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Xenophon in Machiavellis politischen Schriften
to be continued...

Xenophon in Machiavellis politischen Schriften

Von Theo Stammen

I.

Vor etlichen Jahren hat der niederländische Germanist Herman Meyer ein bemerkenswert anregendes Buch mit dem Titel "Das Zitat in der Erzählkunst" (Stuttgart 1961) publiziert. Der Untertitel "Zur Geschichte und Poetik des europäischen Romans" verweist auf den speziell literaturwissenschaftlichen Gegenstandsbereich dieses Buches, das zur Illustration und textnahen Interpretation Beispiele aus der französischen, spanischen, englischen und (im zweiten Teil) besonders aus der deutschen Literatur vom 16. bis zum 20. Jahrhundert heranzieht, um die literarische Funktion und Bedeutung von Zitaten herauszuarbeiten.

Herman Meyer gibt gleich in den ersten Sätzen der Einleitung die spezifische Perspektive seiner Untersuchung an: Der methodische Ansatz sei strukturanalytisch: "es soll der Frage nachgegangen werden, was das literarische Zitat im neuzeitlichen Roman ... als Strukturelement bedeutet und leistet". Im Folgenden bestimmt der Autor seinen Zugriff noch genauer: "Dabei wollen wir unter Struktur die das jeweilige Werk durchwaltende Ordnung verstehen, die durch den Charakter des Ganzen und der Teile in ihrem gegenseitigen Zusammenhang bedingt wird und die gleichermaßen Elemente der Form, des Gehalts und des Inhalts umfaßt" (S. 9). Unter dieser Sicht der einheitlichen Struktur des literarischen Werks fragt der Autor sich: "Kann das Zitat trotz seines teilhaften Charakters eine wesentliche Rolle in der das einzelne übergreifenden Gesamtstruktur eines Erzählwerks spielen?" (S. 10). Er sieht den besonderen Reiz des Zitates (und damit seiner Untersuchung) "in einer eigenartigen Spannung zwischen Assimilation und Dissimilation: es (das Zitat) verbindet sich eng mit seiner neuen Umgebung, aber zugleich hebt es sich von ihr ab und läßt so eine andere Welt in die eigene Welt des Romans hineinleuchten, die die vielheitliche Ganzheit und den Reichtum des Romans mit bewirkt" (S. 12). Die Frage, die sich nach der Lektüre dieser Passage spontan einstellt, ist die, ob sich eine solche Problemstellung nicht auch auf politisch-theoretische Texte und ihre interpretative Bearbeitung übertragen lasse. Kann man nicht auch im Hinblick auf politisch-theoretische Texte ganz ähnlich nach der Rolle fragen, die Zitate in der das einzelne übergreifenden Gesamtstruktur eines politisch-theoretischen Textes spielen? Wird es hier nicht auch die eigenartige Spannung zwischen Assimilation und Dissimilation geben, in der sich ein Zitat eng mit der neuen Umgebung verbindet, zugleich sich aber von ihr abhebt und so eine andere Welt in die eigene Welt des theoretischen Textes hineinleuchten läßt, die so die vielheitliche Ganzheit und den Reichtum dieses Textes mitbewirkt?

Soweit meine Kenntnisse reichen, ist eine solche interessante Fragestellung und ein entsprechender methodischer Ansatz in der politisch-ideenge-schichtlichen Forschung, die es ja vorzüglich auch mit literarischen Werken von politischen "Klassikern" zu tun hat, bisher noch nicht angewendet worden. Zwar finden sich in diesen theoretischen Texten mehr oder weniger häufig viele und vielfältige Zitierungen und Zitate von anderen Autoren und Werken, zwar geht die traditionelle Ideen- und Theoriengeschichte in ihren Untersuchungen durchaus auf derartige Zitierungen (zitierte Schriften und Autoren aus Vergangenheit und Gegenwart) ein; sie tut dies indes in aller Regel jedoch lediglich unter dem Gesichtspunkt der Quellen-, Rezeptions- oder Wirkungsforschung; sie will wissen und aufweisen, welche Werke und welche Autoren ihr jeweiliger "Klassiker" gelesen und für seine Schrift benutzt hat, um auf diese Weise den Fragen nach Einflüssen und Abhängigkeiten und Wirkungen, vielleicht auch nach dessen Eigenständigkeit oder "Originalität" nachgehen zu können.

Aus dieser (primär oder ausschließlichen) quellenorientierten und insofern eindimensionalen Perspektive der politischen Ideengeschichte kann natürlich eine strukturanalytische Frage, wie sie H. Meyer an seine literarischen Kunstwerke (vorzüglich an Romane) richtet, nicht zum Zuge kommen. Bei näherer Betrachtung und Überlegung kann das auch nicht verwundern. Der hauptsächliche Grund für dieses Defizit der traditionellen Ideengeschichtsforschung liegt m. E. darin, daß sie von ihrem Textverständnis her die Texte politischer Theoretiker kaum je als absichtsvoll geformte literarische Werke zur Kenntnis nimmt, deren formale Komposition und sprachliche Gestaltung mit ihrer "Botschaft" zu einer engen, von der Kommunikationssituation und -absicht her bestimmten Einheit einer literarischen Gesamtstruktur verbunden sind - durchaus als literarische Werke, die entsprechend auch im Hinblick auf ihre literarischen Formen, Gattungen und Strukturen und deren Funktion und Bedeutung im Kontext der "Botschaft" betrachtet und analysiert werden können, ja sogar müssen, will man ihren wahren "Sitz im Leben" angemessen erfassen und verstehen.

In der Regel haben politische Ideenhistoriker sich nicht dabei aufgehalten, die Texte ihrer politischen Klassiker über ihre gedanklich-theoretischen Inhalte hinaus auch gleichrangig im Hinblick auf ihre literarischen und sprachlich-rhetorischen Formen zu interpretieren und dabei auch Stellung und Funktion der Zitate im Rahmen kommunikativer Strategien mitzubedenken.

Eine solche Problemstellung ist ihnen im Grunde fremd. Und dies unabhängig davon, ob der ideengeschichtliche Zugriff stärker einem philosophischen, dogmengeschichtlichen oder ideologiekritischen Erkenntnisinteresse verpflichtet ist.

Allerdings gibt es meines Wissens eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel; kein geringerer als der bedeutende politische Philosoph Leo Strauss hat in seinem Buch "Über Tyrannis" (1963), in dem er eine durch ihre Dichte und Intensität außerordentlich beeindruckende Interpretation von Xenophons Dialog "Hieron oder über die Tyrannis" bietet, folgende beherzigenswerte Forderung an die textinterpretierenden Ideenhistoriker gerichtet, die er bei seinem Textinterpretationen selbst stets und intensiv berücksichtigt:

"Rechtes Verständnis dieser Lehre erfordert mehr als das Verstehen des Inhaltes allein. Man muß die Form berücksichtigen, in der diese Lehre vermittelt wird, denn sonst wird man den Ort nicht erkennen, den ihr der Autor im Ganzen der Weisheit zuordnet" (S. 46, Hervorhebungen von mir - T. St.).

Im Kontext eines solchen Textverständnisses, wie es Leo Strauss hier entwirft, dem eine Struktureinheit von Inhalt und Form zugrundeliegt und nach dem eine Erkenntnis des "Ortes im Ganzen der Weisheit" eines politisch-theoretischen Textes von der Berücksichtigung auch der literarischen Formelemente abhängt - durchaus im Sinn klassischer literarischer Rhetorik - , ist dann natürlich auch das Zitat als ein Teilelement solcher Texteinheiten verstehbar und deutbar. Das veranschaulicht Strauss durchaus an seinen Xenophon- und Machiavelli-Interpretationen. Dementsprechend kann das Forschungsinteresse an den in den theoretischen Text eingebauten Zitaten sich sinnvoll nicht mehr allein auf den Aspekt von Einfluß und Abhängigkeit, d. h. auf Quellen- und Wirkungsforschung beschränken; vielmehr ist nach Stellung, Funktion und Leistung von Zitaten im Rahmen der Strukturgesamtheit eines Textes - unter Einbeziehung der vom Autor intendierten Argumentations- und Kommunikationsstrategien - zu forschen und auch so die eigentümliche Spannung zwischen Assimilation und Dissimilation im Verhältnis von Text und Zitat zu analysieren. Erst aus dieser Perspektive wird die ideengeschichtliche Forschung zu einer angemesseneren Würdigung auch der Zitate als Strukturelemente eines politisch-theoretischen Textes gelangen können. Dies soll im Folgenden an einem konkreten, aber begrenzten Beispiel erprobt werden: an den Zitaten aus Xenophon in den politischen Schriften des Nicolo Machiavelli aus Florenz.

 

II.

Bevor wir uns dieser Aufgabe zuwenden können, bedarf es indes noch der Klärung einiger Voraussetzungen einer solchen Untersuchung; so einer kurzen Erörterung, warum hier auf die Zitierungen aus Xenophon in Machiavellis Schriften eingegangen werden soll und nicht auf die aus einem anderen antiken Autor. Denn es ist ja hinlänglich bekannt, daß Nicolo Machiavelli - in echt humanistischer Manier - viele antike, griechische wie römische Autoren, Philosophen und Historiker, in seinen Schriften ("Il Principe" und "Discorsi" zumal) häufig und ausgiebig zitiert. Unter diesen zitierten Autoren ist Xenophon lediglich einer und sicher nicht der bedeutendste; er ist auch - wie leicht überprüfbar ist - bei weitem nicht der am häufigsten zitierte antike Autor bei Machiavelli. Warum also Xenophon?

Für diese Wahl waren hier mehrere Gründe bestimmend: einmal die Tatsache, daß es nur eine überschaubare Anzahl von Xenophon-Zitaten bei Machiavelli gibt, so daß es auch im Rahmen einer begrenzten Arbeit, wie der hier vorgenommenen möglich sein wird, sie alle in die Untersuchung einzubeziehen und zu analysieren. Zum anderen gilt, daß Xenophon - im Vergleich zu Platon und Aristoteles - nicht unbedingt zu den herausragenden politischen Denkern der Antike zu rechnen ist, gleichwohl aber von ihm ein umfangreiches und vielgestaltiges philosophisches, historisches und (was hier entscheidend ist) politisch-theoretisches Werk überliefert worden ist, so daß er - auch als beliebter Schulautor - zu den ziemlich bekannten griechischen Autoren der Antike zählt, die einen beachtlichen Beitrag auch zur "episteme politike" und damit der politischen Ideengeschichte geleistet haben, zugleich aber doch in seiner literarischen Wirkung auf Machiavelli begrenzt und überschaubar bleibt. Der eben zitierte Leo Strauss hat sich in seinen grundlegenden ideengeschichtlichen Untersuchungen zur klassischen politischen Theorie wiederholt und eingehend mit den politischen Schriften des Xenophon befaßt und die Aufmerksamkeit der Forschung erneut auf diesen sonst eindeutig im Schatten von Platon und Aristoteles stehenden Autor gelenkt. Durch die Lektüre einiger dieser Studien, vorzüglich der über "Tyrannis" ist auch mein Interesse für Xenophon entstanden. Strauss geht auch in seinem Buch "Thoughts on Machiavelli" (1958) sorgfältig auf die Xenophon-Zitate bei Machiavelli ein.

Schließlich bedurfte es noch eines konkreten Anstoßes: dieser entstand im Zusammenhang eines politikwissenschaftlichen Proseminars über Xenophons politische Schriften, in dem zum Schluß auch auf seine Rezeption und Wirkungsgeschichte in nachklassischer und frühneuzeitlicher Epoche eingegangen wurde. Es bot sich fast von selbst an, die für die Moderne so einflußreichen Schriften des Florentiners Niccolo Machiavelli exemplarisch daraufhin zu befragen, ob Machiavelli Xenophon zitiert und wie er mit diesen Zitaten umgeht, d. h. wie er sie als Strukturelemente in seine Texte und Argumentationen einbezieht und zu welchem Zweck er sie dort benutzt.

Die Ausbeute an Xenophon-Zitaten in Machiavellis "Principe" und "Discorsi", ist zwar nicht übermäßig groß, aber doch hinreichend und zudem bemerkenswert aufschlußreich sowohl für die Rezeptionsgeschichte Xenophons als auch für die "Kunst des Zitierens" des Machiavelli, so daß es sinnvoll und ergiebig ist, an diesem begrenzten und überschaubaren Textmaterial die oben gestellte Aufgabe anzugehen.

Darum wird es nun im Folgenden besonders gehen. Um nun dem eigentlichen Thema dieses Beitrags näher zu kommen, schlagen wir aber noch einen doppelten Umweg ein; der erste führt uns noch einmal zu Xenophon und zu einer kurzen Vergegenwärtigung seiner Person, seines Lebens und (vor allem) seines literarischen Werkes, um im Umriß seine Stellung und Bedeutung im Rahmen der politischen Ideengeschichte zu skizzieren. Der zweite soll dann - im Hinblick auf die zu untersuchende "Zitierkunst" des Machiavelli - skizzenhaft auf die Lesegewohnheiten der italienischen Humanisten eingehen und so den epochalen Hintergrund des Themas verdeutlichen.

 

III.

Wie bereits angedeutet wurde, gehört Xenophon nur bedingt in den Kanon der "Klassiker des politischen Denkens". Sammlungen und Darstellungen unter diesem Titel wie die von Hans Maier, Horst Denzer und Heinz Rausch widmen ihm entsprechend keinen eigenen Artikel. Auch in der "Einführung in die antike politische Theorie" von Peter Weber-Schäfer (1976) ist ihm kein eigenes Kapitel eingeräumt. Anders allerdings in der von Leo Strauss/ Joseph Cropsky herausgegebenen Darstellung "History of Political Philosophy" (Chicago 21964 u. ö.). Dort schreibt Christopher Bruell, dem wir auch die einzige aktuelle Monographie über "Xenophons politische Philosophie" (München 1990, 21994) verdanken, über Xenophon als politischen Theoretiker; desgleichen hat auch Walter Reese-Schäfer in seiner kompakten und präzisen Einführung "Antike politische Philosophie" (Hamburg 1998), Xenophon ein knappes, aber zentriertes und aufschlußreiches Kapitel gewidmet.

Das Bild Xenophons, wie es die Philosophiegeschichte oder die Geschichtswissenschaft seit alters entwirft, ist eher zwiespältig. Philosophiegeschichtlich steht Xenophon als Sokratesschüler und -chronist deutlich im Schatten Platons, an dem er immer wieder gemessen wird. Und in der Geschichtsschreibung kann sein Hauptwerk "Hellenika" mit der Qualität von Thukydides klassischer Darstellung des Peloponnesischen Kriegs, als dessen Fortsetzung es gilt, nicht recht mithalten.

Trotz dieser ambivalenten Einschätzung ist es erstaunlich, wie viele Werke des Xenophon uns aus dem Altertum überliefert sind und wie breit und differenziert die Palette seiner historischen und philosophischen Themen und verwendeten literarischen Formen sind.

Einen guten und raschen Überblick über dieses vielfältige schriftstellerische Werk des Xenophon gewinnt man am leichtesten durch die Einführung von Rainer Nickel "Xenophon" (Darmstadt 1979). Wem das nicht ausreicht, der sei auf den äußerst umfangreichen Artikel "Xenophon von Athen" von H. R. Breitenbach in "Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften" (2. Reihe, 18. Band, Stuttgart 1967, Spalte 1569 - 2052) verwiesen, der erschöpfende Auskunft über alle Aspekte von Leben und Schriften des Xenophon liefert und zugleich einen Überblick über Entwicklung und Stand der Forschung dazu leistet.

Bei Nickel findet sich auch - nach einer Skizze über den Menschen Xenophon (Lebenslauf und Lebensdaten) - eine übersichtliche Darstellung der einzelnen Werke, die hier in drei Gruppen eingeteilt werden: historische Schriften, pädagogisch-ethische und technologische Schriften sowie sokratische Schriften. Ein weiteres Kapitel faßt die Forschungsergebnisse über "Vorlagen und Quellen" sowie "literarische Gattungen" zusammen. Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte findet dagegen im "Ausblick" nur knappe Erwähnung. Offensichtlich steckt hier die Forschung noch in den Anfängen. Immerhin vermutet der Verfasser - wahrscheinlich zu Recht - daß "die Darstellung der Xenophon-Rezeption ein aufschlußreicher Beitrag auch zur (europäischen) Bildungsgeschichte sein könnte" (S. 132). In diesem Kontext ist sicher auch seine Bedeutung für die politische Ideengeschichte auszumachen, die in unseren weiteren Überlegungen im Mittelpunkt stehen wird. Diese Bedeutung wird man indes nicht lediglich einer der drei von R. Nickel unterschiedenen Werkgruppen zurechnen können; vielmehr sind dafür Schriften und Texte quer durch sein Gesamtwerk zu berücksichtigen. Die wichtigsten und auch wirkungsgeschichtlich einflußreichsten seien hier kurz erwähnt und ihr theoretischer Charakter angedeutet.

Legt man die Werkeinteilung von R. Nickel zugrunde, so kann man sagen, daß die meisten der politisch-theoretisch relevanten Schriften Xenophons in der Gruppe der pädagogisch-ethischen Schriften zu finden sind. Aus der Gruppe der sokratischen Schriften wird man lediglich den "Ökonomikos" noch hinzunehmen. Die Gruppe der historischen Schriften bleibt daher für sich und ausgeschlossen, was aber nicht heißen soll, daß in ihr keine politisch oder politisch-theoretisch relevanten Einzelthemen berührt werden; sie stehen aber nicht im Zentrum dieser Schriften.

Daß die pädagogisch-ethischen Schriften eine Vorrangstellung einnehmen, ist aus zwei Gründen - auch für die Xenophon-Rezeptions- und Wirkungsgeschichte - bemerkenswert. Einmal ist daraus zu erkennen, daß Xenophon stark an politisch-praktischen Fragen interessiert war und entsprechend seine politisch-theoretischen Schriften - durchaus im Verständnis und Sinn des Aristoteles - als zur praktischen Philosophie gehörig begreift. Das gilt auch gerade für die relativ zahlreichen kleineren "Essays", die in den thematischen Umkreis der praktischen Philosophie gehören, auch wenn sie sich - wie etwa die "hippischen Schriften", die sich mit der "Reitkunst" oder der "Jagdkunst" befassen - auf eher Handwerkliches beziehen.

Zum anderen liegt ein ausgesprochen pädagogisches Interesse bei Xenophon vor, das nicht zuletzt mit seiner breiten und vielfältigen Lebenserfahrung korrespondiert, die er offensichtlich auch in seinen praktisch-philosophischen Schriften weiterzugeben trachtet. Dabei verhehlt er keineswegs seine Optionen für Militärwesen und militärisches Denken wie für autoritäre politische Praktiken und Grundsätze, wie besonders aus seiner Schrift "Die Verfassung der Spartaner"1 und seiner generellen Hochschätzung des spartanischen Staates ersichtlich ist.

Bemerkenswert scheint mir, daß Xenophon sich - wahrscheinlich aus praktischen und politisch-pädagogischen Gründen - in speziellen Schriften auch mit Themen befaßt, die sonst im Rahmen der klassischen politischen Theorie eher vernachlässigt werden: mit Fragen der Ökonomie (Oikonomikos) und des Steuerwesens (Poroi). Die von Xenophon überlieferten Werke zu diesen Gegenständen stellen eine seltene Ausnahme dar.

Herausragende politisch-theoretische Bedeutung haben indes seit eh und je zwei andere seiner politischen Schriften, und das erklärt auch schon im vorhinein, warum sie unter den Xenophon-Zitaten bei Machiavelli das Zentrum bilden: der weitläufige Roman "Erziehung des Kyros" (Kyroupädie) und der schmale Dialog "Hieron oder über die Tyrannis".

Man könnte die "Kyroupädie" als einen Erziehungsroman verstehen, der die Erziehung des persischen Königs Kyros von seiner Kindheit und Jugend bis zu seiner Zeit als Herrscher, d. h. also Erziehung und Selbsterziehung eines Herrschers, schildert. Dieses Werk ist eine der wenigen antiken Schriften, die die einflußreiche und langlebige literarische Gattung des "Fürstenspiegels" mitbegründet hat und in dessen Traditionsgeschichte beständig als normatives Grundmuster fürstlicher Bildung und Ausbildung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zitiert wird.2

Der kleine Dialog "Hieron", in dem der Dichter Simonides mit dem Tyrannen Hieron ein philosophisches Lehrgespräch führt, in dessen Verlauf das zunächst glanzvoll scheinende Leben eines Tyrannen sukzessiv als im höchsten Maße unglücklich und gefährlich erwiesen wird, gehört zweifellos zu den Gründungstexten der "Tyrannislehre", die in der abendländischen politischen Ideengeschichte als das (kritisch-negative) Gegenstück zur "Fürstenspiegel"-Tradition gilt und daher in der Ideengeschichte der Tyrannislehre stets als Gründungstext dieser Gattung zitiert wird.3

Dies mag an dieser Stelle zur Charakterisierung der politisch-theoretischen Schriften des Xenophon genügen. Wir werden sehen, daß die Xenophon-Zitate in Machiavellis politischen Schriften alle dem "Hieron" oder der "Kyroupädie" entnommen sind - ein deutlicher Hinweis auf die hervorragende Dominanz dieser beiden Schriften in der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des Xenophon aus Athen, auch speziell bei Niccolo Machiavelli.

 

IV.

Der zweite angekündigte Umweg soll sich knapp mit den Lektüregewohnheiten der Humanisten befassen; wir erhoffen uns daraus erste allgemeine Hinweise auf die "Zitierkunst" dieser Autoren, die uns im Hinblick auf Machiavelli von Nutzen sein könnten:

Erst vor kurzem haben Roger Chartier und Guglielmo Cavallo ein sehr materialreiches und lesenswertes Buch mit dem Titel "Die Welt des Lesens"4 herausgegeben. Der italienische Originaltitel lautet: "Storia della lettura nel mondo occidentale" (1995). Unnötigerweise hat man der deutschen Ausgabe den allzu reißerischen Untertitel "Von der Schriftrolle zum Bildschirm" beigegeben.

Für dieses Werk hat Anthony Grafton als 7. Kapitel einen für unser Thema einschlägigen Beitrag "Der Humanist als Leser" geliefert, der nicht zufällig mit Niccolo Machiavelli beginnt. Denn Machiavelli hat in einem späten Brief aus der Zeit seiner Verbannung (vom 10. Dez. 1513 an seinen Freund Francesco Vettori) einige aufschlußreiche Ausführungen über seine "Lesekunst" hinterlassen. In diesem Brief schildert Machiavelli sein von der Teilnahme an der aktiven Politik abgeschnittenes Landleben auf seinem kleinen Gut außerhalb von Florenz und den alltäglichen Zeitvertreib, den er sich hier gönnt. Unter anderem heißt es dort:

"Wenn ich aus dem Wald heraustrete, gehe ich zu einer Quelle und von dort zu meinem Vogelherd. Ich habe ein Buch dabei, entweder Dante oder Petrarca oder einen der unbedeutenderen Dichter wie Tibull, Ovid oder dergleichen. Ich lese von ihren zarten Leidenschaften und Lieben, gedenke der meinen und vergnüge mich eine Weile bei solchen Gedanken. Dann wandere ich auf der Straße zum Gasthaus ...

Wenn es Abend wird, kehre ich heim und gehe in mein Studierzimmer. An der Tür entledige ich mich meiner mit Dreck und Staub bedeckten Alltagskleidung und ziehe herrschaftliche und höfische Kleider an. So bekleidet, wie es sich gehört, trete ich in die altehrwürdigen Höfe der Alten ein. Von ihnen liebenswürdig empfangen, nehme ich von der Speise zu mir, die allein die meine ist und für die ich geboren bin. Ich schäme mich nicht, mit ihnen zu sprechen und nach den Gründen ihres Tuns zu fragen, und sie sind menschlich genug, mir zu antworten. Und für die Dauer von vier Stunden fühle ich keine Langeweile, vergesse alle meine Sorgen, fürchte ich nicht die Armut und ängstige ich mich nicht vor dem Tode: Ihnen gebe ich mich ganz hin."

Wie Anthony Grafton in seiner Interpretation dieses Briefs zeigt, liegen hier bei Machiavelli offensichtlich zwei verschiedene Lektüregewohnheiten vor, die sich einmal nach dem Ort, zum anderen nach der Textsorte gründlich unterscheiden.

In der freien Natur scheint Machiavelli sich vorzüglich - wie die genannten Dichternamen aus der römischen und italienischen Literatur andeuten - mit der Lektüre dichterischer Werke zu befassen, die von "Leidenschaften und Liebe" handeln. Dazu stehen ihm offensichtlich handliche und tragfähige "Taschenausgaben" dieser Schriftsteller (im Unterschied zu unhandlichen und schweren Codices) zur Verfügung, wie sie damals als kursiv-gedruckte Oktavausgaben gerade in Mode gekommen waren.5

Demgegenüber findet die seriöse, wissenschaftlich- und erkenntnisorientierte Lektüre im Studio statt, das man sich wohl mit den Büsten klassischer Autoren und ihren Codices ausgestattet vorstellen darf.

Unter diesen klassischen Autoren wird man - neben den römischen Historikern Livius und Tacitus und den griechischen Philosophen Platon und Aristoteles - wohl auch Xenophon vermuten dürfen; denn in einer solchen Lektüre- und Forschungssituation entstanden ab 1512 am Orte von Machiavellis Verbannung bekanntlich seine politischen Hauptwerk: das schmale Buch "Il Principe", das Machiavelli ein 'opusculum' (ein Werkchen) nennt, und die umfangreicheren und gelehrteren "Discorsi". Und - wie bereits erwähnt - finden sich in ihnen auch die Xenophon-Zitate, um die es uns hier geht.

Diese wird Machiavelli wohl den großen Codices der Schriften des Xenophon in seiner Bibliothek entnommen haben.

Davon ist auszugehen; denn die italienischen Humanisten des Quattrocento (15. Jahrhundert) wie des Cinquecento (16. Jahrhundert) verstanden sich durchwegs - in der Nachfolge vor allem von Petrarca - in erster Linie als Philologen, die sich mit antiken klassischen Texten, ihrer Wiederentdeckung, textkritischen Edition und inhaltlichen Kommentierung vielfältig beschäftigten. Namen wie Lorenzo Valla, Leonardo Bruni und viele andere stehen für diese philologische Grundorientierung. Zumeist waren diese Humanisten zugleich auch Historiker in dem Sinne, daß sie in der Geschichte und ihrer Beschreibung eine 'Lehrmeisterin des Lebens' sahen: 'Historia magistra vitae'.

Man wird Niccolo Machiavelli von seiner Ausbildung und seiner hauptsächlichen beruflichen Laufbahn sicher nicht als einen typischen und vollgültigen Humanisten dieser Art bezeichnen können; gleichwohl lassen sich an seinem literarischen Werk, speziell an seinem politischen Hauptschriften tendenziell diese philologischen und historischen Merkmale des italienischen Humanismus, seines Umgangs mit dem klassischen Erbe des griechischen und römischen Altertums aufweisen. Oder anders gewendet: Es ist an seinen Schriften offensichtlich, daß ihr Verfasser den philologisch-historischen Verfahrensweisen der Humanisten seiner Epoche durchaus verpflichtet ist, ihnen dementsprechend folgt - auch gerade im Umgang mit den Werken der klassisch-antiken Literatur in Historie und politischer Theorie. Dies läßt sich aus dem oben zitierten Brief Machiavellis durchaus entnehmen; und auch seine dort von ihm selbst charakterisierten Lesegewohnheiten sprechen für seinen Humanismus.

 

V.

Der britische Politikwissenschaftler Christopher Nadon hat vor wenigen Jahren in seiner Abhandlung "From Republic to Empire: Political Revolution and the Common Good in Xenophon's Education of Cyrus."6 Niccolo Machiavelli "Xenophon´s greatest student, admiror and antagonist" genannt.

Er folgt damit den Einsichten von Leo Strauss und begründet diese These u. a. mit der Häufigkeit von Zitaten aus Xenophons Schriften bei Machiavelli: "Machiavelli mentions Xenophon more often in his major works than Plato or Aristotle combined" (S.361). Er weist ferner darauf hin, daß Xenophons Kyroupädie das einzige Werk der klassischen politischen Theorie sei, das Machiavelli in seinem 'Principe' namentlich zitiert und dessen Lektüre er seinen Lesern nachdrücklich empfiehlt, indem er den Autorennamen nennt. Der Perserkönig Kyros erscheint hier als einer der vier großen Gründerfiguren bedeutender politischer Gemeinwesen des Altertums, die Machiavelli mit Bewunderung und Verehrung anführt. Diese Indizien reichen aus zu verdeutlichen, daß Xenophons politische Schriften reichlich Anregungen für Machiavellis zentrale politische Lehrstücke enthalten haben.

Ob man allerdings soweit gehen sollte, wie Georg Ellinger es tut, wenn er nachdrücklich betont, es sei wohl Xenophons knapper Dialog 'Hieron oder über die Tyrannis' gewesen, der 'die erste Anregung zum Principe gegeben' habe,7 scheint eher fraglich. Zumindest vermögen die von Ellinger zur Unterstützung dieser These angeführten Belege nicht voll zu überzeugen.

Gleichwohl scheint mit diesen Hinweisen und Überlegungen ein günstiger Übergang zu unserem speziellerem Thema der Xenophon-Zitate in Machiavellis politischen Schriften gefunden. Daß die für Machiavelli eigentümliche Argumentationsstrategie, aus der Anführung und Besprechung einzelner Exempla aus Vergangenheit und Gegenwart allgemein geltende Regeln politischen Verhaltens und Handelns abzuleiten, zu einem erheblichen Teil mit Hilfe von zitierten Stellen aus lateinischen und griechischen Klassikern des politischen Denkens operiert, ist eine schon alte Einsicht in seine Werke. So sind 'die antiken Quellen der Staatslehre Machiavellis' (so der Titel der zitierten Abhandlung von Georg Ellinger aus dem Jahr 1888) schon öfter zum Gegenstand der Machiavelli-Forschung gemacht worden. Dabei geht es allerdings diesen älteren Arbeiten vorwiegend um den Nachweis der Quellen zur politischen Theorie des Florentiners in antiken Schriftstellern, weniger hingegen um die eingangs skizzierte Strukturanalyse der durch diese Zitate bestimmten Textstrategien Machiavellis.

Meines Wissens hat sich - davon deutlich abweichend - zuletzt Dolf Sternberger in seinem Hauptwerk 'Drei Wurzeln der Politik'8 auch mit der Zitiertechnik Machiavellis intensiver - im Sinne einer Strukturanalyse seiner Argumentationsstrategien - befaßt, allerdings mit Bezug auf einen anderen antiken Autor: nämlich Aristoteles und seine Tyrannislehre. Sternberger geht es in dem Kapitel 'Der alte Tyrann und der neue Fürst'9 darum, die Zitierweise und Zitatmontage in Machiavellis politischen Schriften, speziell den 'Discorsi' aus der 'Politik' des Aristoteles aufzuhellen und den Auswirkungen auf Machiavellis Konzept des 'neuen Fürsten' nachzugehen.

Ein auch für unsere Untersuchung bedenkenswertes Ergebnis dieser mit der direkten Gegenüberstellung der einschlägigen Textstellen bei Aristoteles und Machiavelli textvergleichend arbeitenden genauen Interpretation ist dies, daß Machiavelli - indem er relativ freizügig mit den Zitaten aus der 'Politik' des Aristoteles verfährt - den Wortsinn dieser Zitate durch deren Einfügung in einen durchaus neuartigen Gedankenhorizont bei gleichzeitigen Textschnitten und -modifikationen in ihrem Sinn oft erheblich verschiebt und damit für andere, spezifisch machiavellische Intentionen instrumentalisiert, ein Verfahren, das für Machiavelli typisch ist.

Damit gewinnen wir am exemplarischen Fall die Einsicht, daß Machiavelli nicht mehr wie in der Regel mittelalterliche Autoren, wenn sie sich auf 'den Philosophen' berufen (womit stets Aristoteles gemeint ist), zitiert, um sich auf diese Weise hinter einer kanonisch anerkannten Autorität zu verstecken, sondern daß er die (auch textlich modifizierten) Zitate funktional in seine eigenen, sich auch stark rhetorischer Textstrategien bedienenden Argumentationsmuster integriert. Da es dabei selten zu einer vollkommenen Einschmelzung der Zitate in den neuen Ideenkontext kommt, entsteht so die von Herman Meyer beschriebene Spannung der Zitate zwischen Assimilation und Dissimilation, so daß stets noch etwas von dem alten (hier: aristotelischen) Sinn in den neuen (machiavellischen) Sinnzusammenhang, den die Zitate durchaus mitkonstituieren helfen, 'hineinleuchtet'.

Mit ähnlichen Konstellationen werden wir auch bei den Xenophon-Zitaten in Machiavellis politischen Schriften, denen wir uns jetzt konkret zuwenden wollen, zu rechnen haben.

Die hier interessierenden Xenophon-Zitate sind auf die beiden politischen Hauptwerke des Machiavelli konzentriert: auf den 'Principe' und auf die 'Discorsi', sie sind allerdings recht ungleich verteilt.

Dieser Tatbestand hat m.E. zwei Gründe: einmal sind die 'Discorsi' das bei weitem umfangreichere Werk, zugleich sind beide Schriften von ihrem Charakter als literarische Werke und entsprechend von ihrer Zielsetzung und Textstrategie grundverschieden. Bereits der volle Titel 'Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio' (Betrachtungen über die erste Dekade des Titus Livius) signalisiert, daß es sich bei den 'Discorsi' eher um eine wissenschaftlich-systematische Abhandlung handelt, während das Buch über den 'Fürsten' - wie bereits die vorangestellte Widmung an den 'erlauchten Lorenzo de' Medici' sowie das an das italienische Volk gerichtete Schlußkapitel deutlich machen - eine in doppeltem Verständnis des Wortes 'politische' Schrift ist: Eine Schrift über Politik und politisches Handeln mit zugleich eindeutigen politischen Ambitionen und Absichten des Verfassers. Auch von diesem verschiedenen Grundcharakter der Schriften mag sich die deutlich unterschiedliche Zahl der Xenophon-Zitate erklären.

Genauer unter die Lupe genommen, lassen sich die Xenophon-Zitate bei Machiavelli zunächst rein äußerlich nach zwei Gesichtspunkten sortieren: einmal danach, ob es sich um direkte Erwähnungen oder Zitierungen handelt, in denen der Name 'Xenophon' mit einer seiner politischen Schriften 'Kyroupädie' oder 'Hieron' vorkommt; zum anderen danach, ob es sich um indirekte Bezugnahmen handelt, in denen die Namen 'Cyrus' oder 'Hieron' als Namen antiker Persönlichkeiten, aber nicht als Buchtitel von Xenophon-Schriften erscheinen, von denen man aber vermuten darf, daß sie durch Machiavellis Lektüre von Xenophons Schriften angeregt und beeinflußt worden sind.

Legt man diese Unterschiede zugrunde, dann bieten Machiavellis Schriften von der ersten Sorte sieben Zitate, von der zweiten Sorte hingegen vierzehn.

Diese beziehen sich auf die beiden Hauptwerke Machiavellis folgendermaßen: (1) auf das Buch vom 'Fürsten' eines der ersten und sechs der zweiten, (2) auf die 'Discorsi' sechs der ersten und acht der zweiten Sorte.

Aus Platzgründen werden wir im Folgenden genauer allein auf die direkten Zitierungen eingehen; die indirekten werden dort, wo es zur Erhellung der direkten Zitate beiträgt, miteinbezogen, aber nicht eigens zum Thema der Untersuchung gemacht.

Wir werden mit dem 'Principe' beginnen. Die einzige direkte Zitierung Xenophons findet sich hier im 14. Kapitel, das den (lateinischen) Titel: 'Quod principem deceat circa militiam' (was einem Fürsten hinsichtlich des Heerwesens obliegt). Es ist bekannt, daß Machiavelli sich in seinen Schriften immer wieder mit allen erdenklichen Aspekten des Militärwesens auseinandergesetzt hat und daß er im Dienste der florentinischen Republik zeitweilig für die Organisation der Streitkräfte zuständig war. Vor kurzem ist in einem interessanten und aufschlußreichen Buch nachgewiesen worden, daß Machiavelli beim Festungsbau im Sommer 1503 auch mit dem von Florenz als Festungsbaumeister engagierten Leonardo da Vinci zeitweilig zusammengearbeitet hat.10

Machiavelli hat sich besonders eingehend in seiner Schrift 'Dell' Arte della Guerra' (Über die Kriegskunst) mit Fragen des Militärs und der Strategie befaßt.

So ist es nicht weiter verwunderlich, daß die einzige Xenophon-Zitierung im 'Principe' in einem Kapitel erfolgt, das sich mit dem Militärwesen beschäftigt. Ist doch eine beträchtliche Zahl der historischen und politischen Schriften Xenophons (z.B. 'Anabasis', 'Hellenika' und 'Kyroupädie') in weitem Umfang Themen ähnlicher Art gewidmet.

Machiavellis Argumentation in diesem 14. Kapitel ist zweistufig: Er setzt ein mit der allgemeinen These, ein Fürst dürfte weder ein anderes Ziel noch einen anderen Gedanken haben oder sich mit irgendeiner anderen Kunst befassen als mit der Kriegskunst , ihren Regeln und der ihr eigenen Disziplin; 'denn dies ist die einzige Kunst, die man von ihm erwartet'. Entsprechend sei die erste Ursache, die zum Verlust der politischen Herrschaft führe, die Vernachlässigung dieser (Kriegs-)Kunst. 'Und das geeignete Mittel für ihren Erwerb besteht darin, in dieser Kunst erfahren zu sein.'11 Die zweite Stufe der Argumentation - gegen Ende dieses Kapitels - zielt auf die Ausbildung des Fürsten in der Kriegskunst. 'Was aber die Übung im Denken angeht, so muß sich der Fürst mit der Geschichte befassen und zudem die Taten hervorragender Männer studieren; er muß sehen, wie sie sich im Krieg verhalten haben...' (S. 117). Zu diesem Zweck solle er sich die Taten und Handlungen hervorragender Männer der Vergangenheit vor Augen stellen. 'So sagt man, Alexander der Große habe Achill nachgeahmt, Caesar wiederum Alexander und Scipio den Cyrus.' Und dann folgt die Erwähnung Xenophons: 'Und wer die Lebensbeschreibung des Cyrus von Xenophon liest (also die 'Kyroupädie'), wird später an Scipios Leben erkennen, wie sehr diese Nachahmung ('imitatione') zu diesem Ruhm beigetragen hat, und wie sehr Scipio sich in seiner Sittenstrenge, Leutseligkeit, Menschlichkeit und Freigebigkeit den entsprechenden Eigenschaften des Cyrus angepaßt hat, die durch Xenophon überliefert worden sind.' (S. 117)

Bemerkenswert ist, daß Machiavelli an dieser Stelle eigentlich keine spezifisch militärischen Tugenden aus Xenophons Cyrus-Darstellung angibt, sondern die allgemeinen Herrschertugenden, wie sie traditionellerweise zum Tugendkataolg der 'Fürstenspiegel' gehören, zu deren Gründungstexten bekanntlich Xenophons 'Kyroupädie' zu rechnen ist.

Den Hinweis, daß Scipio Africanus die 'Kyroupädie' beständig mit sich geführt habe, verdankt Machiavelli sicher Cicero, der in seinen 'Tusculanischen Gesprächen' von Scipio sagt, 'itaque semper Africanus Socraticum Xenophontem in manibus habebat...' ('deshalb hatte Africanus immer den Xenophon, den Schüler des Sokrates, unter den Händen', Buch II, 62).

An dieser ersten und einzigen Erwähnung der 'Erziehung des Kyros' des Xenophon im 'Principe', die eigentlich nicht als ein präzises Zitat identifizierbar ist, läßt sich erkennen, wie Machiavelli den viel allgemeiner gemeinten Sinn der Fürstenspiegel-Tugenden bei Xenophon auf Feldherren- und Strategentugenden eingrenzt. Zwar spielen auch in der 'Erziehung des Kyros' Militärwesen und Strategie im Konzept der Fürstenerziehung eine wichtige, aber nicht die alleinige Rolle; Machiavelli verstärkt indes in seinem Text diesen Aspekt dadurch entschieden, daß er die anderen allgemeineren Aspekte der Tugendlehre des Xenophon als für ihn offensichtlich hier unerheblich übergeht und ausblendet.

Wir werden gleich an den weiteren Xenophon-Zitaten bei Machiavelli erfahren können, daß er zudem die taktischen, mitunter sogar die täuschenden oder verhüllenden Aspekte im politischen Verhalten des Fürsten, die bei Xenophon zwar auch vorkommen oder mitschwingen, aus dem Gesichtspunkt der Staatsräson verabsolutiert und deutlich übersteigert, um sie so in sein Bild des 'neuen Fürsten' einpassen zu können. Dies entspricht exakt auch der Vorgehensweise Machiavellis mit den Aristoteles-Zitaten, wie Dolf Sternberger sie in seinem oben angeführten Buch analysiert und kritisiert hat.

Das einzige direkte Xenophon-Zitat im Buch über den 'Fürsten' haben wir betrachtet; alle anderen Zitate dieser Kategorie finden wir in den 'Discorsi', denen wir uns jetzt zuwenden. 'Die Betrachtungen über die erste Dekade des Titus Livius' enthalten fünf Zitierungen aus der 'Kyroupädie' und eine weitere aus dem Dialog 'Hieron'. Ich gehe zuerst auf die Zitate aus der 'Kyroupädie' ein. Das erste findet sich in Buch II, Kap. 13, das den Titel 'Aus niederem Stand gelangt man eher durch Betrug zu hoher Stellung als durch Gewalt' trägt.

In diesem Kapitel nimmt Machiavelli die Thematik 'wie man eine Herrschaft erwerben kann?' auf, die er auch schon im 'Principe' traktiert hat. - Seine Ausgangsthese lautet, daß es selten oder überhaupt nie vorkomme, daß Menschen aus kleinen Verhältnissen ohne Gewalt und ohne Intrigen zu hohem Rang gelangen. Er glaubt auch nicht, daß Gewalt allein jemals hinreicht, wohl werde man finden, daß List allein ausreicht. (Discorsi, S. 201ff.) Damit schlägt Machiavelli ein Thema an, das im frühneuzeitlichen politischen Denken - etwa bei B. Gracian oder J. Lipsius - einen festen Platz innehat12 und zu dem dieses Denken eine differenzierte Kasuistik entwickelt hat. Es verstand sich in diesem Kontext, daß man dafür - da christliche Belege sich dazu schwerlich anführen ließen - auf das antike Erbe des politischen Denkens zurückgriff und sich auf Zitierungen aus antiken Autoren zur Begründung dieser Argumentation stützt. So hier Xenophon, denn: zum Beleg für die Richtigkeit dieser These wird Xenophon von Machiavelli angeführt: Xenophon weise in seinem Leben des Cyrus auf die Notwendigkeit (necessitá) hin, andere zu täuschen, da der erste Feldzug des Cyrus mit aller Tücke geführt worden sei und Cyrus mit List und nicht mit Gewalt sein Reich erobert habe. Aus der möglichen Anwendung von List und Betrug bei Xenophon wird durch Machiavelli eine notwendige, zwingende; aus den illustrativen exempla werden praecepta (Vorschriften, Handlungsanweisungen), die den Charakter des Politischen und der politischen Anthropologie entsprechend einseitig bestimmen.

Auch die folgende Erwähnung Xenophons in den 'Discorsi' bezieht sich wieder auf die 'Erziehung des Kyros'; sie findet sich im III. Buch, 20. Kapitel, das den auf den ersten Blick eher 'unmachiavellistischen' Titel trägt: 'Ein Beispiel der Menschlichkeit vermochte mehr bei den Faliskern als die römische Waffengewalt.'

Wieder ist die Geschichte als Lieferantin von exemplarischen Geschichten 'Lehrmeisterin'; aus ihr gewinnt Machiavelli seine Regeln der politischen Handlung.

Der Anfang des Kapitels geht auf eine Episode aus der frühen Geschichte der römischen Republik zurück, die Livius in Buch V, cap. 17 erzählt. Darin löst das menschliche und rechtschaffene Verhalten des römischen Feldherren Camillus bei den belagerten Faliskern Bewunderung und Anerkennung aus, so daß sie sich nicht länger verteidigen, sondern entschließen, dem Camillus ihre Stadt widerstands- und kampflos zu übergeben. Die Regel politischer Praxis, die Machiavelli aus dieser und vergleichbaren anderen historischen Episoden ableitet, lautet, daß manchmal (aber nicht immer!) ein Akt der Menschlichkeit und Güte mehr über die Gemüter der Menschen vermag als eine grausame, gewalttätige Handlung.

Die Geschichte enthält auch derartige Beispiele; und die Schriftsteller, die das Leben der Großen beschreiben oder Regeln für deren Leben aufstellen, heben solche Exempla lobend hervor.

Von diesen Schriftstellern führt Machiavelli wiederum nur Xenophon namentlich an; er hat sich am Leben des Kyros zu zeigen bemüht, 'welche Ehren, wieviel Sorge und welch hohen Ruf sich Kyros dadurch erwarb, daß er menschlich und freundlich war und daß er sich weder Hochmut, Grausamkeit, Verschwendungssucht noch irgendein anderes Laster, das das Leben der Menschen befleckt, zuschulden kommen ließ'.13 Daß Xenophon Menschlichkeit und Freundlichkeit des Kyros herausgestrichen habe, wird auch schon von Cicero nachdrücklich hervorgehoben; in seinen 'Briefen an den Bruder Quintus' (I, 1, 23) findet sich eine entsprechende Stelle: '...eine solche Persönlichkeit ist Xenophons berühmter 'Kyros', den er nicht der historischen Wirklichkeit entsprechend, sondern als das Idealbild eines gerechten Herrschers dargestellt hat; jener Philosoph (= Xenophon) verbindet in Kyros' Person äußerste Konsequenz mit ungewöhnlicher Freundlichkeit. In ihm findet sich nämlich alles, was zu den Verpflichtungen eines umsichtigen und maßvollen Herrschers gehört.'

Machiavellis Einschätzung scheint mit der des Cicero übereinzustimmen; doch der Schein trügt; denn es gibt eine fundamentale Differenz in den beiden Bezugnahmen auf Xenophons Kyros-Darstellung; bei Cicero handelt es sich um eine substantielle Aussage, die dort hervor den vorbildlichen Herrscher Kyros erfassen will; bei Machiavelli hingegen handelt es sich um eine funktionelle Aussage, die sich auf die Zweckrationalität des politischen Verhaltens von Kyros bezieht. Im Kontext der Argumentation von Machiavelli in diesem Kapitel verliert der bereits im Titel verwandte Begriff 'Menschlichkeit' (humanità) seinen substantiellen Gehalt als Zielpunkt politischen Handelns und wird zum taktischen Mittel eines auf Erfolg ausgerichteten politischen Kalküls. Im Rahmen dieser leitenden Argumentationslinie wird auch Xenophons Darstellung des Kyros als Idealbild des Königs zweckrational funktionalisiert und verliert seinen ursprünglichen, von Cicero noch genau getroffenen substantiellen Sinn - ein weiteres Beispiel dafür, wie Machiavelli seine Klassikerzitate funktional in seine frühneuzeitliche Politik-Konzeption integriert.

Diese Grundtendenz der Funktionalisierung politischer Grundwerte setzt Machiavelli auch im übernächsten Kapitel - wieder unter zweifacher Einbeziehung der 'Kyroupädie' des Xenophon - fort: Kapitel 22. des III. Buches läßt bereits in seinem Titel diese Absicht durchscheinen: 'in Härte der Manlius Torquatus und die Menschlichkeit des Valerius Corvinus erwarben beide den selben Ruhm.' Es geht hier um den - durch historische Exempla illustrierten - Versuch zu zeigen, daß Härte und Menschlichkeit im Hinblick auf die Gewinnung von Herrscherruhm funktionsäquivalent oder gleichwertig sind: Wieder mit Bezug auf Livius (Buch VII., 10) werden zwei römische Feldherren ( Manlius Torquatus und Valerius Corvinus) verglichen: hinsichtlich ihrer Tüchtigkeit, ihrer Triumphe und ihres Ruhmes sind sie ebenbürtig; "jeder von ihnen hatte diesen Ruhm durch die gleiche Tüchtigkeit gegenüber dem Feind erworben". Doch auf die Feststellung dieser Gleichheit kommt es Machiavelli nicht eigentlich an; wichtiger für seine Argumentation ist, daß die beiden, 'was das Kommando über die Heere und die Behandlung der Soldaten betraf, ...völlig verschiedene Methoden' hatten. Der erste 'jede Art von Strenge, ohne seinen Soldaten Strapazen und Strafen zu erlassen', der andere 'in jeder Hinsicht menschlich und mit familiärer Vertraulichkeit'. Angesichts der extremen Verschiedenheit der Methoden betont Machiavelli nachdrücklich: 'Trotz der so großen Verschiedenheit ihres Verhaltens zogen beide denselben Nutzen gegenüber dem Feind als auch zugunsten des Staates und zum eigenen Vorteil.'

Aus dieser Einschätzung zieht Machiavelli nun keineswegs den denkbaren Schluß, es sei - angesichts dieser beiden Beispiele - daher gleichgültig, welche Methode ergriffen wird. Es kommt ihm viel mehr darauf an, genau die Rahmenbedingungen zu erörtern, unter denen die beiden verschiedenen Methoden zu gleichen Resultaten führen und es erweist sich, daß diese Bedingungen, aber auch die Charaktere der Handelnden verschieden sind; d. h. die Handlungssituation (occasione) entscheidet letztlich darüber, welche Methoden zum Erfolg führen. Hier waltet gewissermaßen Notwendigkeit (necessita).

So bleibt für Machiavelli noch zu unterscheiden, welches Verfahren löblicher sei. Und bei den Erwägungen zu diesem Thema führt er wiederum Xenophons 'Erziehung des Kyros' an.

Er geht dabei davon aus, daß die Schriftsteller, die über die Regierungsmethoden eines Machthabers schreiben, mehr dem Valerius als dem Manlius zuneigen, d. h. eher zu Menschlichkeit als zu Härte oder Strenge raten. So auch Xenophon, der bei der Schilderung der vielen Beispiele der Menschlichkeit des Kyros ganz mit dem übereinstimme, was Titus, Livius über Valerius sage (S. 349).

Die Frage der Löblichkeit der Methode entscheidet Machiavelli interessanterweise durch einen Rückgriff auf die Verfassung des Staates; für die auf Gesetzen beruhende Republik sei die Strenge, während Menschlichkeit eher für einen Monarchen angemessen sei, die auf persönlicher Bindung beruhe. Denn: "wenn wir..., wie Xenophon, einen Fürsten im Auge haben, so neigen wir völlig der Handlungsweise des Valerius zu und nicht der des Manlius; denn ein Fürst muß bei seinen Soldaten und seinen Untertanen Gehorsam und Liebe zu erwerben suchen; Gehorsam verschafft er sich durch die Beachtung der Gesetze und durch den Ruf der Tüchtigkeit, Liebe erwirbt er sich durch Leutseligkeit, Menschlichkeit, Milde und den anderen Eigenschaften, die Valerius besaß und die Xenophon am Kyros beschreibt."

Die allgemeinen Herrschertugenden, die traditionell seit Xenophons 'Kyroupädie' die Tugendkataloge der Fürstenspiegel ausmachen, wurden von Machiavelli hier wieder in eine enge Zweck-Mittel-Relation integriert: Sie sind keine Zielwerte oder Güter des politischen Handelns und Verhaltens mehr, sondern unterstehen funktional der frühneuzeitlichen Rationalität des Politischen, wie es sich im Konzept der 'Staatsräson' - nicht zuletzt durch Machiavelli - ausbildet.

Im 39. Kapitel des III. Buches der 'Discorsi' wird ein weiteres und letztes Mal auf Xenophons 'Erziehung des Kyros' eingegangen. Es handelt sich hier - wie bereits die Kapitelüberschrift zu erkennen gibt - um ein militärisches Problem: 'Ein Feldherr muß Geländekenntnisse besitzen'14. Ohne eine solche Gelände- und Länderkenntnis könne kein Feldherr 'etwas ordentliches leisten.' Kenntnisse dieser Art seien nicht theoretisch zu erwerben, sie verlangen schlicht praktische Übung. Und hier erfolgt der direkte Bezug auf Xenophon, der - sowohl in seiner 'Erziehung des Kyros' als auch in seiner kleinen technischen Schrift 'Kynegetikos'15 wiederholt darauf hinweist und ausführlich darstellt, daß man durch die Jagd besser als auf anderem Wege militärisch-strategische Kenntnisse zu erwerben vermöge. Machiavelli zitiert dazu aus Xenophon folgende Episode: Als Kyros seine Vorbereitungen zur Schlacht gegen den Armenier-König traf, habe er seine Leute daran erinnert, 'daß dies nichts anderes wäre als eine der Jagden, die sie so oft mit ihm unternommen hätten'. Dieses Zitat dient Machiavelli dazu, den Beweis zu führen, 'daß die Jagd nach Xenophons Ansicht das 'Bild des Kriegs sei'. Zu dieser begrenzten Thematik hat Machiavelli ganz offensichtlich Xenophon am sachlichsten interpretiert; daß er dies auch an dieser Stelle nicht um der Sache des Xenophon willen unternimmt, davon ist auszugehen. Indes es erfolgt hier keine nennenswerte Umdeutung und Funktionalisierung des xenophontischen Textes.

Wir haben schließlich noch eine Xenophon-Stelle zu betrachten - dieses Mal nicht aus der 'Kyroupädie', sondern aus dem Dialog 'Hieron oder über Tyrannis'; diese einzige Zitierung dieser Xenophon-Schrift findet sich im zweiten Kapitel des II. Buches unter dem etwas weitläufigen Titel 'Mit welchen Völkern die Römer zu kämpfen hatten und wie hartnäckig diese ihre Freiheit verteidigten'. Machiavelli geht dabei von der historischen Erfahrung aus, daß Liebe zur Freiheit, welche viele Völker damals so hartnäckig verteidigten', den Römern ihre Eroberungen und Unterwerfungen so schwer gemacht haben.

Es ist für ihn leicht zu erkennen, 'woraus bei den Völkern diese Liebe zur Freiheit entspringt.' Es sei vor allem die Förderung des Gemeinwohls; das Gemeinwohl mache letztlich die Größe der Staaten aus. Das Gemeinwohl werde indes nur in Republiken beachtet und wirksam gefördert, insofern hier viele daran interessiert sind und Nutzen daraus ziehen.16 Anders unter der Herrschaft eines einzigen Machthabers, unter einer Tyrannis; solche Staaten kommen nicht mehr voran; sie nehmen weder an Macht noch an Reichtum zu. Es folgt an dieser Stelle eine genauere Analyse der Tyrannis. Durchaus im Sinne der aristotelischen 'Politik' argumentiert Machiavelli in die Richtung, daß ein Tyrann nicht das Gemeinwohl, sondern seinen eigenen Vorteil fördere. Daher erfordert sein egoistisches Interesse, daß der Staat zersplittert bleibt und sich kein echtes bürgerliches Gemeinwesen herausbilde. Die Eroberungen des Gewalthabers nutzen ihm allein und nicht seinem Vaterland, das unter einem solchen Regime Schaden nimmt.

Zur Unterstützung und Verstärkung seiner Argumentation wird an dieser Stelle Xenophon bemüht: 'Wer diese meine Meinung durch zahllose andere Argumente bestätigt wissen will, der lese Xenophons Traktat über die Tyrannis.' Denn es sei kein Wunder, daß die Völker die Tyrannen mit solchem Haß verfolgten und das Leben in Freiheit liebten, ja daß schon das Wort Freiheit von ihnen so hoch geschätzt wurde. Zum Beleg dafür führt Machiavelli noch eine Anekdote aus Livius an, die in späterer Zeit in Syrakus spielt und nichts mit dem Hieron des Xenophon zu tun hat und an der er die Liebe zur Freiheit der von der Tyrannenherrschaft befreiten Bürger von Syrakus exemplifizieren will. Das Merkwürdige an dieser Erwähnung von Xenophons Schrift über Tyrannis, die als ein Dialog zwischen dem Dichter Simonides und dem syrakischen Tyrannen Hieron gestaltet ist, besteht darin, daß auf das eigentliche Lehrgespräch und seine Argumentationsführung von Machiavelli mit keinem Wort oder Hinweis näher eingegangen wird. Offenbar genügt es ihm, bei dieser kritischen Erörterung der Tyrannis auf den auch seinen Zeitgenossen bekannten Xenophon-Dialog zu verweisen, ohne auf ihn genauer einzugehen. Dolf Sternberger hat ja in dem eingangs zitierten Werk 'Die drei Wurzeln der Politik' hinreichend sorgfältig heraus-gearbeitet, daß Machiavelli seine Konzeption des 'neuen Fürsten' aus einer problematisch einseitigen Interpretation und Rezeption der aristotelischen Tyrannislehre gewonnen hat. Dazu scheint die Zitierung von Xenophons 'Hieron' in einer argumentativen Nähe und Ergänzung zu stehen.

 

VI.

Soweit die Betrachtungen zu den von uns sogenannten 'direkten' Zitierungen des Xenophon in Machiavellis politischen Hauptschriften. Versuchen wir, daraus abschließend noch einige Ergebnisse zu formulieren.

1. Sowohl aus der Gesamtzahl als auch aus dem Gewicht der Xenophon-Zitierungen bei Machiavelli läßt sich - gerade auch im Vergleich zu den großen Klassikern Platon und Aristoteles - wohl der Schluß ziehen, daß Xenophon für den Florentiner als einer der wichtigsten Klassiker des politischen Denkens - deutlich über die sonstige Reputation Xenophons hinaus - zu gelten hat. Zum Vergleich: Aristoteles wird in den 'Discorsi' viermal, Platon einmal erwähnt; im 'Principe' beide nicht einmal. Von dem modernen Machiavelli-Forschern und Interpreten hat offensichtlich Leo Strauss als einziger dieser Tatsache Rechnung getragen: Einmal in seinem Xenophon-Buch 'Über Tyrannis', in dem etliche Verweise auf Machiavelli, und in seinem Machiavelli-Buch 'Thoughts on Machiavelli', in dem er entsprechend viele Verweise auf Xenophon macht.

Der klassische Philologe Karl Reinhardt hat vor gut einem halben Jahrhundert eine Abhandlung über 'Thukydides und Machivelli' publiziert; es würde sich lohnen, eine Parallelabhandlung über 'Xenophon und Machiavelli' zu schreiben, um den Beziehungen im historischen und politischen Denken beider Autoren genauer und systematischer nachzugehen. Dies steht noch aus.

2. Nicht in jedem Fall der Zitate, wohl aber deutlich überwiegend läßt sich - durchaus in enger Korrespondenz zu dem oben skizzierten Lesegewohnheiten des humanistisch gebildeten Machiavelli - eine entsprechende 'Zitierkunst' aus den wenigen exemplarischen Beispielen aus Xenophon wohl nur in Umrissen erschließen.

Um das Wichtigste einer solchen "Zitierkunst" hervorzuheben: Das Spezifische und Auszeichnende an dieser 'Zitierkunst' des Machiavelli scheint die durchgängig deutliche, mitunter sogar in ihrer Rigorosität bedenkliche 'Funktionalisierung' des Zitierten auf die vom Autor in seiner Werkidee intendierte Interpretationsrichtung. Oder anders gewendet: Machiavelli geht es bei diesen Zitierungen nicht darum, dem zitierten Autor und seinem Text gerecht zu werden oder diesen Autor als Autorität heranzuziehen. Er setzt sie vielmehr eindeutig als Mittel zu seinen eigenen Zwecken ein. Dazu gehört auch, daß substantielle Zielwerte in den Zitaten (wie Menschlichkeit) im Rahmen der neuartigen Politikkonzeption als Mittel funktional in Dienst genommen werden.

Diese Einschmelzung - das hatten einige der behandelten Beispiele erkennen lassen - gelingt nicht immer völlig, so daß die von Herman Meyer angemerkte 'eigenartige Spannung zwischen Assimilation und Dissimilation' durchaus bestehen bleibt; sie ist indes nicht dysfunktional, sondern setzt durchaus kreative Möglichkeiten der Interpretation der angesprochenen Themen frei.

3. Erwähnenswert bleibt schließlich noch, daß die äußere Form und Abfassung der Zitate nicht den Usancen und Standards entspricht, wie sie heute üblicherweise gelehrt werden und gewohnt sind. Darin unterscheidet sich Machiavelli aber nicht von den zeitgenössischen Humanisten: Es gibt in der Regel keine Zitatnachweise in Fußnoten, exakte bibliographische Hinweise gar oder Seitenangaben, die das Auffinden der Zitate ermöglichen; es wird häufig ungenau und ungefähr aus dem Gedächtnis zitiert - und das trotz der erwähnten philologischen Grundorientierung der Humanisten. Dies entspricht dem lockeren Umgang mit dem Texten der Klassiker.

In anderer Hinsicht aber unterscheidet sich Machiavelli durch die dominante Funktionalisierung des Zitierten durchaus positiv und wohltuend von mitunter üblicher humanistischer Zitierpraxis: in seinen politischen Schriften findet sich keine maß- und funktionslose Zitatanhäufung wie sie bei den Humanisten unter der Bezeichnung 'Cento' (=Flickenteppich) geläufig und gebräuchlich war.17

Kehren wir zum Schluß nochmals an den Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurück: Wir hatten im Anschluß an die Lektüre von Herman Meyers 'Das Zitat in der Erzählkunst' die Frage gestellt: 'Kann nicht auch im Hinblick auf politisch-theoretische Texte ganz ähnlich nach der Rolle gefragt werden, die Zitate in der das einzelne übergreifendenden Gesamtstruktur eines politisch-theoretischen Textes spielen?'

Wir haben das anhand der begrenzten Anzahl der Xenophon-Zitate in Machiavellis politischen Schriften versucht. Trotz dieses begrenzten Textmaterials kann die eingangs gestellte Frage bejaht werden. In Machiavellis Schriften spielen die Zitate durchaus eine integrale Rolle in der Gesamtstruktur des Texts (Kapitel) und der Argumentationsstrategie des Autors, für die sie oft streng funktionalistisch sind, ohne indes jeweils voll eingeschmolzen werden zu können.

So bleibt die eigentümliche Spannung zwischen Assimilation und Dissimilation bestehen, in der sich ein Zitat eng mit der neuen Textumgebung verbindet, zugleich sich aber auch von ihr abhebt und so eine andere Welt in die eigene Welt des theoretischen Texts hineinleuchten läßt, um so die vielheitliche Ganzheit und den Reichtum politisch-theoretischer Texte mitzukonstruieren.

Fußnoten:

1 Neuausgabe griechisch-deutsch von Stefan Rebenich in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1998.

2 Neuausgabe griechisch-deutsch von Rainer Nickel in der Reihe Tusculum, München 1992.

3 Griechischer Text in der Loeb-Edition der Schriften des Xenophon, Bd. VII (Scripta Minora), London 1968, S. 2-57; deutsche Übersetzung in: Leo Strauss: Über Tyrannis - eine Interpretation von Xenophons "Hieron", Neuwied 1963, S. 7-29.

4 Deutsche Ausgabe Frankfurt 1999.

5 Vgl. A. Grafton, a.a.O., S. 266f.

6 In: American Political Science Review, vol 90, Nr. 2, June 1996, S. 361 f.

7 Georg Ellinger: Die antiken Quellen der Staatslehre Macchiavelli, Tübingen 1888, S. 42.

8 Dolf Sternberger: Die drei Wurzeln der Politik, (2 Bde., Frankfurt 1978).

9 Dolf Sternberger: a.a.O., Bd.1, S. 172-193.

10 Vgl. dazu Roger D. Masters: Fortuna ist ein reißender Fluß - wie Leonardo da Vinci und Niccolo Machiavelli die Geschichte ändern wollten, München 1999.

11 N. Machiavelli: Il Principe/ Der Fürst. Italienisch-deutsche Ausgabe, Reclam Stuttgart 1986, S. 113.

12 Vgl. Harro von Senger (Hg.): Die List, Frankfurt 1999; Ursula Geitner: Die Sprache der Verstellung, Tübingen 1992; Gerhart Schröder: Logos und List, Königstein/Ts. 1985.

13 N. Machiavelli: Discorsi, ed. R. Zorn, Stuttgart 1977, S. 343.

14 N. Machiavelli: Discorsi, S. 390 ff.

15 Vgl. Xenophon: Scripta Minora, a.a.O., S.366 ff.

16 N. Machiavelli: Discorsi, S.168.

17 Vgl. Artikel ‚Cento' in Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. I, S.293/4. Vgl. auch: Th. Verwegen/G. Witting: Der Cento - Eine Form der Intertextualität von der Zitatmontage zur Parodie, in: Euphorian - Zeitschrift für Literaturgeschichte, Bd. 87, 1993, S. 1 - 27

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