Kurschatten-Seiten

Mal abgesehen, dass eine Kur kurzweilig Steigerung des Wohlbefindens bringen soll, war ich nie für eine solche oder ähnliche Maßnahme. Nichts desto trotz trat ich im Oktober einen von der LVA bewilligten Klinikkuraufenthalt an. Das berühmte Bad Oeynhausen mit seinem noch berühmteren Casino war der von der Versicherungsanstalt auserwählte Kurort. Den Ort der Ruhe und der Stille hätte ich sicher genießen können, wäre mein an der Straße gelegenes Zimmer schalldicht gewesen.

Aber nun ja, man kann nicht alles haben, schließlich hatte ich wie alle anderen ein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer. Grundton grün, Vorhang passend, wenn auch an einer Seite ein Stück fehlte. Auf den fahlen Grün-Ton welcher mich über Wochen begleitete, komme ich später noch mal zurück, nach dem zweiten Gruppen-Bewegungs-Bad. Das Bad geräumig und sauber, bot einen Anblick des Showers. Unsinn, nein, das Badezimmer war wirklich in Ordnung. Ebenerdig die Dusche, ebenso das Waschbecken. Nicht dass es kurz über´n Boden hing, aber ein bischen bandscheibenfreundlicher hätte es schon angebracht werden können. Angebrachterweise für die Rückenleute.

Nach freundlicher Einweisung von einer überaus freundlichen, ihres Ehrenamtes bewussten grünen Dame (oder war sie blau?), richtete ich mich für die zunächst drei bewilligten Wochen häuslich ein. Gemeint ist, ich richtete mich vorerst auf drei Wochen ein, mit nur einem Koffer und einer Reisetasche. Zum Mittagessen verwies man mich in den Speisesaal an einen vorübergehenden Mittagstisch. Spätestens ab dem Abendessen sollte ich dann für die nächsten Wochen an Tisch No. 27 einen festen, sozusagen Stamm- Platz finden, eingequetscht zwischen zwei anderen Kurgästen. Bei Dünstfisch mit tausend Gräteln und Curryreis studierte ich unauffällig die mir gegenübersitzende Dame, welche sich zwei Tage später als echter Ladykracher herausstellte. Eva, meine zukünftige Tischnachbarin machte nicht nur einen arroganten Eindruck, darüber hinaus ausdrucksstark klar, dass sie sich ja wohl die Kur verdient hätte. Von kaputten Füssen, mehrfach operiert, wusste ich noch vor dem Joghurtdessert und sie ein Leid-Liedchen nach dem anderen zu singen. Arme Frau, dachte ich, so jung und schon so schlechtläufig.

Von wegen – nachdem Ralf der Neuankömmling ihr direkt gegenüber saß, änderte sich ihr desolater Zustand schlagartig. Läufig, also beiläufig, praktisch von einem Tag zum anderen, wurden die beiden ein offenes (offener ging´s nicht) Liebespaar. D.h., den Kurhausgästen sowie der kompletten Besatzung, einschließlich der Therapeuthen entging das Liebesverhältnis nicht.

Warum auch? Eva und Ralf standen als zwei moderne Menschen mit zeitgemäßen Ansichten zu ihrer freien körperlichen Beziehung. Zwar verkörperten sie den sprichwörtlichen Kurschatten, entsprachen aber kaum dem typischen Vorbild. Ralf lebte in fester Bindung, allerdings ohne Trauschein, während Eva aus ihrem Single-Dasein hocherotische Anekdoten frank und frei erzählte.

Was also noch nicht war, sollte wahr werden. Und es wurde. Die beiden wurden unzertrennlich. Und wenn sie nicht…. Nein, nein, das ist nicht das Ende, jetzt geht’s erst richtig los!

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ersten, als wir Newcomer zu sechst, punkt Sechs, das Abendessen einnahmen. Sex lag in der Luft. Ralf beschnupperte Eva, was offensichtlich im Unterbewusstsein stattfand, woraufhin Eva, sich ihrer und ihrer Schönheit voll bewusst, noch mehr Sexualhormone verströmte. Ich glaubte sie sehen zu können, die Hormone, hatte aber so meine Bedenken an dem was da abging. Während Ralf sich mir gegenüber über den „geilen Laden“ äußerte, beschwerte sich Eva neben mir über die Zudecke. „Dünn wie eine Slipeinlage“, nörgelte sie über die Mangelware samt Laken, während er sich über „fette drei Wochen“ herabsetzte. Na, da hatten sich zwei gesucht und gefunden.

Oder waren es drei? Auf jeden Fall, zusammen mit mir. Nach drei Tagen schienen wir drei untrennbar. Außer zu den Auszeiten natürlich, wenn das junge Paar für sich sein wollte, auf seinem oder ihrem Zimmer. Apropos Zimmer. Ralf konnte sich nach einer Woche voll identifizieren, mit dem Klinikaufenthalt, weshalb er auch nicht mehr heim wollte – auch nicht nach drei Wochen. Zusammen mit seiner Liebsten wurden daraus fünf. Auf Anraten des Arztes natürlich.

Deshalb war es ihm auch nicht zu verdenken, dass er seine Umgebung gemütlich gestalten wollte. Kurzerhand wandelte er sein dämmeriges Zimmer in ein Milieu um, welches zu ihm passte wie Faust aufs Auge. Rotes Licht aus Gummiröhren, von Ralfs Hand kunstvoll verlegte Lichtschläuche schlängelten derart (um nicht zu sagen abartig) an den Wänden entlang, kreuz und quer durch den Raum, dass selbst die Reinemachenfrauen ins Schwärmen gerieten. Putzteufelswild wurden sie auch nicht wenn auf Eva´s Zimmer mal wieder (oder immer noch) der Spiegel in Sichtweite, bzw. Augenhöhe, auf dem Schreibtisch stand. Alles klaro?

Kaum dass wir uns mal gemeinsam in einer Anwendung, beispielsweise im Gruppenbewegungsbad trafen, trafen wir uns des Abends im Kegelraum. Leuchtendgrün vom kupferhaltigen Wasser meine sonst tubenblonden Haare, vertrieb ich mir am liebsten bei Sch(l)ummerlicht die Zeit. Mit „Mallefitz“ und Ralf und Eva. Aber erst nachdem ich Jürgen auftrieb, den vierten Mann. Zu viert macht Rausschmeißen viel mehr Spaß, was Ralf mir ständig, mehr unanständig, beweisen wollte. So einen hintervotzigen Mallefitzer hat die Welt noch nicht gesehen.

Schwärzte er mich doch wahrhaftig beim Therapeuten an, wenn ich nur das eine oder andere Mal verschlief! „Hildegard lackiert sich gerade die Nägel und danach legt sie sich auf die Sonnenbank. Zusammen mit Jürgen, weil sie allein das Oberteil nicht hochkriegt.“

Und? Ist das hinter…? Aber wenn Ralf morgens um 8.00 Uhr aus der Kneipe kam, nun gut wenn auch nur ein einziges Mal feuchtfröhlich und höflich, verkniff ich mir prinzipiell anstößige Bemerkungen diesbezüglich.

Und als Dank - nahm er mich in den Arm… Wirklich, Ralf ist der netteste männliche Mensch, der mir je begegnet ist. Von einer Begegnung der dritten Art beklagte er sich als ein liebgewordener Freund tags drauf, gleich nach dem verspäteten Frühstück. Bei keiner anderen als bei mir. Und bei seiner Eva natürlich. Zuerst glaubte er an Halluzinationen nach zuviel Alkoholkonsum, behielt dabei die Freundin seiner eheähnlichen Beziehungsfrau im Visier:

„Hildegard, drüben am Tisch sitzt doch wahrhaftig die Freundin meiner Freundin“. Ups, dumm gelaufen, fiel mir nicht viel dazu ein. „Na und, Ralfi-Boy, lass sie doch sitzen“. „Nee, Hilde, das kann ich nicht. Die vielen gemeinsamen Jahre, an die vier, und dann die Kinder, die zwei“. „Hach Ralf, das meinte ich doch ganz anders, du Dösel“, erwiderte ich, aber Ralf machte sich ohne hinzuhören und ohne seine Eva vom Acker. In Windeseile verließ er den Speisesaal, woraufhin sich Eva, meine neue Freundin, bei mir weinend unterharkte. „Huhu, Hildegard, ich liebe ihn so sehr und er mich, ich weiß es. Aber er will sich nicht entscheiden.“

Oh Gott, fasste ich mir an den Kopf, dürfte auch ein bisserl verfrüht sein. Wenn Eva wüsste wie oft Ralf mir seine Sorgen beichtete, und Ralf eine Ahnung hätte, dass mir sie Eva täglich anvertraute, hätte Jürgen dämlich aus der Wäsche geschaut. Der war nämlich im Glauben ich hätte nur Augen und Ohren für ihn. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich betonen, dass wir, Jürgen und ich, kein Kurschatten waren oder sind, auch wenn es manchmal ganz schön schattig war. Der einzige Schatten der mich permanent verfolgte, war mein Mann. Auf Schritt und Tritt. Kaum dass mein Wecker überfrüht wegen überfrühter Anwendung frühmorgens schellte, klingelte unaufhörlich unüberhörlich Frühchen Georg, mein Ehemann. Am Telefon hatte ich ihn dann noch mittags und zwei Stunden am Abend für mich ganz allein. Und am Wochenende sowieso, da er mich regelmäßig besuchte.

Abwechslung brachte Rosi, meine alte Freundin, in mein Leben. Den einzigen Tanzabend im Adiamo, der Nobeldisco im alten Kaiserpalais, hatte ich ihr zu verdanken. Nicht mehr jung an Jahren, dafür fit wie ein Highheel, machte sie sich in ihrem schicken Beagle von Witten auf den Weg zu mir nach Bad Oeynhausen. Allerdings musste ich meinem Schorsch eine Absage erteilen, was er leider in Undank zur Kenntnis nahm. D.h., er war schwer beleidigt.

Trotzdem hatten Rosi und ich Spaß ohne Ende, genauer gesagt bis 23.30 Uhr. Dass um 0 Uhr die Nachtschwester patent, sorry, mit ihrem Patentschlüssel die Tür superpünktlich verriegelte, konnte man ihr wirklich nachsagen. Rosi verbrachte die Nacht gegen Bezahlung bei mir im Zimmer, auf dem Gästebett. Für nur 50 Euro beinhaltete das Übernachtungs-Angebot des Kurhauses ein Frühstück, sowie Mittag- und Abendessen. Viel gelacht habe ich während meines fünfwöchigen Kuraufenthaltes in der feudalen Reha-Klinik Porta Westfalica ohne Zweifel. Umso mehr mit Ralf und Eva, die mir das Leben wirklich versüßten - die beiden Süßen. Vielleicht führt das Schicksal sie zusammen, wer weiß. Wer weiß - vielleicht sind auch schon….

Hildegard Grygierek
01.12.2004

Hosted by www.Geocities.ws

1