Die Fachliteratur zum Thema der NS-Taeter ist in der letzten Zeit durch
mehrere Arbeiten bereichert worden, die auf dieser Seite angezeigt werden
sollen. Gleichzeitig weist die Seite auf eigene Beitraege hin, die im
Rahmen einer quasi-Diskussion auf dem seinerzeitigen Forum "Vergangenheitsbewaeltigung"
der "Siebenbuergischen Zeitung" entstanden.
Zur Taeterproblematik aeussert sich juengst Klaus-Michael Mallmann, wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle Ludwigsburg und Professor fuer neuere Geschichte an der Universitaet Stuttgart und einer der ausgewiesensten Spezialisten der Taeterforschung im W(issenschaftliche) B(uch) G(esellschaft)-Mitglieder Magazin 3/04, S.32-33, dessen Aussagen einwandfrei nachvollziehbar sind:
[...] seit knapp zehn Jahren bemueht sich die Geschichtswissenschaft endlich intensiv um die Erforschung der Taeter des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges, waechst das oeffentliche Interesse an dieser Frage, mehren sich die Untersuchungen dazu von Jahr zu Jahr. [...] Nicht das Verschwinden der Taeter, sondern das verstaerkte Nachdenken ueber sie ist zum Signum der deutschen Erinnerungskultur geworden. Nach Jahrzehnten der Verdraengung, selektiven Wahrnehmung und Selbstviktimisierung fragt man sich endlich nach Mentalitaet und Motiven der Akteure der Vernichtung.
"Nuernberg" bestimmter zunaechst die Perspektive aller nach 1945 erlaubten Sichtweisen auf die Vergangenheit. Im Tauziehen um die Verantwortung an den Verbrechen gelang Ordnungspolizei, Kriminalpolizei und Wehrmacht der erfolgreiche Rueckzug aus der Schuldzone. Lediglich Geheime Staatspolizei und SS wurden als "verbrecherische Organisationen" verurteilt. [...] Indem man die Taeter in Himmlers schwarzes Reich verbannte und damit sozial exterritorialisierte, vollzog man auch eine institutionelle Verinselung der Verbrechen. [...] Mit dieser Operation der Abspaltung und Ausgrenzung [der SS] reduzierte sich der Taeterkreis ungemein, gelang die Abwehr des Kollektivschuld-Verdachts.
[...] Der bereits von der Verteidigung in Nuernberg behauptete Befehlsnotstand als juristische und zunhemend auch populaere Entschuldungsfigur verbreitete die Vorstellung, dass dem Terror nach aussen auch ein Terror nach innen entsprochen habe, ein Zwang zum Mitmachen, eine stete Bedrohung an Leib und Leben im Falle der Verweigerung. [...] der gleichfalls in Nuernberg geborene Mythos von Allgegenwart und Allwissenheit der Gestapo. Damit waren die Grundzuege eines krisenfesten Vergessenspaktes geschaffen, der die Taeter zu Gefangenen der Zeitlaeufe machte.
[Einsatzgruppen-Prozess 1958, Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961, Auschwitz-Prozess in Frankfurt 1965 fuehrten dazu, dass] Der pathologische Moerder [...] dem interessenlosen Vollstrecker Platz [machte], Monstrositaet verwandelte sich in fade Beliebigkeit. Es schlug die Stunde des Mannes ohne Eigenschaften.
Der vorgeblich unbeteiligte und emotionslose Schreibtischtaeter avancierte nunmehr zum Leittypus und loeste die Nuernberger Ungeheuer ab. Die Shoah wurde zu einem Automatismus ohne Taeter, angetrieben von abstrakten, gesichtslosen Strukturen und Institutionen. Das Bild eines entpersonalisierten Prozesses entstand, der mit den Attributen "industriell", "buerokratisch" und "anonym" belegt wurde und seinen Ausdruck in der Metapher der "Todesfabriken" fand. [...] Die Erkenntnis, dass nicht Strukturen, sondern Menschen morden, kam abhanden.
[...] [Der in den 90er Jahren erneut einsetzenden historischen Grundlagenforschung ist gemeinsam], eine empirisch fruchtbare Schwerpunktverlagerung von den Entscheidungszentren des Dritten Reiches hin zu seinen oestlichen Randgebieten, von der Regimespitze hin zu den durchschnittlichen Taetern [gemacht zu haben].
[...] Sichtbar wurde die weit ueber die SS und die Einsatzgruppen hinausreichende Beteiligung nahezu aller deutschen Institutionen im Osten. Obsolet wurde die Vorstellung, dass der Mord an den europaeischen Juden auf einem von Anfang an feststehenden, nur lange geschickt getarnten und dann minutioes durchgefuehrten Plan beruhte. Der willenlos verstrickte Taeter ohne eigene Interessen verabschiedete sich ebenso wie der Taeter ohne Ideologie. Entgegen der aelteren Auffassung [...] wurde sichtbar, dass ein weiter gefasster Begriff von Weltanschauung - eine durch praegendes Erleben und generationelle Erfahrung dominant gewordenen "Haltung zur Welt" - durchaus das Geschehen mitbestimmte.
[...] Hinter dem "Fuehrer"-Willen wird die Eigeninitiative der Akteure sichtbar. Hierarchie wird durch Autonomie ergaenzt, Befehl vielfach ersetzt durch Freiwilligkeit. An die Stelle umfassender Planung tritt die Improvisation vor Ort, die Durchsetzung von 'oben' weicht der Selbstermaechtigung 'unten'. Statt strikter Geheimhaltung wird breite Oeffentlichkeit erkennbar, statt Zwang und blindem Gehorsam kommen Einfallsvermoegen, Lust und Hingabe zum Vorschein, statt des behaupteten Widerwillens Beutementalitaet, Leichenfledderei und Grausamkeit, statt Gleichgueltigkeit Fanatismus und Glaeubigkeit, statt Autoritaetshoerigkeit das Vorhandensein verwurzelter Ueberzeugungen . Die Aneignung der Situation durch die Individuen tritt in den Vordergrund, 'muessen' wird verdraengt durch 'duerfen'. (Hervorhebungen Klaus Popa )
EINZELBEISPIELE
Die totgeschwiegene Dimension
"
Vergangenheitsbewaeltigung" 1
und "
Vergengenheitsbewaeltigung" 2
Eine Zusammenfassung der Diskussion
mit Johann Lauer und Klaus Weinrich unter:
Die UNANTASTBARKEIT DER PERSOENLICHKEIT
Traurige Beruehmtheit ....
Der Auschwitz-Apotheker Viktor Capesius
Die Taeterschaft in der Person
Adolf Eichmann unter:
"IDEALISMUS" UND GEWISSENLOSIGKEIT
Gerhard Paul, Klaus-Michael Mallmann (Hgg.), Die Gestapo. Mythos und
Realitaet
Mit einem Vorwort von Peter Steinbach,
1. Auflage Darmstadt 1995, 2. Auflage Darmstadt 2003
Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien ueber Radikalsimus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, 3. Auflage, Bonn 1996.
Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Fuehrers Franz Alfred Six, Muenchen 1998.
Gerd R. Ueberschär (Hg.), Hitlers militaerische Elite, Bd.1, Von den Anfaengen des Regimes bis Kriegsbeginn; Bd.2, Vom Kriegsbeginn bis zum Weltkriegsende , Darmstadt 1998.
Ronald Smelser, Enrico Syring, Rainer Zittelmann (Hgg.), Die Braune
Elite 1, 22 biographische Skizzen, 4. aktualisierte Auflage, Darmstadt
1999; Die braune Elite 2, 21 weitere biographische Skizzen
, 2. aktualisierte Auflage, Darmstadt 1999
Irmtraut Wojak, Eichmanns Memoiren. Ein kritischer
Essay, Frankfurt am Main 2001
Verbrechen und Verschwörung: Arthur Nebe. Der Kripochef des
Dritten Reiches
Reihe: Anpassung - Selbstbehauptung - Widerstand 17
Herausgeber: Rathert, Ronald
Ort: Münster
Verlag: LIT Verlag
Jahr: 2002
ISBN: 3-8258-5353-5
Umfang/Preis: 224 S., 13 Abb.; €17,90
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Besprechung:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=2244
Veranstalter: Organisationsteam Workshop Ebensee
Datum: 02.102003-05.10.2003
Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Fuehrungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburger Edition, Hamburg 2002
Michael Wildt (Herausgeber), Nachrichtendienst, politische Elite und Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS , Hamburger Edition, Hamburg 2003
Juergen Matthaeus, Konrad Kwiet, Juergen Foerster, Richard Breitmann,
Ausbildungsziel Judenmord? »Weltanschauliche Erziehung«
von SS, Polizei und Waffen-SS im Rahmen der »Endloesung«
, Fischer Taschenbuch 15016, Frankfurt a.M., 2003
Gerhard Paul (Hg.), Die Taeter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, Wallstein Verlag, Göttingen 2002 (zweite Auflage 2003)
Besprechung von Klaus Popa in: Halbjahreschrift fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik, 16.Jg., Heft 1, 2004, S.126-127.