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Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft
Eine Analyse des XVII. Kapitel des "Fürsten"
Xenophon in Machiavellis politischen Schriften
to be continued...

Matthias Paskowsky

Eine Analyse des XVII. Kapitel des "Fürsten"

"Über Grausamkeit und Milde; und ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden oder umgekehrt"

unter dem Gesichtspunkt: Ist Machiavelli ein Machiavellist?

 

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung
2. Inhalt des Kapitel XVII des "Il Principe"
3. Kritik und Aussage Machiavellis
4. Die Aussage des XVII. Kapitels aus heutiger Sicht (Ist Machiavelli ein Machiavellist?)

 

I. Einführung

Machiavellis Werk "Il Principe"[1] entstand Anfang des 16.Jhd., in einer Zeit also, in der seine Heimat Italien in eine Unzahl von Kleinstaaten, Fürstentümer und den Vatikanstaat zerrissen war. Man lebte in der ständigen Bedrohung durch die mächtigen spanischen und französischen Nachbarn. Er selbst, geboren am 3.5.1469 in Florenz, schlug frühzeitig die Beamtenlaufbahn im Dienste der Stadtrepublik Florenz ein. Später wird er in den Rat der Zehn gewählt und auch dessen Vorsitzender, eine hohe Instanz, die dem Rat der Signorie als höchstem Organ untergeordnet war. Im Rahmen seiner Tätigkeit kam er in den Genuß vieler Auslandsreisen, die ihn unter anderem zu Ludwig dem XII. nach Frankreich, zum Habsburger Kaiser Maximilian oder zu zahlreichen italienischen Kleinfürsten führten. Als die Medici im Jahre 1512 wieder an die Macht gelangen (sie waren 1494 abgesetzt worden), wird Machiavelli all seiner Ämter enthoben und nach Verschwörungsvorwürfen sogar eingekerkert und gefoltert. Als sich seine Unschuld herausstellt, kommt er frei, wird jedoch auf sein kleines Florenzer Landgut in die Verbannung geschickt. Dort beginnt er, in abgeschiedener Isolation, seine politischen Sehnsüchte niederzuschreiben. So entstand im Jahre 1513 die Zweckschrift "Il Principe", die ursprünglich als Anleitung und Unterstützung für Giuliano de Medici gedacht war, ein damals einfluß- und aussichtsreicher Mann, dem Machiavelli eine Einigung und Zusammenführung Italiens zutraute. Als Utopie läßt sich sogar ein italienischer Nationalstaat in den Worten Machiavellis erkennen, eine Vorstellung, die erst 1861-1870 durch Guiseppe Garibaldi realisiert wurde, jedoch im fremdbeherrschten Italien der damaligen Zeit ein keimender Wunsch war.

Seit dem erstmaligen Druck des Werkes im Jahr 1532 wurde es bis zum heutigen Tage vielfach kritisiert, indiziert und einer falschen Interpretation unterworfen. Der Verfasser wurde als Menschenfeind beschimpft, ihm ein machtbesessener Despotismus unterstellt, der sich wider die Menschlichkeit richtet und dem tyrannischen Herrscher zuarbeitet. Und wo der Autor nicht an den Pranger gestellt wurde, wurde sein Werk aus dem Zusammenhang gerissen und mißbraucht. So benutzten die Nazis und Mussolini Machiavelli ebenso wie beispielsweise die darwinistischen Theorien, um einen faschistischen Obrigkeitsstaat zu legitimieren.

Alle Kritik an Machiavellis politischen Exkursen, die diese aus dem historischen Kontext reißen und sie als das Machwerk eines verbitterten Zynikers und Menschenfeindes

proklamieren, verkennen deren Gehalt an pragmatisch distanzierter Analyse und die hervorragende Beobachtungsgabe des Verfassers, die sich sowohl auf globale Zusammenhänge als auch auf die Natur seiner Zeitgenossen bezieht.

Viele Historiker und Philosophen (z.B. Hegel, Herder, Nietzsche) erkannten die Qualität von Machiavellis Werken und distanzierten sich von der Darstellung des "Fürsten" als "Handbuch für den Tyrannen". Auch der Gebrauch des Wortes "Machiavellismus" als Bezeichnung einer skrupellosen Machtpolitik ist im Ansatz falsch. Machiavelli, der als Begründer der Staatsräson gilt und dem Zweck alle Mittel unterordnete, verfolgte stets nur ein hehres Ziel: die Schaffung und Erhaltung der inneren Einheit des Staates und der Macht des Herrschers. Für ihn war diesem Hauptziel alles unterzuordnen, er sah es als sehr viel verwerflicher an, durch eine fehlerhafte, nachgiebige oder zurückhaltende Einflußnahme Unruhen und Anarchie zu provozieren, als dies durch die Opferung von Einzelschicksalen zu vermeiden.

Gegenstand dieser Hausarbeit soll insbesondere die Analyse des Kapitels XVII. des

"Il Principe" sein, dessen Inhaltsangabe, eine Darstellung der geübten Kritik sowie die Betrachtung der Kernaussage unter heutigen Gesichtspunkten. Dieses Kapitel war immer eine der besonders umstrittenen Passagen im "Il Principe", da es sich u.a. mit der Legitimation von herrschaftlicher Grausamkeit beschäftigt.

 

II. Inhalt des Kapitel XVII des "Il Principe"

"Über Grausamkeit und Milde; und ob es besser ist, geliebt oder gefürchtet zu werden oder umgekehrt'

Das Kapitel XVII ist eines der zentralen Abschnitte des "Il Principe", zu denen die Kapitel XV bis XXIII gehören. Hier beschäftigt sich Machiavelli mit den eigentlichen Regierungsproblemen und dem Aufbau und der Führung des Staates, vom Standpunkt des Herrschers aus gesehen. Einführend bemerkt Machiavelli, daß er es für jeden Herrscher als besser erachtet, "im Ruf der Milde und nicht in dem der Grausamkeit zu stehen"[2]. Gleich im Anschluß warnt er jedoch vor dem Mißbrauch der Milde und legitimiert die Grausamkeit anhand des Beispiel des Cesare Borgia. Dessen Grausamkeit einte die Romagna und brachte ihr "Frieden und Ergebenheit". Für Machiavelli ist Borgias dosierte Grausamkeit "viel barmherziger" als das Volk von Florenz. Dieses hatte es versäumt, Parteistreitigkeiten ein Ende zu machen (durch die Beseitigung der Parteiführer), um Grausamkeiten zu verhindern. Im Ergebnis gab es Unruhen, Strassenkämpfe und Plünderungen, zu deren Befriedung Machiavelli mehrmals abgeordnet wurde[3]. Bereits im VII. Kapitel des "Il Principe" beschreibt Machiavelli Borgia als einen Herrscher, der `...jedes Mittel benützte und alles tat, was ein kluger und tüchtiger Mann tun mußte..."[4].

Machiavelli vertritt weiterhin den Standpunkt, daß sich ein Herrscher nicht um den Vorwurf der Grausamkeit kümmern soll, wenn diese nur der Erhaltung der Einigkeit und Ergebenheit der Untertanen dient. Abschreckende Beispiele und statuierte Exempel seien barmherziger als allzu große Milde, die Mord und Plünderung provoziert. "Diese treffen ... die Allgemeinheit, Exekutionen, die vom Herrscher ausgehen, treffen nur einzelne."

Gerade zu Beginn einer neuen Herrschaft erscheint es Machiavelli unmöglich, den Ruf der Grausamkeit zu vermeiden, da einer neuen Herrschaft viele Gefahren entspringen.

Machiavelli warnt den Herrscher davor, allzu leichtgläubig und beeinflußbar zu sein und empfiehlt, maßvoll, klug und menschenfreundlich zu handeln. Die Frage, ob es besser sei, geliebt oder gefürchtet zu werden, beantwortet Machiavelli damit, daß man beides sein solle. Da dies aber kaum möglich sei, empfiehlt er, eher auf die Beliebtheit zu verzichten. Er begründet dies mit der Beschreibung des Menschen als "undankbar, wankelmütig, verlogen, heuchlerisch, ängstlich und raffgierig". Solange diese Vorteile erhielten, seien sie ergeben und treu, in der Not würden sie sich jedoch abwenden. Er hält ein freundschaftliches Verhältnis zum Volk für lose und unverbindlich, sie sei gekauft und man besitzt sie nicht und könne auch nicht auf sie rechnen. Auch würde das Volk gegen einen beliebten Herrscher eher vorgehen, da das Band der Dankbarkeit aus Eigennutz leichter zerrisse, als daß die Angst vor Strafe den Menschen verließe.

Machiavelli empfiehlt, praktisch als goldene Mitte, zwar gefürchtet, jedoch nicht verhaßt zu sein. Der Herrscher könne das erreichen, wenn "...er sich nicht an der Habe und den Frauen seiner Mitbürger und Untertanen vergreift" und für jede notwendige Tötung eine Rechtfertigung und einen ersichtlichen Grund hat.

Für besonders wichtig erachtet es Machiavelli, sich als Feldherr den Ruf der Grausamkeit zu verschaffen, auf andere Art und Weise könne die "Geschlossenheit und Schlagkraft" eines Heeres" nicht aufrechterhalten werden. Als Beispiel führt er den Feldherrn Hannibal an, der

im zweiten punischen Krieg mit einem zusammengewürfelten Heer fernab der Heimat große Erfolge erzielte, ohne daß es je Streit in der Truppe gegeben hätte. Seine hervorragenden Eigenschaften und nicht zuletzt seine Grausamkeit hätten ihm Loyalität und Ansehen gesichert. Ohne sein hartes Durchgreifen wären die Erfolge nicht möglich gewesen und Machiavelli kritisiert alle Schriftsteller, die zum einen Hannibals Leistung honorieren, andererseits jedoch seine Unmenschlichkeit anprangern, das eine sei ohne das andere nicht möglich gewesen.

Als Gegenbeispiel führt Machiavelli den römischen Feldherrn Scipio an (der übrigens Hannibal bei Zama besiegte), der für seine außerordentliche Milde bekannt war und daher häufig Unruhen innerhalb des Heeres hatte.

Abschließend bemerkt Machiavelli: "Da es vom Belieben der Menschen abhängt, ob sie Zuneigung empfinden, und vom Willen des Herrschers, ob sie Furcht empfinden, darf ein kluger Herrscher sich nur auf das verlassen, worüber er zu bestimmen hat, und nicht auf das, worüber andere bestimmen. Nur soll er bemüht sein, dem Haß zu entgehen, wie ich bereits erwähnte."

 

III. Kritik und Aussage Machiavellis

Bereits im, in den Kernbereich seiner Arbeit einführenden, XV. Kapitel "entschuldigt" sich der Autor quasi präventiv für seine klaren Worte und die unkonventionelle Betrachtungsweise der folgenden Abschnitte:"Da es mir bewußt ist, daß schon viel darüber geschrieben wurde, fürchte ich, daß man mich für anmaßend hält, wenn auch ich darüber schreibe, zumal ich gerade bei der Erörterung dieses Stoffes von der üblichen Behandlungsweise abgehe. Da es aber meine Absicht ist, etwas Brauchbares ... zu schreiben ... schien es mir zweckmäßiger, dem wirklichen Wesen der Dinge nachzugehen als deren Phantasiebild."[5]

Machiavelli kommt es nun im XVII. Kapitel vor allem darauf an, den Herrscher hinsichtlich des Gebrauchs restriktiver und brutaler Maßnahmen zur Machterhaltung zu unterweisen. Sein anfänglicher Appell zur Milde mutet in der Gesamtaussage des XVII. Kapitels wie Hohn an, begründet er doch im folgenden, warum eine Herrschaft der harten Hand, Furcht und Grausamkeit ein sehr viel effektiveres Mittel ist.

Im Kommentar des konservativen preußischen Geschichtsschreibers Leopold von Runke (19.Jh.) heißt es: "Machiavelli suchte die Heilung Italiens, doch der Zustand desselben schien ihm so verzweifelt, daß er kühn genug war, ihm Gift zu verschreiben."

Dieses Zitat spiegelt sehr gut Machiavellis Standpunkt wider. Ihm ist der Zweck, die Befriedung und Einheit des Staates als Endziel über alle Mittel erhaben. Er empfiehlt daher den Einsatz von "Grausamkeit" in dosiertem Maße, um das Volk ruhig zu halten und Unruhen zu vermeiden. Als Einwohner des mittelalterlichen Italiens waren für ihn die inneren Streitigkeiten und Auseinandersetzungen eine viel gefährlichere Quelle von Unrecht und Leid als die strafende und dadurch lenkende Hand des Herrschers. Er unterstellt diesem natürlich, daß er im Grunde seines Wesens intelligent, gutartig und charismatisch sei, ohne die bloße Lust an der Grausamkeit und ohne den Willen, sich durch tyrannische Methoden persönlich zu bereichern oder zu ergötzen. Und hier zeigt sich vielleicht eine Schwäche seines Werkes, hat doch hier der Praktiker in ihm etwas versagt. Denn natürlich sind die oben genannten Eigenschaften für einen Herrscher immer wünschenswert, jedoch leider selten in einer Person vereinigt. Machiavelli billigt den Umstand, daß die Machtstellung negativ ausgenutzt werden könne, daß seine Rechtfertigung für hoheitliche Härte übertrieben und maßlos in Anspruch genommen werden könnte. Natürlich wirkt er dem entgegen, indem er vor dem Haß des Volkes warnt, jedoch werfen ihm seine Kritiker vor, hier die Schranken nicht eng genug gesetzt zu haben.

Machiavelli fordert eine Art gerechte Grausamkeit, eine durch staatliche Zwänge und durch die operative Notwendigkeit legitimierte Verfolgung herrschaftlicher Interessen. Er stellt auf einen triftigen Grund und eine hinreichende Rechtfertigung ab, die er stets in der Befriedung des Staates durch überschaubare Einzelmaßnahmen erkennt. Wenn man zugunsten Machiavellis argumentieren möchte, so könnte man meinen, er habe dem Herrscher nur das Recht einräumen wollen, Gesetzesbrüche zu ahnden und Gegenströmungen zu unterdrücken und dies mit den damals durchaus legitimen Mitteln der Folter und der Todesstrafe. Machiavellis Gegner bezeichnen dessen Ausführungen als bloße Aufforderung zu tyrannischer staatlicher Willkür, als Legitimation unkontrollierter Machtausnutzung und Brutalität.

Aber auch der nüchterne und bestimmte Tonfall, in dem er dem Herrscher davon abrät, verhaßt zu werden, ist nicht etwa die zynische Posse eines machtverherrlichenden Staatstheoretikers sondern vielmehr eine ernstgemeinte Aufforderung an den Regierenden

(s.o.). Es sollte nicht vergessen werden, daß Machiavelli seine Empfehlungen vorsichtig formulieren mußte, waren sie doch für wesentlich höher gestellte Fürsten gedacht.

Machiavelli räumt dem Herrscher die Wahl der Mittel ein und selbst wenn er in distanziert kaltblütiger Manier die Grausamkeiten des machthungrigen Ursupators Cesare Borgia rechtfertigt und das Ergebnis von dessen rücksichtsloser Machtgier lobt, geschieht dies nicht

in der Grundattitüde des menschenfeindlichen Zynikers sondern muß an Machiavellis Erfahrungswerten während seiner Amtszeit gemessen werden. Die ausgedehnten Unruhen und Auseinandersetzungen in Pistoja, zu deren Befriedung Machiavelli gerufen wurde, sind nur ein Beispiel dafür. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß es zur damaligen Zeit vorteilhafter war, eine zentralistische Macht mit allen Befugnissen und Handlungsfähigkeiten zu haben, als eine Unzahl von einflußreichen Familien, Fürsten und ausländischen Größen, die das damalige Italien permanent neu verteilten und das Land mit Unfrieden und Machtgier verseuchten.

Natürlich haben seine Erfahrungen nach der erneuten Machtergreifung der Medici und seiner damit verbundenen Verfolgung und Verbannung nicht sehr dazu beigetragen, aus Machiavelli einen menschenfreundlichen Humanisten zu machen. Aber eben die ungeschminkte und praxisorientierte Wahrheit, die Implementierung menschlicher Unzulänglichkeiten und Schwächen in seine Staatstheorien machen das Werk Machiavellis interessant. Auch seine Aussage, daß es vom Belieben des Volkes abhänge, ob sie Zuneigung empfänden, jedoch der Herrscher es in der Hand habe, ob es ihn fürchte oder nicht, steht in einer alten handlungsorientierten Tradition. Machiavelli propagierte häufig eine zielgerichtete Art und Weise, auf Probleme zuzugehen, sie nicht abwartend auf sich zukommen zu lassen und er befand sich damit in den Fußstapfen von historischen Vorbildern wie Julius Cäsar oder Alexander dem Großen, die lieber agierten als reagierten.

Grundtenor Machiavellis war es immer, dem Herrscher ein permanentes Handlungsmonopol zu sichern, seine Position innenpolitisch zu festigen um auch außenpolitisch gewappnet zu sein. Dies sah er am ehesten durch eine unangefochtene Machtposition des Oberhauptes im Staate gewährleistet, der sich Respekt, Ehrfurcht und Ergebenheit notfalls auch durch kontrollierte Härte verschaffen sollte, ohne jedoch die Lebensqualität oder das Eigentum der Massen einzuschränken.

 

IV. Die Aussage des XVII. Kapitels aus heutiger Sicht

Ist Machiavelli ein Machiavellist?

Es ist natürlich fraglich, inwiefern die Aussagen des "Il Principe" in der heutigen Zeit von Relevanz sind, ob ihr Inhalt bloßes historisches Interesse hervorruft oder ob er auch in westlichen Demokratien als Leitfaden und Anregung genutzt werden kann.

"Der Fürst" ist natürlich auf die Monokratie als damalig dominierende Herrschaftsform zugeschnitten, immer sprach der Autor den Fürsten, den allein regierenden Herrscher an und gab diesem Rat für die Ausübung und Dosierung der Macht. Jedoch werden Machiavelli bedeutende staatstheoretische Visionen zugesprochen, die sich sowohl in die Richtung der freien Marktwirtschaft als auch hin zu einem aufgeklärten italienischen Nationalstaat bewegten. Häufig spricht er zynisch über die Dominanz der Kirche und beweist Vorliebe für das Bürgertum und deren Interessen, denn obwohl seine Ratschläge für den Monokraten gedacht sind und er diesem das alleinige Recht und die Fähigkeit der Staatslenkung zubilligt, so glaubt er doch an eine Verbesserung der Situation des Bürgertums durch ein ausgewogenes

Staatsgefüge.

"Denn das Ziel des Volkes ist rechtschaffender als das der großen Herren, da diese das Volk unterdrücken wollen, das Volk dagegen nur nicht unterdrückt werden möchte."[6]

Er offenbart sich damit als typischer Intellektueller der Renaissance, der Drang nach Fortschritt und Reformation lebt auch in ihm, entgegen den Bestrebungen der damaligen Obrigkeit und Kirche, technische, politische und geistige Entwicklungen zu blockieren.

Der kritische Blick in die Vergangenheit, das Studium historischer und politischer Zusammenhänge und der Biographien von Einzelpersonen formte Machiavellis Werk ebenso, wie persönliche Erfahrungen. Häufig zitiert er klassische Quellen wie Cicero und Seneca und erweist ihnen den höchsten Respekt. Er geht jedoch auch kritisch mit ihnen ins Gericht und zweifelt z.B. die Aussage des Cicero an, ein Herrscher müsse immer die Wahrheit sagen, großzügig sein und seine Versprechen halten. Machiavelli hat sich hier eine sehr viel differenziertere Betrachtungsweise zurechtgelegt, die sich sehr pragmatisch am Wohl des Staates orientiert. Der Zweck heiligt die Mittel oder vielmehr das Endziel diktiert diese und somit auch Lüge, Brutalität und Ausbeutung. Jedoch besteht er immer wieder darauf, daß bei

Erreichung einer zufriedenstellenden inneren Stabilität Grausamkeiten und Unterdrückung

eingestellt werden müßten.

Auch die Tendenz zur freien Marktwirtschaft und zum freien Bürgerleben unterstreicht die Aussage, daß er kein Menschenfeind gewesen ist. Sein Aufruf an den Fürsten (im XXI. Kapitel), diejenigen zu belohnen und unterstützen, die aus eigener Kraft durch Handel und Geschäft ihren Besitz mehren und somit dem Wohl des Staates und der Allgemeinheit nützen, erklang mehr als 200 Jahre vor der klassischen Nationalökonomie des Adam Smith, der Machiavellis Aussage noch um das individuell egoistische Interesse des einzelnen vom naturrechtlichen Blickpunkt ergänzte.

Das aktuellpolitische Geschehen, die Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien, in Uganda oder der ehemaligen Sowjetunion zeigen deutlich, daß die Reduktion oder das Verschwinden der allmächtigen Staatsmacht in einem ehemals zentralistisch geführten Land zum Aufbrechen alter und neuer ethnischer, religiöser oder wirtschaftlicher Konflikte führt. Diese werden mit einer scheinbar anachronistischen Grausamkeit und Bedingungslosigkeit geführt, daß sie wie Relikte einer vergangenen Zeit wirken. Jedoch sind es nicht nur die großen Bürgerkriege, die das Entsetzen der Weltöffentlichkeit provozieren, auch treten wieder Phänomene hervor, die längst vergessen scheinen und scheinbar aus einer anderen Welt stammen, wie die Blutrache in Albanien. Diese Phänomene unterstützen die Aussage Machiavellis, der beim Fehlen einer zentralen Machinstanz Unruhen, Chaos und Anarchie prophezeit, da das eigentliche Wesen der Menschen hervortritt, das nicht mehr durch Furcht vor Strafe oder Nachteil im Hintergrund verschwindet. Machiavelli fordert ein fein dosiertes repressives Milieu, fordert eine führende Kraft, die nicht nur für Ruhe und Ordnung sorgt, sondern nebenbei auch progressive Strömungen unterstützt. Natürlich ist noch nicht die Rede von einer demokratisch und offen geführten Auseinandersetzung hinsichtlich der Staatsgeschicke, dies erschien ihm zur damaligen Zeit undenkbar, jedoch kann ihm dieser Umstand nicht zur Last gelegt werden, wenn man seinen zeitgeschichtlichen Hintergrund betrachtet.

Was ist nun ein Machiavellist?

Ein Machiavellist ist ein Anhänger des Machiavellismus, dieser wird üblicherweise als ungehemmte Machtpolitik beschrieben.

War also Machiavelli ein Machiavellist? Wie bereits oben dargestellt wurde, lag ihm nichts daran, sinnlose Grausamkeiten zu rechtfertigen oder zu provozieren. Seine Bestrebung war es zu jedem Zeitpunkt und insbesondere in seinen Darstellungen des XVII. Kapitel, dem Herrscher die Wahl der Mittel zu überlassen, ihm die Legitimation auch für harte Maßnahmen einzuräumen. Er war kein verträumter Idealist, der allumfassende Rechtschaffenheit, kollektive Harmonie und immerwährende Abkehr von staatlicher Gewalt predigte. Er hatte das Wesen des Menschen erkannt, zog daraus Schlußfolgerungen für den Herrscher und maß daran die Wahl der Mittel.

Nur der oberflächliche und voreingenommene Betrachter vermag daher im "Il Principe" das Handbuch für den Tyrannen zu erkennen. Ein sehr schönes Beispiel ist der damalige Kronprinz Friedrich, der 1739 seinem Berater Voltaire den "Anti-Machiavell" zukommen ließ, eine Streitschrift, die Machiavelli bezichtigte, die "Staatskunst zu verderben" und die "Lehren der gesunden Moral zu vernichten". Jahrzehnte später erkannte Friedrich seinen Jugendirrtum und schrieb: "Es tut mir leid, aber ich bin gezwungen zu gestehen, daß Machiavelli recht hat". Aus seinen Worten sprach die Einsicht eines Mannes, der die Praxis des Regierungsgeschäftes kennengelernte, der nunmehr wußte, wovon der große Staatstheoretiker gesprochen hatte.

 

[1] Für diese Hausarbeit wurde die folgende Ausgabe verwandt: "Der Fürst", Niccolo Machiavelli, in der Übersetzung von Rudolf Zorn (a. Herausgeber), Kröner Verlag, 6. Auflage, Stuttgart 1978

[2] "Der Fürst", o.g. Ausgabe, S. 67

[3] siehe Fussnote 222 auf Seite 133 der o.g. Ausgabe

[4] "Der Fürst", o.g. Ausgabe, S. 26

[5] "Der Fürst", o.g. Ausgabe, S.62/63

[6] "Der Fürst", o.g. Ausgabe, S. 40

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