"IDEALISMUS" UND GEWISSENLOSIGKEIT

Idealism and Unscrupulousness


Das Buch von Irmtraut Wojak, Eichmanns Memoiren. Ein kritischer Essay (Fritz Bauer Institut. Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Sonderband), Frankfurt/New York 2001, zeichnet sich dadurch aus, dass Verfasserin, die seit 1998 stellvertretende Leiterin des Frankfurter Instituts ist, die Hauptzeugnisse des Deportationsexperten Eichmann, das noch in Argentinien zwecks Herausgabe eines "Romans" oder von "Memoiren" einem ehemaligen SS-Angehörigen besprochene Tonbandmaterial (das "Sassen-Interview", heute im Bundesarchiv), und seine in israelischer Haft entstandenen Manuskripte Goetzen und Meine Memoiren in den chronologischen Kontext der "Endloesung der Judenfrage" stellt. Dabei stellt Verfasserin die Wesensmerkmale, die Funktionsweise und die Verdraengungsmechanismen der NS-Taeter, also die Typologie des NS-Taeters, heraus und ueberfuehrt Eichmann der Unseriositaet, der Unfaehigkeit zur Distanzierung zum verbrecherischen System, dem er ergeben und fanatisch diente wie auch zu seinen eigenen Untaten. Auch die Erkenntnis Wojaks, dass die treibende Kraft eines Eichmann und seinesgleichen die ideologische Borniertheit, der ideologische Fanatismus war, ist bedeutsam, weil bisher nicht so eindeutig ausgesprochen. Darin liegt die Quelle der bisher allgemein festgestellten Perversion, welche das NS-System charakterisierte. Das "vollkommen pervertierte(s) Verantwortungsbewusstsein" (S.200), das sich in durchgreifender Gewissenlosigkeit aeusserte, beruhte auf dem starren Vorsatz "Was meinem Volke nuetzt, ist fuer mich heiliger Befehl und heiliges Gesetz" (S.63; Sassen-Interview). Doch das Taeterprofil eines Eichmann und seinesgleichen erschoepft sich nicht in der mechanischen Unterordnung und Befolgung von Befehlen im Sinne von Gehorsamspflicht. Die Abgruendigkeit dieser NS-Taeter aeussert sich erst darin, dass sie sich nicht als blosse trottelnde Befehlsempfaenger verstanden, sondern als schoepferische, von "Idealismus" erfuellte Befehlsvollstrecker. In Eichmanns Worten:
Ich war kein normaler Befehlsempfaenger, dann waere ich ein Trottel gewesen, sondern ich habe mitgedacht, ich war ein Idealist (S.191, 195, Sassen-Interview).
Im NS-Jargon fasst die Formel "Idealismus der Tat" diese Haltung zusammen. Idealisten waren sie allesamt, auch die "normalen Befehlsempfaenger", auch die "mitdenkenden", weil sie allesamt Taeter der Vernichtung waren.

Und hier wird auch das Paradoxe einer solchen Selbsteinschaetzung wie die Eichmanns greifbar: die "Eichmann"-artigen Taeter, auf die in der Literatur nach Albert Wucher, Eichmanns gab es viele. Eine Dokumentation ueber die Loesung der Judenfrage (Muenchen Zuerich 1961) auch mit "Eichmanns gab es viele" Bezug genommen wird, betrachten sich auf der einen Seite nicht als einfache Handlanger, als Erfuellungsgehilfen, sondern als schoepferische, also initiative Individuen, die den "Idealismus der Tat" bereichert und weiterentwickelt haben, wodurch sie sich eine elitaere Aura zulegen. Und von der Ueberzeugung her, einen elitaeren (=schoepferischen) Idealismus zu vertreten und auch praktisch gelebt und verwirklicht zu haben, kommt auf der anderen Seite die nach dem Muster betriebene Selbstentlastung, nur die gemeinen, nicht die "mitdenkenden" Befehlsempfaenger seien an den Massenmorden beteiligt gewesen. Mit anderen Worten: einer wie Eichmann legte sich kraeftig ins Zeug fuer die Optimierung der Konzentrierung und des Abtransports von Juden in die Vernichtungsstaetten (Judenhaeuser, Ghettos, Arbeitslager, KZs), weil er

ja nicht nur allein die Juden
hasste, sondern
alles, was dem deutschen Volk an den Kragen ging (Sassen-Interview) (S.60);
weil er
ein fanatischer Kaempfer fuer die Freiheit meines Blutes, dem ich entstamme
war; weil er sich fuer
Unsere Aufgabe fuer unser Blut und fuer unser Volk und fuer die Freiheit der Voelker (Sassen-Interview) (S.63)
mit seinem ganzen Wesen einsetzte.

Dass auf dieser Grundlage der totalen Wertepervertierung die Luege zur Tugend, die krasseste Unwahrheit zur Wahrheit, die blanke Verantwortungslosigkeit zum Inbegriff der hoechstmoeglichen Verantwortung, die Gewissenlosigkeit zur Gewissenhaftigkeit erhoben wurde - weil das alles ausnahmslos im Namen des deutschen "Blutes" und zu dessen Nutzen geschah -, das ist DIE WAHRHEIT, keinesfalls das, was Eichmann und seinesgleichen von sich gaben, als sie sich vor der internationalen Oeffentlichkeit verantworten mussten.

Die Verbrechen dieser "Eichmanns" beruhen eindeutig auf ideologischen Praemissen. I.Wojak formuliert zutreffend, dass sie die nationalsozialistische Ideologie zu ihrer "Religion" erhoben (S.200 u.oe.). Und im Namen dieser "Religion" schalteten und walteten sie in der bekannten Art und Weise, Millionen Menschen auf die Schlachtbank zu fuehren.

Ob das alles die Siebenbuerger Sachsen und Banater Schwaben, vor allem die juengeren und jungen Alters, welche heutzutage einem diffusen "Idealismus" froenen, zum Ueberdenken, ja Umdenken ihrer "Religion" bewegen wird?



Vgl. NS-Taeterprofile

Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


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Datei: Eichmann.html                Erstellt: 11.05.2002     Geaendert: 08.04.2003      Alle Rechte, auch  ©   Klaus Popa

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