HIGH SEASON/HIGH TREASON
HOCHSAISON IM DODEKÁNIS

Von Groß-Britannien nach Ródos
Vom Untergang einer Insel in der Touristenflut
"Die Zukunft liegt immer hinter uns . . . !"
CLARE & CHLOE PEPLOE: HIGH SEASON (1987)
(DEUTSCH: KÜNSTLER, KILLER & KANONEN)

Ein Kapitel aus Dikigoros' Webseite
"AVEZ-VOUS  BOURBON?"

Große Reisefilme des 20. Jahrhunderts

Die Aufnahme ausgerechnet dieses Films in Dikigoros' Reisefilm-Sammlung bedarf der Rechtfertigung, da es doch mindestens zwei Filme zum selben Thema - Angelsachsen in Griechenland - gibt, die weitaus populärer, ja geradezu Kultfilme geworden sind: "Sonntags nie", von und mit dem in New York lebenden russischen Juden Jules Dassin (dem Vater des widerwärtigen Schlagersängers Joe Dassin) und der widerwärtigen Sozialistin und Deutschen-Hasserin Melina Mercouri (die den Titelsong "Die Kinder von Piräus" sang, den Lale Andersen in Deutschland unter dem Titel "Ein Schiff wird kommen" zum Hit machte), und "Alexis Zorbás", mit dem Halb-Iren (und Halb-Mexikaner) Anthony Quinn als typischem Griechen, nach dem gleichnamigen Roman des untypischen Griechen und Kreters Kazantzakis. Aber der erstere Film hat nicht die Begegnung zweier Kulturen zum Gegenstand (die "amerikanische" Hauptgestalt ist nämlich selber griechischer Abstammung und fühlt sich griechischer als alle Griechen, die er in Griechenland trifft), sondern die zwischen Mann und Frau, Freier und Hure. Und der letztere Film ist keine Komödie, sondern ein düsterer Langweiler, von dem Dikigoros nie begreifen wird, wie er einen solchen Erfolg haben konnte. (Nebenbei bemerkt vermittelt er auch keine echte Begegnung zwischen zwei Kulturen - z.B. gibt es den berühmten Tanz, den seither alle Welt für "typisch griechisch" hält, in Griechenland gar nicht - er ist ein Fantasieprodukt des zwielichtigen Musikanten Mikis Theodorakis.) Beide Filme lohnen also eine Besprechung an dieser Stelle nicht.

Wenn ein junger Mann ein altes Schild mit der griechischen Inschrift "O Ómiros [Homer]" abhängt und es durch ein neues mit dem englischen Schriftzug "Lord Byron" ersetzt - was lernen wir dann daraus? Vielleicht, daß auch er "Sonntags nie" gesehen hat (dessen Hauptgestalt ebenfalls "Homer" heißt) und der Regisseur damit andeuten will, daß er etwas ganz anderes auf die Leinwand bringen will, vielleicht aber auch nur, daß man eine Menge britischen Humors haben muß, um das witzig zu finden, auch auf Ródos. [Seit der griechischen Rechtschreibreform von 1981 schreibt man es ohne Häkchen auf dem R, d.h. ohne "h" - gesprochen hat man es schon lange nicht mehr, deshalb fehlt es z.B. auch bei Ómiros; aber die Betonungsakzente sind nach wie vor obligatorisch.] Aber was bleibt einem anderes übrig auf der Hauptinsel des Dodekánis [so nennen die Griechen jene Ansammlung von 12 Inseln, die wir meist "Dodekanes" schreiben], die spätestens seit den 80er Jahren mindestens so britisch geworden ist wie Mallorca deutsch. Und das ist erstaunlich, denn Ródos ist nie eine britische Kolonie gewesen - im Gegensatz zu anderen Mittelmeer-Bastionen wie Gibraltar, den Balearen, Malta, den Ionischen Inseln (mit Kérkyra alias Corfu oder Korfu), Kípros (alias "Cyprus" oder "Zypern") oder Suez. Ihr meint, daß die Briten dort vielleicht gerade deshalb mit offenen Armen aufgenommen worden seien, weil sie keine Kolonialherren waren, sondern "Befreier" vom Faschismus, und die Bevölkerung folglich keinen Grund hatte, sie zu hassen? Ihr irrt: Die Leute von Ródos waren mehr als zufrieden gewesen mit ihren letzten Kolonialherren, den Italienern, die sie 1912 nach fast vier Jahrhunderten aus der türkischen Knechtschaft befreit hatten. Nie war so viel für sie getan worden wie zur Zeit Mussolinis (der dort immer noch heimlich verehrt wird); und nicht umsonst sagt die schwarze Witwe Penelópe [in der deutschen Fassung penetrant falsch - nämlich auf der zweiten Silbe - betont; die Griechen sprechen sie heute "Pinelópi" aus; aber da es sich bei beiden "i" um alte "ä" handelt, behält Dikigoros das übliche "e" bei] zu Mrs. Lamb, der jungen Britin: "Mein Mann Ómiros [auch er wird in der deutschen Fassung penetrant falsch - auf der zweiten Silbe - betont; die Engländer betonen ihn richtig, auf der ersten Silbe, wie so viele andere griechische Fremdwörter, die wir falsch betonen, von Extase über Skandal bis Tyrann] war ein Held, ein Freiheitskämpfer, der immer alle Invasoren bekämpft hat. Er hat Türken getötet (obwohl er auf dem Bild an der Wand eher aussieht wie Atatürk - aber vielleicht zählt das mit zum britischen Humor :-) und Deutsche - und Engländer."

Von Italienern sagt sie nichts. Als Mussolini 1943 gestürzt wurde, besetzten deutsche Truppen von Kríti [Kreta] aus den Dodekánis. Daß es dabei zu größeren Kampfhandlungen mit Partisanen gekommen ist, hält Dikigoros für ein Gerücht; sicher ist aber, daß die Briten noch Ende 1944, als die Deutschen bereits im Begriff waren, die Insel zu räumen, Rhódos [damals schrieb es sich noch so, und Dikigoros versucht immer, die Rechtschreibung jeweils der Zeit anzupassen, über die er schreibt] mit Terror-Bombardements platt machten, die zu den schlimmsten des Zweiten Weltkriegs zählten und fast ausschließlich die Zivilbevölkerung trafen. Anschließend begann eines der düstersten Kapitel der - an düsteren Kapiteln wahrlich nicht armen - griechischen Geschichte, der Bürgerkrieg aller gegen alle, vor allem aber der von der Sowjet-Union unterstützten Kommunisten gegen die von Groß-Britannien unterstützen Monarchisten. Die letzteren siegten schließlich, und undankbar wie sie waren, bestanden sie auf Räumung des Dodekánis von britischen Truppen. Die gaben - unter Druck der USA - nach, zerstörten aber vor ihrem Abzug noch alles, was sie nicht schon zuvor kaputt gebombt hatten, und hinterließen Hungersnot und Chaos. Spätestens danach hätte eigentlich kein anständiger Grieche mehr einen Briten auf die Insel lassen dürfen. Ja, spätestens, denn es mag wohl sein, daß die Griechen ein besonderes Geschick hatten und haben, sich außenpolitisch in die Nesseln zu setzen und an vielen düsteren Kapiteln ihrer Geschichte nicht ganz unschuldig sind (insbesondere ihre Politik gegenüber den Deutschen, von denen sie aus unerfindlichen Gründen stets geliebt, überschätzt, ja vergöttert worden sind, war - und ist - von einer geradezu unglaublichen Dummheit und Undankbarkeit geprägt); aber womit sie all das verdient haben, was die Briten ihnen angetan haben, vermag Dikigoros beim besten Willen nicht zu erklären.

Zwei Jahrhunderte lang haben die Briten die Griechen von einem Krieg in den nächsten gehetzt und danach stets fallen lassen wie die berühmte heiße Kartoffel. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich die Griechen gerade anschickten, klammheimlich die wirtschaftliche und politische Macht im Osmanischen Reich zu übernehmen (so daß sie auf ihre "Unabhängigkeit" gut hätten verzichten können), hetzten die Engländer sie in den "Befreiungskrieg". Tatsächlich hatten die Briten es selber auf diverse griechische Inseln abgesehen; zu allererst auf die sieben Ionischen ["Eftánis" - 7 heißt auf Griechisch eftá; die dösköpfigen deutschen "Humanisten" des 16. Jahrhunderts transkribierten das "f" fälschlich als "ph" und vergaßen dann das letztere, so daß es zu "hepta" verballhornt wurde, zu allem Überfluß auch noch mit einer falschen Betonung auf der ersten Silbe], die sie sich 1815 auf dem Wiener Kongreß unter den Nagel rissen. Von dort hetzten sie zum Aufstand gegen die Pforte, der 1821 ausbrach und nicht nur völlig sinn-, sondern ebenso chancenlos war. Sechs Jahre lang ließen die Briten die Griechen bluten (das paßte ihnen wunderbar in ihre anti-türkische Greuelpropaganda, die Byron und andere Narren dazu brachte, nach Griechenland zu fahren, um dabei mit zu machen), dann schlugen sie selber zu, d.h. sie vernichteten bei Navarone die türkische Flotte. (Seither ist dieser Ort - den die Griechen Pílos nennen - für die Briten ein Schlagwort, so sehr, daß noch 1960 unter dem Titel "The Guns of Navarone [Die Kanonen von Navarone]" ein dümmlicher anti-deutscher Propagandafilm gedreht werden konnte; Anthony Quinn bekam zur Belohnung für seine Rolle als tapferer Deutschen-Feind Stavros von der griechischen Regierung ein Anwesen auf Rhódos geschenkt.) Dabei dachten sie aber gar nicht daran, Griechenlands Unabhängigkeit anzuerkennen; das taten sie erst zwei Jahre später, nachdem klargestellt war, daß der neue Staat wirtschaftlich völlig von Groß-Britannien abhängig wurde.

Wie England die Griechen in den Ersten Weltkrieg hinein zog und in das kleinasiatische Abenteuer danach, das sich zur "megáli katastrofí" auswachsen sollte, berichtet Dikigoros an anderer Stelle. Die Geschichte, wie England es in den Zweiten Weltkrieg hetzte, darf noch nicht offen geschrieben werden; in den Märchenbüchern, die für den "Geschichts"-Unterricht an Schulen und Universitäten verwendet werden, steht immer noch, daß die bösen Nazi-Deutschen Griechenland überfallen hätten. Daß deren Staatschef Metaxás aber selber bekennender Faschist, ein großer Bewunderer Deutschlands (wo er eine Zeit lang gelebt hatte) im allgemeinen und Hitlers im besonderen, überdies ein persönlicher Freund von Goebbels war, ist so gut wie vergessen; und daß die Briten - die bereits einige griechische Unteroffiziere und Mannschaften bestochen hatten, um in Albanien einen nicht erklärten und von der griechischen Regierung nicht unterstützten, aber gleichwohl sehr erfolgreichen Krieg gegen die Italiener zu führen -, Metaxás ermordeten und erst damit den Einmarsch der Deutschen auslösten, wird bis heute hartnäckig verschwiegen oder geleugnet; ebenso, daß sie - durch ihre nachgiebige Haltung gegenüber den Sowjet-Russen - den griechischen Bürgerkrieg erst provozierten. Wie dem auch sei: Geld stinkt nicht; und wenn der Tourismus (und vor allem der Touristennepp :-) nun mal die bequemste Art ist, schnell viel Geld zu verdienen - warum sollte man seine Feinde da nicht schröpfen, quasi zur Wiedergutmachung?


Griechenlands wichtigste Urlaubsgebiete und Devisenbringer v.l.n.r.: Ionische Inseln (mit Korfu), Kreta, Dodekanes (mit Rodos)

Für die Griechen - und besonders für die Insel-Griechen - war "o xénos" [der Fremde] immer mehr der Feind als der Gast, was man ihnen kaum verdenken kann: Seit dem 4. Jahrhundert v.C. waren sie fast ununterbrochen von Ausländern besetzt, erst von den Makedónen, dann von den Römern, dann von den Kreuzfahrern (die sich auf Rhódos besonders lange hielten, in Form des Malteser-Ordens), dann von den Türken; was Wunder, daß die Griechen das Wort Xenofówia erfanden! Nur so war es ihnen möglich, ihre kulturelle Identität wenigstens halbwegs zu bewahren - in welchem europäischen Land gibt es das sonst noch, daß fast ausschließlich die Namen "heidnischer" Götter und sagenhafter Heroen der Antike weiter verwendet werden? Daß die Leute nach wie vor Achill[éas], Adónis, Adigóni [Antigone], Aristotélis, Eléni [Helena], Níki, Ómiros, Páris, Penelópe, Sofóklis oder Sokrátis heißen? Nun ja, einige finden sich - in italienischer oder russischer Übersetzung - auch bei uns wieder, wie "Anton" (von Adónis; das nicht-aspirierte d schreibt sich im Griechischen "nt", deshalb kennt Ihr, liebe Türkei-Reisende, den alten Hafen Adalya heute nur noch in der Schreibweise "Antalya" und sprecht ihn - genau wie die Türken - falsch aus, ebenso den alten Kaiser Ko[n]stadín[os]), "Borís" (von Páris; auch die Russen betonen griechische Namen - deren es bei ihnen bis heute mehr gibt als nordische und erst recht als slawische - bisweilen falsch, dabei ist es doch so einfach! Ein Trost, daß die Deutschen wenigstens diesen - Dank einem erfolgreichen Tennisspieler der 80er und 90er Jahre auch bei ihnen sehr populär gewordenen - Namen wieder seiner richtigen Betonung zugeführt haben :-) oder "Victoria" (von Níki, der Siegesgöttin). Aber die anderen? Mit Ómiros ist ja auch im Film nicht etwa der antike Dichter aus Smyrna (dem heutigen Izmir - nach dem neugriechischen Smírni) gemeint, sondern der verstorbene Ehemann und "Held" der Ausländer-Hasserin Penelópe, die vor seinem Bild Kerzen abbrennt und Gebete spricht und ganz schockiert ist über das Verhalten Ihres Sohnes Ioánnis. (Der trägt nicht umsonst einen ursprünglich jüdischen Namen [Johannes; der im Film meist verwendeten Koseform - Iáni - merkt man das kaum noch an], denn er und seines gleichen verscherbeln Ródos für ein paar Silberlinge an die ausländischen Touristen; der Ausverkauf der über zwei Jahrtausende der Fremdherrschaft mühsam bewahrten kulturellen Identität der Griechen auf Ródos hat nur wenige Jahre gebraucht.) Ioánnis - der mal in London gelebt hat - hält die englischen Frauen für die schönsten der Welt (er kann also sonst noch nichts gesehen haben von der Welt :-) und will das elterliche Haus am liebsten in ein Hotel für ausländische Touristen umwandeln, mit Verkauf von in einheimischer Produktion gefertigten Mini-Bikinis. Er denkt nicht mehr an die britischen Terror-Bombardements im Zweiten Weltkrieg und die Zerstörungen danach (die er nicht mehr miterlebt hat), sondern nur noch an den Dichter Lord Byron, der mithelfen wollte, es von den bösen Türken zu befreien (übrigens mit bemerkenswertem Mißerfolg; Rhódos fiel wie gesagt erst 1948 an Griechenland; aber da Byron unterwegs starb - wohlgemerkt nicht im Kampf fiel -, hat sich sein Andenken halt zum Märtyrer verklärt); also betrachtet er die Engländer als seine Freunde; und da "Touristen" gleichbedeutend ist mit "englische Touristen", kann es ihm gar nicht schnell genug gehen mit dem Ausbau der touristischen Infrastruktur. Der Film demonstriert sehr deutlich, daß es daran noch an allen Ecken und Enden fehlt; vor allem herrscht akuter Mangel an Hotelbetten; das einzige "ordentliche" Hotel am Ort (das bezeichenderweise "Neptun" heißt, obwohl das ein römischer Gott war - sein griechisches Pendant hieß Poseidón[as]) ist mal wieder ausgebucht.

Doch Ioánnis ist nicht der einzige, der den Ausverkauf der griechischen Kultur betreibt. Da ist noch die kurz vor der Pleite stehende britische Expat Katherine, die als Kunstfotografin nicht so recht reüssiert und deshalb einem zwielichtigen griechischen Expat namens Kostadinídis [das erste "d" ist ein geschriebenes "nt", wird also wie im Deutschen gesprochen; das zweite ist aspiriert, weshalb es einige Puristen "dh" schreiben würden; es spricht sich wie ein weiches englisches "th", was die Engländer im Film freilich auch nicht hin bekommen - was beweist, daß sie in Sachen Griechisch doch nicht soviel besser sind als die Deutschen] - Antiquitätenhändler aus New York, der da überhaupt keine Skrupel hat, nach dem Motto: "Das Britische Museum ist doch verrückt, den Griechen die antiken Säulen zurück zu geben; das ist, als wollte man Arizona an die Indianer zurück geben" - eine antike Vase verkaufen will, für schlappe 300.000 US-$, um sich finanziell zu sanieren, mit Hilfe von Professor Basil "Chappy" Sharg, einem alten Verehrer und Kunstexperten, der ihr bescheinigen soll, daß die Vase (die er ihr selber einst geschenkt hatte) nicht echt sei, um keinen Ärger mit dem griechischen Zoll zu bekommen. (Die Ausfuhr antiken Kulturguts ist bekanntlich verboten - nicht nur in Griechenland; und für die Bescheinigung verlangt "Chappy" noch einmal 20.000 Pfund extra. Kommentar von Kostadinidis: "Der heißt nicht umsonst Sharg" [Anspielung auf Shark, Haifisch].) Das ist umso merkwürdiger, als Katherine sonst immer dafür eintritt, daß die alte griechische Kultur erhalten bleibt - ihr Fotoband "Das Licht Griechenlands" (oder vielmehr, wie ihr Ex es boshaft nennt, "das Licht von Kodak") ist nicht zuletzt deshalb zum Ladenhüter geworden, weil er hauptsächlich alte Tempel zeigt, nicht das Griechenland der Gegenwart -, und auch ihre Tochter Chloë so erzogen hat (und natürlich zur Pazifistin: Sie läuft - wenn sie nicht gerade oben ohne ist - in einem T-shirt herum, auf dem "Ban the Bomb" ["verbannt die Bombe"; gemeint ist natürlich die Atom-Bombe] steht), die Ioánnis auf seine Frage, wovon er denn sonst leben sollte wenn nicht vom Tourismus ("kein Tourismus, keine Arbeit - was wäre mein Land ohne Ausländer? Es wäre noch immer unter der Antike vergraben!"), fast vorwurfsvoll antwortet: "Vom Verkauf von Feta und Oliven!" Andererseits bezeichnet Katherine die Aussicht von der Stadt auf die Bucht von Lindos (mit der Akropólis unsichtbar im Rücken - "die Zukunft liegt immer hinter uns") als ihre persönliche Lieblings-Perspektive, nicht etwa den von den Touristen bevorzugten Blick vom gegenüber liegenden Hügel über die Bucht auf die Akropólis. Ja, Expats sind schon ein widersprüchliches Völkchen, nicht nur in Griechenland, sondern überall auf der Welt: Sie wollen zwar unter keinen Umständen auf die Annehmlichkeiten der ("ihrer") Zivilisation verzichten - vom Wasserklosett bis zur Motoryacht -, erwarten aber von den Eingeborenen, daß die eben diesen Verzicht leisten, damit ihnen selber eine möglichst urtümliche, primitive, als idyllisch empfundene Umgebung zum Malen, Bildhauen, Schreiben oder einfach nur vor sich hin Dösen erhalten bleibt, ohne all diesen "kommerziellen Quatsch" (Katherine) - reizende Zeitgenossen!

[Blick auf die Bucht von Lindos] [Blick auf die Akropolis von Lindos]

Getrennt von Katherine, aber auch noch auf Ródos (wenn Dikigoros das richtig sieht sogar im selben Dorf Lindos), lebt ihr geschiedener Ehemann Patrick, ein ebenfalls nicht sonderlich erfolgreicher Künstler, genauer gesagt Bildhauer, der es bevorzugt mit jungen Touristinnen treibt; und zwischen beiden pendelt die halbwüchsige Chloe, die ihrem Vater das Rauchen abgewöhnen will - während der an der Statue des unbekannten Rauchers arbeitet. Dann sind da noch ein junger britischer Geheimagent namens Rick Lamb (gespielt von Kenneth Branagh, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit Billiboy Clinton hat :-) und seine schusselige Frau Caroline (Caroline Lamb hieß auch die Geliebte Lord Byrons, was Ioánnis geradezu als Wink des Schicksals auffaßt, ihr den Hof zu machen - "my little lamb [mein Lämmchen]" nennt er sie, wobei offen bleibt, ob er auch das bekannte englische Kinderlied "Mary had a little lamb" kennt - was, liebe deutsche Leser, Euch ist das nicht bekannt? Doch, Ihr kennt es nur mit einem anderen Text: "Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt... :-), die ihm als Tarnung dient und sich benimmt wie die typische Touristin im Porzellanladen. Sie weiß nicht einmal, daß ihr Mann beim Geheimdienst ist, geschweige denn, weshalb er nach Ródos gereist ist - das weiß zunächst nicht mal er selber; sein Vorgesetzter hat ihm nur gesagt, daß er sich auf Abruf zum Einsatz bereit halten solle. ("Aalen Sie sich in der Sonne und warten Sie auf weitere Anweisungen.") Vorerst macht er sich nützlich, indem er Katherines Klospülung - ein amerikanisches Modell namens "Niagara" ("das heißt so, weil es rauschen soll wie die Wasserfälle") - repariert (was der einheimische Klempner Aristotélis seit Jahren vergeblich versucht hat), sehr zum Entzücken Katherines: "Sie sind ein richtiger Mann..." Auch zwischen den anderen Personen des Films spielen sich irgendwelche mehr oder weniger ernsthafte Romanzen ab, die wie so oft nichts Wesentliches zur Handlung des Films beitragen, weshalb Dikigoros sie wie gewohnt weg läßt. Wer nun aber angesichts des deutschen Titels einen Agententhriller erwartet, sieht sich getäuscht: Er ist schlecht gewählt, denn im ganzen Film tauchen weder Killer noch Kanonen auf; passender wäre da schon "Künstler, Lügner und Betrüger", oder "Raucher, Säufer und Spione" oder "Dichter, Klempner und Touristen" oder "Esel, Vasen und Blue Jeans"; dennoch hat sich Dikigoros für "Hochsaison - Hochverrat" entschieden. Warum?

Verfolgen wir die Handlung kurz bis zum Ende: Auf einem "original griechischen" Fest, bei dem viel Oúzo fließt (weil es hauptsächlich für die ausländischen Touristen organisiert ist, Griechen trinken den Oúzo in der Regel 1:8 mit Wasser verdünnt, und auch von diesem Gemisch höchstens ein, zwei Gläschen), betrinkt sich Mrs. Lamb derart, daß sie im Suff die Vase zerdeppert, die Katherine verkaufen wollte. Ihr Mann kehrt die Scherben unter den Teppich, genauer gesagt unter den Schrank, wird dabei jedoch von Mr. Sharg beobachtet, der ihn freilich nicht verrät, sondern die Scherben zusammen kehrt und Katherine dreierlei beichtet: Erstens, daß die Vase kaputt ist, zweitens, daß sie tatsächlich eine Fälschung (aus der Zeit Byrons :-) war und drittens, daß er selber "gewissermaßen eine Fälschung" war; er hat nämlich im Zweiten Weltkrieg für die Sowjet-Union spioniert (er war "the tenth man [der zehnte Mann]", von dem die Zeitungen gerade schreiben) und wird darob vom britischen Geheimdienst verfolgt. Während sich Katherine bei ihrem Ex auszuheulen versucht, wird auf dem Dorfplatz das von Patrick geschaffene und von Ioánnis gesponserte Denkmal auf den unbekannten Touristen - eine ziemlich abscheuliche Gipsstatue mit einer großen Kamera um den Hals - feierlich enthüllt. Penelópe - die einmal gehofft hatte, daß ihr Sohn ein Denkmal für die Helden des Freiheitskampfes stiften würde - hängt sich unterdessen den alten Patronengürtel ihres toten Ehemannes um, nimmt dessen Gewehr und besteigt einen der Esel, die sonst den Touristen zum Herumreiten zwischen den Ruinen der Akropólis dienen, um wie Doña Quixote gegen diese Schande ins Feld zu ziehen. Mit dem Ruf "Elevthería [Freiheit]" auf den Lippen zerschießt sie nicht nur das Denkmal, als Mrs. Lamb gerade dabei ist, die Einweihungsrede (frei nach Byron) abzulesen (die eigentlich Anthony Quinn halten sollte, aber der hat zu Ioánnis' großer Enttäuschung abgesagt - er wäre wohl zu teuer geworden für das Film-Budget :-), sondern auch gleich noch ein paar Geschäftsauslagen mit Souvenirs und Nippes (und Katherine's Ladenhüter :-). Niemand wagt, ihr Einhalt zu gebieten, obwohl praktisch das ganze Dorf anwesend ist, vielmehr gehen alle schleunigst in Deckung - vor einer alten Frau mit einem noch älteren Schießprügel, schöne Helden... Auch Ioánnis bringt nur soviel Mut auf, das Bild, auf dem sein Vater wie Atatürk aussieht, zu zerschlagen und die Trümmer auf den Müll zu werfen.

Nun kommt auch ein höherer Geheimdienstler aus London angereist und enttarnt Mr. Sharg. Agent Lamb ist empört, als er hört, was der alte Mann getan hat und würde diesen "Hochverräter" (nun erst versteht man, warum der Film den Titel "High Season" trägt: das reimt sich auf "High Treason"!) am liebsten exekutieren; aber erstens hat er seine Pistole verloren (so daß ihm Mr. Sharg mit der bloßen Faust ein Auge blau schlagen kann - nicht ohne ihm unter die Nase zu reiben, daß er ihn bzw. seine Frau in Sachen zerdepperte Vase nicht verraten hat, also kein Verräter sei, sondern nur ein tapferer Kämpfer gegen den Faschismus), und zweitens erteilt ihm sein Vorgesetzter ganz andere Instruktionen: Um einen Skandal zu vermeiden, darf Mr. Sharg in einem kleinen Fischerboot über die Türkei und Bulgarien in die Sowjet-Union ausreisen, und zum Abschied schenkt er Katherine noch eine echte Vase, die er zufällig in London herum stehen hat, denn nach Moskau kann er sie ja schlecht mitnehmen. Der New Yorker Antiquitätenhändler kauft sie Katherine ab, die damit saniert ist (ebenso wie ihr Mann, dem es gelungen ist, die Skulptur des "unbekannten Rauchers" nach Dallas/Texas zu verkaufen; ob auch irgendwo ein Denkmal des unbekannten Hochverräters aufgestellt wird, erfahren wir nicht - aber der Film spielt ja nicht in der BRD :-), und so endet die Geschichte fast abrupt in Friede, Freude, Eierkuchen. Ein perfektes Happy-end - oder?

* * * * *

Aber, liebe Leser, Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß Dikigoros Euch diesen Film vorsetzen würde, wenn weiter nichts gewesen wäre! Zäumen wir das Pferd, pardon den Esel von hinten auf und beginnen mit dem Spion. Diese Frage braucht Dikigoros zum Glück nicht zu beantworten, da sie eigentlich gar nichts mit einer Reise nach Ródos zu tun hat, sondern "nur" mit der Selbstachtung eines Volkes und seinem Rechtsverständnis. Aber er will sie wenigstens gestellt haben und dem geneigten Leser ein paar Antworten vorstellen, die andere gegeben haben. Also: Was soll man mit jemandem tun, dessen Taten ein halbes Jahrhundert zurück liegen und nun verspätet, d.h. nach einem Macht- und Systemwechsel (oder mehreren) ans Tageslicht kommen? Nach welchen Maßstäben soll man sie messen, nach welchen Gesetzen den Täter richten? "Ich habe nichts anderes getan als Churchill," gibt Mr. Sharg durch die Blume zu verstehen, "ich habe die Kommunisten unterstützt. Das galt damals nicht als Verbrechen, sondern als Heldentat. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr wir damals die Nazis gehaßt haben." - "Doch, das kann ich," sagt Katherine. Ja, Dikigoros kann es auch: Es muß eine Mischung aus Neid und Mißgunst gewesen sein, der beiden widerwärtigsten Eigenschaften des Menschen überhaupt. Der Ärger war nur, daß der alte syfilitische Säufer Churchill nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er das britische Empire und das Deutsche Reich gleichermaßen sinnlos zerstört hatte, aus seinem Dauerrausch aufwachte und es sich anders überlegte, nach dem Motto: "Wir haben das falsche Schwein geschlachtet!" und daraufhin sang- und klanglos abgewählt wurde. (Es gehörte ja auch schon eine ziemlich Chuzpe dazu, sich vors Wahlvolk zu stellen und zu sagen: "Sorry, Leute, aber wir haben 50 Millionen Menschen für das falsche Ziel umgebracht!" Diese traurige Wahrheit wollte niemand hören.) Die alten Griechen hatten in solchen Fällen politischer Justiz zwei Alternativen: den Schierlingsbecher - d.h. den Freitod - oder das Exil. (Wobei sie, die damals schon fanatische Nationalisten waren, letzteres für die schlimmere Strafe hielten - im Ausland leben zu müssen, unter Barbaren!) Die jungen Deutschen sind da konsequenter; bei ihnen gibt es keine Alternative, sondern allenfalls die Kumulative: Sie zerren noch immer alte Menschen von 90 oder mehr Jahren, die nur dem damaligen Gesetz (das überall sonst auf der Welt bis heute gilt - z.B. im Falle von Geisel-Erschießungen zur Retaliation, welche nach wie vor dem Kriegs- und Völkerrecht entsprechen, außer für Deutsche) gehorcht und ihre Strafe bereits durch ein Jahrzehnte langes Exil abgebüßt haben, vor Gericht und stecken sie nach Schauprozessen, die jedem rechtsstaatlichen Verständnis Hohn sprechen, für den Rest ihres Lebens ins Gefängnis. Auch Lamb, der junge Brite, will wie gesagt konsequent sein und den alten Sharg "aufhängen". (Wieviel Mut gehört dazu, einen alten Mann zu töten? Und wieviel mehr Mut und Zivilcourage, etwa auf Churchills Grab - oder andere Narrensteine - zu pinkeln?) Doch Lambs älterer britischer Vorgesetzter entscheidet anders: griechische Endlösung, zweite Alternative. (Natürlich könnte Mr. Sharg am Ende auch zum Schierlingsbecher greifen; aber dann wäre "High Season" ja keine Komödie mehr :-)

[Exkurs. Dikigoros hat einige Zeit gebraucht, um heraus zu finden, welche historische Person jenem "zehnten Mann" als Vorlage gedient haben könnte. Des Rätsels Lösung führt über den Schauspieler, James Fox. Der hat nämlich nicht nur den Basil Sharg in "High Season" gespielt, sondern auch den Anthony Blunt in dem fünf Jahre später entstandenen Film "A Question Of Attribution [Eine Frage der Zurechnung]" von John Schlesinger, der leider zum Flop geriet, weil niemand mit der unerfreulichen Wahrheit konfrontiert werden wollte, die ohnehin schon hohe Wellen geschlagen hatte, als sie ans Licht der Öffentlichkeit kam. Anthony Blunt - ein schwuler Kunstexperte von hohem Rang (offizieller Kunstberater Ihrer Majestät Queen Elizabeths II von England) - war "the forth man [der vierte Mann]" des kommunistischen Spionagerings von Cambridge, von dem zunächst nur drei bekannt waren, nämlich Guy Francis Burgess, Donald Maclean (nach dem sich in den 1970er Jahren ein jüdischer Liedermacher aus den USA "Don McLean" nannte) und vor allem Harold "Kim" Philby, dem es gelang, nach Moskau zu entkommen und dort zum "Helden der Sowjet-Union" aufzusteigen (er starb ein Jahr nachdem "High Season" gedreht wurde). Alle vier hatten in Cambridge studiert und waren dann in die Fußstapfen von James Bond alias 007 getreten, d.h. Mitarbeiter des Secret Service geworden; was immer sie dort an Informationen bekamen, gaben sie an den KGB weiter (was etliche britische Spione in der SU das Leben kostete). 1964, als der Sozialist Wilson an die Macht kam, packte Burgess aus und erhielt dafür Amnestie zugesichert. Als Maggy Thatcher 1979 Premier-Ministerin wurde und von diesem Deal hörte, bekam sie einen Tobsuchtsanfall und machte die Sache publik. Daraufhin mußte Burgess seinen Job bei der Queen aufgeben, und man entzog ihm den Adelstitel (und damit seinen Sitz im Oberhaus); aber weiter geschah ihm nichts; er soff sich vier Jahre später zu Tode. (Wer sich für die Einzelheiten interessiert, kann sie entweder hier nachlesen oder sich Blunts kürzlich erschienene Apologie, pardon Biografie von Miranda Carter besorgen.) Die britischen Universitäten - insgeheim solidarisch mit "ihren" Verrätern - vergaßen der "Eisernen Lady" ihren "Verrat" nie: Im Gegensatz zu ihren Vorgängern hat Maggy Thatcher nie einen Ehrendoktorhut bekommen. Ach so - wie ist Peploe darauf gekommen, Mr. Sharg den "zehnten Mann" zu nennen? Nun, das ist der bekannteste Titel aus einer in England einst sehr populären Roman-Reihe, deren geheimnisvoller Verfasser unter dem Pseudonym "Wei Wu Wei" schrieb und dessen igcognito bis heute nicht gelüftet ist. A propos: Dikigoros hat einleitend Joe Dassin als "widerwärtig" bezeichnet; er legt Wert auf die Feststellung, daß er das nicht etwa getan hat, weil der sich auch zu Tode gesoffen hat, auch nicht, weil er mit seinem Auftreten in der Südsee ein Schädlings-Tourist par excellence war, und auch nicht, weil sein Vater Kommunist war - dafür konnte er ja nichts. Nein, Dikigoros meint etwas anderes, nämlich, daß sich Joe Dassin von seiner Frau Maryse Massiera scheiden ließ, weil - oder jedenfalls unmittelbar nachdem - sie eine Fehlgeburt erlitten hatte; einer Frau, der er seine gesamte Karriere als Musikant verdankte und die ihm gleichwohl die Treue bewahrte noch über den Tod hinaus, indem sie eine äußerst schmeichelhafte Biografie über ihn verfaßte. Exkurs Ende.]

Entscheidet selbst, liebe Leser, welche Lösung die richtige, gerechte ist; und wenn Ihr mit Dikigoros zu der Auffassung gelangen solltet, daß es "die" gerechte Lösung nicht gibt, dann überlegt einmal, welches die am wenigsten ungerechte ist. Nein, diese Frage ist nicht überholt, wie Ihr, liebe Leser aus Ossiland, noch besser wissen werdet als die Wessis. Nach 1990 wurde nämlich wieder nach dem selben Strickmuster vorgegangen: Diejenigen, welche die Gesetze gemacht haben, die wir heute als "un[ge]recht" empfinden, die SED-Bonzen (Wolff, Schalck-Golodkowski, Margot Honecker und wie sie alle hießen) durften ungeschoren und mit voller Stasi-Ehrenrente in Pension gehen. Diejenigen aber, die diese Gesetze ausgeführt haben, wie die "Mauerschützen", sind als Verbrecher verurteilt worden. Die - z.T. unwissentlich - gedopten DDR-Sportler wurden gesperrt und geächtet; die Doper - Ärzte und Trainer gleichermaßen - wurden dagegen nicht nur vor Gericht frei gesprochen (wenn es überhaupt so weit kam; die meisten Verfahren wurden gegen ein paar Mark symbolischer Spende an eine gemeinnützige Organisation eingestellt), sondern sofort anschließend als Staats-Trainer (west) wieder eingestellt! Aber tröstet Euch, liebe Ossis, das ist nur konsequent, denn im Westen war es nicht viel anders: Wer sich an die Gesetze gehalten hat, war immer der Dumme; Rechtsbrecher dagegen waren und sind fein raus - die Terroristen von einst sind heute Außenminister; ihre Sympathisanten (und Strafverteidiger) Bundeskanzler bzw. Innenminister. Vielleicht war die sozialistische Machtergreifung von 1998 doch mehr als ein bloßer Regierungswechsel, nämlich ein Systemwechsel? Nicht lachen, liebe Leser - 6½ Jahrzehnte zuvor wollte das auch niemand wahr haben. (Allerdings dauerte es da noch etwas länger bis zum nächsten Krieg: die Braunen haben wenigstens 6½ Jahre Frieden gehalten und ihn auch erst dann gebrochen, als die Verfolgung und Ermordung ihrer Landsleute in Polen unerträglich wurde; die Rot-Grünen dagegen haben nicht mal 6½ Wochen gebraucht, um einen Krieg gegen Serbien zu beginnen, unter dem Vorwand, daß die armen albanischen Terroristen auf dem Amselfeld ["Kosovo"] von denen verfolgt wurden.)

Aber nun zu den wichtigeren Fragen: Wenn man schon keinen Widerstand gegen die Terroristen leisten darf, die heute allenthalben an der Macht sind (fleißige Leser von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" kennen ja bereits den cynischen Satz des Neger-Häuptlings Mandela: "Zum Terroristen wird man nur durch Fehlschläge. Gelungene Terrorakte führen ins Reich der Macht"), darf man dann wenigstens Widerstand gegen die Touristen leisten, und wenn ja, in welcher Form? Einmal mußte diese Frage ja kommen auf einer Seite, die sich mit Reisefilmen beschäftigt. Die Antwort auf den ersten Teil der Frage ich leicht: sie lautet schlicht ja, und zwar - wie Dikigoros bereits an anderer Stelle geschrieben hat - auch in dieser apodiktischen Form, denn jeder, egal ob Massen- oder Individual-Tourismus, kann für das heimgesuchte, pardon besuchte Land schädlich sein. Aber wie weit darf man dabei gehen? Fangen wir mal ganz harmlos an: Hat ein Einheimischer das Recht, fremden Reisenden Unterkunft und Verpflegung zu verweigern? Die antike griechische Tradition sagt nein, unter der Maßgabe, daß der Gast nicht länger als drei Tage bleibt. Aber wenn er drei Wochen auf Urlaub bleiben will oder noch länger? Die Sorte würde Dikigoros nicht mal eine Nacht bei sich aufnehmen, denn wenn man denen den kleinen Finger gibt, beißen sie einem bald in die Hand. (Wieviel Millionen Schmarotzer haben wir schon aufgenommen in Mitteleuropa, als "Gäste", "Asylanten" oder "Flüchtlinge"? Sind sie jemals wieder gegangen? Denkste - die liegen uns heute noch auf der Tasche, und wenn sich nichts Grundlegendes ändert wohl für alle Zeiten!) Deshalb will die fremdenfeindliche Penelópe Mr. und Mrs. Lamb (die sich ja als Touristen ausgeben) nicht bei sich aufnehmen; aber Katherine gelingt es, sie zu überreden, genauer gesagt zu bestechen, mit etwas, das aussieht wie ein Fläschchen mit Nagellack ("für deine Sammlung") - aber das kann doch nicht sein, oder? Nun, jedenfalls nimmt sie die beiden dann doch auf, weigert sich aber, sie dafür bezahlen zu lassen. ("Ich nehme kein Geld von Touristen.") Auch Ioánnis nimmt kein Geld - er will lieber mit der Britin schlafen, sehr zum Entsetzen seiner Mutter: "Mit einer verheirateten Frau...!" Deren Ehemann stört das freilich in erster Linie, weil der Typ Byron heißt bzw. sich so nennt: "Ich weiß gar nicht, was die Leute mit diesem Dichter haben," meint er mit typisch britischem Sarkasmus, "der war doch ein Arsch, drogensüchtig und geil wie Lumpi, hat es mit seinen kleinen Schwestern getrieben, mit Ziegen und sogar mit kleinen griechischen Jungs." (Zumindest das letzte scheint zu stimmen, wenn man einer ihm gewidmeten Schwulen-Seite im Internet glauben darf, von der Dikigoros gelernt hat, daß der Gebrauch des Wortes "gay" [eigentlich "fröhlich"] in der Bedeutung "schwul" aus einem Gedicht Byrons - The Prisoner of Chillon - stammt.)

Zurück zur Ausgangsfrage, die leider viel komplizierter ist als Dikigoros sie eingangs gestellt hat. Gehen wir einen Schritt weiter: Darf der Fremdenfeind auch anderen im Dorf verwehren, Gäste aufzunehmen? Ist das nicht vielmehr jedermanns eigene Sache? Nehmen wir an, eine arme Witwe kann ihr Häuschen nicht mehr halten (oder die dringend erforderliche Reparatur nicht bezahlen), wenn sie nicht ab und zu ein Zimmerchen an Touristen vermietet? Wollt Ihr ihr das verbieten? Und wo zieht Ihr die Grenze? Wenn ihr das Dach über dem Kopf zusammen fällt? Oder wenn sie dringend einen neuen Farbfernseher braucht, weil der alte schwarz-weiße sich beim besten Willen nicht mehr reparieren läßt? Aber wenn die ganze Dorfgemeinschaft dagegen ist, weil frau erstens gar keinen Fernseher braucht und zweitens schon einer in der Dorfkneipe steht - für die Männer, wenn sie Fußballspiele oder andere wichtige Dinge sehen wollen? Schwierige Frage, aber es geht noch weiter: Nehmen wir an, die Regierung beschließt, daß es gut für das Land (und vor allem für die Devisenvorräte der Staatsbank) ist, wenn möglichst viele ausländische Touristen herein kommen und ihr Geld da lassen. Na schön, dann sollten sich die Dorfbewohner diesem wirtschaftlich vernünftigen Argument wohl nicht verschließen. Was aber, wenn sie selber gar nichts vom Touristenboom haben - oder sogar Nachteile? Wenn nicht etwa nur ein paar Leute vorbei kommen, die ein Zimmerchen bei der alten Witwe mieten, in der Taverne einen Bauernsalat essen, in der Lokanta einen Oúzo oder einen Retsína oder einen Metaxá (oder auch mal zwei) trinken, friedlich am Strand herum liegen, ein wenig im Wasser planschen und sich vielleicht mal außerhalb der Fangzeiten von einem Fischerboot rund um die Insel schippern lassen, sondern wenn auf dem Festland gegenüber plötzlich ein Flughafen aus dem Boden gestampft wird, die dicken Jumbos Tag und Nacht über die Insel hinweg dröhnen, wenn hunderte, ja tausende Touristen (im Zahlenverhältnis 3:1 bis 5:1 zu den "Eingeborenen") in Tragflügelbooten angekarrt werden, wenn zu ihrer Unterbringung riesige Betonburgen in den Sand gesetzt werden, mit Hotelrestaurants, in denen ein Tag mit Vollpension mehr kostet als die alte Witwe bisher im Monat zur Verfügung hatte, wenn dadurch die Preise und das Sozialgefüge völlig durcheinander gebracht werden? Wenn die Ausländerinnen halbnackt herum laufen (wie Penelópe mißbilligend feststellt) und die Ausländer den jungen Mädchen aus dem Dorf nachstellen? Wenn sie ihre eigenen Ausländerbars und Discotheken einrichten, wenn sie anfangen, mit Motorbooten Wasserski zu laufen, Paragliding oder sonst etwas verrücktes anzustellen? Wenn die Feste, deren Tradition sich gerade in Griechenland so lange erhalten haben, nach und nach zur bloßen Touristen-Folklore verkommen und nur noch dazu dienen, daß sich Einheimische und Fremde gemeinsam besaufen? Manche Leute finden das ja gerade nett - das sind die, die "Völkerverständigung" nur im Suff ertragen können, und auch das nur bis zum Kater am nächsten Morgen - war das nicht gerade der Clou in "Alexis Zorbás", daß der "einheimische" Titelheld dem Fremden zum Happy-end im Suff einen pseudo-griechischen Tanz zu pseudo-griechischer Musik beibringt?


Der Ärger ist nur, daß Ihr manche Einheimische mit so etwas nicht einlullen könnt; im Gegenteil, Ihr reizt sie damit nur noch mehr. Dikigoros hat es schon erlebt (nicht auf Ródos, aber auf Malta, auf Kreta und anderen griechischen Inseln - aber auch auf Sardinien und Korsika soll es nicht viel anders sein), daß Einheimische Jagd auf Touristen gemacht haben, mit dem Schrotgewehr, und das ganze hinterher als bedauerlichen Irrtum ausgegeben haben. Natürlich geschieht so etwas nicht mitten in den Touristen-Hochburgen (dort wird höchstens mal ein besoffener Tourist von einem Motorrad angefahren), und es steht hinterher auch nicht in der Zeitung - es könnte ja den Umsatz gefährden -, aber es kommt immer noch vor. Im Film geht es etwas harmloser ab, wie wir gesehen haben, denn Penelópe bringt ja bei ihrem Amoklauf, pardon, Amokritt, niemanden um. Vielmehr reitet sie anschließend hinaus in die Einsamkeit - und was tut sie dort? Nun, liebe Leser, zieht die Regisseurin das ganze ins Lächerliche - denn eine ernsthafte Antwort auf die zuvor gestellte Frage haben wir immer noch nicht bekommen:

Penelópe setzt sich hin, zieht die schwarzen Strümpfe aus (griechische Witwen kleiden sich den Rest ihres Lebens durchgehend in schwarz - jedenfalls auf den Inseln und in den Dörfern) und packt ihre "Sammlung" aus: Es handelt sich tatsächlich um Nagellack-Fläschchen! Stopp - ist es also wirklich so, daß Katherine sie mit so einer Albernheit bestechen konnte, die Lambs bei sich aufzunehmen? Es kommt ja tatsächlich vor, daß manche Eingeborene zwar keine fremden Touristen, wohl aber deren Geld haben wollen (keine Deutschen, aber ihre DM, keine Amis, aber ihre Dollars usw.) - möglichst ohne große eigene Gegenleistung -, und daß sie zwar auf die moderne Zivilisation schimpfen, deren Errungenschaften aber gerne für sich selber in Anspruch nehmen - so auch in Griechenland: Mobilfon und Moped (wie sang einst die auf Kérkira geborene Wahl-Hamburgerin Wasilíki Papathanásiou v. Ruffin alias Vicky Leandros: "Die Suzuki stank durch die Sommernacht..." oder so ähnlich? :-), Tiefkühltruhe und Transistorradio, Videorecorder und Wasserklosett, Nasenring und - Nagellack, eben. Diese inkonsequente Sorte kann Dikigoros ebenso gut leiden wie die Expats, die all das für sich behalten wollen. Aber ganz so einfach ist es hier wohl doch nicht, denn Penelópe will ja gerade kein Geld von den Touristen nehmen. Nein, Katherine hat sie mit etwas ganz anderem in der Hand - was zeigt, daß es viel klüger ist, jemanden zu erpressen als ihn zu verraten: Sie weiß, wie Ómiros wirklich gestorben ist. Nein, nicht als Freiheitskämpfer - das ganze Märchen ist erstunken und erlogen, wie die meisten Märchen der "Freiheitskämpfer" von Chile über Südafrika bis Indien (aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle) - sondern er ist im Suff von den Klippen gestürzt. (Dennoch würde Dikigoros Wetten darauf abschließen, daß die BRD Penelópe und vielen anderen Witwen von "Freiheitskämpfern" - nicht nur griechischen - bis heute fürstliche Pensionen zahlt.) Verglichen damit ist der Spleen mit dem Nagellack doch wirklich harmlos. Und so endet der Film denn auch mit einer Szene echt britischen Humors: Penelópe hat sich mit ihrem Ioánnis versöhnt und malt seinem jüngsten Projekt - einer neuen Statue des Kolosses von Ródos - die Fußnägel bunt an.


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