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  Der Schein der Macht
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Machiavelli - Die Determinanten politischen Handelns
Machiavelli - Die Republik als beste Staatsform
Wie würde Machiavelli die aktuelle politische Lage kommentieren?
Machiavellis Theorie zur Erhaltung von Herrschaft
Eine Analyse des XVII. Kapitel des "Fürsten"
Xenophon in Machiavellis politischen Schriften
to be continued...

Der Schein der Macht

Maurizio Viroli und Dirk Hoeges korrigieren das Bild Niccolò Machiavellis

Von Hans-Martin Lohmann

Über der Gestalt Niccolò Machiavellis hängen seit jeher düstere Wolken. Schon vielen Zeitgenossen erschien sie als durchaus sinister. Gut dreißig Jahre nach Machiavellis Tod (1527) wurden seine Schriften auf den Index gesetzt; Katholiken wie Protestanten witterten hinter den Grausamkeiten der Religionskriege die heimliche Regie des Florentiners. Einen Höhepunkt erreichte der Antimachiavellismus mit dem 1740 publizierten Antimachiavel Friedrichs II., redigiert von dessen Freund Voltaire: Das aufgeklärte Paar schlug erbarmungslos zu, freilich um den Preis, dass der Schlag nicht den Autor des Principe traf, vielmehr einen selbst gebastelten Popanz.

In Deutschland bereiteten Fichtes und Hegels Kommentare den Boden dafür, dass Machiavellis Werk zum "Machiavellismus" mutierte, zu dessen wohl krudestem Künder der Historiker Heinrich von Treitschke wurde, der den Italiener zu einem Theoretiker der bedenkenlosen Machtanwendung umdeutete, dergestalt den Machtgebrauch und Machtmissbrauch des Bismarckschen Reichs legitimierend. Was im Antimachiavel negativ konnotiert war, erfuhr jetzt seine Umkehrung ins uneingeschränkt Positive. Der inflatorische Einsatz von Macht und dessen Rechtfertigung unter Berufung auf Machiavelli erlebten im italienischen Faschismus wie im deutschen Nationalsozialismus ihren Kulminationspunkt - Recht ist, was die Macht gebietet. Hans Freyers Machiavelli-Lektüre von 1938 (welcher René König im Exil ohnmächtig widersprach) spielte diese Karte ebenso intelligent wie zynisch.

Erst in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es möglich, ein entspannteres Verhältnis zu jenem Mann zu finden, dessen Werk sich nun einmal nicht auf das hartnäckige Klischee vom "Machiavellismus" reduzieren lässt. Das ist einerseits ein Fortschritt; andererseits zeigt es aber auch an, in welch hohem Maße jede Machiavelli-Rezeption zeitgebunden ist. Angesichts einer grosso modo nicht bellizistischen Großwetterlage scheint man eher geneigt, ein weniger martialisches Porträt von Machiavelli zu zeichnen als jenes, das von Entsetzen und Abscheu oder von bedenkenloser Faszination geprägt ist.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Studie des in Princeton lehrenden italienischen Machiavelli-Forschers Maurizio Viroli. Bereits der Titel seines Buches Das Lächeln des Niccolò und seine Zeit macht ernst mit dem Anspruch, die Aura des Düsteren um den florentinischen Schriftsteller zu durchbrechen und ihn in ein gleichsam menschenfreundlicheres Licht zu tauchen. Virolis Held ist so etwas wie ein melancholischer Clown, der, um über die Ungerechtigkeit und Absurdität der Welt, über die Zerrüttung Italiens und die Unfähigkeit der italienischen Fürsten, dem politischen Unheil mit angemessenen Mitteln zu begegnen, nicht weinen zu müssen, die Maske des Lachens aufsetzt. Machiavellis Lachen ist nicht das des Zynikers, sondern das eines Verzweifelten, der erkennen muss, dass politische Kurzsichtigkeit, Torheit und Opportunismus allemal über Weitsicht und Realismus triumphieren.

Die berühmteste Schrift Machiavellis, Der Fürst, ist denn auch nichts anderes als eine Schule des Realismus, die sich gerade darin von allen Fürstenspiegeln älterer Provenienz unterscheidet. Realistisch ist zu erkennen, dass der Fürst, will er Großes und für das Vaterland Nützliches - die Abschaffung von Anarchie und Willkür, die Herstellung von Recht und Gesetz, die Freiheit des Volkes - bewirken, nicht unbedingt "gut" sein muss, wie es die älteren Ratgeber empfahlen. Machiavellis realistische politische Sicht speiste sich aus einer Haltung, die es ihm erlaubte, über Gott und Teufel seine Scherze zu machen. Sein Atheismus war der Nährboden seines Realismus - insofern war er moderner als die meisten seiner Zeitgenossen. Viroli weist aber auch das grassierende Missverständnis zurück, aus Machiavellis spezifischer Modernität lasse sich der berüchtigte Lehrsatz ableiten, der Zweck heilige die Mittel. Eine solche bequeme Sentenz sucht man im Werk des Praktikers der Macht - zwischen der Savonarola-Episode, für die er vor allem Sarkasmus übrig hatte, und der Rückkehr der Medici, die seine politische Verbannung bedeutete, diente er der Republik Florenz rund 15 Jahre als Sekretär, Diplomat und Organisator einer Bürgermiliz - vergebens.

Präsentiert Viroli fast einen Learschen Narren ("... sei lustig, dein Verstand wird nie auf Schlappschuhen gehen dürfen") und, nebenbei, einen Homme à Femmes sympathischen Zuschnitts, so der Hannoveraner Romanist Dirk Hoeges einen Schriftsteller von Rimbaudschen Format, der nicht bloß modern, sondern absolut modern ist. Das Moderne an Machiavelli, diesem gottverlassenen Autor, besteht in seiner Fähigkeit, den idealen Träger der Macht, den "principe", radikal zu entnaturalisieren. Machiavellis Fürst ist eine durch und durch künstliche Figur, verfügt über kein Wesen, keinen unwandelbaren Kern, vielmehr, wie ein Chamäleon, über eine stets wechselnde Erscheinung - heute im Armani-Anzug und mit teurer Havanna, morgen im Kumpel-Outfit des gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmers.

Nicht das, was der Fürst ist (oder angeblich ist), ist für die Erringung oder Erhaltung der Macht unerlässlich, sondern nur das, was er in den Augen der anderen zu sein scheint. Es genügt, wenn der Herrscher für den gehalten wird, der zu sein er vorgibt. Reale Macht, so Hoeges' Machiavelli-Interpretation, ist an den Schein gebunden und an dessen ästhetische Inszenierung. Die Wirklichkeit der Macht zeigt sich in der Beherrschung und Kontrolle des Scheins. Deshalb ist bei Machiavelli auch häufig die Rede von "als ob", "gehalten werden für", "fama", "opinione" und "reputatione": Der Fürst, um das vulgäre Vorurteil über seine Schrift aufzugreifen, muss nicht unbedingt grausam oder hart sein, aber es mag im Zweifelsfall nicht schaden, dafür gehalten zu werden.

Diese ästhetische Begründung der Macht, die Perspektivität, unter welcher sie öffentlich wahrgenommen wird, weist Machiavelli als absolut Modernen aus. Denn ohne den Schein der Macht kommt keine Macht mehr aus. Hoeges erinnert en passant daran, dass diese "perspektivische Wende" mit Künstlernamen wie Donatello, Alberti, Brunelleschi, Uccello und Leonardo verbunden ist, "alle Toskaner, wenn nicht Florentiner". Die an die Perspektive geknüpfte Dominanz des Sehens und des Scheins, die ältere Machtästhetiken ablöst, ist ein Produkt der florentinischen Renaissance, und Machiavelli, der Wortmensch, war eingefleischter Florentiner.

In ganz unterschiedlicher Weise leisten die Bücher von Viroli und Hoeges - das eine eher moderat plaudernd, das andere theoretisch und begrifflich zugespitzt - eines: Sie lancieren ein Bild Machiavellis, das, nicht zuletzt im Rückgriff auf die verfügbaren Quellen und in sorgfältiger Auslegung derselben, jene alten und entstellenden Darstellungen korrigiert, die bis heute Machiavellis wahre Bedeutung als politischer Schriftsteller, als Theoretiker und Praktiker der Macht verdunkeln.

Maurizio Viroli:
Das Lächeln des Niccolò Machiavelli und seine Zeit. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann; Pendo Verlag, Zürich / München 2000; 350 S., 48 DM

Dirk Hoeges:
Niccolò Machiavelli. Die Macht und der Schein; Verlag C. H. Beck, München 2000; 244 S., Abb., 54,90 DM

© DIE ZEIT 43/2000


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