DIE
KÄMPFE UM DIE SOUVILLE-NASE IM AUGUST 1916
Während
der Kämpfe des Frühsommers 1916 hatte sich im Bereich des Berg-
und Chapitre-Waldes eine Einbuchtung in der deutschen Front
gebildet. Grund dafür war, dass sich die dort angesetzten
Regimenter, insbesondere die der 1. Infanterie-Division, festliefen
und eine weitere Vorwärtsbewegung auf Grund des hartnäckigen französischen
Widerstandes nicht möglich war. Teilweise kamen die Sturmtrupps
nicht einmal aus ihren Ausgangsstellungen. Unter hohen Verlusten und
mit zunehmender Abnutzung wurde dieses Vorhaben abgebrochen.
Die
Regimenter der Nachbarabschnitte hatten sich dagegen Gelände-
vorteile errungen. Dies führte schließlich zur erwähnten
Einbuchtung der deutschen Linie in diesem Bereich.
Trotz
mangelnder Kräfte erwog die deutsche Führung diese Einbuchtung
schnellstmöglichst zu begradigen, um a.) die dort herrschende
Flankenbedrohung gegenüber den weiter vorgeprellten, links und
rechte liegenden Einheiten aufzuheben; b.) durch eine halbwegs
durchgehende Linie Kräfte einzusparen und c.) um weiter, zumindest
den Anschein zu erhalten, dass Heft des Handelns in der Hand zu
haben und damit eine weitere Bindung französischer Kräfte zu gewährleisten.
Die
völlig ausgepumpten Einheiten der 1. Infanterie-Division wurden am
16. Juli 1916 durch ‚frische’ Truppen der, aus der Champagne
kommenden, Hessischen 21. Reserve-Divison abgelöst. Der Division
fiel die Aufgabe zu, wichtige Geländestücke im Berg- und Chapitre-
Wald (Bois de Vaux-Chapitre) zu nehmen.
Darunter
fiel die sogenannte Souville-Nase sowie die dazugehörigen Steinbrüche
im linken Abschnittsbereich. Der rechte Nachbar, die
Garde-Ersatz-Division, sollte ihrerseits versuchen, den Westrand der
Souville-Schlucht zu nehmen. Gelang diese Aufgabe, mussten die
Franzosen die, für einen weiteres deutsches Vorgehen wichtige,
Souville-Schlucht aufgeben. Diese Schlucht war mit Maschinenge-
wehren
gespickt und wurde bereits mehrfach erfolglos angegriffen.
Linker
Nachbar war die 50. Infanterie-Division, die ihrerseits versuchte in
Richtung Fort Tavannes vorzustoßen
Die
Souville-Nase (Nez de Souville) ist ein vorgelagerter, kleiner Höhenrücken,
den westlich die Souville-Schlucht (Ravin des Fontaines) und östlich
die Lager-Schlucht (keine französische Bezeichnung) begrenzt.
In
diesem kleinen, nicht mehr als 1 km² großen Gelände sollten die
letzten großen deutschen Anstrengungen im Rahmen der Offensive vor
Verdun stattfinden. Trotz Abzugs starker deutscher Kräfte,
insbesondere an Artillerie, an die Somme, sollten die Franzosen
weiter gezwungen werden jeden Meter zu verteidigen und somit auch
gezwungen sein weitere Kräfte einzusetzen. Erst die 21. Reserve-
Divison und die Garde- Ersatz-Divison, später die 33.
Reserve-Division und die 14. bayerische Infanterie-Division sollten
hier verlustreichste und härteste Kämpfe durchstehen. Besonders
die Garde-Ersatz- Division erlebte hier ein verheerendes Desaster,
über das aber an anderer Stelle berichtet werden sollte.
Der
Angriff auf die Souville-Nase war für den 1. August 1916 angesetzt.
Die Reserve-Infanterie-Regimenter (R.I.R.) 80 und 87 schufen in den
kommenden zwei Wochen, bis zum 30. Juli die Voraussetzungen für
einen erfolgreichen Angriff. Im zerwühlten Trichterfeld wurden neue
Stellungen angelegt und der An- und Abmarschweg sichergestellt.
Allerdings existierte nur ein einziger Anmarschweg, der unaufhörlich
unter französischem Artilleriefeuer lag. Er verlief von der
Vaux-Schlucht kommend zu den Ausgangs- stellungen am südlichen
Fumin-Rücken.
Bereits
am 29. Juli begann die Artillerievorbereitung. Sogar die Batterien
aus den nicht beteiligten Nachbarabschnitten sowie 31 Minenwerfer
wirkten bei der Vorbereitung mit.
In
der Nacht zum 30. Juli rückten die Sturmkompanien der R.I.R. 81
(rechts) und 88 (links) in die Sturmausgangsstellungen.
Am
1. August um 10 Uhr verließen die Sturmtruppen des I./R.I.R 81 ihre
Stellungen am Osthang der Souville-Schlucht. Schnell war, mit Hilfe
von Flammenwerfern, die Lager-Schlucht durchquert und 30 Minuten später
das Angriffsziel bereits erreicht. Auch das mitgegangene III.
Bataillon erreichte, trotz heftigen Widerstands der Franzosen, nach
kurzer Zeit sein Ziel.
Die
Garde-Ersatz-Division war kaum oder gar nicht vorwärtsgekom- men.
Aus diesen Gründen klaffte nun rechts vom R.I.R. 81 eine offene Lücke
von rund 900 m. Rasch gesammelte Gruppen der 81er wurden in diese Lücken
geworden, an der bereits 2 Stunden später ein erster Gegenangriff
der Franzosen abgewehrt werden musste. Ein weiterer Angriff brachte
die Franzosen allerdings in den Rücken des Regiments. Die Franzosen
überschritten mühelos die Souville-Nase und drangen sogar bis in
die Lager-Schlucht vor. Eine noch in den Sturmausgangsstellungen
befindliche Kompanie der 81er wurde eilends alarmiert und konnte die
Franzosen wieder zurückdrängen.
Bereits
nach kürzester Zeit hatte die 21. Reserve-Division ihre Aufgaben
erfüllt und hatte einen Geländegewinn von rund 900 m erzielt. Ein
Erfolg, der den Vorgängern verwährt geblieben war. Bis zum Mittag
hatte man 629 gefangene Franzosen gezählt.
Nach
dem erfolgreichen Vorstoß war von der französischen Infanterie
weit und breit nichts mehr zu sehen. Allerdings war es unmöglich
die offensichtliche Gunst der Stunde auszunutzen. Ein weiteres
Vorgehen, durch das eigene Abriegelungsfeuer, war unmöglich und hätte
unnötige und nicht zu ersetzende Verluste verursacht.
Übrigens
ein Phänomen, dass bereits einige Vorläufer hatte. Die starre
Kampfführung der Verantwortlichen banden die Truppe strikt an einen
festen Ablaufplan mit einem festen Zielpunkt. Hätte man der Truppe
frei Hand gelassen, bzw. das Abriegelungsfeuer besser koordiniert, wäre
ein weiteres, erfolgreiches Vorgehen und ein gewisser Überraschungsmoment
gewährleistet.
Eine
ähnliche, wenn auch vom Gesamtbild her wichtigere Situation, hatte
es bereits am 25. Februar 1916 gegeben, als die Franzosen, nach der
Wegnahme des Forts Douaumont und dem Zusammenbruch größerer Teile
der französischen Front auf dem Ostufer, sich panikartig zurückgezogen
hatten und bereits eine Räumung des gesamten rechten Maasufers
angestrebt war. Auch hier hatte die deutsche Führung taktisch
falsch reagiert und sich stur an ihr vorgegebenes Ablaufprogramm
gehalten. Ob es sich um einen zweckdienlichen Fehler oder ein Punkt
der oft zitierten Falkenhayn’schen Ausblutungstaktik war, sei
dahingestellt.
Doch
zurück zur Souville-Nase. Zur Schließung der bei den 81ern
entstandenen Lücke zwischen der 21. Reserve-Division und der
Garde-Ersatz-Division wurde das III./R.I.R.88 eingesetzt. Den
Abschnitt an der Souville-Nase übernahm Major Frankenfeld
(westlich) vom R.I.R. 81 und Oberleutnant Monscheuer (östlich) vom
R.I.R. 88.
Auch
wurde die Divisions-Reserve, das II./R.I.R. 87 in die Ausgangsstellungen vorgezogen.
Nun
begann für die Stellungstruppen der erfahrungsgemäß schwierigere
Teil des Unternehmens – das Halten der genommenen Gräben. Dies
forderte meist zu mehr Verlusten, als ein gewagter Sturmangriff. Die
französische Artillerie schoß sich nun auf die neue Linie ein und
vollzog am 2. August eine ausgiebige Feuervorbereitung für die
unausbleiblichen Gegenangriffe gegen diese neue Linie. Die Franzosen
wollten natürlich so rasch wie möglich das verlorene Terrain zurückgewinnen.
Die gesamte vordere Stellung sowie große Teile des anschließenden
Hinterlandes, wie z.B. dem Fumin, lag unter dem Feuer aller Kaliber.
Die
Gegenstöße der Franzosen, am 2. und 3. August, konnten überall,
unter großen Verlusten für die Angreifer abgewehrt werden. Der
Regimentskommandeur des R.I.R. 81 notierte darüber: „Auf
beiden Fronten im Süden und Westen wurde gekämpft. Die Franzosen
machten Angriff auf Angriff [...] die Zahl der blutigen Verluste
unserer Gegner war sehr groß. Die Gräben ihrer Stellungen bei
Souville waren mit Leichen angefüllt.“ Doch auch die
eigenen Verluste waren hoch. Bei den 81ern fielen neben zahlreichen
Mannschaften der Kommandeur des II. Bataillons, Hauptmann Thieme
sowie die Kompanieführer der 5. und 6. Kompanie, Lt.d.R. Müller
und Lt.d.R. Roth.
Für
den 4. August waren für die Division weitere Vorwärtsbewegungen
befohlen. Es sollte im flankierenden Verein mit der Garde-Ersatz-
Division versucht werden, den Chapitrewald zu nehmen.
Doch der Angriff kam nicht zur Ausführung, weil eine Mitwirkung der
Garde abermals ausblieb. Die Kräfte dieser Division waren völlig
erschöpft und nicht mehr in Lage einen kräftigen Vorstoß durchzuführen.
Da
sich die Versorgungslage der in Stellung liegenden hessischen
Einheiten stündlich verschärfte, neben Wasser mangelte es an
Nahrung, wurde kurzfristig eine Ablösung in Erwägung gezogen.
In
der Nacht zum 5. August wurden bis auf wenige Teile R.I.R. 81 und 88
durch R.I.R. 87 und 80 abgelöst. Die Ausfälle der vergangenen Tage
waren ungeheuerlich. Das R.I.R. 88 nannte allein an Toten und
Verwundeten rund 1.200 Mann Verluste.
Noch
am 5. August wurde der am Vortag ergangene Angriffs- befehl
erneuert. Insbesondere für das XVIII. Reserve-Korps galt es die
Ausbeulung der Front beiderseits der Souville-Schlucht zu
beseitigen.
Auf
der Souville-Nase formierte die 21. Reserve-Division ihre
Sturmtruppen: Je ein Bataillon R.I.R. 80 und 87 sowie geringe Teile
der 81er; Teile der 2./- und 3./Pionier-Bataillon 20; 2
Flammenwerfer sowie zwei Stoßtrupps des Sturmbataillons Rohr.
Nach
einer fast 3-stündigen Artillerievorbereitung begann der Sturm.
R.I.R. 80 gelangte im ersten Anlauf, nach einer Südschwenkung, bis
zum Rand des Chapitre-Waldes. Doch das rechts stürmende R.I.R. 87
blieb bald, durch massiv einsetzendes Maschinengewehrfeuer, zurück;
die Garde- Ersatz-Division fiel abermals aus – es entstand für
die 80er eine gefährlich offene Flanke. Die Gunst der Stunde
erkennend ergriffen die Franzosen sofort die Initiative und
attackierten das Bataillon von fast allen Seiten. Unter schwersten
Verlusten, darunter 3 Kompanieführer, konnte ein scharf zur
Souville-Nase zurückbiegender Stellungsteil gehalten werden.
In
den kommenden Tagen wurde die infanteristische Tätigkeit fast völlig
eingestellt. Beide Seiten litten an Erschöpfung. Lediglich das
beiderseitige Artilleriefeuer verstummte nie. Am 6. August gerieten
Teile des I./R.I.R. 80 sogar in deutsches und französisches
Artilleriefeuer - eine Folge der nah zusammenliegenden Linien.
Die
Stellungen auf der Souville-Nase teilte man in eine ‚Ostfront’
und eine ‚Westfront’ ein.
In
der Nacht zum 8. August lösten Teile der Infanterie-Regimenter 357
und 364 (33. Reserve-Division) die erschöpften Hessen ab. Diese
Regimenter waren der 21. Reserve-Division unterstellt worden. Vom
I./R.I.R.80 waren bei der Ablösung z.B. nur noch 2 Offiziere und 70
Mann übrig.
Die
Tage bis zur Monatsmitte verliefen etwas ruhiger. Schließlich
wurden die Franzosen ihrerseits aktiv und nahmen das Heft des
Handelns in ihre Hände.
Am
18. August nachmittags erfolgte ein starker französischer Angriff
gegen die Souville-Nase und den rechten Flügel der 50. Infanterie-Division. Mit vereinten Kräften des zugeteilten
Infanterie-Regiments 364 an der Westfront der Souville-Nase und dem
sehr genau liegenden Sperrfeuer des Feldartillerie- Regiments 21,
konnte der Angriff abgewiesen werden. Die Zahl der Gefangenen war
hoch, doch auch die eigenen Verluste waren empfindlich. So verlor
allein das Infanterie- Regiment 364 über 130 Tote und 300
Verwundete.
Erfolgreicher
waren die Franzosen im Bereich der 50. Infanterie- Division. Hier
gelang ihnen ein Einbruch in die deutsche Front und die Besetzung
wichtiger Höhenpunkte. Mit dem Erreichen dieser Stellungen
bedrohten die Franzosen die 21. Reserve-Division im Rücken sowie
die 50. Infanterie-Division in der rechten Flanke. Verzweifelte
Versuche der Deutschen, diese verlorenen Stellungen wieder
einzunehmen, misslangen.
Insbesondere
die Württemberger der 50. Infanterie-Division (I.R. 126 und 132)
rieben sich hier bis zur völligen Erschöpfung auf, ohne ein
brauchbares Ergebnis erzielt zu haben oder die Bedrohung beseitigen
zu können.
Endlich,
am 28. August 1916, wurden die völlig verbrauchten Einheiten der
21. Reserve-Division durch die 33. Reserve-Division abgelöst. Nach
eigenen Angaben verloren die Hessen innerhalb ihres etwa 6-wöchigen
Einsatzes rund 1.150 Tote sowie die unglaubliche Zahl von rund 5.400
Verwundeten und Vermissten.
Die
Kämpfe an der Souville-Nase dauerten noch den ganzen September
und den halben Oktober 1916 hindurch an.
Am
24. Oktober 1916, dem Tag der großen französischen Offensive auf
dem Ostufer der Maas, hielten vorerst die deutschen Stellungen im
Bereich der Souville-Nase einem Frontalangriff stand. Doch links und
rechts umgangen sowie schier endlosen Sturmangriffen ausgesetzt
mussten sich schließlich die Verteidiger ergeben.
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