - erheblich mehr kosten, konnte da noch niemand ahnen :-) Versteht Ihr das, liebe Leser? Dikigoros auch nicht: Jeans sind weder schön noch bequem noch praktisch; und dennoch haben es die Juden von Levis & Co. geschafft, eine ganze Generation total zu verblöden und zu Jeans-fans zu machen, und zwar nicht nur im kapitalistischen Westen, sondern auch im sozialistischen Ostblock, ja weltweit! ["Jeans sind ein Stück Freiheit" ist so ziemlich der blödeste - aber auch so ziemlich der erfolgreichste - Werbespruch seit "Fleisch ist ein Stück Lebenskraft", mit dem man es geschafft hat, eine ganze Generation total zu verblöden und zu täglichen Fleischfressern zu machen - das allerdings nur im Westen.] Dikigoros hat selber erlebt, wie die Leute in Rußland Westler auf der Straße ansprachen, ob sie ihnen nicht Jeans verkaufen können, und seien es die eigenen, gebrauchten. (Er persönlich hat zwar nie welche getragen - aber er mußte dolmetschen :-) Also schnappt sich auch Wladímir ein Paar, dann trifft er sich mit Anatolij in der Umkleidekabine, um sich zu verabschieden. Ein Neger von der Security überrascht sie dort in inniger Umarmung, argwöhnt Böses (Schwulitäten waren 1984 noch nicht "in" :-) und wirft sie hinaus. Sie ziehen weiter auf die Toilette; aber auch dort sind sie nicht ungestört, vielmehr folgen ihnen ihre sowjetischen Aufpasser bis zum Pinkelbecken - die haben wohl doch irgendwie mitbekommen, daß Anatolij sich absetzen will. Aber dann nimmt die Geschichte eine verblüffende Wendung: Anatolij bekommt kalte Füße und beschließt, nach Moskau zurück zu kehren; dagegen bekommt Wladímir - den zuvor niemand in Verdacht hatte; der KGB hatte sogar versucht, ihn als Spitzel gegen Anatolij anzuwerben - plötzlich einen Rappel und beschließt spontan, abzuhauen. Eine wilde Verfolgungsjagd - in US-Filmen obligatorisch - durch das Kaufhaus beginnt und endet irgendwann zwischen neugierigen Kunden, Security- u.a. Angestellten, Polizisten und einem schnell herbei geeilten Vertreter der Ausländerbehörde. "Ich protestiere," zetert Wladímirs Aufpasser, "dieser Mann wird hier gegen seinen Willen festgehalten; er will nach Hause!" - "Ich werde nicht gegen meinen Willen festgehalten," entgegnet Wladímir, "ich will hier bleiben." - "Er wurde unter Drogen gesetzt!" - "Ich wurde nicht unter Drogen gesetzt." Der Aufpasser fällt vor ihm auf die Knie: "Wladímir, weißt du, was du dir und mir und unseren Familien antust?" Wladimír schweigt. Und auf die Frage des Immigration Officers, was er wolle, sagt er nur ein Wort: "Freiheit!" (Aber das hatten wir ja schon :-) - "Dann betrachten Sie sich ab sofort als Asylbewerber aus politischen Gründen." Alle Leute sind erstmal ganz reizend zu ihm: die "italienische" Verkäuferin - unter deren Rockschößen er sich zeitweise verborgen hatte -, der schmierige Anwalt (ein vor Castro geflohener Exil-Kubaner - auch im Film), der gleich auf der Matte steht und sich ihm als Rechtsbeistand für das Asylverfahren andient, und sogar der Security-Neger, der ihn und Anatolij aus der Umkleidekabine verscheucht hatte - Lionel heißt er übrigens -, der ihm nun anbietet, zunächst bei ihm und seiner Familie (übrigens auch ein 5- und nun 6-Personen-Haushalt :-) zu wohnen. Auf die erstaunte Frage nach seinen edlen Motiven sagt er mit Humor: "Ich fühle mich solidarisch, ich bin nämlich selber auch ein politischer Flüchtling - aus Alabama!"

So weit, so gut, freedom beats security Freiheit vor Sicherheit. Wirklich? Nun, man kann nicht alles haben, und man muß wissen, was einem wichtiger ist. Wladímir glaubt es zu wissen. Was genau ist es also? Beginnen wir mal mit der freien Berufswahl: In der SU wurde einem der Arbeitsplatz "von oben" zugewiesen, nicht immer der beste - aber man hatte wenigstens einen, und der war auch sicher. (Nein, man hatte kein Streikrecht, aber das ist eine andere Geschichte, die nach Dikigoros' Meinung nichts mit "Freiheit" zu tun hat, denn über den Streik entscheidet ja nicht der einzelne Arbeitnehmer, sondern die Gewerkschaftsbonzen, die manchmal auch nicht besser sind als die KGB-Bonzen - bloß besser bezahlt :-) Und wenn es auch nicht der am besten bezahlte war - darauf kam es ja nicht an, denn was konnte man sich für Rubl schon kaufen? Man bekam ja auch die Wohnung zugewiesen, und wenn man eine hatte, dann war sie nicht übermäßig teuer. In New York muß man sich dagegen selber nach einem Job und einer Wohnung umsehen - und Dikigoros hat hier ganz bewußt die Vokabel gewechselt. Beruf, Berufung, Job - wo ist der Unterschied? Nun, Wladímir war nicht nur von Beruf Saxofonist, sondern auch aus Berufung. Er war also auch insoweit privilegiert - aber das war ihm wohl gar nicht so klar. Man merkt bekanntlich immer erst, was man an etwas hatte, wenn man es nicht mehr hat - Und Wladímir hat ja jetzt gar kein Saxofon mehr, denn sein Instrument (wenn es denn überhaupt sein Instrument war und nicht eines, das im Eigentum des Zirkus stand) ist im Bus zum Flughafen geblieben und nach Moskau zurück gekehrt, wo sich bestimmt jemand sehr gefreut hat, Wladímirs Arbeitplatz im Zirkus einzunehmen. Wladímir muß sich also einen neuen Job suchen, und er findet auch einen, denn wer arbeiten will und ein paar Brocken Englisch spricht (er hat ja vorher geübt :-) kann in New York immer einen Job bekommen - es fragt sich halt nur, ob er sich vom Arbeitslohn dann auch einen dicken Mercedes leisten kann... Wladímir findet sogar mehr als einen Job, d.h. er versucht sich nacheinander als Busaffe, Kassierer bei McDonald's und Straßenverkäufer. Die Antwort ist jedesmal "nein", denn das Entgelt ist lausig. Egal, er sucht sich einen neuen Job als Chauffeur; nun kann er also ein dickes Auto fahren; ob es ihm selber gehört oder nicht, das ist doch egal - oder?

Lassen wir das einstweilen dahin stehen und kümmern uns um die Privatsfäre. In der SU gab es ja keine: Wenn man allzu laut seine politische Meinung kund tat, stand gleich der KGB auf der Matte; und wenn man sich mit seiner Freundin in einer fremden Wohnung zum Schäferstündchen traf, dann verpetzten einen gleich die neidischen Nachbarn, und wieder bekam man Ärger mit dem KGB. (So jedenfalls im Film; ob das stimmt oder nicht oder doch, das kann Dikigoros nicht sagen :-) Hier bändelt er also mit der "italienischen" Verkäuferin - Lucia heißt sie übrigens - an; und dabei stellt er ihr auch die Frage, warum sie eigentlich in die USA geflohen ist. Tja, das ist eine gute Frage, denn wovor sollte sie schon geflohen sein? - Vor den schlechten Arbeitsbedingungen in Italien, um es in New York besser zu treffen. - Als Verkäuferin? - "Nein, ich will ja nicht immer Verkäuferin bleiben, sondern irgendwann mal zum Film oder zum Fernsehen." Aha, denkt Dikigoros, wieder so eine, die den Hals nicht voll kriegt und dicke Flausen im Kopf hat, von wegen "Celebrity" werden... Aber erstmal muß sie warten, bis sie ihre U.S. citizenship hat, und so lange hält die Beziehung. Dann kommt der große Tag, der Tag ihrer Einbürgerung; Wladímir freut sich mit ihr und macht ihr einen Heiratsantrag. (Wir wollen doch zu seinen Gunsten annehmen, daß er - dessen Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist - das nicht nur tut, um eine permanente Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen :-) Aber sie läßt ihn nicht nur mit seinem Antrag abblitzen, sondern macht ganz Schluß mit ihm. Punkt. Was soll man dazu sagen? Daß westliche Frauen unberechenbarer sind als russische? Dikigoros weiß es nicht. (Er kennt zu wenig russische Frauen, um ein so weit gehendes Pauschal-Urteil zu fällen :-) Aber es ist wohl so, daß nicht nur die familiären, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen überhaupt in sozialistischen - und anderen - Diktaturen viel stärker ausgeprägt sind (man muß gegen den Staat zusammen halten!) als in einem freiheitlichen Staat - und das waren die USA 1984 ja noch, jedenfalls im Vergleich zur SU -, wo man sich relativ gefahrlos von allzu engen persönlichen Bindungen "frei" machen kann. (Nicht-Amerikaner empfinden das oft als "Oberflächlichkeit"; und speziell Deutsche sind z.B. oft befremdet über den Unterschied zwischen "Freunden" und "friends" - aber nichts weiter steckt dahinter!) Und wie ist das mit dem "Flüchtling" Lionel? Eines Tages beschließt er, sein Exil aufzugeben und nach Alabama zurück zu kehren, jenes schlimme Alabama, wo Neger so arg diskriminiert werden und so ein schweres Leben haben! Und zu allem Überfluß erreicht Wladímir auch noch die Nachricht, daß sein Vater in Moskau aus Kummer gestorben ist.

Um seinen eigenen Kummer zu ertränken, kehrt Wladímir in einen Nachtclub ein - dafür reicht sein Lohn - und besäuft sich. Das sollte man nicht tun, schon gar nicht in New York, wenn man in einer billigen Gegend wohnt. (Irgendeine Bleibe findet man in New York - wie irgendeinen Job - immer, fragt sich halt nur wo :-) Denn in dem Zustand ist man in manchen Situationen klar im Nachteil, auch wenn man selber aussieht wie ein russischer Bär und die beiden Neger, die einen überfallen und zusammenschlagen, bloß Jugendliche sind, die man in guter Form ohne weiteres platt machen würde. Und damit kommen wir zum dritten Aspekt von "Freiheit oder Sicherheit": 1984 war New York City die Großstadt mit der höchsten Kriminalitätsrate der Welt (heute ist es weit zurück gefallen, nicht mal mehr in der Top 20) und Moskau die mit der niedrigsten (auch das hat sich gründlich geändert). Innere Sicherheit war also eine positive Kehrseite des Überwachungsstaats, die man der Freiheit zu Liebe aufgab. Man gab jedoch nicht nur innere Sicherheit auf, sondern auch äußere; aber das war vielen noch nicht so klar. Immerhin änderten die Filmemacher das Plakat nach dem 11. September 2001 stillschweigend, indem sie die beiden Türme des World Trade Center heraus schnitten und sie durch die des guten alten Empire State Buildings, des Crysler Buildings und des Rockefeller Centers ersetzten. (Nein, das hatte entgegen weit verbreiteten Gerüchten nichts damit zu tun, daß sie ein Fotograf ob des noch älteren Kinoposters wegen Urheberrechtsverletzung verklagt hatte!) Dagegen brauchten sie den roten Stern auf dem obersten Zwiebelturm des Moskauer Kremls nach 1991 nicht zu retouchieren, da er von Anfang an nicht mit drauf war.

Und was wiegt nun am schwersten? Der Verlust des Traumberufs Saxofonist? Der Verlust der Freundin? Oder der Verlust der körperlichen Sicherheit, wenn man spätabends mit besoffenem Kopf durch die Straßen läuft? Letzteres ist für Russen bekanntlich ein besonders hohes Gut, und da man die beiden anderen Dinge ohnehin nicht einklagen kann, läuft Wladímir erst in der letzten Sache zu seinem kubanischen Anwalt, gibt auf sein Anraten eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung auf und kehrt in einem Schnell-Imbiß ein, wo er sich - noch mit Beule am Kopf und Veilchenauge - mit einem Typen anlegt, der aussieht wie zwei Bären und sich ebenfalls als russischer Asylant entpuppt. Der wäscht ihm gehörig den Kopf; und am Ende beginnt Wladímir ernsthaft nachzudenken, ob die Flucht in die "Freiheit" wirklich die richtige Entscheidung war oder nicht oder doch. Wollen wir das auch tun, liebe Leser? So wie Wladímirs Leben in New York bisher verlaufen ist, müßte die Antwort wohl lauten: "Nein, ganz bestimmt nicht!" Aber so will Mazursky den Film nicht enden lassen. (Wie sagt der Angelsachse: "He won't take 'no' for an answer [Die Antwort 'nein' läßt er nicht gelten]!" :-) Deshalb schreibt er (er hat auch das Drehbuch verfaßt) einen Schluß, in dem sich plötzlich alles - aber wirklich alles - für Wladímir zum Guten wendet: Lucia taucht wieder auf und zieht mit ihm zusammen. Er findet einen Job eine seiner Berufung entsprechende Tätigkeit als Saxofonist in dem bewußten Nachtclub. (Das Besäufnis dort war also doch zu etwas gut! Woher er das Saxofon hat? Keine Ahnung - es ist jedenfalls sein eigenes, denn er wird es in der Schlußszene auch auf der Straße spielen :-) Und Lionel flieht erneut aus Alabama nach New York - er bekommt seinen Job als Fahrer des dicken Wagen. So sind sie alle glücklich und zufrieden. Wirklich alle? Ja, denn in Amerika gibt es ja kein kleines gallisches Dorf mit ob der römischen Fremdherrschaft Unzufriedenen. (In Frankreich auch nicht, denn Astérix und Obélix leben in der Bretagne, und da gab es zu Caesars Zeiten gar keine Gallier - aber das ist eine andere Geschichte :-) Und jetzt kommt die Krönung: Wladímir trifft auf der Straße zufällig Boris wieder, der ebenfalls bei nächster Gelegenheit als "politischer Asylant" in die USA geflohen ist und nun als Würstchenverkäufer jobbt - er spendiert ihm sogar eines, for old times' sake. Der Film endet also mit Hot Dogs Friede, Freude, Eierkuchen - und Freiheit! In der eigentlichen Schlußszene - die am Anfang des Films kommt, denn die Story wird aus der Rückschau erzählt - hat sich Wladímir schon so gut eingelebt, daß er einem französischen Touristen (oder Asylanten? Aber auch das ist eine andere Geschichte :-) den Weg - und die Buslinien, schließlich war er mal Busaffe - zum Lincoln Center (und wahrscheinlich nach überall in New York City) erklären kann.

Halt, wir sind noch nicht ganz fertig. Wo hat Mazursky noch gemogelt? Nun, in einem Punkt, der echt makaber ist. Denn entgegen seiner Behauptung, daß der "Plot" etwas mit seiner eigenen Biografie und/oder der seines Großvaters zu tun habe, ist es vielmehr die stark verharmloste leicht abgewandelte Lebensgeschichte des Schauspielers Sawelij Kramarow alias "Boris"! Er war in der SU ein Star, nicht als kleiner Saxofonist im Zirkus, sondern als "leading man [Hauptdarsteller]" in Film-Komödien, man könnte beinahe sagen, der Komödiant schlechthin; und Dikigoros hätte ihm wahrscheinlich eine Webseite in seiner Sammlung berühmter Schauspieler des 20. Jahrhunderts gewidmet, wenn... seine Karriere nicht 1978 schlagartig geendet hätte; da entdeckte der gebürtige Moskauer nämlich plötzlich den orthodoxen Juden in sich und verspürte ein dringendes Verlangen nach "Religionsfreiheit". Also stellte er einen Ausreiseantrag - nicht etwa nach Israel, sondern in die USA -, und damit war er in der UdSSR so gut wie gestorben: Sein Name wurde von allen Filmplakaten, aus jedem Film-Vor- und -Abspann entfernt, und es bedurfte der persönlichen Intervention seines Kollegen a.D. Ronald Reagan, damit sein - zunächst abgelehnter - Ausreiseantrag nach zweieinhalb Jahren doch noch genehmigt wurde. Aber in den USA wurde er nicht glücklich, weder in Jew York noch in L.A. noch in Frisco. Beruflich war es ein Abstieg ohne gleichen: Er bekam nur noch unbedeutende Nebenrollen; die des Boris in Moscow on the Hudson war sein "bestes" Engagement - und da mußte er ausgerechnet einen der von ihm so abgrundtief gehaßten KGB-Leuten spielen - was mag er dabei empfunden haben? Nach dem Auseinanderbrechen der SU ging er noch einmal nach Rußland, bekam dort aber kein Bein mehr auf den Boden. Er kehrte in die USA zurück; 1995 - neun Jahre nach diesem Film - fiel er mit gerade mal 60 Jahren einem Quacksalber zum Opfer, der ihn bei einem Routine-Eingriff zu Tode operierte. Die jüdische Gemeinde mußte für ihn sammeln, damit er wenigstens einen ordentlichen Grabstein auf dem jüdischen Friedhof "Die Hügel der Ewigkeit" von Colma bekam - so viel zum "Happy-end" des auf der Suche nach "Freiheit" ins Schlaraffenland USA emigrierten Moskauers in real life!

Lagen darum alle falsch, die noch wenige Jahre vor der "Wende" die SU verließen? Hätten sie nicht besser ausgeharrt? Ach was! Erstens konnte man nicht voraus sehen, daß die SU so bald auseinander brechen würde, egal wie unzufrieden große Teile der Bevölkerung mit den herrschenden Zuständen waren. Merke: Revolutionen brechen in der Regel nicht aus, wenn es dem Volk zu schlecht geht - dann hat es meist nicht die Kraft, sie zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen -, sondern wenn es ihm zu gut geht. Oder sie gehen gar nicht vom Volk aus, sondern von Strippenziehern im Hintergrund - manchmal sogar von Einzelpersonen im Vordergrund; und dem Ende der Sowjet-Union lag so ein seltener Fall zugrunde: Ein ständig besoffener russischer Bär kleiner Moskauer Lokalpolitiker - der zufällig auch Boris hieß -, getrieben von persönlichem Haß auf Gorbatschëw, der ihm übel mitgespielt hatte - bekam eines Tages einen Rappel, nahm das aber nicht zum Anlaß, ins Ausland zu fliehen, sondern ganz im Gegenteil, die Kommunistische Partei für verboten und die UdSSR für aufgelöst zu erklären. Frechheit siegt - und diese Frechheit hätten ein Saxofonist und/oder ein Zirkusclown eben nicht aufgebracht, deshalb war es für die besser, abzuhauen! Und zweitens stehen sich gar nicht alle Menschen im heutigen Rußland besser als früher in der SU - im Gegenteil: Während einige Bonzen sich goldene Nasen damit verdient haben, Staatsbetriebe in die eigenen Taschen zu privatisieren, sind nicht nur Saxofonisten und Clowns die Dummen. Wer geht schon noch in den Zirkus? Dikigoros auch nicht: Was ist so interessant daran, dressierte Tiere anzugaffen, abgedroschene Clown-Witze zu hören oder ein paar Faule-Zauber-Kunststücke zu erleben, deren Tricks man längst kennt? Und die Hochseilartist[inne]en am Trapez, die ihm früher mal imponierten, können doch den heutigen Turner[inn]en nicht mehr das Wasser reichen! Halt, etwas hat sich doch geändert: Heute darf jeder, dem es in Moskau oder sonstwo in Rußland nicht mehr gefällt, frei ausreisen. Aber kaum noch jemand macht von dieser Freiheit Gebrauch - warum wohl? Denkt mal drüber nach!

Nachtrag:
Auch Dikigoros hat noch mal nachgedacht, und zwar über die Schlußszene, genauer gesagt, warum sie am Anfang des Films steht - der sich doch eigentlich gar nicht zur Rückschau eignet; er ist ja keine Autobiografie, die auf dem Sterbebett erzählt wird -, und warum sie scheinbar so banal ist: Den Weg zum Lincoln Square und dessen bekanntestem Gebäude, dem Lincoln Center, kennt doch jeder - auch ohne Busaffe gewesen zu sein -; hätte der Franzose nicht etwas schwierigeres fragen können, damit Wladímir in den Augen der Zuschauer so richtig hätte glänzen können? Oder steckt etwa mehr dahinter? Nun, das Viertel um den Lincoln Square herum war noch in Dikigoros' Kindheitstagen einer der schlimmsten Neger-Slums - vielleicht der schlimmste - von New York, so übel, daß die Stadtverwaltung offiziell bestritt, daß er nach Abraham Lincoln benannt wurde, um keine unschönen Assoziationen mit dessen Negerbefreiung herauf zu beschworen. Doch dann kamen Baulöwen Investoren wie z.B. Donald Trump und begannen mit dem, was man heute vornehm "Gentrification" bzw. "Gentrifizierung" nennt: Sie kauften die Bruchbuden billig auf, rissen sie ab - knapp 10.000 Neger wurden zwangsumgesiedelt nach Harlem und in die Bronx (dort kam es nicht mehr drauf an :-) - und errichteten Luxusgebäude, an denen sie sich die sprichwörtliche Goldene Nase verdienten. 1984 war das Viertel um den Lincoln Square so ziemlich das feinste von Manhattan. Also paßt das haargenau in die Film-Legende, daß sich am Ende alles zum guten gewendet hat - nicht nur für Wladímir, sondern für ganz New York!

Wirklich? Auch darüber hat Dikigoros mal nachgedacht. Gewiß, Slums sind nicht schön, und wenn man sie sanieren will, dann kostet das Geld, und das muß irgendwie wieder herein kommen. Aber wie entstehen solche Slums überhaupt, und wer kann ein Interesse daran haben? Selbst Harlem war ja nicht immer ein Slum, sondern vor dem Krieg zwar auch schon ein Schwarzen-Viertel, aber eines der schwarzen Mittelschicht - dort brauchte man keine Angst zu haben, überfallen und zusammen geschlagen zu werden, wenn man nachts besoffen nach Hause kam! (Aber das tat man dort ja gar nicht :-) Wie und warum werden solche Viertel zu "Slums" und reif für eine "Gentrifizierung"? Nun, Dikigoros hat schon einen Namen genannt, der heute vielen - besonders vielen Linken - als Buhmann gilt, einigen Ignoranten sogar als "Antisemit". Das Gegenteil ist richtig: Trump ist lediglich eine Marionette des gefährlichsten jüdischen Clans der Welt, in den seine Lieblingstochter eingeheiratet hat und der heimlich im Weißen Haus die Regierungs-Strippen zieht. In englischsprachigen Ländern schreibt er sich "Kushner", in frankofonen "Kouchner", in deutschen "Kasner" oder "Kastner". Bernard Kouchner ist der Vater der weltweiten Migrationsbewegung, die seit 2015 zur Sintflut angewachsen ist, seit Sarah Sauer - eine geborene Kasner - ihr die Schleusen nach Europa geöffnet hat. Und auch Trump denkt nicht im Traum daran, sein wichtigstes Wahlversprechen, die Beendigung der illegalen Immigration in die USA, einzulösen. Im Gegenteil - sie hat unter ihm noch zugenommen und die bisherigen Rekordzahlen des Obama-Regimes weit übertroffen. Sollte das etwas Methode haben? Wenn man ein Viertel "gentrifizieren" will, muß man zuvor lästige Elemente los werden, die sich nicht ohne weiteres - d.h. nicht ohne größeren Zeit- und Geldaufwand - hinaus werfen lassen, mit anderen Worten den Mittelstand. Was tut man also? Ganz einfach: Man lädt eine Unzahl von "Rapefugees" u.a. "Migranten" bei ihnen ab, so lange, bis sie "freiwillig" weg ziehen; und wenn das Viertel dann ganz herunter gekommen ist, kauft man es billig auf, reißt es ab und macht wieder den großen Reibach - die "Migranten" werden zwangsumgesiedelt in ein anderes Viertel, das sich die "Investoren" ausgeschaut haben, und dort beginnt die Prozedur von neuem.

[Rapefugees]

Nein, 1984 konnte man das noch nicht vorher sehen, jedenfalls nicht, daß es einmal in so großem Stil Schule machen würde, geschweige denn, welche verbrecherischen Mittel dafür eingesetzt werden würden - da waren Begriffe wie "Gentrifizierung" oder gar "Menschenrecht auf Migration" noch gar nicht erfunden. Aber der Sinn des Anschauens alter Filme und des Über-sie-Nachdenkens liegt ja oft gerade darin, solche Bezüge zur Gegenwart her zu stellen; und hier haben wir ein Paradebeispiel: Lincoln Square ist überall, nicht nur in New York, sondern auch in London, Paris, Berlin, Brüssel, Amsterdam, Stockholm und und und... Moskau? Nein, dort nicht - und ebenso wenig in Warschau, Budapest und den meisten anderen Städten des ehemaligen Ostblocks. Und jetzt dürft Ihr noch einmal über die Frage am Ende des vor-vorletzten Absatzes nachdenken!

* * * * *

Noch ein Nachtrag:
Den vorigen Nachtrag schrieb Dikigoros im Oktober 2019, kurz vor Ausbruch der weltweiten Corona-Panhysterie, die ihren Ausgang... nein, nicht in Wuhan/China, sondern... ausgerechnet in New York City nahm. Die Macher von "Hudson on the River" hätten sich wohl nicht träumen lassen, daß dort nur dreieinhalb Jahrzehnte später die schlimmste Diktatur der US-Geschichte errichtet werden würde, mit Terrorisierung ihrer nicht mit der Todesspritze verseuchten, pardon "geimpften" Untertanen. Nicht, daß es in Rußland im allgemeinen und Moskau im besonderen sooo viel besser wäre. (Ihr dürft nicht alles glauben, was Thomas Röper auf seinem Blog "Anti-Spiegel" schreibt - vieles ist gut und richtig; aber einiges ist auch dem Umstand geschuldet, daß er dort als Immigrant weiterhin geduldet sein will, denn die DDR 2.0 BRDDR würde ihn schwerlich zurück nehmen. Und über manches schweigt er sich wohlweislich ganz aus, z.B. die menschenverachtenden "Anti-Corona-Maßnahmen" in Moskau, über die man sich besser anderswo informiert. Wohlgemerkt, das ist kein Hirngespinst der bösen "Verschwörungstheoretiker" von Infowars - nicht mal die Moscow Times bestreitet es, ganz im Gegenteil: deren Macher finden das sogar gut!) Aber verglichen mit den USA im allgemeinen und New York City im besonderen können sich alle Russen beglückwünschen, die noch die paar Jahre bis zum Ende der Sowjet-Union durchgehalten haben und nicht in den Westen emigriert sind. Gewiß, Freiheit kann man nicht essen; aber wenn man die Lebensmittel-Läden nicht mehr betreten darf, ohne "geimpft, getestet oder genesen" zu sein, dann beginnt man, die Freiheit zu schätzen, ungespritzt und ohne Narrenkappe vorm Maul herumlaufen, -fahren und selbst in der Öffentlichkeit -sitzen zu dürfen, ohne gleich mit Waffengewalt angehalten und womöglich ins QZ (Quarantäne-Zentrum) eingewiesen zu werden.


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