Oh du fröhliche

...oh du selige gnadenbringende Weihnachtszeit, trällerten meine Schwester und ich selig unterm Weihnachtsbaum. Ungeduld auf die bevorstehende Bescherung stand uns knallrot ins Gesicht geschrieben, denn beschert wurde generell erst nach Ingrids Vortrag "Draußen vom Walde komm ich her". Währenddessen kaute ich das Mundstück meiner Blockflöte vor Aufregung durch und dachte darüber nach, wie sie es bloß schaffte, sich jedes Jahr an der gleichen Stelle zu verhaspeln.

"....all überall auf den Tannenspitzen, sah ich goldene Lichtlein sitzen". "Blitzen", verbesserte ich sie. "Sitzen", entgegnete sie, "es heißt sitzen". "Nein, du sagst es immer wieder falsch, es heißt blitzen." "Papaaaaaa, sag doch mal was, es heißt sitzen. Hildegard will mich nur ärgern und abends im Bett plappert sie so laut herum, dass ich nicht einschlafen kann". "Petze", flötete ich sie an und musste wohl oder übel Vaters strengen Blick über mich ergehen lassen.

Geduldig drängte sich Mutter mit dem uralten "Weihnachtsglöckchen" wie ein Schiedsrichter zwischen uns, wobei sie mit den blonden Locken süß wie Weihnachtsengel wirkte. Endlich läutete sie die über alles herbeigesehnte "Bescherung" ein und es ward Frieden - in der kleinen Wohnstube.
Wir Kinder durften natürlich zuerst unsere Geschenke auspacken, das heißt, ich entsinne mich, dass sie gar nicht verpackt waren. Weder Geschenkpapier noch Schleifenband verhüllte die von Mutter neueingekleidete Puppe. Mit leicht verbeultem Kopf ruhte sie in ihrer Puppenwiege als Holz, welche Vater selbst angefertigt hatte - direkt neben dem Weihnachtsteller. Es sei erwähnt, dass ich mich noch heute im Besitz dieses Schmuckstücks befinde. Meine Schwester "Leseratte" erfreute sich lautlesend ihrer neuen Schmöker "Pucki" - Band sechs- und "Trotzköpfchens Hochzeit", derweil sich Vater schmunzelnd eine Zigarillo anzündete. Zufrieden lehnte er sich in "seinem" Sessel zurück, um genießerisch Mutters Freude über das Fläschchen "Carat" und einer Tube "Creme Mouson" auf sich einwirken zu lassen. Glücklich schaute auch er drein, als ihm Mutter liebevoll, fast schüchtern, das silberne Zigarrenetui mit eingravierten Initialen "G.W." überreichte.

Herrlich, wenn ich daran denke wie er aufgeregt, regelrecht hektisch an seiner Zigarre zog. Ich fand es äußerst interessant zu beobachten, wie schwerfällig der Qualm durch das viel zu kleine Wohnzimmer zog, sich in den Tannennadelduft und das betörende Bukett Mutters Lieblings-Parfums einmischte. Ist es nicht merkwürdig, wie bestimmte Gerüche unvergessen bleiben, brisante Erlebnisse oder Geschehnisse dagegen einfach wie aus dem Gedächtnis ausradiert sind? "...welch ein Jubel welch ein Segen, wird in unsrem Hause sein", stolperte Inge auf der Tonleiter ungeschickt in die weihnachtliche Stille hinein. Singen war nun mal nicht ihre Stärke, dafür konnte sie aber gut und laut lesen, auch während des Abendessens.
Vater ließ den Abend ausklingen, indem er in trauter Zweisamkeit mit Mutter noch ein Gläschen trank. Vornehm, er mit rotem Portwein und sie mit weißem Sekt, wurde auf ein wieder mal gelungenes Weihnachtsfest angestoßen.

Ingrid lag es schwer am Herzen, unserem Jesus Christus zusammen mit mir auf Knien zum Geburtstag alles Gute zu wünschen. Ich folgte ihrem Befehl, mich direkt neben sie auf die Matratze hinzuknien. "Lieber Gott, los Hildegard bete mit, wir danken dir für unseren Jesus und die vielen schönen Geschenke." Mit ihrem "Trotzkopf" las sie mich letztendlich in den Schlaf. Natürlich erst nachdem wir den Inhalt unserer bunten Teller ausgetauscht hatten, Knickebein gegen Eierlikörfläschchen und Zuckerringe gegen Marzipankartoffeln. Und Gott lob, unbeschwert wie Kinder nun mal sind, hatten wir keine Ahnung wie sehr sich Vater krumm machen musste, damit wir solchermaßen Weihnachten "feiern" konnten. Mit Überstunden und Doppelschichten holte er das raus, was Mutter zum Fest der Feste machte.

Dazu gehörte nicht nur der Kaninchenbraten an den Feiertagen, es war ihr ein Herzensbedürfnis die Familie neu einzukleiden. Ihren Mann veredelte sie mit einem neuen weißen Oberhemd und wir Kinder sollten in neuen Kleidern glänzen, sie selbst natürlich auch. Das heißt, ihr schlichtes "Schwarzes" wirkte eigentlich ziemlich aufgemacht, mit der großzügigen Brosche aus Strasssteinen. Bescheiden ging es nicht zu, auf jeden Fall für die Begriffe damaliger Zeit. Manchmal noch höre ich Vater sagen: "Kinder, es fehlt uns doch an Nichts. Wir haben ein warmes Stübchen, schöne Sachen zum Anziehen und müssen nicht Hunger leiden. Also, was wollen wir mehr?" Was wollten wir mehr? Heute, im Nachhinein weiß ich, dass wir wirklich zufrieden waren mit dem was wir hatten. Ja Papa, so manches Mal klingelt mir Dein Satz noch in den Ohren und ich verrate Dir was mir heute fehlt.
Du fehlst mir und ich wollte Du wärest hier. Dann könnten wir über "alte Zeiten" plaudern und Du müsstest meine Erinnerungslöcher stopfen, die unaufhaltsam immer größer reißen.

HildegardGrygierek

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