Tränende Herzen

Großmutters Garten befand sich direkt hinterm Haus, klein aber oho wie man so sagt. Oho gerade deshalb, weil zufriedene freilaufende Hühner umherpickten und glückliche Karnickel vor sich hin mümmelten. Schon als Kind recht nah der Natur verbunden, bekamen insbesondere die Kaninchen meine Tierliebe zu spüren. Bisweilen hielt ich mich stundenlang dran, sie mit Streicheleinheiten zu verwöhnen und bei dem Gedanken ans Schlachten, blutete mir fast das Herz. Für Omas herzloses Verhalten gegenüber den possierlichen Tierchen einschließlich des Geflügels fehlte mir schlichtweg jede Wortwahl. Aus voller Leibeskraft schrie ich was das Zeug hielt, sobald sie sich den armen Hühnern näherte, ihnen den Hals umzudrehen.

Gerade noch mit ihnen gespielt, setzte sie mir zur Feier irgendeines Geburtstages den knusprig gebratenen Schenkel meines Lieblingsspielzeugs vor. Urgroßmutter, die seinerzeit mit im Haus lebte, gab sich zeternd wie empört über mein unmögliches Benehmen. Ungerecht bemängelte sie vor allen Gästen meine von ihr abgeschaute und übernommene Esskultur. Da Widerspruch weder schicklich noch geduldet war, drohte sie mit Verbannung in den Keller oder auf dem Plumps-Klo. Im Ernstfall entschied ich mich lieber fürs Klo, alldieweil von diesem Örtchen ein herzlicher Eindruck ausging. Diese phantasievolle Deutung entnahm ich, zur Belustigung aller, dem ausgeschnittenem Herz in der Brettertür.

Aus dem natürlich angelegten Blumenbeet, streckten sich unzählige Köpfe bunter Gartenblumen der Sonne entgegen. Zu meinen Favoriten gehörte Tränendes Herz, gefolgt von Stiefmütterchen und alle anderen saisonbedingt herangewachsenen Naturschönheiten. Ein Herz für Blumen zeigte auch Oma, ganz speziell, wenn sie mich davon abhielt für Mutter einen bunten Strauß zu pflücken. "Im Garten haben alle was davon", meinte sie bestimmt nicht geizig. Spendabel zeigte sie sich dafür mit der Abgabe enormer Berge von Spinat. Vergleichbar mit dem Erstaunen heutiger Kinder über den Blubb im Spinat, war meine Verwunderung über das zurückgebliebene Häufchen nach dem Kochen. An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, mir aus dem Herzen zu schreiben, was ich immer schon sagen wollte. Aus meinem Blickwinkel verteilt sich unser neuzeitlicher Spinat als kuhfladenähnlicher "Blubb" auf Teller und Tische, wobei das Verzieren von Fußböden und Tapeten ein Kinderspiel darstellt. Unter Tiefkühlfrische-Garantie ist jener Hersteller für die Konsistenz verantwortlich, welcher gewinnbringend den Zeitgeist in seiner Fabrikküche walten lässt. Unverständlich, dass man dabei noch nicht auf eine Farbveränderung gekommen ist.

Für Melle, Mutters heißgeliebtem Gemüse, ließ ich mir nur schwer, wenn überhaupt Begeisterung anmerken. Mit Rücksicht auf meine überempfindlichen Geschmacksnerven verschonte sie mich ab und an, zum Leid der strengen Urgroßmutter. "Gegessen wird, was auf den Tisch kommt", bestimmte die alte Dame hartherzig. Ohne in Kenntnis zu nehmen, dass mir von Stielmus bis Stangenbohnen alles recht, aber nicht schlecht war, musste ich schlucken; zur Freude der Hühner.

Unbeschreiblich, welch Reichhaltigkeit Omas kleiner Garten zu bieten hatte. Geschmacklich unnachahmbar ursprünglich, angefangen vom zarten Salatpflänzchen, über süße Kirschen bis hin zur saftigen Birne. Da sich bekanntlich über Geschmack streiten lässt, gehe ich jeder Zwietracht eher aus dem Weg. Besonders in der Erdbeerzeit, wenn meine Geschmacksrichtung in duftende Erdbeerfelder führt.

Hildegard Grygierek

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