Milchsuppe mit Kluntern

(Kluntersuppe)

Denkwürdig, dass mir noch ganz genau Aussehen und Form jener Milchkanne vorschwebt, mit der ich jeden Tag, vielleicht auch nur jeden zweiten frische Milch einholen musste. Schon etwas in die Jahre gekommen, hielt ein leidlich verbeulter Aluminium-Deckel die Frischmilch unter festem Verschluss. Sogar unter dem wirklich Zirkusnummer verdächtigem Kunststück meiner Schwester, mit dem sie alle Kinder aus der umliegenden Nachbarschaft und besonders mir imponierte. Mit voller Kraft aus der Armkugel, beherrschte sie großkreisig die Kanne zu schleudern, ohne dabei auch nur den kleinsten Tropfen Milch austreten zu lassen. Weniger neidisch, dafür aber nacheifernd startete ich auch einmal den Versuch, was mir außer Gelächter der Zuschauer heftige Tadel von Mutter einbrachte. Unmissverständlich hielt sie mir eine Moralpredigt, sich derlei Eskapaden nicht leisten zu können.

Da an Milchsuppe mit unappetitlichen Mehlklumpen zum Abendessen kein Weg vorbeiführte, schickte sie mich nochmals auf denselben, wieder mit abgezähltem Geld. Auf mein langes Gesicht beim bloßen Gedanken an Mehlsuppe und wachsenden Zähnen, reagierte Vater mit einem Riesenvortrag. Erinnernd an seine Kindheit in Ostpreußen erzählte er voller Stolz über traditionelle Gerichte und mitgebrachte Rezepte. Ehrlich gesagt hätte ich auf das eine oder andere verzichten können und wünschte mir seine überlieferten Rezeptvorschläge so manches Mal zum Teufel oder einfach nur zurück in seine Heimat. Meine Vorliebe galt Rote-Beete-Suppe mit Speck und Salzkartoffeln, die Mutter original nachkochte. Zu den Höhepunkten ihrer Kochkunst zählten Königsberger Klopse, Vaters Leibgericht. Da Liebe auch schon seinerzeit durch den Magen ging, setzte sie es ihm zur Freude der Familie mindestens zweimal im Monat vor. Natürlich nicht an den Tagen vor dem Ersten, da war sie ausgiebig mit dem Jonglieren des Haushaltsgeldes beschäftigt.

Aber Sauerkrautgeruch schlich auch aus andere Küchenfenster, sich verräterisch auf Streifzug durch die Straßen begebend.Darüber, dass man in den meisten Bergmannsfamilien Kraut vom Fass auf Schweinepfötchen kochte, freute sich der Fleischer gleichermaßen, wie über literweise Abnahme von Wurstbrühe. Eine preiswerte, obendrein schmackhafte Variante gegenüber teurem Suppenfleisch für den beliebten Westfälischen Eintopf. Übrigens diente auch hierfür die Milchkanne als Behältnis. Und als Überbrückung Flomen, den Mutter durch Zugabe von Zwiebeln und Apfelstücken in einen göttlichen Brotaufstrich verwandelte.Echte Zufriedenheit kam für alle erst mit dem Lohntag auf, wenn der Tisch wieder in die Mitte gerückt wurde und es auch mal Hundert Gramm mehr sein durften.

Darüber ob zu jener Zeit die Bescheidenheit nun wirklich zierte, oder man sich zierte bescheiden zu sein, lässt sich wunderbar spekulieren. Festzustellen bleibt in jedem Fall, dass in jenem sprichwörtlichen Zusammenhang die Zwangsläufigkeit im Verborgenen liegt.


Hildegard Grygierek

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